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Der Strauchschmatzer (Copsychus fulicatus, Synonym: Saxicoloides fulicatus) ist ein auf dem indischen Subkontinent vorkommender Vogel aus der Familie der Fliegenschnapper (Muscicapidae). Merkmale Der Strauchschmatzer ist ein schlanker Vogel, der gelegentlich plump wirkt, und hat eine Lange von 16 bis 19 cm. Er hat lange Beine, einen langen Schwanz und einen leicht gekrummten Schnabel. Die Art weist einen ausgepragten Sexualdimorphismus auf. Die Weibchen sind fast vollstandig graulich-braun gefarbt, wobei der Kopf starker in die braunliche Farbung geht. Die Schwanzfedern zeigen ein dunkleres Braun, das bis ins Schwarze ubergehen kann. Unter dem Schwanz zeigen die Federn einen matten kastanienbraunen Ton. Die Schwungfedern sind dunkelgrau mit einem graubraunen Saum. Weibchen der sudlichen Unterart Copsychus fulicatus leucopterus sind etwas dunkler gefarbt als die anderer Populationen. Der mannliche Strauchschmatzer ist auf der Stirn, im Ruckenbereich und auf der Flugeloberseite braun gefarbt. Bei angelegten Flugeln zeigt sich darauf ein weißer Strich oder weiße Flecken. Der Rest der Flugel und des Schwanzes geht ins Schwarze uber. Der Kopf und der Bauchbereich sind blaulich-schwarz und glanzend gefarbt. Unter dem Schwanz zeigen die Federn eine helle kastanienbraune Farbung. Jungvogel ahneln den Weibchen. = Gesang = Der Strauchschmatzer hat in unterschiedlichen Situationen verschiedene Gesangsmuster. So besteht sein Gesang, wenn er entspannt ist, aus zwei Noten, die weit getragen werden und sich anhoren wie cheery-we oder pi-peear. Wenn er Alarm schlagt, kommt ein harsches, schimpfendes cheee. Beim Gesang sitzt das Mannchen meist auf erhohten Platzen, wie den Spitzen von Buschen, Dachern oder Zaunen. Es singt meist in der Morgendammerung und in der Abenddammerung. Lebensweise Der Strauchschmatzer ist meist einzelgangerisch oder in Paaren unterwegs. Er bewegt sich springend oder laufend am Boden. In der Nahe des Menschen kann der Strauchschmatzer auch zahm werden. Er hat ein Revier, das er aggressiv verteidigt, vor allem wenn er Jungvogel im Nest großzieht. = Lebensraum = Der Strauchschmatzer ist in offenem Buschland und an Waldrandern in trockenen und steinigen Gebieten weit verbreitet. In diesen Gebieten finden sich meist Gras, viele Felsen und verstreute Busche, wie Wolfsmilchgewachse, Kakteen, Tamarisken oder Kameldorn. Außerdem findet man den Vogel am Rand von Kulturlandschaften, an Sanddunen, in Schluchten, Steinbruchen, in Palmenhainen und Garten. Die Art findet man in Hohen von bis zu 1500 m, vereinzelt bis 1800 m uber der Meereshohe. = Fortpflanzung = Die Art brutet in der Regel zwei- bis dreimal im Jahr. Bei der Balz, die am Boden stattfindet, prasentiert das Mannchen dem Weibchen seine weißen Streifen auf den Flugeln, wahrend es den Kopf und Schnabel zum Himmel richtet und den Schwanz hebt, um den kastanienbraunen Flaum darunter zu zeigen. Teilweise zeigt es einen Balzflug uber seinem Brutrevier. Das Nest wird großtenteils, aber nicht ausschließlich, vom Weibchen gebaut. Hierbei baut es eine flache Konstruktion aus Grasern, kleinen Wurzeln, Pflanzenfasern und Tierhaaren. Das Nest wird in der Regel in Hohlen in Wanden, in Baumen, unter Felsblocken oder in Felsspalten gebaut. Auf Sri Lanka dienen auch oft Locher in Termitenhugeln als Nistplatz. Die Nester werden meist in einer Brutsaison wieder benutzt. Außerdem benutzen die Weibchen denselben Platz oft uber Jahre hinweg fur den Nestbau. Die Gelegegroße betragt je nach Region zwei bis drei Eier bei sudlichen Populationen oder drei bis vier Eier in nordlichen Populationen. Die Eier haben eine blasse grune, grauliche oder gelblich-weiße Farbung mit rotlich-braunen feinen Punkten oder Flecken. Die Brut dauert 11 bis 12 Tage und wird fast ausschließlich vom Weibchen verrichtet. Die Kuken werden von beiden Eltern gefuttert. = Ernahrung = Die Nahrung sucht der Strauchschmatzer meist am Boden, wobei er bei der Suche nach Beute Laub und kleine Steine umdreht. Teilweise lauert er von niedrigen oder halbhohen Ansitzen auf mogliche Beute. Teilweise erbeutet er seine Nahrung auch im Flug. Er ernahrt sich meist von Insekten, ihren Larven und Eiern. Seine Beutetiere sind oftmals Ameisen, Termiten, Fliegen, Kafer, Heuschrecken und Spinnen. Vereinzelt erbeutet er auch kleine Wirbeltiere wie kleine Geckos oder Frosche. Verbreitung und Gefahrdung Der Strauchschmatzer ist in großen Bereichen des Indischen Subkontinents verbreitet. Vor allem in Indien und Sri Lanka ist die Art weit verbreitet. Außerdem findet man ihn in Pakistan, Bhutan, Nepal und Bangladesh. In Afghanistan und auf den Malediven wurde die Art auch nachgewiesen, wobei man davon ausgeht, dass es sich um aus Gefangenschaft entflohene Individuen handelt. Es werden funf getrennte Unterarten unterschieden. Er wird wegen seiner großen Verbreitung und wegen der wahrscheinlich stabilen Populationsgroße von der IUCN als Least Concern („nicht gefahrdet“) eingestuft. Unterarten Es sind funf Unterarten des Strauchschmatzers bekannt: Copsychus fulicatus cambaiensensis (Latham, 1790) Copsychus fulicatus erythrurus (Lesson, 1832) Copsychus fulicatus intermedius Whistler & Kinnear, 1932 Copsychus fulicatus fulicatus (Linnaeus, 1766) Copsychus fulicatus leucopterus (Lesson, 1840) Weblinks Copsychus fulicatus in der Roten Liste gefahrdeter Arten der IUCN 2018.1. Eingestellt von: BirdLife International, 2018. Abgerufen am 4. Dezember 2024. Strauchschmatzer (Copsychus fulicatus) bei Avibase Strauchschmatzer (Copsychus fulicatus) auf eBird.org xeno-canto: Tonaufnahmen – Strauchschmatzer (Copsychus fulicatus) Indian Robin (Copsychus fulicatus) in der Encyclopedia of Life. (englisch). Einzelnachweise
Der Strauchschmatzer (Copsychus fulicatus, Synonym: Saxicoloides fulicatus) ist ein auf dem indischen Subkontinent vorkommender Vogel aus der Familie der Fliegenschnapper (Muscicapidae).
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Der Mord an Hermann Lichtenstein war ein Raubmord, der am 26. Februar 1904 in Frankfurt am Main begangen wurde. Historisch bedeutend an der Aufklarung des Falles war, dass dabei erstmals in Deutschland ein Tater mit Hilfe der Daktyloskopie aufgrund seines Fingerabdrucks uberfuhrt wurde. Tat Hermann Lichtenstein betrieb ein Klaviergeschaft in der Zeil 69 in Frankfurt am Main. Als die Tater das Geschaft betraten, war er dort alleine. Neben den fur das Publikum zuganglichen straßenseitigen Geschaftsraumen gab es ruckwartig einen großen Lagerraum, in dem zahlreiche Klaviere und Flugel standen. Die letzte Kundin hatte das Geschaft um 12:20 Uhr verlassen. Bereits um 12:45 Uhr wurde Hermann Lichtensteins Leiche im hinteren Teil des Lagerraumes entdeckt. Er war mit einem runden Gegenstand mit scharfen Kanten getotet worden. Das Tatwerkzeug wurde nie gefunden, es konnte sich um einen Polierhammer gehandelt haben. Zusatzlich war eine Hanfschnur mehrfach um seinen Hals geschlungen. Im gesamten Lager- und Burobereich des Geschafts fanden sich Blutspuren. Der Tresor des Geschafts, in dem sich etwa 800 Mark befunden hatten, war entleert. Ermittlungen und Prozess Die Hanfschnur stammte aus einem Seilergeschaft in der Fahrgasse. Mit Hilfe des dortigen Verkaufers konnte als deren Kaufer mit großer Wahrscheinlichkeit der gelernte Metzger und nun als Mobeltrager arbeitende Oskar Bruno Groß identifiziert werden. Er wurde festgenommen. Anschließend wurden Blutspuren, die er mit Fleckenwasser zu entfernen versucht hatte, auf seiner Kleidung gefunden. Außerdem befand er sich im Besitz von 600 Mark. Die Polizei ging aufgrund der Spuren am Tatort allerdings von zwei Tatern aus. Bei der Uberprufung der Sozialkontakte von Groß stieß die Polizei auf den Pferdeknecht Friedrich Stafforst, der sich mittlerweile in Hamburg aufhielt. Er befand sich im Besitz der goldenen Uhrkette von Hermann Lichtenstein. Bei seiner Vernehmung gab er letztendlich zu, Hermann Lichtenstein zusammen mit Groß getotet zu haben. Die beiden hatten bereits 1902 gemeinsam Falschgeld hergestellt. Stafforst erhielt dafur eine langere Haftstrafe, verriet die Beteiligung von Groß an der Falschmunzerei aber nicht. Groß bestritt, an der Totung von Hermann Lichtenstein beteiligt gewesen zu sein. Als Gutachter wurde der Chemiker Georg Popp, Mitbegrunder der naturwissenschaftlichen Kriminalistik, herangezogen. Ihm gelang es, einen blutigen Fingerabdruck am Kragen des Opfers eindeutig Groß zuzuordnen. Stafforsts Fingerabdrucke fanden sich an Papieren und Mobeln im Geschaft. Aufgrund dieser Beweise verurteilte das Landgericht Frankfurt am Main die beiden am 18. Mai 1904 wegen Mordes zum Tode. Sie wurden am 12. November 1904 im Gefangnis in Frankfurt-Preungesheim mit dem Fallbeil enthauptet und sofort beigesetzt. Schon im September – also vor der Hinrichtung – hatten sich das Anatomische Institut der Universitat Marburg und die Dr. Senckenbergische Stiftung um die kunftigen Leichen gestritten; die Herausgabe der Leichen wurde aber staatlicherseits abgelehnt. Literarische Verarbeitung Nikola Hahn: Die Farbe von Kristall. 1. Auflage. von Schroder, Munchen 2002. ISBN 978-3-547-71003-8 Literatur Maria Kobold: Mordsache Lichtenstein. In: Hessisches Landesarchiv: Archiv Nachrichten aus Hessen 24/2 (2024), S. 18–22. (Digitalisat (PDF, 11,4 MB)) Weblinks Der Mord an Klavierhandler Lichtenstein. Frankfurt Story, FR-Blog zur Frankfurter Stadtgeschichte [Stark ausgeschmuckte Darstellung, die in Einzelheiten von der aktenbasierten Darstellung bei Kobold abweicht.] Anmerkungen Einzelnachweise
Der Mord an Hermann Lichtenstein war ein Raubmord, der am 26. Februar 1904 in Frankfurt am Main begangen wurde. Historisch bedeutend an der Aufklarung des Falles war, dass dabei erstmals in Deutschland ein Tater mit Hilfe der Daktyloskopie aufgrund seines Fingerabdrucks uberfuhrt wurde.
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Monitor National Marine Sanctuary ist eines von 17 Meeresschutzgebieten in den USA, die mit der Bezeichnung National Marine Sanctuary zusammengeschlossen sind. Das erste und alteste, 1975 geschaffene Areal besitzt im Zentrum ein Korallenriff, das auf dem Wrack des am 31. Dezember 1862 gesunkenen Panzerschiffs Monitor entstanden ist. Es gilt als eines der wichtigsten Zeugnisse des amerikanischen Burgerkriegs. Geschutzt ist der Meeresgrund im Umkreis von einer Seemeile rund um das Wrack einschließlich der daruberliegenden Wassersaule und der Wasseroberflache. Die Wassertiefe betragt dort durchschnittlich 70 Meter. Eine Vielzahl von Fisch- und Wirbellosenarten leben auf dem Wrack der USS Monitor und in seiner Umgebung als Habitat, darunter die Bernsteinmakrele, Schwarzer Sagebarsch, Austernfisch und Großer Barrakuda. Geschichte Die USS Monitor war der Prototyp einer fur seichte Seegewasser, Astuare und großere Flusse im Amerikanischen Burgerkrieg konzipierten Schiffsneuentwicklung, die durch starke Bewaffnung sowie Panzerung des Rumpfes und der Aufbauten sehr wehrhaft, aber langsam und von kleiner Bauart war. Es wurde als nicht seetuchtig klassifiziert. Mehrere Dutzend dieser Schiffe wurden bis Ende dieses funf Jahre andauernden Krieges gebaut oder auf Kiel gelegt. Der geringe Freibord wird heute als der Grund angesehen, warum das Schiff in schwerer See kenterte. Das Ungluck ereignete sich bei einem Schleppmanover sudostlich vor Cape Hatteras. Dabei verloren 16 der 62 Mann starken Besatzung ihr Leben. Erst uber einhundert Jahre spater, am 27. August 1973, wurde das Wrack wiederentdeckt. Daran beteiligt war ein interdisziplinares Team von Wissenschaftlern des Meereslabors der Duke University. Mit einer zweiten Expedition im Jahr darauf wurde die Identitat der USS Monitor bestatigt. Zum 113. Jahrestag des Stapellaufs des Schiffes am 30. Januar 1975 erklarte die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) das Wrack der USS Monitor zum ersten nationalen Meeresschutzgebiet der USA. 1986 wurde das Schutzgebiet zur National Historic Landmark – genauer: zu einem Teil des National Register of Historic Places – deklariert. Zwischen den ersten Tauchgangen in den 1970er Jahren bis zu den zuletzt 2016 durchgefuhrten wissenschaftlichen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass der Schiffsrumpf durch die dauernde Einwirkung des Salzwassers immer schneller zerfallt. 1998 wurde von der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) ein Plan entwickelt, zeitgeschichtlich bedeutsame Objekte aus dem Schiff zu bergen. Dazu gehorten der Propeller, der drehbare Geschutzturm, der Anker und die Dampfturbine. Die Uberreste der beiden im Geschutzturm eingeschlossenen Seeleute wurden ebenfalls geborgen und zur Identifizierung auf die Hickarm Air Force Base in Hawaii gebracht. Andere Gegenstande wie ein lederner Bucheinband, Glasflaschen, Kohlestucke und Walnusshalften wurden konserviert und werden heute im Mariners’ Museum in Newport News, Virginia, ausgestellt. Schutz Der Schutz dieser historischen Gedenkstatte unterliegt strengen Auflagen, die genau festgelegt sind und deren Einhaltung von der NOAA uberwacht wird. Dazu gehort der Umgang mit Schiffen rund um den Schutzort und insbesondere der Zugang zum Wrack, der ausschließlich wissenschaftlichen Zwecken vorbehalten ist und der die schriftliche Bewilligung der Behorden erfordert. Der Ort soll fur zukunftige Generationen erhalten und erlebbar bleiben, sowohl in kulturhistorischer als auch in biodiverser Hinsicht. Zu den Strategien gehort die zukunftige Offnung auch fur nicht-wissenschaftliche Zwecke. Drei wesentliche Ziele werden mit dieser Unterschutzstellung sichergestellt: Beobachtung und Erforschung des wichtigen Lebensraumtyps im Monitor National Marine Sanctuary (MNMS), Beobachtung und Erforschung biologischer Gemeinschaften, die auf und um die USS Monitor leben, Forderung der Biodiversitat in Verbindung mit naturlichen und kunstlichen Lebensraumen innerhalb des MNMS und Untersuchungen, wie sie sich aufgrund verschiedener Belastungen verandern konnten. Als Ergebnis werden regelmaßig Forschungsberichte herausgegeben, Karten der Lebensraume erstellt, Listen mit den vorkommenden Pflanzen- und Tierarten veroffentlicht und Kommunikations- und Aufklarungsmaterial erstellt, das sich auf die biologische Vielfalt von Schiffswracks konzentriert und sich an Interessengruppen und Mitglieder der Organisation richtet. Einzelnachweise
Monitor National Marine Sanctuary ist eines von 17 Meeresschutzgebieten in den USA, die mit der Bezeichnung National Marine Sanctuary zusammengeschlossen sind. Das erste und alteste, 1975 geschaffene Areal besitzt im Zentrum ein Korallenriff, das auf dem Wrack des am 31. Dezember 1862 gesunkenen Panzerschiffs Monitor entstanden ist. Es gilt als eines der wichtigsten Zeugnisse des amerikanischen Burgerkriegs. Geschutzt ist der Meeresgrund im Umkreis von einer Seemeile rund um das Wrack einschließlich der daruberliegenden Wassersaule und der Wasseroberflache. Die Wassertiefe betragt dort durchschnittlich 70 Meter. Eine Vielzahl von Fisch- und Wirbellosenarten leben auf dem Wrack der USS Monitor und in seiner Umgebung als Habitat, darunter die Bernsteinmakrele, Schwarzer Sagebarsch, Austernfisch und Großer Barrakuda.
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Die Hammerschmiede (auch Alte Hammerschmiede Muhlehorn) in Muhlehorn in der Gemeinde Glarus Nord ist eine der letzten ihrer Art in der Schweiz. Die Schmiede gilt als «bedeutende Zeugin aus der Fruhzeit industrieller Eisenbearbeitung» und gehort zu den altesten in Betrieb stehenden Hammerwerken Europas. Sie ist ein Kulturgut von nationaler Bedeutung im Kanton Glarus. Lage Das Gebaude im «Hammerschmiedeweg 7» liegt in Hanglage oberhalb des Orts am Meerenbach, dessen Abzweig uber das Muhlrad gefuhrt wird. Dieser sechseinhalb Kilometer lange Zufluss des Walensees lieferte ab 1800 Wasserkraft fur zahlreiche Muhlen, Sagen und Schmieden. Geschichte Die Schmiede wurde 1778 am Transportweg des Sarganser Eisens nach Zurich errichtet. Erbauer war Johann Peter Heussi. Hergestellt wurden Werkzeuge fur Handwerk sowie Bergbau, fur Land- und Forstwirtschaft. Daneben konnten Waffen geschliffen werden. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde zusatzlich eine Zigerreibe betrieben. Bis 1897 war die Mullerfamilie Heussi im Besitz der Schmiede. Walter Elmer und ab 1901 Fridolin Egger-Kamm fuhrten das Unternehmen bis 1953 weiter. Der Glarner Heimatschutz erwarb 1964 das Anwesen und liess es bis 1966 restaurieren. Nach Uberfuhrung in eine Stiftung wurde 1971 ein Schaubetrieb als Kunstschmiede neu belebt. Die Renovation gilt als «Pioniertat» des Heimatschutzes und wurde vom Kanton, dessen Gewerbe und der Schweizer Industriespende unterstutzt. Seit 1994 ist der Schmied und Kunstler Christian Zimmermann (* 1966 in Pliezhausen) in der Hammerschmiede tatig und hat dort uber 700 Seminare durchgefuhrt. Im Juni 2023 war die Schmiede Gastgeber der Hauptversammlung des Glarner Heimatschutzes. Im Jahr 1877 errichteten die Bruder Heussi weiter oben am Meerenbach eine grosse Walzmuhle, die bis 1895 zu einem sechsstockigen Bauwerk erweitert wurde. Diese brannte 1907 aus und wurde neun Monate spater wiedereroffnet. Die Muhle wurde 1973 stillgelegt und als Lager- und Silogeschaft weitergefuhrt. Ein Grossbrand zerstorte 1980 den Komplex bis auf die Grundmauern. Ein zweites Silo am Bahnhof wurde 2005 abgebrochen. Beschreibung Das zweigeschossige Gebaude hat ein Teilwalm-Sparrendach mit liegendem Stuhl. Im Obergeschoss ist ein Werkstattraum eingerichtet. Die Schmiede im Erdgeschoss ist mit einer Esse und drei Schwanzhammern ausgestattet, die von einem oberschlachtigen Wasserrad uber eine Nockenwelle angetrieben werden. Die drei unterschiedlichen Hammer fur Grob- und Feinarbeit haben ein Gewicht von 70 bis 200 Kilogramm und arbeiten mit 180 bis 240 Schlagen pro Minute. Die Wassermenge des vier Meter grossen Rades ist auf 0,1 m³/s begrenzt. Der grosse Schleifstein hangt in einem Anbau mit Pultdach. Die Dacher sind mit Biberschwanzziegeln eingedeckt. Die Fenster sind paarweise gekoppelt, geteilt und haben Laden. Der ehemalige Behalter fur die in der Esse benotigte Kohle wurde von einem modernen Wohnhaus uberbaut. Zu den Kunstwerken vor der Schmiede gehort die mehr als drei Meter hohe Skulptur Elektra. Eine Gedenktafel weist auf den Schmied Fridolin Egger und die Restaurierung hin. Talseitig wurde in den 1920er Jahren ein zweigeschossiges Wohnhaus mit Bruchsteinsockel und Fachwerk im Dachgeschoss errichtet. Siehe auch Liste der Kulturguter in Glarus Nord Literatur Andreas Bram: Alte Hammerschmiede, Hammerschmiedeweg 7. In: Glarus Nord (Die Kunstdenkmaler des Kantons Glarus, Band 2; Die Kunstdenkmaler der Schweiz, Band 133). Gesellschaft fur Schweizerische Kunstgeschichte GSK, Bern 2017, ISBN 978-3-03797-285-4. S. 423. Steffan Biffiger (Hrsg.): Kunstfuhrer durch die Schweiz Band 2. GSK, Bern 2005, ISBN 978-3-906131-96-2. S. 24. Weblinks Alte Hammerschmiede Muhlehorn. In der Muhlendatenbank milldatabase.org. Webprasenz der Hammerschmiede Belege und Anmerkungen
Die Hammerschmiede (auch Alte Hammerschmiede Muhlehorn) in Muhlehorn in der Gemeinde Glarus Nord ist eine der letzten ihrer Art in der Schweiz. Die Schmiede gilt als «bedeutende Zeugin aus der Fruhzeit industrieller Eisenbearbeitung» und gehort zu den altesten in Betrieb stehenden Hammerwerken Europas. Sie ist ein Kulturgut von nationaler Bedeutung im Kanton Glarus.
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Bai Choi (vietnamesisch bai ‚Gesang‘, choi ‚Hutte‘, ‚Aussichtsplattform‘) ist eine Kulturform in Zentralvietnam, die Gesang, Dichtkunst, Schauspielkunst, Malerei und Literatur verbindet. Die Kunstform zahlt seit 2017 zum Weltkulturerbe und wird im 21. Jahrhundert vor allem auf Fruhlingsfestivals zum Tet Nguyen Đan in der ersten Woche des neuen Mondjahres praktiziert. Ursprunge und Verbreitung Vorformen des Bai Choi wurden offenbar im landlichen Vietnam zum spielerischen Zeitvertreib entwickelt. Um Wildtiere von der Verwustung von Anbauflachen abzuhalten, wurden an den Grenzen der Felder Bambushutten aufgestellt, von denen aus Wachleute aus der jeweiligen Siedlung die Tiere mit Trommeln und Geschrei vertreiben konnten. Um den Wachdienst kurzweiliger zu gestalten, erfanden die Vietnamesen Spiele, Gesange und weitere Interaktionsmoglichkeiten von Turm zu Turm. Bai Choi entstammt der Provinz Binh Dinh und verbreitete sich von dort aus durch das zentrale Vietnam, wo die Kulturform zu Beginn des 21. Jahrhunderts in elf Provinzen heimisch ist (von Nord nach Sud: Quang Binh, Quang Tri, Thua Thien Hue, Đa Nang, Quang Nam, Quang Ngai, Binh Dinh, Phu Yen, Khanh Hoa, Ninh Thuan und Binh Thuan). Die Hochsaison von Bai Choi ist im Fruhling, in der ersten Woche des Mondjahres; an manchen Orten aber auch erst in der zweiten Woche nach dem Tet-Fest. In dieser Zeit finden in vielen auch kleineren Dorfern in Zentralvietnam Bai-Choi-Spiele statt. In großeren Stadten mit Kulturzentren ist es, gerade um Touristen anzuziehen, auch moglich, jedes Wochenende Bai Choi zu spielen. Bai Choi wird in allen Gesellschaftsschichten gespielt. Formen Bai Choi kennt zahlreiche Varianten, lasst sich aber in zwei Formen einteilen: Das Bai-Choi-Spiel und die Bai-Choi-Schau bzw. -Spektakel. In einem Innenhof, oder bei großen Veranstaltungen auch auf einer Freiflache, werden zehn Bambushutten errichtet, die jeweils vier oder funf Spieler aufnehmen konnen. Bei weniger Platz konnen auch nur acht Hutten aufgebaut werden, in anderen Versionen wird sogar mit elf Hutten gespielt. Die Hutten werden typischerweise in zwei sich gegenuberliegenden Reihen aufgebaut, sodass eine Schau von einem Ende des entstehenden Freiraums geleitet werden kann. In weniger traditionellem Rahmen wird auf das Bauen von Hutten verzichtet. = Spiel-Form = Bei der Spiel-Form werden, ublicherweise tagsuber, in den Hutten Kartenspiele gespielt, beispielsweise ein Romme-ahnliches Kartenspiel. Zum Einsatz kommen vorzugsweise selbst gestaltete dreifarbige Kartendecks mit 32 oder 33 Karten (diese Karten sind im Vergleich zu europaischen Spielkarten langlicher und haben die Form von Bambusplattchen oder -staben). Dieselben dreifarbigen Kartendecks finden auch bei der Schau-Form Verwendung; sie werden bei manchen Veranstaltungen am selben Tag erst vorbereitet. = Schau-Form = Bei der eher abends geubten Schau-Form versammeln sich Zuschauer zwischen den Hutten. Freiwilligen aus der Menge, die mitspielen wollen, werden jeweils drei Bambusstabe bzw. Spielkarten ausgehandigt, auf denen Menschen-, Tier- und Objektfiguren aufgemalt oder eingepragt sind. Sie nehmen dann in den Hutten Platz – es konnen so viele Mitspielende teilnehmen, wie Hutten aufgestellt sind. Bei weniger als elf Hutten werden Spielstabe ungenutzt beiseitegelegt. Zwei Hieu („Sprecher“) leiten das Spiel, ausgestattet mit zeremoniellen Gewandern oder Turbanen. Sie tragen mit Gesang oder Schauspiel einen improvisierten Text vor, wahrend sie ihrerseits die korrespondierenden Stabe aus dem Hieu-Bambusrohr ziehen und die gezogenen Worter in ihre Verse einbauen. Die Mitspielenden mussen mit einer Holzglocke klappern, wenn eine ihrer Figuren erwahnt worden ist, vergleichbar einem westlichen Bingo-Spiel. Fur jede korrekte Meldung erhalten die Mitspielenden vom zweiten Hieu oder den Spielgehilfen eine gelbe Flagge. Mit drei Meldungen/Flaggen wird eine Runde gewonnen; Runden konnen so zwischen funf und zehn Minuten dauern. Auch fur die nicht-spielenden Zuschauer ist diese spielerische Gesangs- und Theater-Darbietung interessant. Manche Hieu integrieren auch Tanz in ihre Darbietung. Der materielle Gewinn einer Runde ist meist ein landestypisches Souvenir, in Hoi An beispielsweise eine Laterne aus Bambus und Seide. In anderen Varianten berechtigt der Gewinn einer Runde zur Teilnahme an einer Lotterie. Die musikalische Untermalung der Schau ubernehmen Bands, traditionell mit Trommeln und Hornern. Weltkulturerbe Im Zeitraum 2014 bis 2016 wurde Bai Choi durch das vietnamesische Ministerium fur Kultur, Sport und Tourismus als immaterielles Kulturerbe von Vietnam anerkannt. Die generationenubergreifende Weitergabe der Kunstform erfolgt vor allem auf mundlichem Weg, aber mittlerweile haben sich auch Clubs, Schulen und Vereinigungen als Kulturtrager etabliert, so dass es etwa 90 professionelle Bai-Choi-Gruppen in Vietnam gibt, und auch offentlich bekannte Hieus. Die Kunstform wurde 2017 auf die Reprasentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit eingetragen. Einzelnachweise
Bai Choi (vietnamesisch bai ‚Gesang‘, choi ‚Hutte‘, ‚Aussichtsplattform‘) ist eine Kulturform in Zentralvietnam, die Gesang, Dichtkunst, Schauspielkunst, Malerei und Literatur verbindet. Die Kunstform zahlt seit 2017 zum Weltkulturerbe und wird im 21. Jahrhundert vor allem auf Fruhlingsfestivals zum Tet Nguyen Đan in der ersten Woche des neuen Mondjahres praktiziert.
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Emilie „Lily“ Caroline Henriette Eversdijk Smulders (* 20. Juni 1903 in Sidoarjo, Niederlandisch-Ostindien; † 1. Marz 1994 in Amsterdam) war eine niederlandische Juristin, Malerin, Zeichnerin, Schriftstellerin und Weltreisende. Leben Lily Eversdijk Smulders wurde 1903 als Tochter des Verwaltungsbeamten Thomas Antonie Eversdijk Smulders (1860–1913) und der Lehrerin Mary Madeleine Beckers (1868–1947) geboren. Mit ihrer jungeren Schwester Judy wuchs sie auf der Insel Java in Niederlandisch-Ostindien auf. Als sie drei Jahre alt war, zog die wohlhabende Familie 1906 in die Niederlande und ließ sich in Nimwegen nieder, wo Lily die „Nutsschool“ (eine Form der Grundschule) besuchte. Als der Vater 1913 starb, ging es der Familie finanziell schlechter und sie musste in ein kleineres Haus umziehen. Lily Eversdijk Smulders schloss ihre Schulausbildung am Stedelijk Gymnasium Nijmegen ab. Sie ging 1921 zum Studium der Rechtswissenschaften an die Universitat Leiden, nachdem ihre Mutter ihr den Besuch einer Kunstschule untersagt hatte, obwohl sie ein großes Interesse am Zeichnen und Malen zeigte. Nach dem Jurastudium, das sie im Juni 1925 mit einem Doktortitel in Rechtswissenschaften abschloss, reiste Lily Eversdijk Smulders nach Niederlandisch-Ostindien, um ihr Geburtsland richtig kennenzulernen. Sie arbeitete zunachst kurze Zeit im Finanzministerium in Batavia (das heutige Jakarta) und wurde dann die erste weibliche Gerichtsschreiberin fur Strafangelegenheiten beim „Raad van Justitie“ (Rechtbank) in Medan auf Sumatra. Schon bald galt sie als kompetente Autorin juristischer Dokumente und Berichte, aber mit ihrer Heirat im November 1931 in Singapur endete ihre Laufbahn bei Gericht. Ihr Ehemann Rob Traill, Angestellter bei der Bataafse Petroleum Maatschappij, verbot ihr auch das Zeichnen. Die Ehe wurde 1936 geschieden. Ab 1936 widmete sich Lily Eversdijk Smulders ganz dem Zeichnen und Reisen. Sie machte eine Lehre bei dem niederlandischen Maler Carel Dake auf Bali und zeichnete mit schwarzer Kreide Portrats der einheimischen Menschen. Angetrieben von dem Wunsch, fremde Lander und Kulturen kennenzulernen, begann sie im Fruhjahr 1937 eine lebenslange weltweite Reisetatigkeit, ausgerustet mit Bleistift, Kreide und Zeichenpapier. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs bereiste sie Japan, Korea, China, Hongkong und Indochina. 1938 hatte sie ihre erste Ausstellung im Institute of Fine Arts in Peking. Die Atmosphare war aufgrund der politischen Entwicklungen angespannt und sie wurde in Japan mehrfach verhaftet, weil die Behorden sie fur eine Spionin hielten. Anfang 1940 kehrte Lily Eversdijk Smulders in die Niederlande zuruck. Wahrend des Kriegs nahm sie Unterricht beim Den Haager Maler Jan Franken (1896–1977), bei dem sie den Umgang mit Olfarbe lernte, und bei Marie van Regteren Altena in Amsterdam. 1944 zog sie nach Amsterdam, wo sie sich aktiv im Widerstand engagierte, Ausweise falschte und Untergetauchte aufnahm. In dieser Zeit wurde sie mehrfach von der Gestapo verhort. Nach dem Krieg besuchte Lily Eversdijk Smulders zwischen 1948 und 1953 Marokko, die Sahara, reiste dem Nilverlauf folgend von Agypten bis zum Sudan und bereiste zwei Jahre lang den Libanon, Syrien, Jordanien, Israel und den Irak. Von 1954 bis 1962 reiste sie insgesamt sieben Mal nach Indien, das sie sehr beeindruckte, und besuchte im Marz 1959 das benachbarte Nepal. Mit zunehmendem Alter wurden ihre Reisen kurzer, fuhrten sie aber noch durch Ostafrika, Peru, Athiopien und Nordkanada. Erst mit der fortschreitenden Verschlechterung ihres Sehvermogens ab 1977 hielt sie sich zunehmend in ihrem Zuhause in der Amsterdamer Vondelstraat 86 auf. Lily Eversdijk Smulders wurde fur ihre Widerstandstatigkeit wahrend des Zweiten Weltkriegs mit dem „Verzetsherdenkingskruis“ (Widerstandsgedenkkreuz) ausgezeichnet. In der Zeit ihres Indienaufenthaltes von 1954 bis 1962 war sie im benachbarten Nepal mit Tibetern in Kontakt gekommen, die vor der chinesischen Unterdruckung in ihrem Land geflohen waren. 1980 grundete sie in den Niederlanden eine Stiftung zur Unterstutzung tibetischer Fluchtlinge in Nordindien. Lily Eversdijk Smulders starb 1994 in ihrem Zuhause. Werk Lily Eversdijk Smulders schuf im Laufe ihrer jahrzehntelangen Reisetatigkeit ein umfangreiches Werk, das mit mehr als tausend anthropologischen Portrats, Olgemalden, Skizzen, Lithografien, Fotografien und sechs Buchern ein historisches Dokument des Lebens an Orten auf der ganzen Welt im 20. Jahrhundert bildet. Wahrend ihrer Reisen tauchte Lily Eversdijk Smulders in die lokale Kultur und Geschichte ein, notierte ihre Eindrucke in Tagebuchern und fertigte Portrats der Bevolkerung an. Zu ihrem Werk zahlen Portrats der nach Nepal gefluchteten Tibeter aus dem Jahr 1959. Ein wichtiges Anliegen war ihr die Wissensvermittlung an die Daheimgebliebenen zu einer Zeit, bevor das Reisen einem breiten Publikum zuganglich wurde. Dazu schrieb sie zwischen den Reisen Artikel fur Zeitungen, hielt Dia-Vortrage und war ofters in der „Radio Volksuniversiteit“ in den Niederlanden zu horen. Daneben gab sie in ihrem Haus in Amsterdam Malunterricht. Ab 1958 veroffentlichte sie umfangreiche Reiseberichte, die mehrfach nachgedruckt wurden. 1980 erschien ihr Buch Anderen zijn anders, in dem sich ihre Reiseberichte mit ihren Vorkriegserinnerungen abwechseln. Zeichnungen von Lily Eversdijk Smulders befinden sich in der Sammlung des Rijksmuseum Amsterdam. Die Sammlung des British Museum enthalt 61 ihrer Zeichnungen. Ihr kunstlerischer Nachlass ist in der 1991 gegrundeten „Lily Eversdijk Smulders Stichting“ untergebracht. Ausstellungen (Auswahl) 2003: Bali, portrettekeningen. Museon, Den Haag 1990: Retrospektive. Museon, Den Haag 1948: Amsterdamse schilders van nu. Stedelijk Museum, Amsterdam 1938: Peking Institute of Fine Arts Veroffentlichungen (Auswahl) Waar het Oosten begint. Boekman & De Meris, Amsterdam 1958. Een Jaar bij de Yogi’s van India en Tibet. N. Kluwer, Deventer 1960. Wonderlijk Tibet. N. Kluwer, Deventer 1966. Het Mysterieuze Midden Oosten. N. Kluwer, Deventer 1970. Anderen zijn anders. Ons Huis, 1976. Reizen in vergeten werelden. Katwijk 1985. Literatur Utah Romer: Eversdijk Smulders, Emilie Caroline Henriette. In: Allgemeines Kunstlerlexikon. Die Bildenden Kunstler aller Zeiten und Volker (AKL). Band 35, Saur, Munchen u. a. 2002, ISBN 3-598-22775-2, S. 442. Weblinks Lily Eversdijk Smulders. Biografische Daten und Werke im Niederlandischen Institut fur Kunstgeschichte (niederlandisch) Ella Andriesse: Smulders, Emilie Caroline Henriette Eversdijk (1903-1994). In: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland. Huygens-Institut fur die Geschichte der Niederlande (Hrsg.) Lily Eversdijk. In: Biografisch portaal van Nederland (Digitalisat) Emilie Caroline Henriette Eversdijk Smulders. In: Pieter A. Scheen: Lexicon Nederlandse Beeldende Kunstenaars 1750–1950. Biografie (Digitalisat) Website Stichting Lily Einzelnachweise
Emilie „Lily“ Caroline Henriette Eversdijk Smulders (* 20. Juni 1903 in Sidoarjo, Niederlandisch-Ostindien; † 1. Marz 1994 in Amsterdam) war eine niederlandische Juristin, Malerin, Zeichnerin, Schriftstellerin und Weltreisende.
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Das Mark Twain Boyhood Home & Museum ist ein aus mehreren Gebauden gebildetes Museum in Hannibal, Missouri in den Vereinigten Staaten. Zentraler Bestandteil ist das Mark Twain Boyhood Home, ein Wohnhaus, in dem der amerikanische Schriftsteller Mark Twain (eigentlich Samuel Langhorne Clemens, 1835–1910) seine Jugend verbracht hat. Trager des Museums ist die 1974 gegrundete gemeinnutzige Mark Twain Home Foundation. Lage Das Museum liegt im Osten der Stadt Hannibal im Marion County am Westufer des Mississippi River und umfasst acht verstreut liegende Einzelgebaude sowie ein Freigelande mit einem Denkmal. Vier der Gebaude und der Parkplatz fur das Museum liegen in einem Straßenblock zwischen Hill Street, North Main Street, North Street und North 3rd Street, drei weitere auf der gegenuberliegenden Straßenseite der Hill Street. Die Tom & Huck Statue steht auf der dem Hauptareal gegenuberliegenden Straßenseite der North Street am Fuß des Cardiff Hill. Lediglich das Mark Twain Museum & Gallery liegt etwa 300 Meter sudostlich des Hauptareals an der Kreuzung der North Main Street mit der Center Street. Geschichte Das Mark Twain Boyhood Home wurde 1843 oder 1844 errichtet. Samuel Clemens alias Mark Twain wohnte dort von 1844 bis 1853, also von seinem 9. bis zum 18. Lebensjahr. Das Elternhaus und seine Umgebung inspirierten Twain zu zahlreichen Details in seinen spateren Geschichten, vor allem in Die Abenteuer des Tom Sawyer und Die Abenteuer des Huckleberry Finn. Als Beispiel sei der weiße Lattenzaun um den Garten angefuhrt, den Tom Sawyer zur Strafe streichen musste, wobei er mit List Jungen aus dem Ort dazu brachte, das an seiner Stelle zu tun und ihn auch noch dafur zu bezahlen, dass sie das tun durften. Auch Figuren seiner Romane sind realen Figuren nachgebildet: Tom Sawyer ist eine Mischung dreier Jungen, darunter Twain selber, Huckleberry Finn ahnelt Twains Nachbarsjungen Tom Blankenship, Tom Sawyers Jugendliebe Becky Thatcher ist Twains Nachbarmadchen Laura Hawkins nachempfunden, Tante Polly entspricht Twains Mutter und der Friedensrichter seinem Vater. Das ursprunglich eingeschossige Haus wurde 1851 um ein zweites Stockwerk erganzt. Nach dem Auszug der Familie Clement wurde es als Mietshaus genutzt und sollte 1911 abgerissen werden. George Mahan, ein Anwalt, der sich um die Bewahrung des Andenkens an den 1910 verstorbenen Mark Twain bemuhte, kaufte das Haus, renovierte es und schenkte es 1912 der Stadt Hannibal. Zunachst bewohnte ein Hausmeister die meisten Zimmer und prasentierte das Wohnzimmer der Offentlichkeit. Somit diente das Haus zumindest teilweise bereits seit 1912 als historisches Museum. Anlasslich des Erfolgs einer Ausstellung zum 100. Geburtstag Twains 1935 wurde neben dem Boyhood Home ein eigener Museumsbau errichtet und 1937 fertiggestellt. Der Hausmeister zog in das Obergeschoss dieses Baus um, und danach wurden auch die ubrigen Raume des Boyhood Home der Offentlichkeit zuganglich gemacht. 1990 bis 1991 wurde das Boyhood Home vollstandig restauriert, wobei auch zwei um 1885 entfernte Raume auf der Ruckseite des Hauses wiederaufgebaut wurden. Im Laufe der Jahre kamen weitere Gebaude hinzu. 1955 wurden der Stadt das Friedensrichteramt und das Pilaster-Haus mit Grants Apotheke ubereignet. 1983 erwarb die Stadt ein ehemaliges Pizza-Restaurant und baute es zu einem Interpretive center um. 1989 verpachtete die Stadt das Friedensrichteramt, das Pilaster-Haus, das Interpretive center und ein Gelande mit einer Tom-und-Huck-Statue an die 1974 gegrundete Mark Twain Home Foundation. Diese erwarb 1995 ein ehemaliges Kaufhaus mit etwa 1675 Quadratmetern Nutzflache an der Main Street und richtete darin ein Museum mit Galerie ein. 2001 erwarb die Stiftung das Becky-Thatcher-Haus, und 2007 ließ sie das Huckleberry-Finn-Haus an seinem ursprunglichen Standort unter Verwendung historischer Materialien rekonstruieren. Anschließend ließ sie die historischen Bauten restaurieren. 2013 wurde die Restaurierung des Becky-Thatcher-Hauses abgeschlossen, 2016 die des Friedensrichteramts und 2019 die des Pilaster-Hauses. Der Abschnitt der Hill Street, an dem das Boyhood Home, das Becky-Thatcher-Haus, das Friedensrichteramt und das Pilaster-Haus liegen, wurde um 1970 gepflastert zur Fußgangerzone umgestaltet. Auf dieser Freiflache finden auch immer wieder Open-Air-Veranstaltungen statt. Gebaude Das Mark Twain Boyhood Home (Lage), Mark Twains Elternhaus an der Hill Street (No. 206), ist ein zweigeschossiges weißes Holzhaus. An einen traufstandig an der Straße liegenden dreiachsigen Bau mit Satteldach schließt sich nach hinten ein ebenfalls zweigeschossiger Anbau an. Rechts neben dem Haus liegt ein Garten, der von einem weißen Lattenzaun umgeben ist. Die Innenraume des Hauses veranschaulichen mit ihrer historischen Einrichtung, den Exponaten und Informationstafeln das Leben in Hannibal zur Jugendzeit Mark Twains. Links von Twains Elternhaus steht der ursprungliche Museumsbau (Lage), ein zweigeschossiges Steinhaus mit Satteldach, giebelstandig an der Hill Street. Er dient nicht mehr als Museum, sondern unter der Bezeichnung Boyhood Home Gift Shop als Museumsladen. Im Inneren des Straßengevierts liegt das Interpretive center (Lage) mit dem Besucherzentrum des Museums. Ein Raum fuhrt anhand einer Zeitleiste durch die 74 Lebensjahre Mark Twains, einschließlich seiner Jugendzeit in Hannibal. Ein weiterer Raum dokumentiert Twains Bucher und die realen Menschen, die die Entwicklung der Bucher beeinflusst haben. An der Nordseite des Straßengevierts liegt das 1911 abgerissene und 2007 anhand alter Photographien rekonstruierte Huckleberry-Finn-Haus (Huckleberry Finn House, Lage) traufstandig an der North Street. Es ist ein eingeschossiges Holzhaus mit Satteldach. Hier wohnte Tom Blankenship, das Vorbild fur Twains Romanfigur Huckleberry Finn. Gegenuber dem Boyhood Home liegt das Becky-Thatcher-Haus (Becky Thatcher House, Lage) traufstandig an der Hill Street. Es ist ein zweigeschossiges Holzhaus mit Satteldach, Zwerchgiebel und einer uberdachten Veranda vor einem Teil der Straßenfassade. Hier wohnte die Familie Hawkins, deren Tochter Laura als Vorbild fur Tom Sawyers Jugendliebe Becky Thatcher diente. Ostlich des Becky-Thatcher-Hauses liegt das Friedensrichteramt (Judge Clemens Justice of the Peace Office, Lage) giebelstandig an der Hill Street. Es ist ein zweigeschossiges Holzhaus mit Satteldach und gestuftem Giebel. Es war der Amtssitz von Twains Vater John Marshall Clemens, der von 1844 bis 1847 Friedensrichter von Hannibal war. Ursprunglich lag das Haus an der Bird Street. Nach seiner Ubereignung an die Stadt Hannibal 1955 wurde es an seinen jetzigen Standort transloziert. Ostlich des Friedensrichteramts liegt das Pilaster-Haus mit Grants Apotheke (Grant’s Drugstore, Lage) traufstandig an der Hill Street. Die Giebelfassade mit dem Apothekeneingang liegt an der North Main Street. Es ist ein zweigeschossiges Holzhaus mit Satteldach. Den Namen „Pilaster-Haus“ verdankt es den sich uber beide Geschosse erstreckenden Pilastern, die seinen Seitenwanden vorgesetzt sind. Hier wohnten der Apotheker Orville Grant, der die Apotheke betrieb, und seine Frau. Zeitweise wohnte in dem Haus ab 1846 auch die Familie Clemens, und Twains Vater ist hier gestorben. Abseits des Hauptareals des Museums liegt das Mark Twain Museum & Gallery (Lage). Wahrend die anderen Gebaude vorwiegend historische Raume zeigen oder bestimmte Themen aus dem Hannibal zur Zeit Twains dokumentieren, dient dieses Gebaude als Museum und Galerie und prasentiert die verschiedenen Sammlungen des Mark Twain Boyhood Home & Museum. Im Erdgeschoss werden vorwiegend die interaktiven Exponate gezeigt, im Zwischengeschoss Exponate aus dem Bereich Dampfschifffahrt und im Obergeschoss Exponate aus Twains Leben und Buchern, darunter auch die Gemaldesammlung Rockwells. Zu dem Museum gehort auch die Grunanlage mit der Tom-und-Huck-Statue (Lage), einer auf einem steinernen Sockel stehende Doppelstatue aus Bronze, die Twains Romanhelden Tom Sawyer und Huckleberry Finn darstellt. Sie wurde von dem Bildhauer Frederick Hibbard geschaffen und 1926 eingeweiht. Damit ist sie eine der fruhesten bekannten Statuen, die zu Ehren fiktiver Figuren errichtet wurden. Sammlungen Die Sammlungen des Museums umfassen viele Erstausgaben von Mark Twain, zahlreiche personliche Gegenstande (darunter seine Oxford-Robe), seine einzige erhaltene weiße Anzugjacke und eine Vielzahl von Twain-Memorabilien, darunter die Totenmaske seines kleinen Sohnes Langdon und ein Schmuckkastchen, das Twain in Italien nach seinen Vorgaben als Geschenk fur seine Frau Olivia hatte schnitzen lassen. Es gibt viele interaktive Exponate, darunter eine nachgebaute Postkutsche und ein auf Federn gelagertes Floß. Diese dienen dazu, Details aus Buchern von Twain zu veranschaulichen, unter anderem aus Die Abenteuer des Tom Sawyer, Die Abenteuer des Huckleberry Finn, Die Arglosen im Ausland, Durch Dick und Dunn und Ein Yankee am Hofe des Konigs Artus. Die Besucher konnen auch die Pfeife eines echten Dampfschiffs erklingen lassen, wahrend sie auf den Mississippi blicken. Das Museum beherbergt zudem eine Sammlung von 15 Originalgemalden Norman Rockwells. Diese Gemalde wurden 1935 als Illustrationen fur Sonderausgaben von Die Abenteuer des Tom Sawyer und Die Abenteuer des Huckleberry Finn in Auftrag gegeben. Das Museum zeigt ferner regionale Kunst- und Wanderausstellungen. Veranstaltungen Das Museum sponsert das ganze Jahr uber zahlreiche Veranstaltungen, auch fur Kinder. Zu den Bildungsprogrammen gehoren Lehrerworkshops, Workshops fur junge Autoren, Schriftstellerworkshops, wissenschaftliche Konferenzen und ein Preis fur kreatives Unterrichten. Am 15. Mai 2012 kundigte ein Sprecher des Museums anlasslich des 100-jahrigen Bestehens des Museums die Einrichtung des „Mark Twain Lifetime Achievement Award“ an, wobei der Schauspieler Hal Holbrook, der Mark Twain in seiner Ein-Mann-Show Mark Twain Tonight! von 1954 bis 2017 uber 2000 Mal dargestellt hatte, zum ersten Preistrager ernannt wurde. Im Jahr 2011 veroffentlichte das Museum die Doppel-CD Mark Twain: Words & Music, die Twains Leben in Wort und Gesang erzahlt. Das Projekt wurde vom Grammy-Preistrager Carl Jackson produziert und bei Mailboat Records veroffentlicht. Beteiligt sind unter anderen Garrison Keillor als Erzahler, Clint Eastwood als Mark Twain, Jimmy Buffett als Huckleberry Finn und Angela Lovell als Susy Clemens. Cindy Lovell, die damalige Direktorin des Museums, schrieb den Text, und mehrere neue Songs wurden fur das Projekt geschrieben. Die Stadt Hannibal feiert jedes Jahr am 4. Juli die Nationalen Tom-Sawyer-Tage, unter anderem mit Wettbewerben im Zaunstreichen und Froschspringen. Das Boyhood Home ist ein zentraler Punkt bei diesen Veranstaltungen. Von Juni bis August finden an jedem Donnerstagabend in Rahmen der Konzertreihe Music Under the Stars Freiluftkonzerte in der Fußgangerzone vor dem Boyhood Home statt. Dargeboten werden Musikgenres wie Swing, Country, Rock, Soul, Blues, Jazz, Bluegrass, Southern Rock, Americana und Big Band. Bei schlechtem Wetter finden die Konzerte im Admiral Coontz Recreation Center statt. Denkmalschutz Am 29. Dezember 1962 wurde das Mark Twain Boyhood Home zur National Historic Landmark deklariert. Am 15. Oktober 1966 wurde es mit der Nummer 66000419 in das National Register of Historic Places aufgenommen. Am 4. Januar 1978 wurde es zur Contributing Property des Mark Twain Historic District (No. 78003398) erklart. Weblinks marktwainmuseum.org (englisch) Mark Twain Boyhood Home. In: NPGallery - Digital Asset Management System. National Park Service, 15. Oktober 1966; abgerufen am 10. Dezember 2024 (amerikanisches Englisch). Twain, Mark, Boyhood Home. In: National Historic Landmark summary listing. National Park Service, archiviert vom Original (nicht mehr online verfugbar) am 1. Marz 2009; abgerufen am 12. Dezember 2024 (amerikanisches Englisch). Mark Twain House, 206 Hill Street between North Main & First Streets, Hannibal, Marion County, MO. In: Photos from Survey HABS MO-1526. Library of Congress; abgerufen am 10. Dezember 2024 (amerikanisches Englisch, historische Photos des Mark Twain Boyhood Home). Asset 66000419. In: NPGallery - Digital Asset Management System. National Park Service; abgerufen am 11. Dezember 2024 (amerikanisches Englisch, historische Photos der Hauser an der Hill Street). Einzelnachweise
Das Mark Twain Boyhood Home & Museum ist ein aus mehreren Gebauden gebildetes Museum in Hannibal, Missouri in den Vereinigten Staaten. Zentraler Bestandteil ist das Mark Twain Boyhood Home, ein Wohnhaus, in dem der amerikanische Schriftsteller Mark Twain (eigentlich Samuel Langhorne Clemens, 1835–1910) seine Jugend verbracht hat. Trager des Museums ist die 1974 gegrundete gemeinnutzige Mark Twain Home Foundation.
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blues in schwarz weiss ist der erste Gedichtband von May Ayim. Er erschien 1995 im Orlanda Frauenverlag. Das Buch enthalt acht Gedichtzyklen und ist mit Adinkra-Symbolen aus Ghana illustriert. Das Buch wurde ins Englische und Franzosische ubersetzt. 2021 wurde der Band zusammen mit dem zweiten Gedichtband nacht gesang im Unrast Verlag unter dem Titel blues in schwarz weiss & nachtgesang neu veroffentlicht. In den 2020er Jahren wurden die Texte fur die Buhne adaptiert. Aufbau und Inhalt May Ayims lyrischen Texten sind die Widmung „fur Yoliswa“ und ein Grußwort von Maryse Conde vorangestellt. Am Ende des Bandes findet man eine Erklarung zu den Adinkra-Symbolen sowie ein Glossar und ein Nachwort der Autorin. Das erste Gedicht tragt den Titel vorwort, das letzte den Titel nachwort. Beide sind nicht Teil der Gedichtzyklen, die den Hauptteil des Buches darstellen. Insgesamt sind in dem Band 57 Gedichte versammelt, die sich inhaltlich haufig mit der Identitat der Autorin als Afrodeutsche sowie mit Themen wie Einsamkeit und Zugehorigkeit, Ausgrenzung und Rassismus beschaftigen. Es gibt zwei Gedichte, die ausdrucklich die Titel afro-deutsch I und afro-deutsch II tragen. Andere Texte widmen sich aktuellen Themen des Zeitgeschehens, wie der Wiedervereinigung Deutschlands, dem Bosnienkrieg oder HIV. In nahezu allen Texten geht es um Beziehungen: Familienbeziehungen, Freundschaften und Liebesbeziehungen. Die acht Zyklen des Bandes tragen die Titel am anfang war das wort, zeitenwechsel, die zeit danach, aus dem rahmen, blues in schwarz weiss, beruhrung, himmlisch und nachtrag und sind formal durch Seiten ohne Text, nur mit jeweils einem Adinkra-Symbol unterteilt. May Ayim verwendet in dem Gedichtband durchgehend Kleinschreibung und verzichtet auf Interpunktion. Rezeption und Interpretation Der Gedichtband blues in schwarz weiss gilt als Standardwerk der Lyrik Schwarzer Menschen in Deutschland. Er kann als „beißende Kritik an der deutschen Mehrheitsgesellschaft der Siebziger- bis Neunzigerjahre“ gelesen werden. Die Verwendung der Adinkra Symbole in blues in schwarz weiss kann ebenso wie die Rhythmisierung der Texte mit Einwurfen und Wiederholungen als eine Anlehnung an afrikanische Erzahltraditionen gesehen werden. May Ayim gestaltet in den Texten einen Raum, in dem es moglich wird, Marginalisierung und Diskriminierung als allgemeingultige Probleme zu diskutieren. In der Tradition des Blues erschafft sie ein „Wir“, das als handelndes Subjekt Losungen herbeifuhren kann. Adaptionen 2023 wurde blues in schwarz weiss vom Munchner Residenztheater in einer Adaption von Miriam Ibrahim auf der Buhne im Marstall uraufgefuhrt. Die Texte wurden von Isabell Antonia Hockel und Patrick Bimazubute performt. Der Munchner Merkur lobte das Stuck als „beeindruckende Inszenierung und eine starke letzte Premiere in dieser Saison des Bayerischen Staatsschauspiels“. Eine weitere Buhnenfassung schuf Lamin Leroy Gibba fur das Gorki Theater in Berlin als Teil der Reihe Fremde Poesie?. Die Premiere war am 29. November 2024. Benita Bailey und Ruby Commey trugen die Texte vor. Die nachtkritik urteilte, die Auffuhrung habe „große Lust auf dieses dichterische Werk, das so tief in der Geschichte dieses Landes und seiner Misere wurzelt“, gemacht. Einzelnachweise
blues in schwarz weiss ist der erste Gedichtband von May Ayim. Er erschien 1995 im Orlanda Frauenverlag. Das Buch enthalt acht Gedichtzyklen und ist mit Adinkra-Symbolen aus Ghana illustriert. Das Buch wurde ins Englische und Franzosische ubersetzt. 2021 wurde der Band zusammen mit dem zweiten Gedichtband nacht gesang im Unrast Verlag unter dem Titel blues in schwarz weiss & nachtgesang neu veroffentlicht. In den 2020er Jahren wurden die Texte fur die Buhne adaptiert.
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101 Vrouwen en de oorlog (dt.: 101 Frauen und der Krieg) ist der Titel eines Buches der Historikerin und Schriftstellerin Els Kloek mit 101 Biografien von Frauen, die im Zweiten Weltkrieg im Kontext der niederlandischen Geschichte eine Rolle spielten. Hintergrund Das Buch wurde von Els Kloek als Fortsetzung des 2013 veroffentlichten Nachschlagewerks 1001 vrouwen uit de Nederlandse geschiedenis (1001 Frauen aus der niederlandischen Geschichte) zusammengestellt und von Irma Boom gestaltet. Es erschien 2016 in einer limitierten Auflage beim Verlag Vantilt anlasslich des Ruhestandsantritts von Marjan Schwegman, Professorin und damalige Direktorin des NIOD Instituut voor Oorlogs-, Holocaust- en Genocidestudies. Von Els Kloek stammen die Beitrage zu Annetje Fels-Kupferschmidt, Ru Pare, Ellen van der Ploeg, Sophie Elisabeth Saueressig und Theodora Versteegh. Im Jahr 2018 wurde 1001 vrouwen in de 20ste eeuw (1001 Frauen im 20. Jahrhundert) veroffentlicht, das Biografien aus 101 Vrouwen en de oorlog enthalt. Von Oktober 2018 bis Marz 2019 wurde eine durch Els Kloek kuratierte begleitende Ausstellung im Amsterdam Museum gezeigt. Darin wurde das Leben von etwa 200 der im Buch dargestellten Frauen anhand von Originalgegenstanden, Besitztumern und Schriften nachgezeichnet. Alle Biografien aus dem Buch sind auch verfugbar im Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland, einem Online-Nachschlagewerk mit Biografien niederlandischer Frauen des Huygens-Instituts fur die Geschichte der Niederlande. Inhalt Das Buch besteht aus Biografien von 101 Frauen mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlichem religiosen Glauben, deren Lebensgeschichten mit dem Krieg verknupft sind. Der Band enthalt einige Biografien von Lagerwarterinnen in den Konzentrationslagern, Mitgliedern der Nationaal-Socialistische Beweging (NSB), Kollaborateurinnen, niederlandischen Nationalsozialistinnen, Antisemitinnen und rechtsextremen niederlandischen Aktivistinnen. Außerdem sammelt er einige Biografien von Frauen im damaligen Niederlandisch-Ostindien, darunter Gefangene und die „Trostfrauen“ genannten Zwangsprostituierten in japanischen Lagern. Der Großteil entfallt auf die Lebensgeschichten von Frauen in den Niederlanden, die sich aktiv im Widerstand gegen den Nationalsozialismus engagierten, Helferinnen von Untergetauchten oder selbst Verfolgte. Darunter finden sich sowohl judische als auch nichtjudische Frauen. Neben im Krieg durch ihre Leistungen oder Taten bekannt gewordenen Frauen enthalt der Band auch Biografien von Frauen, deren Bekanntheit oder weiteres Leben erst in der Nachkriegszeit bedeutsam wurde. Außerdem sind einige Biografien von Madchen und Frauen enthalten, deren private schriftliche Aufzeichnungen posthum veroffentlicht wurden. Als historische Dokumente aus der Zeit des Holocausts zeigen die Tagebucher die Unmenschlichkeit des Volkermordes in der Zeit des Nationalsozialismus auf. Ein gesondertes Kapitel des fruheren NIOD-Direktors Hans Blom beschreibt die Rolle „der unbekannten Hausfrau“ in Analogie zum Bild „des unbekannten Soldaten“. Die Lebenslaufe werden erganzt durch ganzseitige Fotos der portratierten Frauen. Ubersicht der Biografien: = Als judisch oder aus anderen Grunden verfolgte Frauen = Clara Asscher-Pinkhof (1896–1984): niederlandisch-israelische judische Padagogin und Schriftstellerin, die 1943 in das Durchgangslager Westerbork und 1944 in das KZ Bergen-Belsen deportiert wurde. Als eine von 222 Gefangenen, die ein Einwanderungszertifikat fur Palastina besaßen, wurde sie gegen deutsche Kriegsgefangene ausgetauscht. Else Berg (1877–1942): judische Malerin, ermordet im KZ Auschwitz-Birkenau. Jetty Cantor (1903–1992): judisch-niederlandische Geigerin, Sangerin und Schauspielerin, die im Ghetto Theresienstadt im Haftlingsorchester spielte und im KZ Auschwitz-Birkenau Violinistin im Frauenorchester des Lagers wurde und so den Holocaust uberlebte. Josepha Mendels (1902–1995): niederlandische Schriftstellerin, Journalistin und spater Schauspielerin, die nach Beginn der anti-judischen Razzien in Paris nach London floh. Dort war sie beim Abhordienst des niederlandischen Exil-Nachrichtendienstes (Rijksvoorlichtingsdienst) tatig. 1945 kehrte sie nach Paris zuruck und arbeitete fur den Nachrichtendienst der niederlandischen Botschaft. Louise de Montel (1926–1993): Sangerin, die als „Halbjudin“ zunachst im KZ Herzogenbusch war und das Bunkerdrama von Vught uberlebte. Zum Kriegsende wurde sie aus dem KZ Ravensbruck befreit. Edith Stein (1891–1942): deutsche Philosophin, Lehrerin und Frauenrechtlerin judischer Herkunft. 1922 ließ sie sich taufen und trat 1933 trat in den Orden der Unbeschuhten Karmelitinnen ein. Mit den Massendeportationen von Juden aus den Niederlanden 1942 kam sie in das KZ Auschwitz-Birkenau, wo sie ermordet wurde. Settela Steinbach: (1934–1944): niederlandische Sintiza, die als Kind mit ihrer Familie in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde. Ihr Foto vom Transport nach Auschwitz galt zunachst falschlich als ein Symbol der Verfolgung der niederlandischen Juden. Erst 1994 fand der Journalist Aad Wagenaar heraus, dass sie den niederlandischen Sinti angehorte. = Weitere verfolgte Judinnen, deren schriftliche Aufzeichnungen erhalten blieben = Helga Deen (1925–1943): deutsch-niederlandische Judin, die im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde. Ihre aus dem Lager geschmuggelten Aufzeichnungen aus dem KZ Herzogenbusch erschienen 2007 unter dem Titel Wenn mein Wille stirbt, sterbe ich auch. Tagebuch und Briefe. Anne Frank (1929–1945): deutsche Judin, die 1934 mit ihrer Familie in die Niederlande floh und kurz vor dem Kriegsende im KZ Bergen-Belsen ermordet wurde. Versteckt in einem Hinterhaus hielt sie ihre Erlebnisse und Gedanken von Juli 1942 bis August 1944 in einem Tagebuch fest, das nach dem Krieg als Tagebuch der Anne Frank von ihrem Vater Otto Frank veroffentlicht wurde. Etty Hillesum (1914–1943): Intellektuelle, die im KZ Auschwitz-Birkenau starb. Sie hinterließ ein Tagebuch und Briefe aus der Zeit von 1941 bis 1943. Eine erste Auswahl aus dem Tagebuch wurde 1981 unter dem Titel Het verstoorde Leven veroffentlicht. Eine Gesamtausgabe ihrer Schriften erschien 1986 als Het Werk, die deutschsprachige Ubersetzung davon 2023. Die Originale der Tagebucher befinden sich im Joods Museum in Amsterdam. Klaartje de Zwarte-Walvisch (1911–1943): Mantelnaherin, die in der Zeit ihrer Gefangenschaft in der Hollandsche Schouwburg, im KZ Herzogenbusch und im Durchgangslager Westerbork Tagebuch fuhrte. Sie wurde im Vernichtungslager Sobibor umgebracht. Ihr Tagebuch befindet sich im Amsterdamer Joods Museum und wurde 2009 unter dem Titel Alles ging aan flarden. Het oorlogsdagboek van Klaartje de Zwarte-Walvisch veroffentlicht. Rose Jakobs (1925–1944): deutsche Judin, die 1938 mit ihrer Familie in die Niederlande floh und im August 1942 untertauchte. Am 2. Oktober 1944 wurde sie von einer Splitterbombe todlich getroffen. Wahrend ihrer Zeit in verschiedenen Verstecken hatte sie zwischen 1942 und 1944 ein Tagebuch gefuhrt, das 1999 unter dem Titel De roos die nooit bloeide. Dagboek van een onderduikster, 1942–1944 veroffentlicht wurde. Renata Laqueur (1919–2011): Sprach- und Literaturwissenschaftlerin, die mehrfach als Judin in verschiedene KZs deportiert wurde und heimlich Tagebuch schrieb. 1945 kam sie frei. Das Tagebuch Dagboek uit Bergen-Belsen: maart 1944–april 1945 erschien 1965. Sie trug dreizehn weitere Tagebucher von KZ-Insassen zusammen und schrieb 1969 bis 1971 in den USA ihre Doktorarbeit Writing in Defiance: Concentration Camp Diaries in Dutch, French and German, 1940–1945 daruber. Kitty de Wijze (1920–1942) und Joke de Wijze (1922–1942): Schwestern, die im KZ Auschwitz ermordet wurden. Von ihnen sind Postkarten erhalten geblieben. = Frauen in Niederlandisch-Ostindien und japanischen Gefangenenlagern = Costavina Aya Ayal (1926–2015): Widerstandskampferin in Neuguinea wahrend der japanischen Invasion Sudostasiens und Mitglied der einzigen Guerillagruppe in Niederlandisch-Ostindien. Helen Colijn (1920–2006): war von 1942 bis 1945 in japanischen Lagern auf Sumatra interniert und machte die dort entstandene Musik weltweit bekannt. Margaretha Ferguson (1920–1992): Schriftstellerin, Journalistin und Ubersetzerin. Wahrend der japanischen Besatzung landete sie in verschiedenen japanischen Lagern. Zunachst 1942 in Tjideng, wo 1943 ihre Tochter geboren wurde. 1944 wurden sie und ihre Tochter ins Camp Tangerang und 1945 ins Camp Adek verlegt. Elisabeth Keesing (1911–2003): niederlandische Schriftstellerin judischer Abstammung. Nach 1938 ging sie nach Niederlandisch-Ostindien und wurde wahrend des Zweiten Weltkriegs in einem japanischen Lager interniert. Ellen van der Ploeg (1923–2013): wurde mit ihrer Familie in einem japanischen Lager interniert und fur drei Monate in einem Bordell fur japanische Soldaten als „Trostfrau“ zur Zwangsprostitution gezwungen. Erst 1946 kam sie mit ihrer Familie frei und lebte in Den Haag. 1995 schrieb sie zusammen mit dem Journalisten Jos Goos das Buch Gevoelloos op bevel uber ihre Kriegserlebnisse. Sophie Elisabeth Saueressig (1906–1945): ausgebildete Tanzerin, die mit ihren drei Kindern im japanischen Frauenlager Tjideng auf Java interniert war, wo sie im Juni 1945 an Ruhr starb. Julie van der Steur (1920–2001): Sangerin, die Kurierdienste fur den Widerstand in Niederlandisch-Indien ubernahm und im April 1943 von der japanischen Militarpolizei festgenommen, verhort, misshandelt und bedroht wurde und gezwungen wurde fur die Geheimdiensteinheit der japanischen Militarpolizei zu arbeiten. Nach der Befreiung gelangte sie 1946 nach Rotterdam. Dora van Velden (1909–1997): Lehrerin, Historikerin und Kuratorin, die im Oktober 1942 erst im Lager Kramat, dann in Tjideng interniert wurde. Nach dem Krieg schrieb sie ein Standardwerk uber die Internierungslager in Niederlandisch-Ostindien. = Judische Widerstandskampferinnen = Frieda Belinfante (1904–1995): Cellistin und Dirigentin, die sich ab 1941 in der Widerstandsgruppe „Groep 2000“ engagierte und an der Falschung von Personalausweisen und der Unterstutzung von Untergetauchten beteiligte. 1943 tauchte sie unter und gelangte in die Schweiz. Rosa Boekdrukker (1908–1982): Kindergartnerin, die Mitglied der Communistische Partij van Nederland (CPN) war und sich am kommunistischen Widerstand beteiligte. Am 9. April 1941 wurde sie verhaftet und kam mit Kriegsende frei. Annetje Fels-Kupferschmidt (1914–2001): Widerstandskampferin, die sich in der zionistischen und antifaschistischen Bewegung engagierte. Sie wurde verhaftet und nach mehreren Lagern im KZ Neustadt-Glewe befreit. Nach dem Krieg war sie eine der Grunderinnen des „Nederlands Auschwitz Comite“ (niederlandisches Auschwitz-Komitee) und im Vorstand des internationalen Auschwitz-Komitees. Lien Kuijper (1923–1943): Widerstandskampferin, die sich bei Johannes Post in Drenthe versteckte und Kurierdienste ubernahm. Sie wurde gefasst und im KZ Auschwitz ermordet. Trui van Lier (1914–2002): Widerstandskampferin wahrend des Zweiten Weltkriegs, die 150 judische Kinder rettete, bevor sie selber untertauchen musste. Truus van Lier (1921–1943): Widerstandskampferin, die 1943 den Utrechter Polizeichef und fuhrenden Nationalsozialisten Gerardus Johannes Kerlen erschoss. Sie wurde verraten, in das KZ Sachsenhausen verschleppt und durch ein Erschießungskommando hingerichtet. Selma Meyer (1890–1941): Widerstandskampferin, Feministin und Pazifistin, die verhaftet und im Polizeigefangnis Moabit verhort wurde. Laut Aussage einer Mitgefangenen starb sie an den Folgen von Misshandlungen durch die Gestapo. Jetty Paerl (1921–2013): floh 1940 mit ihrer Familie nach London und sang ab Marz 1941 in der wochentlichen Kabarettsendung De Watergeus von Radio Oranje, dem Radioprogramm der niederlandischen Exilregierung. Henriette Pimentel (1876–1943): Widerstandskampferin, die die Krippe fur judische Kinder gegenuber der Hollandsche Schouwburg in Amsterdam leitete und gemeinsam mit anderen Widerstandlern rund 600 Kindern das Leben rettete. Sie wurde nach Auschwitz deportiert und ermordet. Gertrude van Tijn (1891–1974): als Leiterin der Auswanderungsabteilung des Joodse Raad half sie Juden bei der Flucht in neutrale Lander. Im September 1943 wurde sie deportiert und gelangte im Juli 1944 aus dem KZ Bergen-Belsen im Rahmen eines Gefangenenaustauschs nach Palastina. Betty Trompetter (1917–2003): untergetauchte Widerstandskampferin, die sich zusammen mit Johannes Post in der Landelijke Organisatie voor Hulp aan Onderduikers (LO) („Nationale Organisation zur Hilfe fur Untergetauchte“), bei der Widerstandszeitschrift Trouw und dem landesweit organisierten bewaffneten Widerstand Landelijke Knokploegen (LKP) engagierte. Nach ihrer Verhaftung und Deportation wurde sie bei Kriegsende aus dem KZ-Außenlager Munchen der Agfa Kamerawerke, einer Außenstelle des KZ Dachau, befreit. Bep Turksma (1917–1987): engagierte sich im Delfter Studentenwiderstand und wurde im September 1942 verhaftet. Nach ihrer Flucht aus dem Durchgangslager Westerbork tauchte sie unter und konnte nach Frankreich fluchten. = Weitere Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus = Nina Baumgarten (1918–2009): Widerstandskampferin im Ordedienst und Englandfahrerin Cornelia Johanna van den Berg-van der Vlis (1892–1944): Widerstandskampferin, die festgenommen und in Groningen im Scholtenhuis, dem Sitz der Sicherheitspolizei, verhort wurde. Sie wurde in der Nahe des Dorfes Vries bei Assen erschossen. Charlotte van Beuningen-Fentener van Vlissingen (1880–1976): half Haftlingen im Konzentrationslager, indem sie den Lagerkommandanten uberredete, ihr die Auslieferung von Lebensmittelpaketen zu gestatten. Mit Helferinnen fertigte sie bis zu zwolfhundert Lebensmittelpakete pro Woche. Mies Boissevain-van Lennep (1896–1965): Feministin, die an der Organisation der Kindertransporte und der Rettung von Kindern aus der Hollandsche Schouwburg beteiligt war. Sie wurde verhaftet und 1945 aus dem KZ Ravensbruck befreit. Els Boon (1916–2004): Widerstandskampferin, die untergetauchten judischen Menschen half, in sichere Lander zu gelangen. Sie hielt sich meist in Brussel auf, einem Knotenpunkt der Fluchtroute, und arbeitete mit der „Fiat-Libertas“-Gruppe zusammen, die abgeschossenen alliierten Piloten bei der Flucht nach Spanien oder in die Schweiz half. Anfang 1944 wurde Els Boon in Brussel verhaftet, konnte beim Transport in das KZ Herzogenbusch fliehen und tauchte unter. Corrie ten Boom (1892–1983): Religionslehrerin, die aus christlicher Uberzeugung eine Untergrundorganisation zur Rettung verfolgter Juden grundete. Cornelia Bosch (1925–1945): Widerstandskampferin, die kurz vor der Befreiung Deventers erschossen wurde. Elisabeth Brugsma (1887–1945): niederlandische Psychiaterin und aktiv im Widerstand, gestorben im KZ Ravensbruck. Violette Cornelius (1919–1998): niederlandische Fotografin und Widerstandskampferin. Esmee van Eeghen (1918–1944): Widerstandskampferin, wurde im Scholtenhuis verhort und durch Ernst Knorr ermordet. Miep Gies (1909–2010): Widerstandskampferin, die die untergetauchte Familie von Anne Frank im Amsterdamer Hinterhaus versorgte und dafur sorgte, dass Anne Franks Tagebuch erhalten blieb. Titia Gorter (1879–1945) und Dora Gorter (1888–1945): Schwestern, die Widerstandszeitungen schrieben und verteilten und sichere Unterkunfte fur Verfolgte einrichteten. Sie waren aktiv im Widerstand um Peter Tazelaar. Sie wurden gefangen genommen und im KZ Ravensbruck ermordet. Annick van Hardeveld (1923–1945): die wahrscheinlich letzte Kurierin, die im Zweiten Weltkrieg wahrend ihrer Tatigkeit fur den Widerstand erschossen wurde. Siet Gravendaal-Tammens (1914–2014): Lehrerin an einer Schule fur lernbehinderte Schuler, die als Leitungsmitglied der „Groninger Top“ eine wichtige Rolle im Groninger Widerstand spielte. Ihre Wohnung war Ubergangsunterkunft fur Untergetauchte, Lager fur Lebensmittelkarten und Waffen. Thea Hoogensteijn (1918–1956): Sekretarin beim Sicherheitsdienst (SD) und Informantin des Widerstands, die so unzahligen Untergetauchten und judischen Menschen das Leben rettete. Schließlich musste sie selbst untertauchen. Kate ter Horst (1906–1992): Niederlanderin, die aufgrund ihrer Betreuung britischer Verwundeter wahrend der Schlacht um Arnheim als „Engel von Arnheim“ bekannt wurde. Anda Kerkhoven (1919–1945) Widerstandskampferin, die vom Sicherheitsdienst festgenommen und im Scholtenhuis in Groningen gefoltert und schließlich von niederlandischen Komplizen des deutschen Sicherheitsdienstes erschossen wurde. Tine van Klooster (1894–1945): Schriftstellerin und Verlegerin, die sich weigerte, Mitglied der Kultuurkamer zu werden, sich an Widerstandsaktivitaten beteiligte und dem Widerstandsfuhrer Gerrit van der Veen Unterschlupf bot. Sie wurde verraten, deportiert und starb im Frauenkonzentrationslager Ravensbruck. Cornelia Kossen (bekannt als: Nel Hissink) (1897–1943): aktiv im Widerstand, arbeitete an der illegalen Zeitschrift De Vrije Kunstenaar, stellte gefalschte Ausweise her und war an der illegalen Organisation „CS-6“ beteiligt, die bewaffneten Widerstand leistete. Nachdem sie verraten wurde, wurde sie im KZ Sachsenhausen erschossen. Helena Kuipers-Rietberg (1893–1944): zentrale Figur des organisierten Widerstandes in den Niederlanden, der Landelijke Organisatie voor Hulp aan Onderduikers (LO). Fietje Kwaak (1901–1990): Geschaftsfuhrerin, die half, das Vermogen der in judischem Besitz befindlichen Rotterdamer Firma Robema vor den Nazis außer Landes zu retten. Hester van Lennep (1916–2000): Widerstandskampferin, die judische Kinder in Verstecken bei Freunden und Bekannten innerhalb und außerhalb der Stadt in Sicherheit brachte und Mitarbeiterin der illegalen Widerstandszeitung Trouw war. Rie Lips-Odinot (1908–1998): Widerstandskampferin, die im Internierungslager Schoorl inhaftiert und 1945 aus dem KZ Ravensbruck befreit wurde. Laura Carola Mazirel (1907–1974): Juristin, Autorin, antiautoritare Sozialistin und Mitglied der Widerstandsgruppe Vrije Groepen Amsterdam, die zu den Organisatoren des Anschlages auf das Einwohnermeldeamt Amsterdam zahlte. Gezina van der Molen (1892–1978): Rechtswissenschaftlerin und Mitgrunderin der Widerstandszeitschrift Trouw, die sich ab 1941 bei „Vrij Nederland“ engagierte und zahlreichen judischen Kindern das Leben rettete. Tiny Mulder (1921–2010): Journalistin und Schriftstellerin, die als Kurierin im friesischen Widerstand aktiv war, judische Untergetauchte versorgte und im Winter 1943/44 mehr als siebzig gestrandete alliierte Piloten nach England fuhrte. Anfang 1944 tauchte sie unter. Annie van Ommeren-Averink (1913–1991): Widerstandskampferin und Mitglied der Communistische Partij van Nederland (CPN). Nach dem Aufruf zum Februarstreik tauchte sie unter. 1943 organisierte sie den bewaffneten Widerstand in Haarlem. Loes van Overeem (1907–1980): Mitarbeiterin des niederlandischen Roten Kreuzes wahrend und nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich fur bessere Bedingungen vor allem im KZ Herzogenbusch und dem Durchgangslager Amersfoort einsetzte. Ru Pare (1896–1972): Malerin und Widerstandskampferin, die Verstecke fur judische Kinder fand, untergetauchte Menschen mit Geld und Lebensmittelgutscheinen versorgte und Personalausweise fur sie falschte. Reina Prinsen Geerligs (1922–1943): als Mitglied in der Widerstandsgruppe „CS-6“ beteiligte sie sich am Anschlag auf das Einwohnermeldeamt Amsterdam und an der Erschießung von insgesamt 24 Widerstandsmitgliedern, die als Verrater enttarnt worden waren. Sie wurde gefasst und im KZ Sachsenhausen getotet. Coba Pulskens (1884–1945): bot untergetauchten Juden, Widerstandskampfern und im feindlichen Gebiet abgesturzten oder notgelandeten Piloten Unterschlupf. Sie wurde verhaftet und im KZ Ravensbruck umgebracht. Jannie Raak (1922–1957): Widerstandskampferin, die auch weiter als Kurierin arbeitete, nachdem sie 1941 untergetaucht war. Ada van Randwijk-Henstra (1911–2013): Lehrerin, die fur die Untergrundzeitung Vrij Nederland arbeitete, mehrfach verhaftet wurde und im Versteck lebte. Mink van Rijsdijk (1922–2000): Schriftstellerin, die die Widerstandsgruppe „Rolls Royce“ unterstutzte und wahrend des Krieges untertauchte. Hannie Schaft (1920–1945): als Mitglied der Widerstandsgruppe Raad van Verzet fuhrte sie Anschlage auf hohe Reprasentanten der deutschen Besatzung wie Kader der Gestapo, niederlandische Kollaborateure und „Verrater“ aus den eigenen Reihen aus. Sie wurde gefasst, gefoltert und im April 1945 in den Dunen von Bloemendaal erschossen. Atie Siegenbeek van Heukelom (1913–2002): Illustratorin, Zeichnerin und Autorin, die als Kurierin fur den Raad van Verzet tatig war. Sie wurde gefasst und 1945 aus dem Außenlager Salzwedel des KZ Neuengamme befreit. Ihre Zeichnungen aus dieser Zeit wurden spater veroffentlicht. Tina Strobos (1920–2012): niederlandisch-amerikanische Medizinerin, Psychiaterin und Widerstandskampferin, die mit ihrer Mutter uber hundert Juden rettete, indem sie sie in ihrem Haus in Amsterdam versteckten und in andere Regionen brachten. Sie verteilte auch Lebensmittel, Waffen, Lebensmittelmarken und gefalschte Personalausweise an die Untergetauchten. Marie Anne Tellegen (1893–1976): Juristin und Frauenrechtlerin, die sich im Utrechts Kindercomite zur Unterbringung judischer Kinder und bei der Untergrundzeitung Vrij Nederland engagierte. Im Februar 1944 trat sie der Leitung der Widerstandsgruppe Nationaal Comite van Verzet (Nationales Widerstandskomitee) bei. Danach tauchte sie unter. Eelkje Timmenga-Hiemstra (1892–1971): war an der Unterstutzung der Gefangenen im KZ Herzogenbusch beteiligt. Sie wurde „der Vught-Engel“ und „die Mutter der Gefangenen“ genannt. Ab April 1943 informierte sie vor allem Familienangehorige uber Transporte und verschickte Pakete mit Lebensmitteln, Kleidung und Kleinutensilien an Haftlinge, deren Familien selbst keine Moglichkeit dazu hatten. Sie verbreitete zudem das Untergrundblatt Vrij Nederland und half Untergetauchten. Jacoba van Tongeren (1903–1967): Grunderin und Anfuhrerin der Widerstandsgruppe Group 2000 in der Region Amsterdam, die Untergetauchten half. Tante Truus (Geertruida Wijsmuller-Meijer) (1896–1978): engagierte sich im Comite voor Bijzondere Joodse Belangen (Niederlandisches Komitee fur judische Belange) und rettete mit ihren Kindertransporten mehr als 10.000 judische und „nicht-arische“ Kinder. Theodora Versteegh (1888–1970): Sangerin, die ihrer Freundin und Widerstandskampferin Ru Pare half, Verstecke fur judische Kinder zu finden. Atie Visser (1914–2014): beteiligte sich als Mitglied der Marinus-Post-Gruppe an Uberfallen auf Vertriebsburos fur Lebensmittelkarten und Gutscheine. Hanna van de Voort (1904–1956): rettete Untergetauchte und mehr als hundert judische Kinder vor der Deportation und Ermordung. Bep Voskuijl (1919–1983): gehorte zu den Helfern von Anne Frank und ihrer Familie, als diese sich versteckten. Hetty Voute (1918–1999): Mitbegrunderin der Untergrundzeitschrift Het Bulletin. Sie schloss sich dem Utrechts Kindercomite an, das judische Kinder vor der Deportation durch die Deutschen in Vernichtungslager in Sicherheit brachte. Sie wurde verhaftet und schließlich bei Kriegsende aus dem KZ Ravensbruck befreit. Gisele van Waterschoot van der Gracht (1912–2013): Kunstlerin, die ab 1941 eine Gruppe meist judischer Jugendlicher deutscher und niederlandischer Nationalitat versteckte. Gabrielle Weidner (1914–1945): niederlandische Widerstandskampferin, die im Zweiten Weltkrieg im franzosischen Widerstand aktiv war. Sie gehorte zu den Siebenten-Tags-Adventisten. Als wichtiges Mitglied des Widerstands war sie fur die Rettung von mehr als 1.080 Menschen verantwortlich, darunter 800 niederlandische Juden und mehr als 112 abgeschossene alliierte Piloten. Sie wurde von der Gestapo verhaftet und in ein Außenlager des Frauenkonzentrationslagers Ravensbruck gebracht, wo sie wenige Tage nach der Befreiung des Lagers durch die Russen an Unterernahrung starb. Tineke Wibaut-Guilonard (1922–1996): engagierte sich als Schulerin im Widerstand, als ihre judischen Mitschuler das Amsterdamer Lyzeum verlassen mussten, suchte sie geeignete Verstecke fur Untergetauchte, besorgte Lebensmittelkarten sowie falsche Personalausweise und erledigte Auftrage fur die Widerstandsgruppe „CS-6“. Im September 1943 wurde sie gefasst und bei Kriegsende aus dem Außenlager Salzwedel des KZ Neuengamme befreit. Lydia Winkel (1913–1964): niederlandische Historikerin, die sich von 1941 bis 1942 fur das Untergrundblatt Vrij Nederland engagierte. Nach dem Krieg baute sie eine Sammlung niederlandischer illegaler Zeitschriften und Broschuren aus dem Zweiten Weltkrieg auf und recherchierte die Fakten uber die Ursprunge und die weitere Geschichte jeder Untergrundpublikation. 1954 wurden ihre Forschungen unter dem Titel The Underground Press 1940–1945 veroffentlicht. Es gilt als Standardhandbuch fur Fragen zur niederlandischen Untergrundpresse. Francien de Zeeuw (1922–2015): gab als Telefonistin Gesprache der Gestapo und des Sicherheitsdienstes uber bevorstehende Razzien und Uberfalle an den Widerstand weiter. Sie suchte Verstecke fur untergetauchte Personen und versorgte sie mit Essensmarken und gefalschten Ausweisen. = Agentinnen und Angehorige der niederlandischen Verwaltung, Regierung oder Streitkrafte = Corinne Marie Louise van Boetzelaer (1912–2011): Mitbegrunderin der „Marine Vrouwen Afdeling“ MARVA und erste weibliche Marineoffizierin in den Niederlanden. Sie grundete den „Bond van Nederlandsche Vrouwen in Groot-Brittannie“, um wahrend und nach dem Krieg humanitare Hilfe zu leisten. Jos Gemmeke (1922–2010): Widerstandskampferin und neben Konigin Wilhelmina die einzige Tragerin des Militar-Wilhelms-Ordens. Derkje Hazewinkel-Suringa (1889–1970): niederlandische Rechtswissenschaftlerin und Professorin fur Strafrecht und Strafprozessrecht an der Stadtischen Universitat Amsterdam. Sie warnte schon 1936 vor der Gefahr des Faschismus und des Nationalsozialismus, setzte sich fur die Aufnahme deutsch-judischer Kinder in den Niederlanden ein und protestierte gegen die Entlassung judischer Professoren. Sie wurde entlassen, nach dem Krieg aber wieder als Professorin eingesetzt. Dien Hoetink (1904–1945): Rechtsanwaltin, war wahrend des Krieges als Beamtin des Ministerie van Economische Zaken an der Organisation der Lebensmittelversorgung beteiligt. Sie grundete einen Personalfonds aus Beamten des Nationalamtes, um entlassene judische Kollegen und Mitarbeiter, die in Deutschland zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, in finanzieller Hinsicht zu unterstutzen. Sie wurde verhaftet und starb im KZ Ravensbruck. Trix Terwindt (1911–1987): niederlandische Widerstandskampferin und Geheimagentin des britischen Geheimdienstes, die Fluchtwege im besetzten Europa organisierte, uber die abgeschossene RAF-Piloten nach England zuruckkehren konnten. Im „Englandspiel“ wurde sie im Februar 1943 verhaftet und 1945 aus dem KZ Mauthausen befreit. Annie van Velzen (1894–1967): gehorte zur Widerstandsgruppe innerhalb der Nimwegener Fursorgestelle Kinderpolitie. Sie wurde im September 1943 verhaftet und bei Kriegsende aus dem KZ Ravensbruck befreit. Konigin Wilhelmina (1880–1962): fluchtete kurz vor der Niederlage der niederlandischen Armee gegen die deutsche Wehrmacht und der deutschen Besetzung der Niederlande im Mai 1940 mit der Regierung nach London, wo sie die Niederlandische Exilregierung bildete und zur Symbolfigur des niederlandischen Widerstands wurde. = KZ-Personal, NSB-Mitglieder, Kollaborateurinnen, niederlandische Nationalsozialistinnen = Suze Arts (1916–1991): Geliebte des SS-Angehorigen Franz Ettlinger und Wachterin im KZ Herzogenbusch, die am Bunkerdrama von Vught beteiligt war. Stien van Bilderbeek (1887–1979): Mitglied der Nationaal-Socialistische Beweging (NSB) und Sekretarin von deren Fuhrer Anton Mussert. Hilda Bongertman (1913–2004): populare niederlandische Flugbegleiterin und Schriftstellerin, die vor und wahrend des Zweiten Weltkriegs in der Nationaal-Socialistische Beweging aktiv war. Ans van Dijk (1905–1948): niederlandische Kollaborateurin im Zweiten Weltkrieg, die 145 Menschen, die meisten davon untergetauchte Juden, an die deutschen Besatzer verriet und dafur hingerichtet wurde. Elisabeth Keers-Laseur (1890–1997): fanatische niederlandische Nationalsozialistin, Mitglied der NSB und Antisemitin, die auch nach dem Krieg ihrer Uberzeugung anhing. Wahrend der Besatzungszeit leitete sie einige Zeit den Nationalsozialistischen Frauenbund (NSVO). Julia op ten Noort (1910–1996): niederlandische nationalsozialistische politische Aktivistin, Mitglied der NSB und ab 1938 am Aufbau der NSVO beteiligt. Sie wurde nach dem Krieg verurteilt, Anfang 1949 vorzeitig entlassen und lebte dann in Deutschland. Miep Oranje (1923–1944): niederlandische Widerstandskampferin, die nach ihrer Verhaftung 1944 als V-Person tatig war. Sie wurde spater als „Kurierin des Todes“ bezeichnet, verschwand 1945 spurlos und wurde 1962 fur tot erklart. Florentine Rost van Tonningen (1914–2007): rechtsextreme niederlandische Aktivistin und eine Leitfigur der Rechtsradikalen und Revisionisten Europas. Sie wurde wegen Kollaboration angeklagt und zu einer mehrjahrigen Haftstrafe verurteilt. Bis zu ihrem Tod hielt sie an der NS-Ideologie fest. Adriana Valkenburg (1894–1968): niederlandische Kollaborateurin, die 1942 gegen eine finanzielle Entschadigung Juden bei sich versteckte. Nachdem sie 1943 deshalb verhaftet worden war, begann sie als V-Person fur die Besatzer zu arbeiten und judische Untergetauchte zu verraten. Literatur Els Kloek, Maarten Hell, Marjan Schwegman: 101 Vrouwen en de oorlog. Stichting 1001-Vrouwen, Uitgeverij Vantilt (Hrsg.), Amsterdam / Nijmegen 2016, ISBN 978-94-6004-279-9 (niederlandisch) Einzelnachweise
101 Vrouwen en de oorlog (dt.: 101 Frauen und der Krieg) ist der Titel eines Buches der Historikerin und Schriftstellerin Els Kloek mit 101 Biografien von Frauen, die im Zweiten Weltkrieg im Kontext der niederlandischen Geschichte eine Rolle spielten.
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Genia Nobel (Eugenia Schmerling, auch als Eugenie Schmerling und Eugenie Nobel bekannt, geboren am 13. Dezember 1912 in Moskau; gestorben am 7. August 1999 in Berlin) war eine deutsche judische Widerstandskampferin und Kommunistin. Nach Verbußung einer Zuchthausstrafe wegen ihrer antifaschistischen Aktivitaten floh sie nach Shanghai und arbeitete dort fur den sowjetischen Rundfunksender TASS. Spater war sie in der DDR eine wichtige Redakteurin fur internationale Themen und erhielt den Orden Stern der Volkerfreundschaft. Leben in Deutschland Genia Nobel, geborene Schmerling, wurde 1912 in Moskau als Kind einer wohlhabenden russisch-judischen Familie geboren. Ihr alterer Bruder war Grigory Schmerling (geb. 14. November 1909 in Moskau, gest. 1997 in Croydon). Ihr Vater Boris Berka Schmerling (geb. 16. Juni 1879, gest. 1956 Streatham) war Chemiker. Uber ihre Mutter Rosa, geborene Ponosowsky (geb. 6. August 1880, gest. 4. Oktober 1920 Neuilly-sur-Seine), ist kaum etwas bekannt. Nach der Oktoberrevolution 1917 musste die Familie Moskau verlassen und floh, nach einer kurzen Ubergangszeit in der Turkei, weiter nach Paris, wo Genia ab 1918 die Grundschule besuchte. 1920 starb Genias Mutter. 1923 siedelte ihr Vater mit Genia und ihrem alteren Bruder Georg nach Berlin um. Genia besuchte ein konservatives Madchengymnasium, ihr Freundeskreis bestand jedoch aus sozialistischen, anarchistischen und kommunistischen jungen Menschen. Sie selbst engagierte sich in einer sozialistischen Schulergruppe. Im Alter von 19 Jahren trat sie in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) ein. 1931 begann sie ihr Studium in Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft an der Berliner Universitat. Dort lernte sie ihren spateren Ehemann Gunter Nobel kennen, der ebenfalls judischer Herkunft war und ahnliche politische Ansichten vertrat. Enttauscht von der Politik der SPD, die in ihren Augen zu zahm war, traten beide 1932 in die radikalere Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) und kurz darauf in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein, die bis dahin noch legal war. Als die NSDAP und mit ihr der Antisemitismus an die Macht kamen, mussten beide 1933 das Studium abbrechen, nicht zuletzt, weil sie wegen ihrer judischen Herkunft von nationalsozialistischen Kommilitonen drangsaliert und bedroht wurden. Genia nahm eine Arbeit als Sekretarin auf, um den Lebensunterhalt zu sichern. Im Gegensatz zu Gunters Brudern, die das Land im selben Jahr verließen, beschloss Genia, gemeinsam mit Gunter in Deutschland zu bleiben und in den Widerstand zu gehen. Fur die seit 1933 von der NSDAP verbotene KPD in Berlin-Charlottenburg produzierte Genia in ihrer Wohnung die illegale KPD-Zeitung Die Rote Fahne und verbreitete sie uber Kontaktpersonen in Betrieben. Im Februar 1934 wurde Genia Schmerling zum ersten Mal von der Gestapo verhaftet, weil ein Untermieter sie wegen des Besitzes des sogenannten Braunbuchs, das nationalsozialistische Verbrechen auflistete, denunziert hatte. Sie schaffte es, das verbotene Buch rechtzeitig aus dem Fenster zu werfen, und wurde nach drei Wochen mangels Beweisen freigelassen. Ihr besorgter Vater stellte seine Tochter ab sofort unter Hausarrest. Um dem zu entkommen, heiratete sie noch im selben Jahr ihren Freund Gunter Nobel. Sie lehnte eine Hochzeit nach judischem Ritus ab, obwohl Gunters Eltern sie dazu drangten. Zwei Jahre spater, am 28. Juli 1936, wurden Genia und Gunter Nobel in ihrer Wohnung in Berlin-Wilmersdorf von der Gestapo erneut verhaftet. Zwei festgenommene Untergrundkuriere hatten die KPD-Tatigkeit des Paares an die Gestapo verraten. Die Zeit der Untersuchungshaft bis zum Dezember 1937 verbrachte Genia im Frauengefangnis Barnimstraße, wo sie Kontakt zu anderen politischen Gefangenen aufnahm. Es gelang ihr, Papier ins Gefangnis einzuschmuggeln und einen Aufruf zum Widerstand unter den Gefangenen zu verbreiten. Unter der Anklage „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilte das Kammergericht Berlin-Moabit Genia und Gunter Nobel zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren. Genia wurde in der Frauen-Strafanstalt Lubeck-Lauerhof inhaftiert und 1938 in das beruchtigte Frauenzuchthaus Jauer in Niederschlesien uberstellt. Wahrend der Haftzeit 1936–1939 schrieben sich Genia und Gunter Nobel 49 Briefe. Ihre Korrespondenz aus dem Zuchthausalltag ist erhalten geblieben und in der Gedenkstatte Deutscher Widerstand veroffentlicht. Im Shanghaier Ghetto Nach Verbußung ihrer Zuchthausstrafe wurden Genia und Gunter Nobel 1939 unter der Auflage freigelassen, Deutschland unverzuglich zu verlassen. Mit ihren geringen Ersparnissen flohen sie nach Shanghai in China. In der offenen Freihafenstadt herrschte kein Visumszwang, daher war sie der letztmogliche Zufluchtsort fur Fluchtlinge ohne Geld und ohne internationale Beziehungen. Das Ehepaar Nobel gehorte zu insgesamt 20.000 judischen Menschen, die in den 1930er Jahren nach Shanghai flohen. Das Paar lebte in Hongkou, einem armen Viertel im Osten Shanghais, das durch japanische Angriffe im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg stark zerstort worden war. Infolge der Japanischen Invasion war die Stadt zudem uberfullt von Millionen gefluchteter Chinesen. Wie die meisten Fluchtlinge waren Genia und Gunter Nobel arm. Sie litten unter gesundheitlichen Problemen im subtropischen Klima und unter den Lebensbedingungen in Shanghai. Genia Nobel beschrieb spater die Wohnverhaltnisse als beengt und uberfullt, die Versorgung als knapp und die sanitaren Bedingungen als katastrophal. Zudem forderten Epidemien wie Typhus, Ruhr, Tuberkulose und Meningitis unter der hungernden Bevolkerung zahlreiche Opfer. Trotz allem war das Shanghaier Ghetto nicht mit den nationalsozialistischen Ghettos in Europa wahrend des Zweiten Weltkriegs vergleichbar. Die Fluchtlinge konnten Passierscheine bekommen und einer Arbeit nachgehen. Auch Chinesen lebten im Ghetto und diesen chinesischen Kriegsfluchtlingen ging es noch schlechter als den europaischen. Sie lebten zusammengepfercht in provisorischen Unterkunften oder auf der Straße, oft ohne ausreichende Nahrung und Wasser. Genia Nobel arbeitete in Shanghai zunachst als Ubersetzerin und Sekretarin fur verschiedene Arbeitgeber, darunter die US-Armee. Gunter Nobel war ebenfalls fur die US-Armee als Mechaniker fur Fahrzeugwartung tatig. Als der NS-Staat im November 1941 emigrierten Juden die deutsche Staatsangehorigkeit entzog, wurden die judischen Fluchtlinge in Shanghai staatenlos. Die Japaner lieferten die Staatenlosen zwar nicht an die deutsche Regierung aus, doch sie verhangten harte und willkurliche Bedingungen fur den Zutritt oder das Verlassen des Ghettos fur Judinnen und Juden, wahrend nicht-judische Deutsche sich weiterhin frei bewegen konnten. Auch das Ehepaar Nobel wurde Ende 1943 in das von Japan verwaltete Ghetto fur „Staatenlose“ umgesiedelt. Politische Arbeit und die TASS Kurz nach ihrer Ankunft in Shanghai schlossen sich Genia und Gunter Nobel einer kommunistischen Gruppe an, die von Johannes Konig, dem spateren Botschafter der DDR in der Volksrepublik (VR) China, geleitet wurde. Die Gruppe hatte keinen Kontakt zur KPD-Fuhrung, wurde jedoch von der Partei ruckwirkend anerkannt. Fur eine spatere politische Karriere in der sowjetisch besetzten Zone war eine ununterbrochene Parteimitgliedschaft und die Kenntnis der sowjetischen Ideologie unerlasslich. Zwischen 1941 und 1947 gehorte Genia Nobel zu den KPD-Mitgliedern, die das deutschsprachige Programm fur den von der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS betriebenen Kurzwellenradiosender XRVN gestalteten. Bis 1944 sendete der Sender Nachrichten und antifaschistische Propaganda. Nobel erstellte taglich eine 15-minutige Nachrichtensendung, die sie redigierte und ubersetzte. 1943 gehorte XRVN zu den ersten Sendern in Shanghai, die uber den Sturz Mussolinis berichteten. Da die meisten Gefluchteten in Shanghai keine Kommunisten waren, entfremdete ihre politische Arbeit das Ehepaar von der judischen Gemeinschaft und sie lebten eher isoliert. Zudem galt ihre kommunistische Gruppe wahrend der Zeit der chinesischen Nationalisten wie spater bei den Japanern als illegal. Die Sowjets konnten den TASS-Sender nur so lange betreiben, bis die Japaner seine Arbeit einschrankten und ihn 1944 ganz abschalteten. Repatriierung nach Kriegsende Mit der Kapitulation Japans im Jahr 1945 wurde das Shanghaier Ghetto von den amerikanischen Streitkraften befreit. Die materiellen Bedingungen verbesserten sich, es gab mehr Arbeitsmoglichkeiten und fur die KPD-Gruppe wurden die Treffen leichter. Doch die staatenlosen Fluchtlinge in Shanghai waren mit dem Dilemma konfrontiert, China ohne Pass nicht mehr verlassen zu konnen. Genia Nobel grundete daraufhin die Vereinigung der demokratischen Deutschen in Schanghai, um nicht-faschistischen Fluchtlingen zu helfen, nach Deutschland zuruckzukehren. Insbesondere setzte sich bei der Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen (UNRRA) dafur ein, dass die Ghettobewohner einen Status als Displaced Persons erhielten. Staatenlose Fluchtlinge konnten nun in die Kategorie „Verfolgte“ eingestuft werden und dadurch Hilfe beanspruchen. Genia Nobel unterstutzte nicht nur bei burokratischen Aufgaben, sondern half auch bei der praktischen Organisation der Ruckkehr, die sich oft uber Monate hinzog. Am 25. Juli 1947, zwei Jahre nach Kriegsende, bestiegen endlich deutsche judische Fluchtlinge, darunter Genia und Gunter Nobel, die Marine Lynx, ein amerikanisches Truppentransportschiff. In Neapel gingen sie von Bord und setzten ihre Reise mit der Bahn fort. Etwa 500 Menschen kehrten nach Deutschland, 144 nach Osterreich zuruck. Berufliche Karriere in der DDR Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland vom Alliierten Kontrollrat in vier Besatzungszonen aufgeteilt worden. In der Sowjetisch besetzten Zone war durch die Vereinigung von SPD und KPD die Sozialistische Einheitspartei (SED) entstanden, die zur Regierungspartei Ostdeutschlands und spater der DDR wurde. Als uberzeugte Kommunisten wollten Genia und Gunter Nobel zum Aufbau des Sozialismus in Deutschland beitragen. Sie gingen daher freiwillig in die sogenannte Ostzone und meldeten sich auf der Suche nach Arbeit in der Berliner SED-Zentrale. Genia Nobel arbeitete zunachst fur den neuen Berliner Stadtrat. Danach wurde sie Redakteurin fur das Neue Deutschland, die offizielle Parteizeitung der SED. Spater ubernahm sie eine politische Funktion als Redakteurin bei der Zeitschrift Einheit, dem Zentralorgan zur Darstellung der Politik und Ideologie der SED. Gunter Nobel wurde von einem Freund beim Landesvorstand der SED in der Sektion Wirtschaft angestellt. Genia und Gunter Nobel hatten ihre fruhere Tatigkeit fur die US-Armee in Schanghai nie verheimlicht. Doch der Ostblock war in den spaten 1940er und fruhen 1950er Jahren beherrscht von dem Misstrauen des KPDSU-Fuhrers Josef Stalin gegenuber vermeintlichen Verratern und West-Spionen. Wer einige Zeit in kapitalistischen Landern verbracht hatte, wurde als „West-Emigrant“ abgestempelt. Juden gerieten dabei unter Generalverdacht, weil man sie als „wurzellose Kosmopoliten“ diffamierte – ein antisemitisches Stereotyp. Auch Gunter Nobel musste sich am 29. Januar 1953 einem Uberprufungsverfahren als „Westemigrant“ unterziehen. Das Verhor war Teil einer stalinistischen antisemitischen Kampagne, die sich auf ganz Osteuropa ausgeweitet hatte. Die Verhorfragen zeigten, dass die SED uber die Situation der Juden in der Nazizeit wenig informiert war. So wurde Nobel unter anderem gefragt, warum er nach Shanghai emigriert sei, statt in Deutschland zu bleiben und gegen die Nazis zu kampfen. Nach dem Verhor wurde Gunter Nobel in die Kulturarbeit versetzt. Er trat in den diplomatischen Dienst ein und leitete die Handelsdelegation der DDR in Schweden. Fur ihn bedeutete das eine Degradierung, weg von der politisch bedeutsameren Arbeit im Inland. Auch Genia Nobel wurde uberpruft, jedoch nicht degradiert, obwohl sie als Sekretarin der US-Armee der befurchteten kapitalistischen „ideologischen Verseuchung“ starker ausgesetzt gewesen war als ihr Mann. In den Folgejahren stieg sie beruflich auf. Als Redakteurin des Zentralorgans der SED verfasste sie richtungweisende Artikel und Aufsatze, haufig mit internationalem Bezug, da sie wegen ihrer China-Erfahrung als Expertin fur die Beziehung zwischen der DDR und der Volksrepublik China (VR China) galt. Doch erst Jahrzehnte spater berichteten Genia und Gunter Nobel offentlich uber ihre Shanghai-Zeit. Damit brachen sie das 25-jahrige Schweigen uber ihre Flucht, ein Thema, das bis dahin als politisch heikel gegolten hatte. Spateres Verhaltnis zu China In ihren Texten und Leitartikeln analysierte und kommentierte Genia Nobel den jeweiligen Stand der DDR-Politik gegenuber China. In der Phase freundschaftlicher Beziehungen im Jahr 1957 verteidigte sie in der Zeitschrift Einheit trotz aller kritischen Aspekte die Anti-Rechts-Bewegung der VR China. Als sich die chinesisch-sowjetischen Beziehungen in den spaten 1950er Jahren verschlechterten und es zum Bruch in der internationalen kommunistischen Bewegung kam, warf sie 1964 der VR China „Großmachtchauvinismus“ vor. Nach Mao Zedongs Tod im Jahr 1976 entspannten sich die Beziehungen zwischen der DDR und der VR China allmahlich. In dieser Zeit brach Genia Nobel ihr langes Schweigen uber ihre Erfahrungen als Fluchtling. Zwischen 1976 und 1979 schrieb sie zwei kurze Texte uber ihre Zeit in Shanghai. Dabei konzentrierte sie sich auf den antifaschistischen Widerstand und nahm nur wenig Bezug auf die chinesische Politik oder Kultur, weil das Thema China in der DDR immer noch als politisch heikel galt. In ihren Erzahlungen kritisierten die Nobels unter anderem „zionistische Tendenzen“ unter den Shanghai-Fluchtlingen und berichteten, es habe in Shanghai sogar „zionistisch-faschistische Organisationen“ gegeben. Solche Aussagen spiegelten die Anti-Israel-Stimmung wider, die in der SED Ende der 1970er Jahre vorherrschte. Der Prozess von ‚Reform und Offnung‘ in China markierte den Beginn des Ubergangs in Chinas Entwicklung von einem Außenseiter zu einem Teil des bestehenden internationalen Systems. Das fuhrte zu besseren Beziehungen zwischen der DDR und der VR China. Ende der 1980er Jahre engagierte sich Genia Nobel wieder starker in Organisationen wie dem Freundschaftskomitee DDR-China und der China-Forschungsabteilung des Instituts fur Internationale Arbeiterbewegung des Zentralkomitees der SED. 1977 verlieh die SED Genia Nobel fur ihre Verdienste den Orden Stern der Volkerfreundschaft in Silber. Von 1969 bis 1971 lebte Genia Nobel mit ihrem Mann Gunter in Stockholm, Schweden. 1980 ging sie in Rente. Leben nach 1989 Nach dem Mauerfall 1989 ruckten die Erfahrungen der Shanghai-Ruckkehrer zunehmend in den Fokus der offentlichen Aufmerksamkeit, und Genia und Gunter Nobel wurden als Zeitzeugen fur Ausstellungen und historische Forschungen interviewt. Dabei ging es meist um das Holocaust-Gedenken oder um Burgerbeteiligung und Zivilcourage im wiedervereinigten Deutschland. Zur Erinnerung an die rund 17.000 Deutschen, die vor den Nazis nach Shanghai geflohen waren, aber nur zu einem Bruchteil nach Berlin zuruckkehrten, errichtete der Berliner Senat 1997 am Gorlitzer Bahnhof eine Gedenktafel. Genia Nobel starb am 7. August 1999 im Alter von 86 Jahren. Ein Roman von Ursula Krechel aus dem Jahr 2008 (Shanghai fern von wo) dramatisiert die Erfahrungen von Genia und Gunter Nobel. Literatur Mario Keßler: Westemigranten. Deutsche Kommunisten zwischen USA-Exil und DDR. (=Zeithistorische Studien, Band 60) Bohlau & Koln 2019, ISBN 978-3-412-50044-3. Rana Mitter: Imperialism, Transnationalism, and the Reconstruction of Post-War China: UNRRA in China, 1944-7. In: Past & Present 218, Heft 8 (Januar 1, 2013), S. 51–69. R. Keith Schoppa: In a Sea of Bitterness. Refugees during the Sino-Japanese War, Harvard University Press, Cambridge (MA) 2011. Ben Shephard: The Long Road Home. The Aftermath of the Second World War, Anchor Books, New York 2012. Einzelnachweise
Genia Nobel (Eugenia Schmerling, auch als Eugenie Schmerling und Eugenie Nobel bekannt, geboren am 13. Dezember 1912 in Moskau; gestorben am 7. August 1999 in Berlin) war eine deutsche judische Widerstandskampferin und Kommunistin. Nach Verbußung einer Zuchthausstrafe wegen ihrer antifaschistischen Aktivitaten floh sie nach Shanghai und arbeitete dort fur den sowjetischen Rundfunksender TASS. Spater war sie in der DDR eine wichtige Redakteurin fur internationale Themen und erhielt den Orden Stern der Volkerfreundschaft.
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Gustawa Jarecka (geboren 23. Dezember 1908 in Kalisz, Russisches Kaiserreich; gestorben 22. oder 23. Januar 1943 bei der Deportation in das Vernichtungslager Treblinka) war eine polnische judische Schriftstellerin. Als Schreibkraft des Judenrats im Warschauer Ghetto kopierte sie heimlich Protokolle und Schriftverkehr der deutschen Besatzer, schmuggelte Dokumente fur das Untergrundarchiv Oneg Schabbat und verfasste Berichte fur den Widerstand. Kindheit und Jugend Gustawa Jarecka wurde als Tochter des Kaufmanns Moszek Jarecki aus Zagorow und Natalia Jarecka (geb. Wit) aus Posen geboren. Sie hatte zwei altere Geschwister, Irena (geb. 1899) und Albert (geb. 1902). Die Familie lebte in Łodz in der Piotrkowska-Straße 90. Nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums Stanisława Rajska in Łodz studierte sie ab 1925 Philologie an der Universitat Warschau. Ihr Studium finanzierte sie durch Nachhilfeunterricht und schloss es am 24. Februar 1931 mit einem Magistertitel ab. Nach einer nur kurz dauernden Ehe kam 1931 ihr Sohn Marek zur Welt. Sie zog ihn alleine groß, ebenso ihren 1939 geborenen zweiten Sohn Karol. Zu ihrer Zeit brauchte es viel Mut, trotz traditioneller Familienmoral und in Armut als alleinerziehende Mutter zu leben. Literarische Tatigkeit Nach dem Studium begann Gustawa Jarecka ihre schriftstellerische Laufbahn. 1932 erschien ihr Debutroman Inni ludzie (Andere Menschen). Jareckas Erzahlungen wurden in verschiedenen Zeitschriften wie Głos Poranny, Dziennik Ludowy, Gornik, Mysl Socjalistyczna und Nowa Kwadryga veroffentlicht. Ihre Werke zeichneten sich durch sozialkritische Themen aus, wobei sie gesellschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit und Armut aufgriff und judische Anliegen eher vermied. Obwohl sie sich zum Judentum bekannte, war sie eher sozialistisch orientiert und veroffentlichte haufig in linksgerichteten Zeitschriften. In den Folgejahren veroffentlichte sie weitere Romane wie Stare grzechy (Alte Sunden, 1934); Przed jutrem (Vor dem Morgen, 1936) sowie den zweibandigen Roman Ludzie i sztandary (Von Menschen und Fahnen). Um den Lebensunterhalt fur sich und ihre Kinder zu sichern, arbeitete Jarecka parallel als Polnischlehrerin in Wabrzezno. Die Stadt beschrieb sie auch in ihrem Kinderbuch Szosty Oddział jedzie w swiat (Der sechste Bezirk zieht in die Welt hinaus), das sie 1935/1936 verfasste. Zusatzlich war sie als Ubersetzerin tatig; unter anderem soll sie den Roman Nachtflug von Antoine de Saint-Exupery ins Polnische ubertragen haben. Widerstandsaktivitaten Nach dem Uberfall auf Polen 1939 durch die Deutsche Wehrmacht wurde Gustawa Jarecka – wie alle judischen Menschen in Warschau – von den Besatzern gezwungen, in das abgeriegelte Warschauer Ghetto umzuziehen. Zwar hatte sie die Moglichkeit gehabt, mit Unterstutzung polnischer Freunde illegal auf der „arischen Seite“ zu leben, doch sie entschied sich, zusammen mit ihren Kindern ins Ghetto zu gehen. Dank ihrer guten Deutsch- und Polnischkenntnisse erhielt sie 1940 eine Anstellung als Telefonistin und Schreibkraft beim Judenrat im Ghetto. Die von der SS eingesetzten Judenrate hatten keine eigene Macht, sondern lediglich die Aufgabe, die Anordnungen der Besatzer umzusetzen. Zu Jareckas Arbeitskollegen zahlte damals der deutsche Schriftsteller Marcel Reich-Ranicki, der uberlebte und Jarecka in seiner Biografie mehrfach erwahnte. Gustawa Jarecka nutzte die Buroarbeit beim Judenrat, um wichtige Informationen aus dem Sekretariat, darunter die Ankundigung von Deportationen seitens der Besatzer, an den Widerstand weiterzugeben. Sie war Mitglied der Untergrundorganisation Oneg Shabbat („Freude am Sabbat“), das waren etwa 70–80 Personen unterschiedlicher politischer und religioser Ausrichtungen, die unter Lebensgefahr die Verbrechen der Nationalsozialisten fur die Weltoffentlichkeit und fur die Nachwelt dokumentierten. Dank des Archivs, das spater als Ringelblum-Archiv bekannt wurde und heute zum UNESCO-Weltdokumentenerbe gehort, blieben ungefahr 25.000 Dokumente uber die NS-Verbrechen fur die Nachwelt erhalten. Uber die Bedeutung ihrer Arbeit schrieb Jarecka:„All diese Dokumente und Aufzeichnungen sind Uberbleibsel, die den Indizien in einer Kriminalgeschichte ahneln. Ich erinnere mich aus meiner Kindheit an einen Roman von Conan Doyle, in dem das sterbende Opfer mit zitternder Hand ein Wort an die Wand schreibt, das den Beweis fur die Schuld des Taters liefert. Dieses Wort, hingekritzelt von dem sterbenden Mann, hat mich gepragt. [...] Wir hinterlegen jetzt das Beweismaterial fur die Verbrechen.“ Dokumente der Vernichtung Jareckas Beitrage zum Untergrundarchiv waren fur den judischen Widerstand von großer Bedeutung, weil sie Zugang zu wichtigen Informationen hatte, die sie unter Lebensgefahr dokumentierte und weitergab. Auf Bitte von Emanuel Ringelblum, dem Grunder des Archivs, verfasste sie auch selbst Berichte uber die Situation im Ghetto. In einem Text vom Herbst 1942 schrieb sie uber die Statistiken, die sie fur den Judenrat anfertigen musste: „Ich verzeichne die Zahlen, und hinter den Zahlen taucht unwiderruflich das Bild der Straße auf, wie sie einmal war; tauchen Menschen auf, die nicht mehr da sind; so unerhorte Geschehnisse, dass man sie festhalt, um sich selbst davon zu uberzeugen, dass sie nicht ein Traum waren.“Am 22. Juli 1942 mussten Gustawa Jarecka und Marcel Reich-Ranicki eine grausame Anordnung der SS mitstenografieren. In einem Sitzungsprotokoll erteilten SS-Sturmbannfuhrer Hermann Hofle und andere SS-Offiziere dem Judenrat den Befehl, taglich 6.000 judische Menschen zur „Umsiedlung in den Osten“ zusammenzustellen, wie es in der Anordnung beschonigend hieß. Tatsachlich handelte es sich dabei um die Deportation der Ghettobevolkerung in Vernichtungslager und die endgultige Auflosung des Warschauer Ghettos, im SS-Geheimcode „Aktion Reinhardt“ oder auch „Große Aktion“ genannt. Nur die von der SS benotigten Hilfskrafte wie beispielsweise die Angestellten des Judenrats sollten in Warschau bleiben. Der Vorsitzende des Judenrats, Adam Czerniakow, beging daraufhin Suizid. Gustawa Jarecka soll Reich-Ranicki daraufhin geraten haben, seine Verlobte schnellstens zu heiraten, um sie vor dem Abtransport zu bewahren. Jarecka selbst uberlebte die Deportationen im Sommer 1942 nur wegen ihrer Tatigkeit fur den Judenrat. Ein anonymer Bericht mit dem Titel Die letzte Phase der Umsiedlung ist der Tod vom September 1942 wird Jarecka zugeschrieben. Der Text zielte darauf ab, die Weltoffentlichkeit uber die katastrophale Lage im Warschauer Ghetto und uber die systematische Vernichtung der judischen Bevolkerung in Kenntnis zu setzen. Verfasst ist er in einer Mischung aus dokumentarisch-sachlicher und emotionaler Sprache; mitten im Satz reißt er ab. Das vierseitige Dokument erreichte die Polnische Exilregierung in London am 15. November 1942. Darin heißt es unter anderem:„Diese Aufzeichnungen entstehen aus dem instinktiven Drang, eine Spur zu hinterlassen, aus der Verzweiflung, die einen zuweilen schreien lassen will, aus dem Willen, sein Leben zu rechtfertigen, das in todlicher Unsicherheit weiter andauert. Wir haben den Hals in der Schlinge, und wenn der Druck einen Moment nachlasst, drangt sich ein Schrei heraus. […] Wir sammeln Schuldbeweise, die fur uns selbst nutzlos sind. Diese Beweise sollten wie ein Stein ins Raderwerk der Geschichte fallen, um es zum Stillstand zu bringen. In diesem Stein steckt die ganze Last unserer Erfahrung, die den tiefsten Punkt menschlicher Grausamkeit erlebt hat. In ihm steckt die Erinnerung an Mutter, die vor Kummer wahnsinnig wurden, nachdem sie ihre Kinder verloren haben; die Erinnerung an die Schreie der Kinder, die ohne Mantel, in Sommerkleidung und barfuß auf dem Weg zum Tod getragen wurden oder weinend mitliefen, ohne zu verstehen, welches Grauen ihnen widerfuhr; die Erinnerung an die Verzweiflung betagter Mutter und Vater, die von ihren erwachsenen Kindern im Stich gelassen werden mussten; und das versteinerte Schweigen einer toten Stadt, als das Urteil uber dreihunderttausend Menschen vollstreckt wurde.“ Gustawa Jarecka starb am 22. oder 23. Januar 1943, als sie mit ihren Kindern in das Vernichtungslager Treblinka deportiert wurde. Sie soll in einem uberfullten Viehwagen erstickt sein. Romane Inni ludzie (Andere Menschen, 1931) Stare grzechy (Alte Sunden, 1934) Przed jutrem (Vor dem Morgen, 1936) Ludzie i sztandary (Von Menschen und Fahnen) mit Band 1: Ojcowie (Vater, 1938) und Band 2: Zwycieskie pokolenie (Die siegreiche Generation, 1939) Literatur Ulla-Britta Vollhardt; Mirjam Zadoff (Hrsg.): Wichtiger als unser Leben. Das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos. Wallstein-Verlag fur das NS-Dokumentationszentrum Munchen 2023, ISBN 978-3-8353-5492-0. Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben. Deutsche Verlags-Anstalt, 2013, ISBN 978-3-421-05149-3. Ruta Sakowska: Die zweite Etappe ist der Tod. NS-Ausrottungspolitik gegen die polnischen Juden, gesehen mit den Augen der Opfer. Ein historischer Essay und ausgewahlte Dokumente aus dem Ringelblum-Archiv 1941–1943. Hentrich, Berlin 1993, ISBN 3-89468-077-6. Weblinks Gustawa Jarecka - Inni ludzie (PDF, 79 MB, polnisch) Werke von Gustawa Jarecka auf Polona Shades of Heroism: Women in the Holocaust: Gustawa Jarecka auf youtube Einzelnachweise
Gustawa Jarecka (geboren 23. Dezember 1908 in Kalisz, Russisches Kaiserreich; gestorben 22. oder 23. Januar 1943 bei der Deportation in das Vernichtungslager Treblinka) war eine polnische judische Schriftstellerin. Als Schreibkraft des Judenrats im Warschauer Ghetto kopierte sie heimlich Protokolle und Schriftverkehr der deutschen Besatzer, schmuggelte Dokumente fur das Untergrundarchiv Oneg Schabbat und verfasste Berichte fur den Widerstand.
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Silvio Stampiglia (auch Animoso und Palemone Licurio; * 14. Marz 1664 in Civita Lavinia; † 26. Januar 1725 in Neapel) war ein italienischer Dichter und Librettist. Als Mitbegrunder der Accademia dell’Arcadia wird ihm damit auch die Entwicklung der Opera seria mit zugeschrieben. Seine großten Erfolge sind Camilla in ihren verschiedenen Versionen, weitere Bearbeitungen von Texten von Nicolo Minato wie zum Beispiel Serse, 1738 vertont von Georg Friedrich Handel, und La Partenope, das unter anderem 1711 in Mexiko zu Musik Manuel de Sumayas eine Erstauffuhrung in Amerika hatte und 1730 in London zu Musik von Handel gespielt wurde. Leben = Ausbildung = Silvio Stampiglia entstammte einer wohlhabenden Familie, auch wenn der Beruf seines Vaters Don Andrea mit „Kohlenhandler“ angegeben wird. Seine Mutter war Plautilla Cennami, Tochter des Giuseppe Cennami. Seine altere Schwester Agnese (* 21. Oktober 1662) heiratete Don Paolo Sarnani aus Ariccia. Neben vielen Besitztumern in Rom besaß sein Vater Andrea einen Bauernhof und ein Haus in Civita, das er von den Feudalherren der Familie Cesarini gepachtet hatte. Dort wurde Silvio geboren. Seine Mutter Plautilla gehorte zur Familie des Komponisten Pietro Antonio Cennami, der in den Jahren 1695 bis 1698 vier Oratorien komponierte. Ab 1674 trat er in das romische Collegio Nazareno ein, wo er den Namen Animoso annahm, Mitglied der Accademia degli Incolti und 1678 ihr „Vorsteher“ wurde. Sein Onkel Servilio, Erzpriester an der Stiftskirche Santa Maria Maggiore – wo er getauft worden war –, bestimmte ihn fur ein Studium der Rechtswissenschaften. So verließ er gegen seinen Willen die Nazarener. Wenig spater gab er diese Jura-Vorlesungen auf und ging zu dem Mathematiker Giordano Vitale (1633–1711), der vor allem fur sein Theorem zum Saccheri-Viereck bekannt wurde. Doch auch dort hielt es ihn nicht lange und er begann, sich mit Poesie zu beschaftigen. = Berufliche Karriere = Sein Großonkel mutterlicherseits, Rocco Jacomini, Gentiluomo di Sua Santita bei Lorenzo Onofrio Colonna (1637–1689), hatte ihn zuvor schon zu Auffuhrungen im Teatro Contestabile Colonna mitgenommen und spielte dort bald selbst auch mit. „Im Alter von 17 Jahren begann er, einige Oratorien und Serenaden aufzufuhren.“ 1683 erschien eine seiner Sonetten in Maria Antonia Scalera Stellinis tragikomischer Oper Il Coraspe redivino. Stellini konnte erwirken, Silvio durch die Aufnahme in die Accademia degli Sfaccendati zu fordern. Bald arbeitete er fur die Herzoge von Paliano, Mitglieder der Familie Colonna. Ein von ihm komponiertes Geburtstagsstandchen fur die Braut des Kronprinzen Philippo, die spanische Adelige Lorenza de la Cerda y Aragon, das im August 1683 im Palazzo Colonna vorgetragen werden sollte, kam wegen der Zweiten Turkenbelagerung von Wien nicht zur Auffuhrung. Neue Moglichkeiten eroffneten sich durch Lorenzas Bruder, Luis de la Cerda y Aragon (1660–1711), einen großen Liebhaber des Theaters und der Musik, der im Juli 1687 als Botschafter in Rom eintraf. In diesem gunstigen Klima entstand Stampiglias erstes wichtiges Werk, das Oratorium Santo Stefano primo re dell’Ungheria, auch Oratorio dei Filippini. 1712 verfasste Antonio Caldara unter dem gleichen Titel ein Oratorium nicht geistlichen, sondern politischen Inhalts, das die Eindrucke des Spanischen Erbfolgekriegs verarbeitete und von Alessandro Scarlatti vertont wurde. Stampiglias Werk war Furst Livio Odescalchi (1652–1713), dem Neffen von Innozenz XI., gewidmet und wurde am 9. Marz 1687 zu Musik von Flavio Lanciani (1761–1706) uraufgefuhrt. Das Oratorium huldigte dem Herrscher, der Ungarn wieder der Katholischen Kirche zugefuhrt hatte, und wurde fur Stampiglia zur Eintrittskarte in die romische Bruderschaft Stimmate di San Francesco, in die er am 1. August 1688 aufgenommen wurde. Die Grundung der Accademia dell’Arcadia am 5. Oktober 1690 geht mit auf seine Initiative zuruck – entsprechend gehorte er auch zu den Grundungsmitgliedern – und resultiert aus dem Zusammenschluss mehrerer Kunstler, zu denen auch die Literaten Giovanni Mario Crescimbeni, Giambattista Felice Zappi, Vincenzo Leonio, Pompeo Figari und Giovanni Vincenzo Gravina gehorten, die sich zuvor schon zur Accademia degli Infecondi zusammengeschlossen hatten. Dort firmierte er unter dem Namen Palemone Licurio. Am 20. Nai 1696 hielt er eine feierliche Rede bei der Generalversammlung uber die „Gesetze“, die in den Farnesischen Garten auf dem Palatin stattfand. 1690 erhielt Stampiglia von Kardinal Pietro Ottoboni, einem Urenkel von Alexander VIII., den Auftrag fur einen Text einer Kantate, die zu der Musik von Flavio Lanciani im Vatikan vor dem Papst und den Kardinalen zur Auffuhrung kam. Weitere Konzerte folgten 1701 in Rom und Florenz. Zwei Jahre spater schrieb er zur Hochzeit von Margherita Farnese (1664–1718) mit Francesco II. d’Este Il fortunato oratorio Il martirio di S. Adriano, zu dem Francesco Antonio Pistocchi die Musik lieferte. Zwar wird in dem ursprunglichen Libretto Stampiglias Name nicht aufgefuhrt, doch wurde er auf der venezianischen Ausgabe von 1699 abgedruckt, was die Vermutung zulasst, dass sich das Ansehen von Stampiglia in der Zwischenzeit weiter verfestigt hatte. Dies wird durch die Biografische Lobrede Pier Caterino Zenos von 1733 bestatigt, der zu diesem Lebensabschnitt Stampiglias meinte, dass jener „seine Hande in jeder Oper hatte“, uberarbeitete er doch in den Jahren 1692 bis 1696 Dramen fur Musik von Nicolo Minato, Adriano Morselli (1600–1691), Giulio Cesare Corradi, Nicolo Beregan und Matteo Noris, die zum Karneval im Teatro Tordinona aufgefuhrt wurden, teils mit maßgeblichen Veranderungen. Trotz dieser hohen Zahl von etwa zehn Werken ist sein Name nur bei Xerse und Tullus Hostilius – beide von 1694 – im kollektiven Musikgedachtnis geblieben. Dies auch, weil 1738 Handel dieses Werk aufgriff und es neu herausbrachte. Allein vier Opern wurden von Giovanni Bononcini vertont, der seit 1691 in den Diensten von Lorenza de la Cerda Colonna stand. In diesen Jahren entstanden weitere Oratorien und Serenaden, etliche davon fur Namens- und Geburtstage der Braute des Prinzen Philip Colonna und des Botschafters Maria Tellez Giron y Sandoval. Alle wurden im Colonna-Palast oder im Spanischen Palast uraufgefuhrt und „wurden wegen der Erlesenheit der Verse hochgeschatzt“. Am 29. Dezember 1695 wurde Luis de la Cerda y Aragon, seit 1691 Herzog von Medinaceli, von Karl II. zum Vizekonig von Neapel ernannt. Mit Luis sollte sich das spatere Schicksal des Dichters verbinden. Luis holte seinen Landsmann Stampiglia nach Parthenope, um das kulturelle Leben dieser alten Stadt in musikalischer und theatralischer Hinsicht aufzuwerten. Ob sich Stampiglia dauerhaft in Neapel niederließ, ist jedoch unsicher. Entsprechend widmete er die ersten funf hier geschriebenen Opern der Vizekonigin Maria. Besonders die erste mit einer Musik von Bononcini Il trionfo di Camilla regina de’ Volsci hatte einen dauerhaften Erfolg: Sie wurde im Teatro San Bartolomeo am 27. Dezember 1696 uraufgefuhrt, wurde im 18. Jahrhundert zunachst in Italien wiederaufgenommen und gehort zu den ersten Opern, die in London in englischer Sprache zur Auffuhrung kamen – bei Beibehaltung der Originalstrophen in den Arien. In den Jahren 1706 bis 1726 wurde sie in dieser Fassung 111-mal aufgefuhrt. Drei Opern entstanden in Zusammenarbeit mit dem Koniglichen Kapellmeister Alessandro Scarlatti (La caduta de’ Decemviri, 1697; L’Eraclea, 1700; Tito Sempronio Gracco, 1702) und zu Karneval 1699 La Parthenope mit der Musik von Luigi Mancia. Dieses Drama war ebenfalls sehr erfolgreich und wurde ein halbes Jahrhundert lang in Italien und Europa aufgefuhrt und konnte das erste gewesen sein, das in Amerika zur Auffuhrung kam. Dazu existiert ein undatiertes, zweisprachiges Libretto fur eine Inszenierung im Vizekonigspalast in Mexiko-Stadt, das in den Jahren 1714 bis 1732 gedruckt sein muss. In diese neapoletanische Phase Stampiglias fallt auch die Heirat mit der Romerin Brigida Vivaldi, deren Familie aus Taggia in Ligurien stammte. Das erste von insgesamt drei Kindern, die in Neapel geboren wurden, war Luigi Maria (* 25. November 1798). Dessen Name war eine Hommage an die Taufpaten Luis und Maria de la Cerda. Der Name der Zweitaltesten Lavinia Maddalena ehrte das Land, in dem sie geboren wurde. Ferner kam noch Leopoldo (* 6. Januar 1700) in Neapel zur Welt, starb aber noch im selben Jahr. Von den anderen drei, spater geborenen Kindern uberlebten zwei weitere das Kindesalter nicht. Mit dem Tod Karls II., dem Ausbruch des Spanischen Erbfolgekriegs und der Macchia-Verschworung wurde Luis de la Cerda zuruck in sein Heimatland beordert. Nur kurze Zeit noch blieb Stampiglia unter seinem neuen Dienstherrn, dem Herzog von Escalona, in Neapel. In dieser Zeit (Fruhjahr 1702) durfte er zwischen dem Vizekonig und Kardinal Ottoboni als Vermittler anlasslich des Besuchs von Philipp V. gewirkt haben, Arcangelo Corelli, der gleichfalls in den Diensten Ottobonis stand, nach Neapel zu holen. In den Jahren 1798 bis 1809 waren alle Opernhauser in Rom geschlossen. Stampiglia versuchte daher sein Gluck in Florenz, wo er unter Ferdinando I. de’ Medici zwei Dramen entwarf, die zu Musik von Domenico Scarlatti gesetzt wurden: im September 1704 Turno Aricino und ein Jahr spater Lucio Manlio l’imperioso. In der Karnevalszeit 1705 uberarbeitete Stampiglia zwei venezianische Dramen, Gli amanti generosi (Musik von Francesco Mancini) und Il piu fedel tra vassalli (Giuseppe Aldrovandini), die in Neapel aufgefuhrt wurden. Ein Sonett spielt auf seinen Aufenthalt in Venedig an, der uber den Jahreswechsel 1705/ 1706 erfolgt sein durfte. Ende 1706 wurde Stampiglia als Caesarendichter Nachfolger von Donato Cupeda in Wien und wirkte unter Joseph I., der mit Frankreich, spater auch mit Italien im Krieg stand. Dort traf er auch wieder auf Giovanni Bononcini, der nach dem Tod der Contabilessa Lorenza (21. August 1697) an den kaiserlichen Hof berufen worden war. Mit dem plotzlichen Tod des Kaisers am 17. April 1711 und der Kronung Karls VI. am 22. Dezember 1711 verschlechterten sich die Verhaltnisse fur Stampiglia: Hatte er unter Joseph I. das stattliche Gehalt von 4000 Gulden erhalten, musste er jetzt um den Erhalt seines Lebensstandards kampfen, wie in einem Sonett angedeutet wird: „der Autor die Gnade des Aug. Imp. Karl VI. erfleht“. Entsprechend durftig waren seine Ergebnisse: 1711 schrieb er nur ein Libretto fur ein Oratorium, 1713 gab es lediglich ein weiteres Werk fur den Hof, eine Komposition fur die Ankunft der Kaiserin von Barcelona in Mailand. Damit endete auch die Zusammenarbeit mit Bononcini, der Wien Ende 1713 in Richtung Rom verließ. Karl VI. setzte Apostolo Zeno offiziell als Nachfolger Stampiglias ein, doch dieser blieb zunachst in Wien, auch, weil offensichtlich ein ansonsten gutes Verhaltnis zum Adel bestand. Auffallig ist jedoch das Schweigen der Quellen zu diesem Lebensabschnitt. Ab 1718 war der Dichter wieder in Rom und schrieb unter anderem fur den habsburgischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Gallas, dann fur Kardinal Michael d’Althann und 1718 sowie 1720 zwei Weihnachtskantaten fur Papst Clemens XI. Daneben betreute er die Neufassung zweier Dramen fur die Teatri Pace e Capranica und erneuerte seinen Kontakt zur Accademia dell’Arcadia, die er 1690 mitgegrundet hatte. Dort entstand unter seiner Mitwirkung eine Biografie zu Paolo Antonio del Nero (1666–1718). Auch begann er nun, seine eigenen Verse zu sammeln. Von Michael d’Althann, der seit Juli 1720 kaiserlicher Bevollmachtigter war, erhielt er in den Jahren 1720 und 1721 den Auftrag fur eine Kantate zum Namenstag der Kaiserin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbuttel, die von Pietro Paolo Bencini vertont wurde. Es bestand weiterhin enger Kontakt zu Wien. Stampiglia erhielt 1722/1723 Auftrage fur ein oder zwei Oratorien. Mit der Einsetzung Althanns als Vizekonig gehorte Stampiglia zu seinem Gefolge und diente als sein Sekretar. Trotz zunehmender Gebrechlichkeit gab er 1722 eine Neufassung seiner Oper Partenope mit den komischen Zwischenspielen Eurilla und Beltramme (Musik von Domenico Sarro) heraus, die gleichfalls sehr erfolgreich wurde. Es folgten im Januar 1724 in Zusammenarbeit mit Nicola Porpora die epithalmische aristokratische Serenade Hymenaeus, die spater von seinem Sohn Luigi Maria 1732 unter dem Titel Jason uberarbeitet wurde, und im Herbst 1724 mit Leonardo Vinci eine neue Version von Heraclea. Auch in der Spielzeit 1724/1725 war er mit einigen Dramen, teils mit bearbeiteter, teils mit neuer Musik aktiv. Seine angeschlagene Gesundheit wurde schon fruhzeitig auf Leberzirrhose in Kombination mit Atembeschwerden diagnostiziert. Durch einen Reitunfall im Januar 1725 war er so sehr geschwacht, dass er bald darauf starb. Werke Das uberaus vielfaltige Œuvre Silvio Stampiglias ist vor allem fur seine Musikdramen bekannt, er schrieb aber auch Serenaden und mehrere Kompositionen. Zu den wichtigsten lyrischen Werken zahlen Xerse (1694), Tullus Ostilio (1694), Il trionfo di Cammilla regina de Volsci (1696), Der Fall der Decemvirs (1699), La Partenope (1709) und Caio Gracco (1710). La Partenope war die erste italienische Oper, die 1711 in der Neuen Welt, in Mexiko, aufgefuhrt wurde. Stampiglia hat mit allen großen Komponisten seiner Zeit im Umfeld Italiens zusammengearbeitet, hauptsachlich mit dem Modenser Giuseppe Boniventi, aber auch mit Alessandro Scarlatti, Arcangelo Corelli, Domenico Scarlatti und Luigi Mancia. Der Erfolg seiner Werke hat auch ihr Schaffen beflugelt. Stampglias Werke sind auch nach seinem Tod noch mehrfach „gecovert“ worden und waren teils genauso erfolgreich wie die Originale. Idealtypisch ist sein Werk Il trionfo di Cammilla regina de Volsci, das La Partenope sehr ahnelt und in London sehr erfolgreich war. Die Heldin Camilla, als Hirtin verkleidet, kommt in die Volsker Landschaft, um Konig Latinus vom Thron zu verdrangen, weil sie die eigentliche Erbin von Parthenope ist. „Ohne es zu wissen, verliebt sie sich in Prenesto, den Sohn des Latinus. Das ganze Werk ist voller Liebesintrigen und politischer Verschworungen. Am Ende uberwindet die Liebe alle Schwierigkeiten und die Zwietracht zwischen den beiden Volkern wird ausgeloscht.“ Stampiglia gehorte zur ersten Generation der Reform-Librettisten, die ihren Werken durch klarere Handlungsstrange, Verzicht auf Unmoralisches, Wunder und Manierismen eine deutlichere Stringenz verliehen. Daruber hinaus gab es feste Personenkonstellationen und die Arien wurden, um den Handlungsverlauf nicht zu storen, ans Ende einer Szene gelegt. Thematisch ging es um Politik und Beziehungen; auch aktuelle Anspielungen wurden nicht gescheut, durch die szenische Verlegung auf historische Schauplatze aber eine unmittelbare Auseinandersetzung vermieden. Literatur Saverio Franchi, Orietta Sartori: Stampiglia, Silvio. In: Raffaele Romanelli (Hrsg.): Dizionario Biografico degli Italiani (DBI). Band 94: Stampa–Tarantelli. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom 2019. Norbert Dubowy: Stampiglia, Silvio. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 15 (Schoof – Stranz). Barenreiter/Metzler, Kassel u. a. 2006, ISBN 3-7618-1135-7, Sp. 1314–1316 (Werkeverzeichnis) Alfred Noe: Stampiglia, Silvio (Pseud. Palemone Licurio). In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 5, Verlag der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2006, ISBN 3-7001-3067-8. (S. 2280f.) Lowell Lindgren: Stampiglia, Silvio, in: Grove Dictionary of Music and Musicians, Band 24, 2001, S. 272f. Weblinks Stampiglia, Silvio. In: Enciclopedia on line. Istituto della Enciclopedia Italiana, Rom. Werke: Stampiglia, Silvio (1664-1725) auf Repertoire International des Sources Musicales (RISM) Literatur von und uber Silvio Stampiglia im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Veroffentlichungen von Silvio Stampiglia im OPAC des Servizio Bibliotecario Nazionale (SBN) Gaetano Pitarresi: Intorno a Silvio Stampiglia. Libretiisti, compositori e interpreti nell'eta premetastasiana. Atti del Convegno Internazionale di Studi (Reggio Calabria, 5.–6. Oktober 2007), Laruffa, ISBN 978-88-7221-502-9. Gesammelte Zeitungsveroffentlichungen in der Gazzetta di Napoli fur den Zeitraum 1696 bis 1760. Einzelnachweise
Silvio Stampiglia (auch Animoso und Palemone Licurio; * 14. Marz 1664 in Civita Lavinia; † 26. Januar 1725 in Neapel) war ein italienischer Dichter und Librettist. Als Mitbegrunder der Accademia dell’Arcadia wird ihm damit auch die Entwicklung der Opera seria mit zugeschrieben. Seine großten Erfolge sind Camilla in ihren verschiedenen Versionen, weitere Bearbeitungen von Texten von Nicolo Minato wie zum Beispiel Serse, 1738 vertont von Georg Friedrich Handel, und La Partenope, das unter anderem 1711 in Mexiko zu Musik Manuel de Sumayas eine Erstauffuhrung in Amerika hatte und 1730 in London zu Musik von Handel gespielt wurde.
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Die franzosische Strafexpedition nach Korea war eine Reaktion auf die Hinrichtung mehrerer franzosischer Missionare im Konigreich Korea im Fruhjahr 1866. Im selben Jahr wurde eine Expedition ausgerustet, welche auf Ganghwado landete, sich dann aber nach mehrwochigen Kampfhandlungen zuruckziehen musste. Die Folge in Korea selbst war eine Verstarkung der als erfolgreich gesehenen Isolationspolitik. In Frankreich werden diese Ereignisse als „Expedition francaise en Coree“ bezeichnet, der koreanische Name lautet „병인양요“ (koreanisch: 병인양요 Byeongin-yangyo; Hanja: 丙寅洋擾; „Auslandische Storung des Jahres Byeong-in“). Auf Chinesisch wird der koreanische Name verwendet (chinesisch 丙寅洋擾, Pinyin bing yin yang rao). Vorgeschichte In Korea kam es im Fruhjahr 1866 zu erneuten Verfolgungen von Katholiken. Die auslandischen Priester waren Angehorige der Pariser Mission; von diesen zwolf Priestern entkamen nur drei den Verfolgungen. Dazu gehorte auch Felix-Claire Ridel: Seine Glaubigen ermoglichten ihm die Flucht in einem Boot nach China, wo die Fluchtlinge im Juli 1866 in Yantai ankamen und europaischen Stellen Bericht erstatteten. Vorbereitungen zur Strafexpedition In Tianjin wurde so Konteradmiral Pierre-Gustave Roze informiert, welcher als Kommandeur der franzosischen Fernostlichen Marinedivision gerade in China weilte. Kommandeur Roze und der geschaftsfuhrende Konsul Henri de Bellonet in Peking machten sich sofort fur eine Strafexpedition gegen Korea stark, um die geschmalerte Ehre Frankreichs wiederherzustellen und das Massaker zu rachen. Damit sollte auch eine Abschreckungswirkung gegenuber den Verfolgern von Christen in China verfolgt werden. Bellonett beschuldigte die Qing-Regierung der Mitkomplizenschaft bei den Byeongin-Verfolgungen. Die Qing-Regierung antwortete irritiert, dass sie nichts mit den Angelegenheiten von Joseon zu tun habe. Angesichts der Tatsache, dass Frankreich keine diplomatischen Beziehungen zu Korea unterhielt, traf Bellonnet bereits die ersten Vorbereitungen, ohne die Antwort des franzosischen Außenministeriums abzuwarten: Er drohte dem Zongli Yamen mit der franzosischen Besetzung Koreas und erteilte Roze den Marschbefehl, welchen dieser mit dem Versprechen quittierte, die neun Missionare mit dem Leben von 9000 Koreanern zu rachen. Roze reiste dennoch zuerst nach Saigon in Franzosisch-Indochina, wo er sich mit seinem Vorgesetzten, Admiral Pierre-Paul de La Grandiere, uber den bevorstehenden Einsatz abstimmte. Eine rasche Expedition wurde den Franzosen unter anderem dadurch erschwert, dass es uber das Land so gut wie keine Informationen gab: Es fehlten sowohl Kartenmaterial zur sicheren Navigation in Kustengewassern wie auch Informationen uber die militarische Starke der Koreaner. Auch Sprach- und andere Landeskenntnisse fehlten, abgesehen von wenigen Leuten wie Ridel, die sich im Land auskannten: Ridel wurde als Berater in die weitere Operation einbezogen. Roze fragte auch den walisischen Priester Robert Jermain Thomas an, der wenige Monate vor den Verfolgungen aus Korea ausgewiesen worden war. Thomas war begierig auf seine rasche Ruckkehr nach Korea, doch als sich die franzosischen Vorbereitungen in die Lange zogen, entschied er sich stattdessen fur die Fahrt auf dem US-amerikanischen Dampfschiff General Sherman. Roze sandte zuerst eine Erkundungsmission in die koreanischen Gewasser, welche von Ende September bis Anfang Oktober dauerte. Sie erbrachte rudimentare Karten fur die Navigation, insbesondere fur das Mundungsgebiet des Han-Flusses und die Umgebung der Hauptstadt Hanyang (Seoul). Zwei der drei Erkundungsschiffe (Deroulede und Tardif, nicht aber die Primauguet s. u.) stießen am 25. September auch flussaufwarts auf dem Han-Fluss bis kurz vor Hanyang selbst vor. Von einigen der Kustenforts wurden Schusse abgefeuert, und zwei Dschunken wurden bei ihrem Versuch versenkt, die Franzosen zu stoppen. Die franzosischen Aufklarungsschiffe ankerten mehrere Tage vor Hanyang und storten den Alltag nachhaltig. Bald wurde klar, dass eine Landung direkt bei Seoul oder gar eine Belagerung und Einnahme der stark befestigten Hauptstadt aussichtslos sein wurde; gerade auch, weil eine nur schmale Fahrrinne bei der Han-Mundung fur die großeren franzosische Schiffe Manovrierhindernisse bedeutete und der Han-Fluss selbst nur fur leichte Boote schiffbar war. Roze plante stattdessen, die strategische Lage der großen Insel Ganghwa zu nutzen, die direkt gegenuber der Flussmundung westlich von Seoul lag und von der aus auch aller Schiffsverkehr kontrolliert werden konnte. Rozes Uberlegung war, dass eine Blockade des Hafens von Seoul die Koreaner zum Einlenken und zur Zahlung von Reparationen bewegen wurde. Zugleich stellte Konsul Bellonet von Peking aus unerfullbare Bedingungen an den koreanischen Hof, bis hin zu der Forderung, dass der minderjahrige Konig (statt seiner regierte Prinz Heungseon Daewongun) abdanken solle und die Souveranitat Koreas in franzosische Hande gelegt werden musse. Bellonet handelte hier allerdings ohne Anweisung durch das Außenministerium in Paris oder Napoleon III., wofur Roze ihn kritisierte. Der mit ganz anderen politischen Problemen befasste Yixin (der chinesische Prinzregent Gong) weigerte sich zudem, den franzosischen Depeschen nach Korea mit dem kaiserlichen Siegel Nachdruck zu verleihen. Auch die Koreaner bereiteten sich nun auf eine Wiederkehr der Schwarzen Schiffe nach Hanyang vor: Die Aufrustung der Kustenverteidigung mit neuen Forts war bereits im Gange; Waffen wurden produziert und Vorrate aufgestockt. Um ein erneutes Vorstoßen westlicher Schiffe bis direkt vor den Hafen der Hauptstadt zu verhindern, versenkten die Koreaner mehrere Dschunken an der Flussmundung, um diese zu blockieren. Zudem bemuhten sich die Koreaner, von den sonst ungeliebten Japanern Hilfe zu erhalten, doch vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der Edo-Regierung kamen lediglich zwei Gesandte nach Hanyang. Sie schlugen eine friedliche Beilegung des Konflikts durch einen Abbau der Handelsbeschrankungen vor. Beginn der Expedition Am 11. Oktober brach Roze von Yantai aus nach Korea auf, mit der Fregatte Guerriere als Flaggschiff, begleitet von zwei Avisos (Kien-Chan und Deroulede), zwei Kanonenbooten (Le Brethon und Tardif) sowie zwei Korvetten (Laplace und Primauguet). An Bord waren auch 300 Marinesoldaten der Fusiliers marins, die Roze aus Yokohama abgezogen hatte. Die Gesamtstarke seiner Streitmacht wird im Nachhinein auf etwa 800 Mann geschatzt. Am 16. Oktober landeten die ersten 170 Marinesoldaten auf der Insel Ganghwa und ubernahmen mehrere Festungsbauten, von denen aus das Han-Mundungsgebiet ubersehen werden konnte. Auch die befestigte Kleinstadt Ganghwa-eup mitsamt einem koniglichen Sommerpalast wurde eingenommen. Dabei konnten die Franzosen Flaggen, 80 Bronze- und Eisenkanonen, Nahkampfwaffen und Rustungen aller Art sowie 8000 Musketen erbeuten, aber auch Wertgegenstande wie 19 Kisten mit Silber- und Goldbarren, Lackkunst, Jade und etwa 345 Manuskripte der koniglichen Bibliothek auf der Insel. Auf Ganghwa befand sich auch das befestigte Kloster Jeondeungsa mit dem altesten buddhistischen Tempel der koreanischen Halbinsel – es lag aber zu abgelegen, als dass es zu diesem Zeitpunkt fur die Operation Rozes von Interesse gewesen ware. Auf dem Festland war mittlerweile die Streitmacht des Generals Yi Yong-Hui mobilisiert worden, der die wiederholten Aufforderungen von Admiral Roze zu Reparationszahlungen ignorierte, allerdings erwiderte, dass die Missionare nach geltendem Recht behandelt worden seien. Zudem befestigten die Koreaner Tong-chin auf dem Festland. Die Bevolkerung wurde unter Androhung der Todesstrafe vor Zusammenarbeit oder Friedensvorschlagen gewarnt. Eine Botschaft des koreanischen Generals Ni vom 19. Oktober wiederum drohte auch den illegal eingedrungenen Franzosen mit der Todesstrafe, wobei er chinesische Klassiker zitierte. Am 26. Oktober kam es zu einem Landungsversuch von 120 Marinesoldaten auf dem Festland sudlich von Tong-chin, um das befestigte Kloster Munsusanseong (auch Fort Munsu, heute in Yangchon, Stadtteil von Gimpo) einzunehmen, welches auf halbem Weg nach Seoul lag. Die Franzosen trafen auf eine gut organisierte Gegenwehr der Koreaner, konnten sie aber uberwinden und den Ort einnehmen. Angesichts der koreanischen Verstarkung, die einen nachtlichen Gegenangriff vorbereitete, zogen sich die Franzosen wieder zu ihren Schiffen zuruck. Bei der befestigten Stellung Gwangsung zeichnete sich auf koreanischer Seite der Kommandeur Eo Jae-yeon aus. Am 27. Oktober stießen Rozes Manner erstmals auf nennenswerte Gegenwehr auf der Insel Ganghwa: Ein Kommando von 800 koreanischen „Tigerjager“-Scharfschutzen hatte die Han-Mundung uberquert und in dem schwer zuganglichen Kloster Jeondeungsa Stellung bezogen. Weder gelang es diesen Koreanern, die Stadt und Festungen von Ganghwa zuruckzuerobern, noch gelang den Franzosen mit 160 Mann die Einnahme des Klosters; sie mussten sich mit dutzenden von Verletzten zuruckziehen. Am 7. November befahl Roze einen zweiten Landeversuch, um Munsusanseong einzunehmen. In dem Gefecht zwischen 160 Marinesoldaten und 543 koreanischen Verteidigern wurden drei Franzosen getotet und 36 verwundet, bevor der Ruckzug angeordnet wurde. Nach diesem zweiten Anlauf beschrankten sich die Ambitionen Rozes auf die Insel Ganghwa, die er bereits genauer erkundet und befestigt hatte. Außer an Reparationen war Roze auch an dem Schicksal der letzten beiden in Korea verbliebenen franzosischen Missionare interessiert. Die koreanische Seite zeigte sich zu keinen Verhandlungen oder Unterredungen bereit. Sie setzte vielmehr ihre Mobilisierung fort, doch Roze konnte dank einiger ubergelaufener katholischer Koreaner in Erfahrung bringen, dass die gesuchten Priester auf dem Landweg nach China geflohen seien. Da es also niemanden mehr zu retten galt, entschied sich Roze am 9. November fur einen strategischen Ruckzug. Die zahlenmaßige Uberlegenheit der Koreaner mit zehntausenden von Soldaten und Freiwilligen sowie das einsetzende Winterwetter bestarkten Roze in diesem Beschluss. Vor seinem Abzug am 12. November ordnete Roze noch die Beschlagnahmung aller Wertgegenstande in den Lagerhausern und Verwaltungsgebauden von Ganghwa an und ließ diese Gebaude dann von den Schiffen aus beschießen. Roze zog nach Yokohama ab, wo er am 13. Januar 1867 die erste franzosische Militarmission in Japan in Empfang nehmen konnte; sie sollte das japanische Militar nach westlichen Standards modernisieren. Folgen Das eher durftige Ergebnis der Expedition vor ihrem Ruckzug wurde in Korea als Sieg des Joseon-Regimes uber westliche Invasoren gelesen und auch in Frankreich als Scheitern verstanden. = Im Westen = Der Verbleib der General Sherman, die im August desselben Jahres in Pjongjang aufgebracht worden war, hatte mittlerweile auch die Amerikaner in China alarmiert, und im Dezember sowie im Fruhjahr 1867 wurde kurz eine gemeinsame franzosisch-amerikanische Expedition im Fruhjahr erwogen. Diese Plane wurden aber fallengelassen; die Amerikaner wollten erst genauere Berichte abwarten und die Franzosen wollten nach der gescheiterten Intervention in Mexiko auch ihre Prasenz in Ostasien einschranken; Korea war kein Hauptanliegen der franzosischen Außenpolitik. Nach dem Deutsch-Franzosischen Krieg nur vier Jahre spater geriet die Episode in Paris in Vergessenheit. Auch die Briten waren an einer Unternehmung nicht interessiert. So kam die Amerikanische Expedition nach Korea 1871 erst funf Jahre spater ohne Teilnahme einer europaischen Macht zustande. Auch die Strategie der Amerikaner sollte auf der Einnahme von Ganghwa beruhen; auch sie mussten sich angesichts einer unbeugsamen politischen Haltung des Konigreichs schließlich wieder zuruckziehen. Die Nachricht von der franzosischen Schlappe befeuerte auch den Nationalismus und Widerstand gegen das Christentum in anderen asiatischen Landern, so wird etwa ein Zusammenhang zu dem Massaker von Tianjin am 21. Juni 1870 gesehen. Konteradmiral Roze wurde 1868 nach Frankreich zuruckbeordert; er stieg 1869 zum Vizeadmiral auf. In seinem abschließenden Bericht zu seinem Einsatz in Korea gab Roze am 15. November zu Protokoll, dass seine Expedition die Grundlagen fur eine nachfolgende Operation gelegt habe. Auch wenn eine solche nicht erfolgen wurde, so habe er dennoch den Mord an den Missionaren geracht und den Glauben der Koreaner an ihre Unantastbarkeit und ihr Vertrauen in die Isolationspolitik erschuttert. Das Konsulat und Bellonett teilten seine Ansicht jedoch nicht, es kam weder zu einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen noch zu einem Nachlass der Verfolgungen. = In Korea = Korea hatte nach der Verfolgung der Katholiken im Fruhjahr, der Abwehr des amerikanischen Dampfschiffs General Sherman im August/September und der Abwehr der franzosischen Expedition im Oktober/November mehrere Erfolge seiner Isolationspolitik gegenuber auslandischen Einflussen zu verzeichnen gehabt. Die Uberzeugung von Regent Daewongun, dass Christen „auslandische Rekruten“ und somit Landesverrater seien, festigte sich angesichts der westlichen Nichtbeachtung der koreanischen Isolationspolitik immer weiter. Hatte er sich bislang noch vor allem auf die christlichen Radelsfuhrer konzentriert, ließ er nun eine großangelegte Verfolgung von Katholiken anordnen und tausende von Glaubigen enthaupten. In Seoul wurde der Kustenfelsen Jeoldu-san (koreanisch 절두산 bzw. 切頭山, Enthauptungs-Felsen) zu einer Hinrichtungsstatte fur geschatzt zweitausend Katholiken. Nach dem Abzug der Invasoren wurde erneut die Heirat des vierzehnjahrigen Konigs Gojong gefeiert; die offizielle Vermahlungszeremonie hatte bereits im Marz stattgefunden. Die Heirat war ein zweiter Anlass zu großen Feierlichkeiten in Korea; ein chinesischer Diplomat berichtete ausfuhrlich von den harmonischen Umstanden dieser Hochzeit. 1873/1874 zwang der dann volljahrige Gojong seinen Vater aus rein innenpolitischen Grunden zum Rucktritt. 1876 wurde Korea fur die Außenwelt geoffnet, allerdings durch die Streitmachte Japans unter der Fuhrung von Kuroda Kiyotaka. Dessen militarische Prasenz zwang dem Land den ungleichen Vertrag von Ganghwa auf und offnete so drei Hafen Joseons. Die westlichen Machte konnten daraufhin ebenfalls Vertrage mit Korea abschließen; Japan hatte aber von nun an die Vorrangstellung unter den auslandischen Machten in Korea und konnte das Land 1905 zu einem Protektorat Japans machen. Die Franzosen hatten in Ganghwa unter anderem 297 Uigwe aus dem 14. bis 19. Jahrhundert geraubt, also Protokolle und andere Unterlagen des Joseon-Konigshofs, die auf der Insel Ganghwa gesichert aufbewahrt werden sollten. Diese Dokumente bildeten den Grundstock der Koreasammlung in der Bibliotheque nationale de France. Im Fruhjahr 2011 vereinbarten Lee Myung-bak und Nicolas Sarkozy, die Prasidenten von Sudkorea und Frankreich, die Ruckfuhrung der Bucher nach Korea, die seit Juni 2011 als Leihgabe wieder im Koreanischen Nationalmuseum aufbewahrt werden. Weblinks Einzelnachweise
Die franzosische Strafexpedition nach Korea war eine Reaktion auf die Hinrichtung mehrerer franzosischer Missionare im Konigreich Korea im Fruhjahr 1866. Im selben Jahr wurde eine Expedition ausgerustet, welche auf Ganghwado landete, sich dann aber nach mehrwochigen Kampfhandlungen zuruckziehen musste. Die Folge in Korea selbst war eine Verstarkung der als erfolgreich gesehenen Isolationspolitik. In Frankreich werden diese Ereignisse als „Expedition francaise en Coree“ bezeichnet, der koreanische Name lautet „병인양요“ (koreanisch: 병인양요 Byeongin-yangyo; Hanja: 丙寅洋擾; „Auslandische Storung des Jahres Byeong-in“). Auf Chinesisch wird der koreanische Name verwendet (chinesisch 丙寅洋擾, Pinyin bing yin yang rao).
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Ina Benita (eigentlich Inna [oder Janina] Benita Florow-Bułhak; * 1. Marz 1912 in Kiew, Russisches Kaiserreich; † 9. September 1984 in Mechanicsburg, Vereinigte Staaten) war eine polnische Schauspielerin, die auch als erste Femme Fatale des polnischen Kinos in der Zwischenkriegszeit bezeichnet wurde. Erst in den 2010er Jahren wurde allgemein bekannt, dass sie den Zweiten Weltkrieg uberlebt hatte und 1984 gestorben war. Leben Ina Benita stammte aus einer russischsprachigen, orthodoxen Familie, ihr Vater war Mikołaj (Nikolai) Aleksandrowicz Florow-Bułhak (1875–1944), ein Justizbeamter, und ihre Mutter hieß Helena geb. Jeszczenko (1880–1920). Im Fruhjahr 1920, als die Polnische Armee kurzfristig Kiew eroberte, nutzten sie die Gelegenheit und flohen mit ihrer Tochter aus der Sowjetunion nach Warschau, da das Leben in Kiew fur sie nach der Oktoberrevolution „zur Holle geworden“ sei. Ina besuchte dort die Grundschule und lernte Polnisch sehr schnell und so gut, dass niemand merkte, dass es nicht ihre Muttersprache war. Der Vater, dem eine gute Bildung der Tochter wichtig war, schickte sie auf das Sacre-Cœur-Gymnasium in Paris, wo sie vier Jahre, zwischen 1924 und 1929, lernte. Nach ihrer Ruckkehr nach Warschau absolvierte sie Gesangs- und Schauspielkurse von Helena Jozefa Hryniewiecka. Sie debutierte am 29. August 1931 im Teatr Nowy Ananas und spielte kurz in verschiedenen Theatern und Kabaretts, anschließend widmete sie sich hauptsachlich ihrer Filmkarriere. = Aufstieg zum Filmstar in der Zwischenkriegszeit = Ina Benita hatte 1932 ihr Leinwanddebut in dem Film Puszcza und war bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs Ende der 1930er Jahre noch in etwa 15 weiteren Filmen zu sehen. Ihre Filmkarriere verlief sehr erfolgreich, so spielte sie in Filmen von Mieczyslaw Krawicz, Michał Waszynski und Henryk Szaro, in Dwie Joasie spielte sie an der Seite von Jadwiga Smosarska, in weiteren Filmen an der Seite von Eugeniusz Bodo. Sie verkorperte in den Filmen meist verfuhrerische Vamp- und Femme-fatale-Rollen, was ihr eine gewisse Verehrung beim Publikum einbrachte. 1931 hatte sie den russischen Filmschaffenden und Schriftsteller Georgi Teslawski geheiratet, von dem sie sich 1933 scheiden ließ. Ihren Kunstlernamen Ina Benita legte sie sich zu, um ihre Karriere mit einem verfuhrerischen Image voranzubringen. Es gibt unterschiedliche Theorien uber die Herkunft des Namens: So konnte er von einem Rum-Bananen-Cocktail inspiriert worden sein, vom spanischen Wort „bonita“ (ubersetzt „schon“) oder der zunehmenden Popularitat Benito Mussolinis. Ab 1937 war sie in verschiedenen Warschauer Revuetheatern tatig, unter anderem im Malicka-Theater und im „Ali Baba“. 1938 heiratete sie ihren zweiten Ehemann, Stanislaw Lipinski. 1939 war sie wegen ihrer Hauptrolle in Czarne Diamenty (eine ihrer letzten Filmrollen) zur ersten Ausgabe des Filmfestivals von Cannes eingeladen. Das Filmfestival wurde aufgrund des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs jedoch abgesagt, und auch Benitas Leben anderte sich deutlich. In der Zeit des Zweiten Weltkriegs trat sie in verschiedenen offenen, das heißt von den Deutschen gefuhrten Theatern in Warschau auf („Komedia“, „Niebieski Motyl“ und „Miniatury“). Sie wollte wohl ihre erfolgreiche Filmkarriere fortsetzen, was als Kollaboration mit dem Feind gedeutet wurde. Eine Affare mit einem osterreichischen Wehrmachtsoffizier, Otto Haver, mit dem sie von 1943 bis 1944 kurze Zeit in Wien lebte, brachte sie nach einer Beschuldigung wegen „Rassenschande“ (als Polin galt sie Nationalsozialisten als „Untermensch“ und durfte daher mit keinem „Herrenmenschen“ zusammenleben) ins Pawiak-Gefangnis und ihren Geliebten an die Ostfront. In Gefangenschaft bekam sie ihren Sohn Tadeusz. Am Tag vor dem Warschauer Aufstand wurde sie aus der Haft entlassen, sie uberlebte in den ersten Wochen des Aufstands in der Altstadt und gelangte Ende August durch das Kanalisationssystem bis nach Srodmiescie. Hier verlor sich die Spur der Schauspielerin. Es gab zeitgenossische Berichte, nach denen sie dem Wahnsinn verfallen sei und den Krieg nicht uberlebt habe. = Leben in der Anonymitat nach dem Kriegsende = Mehrere Jahrzehnte lang wurde in der Offentlichkeit angenommen, dass Ina Benita in den Wirren des Warschauer Aufstands gemeinsam mit ihrem Sohn auf dem Weg nach oder in Srodmiescie gestorben sei. Erst im Jahr 2018 publizierte Nachforschungen des Journalisten Marek Teler bei Familienmitgliedern ergaben, dass die Schauspielerin und ihr Sohn den Krieg uberlebt hatten. Teler arbeitete zu dieser Zeit an einem Artikel uber die Opfer des Warschauer Aufstands. In den Vereinigten Staaten ging vor allem ihr Enkel Greg, ein Sohn von Tadeusz, in den 1990er Jahren der Herkunft seiner 1984 verstorbenen Großmutter Ina Scudder nach. Davon, dass seine Großmutter einst ein gefeierter Filmstar war, hatte er keine Ahnung; erste Internetrecherchen halfen nicht weiter. Erst Ende 2017 und Anfang 2018 erfuhren die Enkel Greg und Alexandria in einer weiteren Internetrecherche mit dem Geburtsnamen ihrer Großmutter (Florow-Bułhak) von ihrem Vorkriegsleben und dass man davon ausging, sie sei gestorben. Marek Teler wurde auf einer Internetseite auf einen von Greg hinterlassenen Kommentar – dass er Ina Benitas Enkel sei und sie den Krieg uberlebt habe – aufmerksam. Die Betreiber der Webseite stuften den Kommentar aber als Fake ein und gaben keine Informationen uber den Verfasser heraus. Im Oktober 2018 gab der slowenische Politiker Ingo Pasch (1941–2021) in einem weiteren Kommentar an, dass Ina Benita die zweite Frau seines Vaters gewesen sei. Teler nahm Kontakt auf, und Pasch konnte mit Fotos und Dokumenten die Korrektheit seiner Aussagen belegen. Die anschließenden Nachforschungen erbrachten folgende Erkenntnisse zu Ina Benitas Leben kurz vor und nach Ende des Zweiten Weltkriegs: 1943 kam der Deutsche Hans Georg Willi Pasch (1909–1945), ein Gegner des Hitler-Regimes, nach Warschau und verliebte sich in die junge Schauspielerin Ina Benita. Es ist den Recherchen nach sehr wahrscheinlich, dass Hans Pasch Tadeuszs Vater war und nicht Otto Haver. Auch legen die Nachforschungen nahe, dass Benita die Widerstandsbewegung um Roman Niewiarowicz unterstutzte und ihre Arbeit in den von Deutschen gefuhrten Theatern nutzte, um an Informationen zu gelangen. Benita lebte wahrend des ersten Monats des Warschauer Aufstands bei ihrem Vater, der allerdings bei einer Bombardierung des Hauses getotet wurde, wohingegen Tadeusz, versteckt unter einer Badewanne, knapp uberlebte. Ein Dokument bestatigte ihr Uberleben und dass sie sich im April 1945 in Hohegeiß aufhielt. Sie fand Ende des Kriegs wieder mit Hans Pasch zusammen, heiratete ihn im Juni 1945 und zog mit ihm und Tadeusz nach Rhumspringe. Im Juli 1945 gebar Ina eine Tochter, die aber wenige Tage nach der Geburt verstarb. Im November 1945 wurde ihr Ehemann ermordet, aber seine Leiche war zunachst nicht auffindbar. Ina Benita setzte sich fur die Aufklarung der Tat (im Februar 1946 wurde seine Leiche gefunden) und fur die Bestrafung der Tater ein. Nachdem sie das erreicht hatte, wanderte sie mit Tadeusz an die Cote d’Azur aus, trat dort in kleinen Lokalen in Nizza und Cannes als Sangerin und Tanzerin auf. Sie traf dort den Amerikaner Lloyd Scudder (1917–1964), der bei der United States Air Force arbeitete. 1950 bekamen sie einen Sohn namens John, im April 1954 heiratete das Paar in Casablanca. 1960 verließen sie mit den beiden Kindern Frankreich und gingen in die Vereinigten Staaten, wo sie zunachst in Albuquerque und Dayton wohnten, ab 1962 dann in Middletown in Pennsylvania. 1964 starb Lloyd Scudder an Krebs. Ina Benita nahm eine Anstellung als Hausmadchen in einem Hotel an. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie mit Ausflugen mit ihren Enkeln Greg und Brian und der Malerei, zuletzt lebte sie in einem Pflegeheim in Camp Hill. Im September 1984 starb Benita, die viele Jahre lang geraucht hatte, an Lungenkrebs. Sie wurde auf dem Friedhof von Middletown beigesetzt. Beweggrunde fur das Leben in der Anonymitat Das Leben in volliger Anonymitat nach Kriegsende scheint Telers Nachforschungen zufolge dadurch motiviert, dass Benita negative Folgen fur sich und ihren Sohn befurchtete: So verfolgten die Kommunisten Schauspieler, die in den von Deutschland kontrollierten Theatern spielten, weil sie das als Kollaboration mit dem Feind betrachteten. Auch war ihre Affare mit einem osterreichischen Wehrmachtsoffizier in Kunstlerkreisen bekannt. Nach der Ermordung ihres Mannes 1945 in Deutschland sah Benita offenbar keine Zukunft mehr fur sich dort oder in Polen, sodass sie im Ausland Schutz suchte. Die Familienmitglieder berichteten ruckblickend, dass Ina Benita misstrauisch war und Verfolgung furchtete. Ihre einstige Karriere hielt sie deshalb vor ihrer Familie geheim, die von Ina Benitas Vorkriegsleben erst uber 30 Jahre nach ihrem Tod erfuhr. Filmografie 1932: Puszcza 1933: Jego ekscelencja subiekt 1933: Przybłeda 1933: Maryjka 1934: Hanka 1935: Jasnie pan szofer 1935: Dwie Joasie 1936: Miłosc wszystko zwycieza 1937: Trojka hultajska 1938: Ludzie Wisły 1938: Gehenna 1938: Serce matki 1938: Moi rodzice rozwodza sie 1939: O czym sie nie mowi ... 1939: Doktor Murek 1939: Sportowiec mimo woli (Premiere 1940) 1939: Ja tu rzadze (Premiere 1941) 1939: Czarne diamenty (Premiere 1946) Literatur Piotr Gacek: Ina Benita: Za wczesnie na smierc, 2018, Wydawnictwo Krytyki Politycznej, ISBN 978-836585388-2 Marek Teler: Zagadka Iny Benity. AK-torzy kontra kolaboranci, 2021, Bellona, ISBN 978-8-31-116090-3 Dokumentarfilm 2022: Ina Benita. Dwa zycia Weblinks Ina Benita bei IMDb Ina Benita in der Internet-Datenbank des polnischen Films FilmPolski.pl (polnisch) (mit Fotogalerie) Einzelnachweise
Ina Benita (eigentlich Inna [oder Janina] Benita Florow-Bułhak; * 1. Marz 1912 in Kiew, Russisches Kaiserreich; † 9. September 1984 in Mechanicsburg, Vereinigte Staaten) war eine polnische Schauspielerin, die auch als erste Femme Fatale des polnischen Kinos in der Zwischenkriegszeit bezeichnet wurde. Erst in den 2010er Jahren wurde allgemein bekannt, dass sie den Zweiten Weltkrieg uberlebt hatte und 1984 gestorben war.
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Die Graber der 99 Heiligen (franzosisch tombeaux des 99 saints) sind ein islamisches Kulturdenkmal im Suden Nigers. Der Bestattungsplatz liegt am und im Madarounfa-See. Er wurde durch angebliche ubernaturliche Lichterscheinungen bekannt und ist das Ziel von Wallfahrten. Anlage Die Anlage der Graber der 99 Heiligen erstreckt sich uber eine Flache von 800 Hektar. Sie befindet sich im Gebiet der Stadtgemeinde Madarounfa im gleichnamigen Departement Madarounfa, das zur Region Maradi gehort. Die Graber liegen zum Teil am sudlichen Seeufer und zum Teil unterhalb der Wasseroberflache des Madarounfa-Sees. Insgesamt sind 20 Graber bekannt, die mit kniehohen Steinmauern markiert wurden. Die Zahl 99 hat wahrscheinlich nur symbolische Bedeutung und bezieht sich auf die 99 Perlen der islamischen Gebetskette Misbaha. Manche der markierten Statten sind namentlich bekannten Personen zugeordnet: jene der Heiligen Fatchima, Malam Ali, Malam Mahaman, Ma’arufa Karfin, Rabiatou und Sabit’l Bilani. Das Ma’arufa Karfin zugeschriebene Grab ist das großte. Es ist 15 Meter lang, 5 Meter breit und 45 Zentimeter hoch. Es wurde bisher nicht untersucht, ob sich in den Grabern uberhaupt menschliche Uberreste befinden. Legenden Der Legende nach gehen die Graber der 99 Heiligen auf den Propheten Mohammed zuruck. Er kundigte drei heilige Manner an, die eines Tages zu einem der Kalifen kamen. Den drei Heiligen sollten 1000 Goldmunzen ausgehandigt werden, woraufhin sie fur 1000 Jahre Frieden beten wurden. 40 Jahre nach dem Tod des Propheten kamen die drei heiligen Manner nach Medina. Ihre Namen waren Ma’arufa Karfin, Jaji Karkawma und Sabit’l Bilani. Nachdem die Prophezeiung erfullt und die Friedensgebete gesprochen waren, wurden die drei Manner Richtung Westen geschickt, wo sie ihre kunftige Wohnstatt fanden. So erreichten sie Madarounfa. Bei ihrer Ankunft wurde eine heilige junge Frau namens Saadatou um Wasser geschickt, damit sich die Manner vor dem Beten reinigen konnten. Saadatou bat Allah um Hilfe und auf wundersame Weise sprudelte Wasser aus dem Boden, wodurch der Madarounfa-See entstand. Ma’arufa Karfin, Jaji Karkawma und Sabit’l Bilani waren die ersten Bestatteten in den Grabern der 99 Heiligen. Die Legende erklart nicht die Herkunft der ubrigen 96 Heiligen. Bekannt wurde die Statte durch nachtliche Lichterscheinungen uber den Grabern, durch die sich die toten Heiligen zeigen sollen. Wie es heißt, sollen die Lichtstrahlen, die aus dem Boden kamen und in das Blatterwerk der Baume schimmerten, die genaue Lokalisierung der Graber ermoglicht haben. Die ersten Berichte uber diese Erscheinungen gehen moglicherweise auf die Zeit des Fulbe-Dschihads unter Usman dan Fodio im 19. Jahrhundert zuruck. Sie traten angeblich oft in Nachten von Donnerstag auf Freitag auf. Als erster sich derart zeigender Heiliger gilt Ma’arufa Karfin, gefolgt von Jaji Karkawma und Sabit’l Bilani. Manchmal hatten sich alle Heiligen als Lichterscheinungen am Grab von Ma’arufa Karfin versammelt. Von der letzten Lichterscheinung wurde um das Jahr 1990 berichtet. An das Phanomen Glaubende schrieben dessen Ende der Lichtverschmutzung durch das nahe Stadtzentrum von Madarounfa zu. Bedeutung Der Glaube an die erwahnten Legenden ist in der einheimischen Bevolkerung verankert. Die Graber gelten entsprechend als heilige Statte, die erhalten bleiben muss. Hier werden Rituale mit Opfergaben und Anrufungen vollzogen, aus deren Anlass die Graber gepflegt werden. Auf Vorschlag des nigrischen Kulturministeriums vom 26. Mai 2006 kamen die Graber der 99 Heiligen, der Madarounfa-See und der Geschutzte Wald von Madarounfa als ein Ensemble auf die Tentativliste zum UNESCO-Welterbe. Der Ort zieht regelmaßig Glaubige aus anderen Landesteilen und aus den Nachbarlandern Nigeria und Kamerun an. Zur Forderung der Wallfahrten eroffnete das nigrische Tourismusministerium 2015 ein ganzjahrig nutzbares Hoteldorf mit zwei Moscheen, 30 Bungalows und einem Restaurant mit 50 Sitzplatzen. Weblinks La foret classee, le lac de Madarounfa et les tombeaux des 99 saints auf der Website des Welterbezentrums der UNESCO zu Tentativlisten (franzosisch). Einzelnachweise
Die Graber der 99 Heiligen (franzosisch tombeaux des 99 saints) sind ein islamisches Kulturdenkmal im Suden Nigers. Der Bestattungsplatz liegt am und im Madarounfa-See. Er wurde durch angebliche ubernaturliche Lichterscheinungen bekannt und ist das Ziel von Wallfahrten.
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Die Atomknacker – Spielend steigen SIE aus! ist ein semi-kooperatives Brettspiel von Peter Rothammer und Franz Scholles aus dem Jahr 1986, das im Selbstverlag produziert und uber den auf Umweltspiele spezialisierten Verlag Okotopia vertrieben wurde. Die bis zu sieben Mitspieler versuchen gemeinsam, aus der Nutzung der Kernenergie auszusteigen und dabei moglichst viele Kernkraftwerke abzuschalten; dabei spielen sie gegen eine ubermachtige Atomlobby. Obwohl in dem Spiel derjenige gewinnt, der die meisten Anlagen abschalten kann, verlieren alle Spieler, wenn sie gemeinsam zu wenige abschalten. Thema und Ausstattung Thematisch eingebettet ist das Spiel Die Atomknacker in das Thema der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1980er-Jahre und es erhielt bei seinem Erscheinen 1987 durch die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 eine besondere Aktualitat. Es handelt sich dabei um ein Brettspiel mit Karten- und Wurfeleinsatz, bei dem die Mitspieler als Vertreter fiktiver Staaten (Anglia, Luxia, Nipponia, Scandia, Tyskia und Vetia) versuchen, uber einen vorgegebenen Zeitraum moglichst viele Atomkraftwerke in ihren Landern abzuschalten und damit aus der Nutzung der Atomenergie auszusteigen. Ein Mitspieler ubernimmt dabei die Rolle der fiktiven Atomlobby „Gallia“, gegen die alle anderen Mitspieler als „Atomknacker“ fiktiver Nationalstaaten antreten, die in jedem Land eine politische Mehrheit gegen die Atomkraft organisieren und nach zwolf Runden bis zu 50 Atomkraftwerke pro Nation abschalten mussen. „Gallia“ gewinnt dagegen, wenn dies nicht gelingt. Das Spielmaterial besteht aus sieben Spielplanen mit entsprechenden Spielfiguren und Markierungssteinen, ebensovielen Rundenubersichten mit zusatzlichen Rundenzielen sowie einem Kartensatz aus Entscheidungs- und Ereigniskarten sowie Blockadekarten fur die Atomlobby und Prozentwurfeln. Die Covergestaltung stammt von dem Berliner Cartoonisten Gerhard Seyfried und das Cover war mit einem von Gunter Wallraff signierten Zitat beschriftet, wodurch das Spiel durchaus prominente Unterstutzer erhielt. Spielweise Zur Vorbereitung erhalt jeder Mitspieler einen eigenen Spielplan mit einer Laufbahn aus 51 Kernkraftwerken und einer Spielstandstabelle sowie eine Spielfigur und Spielsteine zur Markierung seiner Spielwerte. Sein Ziel ist es, moglichst viele der Kraftwerke nacheinander abzuschalten. Das Spiel lauft dabei uber 12 Runden, in denen Entscheidungs- und Ereigniskarten gezogen und gespielt sowie Auswirkungen ausgewurfelt werden. Zudem erhalt jeder eine Rundenubersicht, ein „Telex“, das fur jede Runde zusatzliche Ziele ausweist, um weitere Kraftwerke zu deaktivieren. Die Spielrunde verlauft durch das Ausspielen von jeweils vier Karten, davon zwei Entscheidungskarten, einer Ereigniskarte und einer von Gallia ausgespielten Blockade-Karte. Mit den Entscheidungskarten konnen die Spieler zwischen zwei politischen Optionen mit positiven und negativen Auswirkungen auf ihre Wahrungen Wahlerstimmen (W%), das Internationale Prestige (IP) und Geld (Mrd. EUC) wahlen; die Werte werden ausgewurfelt und konnen bei Einstimmigkeit verdoppelt werden. Mit der Ereigniskarte kann der Spieler seine Wahrungen einsetzen, um Kraftwerke abzuschalten. Das Spiel endet nach 12 Runden und wenn es ihnen gemeinsam gelingt, eine vorgegebene Anzahl Kraftwerke auszuschalten, gewinnen sie das Spiel. Die Atomlobby gewinnt, wenn dies nicht gelingt. Veroffentlichung und Rezeption Das Spiel Die Atomknacker wurde von Peter Rothammer entwickelt und nach erfolgloser Suche nach einem Verleger im Eigenverlag umgesetzt. Der Vertrieb lief ab 1986 uber den deutschen Verlag Okotopia. Laut einem Kurzartikel im Spiegel nach Erscheinen 1986 hatte Rothammer das Spiel mehreren „renommierten deutschen Spiele-Herstellern“ angeboten, laut Peter Rothammer fanden, „die […] das Thema politisch zu heiß und blockten“. In einer zeitgenossischen Rezension stellte Uwe Molter das Spiel in der spielbox zusammen mit weiteren Alternativen Spielen vor und bezeichnete es als satirisches Brettspiel, bei dem keine Informationen zum Thema vermittelt werden. Zugleich sei es fur die Spieler nicht leicht zu gewinnen und bedurfe gut abgestimmte Entscheidungen. Er schrieb zudem, dass es „mit Engagement bestimmt nur von Atomkraftgegnern gespielt“ wurde. In einer vergleichenden Analyse stellte es Joachim Brenner 2022 als „Underdog-Story der ‚kleinen Atomknacker‘, die gegenuber der ‚großen Atomlobby‘ strukturell im Nachteil sind,“ dar. Er stellt es dem „die Kernenergie befurwortenden“ Spiel Energiepoker aus den fruhen 1980er Jahren gegenuber und vergleicht die Narrative beider Spiele. Als wesentliches Merkmal stellt er dabei heraus, dass man bei Die Atom-Knacker nur gemeinsam gewinnen kann: „Es nutzt nichts, alle Atomkraftwerke im eigenen Land abzuschalten, wenn die Nachbar:in (die Mitspieler:in) mit dem Ausstieg nicht vorankommt.“ Zudem stellt er das Ungleichgewicht der im Spiel genutzten Wahrungen dar, wobei man mit Wahlerstimmen und Prestige wesentlich effektiver Atomkraftwerke schließen kann als mit Geld. Er betont zudem, dass das Spiel vor allem aufgrund seiner „sarkastischen und selbstironischen Bemerkungen zu Atomlobby, Weltpolitik und linkem Milieu sowie dem Umstand, dass das Spiel aufgrund von Asymmetrie und großem Zufallsfaktor meist nicht sofort von den „Atomknackern“ gewonnen wird“, seinen besonderen Reiz gewinnt. Zuletzt stellt er als „Befund“ heraus, „dass in Spielen der 1980er Jahre kontrare Haltungen zum „Atom“ bereits an Zwolfjahrige spielerisch vermittelt wurden, unterstreicht die bis heute hohe Intensitat des bundesdeutschen Atomkonflikts.“ Literatur Joachim Brenner: Mit Atomenergie spielen! Die Auseinandersetzung um Kernkraft in Brettspielen der 1980er Jahre. In: Lukas Boch, Anna Klara Falke, Toni Janosch Krause (Hrsg.): Mehr als nur Zeitvertreib? Wissenschaftliche Perspektiven auf analoge Spiele. Eine Veroffentlichung anlasslich der SPIEL 2021. Munster 2022, S. 32–39. (verfugbar als Blogbeitrag auf bghistorian.hypotheses.org, 14. Oktober 2021). Uwe Molter: Die Atomknacker. In: Alternative Spiele portratiert von Uwe Molter. In: spielbox, 3/1987, S. 16. H. Hugo Dornhaus: Entdecke das Universum der Spiele. Das Schlagmalnach durch den Spielekosmos. Enzyklopadie der Brettspiele, Wurfelspiele, Kartenspiele und Rollenspiele, 11 Ausgabe, Oktober 2011, Band 1, S. 119. Weblinks Die Atomknacker in der Spieledatenbank BoardGameGeek (englisch) Die Atomknacker in der Spieledatenbank Luding Joachim Brenner: Mit Atomenergie spielen! Die Auseinandersetzung um Kernkraft in Brettspielen der 1980er Jahre. auf BoardGame Historian, 14. Oktober 2021 Belege
Die Atomknacker – Spielend steigen SIE aus! ist ein semi-kooperatives Brettspiel von Peter Rothammer und Franz Scholles aus dem Jahr 1986, das im Selbstverlag produziert und uber den auf Umweltspiele spezialisierten Verlag Okotopia vertrieben wurde. Die bis zu sieben Mitspieler versuchen gemeinsam, aus der Nutzung der Kernenergie auszusteigen und dabei moglichst viele Kernkraftwerke abzuschalten; dabei spielen sie gegen eine ubermachtige Atomlobby. Obwohl in dem Spiel derjenige gewinnt, der die meisten Anlagen abschalten kann, verlieren alle Spieler, wenn sie gemeinsam zu wenige abschalten.
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Charlotte Magkomo Maxeke, geborene Mannya oder Manye, (* 1871 oder 1872; † 16. Oktober 1939 in Johannesburg) war eine sudafrikanische soziale und politische sowie religiose Aktivistin. Sie war 1903 die erste schwarze Frau aus Sudafrika, die einen Universitatsabschluss erlangte. Sie nahm an der Grundung des South African Native National Congress (SANNC), des Vorlaufers des African National Congress (ANC), teil und grundete 1918 die Bantu-Frauenliga des SANNC, die Vorlauferin der ANC-Frauenliga. Biographie Charlotte Mannya (auch Manye) war das alteste von sechs Kindern von John Kgope Mannya, Sohn des Hauptlings Modidima Mannya vom Volk der Batlokoa unter Hauptling Mamafa Ramokgopa, und von Anna Manci, einer Xhosa aus Fort Beaufort in der ostlichen Kapkolonie. Sie hatte drei Bruder und zwei Schwestern. Mannyas Vater war Straßenvorarbeiter und presbyterianischer Laienprediger, ihre Mutter war Lehrerin. Mannyas Großvater war ein Berater des Konigs der Basothos. Mannya wuchs in Fort Beaufort auf. Ab dem Alter von acht Jahren besuchte sie eine Missionsschule in Uitenhage. Sie zeichnete sich in Niederlandisch, Englisch, Mathematik und Musik aus. Anschließend besuchte sie die Edward Memorial School in Port Elizabeth, die sie in Rekordzeit mit glanzenden Noten abschloss. 1885 zog sie mit ihrer Familie nach Kimberley, einer Stadt, die nach Diamantenfunden stark gewachsen war. 1891 trat Charlotte Mannya gemeinsam mit ihrer Schwester Katie, beide regelmaßige Kirchgangerinnen, dem christlichen African Jubilee Choir bei. Zwei Jahre lang tourte der Chor durch Großbritannien, bot englische und afrikanische Lieder dar und trat anlasslich des 60. Thronjubilaums von Queen Victoria vor dieser in der Royal Albert Hall auf. Die beiden Schwestern lernten, fließend Englisch mit britischem Akzent zu sprechen. Wahrend dieser Zeit besuchte Charlotte Mannya offenbar Suffragetten-Veranstaltungen mit Frauen wie Emmeline Pankhurst. Anschließend reiste der Chor zu weiteren Auftritten nach Nordamerika. Nach Abschluss der Tournee durch die USA verließ der europaische Manager den Chor mit samtlichen Geldern sowie Reisetickets und war unauffindbar, sodass die Chormitglieder mittellos in den USA strandeten. Ihre Geschichte wurde publik, und viele US-Amerikaner spendeten fur den Chor. Auf Vermittlung von Bischof William B. Derrick erhielt Charlotte Mannya von Daniel Payne ein Kirchenstipendium fur die Wilberforce University in Xenia, Ohio, der Universitat der African Methodist Episcopal Church (AMEC), das sie annahm. Einer ihrer Lehrer war der Burgerrechtler W. E. B. Du Bois. Wahrend ihres Studiums lernte Charlotte Manye Marshall Maxeke (1874–1928) kennen, einen Xhosa aus Middledrift. 1903 heirateten die beiden nach ihrer Ruckkehr nach Sudafrika, nachdem Charlotte Mannya mit exzellenten Noten ihren Bachelor absolviert hatte. Das Paar bekam einen Sohn, Edward Clarke († 1945), der spater wie seine Eltern an der Wilberforce studierte. In Sudafrika war Charlotte Maxeke Mitglied des Missionsausschusses der AMEC, hielt Vortrage uber Missionsarbeit und wurde zur Prasidentin der Women’s Missionary Society gewahlt. Die Eheleute arbeiteten gemeinsam als Missionare fur die AMEC, zunachst in Pietersburg und dann in Idutywa (Idutywa Reserve). 1908 grundeten die Maxekes das Wilberforce Institute for AMEC in Evaton in der Transvaal-Kolonie. Charlotte Maxeke war ebenfalls Grundungsmitglied und Prasidentin der Bantu Women’s League. Uber die Liga setzte sie sich fur die Lockerung der „Passgesetze“ im damaligen Transvaal ein, die dazu dienten, die Bewegungsfreiheit der Schwarzen in der Arbeitswelt zu beschranken und zu kontrollieren. Im Juni 1913 fuhrte sie die erste Anti-Pass-Kampagne gegen die Unionsregierung an, bei der sie und 700 Frauen zum Stadtrat von Bloemfontein marschierten und ihre „Passe“ verbrannten. Nachdem die Eheleute nach Johannesburg gezogen waren, engagierte sich Charlottes Maxeke im sozialen Bereich und grundete ein Arbeitsvermittlungsburo. Sie wurde zur Bewahrungshelferin fur jugendliche Straftater ernannt und war damit die erste schwarze Frau, die ein solches Amt innehatte. Durch ihre Arbeit an den Gerichten erfuhr sie von den Auswirkungen des Zusammenbruchs des Familienlebens und den Problemen, die durch das System der Wanderarbeit verursacht wurden. Sie engagierte sich auch in multiethnischen Bewegungen: Sie wandte sich an den Women’s Reform Club in Pretoria, eine Organisation, die sich fur das Wahlrecht der Frauen einsetzte, und trat dem Joint Council of Europeans and Bantus bei. Gemeinsam mit ihrem Mann nahm Charlotte Maxeke 1912 an der Grundung des South African Native National Congress (SANNC), des Vorlaufers des African National Congress (ANC), in Bloemfontein teil. Sie half bei der Organisation der Anti-Pass-Bewegung in Bloemfontein im Jahr 1913 und grundete 1918 die Bantu-Frauenliga des SANNC, die Vorlauferin der ANC-Frauenliga, und schrieb in Xhosa uber die soziale und politische Situation von Frauen. Sie grundete eine Arbeitsvermittlung fur Afrikaner in Johannesburg. Als Leiterin dieser Organisation fuhrte sie eine Delegation zu Premierminister Louis Botha, um die Frage der „Arbeitsnachweise“ (die sogenannten „Passe“) fur Frauen zu diskutieren. Sie beteiligte sich an Protesten gegen niedrige Lohne in der Bergbau- und Industrieregion am Witwatersrand und war 1920 an der Grundung der Industrial and Commercial Worker’s Union (ICU) beteiligt. 1928 starb Marshal Maxeke. Im selben Jahr wurde Charlotte Maxeke als Delegierte zur AMEC-Konferenz in die USA entsandt. Bis in die 1930er Jahre nahm sie weiterhin an Versammlungen teil, wie etwa 1935 an der All African Convention in Bloemfontein, wo sie eine fuhrende Rolle bei der Grundung des National Council of African Women spielte. Am 16. Oktober 1939 starb Charlotte Maxeke in Johannesburg im Alter von 68 Jahren. Ehrungen Sie wird als „Mutter der schwarzen Freiheit in Sudafrika“ bezeichnet. Viele Organisationen und Orte in Sudafrika sind nach ihr benannt, wie etwa ein in Deutschland gebautes U-Boot der Klasse 209 der South African Navy, das „Charlotte Maxeke Johannesburg Academic Hospital“ sowie eine Straße in Durban. Auch die Hauptstraße von Bloemfontein tragt ihren Namen. In Pretorias „Garden of Remembrance“ steht eine Skulptur von ihr. Der ANC benannte im Solomon Mahlangu Freedom College bei Morogoro, Tansania, eine Krankenpflegeschule mit Kindergarten nach ihr. Im Jahre 2003 wurde ihr von der Regierung Sudafrikas postum der Order of Luthuli in Gold verliehen. Jahrlich, am 8. Januar, seinem Grundungstag, widmet der ANC das kommende Jahr Personen oder Initiativen; 2021 war „The Year of Charlotte Maxeke“. Literatur Zubeida Jaffer: Beauty of the Heart: The Life and Times of Charlotte Mannya Maxeke. Bloemfontein 2016, ISBN 978-1-920382-82-7 (englisch). Margaret McCord: The Calling of Katie Makanya: A Memoir of South Africa. Wiley, New York 1995, ISBN 978-0-471-17890-3 (englisch). Thozama April: Theorising women: the intellectual contributions of Charlotte Maxeke to the struggle for liberation in South Africa. Ph.D.-Thesis, University of the Western Cape, Cape Town 2012 (PDF, englisch) Lechesa Tsenoli: The Life & Legacy of Charlotte Mannya-Maxeke. Parliament of the Republic of South Africa, Deputy Speaker, National Assembly, undatierte Schrift (PDF, englisch) Weblinks Philipp Sandner: Charlotte Maxeke, ‘Mother of Black Freedom’. In: dw.com. 18. April 2018, abgerufen am 20. Dezember 2024 (englisch). „Soziale Bedingungen bei Bantu-Frauen und -Madchen“. Ansprache von Charlotte Maxeke auf der Konferenz der christlichen Studentenvereinigungen aus Europa und den Bantu in Fort Hare, 27. Juni bis 3. Juli 1930. In: sahistory.org.za. Abgerufen am 20. Dezember 2024 (englisch). Einzelnachweise
Charlotte Magkomo Maxeke, geborene Mannya oder Manye, (* 1871 oder 1872; † 16. Oktober 1939 in Johannesburg) war eine sudafrikanische soziale und politische sowie religiose Aktivistin. Sie war 1903 die erste schwarze Frau aus Sudafrika, die einen Universitatsabschluss erlangte. Sie nahm an der Grundung des South African Native National Congress (SANNC), des Vorlaufers des African National Congress (ANC), teil und grundete 1918 die Bantu-Frauenliga des SANNC, die Vorlauferin der ANC-Frauenliga.
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Tanzania. Meisterwerke afrikanischer Skulptur war eine Ausstellung traditioneller afrikanischer Skulpturen, die aus dem Gebiet des heutigen Tansania stammen. Diese Ausstellung wurde 1994 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin sowie im Lenbachhaus-Kunstbau, Munchen, gezeigt. Begleitend dazu erschien ein zweisprachiger Katalog mit zahlreichen Fotografien, Landkarten und Illustrationen sowie Beitragen von Ethnologen, Kunsthistorikern und Sammlern auf Deutsch und Swahili, der Landessprache Tansanias. Die Ausstellung vermittelte erstmals einen reprasentativen Uberblick uber die reiche kunstlerische Tradition Tansanias. Sie war aus der Offentlichkeit weitgehend unbekannten Bestanden aus Privatsammlungen und großenteils aus den Depots bedeutender ethnologischer Museen in Deutschland zusammengestellt worden. Die Vielfalt der mehr als 400 Skulpturen ermoglichte detaillierte vergleichende Stilanalysen und Zuordnungen zu den einzelnen Ethnien des Landes. Dadurch wurde die Bedeutung traditioneller ostafrikanischer Kunst betont, die bis dahin im Vergleich mit dem ubrigen Subsahara-Afrika von der Kunstkritik als wenig differenziert und lediglich von geringer Qualitat eingeschatzt worden war. Die Ausstellung In der Zeit vom 29. April bis 7. August 1994 zeigte das Haus der Kulturen der Welt in Berlin eine umfangreiche Ausstellung afrikanischer Kunstgegenstande. Anschließend war dieselbe Ausstellung vom 29. September 1994 bis 27. November 1994 im Lenbachhaus-Kunstbau, Munchen, zu sehen. Fur diese Ausstellung waren mehr als 400 historische Skulpturen und Masken zusammengestellt worden, die aus Tanganjika, dem ostafrikanischen Festland im heutigen Tansania, stammen. Ein Teil der ausgestellten Objekte stammte aus der Offentlichkeit nicht zuganglichen Depots deutscher Museen, andere waren von privaten Leihgebern aus Europa, den USA sowie Afrika zur Verfugung gestellt worden. In ihrem Vorwort kommentierten die Veranstalter die Grunde fur das Vorurteil, die Kunst Ostafrikas sei weniger differenziert und von geringerer Qualitat als die Kunst West- und Zentralafrikas: Im Gegensatz zu Skulpturen aus Westafrika, die spatestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch Kunstler und Sammler wie Picasso, Braque und Apollinaire Wertschatzung erfuhren, herrschte bei Kunstausstellungen und in der ethnologischen Fachliteratur die Einschatzung vor, Ostafrika sei arm an traditioneller Kunst. Vor allem aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika waren zahlreiche kulturelle Gegenstande und andere aus Sicht der Ethnologie erhaltenswerte Objekte in den Besitz deutscher Museen und privater Sammlungen gelangt. Als Zeugnisse fur die traditionelle Kultur afrikanischer Volker werden solche Objekte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in ethnologischen Museen zahlreicher deutscher Stadte aufbewahrt. Bis 1994 waren Skulpturen aus Tansania nicht in großerem Umfang als Zeugnisse der kulturellen Traditionen des Landes prasentiert worden, unter anderem, da sie sich in Museen der zuvor getrennten deutschen Staaten befanden. Mit der bis dahin umfangreichsten Ausstellung von Kunstgegenstanden aus Tansania verfolgten die Veranstalter das Ziel, dem breiteren Publikum „eine bisher unbekannte reiche Kulturlandschaft zuganglich zu machen.“ Die Prasentation der Skulpturen als Kunstwerke in der Ausstellung wurde durch kunsthistorische und ethnologische Informationen im begleitenden Katalog erganzt. Der Katalog Der 528 Seiten umfassende großformatige Ausstellungskatalog wurde unter der wissenschaftlichen Leitung der Munchner Kunsthistorikerinnen Maria Kecskesi und Iris Hahner-Herzog zusammengestellt. Er enthalt Beitrage europaischer und US-amerikanischer Ethnologen, Kunsthistoriker und Sammler zu Aspekten der traditionellen plastischen Kunst aus Tansania und war als Erganzung zur Ausstellung gedacht. Mehr als 500 schwarz-weiß-Fotografien von Skulpturen und Masken aus offentlichen und privaten Sammlungen sowie Landkarten und Illustrationen zu den Texten sowie einer Bibliografie erganzen die einzelnen Kapitel. = Maria Kecskesi. Einleitung = Im einleitenden Abschnitt beschreibt Maria Kecskesi, die damalige Leiterin der Afrika-Abteilung des Volkerkundemuseums Munchen, das Ziel fur die Ausstellung plastischer Kunstobjekte verschiedener Ethnien im Gebiet des heutigen Tansania. Sie bezieht sich hierbei auf Vergleiche zwischen den traditionellen Kunsten aus West- bzw. Ostafrika. Dabei erwahnt sie die Wertschatzung und den Formenreichtum west- und zentralafrikanischer Kunst, beispielsweise aus Nigeria und der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Insbesondere nahm sie auf die These des Kunsthistorikers Gerald W. Hartwig Bezug, Ostafrika weise im Vergleich zu anderen Regionen Afrikas eine Armut an Skulpturen auf. Diese These einer angeblichen Armut an figurativer Kunst in der Geschichte Tansanias zu widerlegen war Anlass, 1994 eine umfassende Ausstellung aus offentlichen und privaten Sammlungen zusammenzustellen. Zudem verweist Kecskesi auf Veranderungen in der Wertschatzung traditioneller afrikanischer Kunst, indem „europaische Kunstler spatestens seit den 1980er Jahren auch die ‚rohe‘ Plastik Ostafrikas als formenreiche, ausdrucksstarke Kunst erkannt haben und diese produktiv in ihre Kunst einbeziehen.“ Ferner kommentiert die Autorin unterschiedlichen Ansatze der Kulturanthropologie bzw. der Kunstgeschichte in Bezug auf afrikanische Kunst. Dabei weist sie darauf hin, dass die Erforschung von Objekten aus Afrika aufgrund von schriftlichen Quellen zu Sammlungen erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts moglich ist. Zur grundlegenden Fragestellung, wie sich Tradition und Kreativitat auch bei afrikanischer Kunst zueinander verhalten, schreibt sie folgendes: = Marc L. Felix. Eine kurze Geschichte von Tanzania = Der einleitende Beitrag des belgischen Kunstexperten und Sammlers Marc L. Felix vermittelt Informationen uber die Volker, die das tansanische Festland im Verlauf der Jahrtausende alten Geschichte Tansanias bewohnt haben. Neben den Volkergruppen der Kuschitisch, Nilotisch oder Bantusprachigen Gruppen mit ihren entwickelten Kulturtechniken in Ackerbau und Viehzucht zahlen dazu auch die Swahili sprechenden Kustenbewohner, deren Gesellschaften durch kulturelle Einflusse von Einwanderern aus dem Persischen Golf, Indien und Indonesien gepragt wurden. Vor allem seit dem 19. Jahrhundert fanden graduelle Bevolkerungsbewegungen und kultureller Wandel im Zuge des Handels mit Elfenbein und Sklaven, der Einfuhrung von Plantagenwirtschaft sowie schließlich durch die Kolonisation Tanganjikas statt. = Marc L. Felix. Die traditionelle Skulptur Tanzanias = Dieser kunsthistorische Uberblick mit umfangreichem Bildmaterial vermittelt eine Typologie von Objekten, die als Teil der materiellen Kultur der jeweiligen Ethnien uberliefert sind. Zum großen Teil handelt es sich dabei um Holzskulpturen, welche Masken, Figuren oder Symbole fur Machtpositionen oder rituelle Zwecke darstellen. Felix stellt dabei fur die mehr als 100 Ethnien auf dem tansanischen Festland acht geografisch ubergreifende Stileinheiten mit spezifischen kunsthistorischen, stilistischen und typologischen Gemeinsamkeiten auf. Dabei unterscheidet er zwischen der jeweiligen Funktion und dem Typus einer Skulptur. Als Beispiel fuhrt er eine kunstvoll verzierte Axt als Typus an, die jedoch nicht als Werkzeug, sondern als Symbol fur die rituelle Funktion ihres Gebrauchs diente. Ein solches Symbol konnte je nach Situation „zum Heilen, Beschutzen, Abschrecken oder als Vermittler zwischen Geistern und Menschen dienen.“ = Enrico Castelli. Traditionelle Skulptur aus Zentral-Osttanzania = Enrico Castelli, Ethnologe an der Universitat Perugia, beschreibt vor allem sogenannte Mwana hiti (dt. Kinder aus Holz) -Figuren der Ethnien Zaramo, Luguru, Kami, Kwere, Kutu und Ngulu, die zwischen der Kuste und dem Hinterland leben. Als einheitliches Element weisen diese Figuren weibliche Merkmale wie stilisierte Bruste, stratifizierte Bauchnabel und spezifische Frisuren auf. Weiterhin sind viele Figuren mit geometrischen Mustern versehen. Mwana hiti Figuren wurden als rituelle Gegenstande bei Initiationsriten fur Madchen verwendet, die von Muttern oder Patinnen bei ihrer Entwicklung zu jungen Frauen begleitet wurden. Die geometrischen Motive interpretiert Castelli als Kennzeichen der Verwandtschaftsbeziehungen (lineage). Ahnliche Figuren wurden auch als obere Teile von rituellen Staben, Musikinstrumenten sowie fur Grabstelen als Abbildung eines Ahnen verwendet. Aus dem Ende des 19. Jahrhunderts existieren neben weiblichen auch Grabstelen mit mannlichen Figuren. Diese weisen spezifisch mannlich konnotierte Elemente wie Messer, Axte oder die islamische Kopfbedeckung Kofia auf. Die Verwendung von sowohl weiblich als auch mannlich markierten Grabskulpturen werden durch den Wandel von matrilinearen zu patrilinearen Verwandtschaftsbeziehungen interpretiert. = Georges Meurant. Ton- und Holzskulpturen aus Nordost-Tanzania = Georges Meurant, Sammler, Autor von Studien zu afrikanischer Kunst und ehemaliger Hochschullehrer an der koniglichen Kunstakademie in Brussel, behandelt in seinem Beitrag die meist kleinformatigen Skulpturen aus Holz oder Ton der Ethnien sudlich der kenianischen Grenze im Nordosten des Landes. Diese wurden im Zusammenhang mit Initiation, Fruchtbarkeit oder Landwirtschaft, aber auch als Werkzeuge von Hexern und Heilern verwendet. Bei seinen Erklarungen verweist Meurant auf die Sammlung und Veroffentlichungen des aus Osterreich stammenden britischen Ethnologen Hans Cory. Dieser hatte durch seinen langjahrigen Aufenthalt in Tanganjika und seiner Sprachkenntnisse seit den 1930er Jahren autodidaktisch ethnografische Informationen vor allem zu Tonfiguren und ihrer rituellen Verwendung gesammelt. Auf dieser Grundlage veroffentlichte Cory zahlreiche Studien, vor allem zu Themen wie afrikanisches Gewohnheitsrecht, lokale Brauche und Riten, Geheimbunde und Hexenglaube, traditionelle Medizin sowie uber Musik und Initiationsriten. Als gemeinsame Merkmale der Holz- bzw. Tonfiguren beschreibt Meurant stilistische Ahnlichkeiten aufgrund der jeweiligen Gestaltung der Kopfe, Ohren, Beine und Arme bei den Skulpturen der einzelnen Ethnien. Dabei stellt er lokalspezifische Eigenschaften fest, welche sowohl anthropomorphe als auch tierische Figuren aufweisen. = Georges Meurant. Die Bildhauerkunst der Nyamwezi = Bevor Meurant auf die Skulpturen der Nyamwezi eingeht, vermittelt er eine Ubersicht zu den formalen Eigenschaften großerer Herkunftsgebiete Tanganjikas gemaß der geografischen Zuordnung auf der Landkarte im Katalog S. 39. Zur Frage der Provenienz der Skulpturen in westlichen Sammlungen unterscheidet er drei Kategorien: Bereits vor der offiziellen Grundung der deutschen Kolonie in Ostafrika im Jahre 1891 hatten deutsche Sammler Skulpturen vor Ort erworben. Spater ubergaben Ethnologen wie Karl Weule ihre Fundstucke Volkerkundemuseen, unter anderem in Berlin oder Leipzig. Eine zweite Gruppe von Sammlungsstucken gelangte durch private Sammler aus den anschließenden belgischen und britischen Kolonien Ostafrikas nach Europa. Als dritte und umfangreichste Gruppe gilt der zeitgenossische Handel mit afrikanischer Kunst, der laut Meurant Tausende von Skulpturen und Masken aus Tanganjika umfasst. Zu diesen Objekten fehlen jedoch oft Hintergrundinformationen uber die Herkunft und ursprungliche Verwendung. Im Weiteren kommentiert Meurant die wichtigsten Formen, kulturelle Funktionen und die Zuordnung zu einzelnen Ethnien des Siedlungsgebiets der Nyamwezi und ihrer Untergruppen wie der Sukuma. Dabei ordnet er die Skulpturen nach formalen Ahnlichkeiten wie Große und Beschaffenheit, die Ausfuhrung von Korperteilen (zum Beispiel Kopfe, Gliedmaße oder sekundare Geschlechtsmerkmale), der Darstellung von weiblichen und mannlichen Figuren oder Tierfiguren. Abschließend bewertet er die Einschatzung der angelsachsischen Wissenschaft bezuglich einer angeblichen Armut an Skulpturen als unzutreffend. Weiterhin kritisiert er die zentralistische Kulturpolitik Tansanias in den ersten Jahrzehnten nach der Unabhangigkeit als „autoritare Ablehnung“ indigener Traditionen zugunsten einer nationalen Kultur des modernen Staates. = Nancy Ingram Nooter. Ostafrikanische hochlehnige Hocker: eine transkulturelle Tradition = Die US-amerikanische Kunsthistorikerin und ehemalige Kuratorin am National Museum of African Art, Nancy Ingram Nooter, beginnt ihre Beschreibung von Hockern mit erhohten Ruckenlehnen, indem sie auf ahnliche Formen dieser Art von Skulptur bei verschiedenen Ethnien in Afrika sudlich der Sahara verweist. Als traditionelles Symbol der Herrschaft und zeremonielle Throne fur Wurdentrager sind Hocker unter anderem auch aus Ghana, Kamerun oder Angola bekannt. Viele Exemplare stammen jedoch aus Ostafrika, und zwar von Athiopien im Norden bis Sambia und Simbabwe im Suden. Besonders zahlreich sind hier Exemplare aus dem heutigen Tansania, wobei die erhaltenen Hocker insbesondere den Nyamwezi, Zaramo, Gogo, Kaguru, Luguru, Doe, und Kwere zugeschrieben werden. Die vier letztgenannten Ethnien weisen matrilineare Traditionen auf, was sich in zahlreichen Hockern mit weiblichen Attributen wie stilisierten Brusten oder Frisuren widerspiegelt. Daneben existieren auch einige Exemplare mit mannlichen Attributen, wobei die Forschung davon ausgeht, dass der soziale Status mannlicher wie auch weiblicher Wurdentrager durch derartige zeremonielle Hocker seinen Ausdruck fand. Charakteristische Merkmale der Hocker sind ihre runde Sitzflache, drei Beine oder alternativ ein Sockel. Die Ruckenlehnen sind um einiges hoher als der Hocker selbst und weisen oft stilisierte menschliche Figuren oder abstrakte bzw. geometrische Formen auf. Weiterhin sind sie aus einem einzigen Stuck Holz geschnitzt. Außer bei den Exemplaren aus Tansania finden sich diese Merkmale auch bei Hockern der Tabwa und Bemba, die westlich vom Tanganjikasee in der Demokratischen Republik Kongo und in Sambia leben. Solche Ahnlichkeiten bei Skulpturen verschiedener Ethnien werden auf Wanderungsbewegungen und den Warenaustausch, z. B. durch den transregionalen Karawanenhandel in Ostafrika zuruckgefuhrt. = Allen F. Roberts. Formenverwandtschaft: asthetische Beruhrungspunkte zwischen Volkern West-Tanzanias und Sudost-Zaires = Auf der Basis seiner Feldforschung in Tansania und Studien im belgischen Afrikamuseum sowie der einschlagigen Fachliteratur beschreibt der Sozialanthropologe an der University of Iowa und ehemalige Leiter des African Studies Center an der UCLA, Allen F. Roberts, asthetische und formale Ahnlichkeiten bei Skulpturen, die auf beiden Seiten des Tanganjikasees gefunden wurden. Dabei ahneln sich vor allem die Formen der Augen, Halse oder Arme sowie die Proportionen einiger Skulpturen bei verschiedenen Ethnien dieser Regionen beiderseits der Staatsgrenzen von Tansania und der heutigen Demokratischen Republik Kongo. In seinem Werk Masks and Figures from Eastern and Southern Africa hatte bereits 1967 der Sozialanthropologe Ladislav Holy auf solche Ahnlichkeiten hingewiesen. Roberts widerspricht jedoch Holys Urteil, der behauptet hatte, die Ethnien in Tansania hatten lediglich eine Kunst geschaffen, der „die Einheit fehlt und die ein ungleichformiges Bild bietet.“ Roberts beschreibt hingegen die unbestrittenen Ahnlichkeiten zwischen Skulpturen der auf der westlichen Seite des Sees lebenden Tabwa, Hemba und Luba und jenen der Fipa, Jiji, Tongwe, Hehe, Ha und Sukuma in Tansania. Er fuhrt diese Ahnlichkeiten auf Jahrhunderte alte verwandtschaftliche, kommerzielle und kulturelle Beziehungen zwischen den Ethnien aufgrund von Wanderungsbewegungen und Handelsbeziehungen zuruck. Hierzu zahlt Roberts auch den ostafrikanischen Sklavenhandel, der beispielsweise in der Stadt Ujiji zu relativem Reichtum und regem Warenaustausch und damit auch zur Ubernahme skulpturaler Formen anderer Ethnien gefuhrt hatte. Diese Beziehungen und die Bereitschaft, ursprunglich fremde Lebensweisen auch uber naturliche und politische Grenzen hinweg zu ubernehmen, erklaren laut Roberts auch die Wertschatzung und Verwendung von Skulpturen aus benachbarten Traditionen. = Charles Meur. Annaherung an die Maskenschnitzerei Tanzanias = Der Essay des belgischen Kunstlers und Sammlers Charles Meur enthalt detaillierte formale Beschreibungen und stilistische Analysen von Holzmasken zahlreicher Ethnien. Meur stellt dabei neun stilistische Gruppierungen auf, die ganz Tanganjika mit Ausnahme der Region der Makonde im Suden umfassen. Dazu enthalt der Text eine Landkarte, in die Zeichnungen der verschiedenen Maskentypen eingetragen sind. Weitere Zeichnungen beschreiben charakteristische Formen wie die Gestaltung der geschnitzten Innen- und Außenseiten, der Augen, Nasen, Ohren, Munder und anderer figurativer Elemente. Dabei vermutet der Autor, dass die meisten Masken ursprunglich farbig verziert waren und erwahnt andere Elemente einiger Masken wie menschliche Zahne, Kopf- oder Barthaare sowie Stucke von Tierfell. Daneben beschreibt Meur, von dem auch die anderen geografischen Karten des Katalogs stammen, seine subjektiven Eindrucke und Assoziationen durch die „extreme Vereinfachung, die frei ist vom Bemuhen um Wahrscheinlichkeit“, wie folgt: „Der ursprungliche Block verliert sich nicht in der behauenen Form, er bleibt ein Fragment der Natur. [...] Fur diese der Natur verbundenen Bauern und Jager genugen wenige Details, um in einem Holzklotz, der uns kaum bearbeitet erscheint, eine in sich abgeschlossene selbstandige Wirklichkeit zu erkennen...“ Und weiter: „Ein Kunstler der seine eigene Welt schafft, die bevolkert ist von einer Vielzahl von Geistern der Natur oder von seinen Ahnen, die ihn der Vergangenheit annahern und so eine Verbindung zum ‚Schopfer der Welt‘ herstellen.“ Außerdem weist Meur darauf hin, dass in der Umgebung der großen Seen Zentralafrikas der Homo habilis zum ersten Mal in Erscheinung trat und dort auch die ersten Zeugnisse von Kunst als Felsmalereien erhalten sind. = Giselher Blesse. Der Sudosten Tanzanias: die Kunst der Makonde und der benachbarten Volker = Bei seiner Beschreibung von Masken der beiderseits des Grenzflusses Ruvuma in Mosambik und Tansania lebenden Makonde geht Giselher Blesse, Ethnologe und ehemaliger Mitarbeiter des Museums fur Volkerkunde zu Leipzig, zunachst auf die Verwendung dieser Masken (Singular: lipiko, Plural: mapiko) in rituellen Tanzvorfuhrungen ein. Vor allem zum Abschluss der Initiationsriten fur Jungen bzw. Madchen fuhrten maskierte junge Manner solche Tanze fur die Dorfgemeinschaft auf. Dabei stellten die vollstandig verhullten Tanzer zum Klang von Trommeln und Gesang mit energischen, teilweise Furcht erregenden Bewegungen die Ahnen und Geister der Ethnie dar. Bei diesen Masken unterscheidet man solche, die vor dem Gesicht des Tanzers befestigt wurden von Stulpmasken, die auf dessen Kopf getragen wurden. Beide Formen sowie vor dem Korper des Tanzers befestigte Brustplatten sind als fruhe Beispiele traditioneller Schnitzkunst aus Tanganjika seit Beginn des 20. Jahrhunderts und vermehrt danach in westlichen Sammlungen vertreten. Masken und die selteneren Vollplastiken der Makonde sowie benachbarter Ethnien tragen mannliche oder weibliche Gesichtszuge, wobei letztere durch die charakteristischen Lippenpflocke gekennzeichnet sind. Einige Masken verkorpern Tiere wie Antilopen, wobei Tierfiguren mit langen Hornern auch als Teufelsmasken (sheitani) bezeichnet werden. Weiterhin erwahnt der Autor kunstlerisch verzierte Gebrauchsgegenstande der Makonde wie Hocker, Behalter fur Tabak oder rituelle Medizin (mtete) sowie figurliche Teile von Musikinstrumenten. = Marc L. Felix. Kunsthistorische Schlussbetrachtung = In seinem abschließenden Beitrag beschreibt Felix die vielfaltigen Theorien und Indizien fur weitraumige regionale Einflusse aus dem sudlichen und ostlichen Afrika sowie Sudasien und dem Persischen Golf auf traditionelle Kunstformen im Festland von Tansania. Danach stellt er die Frage, was typisch fur diese Kunst bezeichnet werden kann. Hierzu nennt er drei typische Themen, die in unterschiedlichen Formen und Materialien verschiedenen Ethnien zugeordnet werden. Am haufigsten ist hier die weibliche Figur, gefolgt von gelegentlich paarweise auftretenden Skulpturen oder Masken mit mannlichen oder weiblichen Merkmalen. Das dritte Thema stellen Skulpturen von Rindern dar, die meist aus Ton, aber auch aus Holz oder seltener aus Metall gefertigt wurden. Auch wenn diese Themen in vielen subsaharischen Regionen vorkommen, halt der Autor sie in ihrer spezifischen Ausfuhrung doch fur unverwechselbar tansanisch. Als Beispiele nennt er die in zahlreichen Variationen vorkommenden, puppenartigen Rumpffiguren (mwana hiti), die nicht nur auf dem tansanischen Festland, sondern auch in benachbarten Regionen bezeugt sind. Weitere typische Themen stellen sogenannte „Huckepack-Figuren“ sowie die ebenfalls weitraumig verbreiteten hochlehnigen Hocker dar. Holzerne abstrahierte Grabpfahle, die auch paarweise mit langen Armen und Merkmalen fur beide Geschlechter gefertigt wurden, sowie lange verzierte Stabe als Statussymbole fur bedeutende Personen stellen weitere charakteristisch tansanische Stilformen dar. Schließlich stellt Felix auch in Bezug auf die Masken markante Unterschiede zu jenen aus anderen Regionen Afrikas fest. Rezeption Eine ausfuhrliche Rezension in der Suddeutschen Zeitung kommentierte die Ausstellung in Munchen mit den Worten „Afrikanische Kunst erzahlt nicht, sie beschwort.“ Dabei verwies sie auch auf die Wertschatzung afrikanischer Skulptur durch Kunstler wie Pablo Picasso, Ernst Ludwig Kirchner oder Georg Baselitz. Mit den Worten „die Rohheit der Skulpturen beruhrt und [...] erschließt sich ohne Kontext“ betonte der Kommentar die fur den Besucher auch ohne Hintergrundinformationen nachvollziehbare Ausdruckskraft der Werke. Abschließend hob die Rezensentin die „uberwaltigende Vielfalt“ dieser erstmaligen umfassenden Bestandsaufnahme tansanischer Kunst hervor. In ihrem Bericht uber die Ausstellung in Berlin fur die Fachzeitschrift African Arts betonte die Ethnologin Kerstin Volker die große Anzahl sowie die vielfaltigen Formen und Stile in der ihrem Urteil nach außergewohnlichen Ausstellung. Weiterhin schrieb sie: „Die mit großer Sorgfalt ausgewahlten Stucke waren von hoher Qualitat und hervorragende Beispiele fur ihre Art. Die Ausstellung leistete einen wichtigen Beitrag, um den Stand der Forschung uber die traditionelle tansanische Holzschnitzerei aufzuzeigen.“ Unter anderem bemerkte Volker grenzuberschreitende stilistische Einflusse auf die verschiedenen Kulturen Tansanias, die nach ihrer Einschatzung auf Wanderungsbewegungen und regionalen Handel zuruckzufuhren sind. Im Einzelnen hob sie hochstilisierte rituelle Stabe und Fliegenwedel sowie Mwana hiti-Figuren und Huckepack-Figuren hervor. Bei letzteren sitzt eine jungere Frau auf den Schultern einer alteren, wobei diese als eine Art Patin in Initiationsriten interpretiert wurde. Hierbei betonte Volker die Darstellung weiblicher Attribute dieser Objekte als Hinweis auf die Matrilinearitat der betreffenden osttansanischen Ethnien. Weiterhin kommentierte Volker die ausgestellten Skulpturen der Makonde. Diese Objekte stammten zum Großteil aus dem Museum fur Volkerkunde zu Leipzig und wurden zwischen 1850 und 1950 erworben. Darunter betonte sie wenig bekannte und außergewohnliche Beispiele fur asymmetrische Masken sowie Masken mit dem typischen Lippenpflock. Andere ausgestellte maskenartige Skulpturen, die von Mannern in rituellen Kontexten verwendet wurden, wiesen Bruste, einen hervorstehenden Nabel oder pyrographische Dekorationsformen auf. Mit Hinweis auf das geringe Wissen um traditionelle Kunst aus Tansania vermisste Volker kulturspezifische Informationen zu den Ethnien und der Verwendung der Objekte: „Obwohl in den Texten an den Wanden betont wurde, dass diese Objekte nicht als selbsterklarende Kunst um ihrer selbst willen verstanden werden, entsprach die Prasentation ohne ethnologischen Kontext genau diesem Ansatz. Auch die Beschriftungen der Objekte tendierte eher dazu, die Objekte zu klassifizieren, als Informationen uber deren Bedeutung, Verwendung oder andere Hintergrunde zu vermitteln.“ Die Ethnologin Elisabeth Grohs bezeichnete die Ausstellung in ihrem Beitrag „Tanzania oder die langst fallige Aufwertung der kunstlerischen Tradition dieses Landes“ als „Entdeckung fur das deutsche Publikum.“ Der Katalog stellt ihr zufolge ein wichtiges Dokument dar, denn viele Objekte wurden kunftig „nur mehr uber diesen Katalog zuganglich sein, da sie von Privatsammlern aufgekauft und entsprechend verstreut sein werden.“ Bei den einzelnen Beitragen vermisste sie jedoch einen einheitlichen theoretischen Ansatz, der auch die Funktion und Bedeutung bei der ursprunglichen Verwendung durch die Ethnien einbeziehen wurde. Weiterhin stellte sie die Frage, warum Tansania erst spat als Kunstregion entdeckt wurde und wie Sammler seit den 1970er Jahren eine große Zahl an zuvor unbekannten Objekten erwerben konnten. Hierbei fehlten entsprechende Informationen uber die Provenienz von Skulpturen im Privatbesitz. Die stilistischen Zuordnungen hielt sie fur teilweise zu ausfuhrlich und wenig erhellend. Weiterhin warf sie die Frage auf, ob es sich bei einigen Skulpturen um Originale oder Kopien handelte. Auch angesichts des Anspruchs der Ausstellung und des Katalogs, das Publikum in Tansania und Deutschland uber die kunstlerischen Traditionen des Landes zu informieren, kommentierte Grohs die Motive der Kunsthistoriker und Sammler auf kritische Weise: „Warum legen westliche Kunstsammler und Forscher so großen Wert darauf, als wohlmeinende Mazenaten aufzutreten und sich in vollig uneigennutziger Weise fur die Rehabilitierung missachteter Kunst einzusetzen?“ Auch die zahlreichen Abbildungen dienten nach Grohs kommerziellen Zwecken, da die Darstellung afrikanischer Kunst in Katalogen den Wert einer Skulptur im Kunsthandel betrachtlich erhohe. Insgesamt halt Grohs die Beschaftigung mit afrikanischer Kunst durch das vorherrschende Interesse in Europa und Amerika bestimmt. Ihr zufolge wurden die „Eigeninterpretation der afrikanischen Bevolkerung und ihre Reaktion auf westliche Sammelleidenschaft [...] dagegen lange nicht reflektiert.“ Schließlich kritisierte Grohs Klischees bezuglich afrikanischer Kunst wie beispielsweise im Beitrag von Meur, der von einem „blinden und stummen Materialblock“ oder einem „animistische[n] Kunstler“ spricht. In ihrer Rezension des Katalogs in African Arts bezeichnete Diane Pelrine, Kunsthistorikerin und Kuratorin an der Indiana University in Bloomington, USA, das Buch als wichtige Erweiterung der einschlagigen Literatur und hob die Abbildungen als bedeutende Erganzung von zuvor selten publizierten tansanischen Kunstobjekten hervor. Andererseits vermisste die Autorin Bezuge auf kontextuelle Informationen zu vielen Objekten. Weiterhin bemangelte die Rezensentin, dass das Buch fast ausschließlich figurative Skulpturen behandelt und nur wenige Abbildungen nicht-figurative Objekte wie Musikinstrumente, Haarnadeln oder Schnupftabakdosen zeigen. Dabei konne der stilistische Reichtum einiger dieser Objekte einen interessanten Kontrast zu vielen Figuren und Masken vermitteln. Daneben bemangelte sie, dass die Swahili-Kultur mit ihrem bedeutenden Einfluss auf die Kunst in Tansania außer im Beitrag von Felix uber Stilregionen kaum erwahnt wird. Schließlich kritisierte Pelrine, dass kein tansanischer Autor unter den acht Verfassern von Beitragen vertreten ist, was keinen Austausch zwischen afrikanischen und westlichen Wissenschaftlern ermoglicht habe. Masken und Skulpturen aus Tanganjika Die abgebildeten Objekte waren nicht Teil der Ausstellung, sondern dienen lediglich als Beispiele ahnlicher Skulpturen und Masken. Literatur Enrico Castelli, Speranza Gaetano: Die Skulptur Ostafrikas. In: Werner Schmalenbach, Enrico Castelli (Hrsg.): Afrikanische Skulptur aus der Sammlung Barbier-Muller. Prestel, Genf, Munchen 1988, ISBN 3-7913-0848-3, S. 206–303. Marc L. Felix: Mwana hiti: life and art of the matrilineal Bantu of Tanzania = Mwana hiti: Leben und Kunst der matrilinearen Bantu von Tansania. Fred Jahn, Munchen 1990, S. 504 (deutsch, englisch). Elisabeth Grohs: Kisazi: Reiferiten der Madchen bei den Zigua und Ngulu Ost-Tanzanias (= Mainzer Afrika-Studien 3). Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1980, ISBN 3-496-00122-4. Gerald W. Hartwig: Sculpture in East Africa. In: African Arts. Band 11, Nr. 4, 1978, ISSN 0001-9933, S. 62–65, 96, doi:10.2307/3335347. Gerald W. Hartwig: The Role of Plastic Art Traditions in Tanzania, Baessler–Archiv, N.F. 17, 1969, S. 25–40. Ladislas Holy: Masks and Figures from Eastern and Southern Africa. Paul Hamlyn, London 1967 (englisch, archive.org). Maria Kecskesi: Afrika-Ausstellungen in Munchen – ein Ruckblick. In: Alexander Rohreke (Hrsg.): Mundus africanus: ethnologische Streifzuge durch sieben Jahrtausende afrikanischer Geschichte; Festschrift fur Karl-Ferdinand Schaedler zum 70. Geburtstag. Verlag M. Leidorf, Rahden 2000, ISBN 3-89646-018-8, S. 81–99. Kurt Krieger: Ostafrikanische Plastik (= Veroffentlichungen des Museums fur Volkerkunde Berlin, Abteilung Afrika). Museum fur Volkerkunde, Berlin 1990, ISBN 3-88609-251-8. Dominicus Zimanimoto Makukula: The Development of Visual Arts in Tanzania from 1961 to 2015: A Focus on the National Cultural Policy and Institutions’ Influences. 2019, doi:10.17169/refubium-4095 (englisch, fu-berlin.de). Charles Meur: Peoples of Africa: Ethno-linguistic map. In: Tribal arts SPRL. 2001 (englisch). Georges Meurant: La Sculpture Tanzanienne Traditionelle Revelee par le Marche de l’Art Primitif. In: Musee national des arts d’Afrique et d’Oceanie (Hrsg.): Creer en Afrique / 2e colloque europeen sur les arts d’Afrique noire, S. 33–42, Paris, 1993. Fadhili Safieli Mshana: The Art of the Zaramo: Identity, Tradition, and Social Change in Tanzania. New Orleans University Press of the South, 2009 (englisch). Nancy Nooter. East African High-Backed Stools: A Transcultural Tradition. Tribal Arts, Autumn 1995. Diane M. Pelrine: Zaramo arts: A study of forms, contexts and history. Indiana University, 1991 (englisch, proquest.com). J.A.R. Wembah-Rashid: Traditional Sculpture in Tanzanian Art: History and Meaning for Today’s Society. In: Manfred Ewel, Anne Outwater (Hrsg.): From Ritual to Modern Art: Tradition and Modernity in Tanzanian Sculpture. Mkuki na Nyota Publishers, Dar es Salaam 2001, ISBN 9976-973-85-3 (englisch). DNB 941766381 Ausstellungskatalog im Bestand der Deutschen Nationalbibliothek. Anmerkungen und Einzelnachweise
Tanzania. Meisterwerke afrikanischer Skulptur war eine Ausstellung traditioneller afrikanischer Skulpturen, die aus dem Gebiet des heutigen Tansania stammen. Diese Ausstellung wurde 1994 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin sowie im Lenbachhaus-Kunstbau, Munchen, gezeigt. Begleitend dazu erschien ein zweisprachiger Katalog mit zahlreichen Fotografien, Landkarten und Illustrationen sowie Beitragen von Ethnologen, Kunsthistorikern und Sammlern auf Deutsch und Swahili, der Landessprache Tansanias. Die Ausstellung vermittelte erstmals einen reprasentativen Uberblick uber die reiche kunstlerische Tradition Tansanias. Sie war aus der Offentlichkeit weitgehend unbekannten Bestanden aus Privatsammlungen und großenteils aus den Depots bedeutender ethnologischer Museen in Deutschland zusammengestellt worden. Die Vielfalt der mehr als 400 Skulpturen ermoglichte detaillierte vergleichende Stilanalysen und Zuordnungen zu den einzelnen Ethnien des Landes. Dadurch wurde die Bedeutung traditioneller ostafrikanischer Kunst betont, die bis dahin im Vergleich mit dem ubrigen Subsahara-Afrika von der Kunstkritik als wenig differenziert und lediglich von geringer Qualitat eingeschatzt worden war.
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Die Wallanlage Romerlager war eine fruhmittelalterliche Wall- und Hohenburg unbekannter standischer Zuordnung sudostlich von Bad Sooden-Allendorf im Werra-Meißner-Kreis in Hessen. Das Bodendenkmal ist ein eingetragenes hessisches Kulturdenkmal. Der ursprungliche Name der befestigten Anlage ist unbekannt. Sie wurde erst nach ihrer Wiederentdeckung Ende des 19. Jahrhunderts als Romerlager benannt, wiewohl sie mittlerweile ins fruhe Mittelalter datiert wird. Lage Die Wallanlage im Frau-Holle-Land liegt etwa 1,8 km sudostlich der Stadt und auf deren Gemarkung im Altkreis Witzenhausen auf einem West-Ost liegenden flachen Hohenrucken, der durch einen Sattel zum hoheren Hirschberg (243 m NHN) ubergeht und der von Suden uber den ostlichen Kleinvachaer Bogen nach Norden durch die Werra umflossen wird. Die Anlage auf der nach Norden leicht abfallenden Mittelterrasse des Werratales grenzt dabei direkt an die steilere Hangkante im Norden und geht nach Suden in das Plateau uber, Ihringsberg genannt. Nordlich der Anlage liegt die Werraaue mit mehreren Teichen, heute Bruchteiche genannt. Die Anlage war von Suden aus zuganglich, wie Altwege zeigen, die dann ostlich der Wallburg zum Werratal uber mehrere Hohlwege abstiegen. Westlich und ostlich schutzten zwei steile Einschnitte in den Hohenrucken. Etwa 350 Meter weiter sudlich befinden sich acht vorzeitliche Grabhugel, die aber zeitlich nicht mit der Befestigungsanlage in Verbindung stehen. Ca. 300 Meter nordostlich am Werrahang des Hirschenberges befand sich die mittelalterliche Wustung Glimmerode. Geschichte Uber die Wallanlage existieren keine Urkunden oder direkte geschichtliche Zeugnisse. Aufgrund ihrer Beschaffenheit und Große wird sie ins Fruhmittelalter verortet. Die Wallanlage Romerlager wurde erstmals 1886, damals noch „Romerschanze“ genannt, beschrieben. Ab 1890 wird sie, wie heute, als „Romerlager“ bezeichnet. Zur Verwechslung kann es mit einer Abschnittsbefestigung kommen, die sich etwa 750 Meter weiter sudlich auf dem Weidschen Kopf befindet und gleichfalls als „Romerschanze“ bezeichnet wird. Beschreibung Die etwa ovale, Nordost-Sudwest ausgerichtete, im Umfang 287 Meter lange Wallanlage mit Maßen von 102 auf 82 Meter (Graben-Graben-Messungen) nimmt eine Flache von 0,63 ha ein. Dabei ist das Wall-Grabensystem nur im Osten und Suden noch deutlich zu erkennen; im Norden ist es verschleift und im Westen entweder stark abgetragen oder verschuttet. Der wohl ehemals umlaufende Spitzgraben, vermutlich auch der Grund fur die „romische Benamung“ im 19. Jahrhundert, weist an der Krone eine Breite von etwa sechs Metern auf und ist noch bis 2,50 Meter tief ausgepragt. Ende des 19. Jahrhunderts soll der Graben noch sieben Meter breit und bis drei Meter tief gewesen sein. Die Krone des bis zu zehn Meter breiten inneren Walls liegt meist um drei Meter, im Norden bis zu vier Meter uber der Grabensohle. Es wird angenommen, dass es sich bei dem Wall um die versturzten Reste einer Holz-Stein-Erde-Mauer handelt. Es sind aber auch Ahnlichkeiten zu den Ungarnwallen ersichtlich. Der ostlich vom Werratal aufsteigende Hohlweg wird in einer alten Beschreibung als zusatzlicher Burggraben erwahnt. Im Bereich der Toranlage im Osten beschreibt er einen Wellenbogen, der eine Flache von etwa 200 m² einnimmt, wodurch eine zusatzliche gesicherte Flache entstand, die als Vorburg gedeutet wird. Von den vier Lucken im Wall, die 1886 aufgezeichnet wurden, sind die beiden im Norden und Suden modernen Ursprungs und die Folgen eines neuzeitlichen Wegdurchbruches. In den Reliefdaten sind heute bis zu sieben Durchbruche im Wall ersichtlich. Das ursprungliche Tor der Anlage lag im Osten, hier weist der Wall eine alte Unterbrechung auf. Der heute verfullte Graben wurde vermutlich durch eine holzerne Brucke uberwunden. Bebauungsspuren im Innern der Anlage konnten bis dato nicht festgestellt werden. Auch archaologische Funde sind bisher nicht verzeichnet. Die Anlage wird als mogliche Befestigung zum Schutz von Reichsgut angesehen, da im 8. Jahrhundert unter dem Namen Westera im Bereich von Bad Sooden-Allendorf ein Salzwerk in koniglichem Besitz war, es wurde zwischen 768 und 779 von Karl dem Großen dem Kloster Fulda ubereignet. Die Nachfolgerin der in diesem Fall karolingischen Burg „Romerlager“ ware dann die nordwestlich nahe Sooden gelegene spatere Westerburg, die damit den ursprunglichen Namen fortgefuhrt hatte. Die Befestigungsanlage ist uber Wanderwege von Norden, Westen und Suden aus erreichbar. In der Beschreibung des Premiumweges P7 Soder Wald. Bad Sooden-Allendorf wird explizit auf eine Sonderrunde zur Wallburg und den Hugelgrabern verwiesen: Eine Infotafel vor Ort erlautert Lage, Aussehen und gibt historische Informationen. Die Anlage und die ostlich angrenzenden Hohlwege sind ebenso wie die Hugelgraber geschutzte Bodendenkmale. Literatur F.-R. Herrmann, K. Sippel: Das Romerlager bei Bad Sooden-Allendorf. Archaologische Denkmaler in Hessen, Band 136, Wiesbaden 1997. Jorg Lindenthal: Kulturelle Entdeckungen. 100 Archaologische Denkmaler in Hessen, Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thuringen und Archaologische Gesellschaft in Hessen e.V, 2004, S. 25 f. (Bearbeiter) Waldemar Kuther: Historisches Ortslexikon des Kreises Witzenhausen, Historisches Ortslexikon des Landes Hessen, Hessisches Landesamt fur Geschichtliche Landeskunde (Hrsg.), Verlag Elwert, Marburg 1973, ISBN 3-7708-0496-1. S. 110. Oscar Vug: Das Romerlager auf dem Hirsberge. In: II. Die Schanzen in Hessen. Aus: Zeitschrift des Vereins fur Hessische Geschichte und Landeskunde (Neue Folge: 15. Band (NF15) / Ganze Folge: XXV. Band), Kassel 1890, S. 65 ff. Weblinks Romerlager, Werra-Meißner-Kreis. Historisches Ortslexikon fur Hessen. (Stand: 9. September 2024). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS). Stefan Eismann: Bad Sooden-Allendorf, Romerlager in der wissenschaftlichen Datenbank „EBIDAT“ des Europaischen Burgeninstituts, abgerufen am 16. Dezember 2024. Einzelnachweise und Anmerkungen
Die Wallanlage Romerlager war eine fruhmittelalterliche Wall- und Hohenburg unbekannter standischer Zuordnung sudostlich von Bad Sooden-Allendorf im Werra-Meißner-Kreis in Hessen. Das Bodendenkmal ist ein eingetragenes hessisches Kulturdenkmal. Der ursprungliche Name der befestigten Anlage ist unbekannt. Sie wurde erst nach ihrer Wiederentdeckung Ende des 19. Jahrhunderts als Romerlager benannt, wiewohl sie mittlerweile ins fruhe Mittelalter datiert wird.
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Claire von Abegg (* 29. Januar 1874 in Berlin; † 29. November 1935 in Berchtesgaden), geb. Clara Friderica Theodora von Frerichs, war eine deutsche Adlige und fruhe Unterstutzerin Adolf Hitlers. Leben Clara von Frerichs war das dritte Kind des angesehenen Berliner Mediziners Friedrich Theodor von Frerichs (nobilitiert 1884) und dessen Ehefrau Clara, geb. Offelsmeyer (1849–1926). Ihre altere Schwester Theda (1870–1946) heiratete den Offizier Franz von Edelsheim (1868–1939) und wurde die Mutter von Maximilian von Edelsheim. Der Rittmeister und Legationsrat Wilhelm von Frerichs (1876–1940) war ihr jungerer Bruder. Am 5. Februar 1901 heiratete Clara in Florenz den russischen Legations-Attache Georges d’Abegg aus St. Petersburg. Vermutlich seit dieser Zeit bevorzugte sie die franzosische Namensform Claire. Es ist unbekannt, wo das Ehepaar bis nach dem Ersten Weltkrieg lebte. Anfang der 1920er Jahre lebte die Baronin in Bayern, verkehrte in volkischen Kreisen und war mit dem Publizisten Dietrich Eckart befreundet. Ihr Mann war zu dieser Zeit offenbar schon tot. Er soll sich im Konigssee ertrankt haben. Uber Eckart lernte sie 1923 auch Adolf Hitler kennen, als beide nach dem Skandal beim Besuch von Reichsprasident Friedrich Ebert in Munchen in Berchtesgaden untergetaucht waren. Sie machte großen Eindruck auf Hitler und erscheint noch fast 20 Jahre spater an mehreren Stellen in den von Heinrich Heim aufgezeichneten Monologen Hitlers. Ebenso wie Hitler war sie Gast in der Pension Moritz und gehorte bald neben Eckart und Emil Gansser sowie Hermann Esser und dem Parteigrunder Anton Drexler zu seiner Gesellschaft. In den Monologen wird sie so beschrieben: „Ein Skorpion war das: flachsblondes Haar, blaue Augen, Eckzahne mindestens eineinhalbmal so lang wie normale Zahne, ein englischer Typ.“ Claire von Abegg hatte gerade von der Grafin Ortenburg das abgelegene Gollhausl auf dem Vorderbrand erworben, in dem sie Eckart eine Zeit lang versteckte. Uber das Haus kam es dann zu einem Prozess mit Bruno Buchner, dem Wirt der Pension Moritz bzw. des Platterhofs, der ebenfalls angab, das Haus erworben zu haben. Erst im Mai 1935 endete diese Auseinandersetzung mit einem Vergleich. Wie ihr Bruder war Claire von Abegg eine gute Bergsteigerin, konnte klettern „wie eine Bergziege“ und begleitete Hitler auf zahlreichen Bergwanderungen und der Besteigung des Jenner. Sie unterstutzte Hitler und den Nationalsozialismus mit Geld- und Sachspenden und gehort „zu den wenig bekannten fruhen Anhangern und Forderern Hitlers“. = Vermeintliche Donatello-Buste = Claire von Abegg hatte, wohl in Italien, eine aus Ton modellierte Buste erworben. Diese war eine Kopie oder eine Zweitausfuhrung der beruhmten Buste des Niccolo da Uzzano, die damals Donatello zugeschrieben wurde. Uber ihre Authentizitat bestanden von Anfang an Zweifel. Claire von Abegg hielt sie fur ein echtes Werk Donatellos, auch Wilhelm von Bode bescheinigte 1928, dass der Kopf sicher schon zu Lebzeiten Donatellos entstanden war. In einem Korb brachte Claire von Abegg den Kopf herauf zur Pension Moritz, um ihn Hitler zu zeigen. Dieser sollte fur die Partei „funfzig Prozent des Erloses bekommen, das konnte hundert- oder hundertfunfzigtausend Goldmark ausmachen; wir waren uber alle Schwierigkeiten der Inflation hinweggekommen“. Hitler glaubte jedoch nicht an die Echtheit des Kopfes; ein Verkauf kam nicht zustande. Er wurde, taxiert auf 250.000 bis 700.000 Reichsmark, Teil der Erbmasse und war zeitweilig im Tresor der Bezirkssparkasse Berchtesgaden und dann bis 1958 im Bayerischen Nationalmuseum deponiert. Erst 2021 kam der Kopf bei Hampel Fine Art Auctions in Munchen in den Kunsthandel. Er wurde nun auf 40.000 bis 60.000 Euro geschatzt und erbrachte 45.000 Euro. = Friesenhof = Friedrich Theodor von Frerichs hatte im Ortsteil Strub von Bischofswiesen bei Berchtesgaden das halbe Semmlerlehen erworben und darauf eine Villa erbauen lassen, die er nach der friesischen Herkunft der Familie Frerichs Friesenhof nannte. Nach seinem Tod und der Heirat von Claire kam es uber das Anwesen zu einer langjahrigen Erbauseinandersetzung Claires, die in der Villa lebte, mit ihrem Bruder. Hinzu kamen politische Differenzen. Wilhelm von Frerichs vertrat als Legationsrat die Reichsregierung der Weimarer Republik in Munchen, wahrend Claire aktiv deren Gegner unterstutzte. Wilhelm von Frerichs ubertrug den Besitz 1923 an die von seiner Schweizer Frau Marguerite Vischer von Frerichs (1884–1944) eingerichtete Familienstiftung Sevogelstiftung mit Sitz im schweizerischen Schaffhausen. 1933 emigrierte Wilhelm von Frerichs, der der SPD nahestand, in die Schweiz. Der Streit war bei Claires Tod 1935 noch bei Gericht anhangig. = Nachlass = Claire von Abegg starb am 29. November 1935 nach kurzer Krankheit. In ihrem Testament, das sie im Sommer 1935 ein halbes Jahr vor ihrem Tod verfasste, setzte sie ihre nationalsozialistischen Freunde Max Wutz (Kaufmann, Ehemann von Maria Wutz) und Emil Gansser zu gleichen Teilen als Erben ein. Max Wutz hatte ihr zur Deckung ihrer umfangreichen Prozesskosten ein Darlehen gewahrt; daraufhin hatte sie ihm das Gollhausl verpfandet. Wutz und Gansser gerieten uber das Erbe bald in Streit. „Die Auseinandersetzungen um das Abegg’sche Erbe zogen sich bis nach Emil Ganssers Tod im Jahr 1941 hin und verliefen an vielen, teilweise undurchsichtigen Frontlinien zwischen Wutz, Emil Gansser bzw. spater seinem Bruder Hans, Wilhelm von Frerichs und der ehemaligen Wirtschafterin des Friesenhofes, Lydia Jankowsky, die in allen Verastelungen nicht mehr rekonstruierbar sind.“ Uber den Friesenhof kam es zu einer von Hitler arrangierten Einigung mit der Schweizer Stiftung. Danach wurde das Anwesen vom Deutschen Jugendherbergswerk erworben, um es, zusammen mit dem benachbarten Haus Hubertus von Georg von Yorry, als Erweiterungsflache fur das Vorzeigeprojekt der Jugendherberge Berchtesgaden zu nutzen. Der Krieg unterbrach jedoch die Erweiterungsbauten. Nach Kriegsende beantragte die Stiftung eine Restitution des Friesenhofes, da der Verkauf unter Druck erfolgt sei. Der Fall Sevogelstiftung – Familienstiftung, Schaffhausen vs. Land Bayern, Deutsches Jugendherbergswerk ging durch alle Instanzen bis zum Court of Restitution Appeals (CORA), der 1953 gegen die Stiftung entschied. Der Verkauf sei nicht in erster Linie zur Schadigung Frerichs’ geschehen und falle damit nicht unter das Militarregierungsgesetz Nr. 59. Das Haus blieb Teil des Jugendherbergsgelandes und ist bis heute (2024) erhalten; derzeit sind die Innenraume Kulisse fur die Fernsehserie Watzmann ermittelt. Das Gollhausl sollte nach dem letzten Willen Claire von Abeggs in eine Dietrich-Eckart-Stiftung ubergehen. Da die Verbindlichkeiten Claire von Abeggs die vorhandenen Sachwerte deutlich uberstiegen, kam die nun als Dietrich-Eckart-Hutte bezeichnete Hutte 1937 uber eine Zwangsversteigerung an den Reichsbund der Deutschen Beamten. 1943 wurde Martin Bormann (als Fiduziar fur die NSDAP) im Grundbuch als Eigentumer eingetragen. Nach dem Krieg kam das Anwesen wie alle Grundstucke im Fuhrersperrgebiet Obersalzberg unter die Kontrolle der United States Army. Diese nutzte es noch bis 2012 als Hinterbrand Lodge. Heute steht es leer. Literatur United States Court of Restitution Appeals of the Allied High Commission for Germany: Reports. Band 4, 1954 (Digitalisat), S. 97–105 Albert A. Feiber: Nutzliche Nahe zu Hitler: Das Ehepaar Max und Maria Wutz im Netzwerk „Alter Kampfer“ – Ein Gutachten des Instituts fur Zeitgeschichte. In: Vierteljahrshefte fur Zeitgeschichte 2013, S. 567–581 doi:10.1515/vfzg.2013.0025 Werner Jochmann (Hrsg.): Adolf Hitler: Monologe im Fuhrerhauptquartier 1941–1944. Aufgezeichnet von Heinrich Heim. Knaus, Hamburg 1980, ISBN 3-8135-0796-3 (Digitalisat) Weblinks Gutachten uber Max und Maria Wutz des IfZ (2013), bes. S. 22f Einzelnachweise
Claire von Abegg (* 29. Januar 1874 in Berlin; † 29. November 1935 in Berchtesgaden), geb. Clara Friderica Theodora von Frerichs, war eine deutsche Adlige und fruhe Unterstutzerin Adolf Hitlers.
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Die Wanggongchang-Explosion (chinesisch 王恭廠大爆炸), auch Große Tianqi-Explosion (chinesisch 天啟大爆炸), war eine Explosionskatastrophe, die sich am 30. Mai 1626 in Peking, der Hauptstadt der chinesischen Ming-Dynastie, ereignete. Ein großer Teil Sudwest-Pekings wurde dabei zerstort. Das Zentrum der Explosion war eine große Schwarzpulverfabrik. Nach zeitgenossischen Angaben starben etwa 20.000 Menschen, was das Ereignis zur schwersten Explosionskatastrophe in Friedenszeiten und einer der schwersten der Geschichte machen wurde. Einige Historiker bewerten das Ereignis als schlimmste Katastrophe in der Geschichte Pekings. Wanggongchang-Waffenfabrik Peking war kulturelles und politisches Zentrum der Ming-Dynastie und damals mit etwa zwei Millionen Bewohnern die großte Stadt der Welt. Die Waffenfabrik Wanggongchang befand sich etwa drei Kilometer sudwestlich der Verbotenen Stadt im heutigen Distrikt Xicheng. Sie war eine von sechs großen Schwarzpulverfabriken im Großraum Peking, die vom Ministerium fur offentliche Arbeiten verwaltet wurden, und außerdem Produktionsstatte fur Pfeile, Klingenwaffen und Kanonen sowie Lager fur Rustungen, Schusswaffen, Bogen, Munition und Schwarzpulver fur die Shenjiying, eine Militarabteilung, die fur die Verteidigung der Hauptstadt verantwortlich war. Dort arbeiteten etwa 70 bis 80 Menschen. Im fruhen 17. Jahrhundert befanden sich die Armeen der Ming-Dynastie in einem Wettrusten mit den Mandschu und neue Schusswaffen, darunter Kopien europaischer Waffen, die von Portugiesen nach China gebracht wurden, wurden als wichtige Verteidigungsressourcen gesehen. Damit die Waffen nicht dem Feind in die Hande fallen konnten, waren die Fabriken innerhalb der Stadtmauern Pekings angesiedelt. Hergang Ein detaillierter Bericht der Explosion stammt aus einem Dibao (einer offiziellen Zeitung) mit dem Titel „Offizielle Bekanntmachung Himmlischer Katastrophe“ (天變邸抄 Tianbian Dichao). Demnach ereignete sich die Explosion zur Doppelstunde Si shi, also zwischen 9 und 11 Uhr morgens, am 30. Mai 1626. Bei klarem Himmel wurde in der Stadt auf einmal ein lautes, drohnendes Donnern aus dem Nordosten vernommen, das sich nach Sudwesten ausbreitete, gefolgt von Staubwolken und einem Erbeben der Hauser. Anschließend gab es einen hellen Blitz mit einem „großen Licht“ und einen lauten Knall, der „den Himmel zerbrach und die Erde zermahlte“; der Himmel wurde schwarz und alles innerhalb von drei bis vier Li (etwa zwei km) und 13 Quadratli (etwa vier km²) wurde komplett zerstort. Nach anderen Berichten wurde vor der Explosion zunachst eine Rauchsaule uber der Fabrik gesichtet. Trummer wie Ziegelsteine und Dachziegel und sogar menschliche Korperteile regneten auf die Stadt nieder. Tausende Hauser wurden zerstort und die Straßen waren nicht wiederzuerkennen, ubersat mit Schutt und herabgefallenen Dachziegeln. Große Baume wurden entwurzelt und bis ins landliche Miyun auf der anderen Seite der Stadt geschleudert; ein 5000 Katti (etwa drei Tonnen) schwerer Wachterlowe wurde uber die Stadtmauer katapultiert. Der Boden um die Wanggongchang-Waffenfabrik, wo sich die Explosion ereignete, war mehr als zwei Tschan (etwa 6,5 m) abgesunken, jedoch erstaunlicherweise wenig vom Feuer zerstort. Die Leichen, die nicht vernichtet worden waren, wurden nackt und mit seltsamen Ruckstanden bedeckt aufgefunden. Die Wolken uber dem Epizentrum sahen angeblich aus wie chaotische Seidenfaden; einige waren vielfarbig und andere sahen aus wie schwarze Lingzhi-Pilze, die sich in den Himmel erhoben und erst Stunden spater auflosten. Nach anderen Angaben gab es nur eine große schwarze pilzformige Wolke, die innerhalb einer Minute entstand. Der Knall wurde bis in die Distrikte Miyun und Changping im Norden, Tongzhou im Osten (40 km entfernt) und Hexiwu im Suden gehort, und Erschutterungen wurden mehr als 150 km entfernt in Zunhua (wo man auch den Knall vernehmen konnte), Xuanhua, Tianjin, Datong and Guangling verspurt. Einige Außenposten gingen zunachst von einem Erdbeben aus. Etwa die Halfte Pekings war betroffen, vom Xuanwumen-Tor im Suden bis zur heutigen Chang’an-Straße im Norden. Die Stadt verfiel in Panik. Mehrere Regierungsbeamte wurden bei der Explosion verletzt, getotet oder verschwanden; einige wurden unter ihren eigenen Hausern begraben. Minister fur offentliche Arbeiten Dong Kewei (董可威) brach sich beide Arme und musste sich spater aus der Politik zuruckziehen. Die Palaste der Verbotenen Stadt wurden zu der Zeit renoviert, nach einigen Angaben wurden uber 2000 Arbeiter von den Dachern geschuttelt und starben. Kaiser Tianqi saß zum Zeitpunkt der Explosion beim Fruhstuck im Palast der Himmlischen Reinheit (Quanqinggong). Nach dem ersten Beben verfielen viele der Diener in Panik und der Kaiser lief zur Halle der Beruhrung von Himmel und Erde (Jiaotaidian), gefolgt nur von einem einzigen Wachter, der ruhig blieb, aber spater von einem herabfallenden Ziegel getotet wurde. Der einzige verbliebene Erbe Tianqis, der sieben Monate alte Kronprinz Zhu Cijiong (朱慈炅), starb bei dem Schock. Daher folgte bei dem Tod des Kaisers im folgenden Jahr sein einziger uberlebender Bruder als Chongzhen auf den Thron. Folgen Die spate Ming-Dynastie befand sich zur Zeit der Explosion in einer Krise durch Korruption, Faktionenkonflikte und verschiedene Naturkatastrophen (moglicherweise durch die Kleine Eiszeit verstarkt), die zu Bauernaufstanden und Rebellionen fuhrten. Teile der imperialen Offiziere kritisierten den Kaiser und glaubten, die Explosion sei eine himmlische Bestrafung fur des Kaisers personliche Inkompetenz (Tianqi beschaftigte sich mehr mit Holzarbeiten als dem Regieren). Manche zogen gar das himmlische Mandat des Kaisers in Zweifel. Tianqi wurde gezwungen, ein Bußedikt zu verkunden, und gab 20.000 Goldtael fur die Rettungsarbeiten aus. Die Zerstorung der Waffenfabrik, die zu den großten Lagern und Fabriken fur Geschutze und Munition in China gehorte, fuhrte zu einem Materialverlust, von dem sich die Ming-Dynastie nie ganz erholte. Das Gold, das fur die Hilfsguter ausgegeben wurde, belastete die Staatskasse, die bereits unter steigenden Militarausgaben in der Mandschurei gegen die (letztlich erfolgreiche) Jurchen-Rebellion unter Nurhaci und Steuerhinterziehung der oberen Mittelklasse im wohlhabenderen Suden Chinas litt. Der Glaube an himmlische Bestrafung aufgrund des Versagens des Kaisers zehrte weiter an der Autoritat und Unterstutzung fur die regierende Ming-Dynastie. Die Explosion wird gelegentlich als Beweis fur den Niedergang der administrativen Qualitat der Ming-Regierung angefuhrt. Als Tianqis Bruder ihm 1627 als Kaiser Chongzhen nachfolgte, da der Kronprinz bei der Explosion gestorben war, beseitigte er den verhassten, bis dahin den Großteil der Regierungsgeschafte fuhrenden Eunuchen Wei Zhongxian und dessen Unterstutzer, was die Stabilitat des Ming-Hofes stark verringerte. Die inneren Konflikte zwischen der wiederauflebenden Donglin-Bewegung, die Wei brutal unterdruckt hatte, und ihren politischen Gegnern flammte auf, was zusammen mit Chongzhens Ungeduld und Impulsivitat den Niedergang der Ming-Dynastie 18 Jahre spater beschleunigte. Ursache Die Wanggongchang-Waffenfabrik war in der Lage, innerhalb von funf Tagen 3000 Katti (etwa 1,8 Tonnen) Schwarzpulver zu produzieren. Bereits direkt nach der Katastrophe wurde eine unbeabsichtigte Entzundung des gelagerten Schwarzpulvers als Ursache gesehen. Als konkrete Ursachen wurden gefahrlicher Umgang mit dem Schwarzpulver wahrend Produktion und Transport, elektrostatische Entladung oder Sabotage durch Spione der Spateren Jin-Dynastie vorgeschlagen. Die genaue Ursache lasst sich heute nicht mehr abschließend feststellen. Zeitgenossische Erklarungen wurden maßgeblich durch Aberglauben beeinflusst. Heutige Historiker sind sich noch nicht einmal einig, ob uberhaupt eine Sprengstoffexplosion stattfand. Es bestand der Verdacht, die offizielle Darstellung konnte sensationalisiert gewesen sein. Im Laufe der Zeit wurden auch alternative Theorien fur die Ursache der Zerstorung verbreitet, so eine Aufstauung entzundlicher Gase, eine Meteoritenexplosion und ein Vulkanausbruch. Argumente gegen die klassische Schwarzpulver-Erklarung sind, dass im Epizentrum und an Kleidung kaum Brandspuren gefunden wurden, sowie weit weg geschleuderte Kleidung, Baume und Menschen. Die Sprengkraft der Explosion wurde spater von einigen Forschern auf etwa 20.000 Tonnen TNT-Aquivalent geschatzt, vergleichbar mit der Kernwaffe, die 1945 auf Hiroshima abgeworfen wurde – die Menge des gelagerten Schwarzpulvers hatte fur solch eine Explosion jedoch nicht ausgereicht. Wenn die Explosion 100 km entfernt gehort werden konnte, hatte nach einigen Angaben außerdem die gesamte Stadt zerstort werden mussen. Ebenso soll eine Person die Explosion am Epizentrum uberlebt haben. Eine Konferenz in Peking im Jahr 1986 anlasslich des 360. Jahrestags der Katastrophe untersuchte verschiedene Ursachen und schloss, dass ein Erdbeben Gase freigesetzt habe, die eine Explosion und das anschließende Feuer verursachten. Die Theorien zu spontaner Schwarzpulverexplosion, Meteoriteneinschlag und Untergrund-Vulkanausbruch wurden zuruckgewiesen. Eine Gruppe chinesischer und US-amerikanischer Wissenschaftler argumentierte 2013, die Zerstorung konne das Werk eines großen Tornados gewesen sein, der auch die Explosion verursachte. Dies wurde die entkleideten Korper und weit verstreuten Trummer erklaren. Der Knall sei demnach auf eine Schwarzpulverexplosion innerhalb des Tornados zuruckzufuhren und von diesem verstarkt worden. Ein Wirbel habe in der Luft von Peking nach Jizhou existiert; der Tornado am einen Ende habe zur Katastrophe in Peking und der am anderen Ende zur Zerstorung in Jizhou gefuhrt. Die Schwarzpulverexplosion uber Wanggongchang habe eine große Menge Energie freigesetzt, die den Tornado von Klasse 3 zu Klasse 5 auf der Fujita-Skala verstarkt und die zerstorte Flache stark vergroßert habe. Verarbeitung Die Katastrophe erhielt die Beachtung vieler zeitgenossischer Gelehrter und tauchte anschließend haufig in Schriften des Ming-Qing-Ubergangs im 17. Jahrhundert auf. Der ursprungliche Bericht wurde transkribiert und in verschiedenen Texten als „Offizielle Bekanntmachung Himmlischer Katastrophe“ bewahrt. Die Gelehrten Liu Tong und Yu Yizheng verarbeiten in ihrem Werk „Eine Zeichnung der Orte und Objekte in der Kaiserlichen Hauptstadt“ (Dijing jingwulue) von 1635 Details aus dem Bericht und stellen die Explosion in ihrem zeitgenossischen Umfeld dar. Nach dem Untergang der Ming-Dynastie begannen die Gelehrten, dessen sozio-politische Ursachen in historischen Texten zu untersuchen. Ji Liuqi stellt die Explosion in seinem Werk „Ein Kompendium der Ereignisse im Norden wahrend der letzten Ming-Jahre“ (Mingji beilue) von 1670 als Zeugnis der „rechtmaßigen Proteste“ der Donglin-Aktivisten gegen Eunuchen dar, wahrend Wu Weiye in „Das Kompendium der Banditenbesanftigung“ (Suikou jilue) von 1658 die Interpretation der Katastrophe als Himmelsomen vertritt, das den Untergang der Ming-Dynastie andeutete. Spatere Qing-Schriftsteller veranderten fruhere Texte, um ihre eigenen politischen Ansichten zu verdeutlichen, darunter insbesondere die Kriminalisierung des Eunuchen Wei Zhongxian. Literatur Chen Kang: 376年前明朝北京大爆炸死者为何皆裸体(附图). Beijing Youth Daily, 30. Mai 2002. 王恭廠大爆炸:明末京師奇災研究 (Die große Explosion der Wanggong-Fabrik: Eine Studie uber seltsame Katastrophen in der Hauptstadt der spaten Ming-Dynastie), Beijing Earthquake, Hrsg. Geng Qingguo, 1990. Zhang Tingyu: Ming-Geschichte, Band 22 (Funf Elemente Zhi). Einzelnachweise
Die Wanggongchang-Explosion (chinesisch 王恭廠大爆炸), auch Große Tianqi-Explosion (chinesisch 天啟大爆炸), war eine Explosionskatastrophe, die sich am 30. Mai 1626 in Peking, der Hauptstadt der chinesischen Ming-Dynastie, ereignete. Ein großer Teil Sudwest-Pekings wurde dabei zerstort. Das Zentrum der Explosion war eine große Schwarzpulverfabrik. Nach zeitgenossischen Angaben starben etwa 20.000 Menschen, was das Ereignis zur schwersten Explosionskatastrophe in Friedenszeiten und einer der schwersten der Geschichte machen wurde. Einige Historiker bewerten das Ereignis als schlimmste Katastrophe in der Geschichte Pekings.
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Sofie Conradine Schjøtt (* 11. August 1871 in Aker; † 20. Januar 1950 in Oslo) war eine Pionierin des Frauenstudiums, Juristin und die erste Richterin Norwegens. Sie machte eine lange Karriere als Verwaltungsjuristin, bevor sie im Alter von funfzig Jahren Richterin am Osloer Stadtgericht wurde. Leben = Eltern und Geschwister = Sie war die zweite von vier Tochtern des Philologieprofessors Peter Olrog Schjøtt (1833–1926) und der Schriftstellerin Mathilde Schjøtt, geborene Dunker (1844–1926). Ihre Schwestern waren: Anna Theodora (* 1868), Julie Constance (* 1874) und Mathilde (* 1876). Die angesehene Familie hatte ihre Wohnung in Bogstadveien bzw. Frogner gade in Vestre Aker, das um 1890 nach Kristiania kjøpstad eingemeindet wurde. Ab der Volkszahlung 1900 war die Wohnadresse Rosenborggaden 11. Alle vier Tochter wurden berufstatig, nachdem sie zuvor studiert und akademische Abschlusse erreicht hatten. Damit waren sie Pionierinnen des Frauenstudiums in Norwegen, das erst 1884 allgemein erlaubt worden war. Mathilde Schjøtt (1876–1959) war als Realschullehrerin Norwegens erste Beamtin. Auch Anna Theodora und Julie Constance arbeiteten als Lehrerinnen, letztere als Philologin an der Kristiansand katedralskole (Domschule Kristiansand). = Karriere = Sofie Schjøtt legte 1890 ihr Abitur mit Vorzug (Examen artium som presetrist) an der Schule von Otto Anderssen in Kristiania ab und arbeitete anschließend ein Jahr als Hauslehrerin in Malselv. Danach nahm sie ein Jurastudium auf und schloss es 1896 mit dem cand. jur. ab. Im Folgejahr wurde sie als Verwaltungsjuristin (funksjonær) im Verteidigungsministerium angestellt und blieb dort zwanzig Jahre lang, zunachst in der Position eines ekstraskriver und ab 1903 als sekretær av 1. klasse. Ihr Abteilungsleiter Alf Collett war mit ihr sehr zufrieden: „Sie arbeitet ihre Falle mit viel Geschick, Umsicht und Genauigkeit ab und ist außerdem eine geschickte und interessierte Juristin mit einem schnellen und scharfen Ruf. Schließlich ist sie sehr liebenswurdig und zuvorkommend.“ (zitiert bei) Um 1900 durften Frauen in Norwegen nicht als Rechtsanwaltinnen oder Richterinnen arbeiten. Der Norwegische Anwaltsverband bestand daher nur aus Mannern, als er sich solidarisch zeigte und im Dezember 1901 offentlich fur die Zulassung der Frauen eintrat. Funf Absolventinnen der Rechtswissenschaft, darunter Sofie Schjøtt, richteten daraufhin eine Petition an das Justizministerium. Mit dem Gesetz vom 20. Februar 1904 erhielten Frauen die Zulassung als Anwaltinnen (sakfører) und zwar auch fur den Obersten Gerichtshof (høyesterettsadvokat). Und mit dem Gesetz vom 9. Februar 1912 durften sie in staatlichen Amtern, darunter auch als Richterinnen, beschaftigt werden. Sofie Schjøtt wurde 1916 zur Buroleiterin im Marineamt befordert. Im Zusammenhang damit ubernahm sie die Redaktion des Departementsbladet. Organ for regjeringskontorenes funktionærer (Ministeriumszeitschrift, Organ fur Regierungsbeamte). In dieser Funktion war sie ab Juli 1917, und zwar zusammen mit A. Th. Kiær und O. Midtskaug. A. Th. Kiær und Sofie Schjøtt verließen nach der ersten Nummer 1919 die Redaktion, um als Richter bzw. dessen Stellvertreterin nach Tynset zu gehen. Im Folgejahr wurde Sofie Schjøtt sekretær im Justizministerium. Am 26. August 1920 berichtete das Morgenbladet mit einem Foto uber „Die erste Richterin des Landes“: „Wie in der Morgenausgabe erwahnt, ist Fraulein Sofie Schjøtt vorubergehend als Richterin in Nordre Østerdalen tatig. In der Gemeinde gab es bisher eine Stadtvogtin, aber keine Richterin.“ Erst als 50-Jahrige erreichte Sofie Schjøtt eine dauerhafte Anstellung als Richterin, und zwar am Stadtgericht (byrett) in Kristiania. 1921 wurde sie ekstraordinær assessor und 1926 ordinær assessor, was sie bis zu ihrer Pensionierung 1936 blieb. Sofie Schjøtt blieb unverheiratet und lebte mit ihrer Schwester Anna bei ihren Eltern auf Rosenborggaden 11. = Wurdigung = Anlasslich ihres 60. Geburtstags am 11. August 1931 wurde Sofie Schjøtt von Tidens Tegn in einem Artikel wieder mit einem Foto als „Norwegens erster weiblicher Richter“ geehrt: „Die Ernennung von Frau Schjøtt wurde mit großer Skepsis aufgenommen, da selbst konservative Juristen glaubten, dass sie den Respekt vor dem Gericht untergraben wurde. Aber Frau Schjøtt hat sowohl ihre eigene Position als auch die des Gerichts gerettet – Frau Schjøtt hat sich in den 10 Jahren, die sie am Osloer Stadtgericht tatig ist, als hervorragend geeignet fur das Richteramt erwiesen und genießt sowohl bei ihren Kollegen als auch bei den prozessfuhrenden Anwalten hochstes Ansehen.“ (zitiert bei) Uber ihren Tod berichteten am 26. Januar 1950 zahlreiche Tageszeitungen, die freilich fast alle nur die (auf den 25. datierte) NTB-Meldung abdruckten. Im Morgenbladet jedoch wurdigte Nikolai Hoff seine Kollegin: „Auch in rein personlicher Hinsicht war Sofie Schjøtt eine wurdige Vertreterin der gebildeten Frauen ihrer Generation. […] Sie war streng in ihren Anspruchen an sich selbst, aber nachsichtig in ihrem Urteil uber andere. […] Fur uns Richter am Stadtgericht war sie die liebenswurdigste Kollegin.“(zitiert bei) Verwandtschaft mit der Familie Hansteen Sofie Schjøtts Urgroßmutter Conradine Dunker war eine geborene Hansteen und deren Nachfahren sind eine sehr verzweigte Familie, deren Mitglieder (und ihre Ehepartner) oftmals durch literarische, philologische, kunstlerische, politische oder padagogische Aktivitaten prominent geworden sind. Viele Frauen waren literarisch und fur die Frauenrechte tatig: Sofies Mutter Mathilde Schjøtt, ihre Großtante Vilhelmine Ullmann und die entfernter verwandten Ragna Nielsen und Aasta Hansteen. Großvater Bernhard Dunker war politisch tatig, Onkel Steinar Schjøtt (1844–1920) padagogisch, Cousin Jens Dunker (1892–1981) war Architekt. Werke Retslige forhold i hjemmet. (Rechtsangelegenheiten im Haushalt.) in: Sophus Torup (Hrsg.): Husmoderens haandbøger. Hf. 4–5, Kristiania 1900. Literatur Norges forste kvinnelige dommer. in Tidens Tegn vom 11. August 1931, S. 3 (Digitale Version) Thordis Støren: Justitias døtre. De første kvinnelige jurister i Norge. Universitetsforlaget, Oslo 1984, ISBN 82-00-07172-3. Weblinks Mathilde Dunker. in: Slekt skal følge slekters gang Sophie Conradine Schjøtt. in: Historisk befolkningsregister Einzelnachweise
Sofie Conradine Schjøtt (* 11. August 1871 in Aker; † 20. Januar 1950 in Oslo) war eine Pionierin des Frauenstudiums, Juristin und die erste Richterin Norwegens. Sie machte eine lange Karriere als Verwaltungsjuristin, bevor sie im Alter von funfzig Jahren Richterin am Osloer Stadtgericht wurde.
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Joseph Leopold Stiger (Vorname auch Josef, getauft Josef Franz Leopold; * 15. Februar 1816 in Graz; † 20. Janner 1880 in Zurich) war ein osterreichischer Publizist und Revolutionar. Der Jurist beteiligte sich an vorderster Front an der Revolution von 1848/1849 und musste nach dem Scheitern des Wiener Oktoberaufstandes ins Ausland fluchten. Nach einem zehnjahrigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten, wo er als Mediziner tatig war und Ideen des Fruhsozialismus propagierte, kehrte er 1861 nach Europa zuruck. Von der Schweiz aus kommentierte er den amerikanischen Sezessionskrieg und trat vehement gegen die Sklaverei auf. Nach seiner Begnadigung verbrachte er einige Jahre in seiner Heimatstadt Graz, wo er als Publizist weiterhin liberale Themen propagierte, einer freireligiosen Bewegung angehorte und sich erfolglos um die Konzession fur den Bau einer Pferdestraßenbahn bewarb. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Stiger wieder in der Schweiz. Biographie = Familiarer Hintergrund und Ausbildung = Joseph Leopold Stiger wurde in Graz als drittes von sechs Kindern des Augenarztes Johann Evangelist Stiger (1776–1846) und dessen Gattin Klara (geb. Prett) geboren. Die Familie besaß mehrere reprasentative Immobilien in der Stadt, der hoch angesehene Vater wurde unter anderem 1817 zum stadtischen Augenarzt und 1837/38 zum Rektor der Universitat Graz ernannt. Der Sohn Joseph Leopold meldete sich nach seinem Rechtsstudium in Graz 1839 als Auditoriatspraktikant, der erste Schritt einer Laufbahn in der Militarjustiz. Anscheinend aufgrund eines Zerwurfnisses mit der Familie suchte Stiger um Stationierung in den weit entfernten Garnisonen Brunn oder Lemberg an. In den folgenden Jahren ließ er sich nach Wien und nach dem Tod des Vaters 1846 nach Graz versetzen, die uberfallige Prufung zum Militarrichter legte er aber an keiner der Stationen ab. Nach dem Tod des Vaters kam es zu einem langwierigen Erbstreit mit seinen Geschwistern und Schwagern, in dem Stiger auch gegenuber den zustandigen Behorden und Gerichten als sehr streitbar und prinzipientreu auftrat. Wahrend eines Kuraufenthaltes in Jesenik (damals deutsch Bad Grafenberg) erreichten ihn 1848 die Berichte uber die Marzrevolution, woraufhin er am Folgetag nach Wien reiste. Dort zeigte er sich enttauscht daruber, dass die Bewegung, wie er selbst in seiner Biographie schreibt, nicht vom „Burger und Bauernstande, die am meisten zu leiden hatten,“ ausging, sondern von der „Jugend.“ = Wirken in der Revolutionszeit = Von der Marzrevolution zur Reichstagswahl Zuruck in Graz grundete Stiger den Grazer Demokratischen Verein, als dessen Aufgabe er ruckblickend die „allgemeine Aufklarung uber das Wesen einer konstitutionellen Staatsform“ sah. In den Statuten des Vereines war festgelegt, dass die Mitglieder sich „von allen Straßendemonstrationen und Katzenmusiken, welche damals an der Tagesordnung waren“, fernhalten sollten, doch ist die Teilnahme Stigers an versuchten Gewaltakten gegen den Gubernator Matthias Constantin Capello von Wickenburg aktenkundig. Unter dem Pseudonym Der kropfige steirische Jakel verfasste er Plakate und Flugblatter, die die politischen Entwicklungen kommentierten und seine steirischen Landsleute fur die Anliegen der Revolutionare begeistern sollten, aber auch als Nachrichten nach Wien konzipiert waren. In diesen außerte er sich unter anderem als Unterstutzer der „Mairevolution“ (sogenannte „Sturmpetition“ gegen die als zu wenig demokratisch kritisierte Pillersdorfsche Verfassung) und sprach sich fur die Umwandlung der Habsburgermonarchie in eine Foderation nationaler Bundesstaaten mit eigenen Landtagen unter Fuhrung eines gemeinsamen Ministerrates aus. Die Feudallasten der Bauern sollten entschadigungslos aufgehoben werden, Staatsschulden unter anderem durch Einziehung von Klostergutern und eine Luxussteuer reduziert werden. Stiger fiel in der Offentlichkeit nie als politischer Agitator im Sinne eines Redners auf, sondern beschrankte sich auf die publizistische Arbeit. Sein couragiertes, durch großen Einsatz privater Finanzmittel gestutztes Auftreten brachte ihn in Kontakt mit Vinzenz Benedikt von Emperger und anderen fuhrenden Kopfen der Revolution in Graz, sodass das Komitee zur Uberwachung der Wahlen ihn in die steirische Kandidatenliste fur die Wahl des Reichstages im Juni 1848 aufnahm. Er wurde jedoch nicht in den Reichstag gewahlt. Oktoberaufstand und Flucht Die einschneidendste Episode in Stigers Biographie bildete sein Engagement fur den Wiener Oktoberaufstand 1848. Stiger begrußte die Ereignisse in Wien und publizierte eifrig gegen den kroatischen Ban Joseph Jelacic, dessen konterrevolutionare Truppen er als Bedrohung nicht nur fur Wien, sondern auch fur die Steiermark sah. In den Plakaten jener Zeit verknupfte er steirische Anliegen (insbesondere die Absetzung des Gubernators Wickenburg) mit Unterstutzungserklarungen an die Wiener Bevolkerung. Diese Drucke gelten als einzigartige Dokumente der Solidaritat zwischen der Provinz und der aufstandischen Hauptstadt. Kaiser Ferdinand I. war am 7. Oktober geflohen, die Stadt befand sich in Handen der Revolutionare, ein Ruckeroberungsversuch durch die kaiserlichen Truppen war zu erwarten. Stiger gilt als einer der Initiatoren jenes 400 bis 500 Kopfe starken Hilfskorps (die sogenannte „Grazer Legion“), das sich zwischen dem 7. und 12. Oktober 1848 mithilfe der wenige Jahre zuvor eroffneten Sudbahn in mehreren Gruppen auf den Weg nach Wien machte. Diese Grazer Truppe zeichnete sich gegenuber anderen Kontingenten durch einen hohen Organisationsgrad aus, ihre militarische Fuhrung oblag Ferdinand Eisenbach, einem pensionierten Hauptmann. Als politische Reprasentanten der Grazer in Wien traten Vinzenz von Emperger, Friedrich Benedetti und Joseph Leopold Stiger auf. Stiger verfasste erneut Plakate und Flugblatter, wirkte aber auch als Verbindungsmann zwischen dem Wiener Demokratischen Zentralverein und der „Grazer Legion.“ So kam er in Kontakt mit Robert Blum und anderen fuhrenden Protagonisten der Frankfurter Nationalversammlung. Emperger, Benedetti und Stiger waren ordentliche, stimmberechtigte Mitglieder des 33-kopfigen „Zentralausschusses aller demokratischen Vereine Wiens“, der die Fuhrung der Stadt ubernommen hatte. Ab dem 26. Oktober wurde Wien durch die kaiserliche Armee beschossen und am 31. Oktober mit der Inneren Stadt schließlich der letzte Bezirk zuruckerobert. Als eine Patrouille in Stigers Unterkunft (einem Gasthaus am Hohen Markt) nach ihm suchte, fanden die Soldaten nur noch sein Gepack und einen Packen belastender Schriften vor, dem Eigentumer war die Flucht aus Wien gelungen. Fur die folgende Anklage bedeutsam war unter anderem eine schriftlich festgehaltene Eidesformel. Sie beginnt mit den Worten: „Ich schwore vor Gott und meiner Ehre, als freier, gleichberechtigter Staatsburger die Rechte des Volkes und des konstitutionellen Thrones zu wahren...“. Anfang Dezember 1848 war der fluchtige, steckbrieflich gesuchte Stiger offenbar im Judenburger Kreis gesehen worden, dann taucht er in der Schweiz wieder auf. Von dort aus versuchte er erfolglos, uber einen Grazer Anwalt das gegen ihn laufende Verfahren zu beeinflussen und die Konfiszierung seines Vermogens ruckgangig zu machen. Laut Anklageschrift gehore Stiger „durch seine Aufrufe und durch sein Wirken als Demokrat unter die Zahl der Aufwiegler, wenn auch unter die minder gefahrlichen, weil ihm jene Personlichkeit abging, durch die allein sich ein solcher Verbrecher zu hoherer Wirksamkeit emporschwingen kann…“ Stiger wurde von der Justiz also nicht zu jener ersten Riege der Aufstandischen gezahlt, die fur ihre Uberzeugung mit dem Tod bezahlten, das Gericht verurteilte ihn in Abwesenheit zu zehn Jahren Kerkerhaft. Aus dem Militarjustizdienst war er bereits im November 1848 entlassen worden. Nach mehrmonatigen Aufenthalten in der Schweiz, Deutschland und Spanien wanderte Stiger im April 1851 von Frankreich in die Vereinigten Staaten aus. = Amerikanische Traume = In den Vereinigten Staaten wurde Stiger nach mehreren Ortswechseln in Buffalo sesshaft. Er betrieb dort eine Arztpraxis, offenbar hatte er die bei seinem Vater erlernten Medizinkenntnisse im Selbststudium erweitert. Auch hier blieb er seiner „radikal-demokratischen“ Einstellung treu und beteiligte sich am offentlichen Diskurs. Schon 1852 hatte er in Cleveland ein deutschsprachiges Monatsmagazin namens Der Kommunist herausgegeben und eine Art Leseverein gegrundet, der seinen Mitgliedern Zugang zu politischen Schriften ermoglichte. Der deutschamerikanische Historiker Carl Frederick Wittke (1892–1971) kategorisiert Stiger in seiner Publikation uber die „Forty-eighters in America“ als einen „exponent of Utopia“ (vgl. Utopischer Sozialismus). Stiger korrespondierte mit Hans Kudlich und Carl Schurz, aber auch mit dem General und spateren Prasidenten Ulysses S. Grant. In einem Brief an einen Grazer Freund aus dem Jahr 1853 bedauert er, dass sein Kampfgenosse Vinzenz von Emperger immer noch inhaftiert sei, und bietet finanzielle Unterstutzung fur dessen Befreiung an. Mit Ausbruch des Amerikanischen Burgerkrieges verfasste er als entschiedener Gegner der Sklaverei mehrere deutschsprachige Broschuren, die Lesern in Europa die Anliegen der Nordstaaten verstandlich machen sollten. Die 1864 publizierte Broschure Nieder mit der Sklaverei! widmete er Harriet Beecher Stowe, mit dem Erlos seiner Schriften unterstutzte er ublicherweise karitative Organisationen. Wahrend seiner Zeit im Ausland hielt Stiger im Geist der Revolution von 1848 stets sein deutsches Nationalbewusstsein (im Sinne des Deutschen Reiches 1848/1849) aufrecht. Wem es in der Heimat gut gehe, der solle nicht auswandern. Anderen jedoch eroffne Amerika große Moglichkeiten. „Ein energischer, fur die Hebung der deutschen Nation begeisterter Patriot [konne] dort mehr Gutes leisten, als in Deutschland.“ Seiner Uberzeugung nach seien die deutschen Auswanderer berufen, einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der jungen amerikanischen Nation zu leisten. In einer Broschure mit Ratschlagen fur Auswanderer, aus der auch das vorherige Zitat stammt, schreibt er: = Zuruck in Europa = 1861 kehrte Stiger in die Schweiz zuruck, wo er 1863 den ersten Band seiner Autobiographie veroffentlichte. Die beiden anderen Teile des dreibandig angelegten Werkes erschienen nie. Wohl um die osterreichischen Behorden, von denen er sich eine Begnadigung erhoffte, nicht zu verargern, ist das Werk politisch gemaßigt. Erst nach mehreren Gnadengesuchen, die auch Fursprecher im Landtag gefunden hatten, wurde Stiger 1865 die Ruckkehr nach Graz ermoglicht. Er bezog eine Wohnung in der Sporgasse (im Areal der Stiegenkirche). Stiger war weiterhin ein kritischer Kommentator des politischen und gesellschaftlichen Geschehens, jedoch nicht mehr in einer Art, die den Behorden einen Anlass zum Einschreiten gegeben hatte. Er verfasste Artikel fur die Tagespost und war einer der Meinungsfuhrer im Grazer Deutschkatholischen Verein. Neben der Unterstutzung fur diese freireligiose Bewegung trat er in Vortragen und Zeitungskommentaren unter anderem mit Forderungen zur Abschaffung der Todesstrafe und fur ein liberales Schulgesetz offentlich in Erscheinung. Zudem grundete er einen „Auswanderungsverein,“ der (wie die Behorden beruhigt feststellten) nicht bloß zum Auswandern aufforderte, sondern Auswanderungswillige vor Betrugereien warnte. Als 1868 zum wiederholten Mal die Errichtung einer Pferdebahn in Graz diskutiert wurde, bewarb Stiger sich um die Konzession fur den Bau und Betrieb einer solchen Bahn und berichtete in einer einschlagigen Publikation lobend uber die Vorzuge des offentlichen Verkehrs, wie er sie in den Vereinigten Staaten kennengelernt hatte. Er erhielt jedoch keinen Zuschlag (vgl. Straßenbahn Graz). Im Oktober 1872 bat die Wiener Polizeidirektion die Grazer Behorden um Informationen uber einen verdachtig erscheinenden Mann namens Stiger, der in Wien die Absicht geaußert habe, in die Schweiz oder die Vereinigten Staaten auszuwandern. Offenbar stand er weiterhin unter behordlicher Beobachtung. Die Antwort aus Graz war beschwichtigend: Stiger habe ein anstandiges Vermogen, lebe zuruckgezogen und verbringe den Sommer zumeist in den Bergen. Trotz seiner „von jeher etwas uberspannten Ansichten“ werde er von niemandem fur gefahrlich gehalten. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Stiger in der Schweiz. Auch dort blieb er publizistisch tatig und verfasste unter anderem einen Kommentar zu der US-amerikanischen Prasidentschaftswahl 1876, im Zuge dessen er die amerikanische und die schweizerische Verfassung gegenuberstellte. Erwahnenswert ist sein Engagement fur die Rechte von Frauen, das in mehreren Schriften zutage kommt. Aus dem Jahr 1877 stammt ein Aufsatz Die amerikanische Frau, den er als Reaktion auf einen Artikel in der Allgemeinen Zeitung verfasste. Diese (zumindest in Stigers Augen) konservativ ausgerichtete Zeitung hatte ihm schon davor mehrmals Anlass zu publizistischen Erwiderungen gegeben. Stigers explizit geaußerter Wunsch, in Graz eine Ehefrau zu finden, war jedoch unerfullt geblieben, er verstarb am 20. Janner 1880 kinderlos in Zurich. Veroffentlichungen Es existiert kein vollstandiges Verzeichnis von Stigers Publikationen. Oskar Meister listet in seinem Aufsatz von 1933, der fur Stigers Biographie grundlegend ist, nur zehn Titel auf, die er vorrangig in der Bibliothek des Grazer Joanneums fand. Auch die folgende, mit Hilfe moderner Literaturrecherche erweiterte Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollstandigkeit. Flugblatter, Plakate etc. wahrend der Revolutionszeit, darunter die Briefe des kropfigen Steirischen Jakels: Erster Brief des kropfigen steirischen Jakel’s an die Wiener: Enthalt seine Meinung uber Metternich, uber die Pflicht der Wiener Nationalgarde und wer jetzt zum Minister tauget. Zweiter Brief des kropfigen steirischen Jakel’s an die Wiener: Uber die Revolution am 15. Mai 1848, Abreise des Kaisers, Ungarn, Bohmen, den Reichstag und die kunftige Residenz. Dritter Brief des kropfigen steirischen Jakel’s an die Wiener uber den 26. Mai, das Central-Comitee oder den sogenannten Sicherheits-Ausschuss, dessen unzeitige Nachsicht und die Aufgabe der Studenten. Der Kommunist. Cleveland 1852. Politische Monatsschrift mit unbekannter Laufzeit, zwei Exemplare (Janner und Februar 1852) sind in der Cleveland Public Library erhalten. Einige Betrachtungen uber die Sterblichkeit in Buffalo. Nach den amtlichen Berichten der Gesundheits-Aerzte von den Jahren 1857–1859. Buffalo 1860. Reform des Spitalwesens. Zurich 1863. Die Rechtfertigung der Nordstaaten in dem jetzigen Kampfe mit den Sudstaaten der amerikanischen Union. Selbstverlag, Zurich 1863 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche – Das Digitalisat ist ein Band mit mehreren Schriften Stigers, diese ist die erste in dem Band). Zehn Jahre in Amerika. Erster Theil: Abschied vom Vaterland. Selbstverlag, Zurich 1863 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche – Das Digitalisat ist ein Band mit mehreren Schriften Stigers, diese ist die zweite in dem Band). Die Nord- und Sudlander der Vereinigten Staaten Amerikas. Selbstverlag, Zurich 1864 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche – Das Digitalisat ist ein Band mit mehreren Schriften Stigers, diese ist die dritte in dem Band). Hurrah fur die Union! Eine Widerlegung der „Vertheidigung der Sudstaaten“ von James Williams,… Selbstverlag, Zurich 1864 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche – Das Digitalisat ist ein Band mit mehreren Schriften Stigers, diese ist die vierte in dem Band). Ist die Auswanderung nach den Vereinigten Staaten Nordamerikas unter den jetzigen Verhaltnissen anzurathen? Selbstverlag, Zurich 1864 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche – Das Digitalisat ist ein Band mit mehreren Schriften Stigers, diese ist die funfte in dem Band). Nieder mit der Sklaverei! Eine Beleuchtung des Pamphlets „Der zweite Unabhangigkeitskrieg in Amerika“… Selbstverlag, Zurich 1864 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche – Das Digitalisat ist ein Band mit mehreren Schriften Stigers, diese ist die sechste in dem Band). Veroffentlichungen in der Grazer Tagespost ab 1865 (nicht im Detail erfasst). Franz Hochenburger, mit einem Vorworte von Jos. Leop. Stiger: Die Reform des Strassen-Verkehrs. Bericht uber die amerikanischen Pferdeeisenbahn. Selbstverlag, Graz 1868 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche – Stigers Vorwort ist langer als der Text des Hauptautors). Zur 100 jahrigen Jubelfeier der nordamerikanischen Union am 4. Juli 1876. Zurich 1876. Zur amerikanischen Prasidentenwahl vom 7. November 1876: eine Beleuchtung… Caesar Schmidt, Zurich 1877 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche). Die amerikanischen Frauen. Abwehr gegen einen Angriff in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“. „In Commission beim Verlags-Magazin“, Zurich 1877 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche). An die Arbeiter Amerikas. Zurich 1878. Zur Reform des Auswanderungswesens. Zurich 1879. Amerika im Traume. Genossenschafts-Buchdruckerei, Zurich 1879 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche). Weblinks Eintrag im Osterreichischen Biographisches Lexikon Stiger, Joseph Leopold. In: Deutsche Biographie (Index-Eintrag). Literatur Gunter Cerwinka: Stiger, Joseph Leopold (1816–1880), Publizist und Jurist. In: Osterreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950 (OBL). Band 13, Verlag der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2010, ISBN 978-3-7001-6963-5, S. 261 f. (Direktlinks auf S. 261, S. 262). Gunter Cerwinka: Zwei steirische "Forty-eighters." Zur Erinnerung an Titus Mareck und Joseph Leopold Stiger. In: Historischer Verein fur Steiermark (Hrsg.): Blatter fur Heimatkunde. Band 72. Graz 1998, S. 86–96 (historischerverein-stmk.at [PDF; 4,4 MB] Behandelt besonders Stigers Zeit in den USA detailliert). Oskar Meister: Leopold Stiger, ein Grazer Achtundvierziger und Philanthrop. In: Historischer Verein fur Steiermark (Hrsg.): Zeitschrift des Historischen Vereines fur Steiermark. Band 27. Graz 1933, S. 152–165 (historischerverein-stmk.at [PDF; 4,2 MB] Enthalt zahlreiche Zitate aus Schriften Stigers und ihn betreffenden Akten). Gerhard Pfeisinger: Die Revolution von 1848 in Graz. In: Ludwig Boltzmann Institut fur Geschichte der Arbeiterbewegung (Hrsg.): Materialien zur Arbeiterbewegung. Nr. 42. Europaverlag, Wien 1986. Carl Frederick Wittke: Refugees of Revolution: The German Forty-eighters in America. University of Pennsylvania Press, Philadelphia 1952 (eingeschrankte Vorschau in der Google-Buchsuche). Einzelnachweise
Joseph Leopold Stiger (Vorname auch Josef, getauft Josef Franz Leopold; * 15. Februar 1816 in Graz; † 20. Janner 1880 in Zurich) war ein osterreichischer Publizist und Revolutionar. Der Jurist beteiligte sich an vorderster Front an der Revolution von 1848/1849 und musste nach dem Scheitern des Wiener Oktoberaufstandes ins Ausland fluchten. Nach einem zehnjahrigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten, wo er als Mediziner tatig war und Ideen des Fruhsozialismus propagierte, kehrte er 1861 nach Europa zuruck. Von der Schweiz aus kommentierte er den amerikanischen Sezessionskrieg und trat vehement gegen die Sklaverei auf. Nach seiner Begnadigung verbrachte er einige Jahre in seiner Heimatstadt Graz, wo er als Publizist weiterhin liberale Themen propagierte, einer freireligiosen Bewegung angehorte und sich erfolglos um die Konzession fur den Bau einer Pferdestraßenbahn bewarb. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Stiger wieder in der Schweiz.
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c-24
Dirk Schafer (* 4. September 1961 in Halberstadt) ist ein ehemaliger deutscher Boxer des SC Traktor Schwerin und zweimaliger DDR-Meister (1980 und 1981). Seine sportliche Laufbahn wurde durch Maßnahmen des Ministeriums fur Staatssicherheit (MfS) der DDR (sogenannte geheimpolizeiliche Zersetzung) beendet. Er ist seit 1985 Straßenmusiker in Schwerin und eines der bekanntesten Gesichter der Stadt. Boxkarriere Dirk Schafer besuchte als Schuler die Kinder- und Jugendsportschule der DDR in Schwerin, begann bei seinem Vater Dieter Schafer in der TSG Ludwigslust mit dem Boxsport und kam 1969 zum fuhrenden DDR-Club SC Traktor Schwerin, wo er im Alter von zehn Jahren seine ersten Kampfe bestritt. Sein Trainer war Fritz Sdunek. Schafer wurde im Halbfliegengewicht 1974 DDR-Schulermeister und 1975 Gewinner der Kinder- und Jugendspartakiade, zudem gewann er spater auch Landerkampfe und internationale Turniere. 1979 wurde er DDR-Juniorenmeister im Fliegengewicht und startete bei der Junioren-Europameisterschaft 1980 in Rimini, wo er nach einer Niederlage gegen Janos Varadi im Halbfinale eine Bronzemedaille im Fliegengewicht gewann. Bei den Erwachsenen wurde er 1980 und 1981 jeweils DDR-Meister im Bantamgewicht und schlug dabei in den Finalkampfen Frank Kegebein und Klaus-Dieter Kirchstein. Zudem war er 1981 Gewinner des prestigetrachtigen Chemiepokal, wobei er im Finale Frank Rauschning bezwungen hatte. Aufgrund seiner Erfolge gehorte er auch zum Kaderkreis fur die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Ministerium fur Staatssicherheit Schafer geriet in Konflikt mit dem Ministerium fur Staatssicherheit (MfS) der DDR. Er habe eine kritische Haltung gegenuber der DDR-Fuhrung gezeigt („provokatorisch und die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR negierend“), sich mit „negativen und asozialen Personen“ umgeben und wiederholt an „Jazzkonzerten und Gesprachsrunden in kirchlichen Einrichtungen“ teilgenommen, so die Vorwurfe des MfS. Es wurde ein Maßnahmenplan im Sportbereich und Freizeitbereich aufgestellt und funf oder mehr inoffizielle Mitarbeiter (IM) und weitere Spitzel auf ihn angesetzt. Darunter waren bekannte Personlichkeiten aus seinem sportlichen Umfeld wie sein Trainer Fritz Sdunek (Deckname IMS „Frank“) und Richard Nowakowski (IMS „Anton“). Sdunek gab bei der Stasi in einem der Berichte an, dass Schafer „idiotisch und uberspitzt denken“ wurde. Schafer sagte in der Ruckschau, dass er von Uberwachung und geheimpolizeilichen Maßnahmen nichts mitbekommen habe. Seine Teilnahme an der WM 1982 in Munchen wurde verhindert. Als er sich weigerte, verletzt im DDR-Trainingslager als Sparringspartner eingesetzt zu werden, wurde er 1982 aus seinem Klub verbannt, „in Unehren […] ausdelegiert“ und durfte nie wieder fur die DDR boxen. Nach Einschatzung von Anne Drescher, Landesbeauftragte fur Mecklenburg-Vorpommern fur die Aufarbeitung der SED-Diktatur, sei Schafer „kein Einzelfall“ gewesen, aber einer „mit bitterem Ausgang“. Nach dem Boxen Im Jahr 1983 wurde er zur NVA eingezogen und wahrend dieser Zeit wegen Befehlsverweigerung zu einer Haftstrafe verurteilt. Im Anschluss war er unter anderem als Buhnentechniker am Mecklenburgischen Staatstheater tatig. Seit 1985 ist er Straßenmusiker und wurde eines der „bekanntesten Gesichter“ (Ostsee-Zeitung) der Landeshauptstadt Schwerin. Sein Schicksal wurde 2017 in der NDR-Dokumentation Der Blues des Boxers – Staatssicherheit im Sport thematisiert. Schafer ist verheiratet, hat Kinder aus einer fruheren Ehe und mehrere Enkel. Er reist mit einem Wohnmobil, auf dessen Tur der folgende Schriftzug angebracht ist: „Siegen kann jeder.“ Weblinks Matthias Hufmann, Benjamin Unger: Der Blues des Boxers – Staatssicherheit im Sport. In: NDR Sportclub Story, 2017 auf YouTube (Laufzeit: 29:12 Minuten). Einzelnachweise
Dirk Schafer (* 4. September 1961 in Halberstadt) ist ein ehemaliger deutscher Boxer des SC Traktor Schwerin und zweimaliger DDR-Meister (1980 und 1981). Seine sportliche Laufbahn wurde durch Maßnahmen des Ministeriums fur Staatssicherheit (MfS) der DDR (sogenannte geheimpolizeiliche Zersetzung) beendet. Er ist seit 1985 Straßenmusiker in Schwerin und eines der bekanntesten Gesichter der Stadt.
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c-25
Maria Teresa Vicente Gimenez (* 1962 in Lorca, Region Murcia) ist eine spanische Rechtsphilosophin und Umweltaktivistin. Sie fuhrte eine Burgerbewegung zur Rettung des Okosystems des Mar Menor an. Mit dieser wurde erreicht, dass die Lagune den Status einer juristischen Person erhielt, was einen besseren Schutz ermoglichen soll, indem Burger ermachtigt werden, im Namen der Natur zu handeln. Fur die in Europa erstmalige Durchsetzung eines solchen Schutzstatus fur ein Okosystem wurde sie 2024 mit dem Goldman Environmental Prize ausgezeichnet. Leben Teresa Vicente wuchs in der Region Murcia auf und absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaft an der Universitat von Murcia, das sie 1988 abschloss. 1992 promovierte sie mit einer Dissertation zum Thema Justicia y derecho ambiental, para un modelo de justicia ecologica (Gerechtigkeit und Umweltrecht, fur ein Modell okologischer Gerechtigkeit). Nachdem sie zwischen 1987 und 1994 als Anwaltin praktiziert hatte, konzentrierte sie sich in ihrer Forschung und ihren akademischen Veroffentlichungen auf okologische Gerechtigkeit, soziale Rechte, rechtlichen Feminismus und die Rechte von Kindern. Sie ist Professorin fur Rechtsphilosophie und Direktorin des Lehrstuhls fur Menschenrechte und Rechte der Natur an der Universitat Murcia. Vicente sorgte sich wegen des langsamen Niedergangs des Mar Menor, das als die wichtigste Salzwasserlagune des westlichen Mittelmeers gilt. Seine einst unberuhrten Gewasser sind durch landwirtschaftliche Abwasser und Infrastrukturanderungen bedingt durch den boomenden Tourismus verschmutzt. Als es 2019 zu einem massiven Fischsterben kam, bewog dieses Teresa Vicente zum Handeln. Sie war uberzeugt, dass die einzige Moglichkeit, der Lagune eine Zukunft zu geben, darin bestand, ihr den Status einer juristischen Person zu verleihen und ihre Rechte anzuerkennen. Die „Rechte der Natur“ waren zwar schon seit Jahren vorgeschlagen und diskutiert worden, aber erst in jungerer Zeit hat sich die Theorie durchgesetzt: Okosystemen in Lateinamerika und Neuseeland waren solche Rechte zugestanden worden, aber noch nicht in Europa. Obwohl ihr von Experten die Unmoglichkeit eines solchen Vorhabens prophezeit wurde, verfolgte Vicente ihren Plan weiter. Im Jahr 2019 war Teresa Vicente im Rahmen eines Stipendiums an der Universitat Reading im Vereinigten Konigreich, um erfolgreiche Falle aus der ganzen Welt zu studieren, in denen Rechtsanspruche zum Schutz naturlicher Ressourcen eingesetzt werden. Nach ihrer Ruckkehr an die Universitat von Murcia initiierte sie eine Studie uber die Moglichkeit, die Rechte der Lagune rechtlich zu verankern. Im Mai 2020 startete sie ihre Kampagne mit einem Zeitungsartikel, in dem sie die Nutzung einer Volksgesetzgebungsinitiative (ILP = Iniciativa legislativa popular) vorschlug, einer Regelung, die es Burgern ermoglicht, dem Parlament direkt ein Gesetz vorzuschlagen. Auf einer offentlichen Versammlung im Juli 2020 erlauterte sie die Idee der gesetzlichen Rechte fur die Natur. Schon bald erarbeitete sie den ersten Gesetzesentwurf und reichte zusammen mit sieben Kollegen im Parlament die ILP ein, um dem Mar Menor Rechtsanspruche zu gewahren. Entsprechend den Bestimmungen fur das ILP-Verfahren mussten außerdem 500.000 handschriftliche Unterschriften gesammelt werden, was wahrend der geltenden COVID-19-Beschrankungen eine besondere Herausforderung darstellte. Teresa Vicente arbeitete mit Tausenden von Freiwilligen aus ganz Spanien zusammen, die sich der Bewegung anschlossen, um die Rechte des Mar Menor angesichts der drohenden Umweltkatastrophe zu verteidigen. Sie nahm an Demonstrationen und offentlichen Versammlungen teil, machte Lobbyarbeit bei lokalen, regionalen und nationalen Regierungsvertretern und gab Interviews in den Medien. Bis November 2021 konnten so knapp 640.000 Unterschriften gesammelt werden. Vicente prasentierte und erlauterte den Gesetzentwurf erfolgreich vor dem spanischen Parlament. Das Gesetz wurde fast einstimmig verabschiedet und im September 2022 durch den Senat in Kraft gesetzt. Nur die rechtsnationale Partei Vox hatte dagegen gestimmt und versuchte anschließend, das Gesetz durch eine Verfassungsklage national und auch in der Region Murcia selbst zu Fall zu bringen. Zusammen mit der PP (Partido Popular) bildet sie die Regionalregierung und versuchte, das Gesetz in der Region zu „kippen“. Die Rolle der Landwirtschaft stand dabei im Mittelpunkt der politischen Debatte. Im November 2024 wurde die Klage von Vox durch das Verfassungsgericht abgewiesen. Vicentes Engagement fuhrte dazu, dass erstmals in Europa gesetzliche Rechte fur eine Lagune festgelegt wurden. Das Gesetz gewahrt dem Mar Menor und seinem Einzugsgebiet das Recht auf die Erhaltung seiner Arten und Lebensraume, den Schutz vor schadlichen Aktivitaten und die Behebung von Umweltschaden. Um die Durchsetzung des Gesetzes zu uberwachen, wurde außerdem die Einrichtung von drei neuen Kontrollgremien festgelegt, die sich aus Regierungsvertretern, Wissenschaftlern und lokalen Burgern zusammensetzen. Publikationen Teresa Vicente hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veroffentlicht. Google Scholar listete im Dezember 2024 70 Publikationen auf. Auszeichnungen 2023: Ehrenmedaille des Europarats fur ehrenamtliches Engagement 2024: Goldman Environmental Prize fur Europa 2025: Premio Berta Caceres des Filmfestivals Ecozine Weblinks Teresa Vicente, ganadora del Nobel verde: “Se trata de hacer la paz con el planeta y ahi estamos las mujeres” Interview mit ElDiaro.es im April 2024 Einzelnachweise
Maria Teresa Vicente Gimenez (* 1962 in Lorca, Region Murcia) ist eine spanische Rechtsphilosophin und Umweltaktivistin. Sie fuhrte eine Burgerbewegung zur Rettung des Okosystems des Mar Menor an. Mit dieser wurde erreicht, dass die Lagune den Status einer juristischen Person erhielt, was einen besseren Schutz ermoglichen soll, indem Burger ermachtigt werden, im Namen der Natur zu handeln. Fur die in Europa erstmalige Durchsetzung eines solchen Schutzstatus fur ein Okosystem wurde sie 2024 mit dem Goldman Environmental Prize ausgezeichnet.
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Der Freipfennig, alte Schreibweise Frey-Pfennig, ist ein mittelalterlicher Erfurter Pfennig, der eigens zur Entrichtung einer Abgabe an den Erzbischof von Mainz diente. Der wegen der Verschlechterung der ublichen Pfennige hauptsachlich im 14. Jahrhundert gepragte besondere Pfennig aus feinem Silber wurde als Hohlpfennig (Blechmunze, Brakteat) ausgebracht. Munzbeschreibung (Siehe Bild oben) Nach Johann David Kohlers Munzbelustigung ist der oben abgebildete Erfurter Pfennig, eine sonderbare Blechmunze, ein Freipfennig, auf dem das mit der Inful (Mitra) bedeckte Mainzer Wappenrad mit dem dahinter gesteckten Schwert und dem Bischofsstab zu sehen ist. Die Umschrift lautet nach Kohler: „S9. Sanctus MARTINVS“. Weitere Erklarung der Umschrift: S(anctus) MARTINVS – S9 steht fur Sanctus. [Die der Ziffer 9 ahnelnde Abbreviatur steht fur (us)]. Geschichte Erzbischof Adalbert I. war von 1109 bzw. 1111 bis 1137 Erzbischof von Mainz. Er loste die Dienstbarkeit der Inhaber erzbischoflichen Eigentums wie Gebaude und Acker durch einen Erbzins (Erbpacht) ab, der in gangiger Munze zu bezahlen war. Die erhebliche Verschlechterung der Pfennigmunze war der Grund dafur, eigens zur Entrichtung einer Abgabe einen Freipfennig aus feinem Silber wertstabil auszubringen. Damit konnten die Erfurter zu freien Leuten gemacht werden. Die Abgabe musste am St.-Martins-Tag, dem Fest des Patrons von Erzbistum und Erzstift Mainz, entrichtet werden. Deshalb setzte man diesen Heiligen als notabene (= wohlgemerkt oder merke wohl) auf die Munze. Der Freipfennig musste zur Bezahlung des Erbzinses fur mehrere Pfennige des umlaufenden Gelds jahrlich vor Martini von zinspflichtigen Burgern gekauft werden. Die aus feinem Silber bestehenden Freipfennige wurden vor allem seit dem 14. Jahrhundert ausgebracht. Sie wiegen etwa 0,4 g und haben unterschiedliche Munzbilder, aber alle MARTINVS in der Umschrift. Beispiele sind: das Mainzer Rad allein, das Mainzer Rad unter einer Inful mit Schwert und Bischofsstab (siehe Kohlers Freipfennig oben), das Mainzer Rad zwischen gekreuzten Bischofsstaben (siehe den Freipfennig aus der Universitatsbibliothek Leipzig) und das Bild des heiligen Martins sitzen. Freipfennige wurden noch im 17. Jahrhundert gepragt; der letzte im Jahr 1663. Nach J. Leitzmann erfolgte die Auspragung dieser Freipfennige sowohl in Erfurt als auch in der erzbischoflichen Munze in Heiligenstadt. = Historische Erklarung nach Johann David Kohler = Eine bestimmte Anzahl Freipfennige musste „von den Inhabern gewisser liegender Guter“ wie Hauser, Acker, Garten, Weinberge, Fleischbanke dem Kurfursten zu Mainz jahrlich entrichtet werden. Es sind Hohlpfennige, also einseitige Pfennige, aber von verschiedenem Geprage. Etliche, „und zwar die altesten zeigen“, so Kohler „das Bild des heiligen Martins, sitzend mit der segnenden Hand und dem Bischofs-Stab; andere nur das Mayntzische Rad: jedoch alle den Nahmen Martinus“. Freipfennige sind auch in Gold gepragt worden. „Die goldenen wiegen einen viertels Ducaten, und sind von feinem Golde […].“ Zur Ablosung der Dienstbarkeit durch den Erbzins erklart Kohler Folgendes: Der von Kohler verwendete lateinische Begriff glebae adscripti bedeutet „an die Scholle gefesselt“. Die Bezahlung des Erbzinses erfolgte Der jahrlich zu entrichtende Zins musste also am Tag nach dem Martinstag (nach dem 11. November) bis auf den Elisabeth-Tag (19. November) bezahlt sein. Restanten Die Namen der Restanten (saumigen Schuldner) wurden am Elisabeth-Tag durch einen Gerichtsbediensteten angeschlagen und ausgerufen. Mit jedem Namen wurde Nach dem Elisabeth-Tag (19. November), am Tag Edmund (20. November) musste der Restant demnach mit einer großeren Strafe rechnen. Am dritten Tag an Maria Opferung (21. November) war das Haus oder Gut des Schuldners verfallen. Die Erfurter hatten daher das Sprichwort: Elisabeth geklopft, Edmund gezopft, Marien geopfert. Literatur Johann David Kohler: Munzbelustigung T. XII. S. 137 (1740). Helmut Kahnt: Das große Munzlexikon von A bis Z. Regenstauf 2005. Carl Christoph Schmieder: Handworterbuch der gesammten Munzkunde. Halle und Berlin 1811. J. Leitzmann: Das Munzwesen und die Munzen Erfurts, Weißensee 1862: Darin § 13: Die Freipfennige. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 8. Leipzig 1907. Deutsches Worterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (DWB) Einzelnachweise
Der Freipfennig, alte Schreibweise Frey-Pfennig, ist ein mittelalterlicher Erfurter Pfennig, der eigens zur Entrichtung einer Abgabe an den Erzbischof von Mainz diente. Der wegen der Verschlechterung der ublichen Pfennige hauptsachlich im 14. Jahrhundert gepragte besondere Pfennig aus feinem Silber wurde als Hohlpfennig (Blechmunze, Brakteat) ausgebracht.
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Ahmadjan und der Wiedehopf ist ein Comic von Maren Amini, den sie gemeinsam mit ihrem Vater Ahmadjan Amini schuf. Die beiden erzahlen darin seine Lebensgeschichte. Der Comic erschien im Oktober 2024 im Carlsen Verlag. Noch vor der Veroffentlichung wurde Ahmadjan und der Wiedehopf im Jahr 2023 mit dem Comicbuchpreis geehrt. Inhalt Die Geschichte beginnt in den 1950er Jahren im Pandschir-Tal in Afghanistan, wo der junge Ahmadjan in armen Verhaltnissen als Halbwaise aufwachst. Schon fruh verlor er seine Mutter und wachst bei Verwandten auf, wo er sich allerdings nie richtig wohl fuhlt. Als bester Schuler der Provinz erhalt er die Zulassung fur eine Eignungsprufung in Kabul; sein Onkel richtet ihm zu Ehren extra ein Festessen aus. In Kabul lernt er Ende der 1960er Jahre die Hippie-Bewegung kennen, deren Anhanger hauptsachlich aus den Vereinigten Staaten stammen und meist in den Armenvierteln der Stadt leben. Ahmadjan begegnet der Bewegung mit Neugier und lernt einige der Menschen naher kennen und schatzen. 1971 verlasst Ahmadjan im Alter von 18 Jahren sein Heimatland, um in Hamburg Kunst zu studieren. Sieben Jahre spater kehrt der junge Mann nach Afghanistan zuruck, kann dort aber wegen des Kriegs in Afghanistan ab April 1978 nicht lange bleiben. Auch wegen der russischen Intervention seit 1979 entscheidet sich Ahmadjan, das Land 1980 wieder zu verlassen. Er kehrt nach Hamburg zuruck, wo er seitdem lebt und als Maler arbeitet. Er heiratet eine Deutsche; 1983 kommt Maren zur Welt. Aus Deutschland heraus setzt er sich immer noch fur seine Heimat ein, indem er sich etwa fur Hilfslieferungen oder den Bau von Schulen und Hausern engagiert. Entstehung und Einfluss Laut Amini entstand das Buch aus einer Notwendigkeit heraus, als namlich der Vormarsch der Taliban in Afghanistan 2021 zur Machtubernahme der deobandisch-islamistischen Terrorgruppe fuhrte. Dadurch seien bei ihrem Vater „alte Narben aufgerissen“ worden. Daraufhin wollten Tochter und Vater „etwas gegen dieses Gefuhl der Ohnmacht tun und etwas schaffen, das uns guttut“, um damit an ein vergangenes Afghanistan zu erinnern, das von „gesellschaftlicher und kultureller Vielfalt gepragt war“, sowie ihre „afghanisch[n] Wurzeln ehren […] und nicht schweigend hinnehmen, dass die Taliban erneut die Kultur Afghanistans vernichten“. Der Comic wurde durch Die Konferenz der Vogel von Fariduddin Attar, einem persischen Dichter und islamischen Mystiker, inspiriert. Amini verknupft in ihrem Comic die Lebensgeschichte ihres Vaters mit Elementen und Motiven der mystischen Dichtung, die Attar im 12. Jahrhundert verfasste. Ahmadjan Amini hat passend zur Dichtung selbst 1000 Bilder angefertigt. In dem Versepos werden die Zusammenkunft und Wallfahrt tausender Vogel beschrieben, die nach einem idealen Konig fur ihr „Volk“ suchen. Um zu diesem Konig zu gelangen, mussen die Vogel sieben Taler durchqueren, von denen am Ende nur dreißig Tiere das Ende der Reise erreichen. Da ist beispielsweise der bereits im Titel enthaltene Wiedehopf, der in Attars Dichtung die Zusammenkunft und Wallfahrt von Tausenden von Vogeln der Welt anregt. In Ahmadjan und der Wiedehopf tritt der Wiedehopf als regelmaßiger Kommentator und Ratgeber auf dem Lebensweg von Ahmadjan auf. Wiederholt stellt Amini einzelne Figuren als Vogel dar; Ahmadjans Onkel etwa ist ein Reiher, die Hippies in Kabul Papageie oder sie selbst als ein Pfau. Stil Amini zeichnet mit einem leichten, freundlich wirkenden Stil, wodurch sie einen zweifachen grafischen Kontrast erzeugt, und zwar zum einen gegenuber den ernsten Themen des Buches, gepragt durch die zum Teil traumatischen Erfahrungen von Ahmadjan, zum anderen gegenuber den dusteren Gemalden ihres Vaters, die an verschiedenen Stellen als Teil des Comics verarbeitet sind. Amini reduziert ihre fließende Linienfuhrung auf das Wesentliche. Sie setzt Weißflachen großzugig ein und koloriert mit Wasserfarben. Mal verwendet sie Farben akzentuierend, mal flachig. Amini verzichtet bei ihren Panels fast vollstandig auf Umrandungen. Nur ganzseitige Bilder, auf denen sie neue Vogel-Figuren einfuhrt, umfasst sie mit Verzierungen im persischen Stil. Die minimalistische Darstellung der Figuren erfolgt mit nur wenigen Strichen. Dabei passt Amini ihre Linienfuhrung der schwarz-weiß getuschten Figuren der jeweiligen Situation an; mal zeichnet sie ihren Vater mit kraftigem und schwungvollem Strich, an anderer Stelle zittrig und fragil. Fur die Darstellung des titelgebenden Wiedehopfs diente die Figur Woodstock aus den Peanuts von Charles M. Schulz als Vorbild, was sich laut Amini aber eher unbewusst ergeben habe. Veroffentlichung Der Carlsen Verlag veroffentlichte Ahmadjan und der Wiedehopf am 1. Oktober 2024 als Hardcover. Es ist der erste lange Comic von Amini. Das Buch enthalt ebenfalls Auszuge aus Die Konferenz der Vogel. Das Titelbild zeigt Ahmadjan in Schlaghose, der unter dem Arm ein Buch tragt. Aus seinem Kopf wachsen bunte Strahlen, an deren Enden Kopfe von Vogeln sind. Hinter Ahmadjan lauft der Wiedehopf. Der Titel befindet sich vor den bunten Strahlen, die den großten Teil der Titelillustration ausmachen. Auszeichnungen Ahmadjan und der Wiedehopf erhielt 2023 den Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung, der mit 20.000 Euro dotiert ist. Laut Juror David Basler liegt das Leben von Ahmadjan in Afghanistan im Argen. Mit knurrendem Magen konne man das „[g]ute im Leben, der Glaube und die Kunst“ nicht genießen, weswegen Ahmadjan „weg, weit weit weg“ musse. Sein Schicksal sei „gleichzeitig ein beeindruckendes Zeitzeugnis Afghanistans und der Emigration nach Deutschland“. In der Rubrik „Die besten Comics des Quartals“ vom Tagesspiegel belegte der Comic im Dezember 2024 den ersten Platz. Fur die vierteljahrliche Liste wahlen 30 deutschsprachige Comic-Kritiker jeweils zehn Titel aus. Ahmadjan und der Wiedehopf sei eine „[s]chmerzhafte Selbstfindung zwischen Kabul und Hamburg“. Ende 2024 wurde der Band auf Platz 5 der Kritiker-Bestenliste „Die besten Comics des Jahres“ des Tagesspiegels gewahlt. Kritiken Lars von Thorne halt im Tagesspiegel fest, etwa 800 Jahre nach der Entstehung von Die Konferenz der Vogel gelinge Amini das „Kunststuck, die poetische Geschichte mit der Biografie ihres Vaters zu verschmelzen, die sich selbst ein bisschen wie ein Marchen“ lese. Dank der großzugigen Weißflachen ließen die Bilder viel Raum, in dem die lebendig wirkenden Figuren gut zur Geltung kamen. Anfangs konne die „zeichnerische Leichtigkeit“ noch irritieren, erweise sich im Verlauf der Erzahlung aber als „perfekte Wahl“. Die „karikierend uberzeichneten Figuren“ erinnerten im Stil an Der kleine Nick, illustriert von Jean-Jacques Sempe, oder Werke von Catherine Meurisse. Neben Themen wie „Entwurzelung, Angst, Gewalt und Verlust“ thematisiere der Comic ebenfalls die „menschliche Widerstandskraft angesichts von unertraglich scheinenden Umstanden, um einen unbandigen Lebenswillen und die Macht der Liebe“. Dazu passe der mit „leichtem Humor durchsetzte, Tragisches oft nur andeutende Erzahlton […], der zwischen Fabel-Stil und realistischer Schilderung“ liege. Ahmadjan und der Wiedehopf konne sich mit „international gefeierten Vertretern der Kunstform wie Persepolis“ durchaus messen. Amini gelinge es, „Sempes erzwestliches Cartoonverstandnis mit jenen orientalischen Einflussen zu verbinden, die ihren Vater gepragt haben“, schreibt Andreas Platthaus fur die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Dank meist fehlender Panelrander falle der Comic „so offen wie das Schicksal ihres Vaters aus“. Das gezeichnete Schicksal von Ahmadjan sei eine Mischung aus „Schelmengeschichte und Tragodie“, das sich durch „hinreißende Aquarellhintergrunde“ auszeichne. In Die Tageszeitung urteilt Imke Staats, im Comic siege „das Schone uber die Schrecken des Kriegs“ – schon der Einband habe ein „heitere Ausstrahlung“ – ohne dabei zu verharmlosen. Die Figuren seien mit „wenigen Strichen und viel Humor gezeichnet“; Ahmadjan erkenne man leicht an seinem „Wuschelschopf“. Durch ihren symbolhaften Einsatz spiele Farbe eine große Rolle. Ahmadjan und der Wiedehopf bleibe „ohne große Vorkenntnisse lesbar“, im Zweifel helfe das Glossar. Der Comic funktioniere „wie ein Geschichtsbuch, nur halt viel schoner“. Weblinks Ahmadjan und der Wiedehopf auf der Internetseite von Maren Amini Ahmadjan und der Wiedehopf beim Carlsen Verlag Ahmadjan und der Wiedehopf bei Perlentaucher Ahmadjan und der Wiedehopf in der Grand Comics Database (englisch) Einzelnachweise
Ahmadjan und der Wiedehopf ist ein Comic von Maren Amini, den sie gemeinsam mit ihrem Vater Ahmadjan Amini schuf. Die beiden erzahlen darin seine Lebensgeschichte. Der Comic erschien im Oktober 2024 im Carlsen Verlag. Noch vor der Veroffentlichung wurde Ahmadjan und der Wiedehopf im Jahr 2023 mit dem Comicbuchpreis geehrt.
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c-28
Catherine Quicquat (gestorben am 18. Marz 1448 in Vevey) aus Vevey wurde vermutlich im Marz 1448 in der Region Vevey im Herzogtum Savoyen im Rahmen eines Inquisitionsverfahrens wegen Hexerei zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Ihr Prozess war Teil einer zweiten Welle von Hexenverfolgungen im Waadtland und markiert den Ubergang der Verfolgung von der «klassischen» Haresie zur Verfolgung einer imaginaren «Hexensekte». Lebensumstande Uber Catherine Quicquat ist nur bekannt, was aus den Prozessdokumenten hervorgeht. Danach stammte sie aus Vevey und war verheiratet mit Thomas Quicquat. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung lebte sie – mutmasslich als Dienerin – bei dem Priester Jean Gachet, der ehemals Offizial von Vevey gewesen war. Uber Thomas Quicquat, der sie anscheinend im Stich gelassen hatte, ist bekannt, dass er Steinmetz und Ofenbauer war, der 1429 bei einem Fayencehersteller in Freiburg seine Kenntnisse im Hinblick auf Farben vervollkommnet hatte. Sein Sohn Guillaume hatte ihn dorthin begleitet und war vier Jahre bei Grun als Lehrling und Diener geblieben. Quicquat lebte Ende der 1440er Jahre in Vevey, wo er ein Haus besass, und hatte anscheinend ein erhebliches Vermogen. Es kann nur vermutet werden, warum Catherine Quicquat nicht bei ihrem Mann lebte. Sie war 1448 damit in einer gesellschaftlich-moralisch fragilen Situation, die sich noch verschlimmerte, als sie im Laufe des Prozesses die sexuellen Beziehungen zu einem anderen Mann gestand. Kontext In den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts wandelte sich die Verfolgung der «klassischen» Haresie hin zur Verfolgung einer imaginaren «Hexensekte». Der alpine Raum, der schon seit Jahrzehnten von intensiven Waldenser-Verfolgungen betroffen war, wirkte dabei wie ein «Versuchslabor». Dort sorgten Verfolgungs- und Predigtaktivitaten grenzuberschreitend dafur, Vorstellungen von der angeblichen Teufelsverehrung der Ketzer und ihren dazugehorigen verbrecherischen Riten zu verbreiten. Katalysierend wirkte dabei das Konzil von Basel von 1431 bis 1449, das als «intellektuelle Drehscheibe» fur die neuen Konzepte der Hexenverfolgung diente. Das Herzogtum Savoyen hatte als Brucken- und Transitland eine entscheidende Rolle bei der Entstehung und Weitervermittlung des Hexereikonzepts. Ende der 1430er/Anfang der 1440er Jahre hatte es im Waadtland bereits eine Hexenverfolgung mit mindestens zwei Todesopfern gegeben. Der Prozess gegen Catherine Quicquat war der zweite von drei Prozessen, der von der zweiten Welle der Hexenverfolgung im gleichen Kanton uberliefert ist. Sie fand 1448 in Vevey, damals unter savoyischer Verwaltung, am Genfersee statt. Er ist zudem wahrscheinlich der erste Fall eines Hexenprozesses im Waadtland, der eine Frau betrifft, die als «Aussenseiterin» im moralischen Sinne galt. Die drei Prozesse, deren Dokumente in den Archives Cantonales Vaudoises unter der Referenz Ac 29 aufbewahrt werden, gehoren zu den ersten, die aus dem Waadtland bekannt sind. Sie wurden alle in der Burg von La Tour-de-Peilz durchgefuhrt, in der damals die savoyische Kastellanei ihren Sitz hatte. Auch der Inquisitor, das Gericht und die Art der Vernehmung waren in allen drei Fallen gleich. Vor Quicquat war Jaquet Durier alias Costumier ab dem 3. Marz 1448 von der Inquisition der Prozess gemacht worden. Der Kastellan von La Tour-de-Peilz, Pierre Ros, war vom Fall vermutlich uberfordert, weshalb er die Inquisition gerufen hatte. Nachdem der Inquisitor Pierre d’Aulnay in La Tour-de-Peilz angekommen war, wurde Durier im Inquisitionsverfahren am 15. Marz verurteilt und hingerichtet. «Inquisitio secreta» Jaquet Durier hatte Catherine Quicquat im Rahmen seines Prozesses am 12. Marz 1448 als verheiratete Frau, «die mit dem Priester Jean Gachet lebe», denunziert. Die Prozessunterlagen zur nicht offentlich gefuhrten Untersuchung vor ihrem Prozess (inquisitio secreta) haben sich im Fall von Quicquat zumindest teilweise erhalten. Meist liegen diese gar nicht vor. Erhalten hat sich die Aussage des als erstes gehorten Zeugen, Jean Brunet, Kleriker von La Tour-de-Peilz, der auch an den Verhoren und der Verurteilung von Durier teilgenommen hatte. Brunet war Schreiber am Offizialatsgericht von Vevey. Jean Gachet, bei dem Quicquat lebte, war sein Vorgesetzter. Es wird angenommen, dass er sich von sich aus zu Wort meldete, nachdem Durier Quicquat denunziert hatte, und eine Aussage machte. Brunet bestatigte, dass Quicquat in den vergangenen sechs oder sieben Jahren in Vevey und La Tour-de-Peilz einen schlechten Ruf als Haretikerin hatte. Anlass war das Verfahren gegen die als Hexe verurteilte Sibylle Blandis Loquiis in Vevey gewesen. Als diese wahrend ihres Verfahrens zum Neuen Spital in Vevey gefuhrt worden war, wo der Stadtrat seine Sitzungen abhielt, hatte Loquiis an einem Fenster Quicquat und eine weitere Frau gesehen und fur viele horbar gesagt, dass dort zwei Frauen seien, die es ebenso gut verdienten wie sie, verbrannt zu werden. Quicquat hatte sich zudem eines Tages Brunet anvertrauen wollen. Sie habe ihm die Hande auf die Schulter gelegt und gesagt: «Ich habe so viele schreckliche Dinge getan, dass ich nicht weiss, was aus mir werden soll.» Zudem hatte sie ihm einige «unaussprechliche Dinge» anvertraut, er wollte sich jedoch nicht mehr an diese erinnern. Prozess Am 15. Marz 1448 wurde Catherine Quicquat vom Inquisitor Pierre d’Aulnay und dem Pfarrer Leopard de Bosco im Chateau de La Tour-de-Peilz verhaftet und verhort. Quicquat gestand, dass sie seit Sibylle Blandis Loquiis Tod einen schlechten Ruf habe, weil sie mit ihr Umgang gehabt hatte und diese ihr beigebracht hatte, ihrem Mann drei Tropfen ihres eigenen Blutes zum Einnehmen zu geben, damit er sie liebte und ihr nicht lastig sei. Nach diesem Gestandnis bat sie um einen Tag Bedenkzeit, was ihr gewahrt wurde. Trotzdem wurde sie am selben Tag ein weiteres Mal verhort. In diesem Verhor bestritt sie, dass sie «der Haresie befleckt» sei. Darauf verlangte der Glaubensprokurator Pierre Rondinel fur sie die Folter. Doch die Inquisitoren wollten noch abwarten, um wohl die Anforderung zu erfullen, dass man die Folter erst anwenden durfte, nachdem die Angeklagten drei Mal gemahnt worden waren. Am nachsten Tag (16. Marz) wurde Quicquat mehrmals ermahnt. Als sie nach der dritten Ermahnung trotzig sagte: «Wahrlich, ich sage nicht mehr, als ich schon gesagt habe; macht mit mir, was ihr wollt», wurde dem Glaubensprokurator die Folter bewilligt. Quicquat wurde mehrere Male am Seil aufgezogen, bis sie erneut um Bedenkzeit bat, was ihr wiederum gewahrt wurde. Der Tag darauf (17. Marz) war Palmsonntag. Quicquat liess nach dem Inquisitor rufen und flehte diesen um Erbarmen an. Sie wollte «alles bekennen, was sie im Verbrechen der Haresie begangen hatte». Daraufhin bekannte sie, dass sie ungefahr elf Jahre fruher auf dem Heimweg von der Pfarrkirche St. Martin von Vevey Loquiis begegnet sei. Diese habe zu ihr gesagt: «Wahrlich, es ist notig, dass ich dir beichte, und du mir (beichtest)». Dies konnte als Uberrest von Waldensertum gedeutet werden. Quicquat gab nach ihren Angaben die von der Kirche akzeptierte Antwort und sagte: «Ich bin nicht Priester, so etwas mache ich nicht.» Trotzdem folgte sie am gleichen Tag Loquiis’ Einladung zum Essen in deren Haus. Dort ass sie «gutes Fleisch», kannte dessen Herkunft jedoch nicht. Diese Angabe machte Quicquat als Antwort auf eine Frage des Inquisitors, der wohl bereits an Kinderfleisch und an eine Hexensynagoge (spater Hexensabbat genannt) dachte. In einer Randnotiz der Prozessdokumentation wurde jedenfalls «Eintritt in die Synagoge» festgehalten. Quicquat gestand weiter, dass Loquiis und zwei weitere Personen sie dann an einem Montag zu einer Wiese fuhrten, wo sie einen Fuchs namens Rabiel vorfanden, welcher der Meister der Synagoge und der Teufel war. Loquiis forderte Quicquat zum Lehenseid gegenuber dem Fuchs auf, was sie jedoch verweigerte. Doch bei der nachsten Synagoge am darauffolgenden Donnerstag habe sie dann den gewunschten Lehenseid geleistet, indem sie ihn unter den Schwanz kusste und ihm zum Zeichen ihrer Treue vier Schilling gab. Sie musste Gott, der Jungfrau Maria, dem ganzen himmlischen Hof und allen Sakramenten der Kirche abschworen und als Zeichen der Verachtung fur all das auf den Boden spucken. Wahrend dieser Synagoge habe es ein Mahl aus Kinderfleisch mit grunem Knoblauch, gutem Brot und gutem weissen und roten Wein gegeben, an dem Quicquat teilgenommen habe. Sie wurde gefragt, wie sie zur Synagoge gekommen ware, worauf sie antwortete, dass sie auf einem kleinen, weissen Stock, den sie von Loquiis erhalten habe, hin und zuruck gereist sei. Meister Rabiel habe ihr zudem befohlen, dass sie an Ostern den «Leib Christi» nicht empfangen durfe oder ihn zur Synagoge mitbringen oder den Hunden zum Frass vorwerfen sollte. Diese Befehle habe sie jedoch nicht befolgt. Quicquat wurde auch aufgefordert, Kindsmorde zu gestehen. Daraufhin gab sie zu, zu einer Synagoge eine eigene Tochter mitgebracht zu haben, die sie zuvor selbst getotet habe. Der Leichnam sei zu einem Mahl verarbeitet worden. Nach dem Essen habe es Tanz und sexuelle Orgien gegeben. Quicquat habe dabei zuerst mit dem Meister der Synagoge und dann mit allen anderen anwesenden Mannern schlafen mussen. Der Teufel habe insgesamt zwolf Mal auf sodomitische Art mit ihr geschlafen. Zum Schluss berichtete Quicquat noch von einer anderen Synagoge und denunzierte dabei Antoine Bron und Pierre Munier. Zu letzterem bestatigte sie auf Nachfrage, dass er wirklich ein Haretiker sei und sie ihn um die acht Mal auf Synagogen gesehen habe und er ebenfalls auf sodomitische Art mit ihr geschlafen habe. Am 18. Marz wurde der Prozess abgeschlossen. An diesem Tag versuchte Quicquat, ihre Aussagen zu widerrufen, was ihr nicht gelang. Sie bestatigte sie mit Ausnahme der Anklage gegen Pierre Munier. Am selben Tag wurde das Urteil, begleitet von einem sermo generalis, vor der Pfarrkirche St. Martin von Vevey verkundet. Quicquat musste dort vor der Offentlichkeit ihre Aussagen bestatigen. In den Prozessunterlagen fehlt das Urteil, aber zweifellos wurde sie, wie Jaquet Durier drei Tage vorher, verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Insgesamt wurde das Verfahren gegen Quicquat im Vergleich zu anderen von den Inquisitoren ausgesprochen zugig betrieben, was sich an dem zusatzlichen Verhor am ersten Tag, an der fruhen Forderung nach Folter und an der Interpretation des Abendessens bei Loquiis als Synagogeneintritt ablesen lasst. Pierre Munier hatte sich bereits am 17. Marz selbst gestellt und sich direkt zur Haresie bekannt. Kathrin Utz Tremp vermutet deswegen, dass Quicquat vom Inquisitor dazu gedrangt wurde, ihre Anschuldigungen gegen Munier zuruckzunehmen. Sein Haresie-Bekenntnis rettete Munier, denn er wurde am 23. Marz als reuiger Haretiker und nicht als Angehoriger der imaginaren Hexensekte verurteilt. Er musste Busse tun und zwei Wallfahrten unternehmen, entging so aber dem Scheiterhaufen. Literatur Martine Ostorero: „Folatrer avec les demons“. Sabbat et chasse aux sorciers a Vevey (1448) (= Cahiers lausannois d’histoire medievale. Band 47). Cahiers lausannois d’histoire medievale, Lausanne 2008, ISBN 978-2-940110-61-2. Kathrin Utz Tremp: Von der Haresie zur Hexerei. „Wirkliche“ und imaginare Sekten im Spatmittelalter (= Monumenta Germaniae historica. Schriften. Band 59). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2008, ISBN 978-3-7752-5759-6, S. 565–569. Weblinks Proces de sorcellerie intente contre Catherine Quicquat, de Vevey. 1448 Marz 15 – 18. Chateau de La Tour-de-Peilz, (SDS VD D 1 3-1), Les sources du droit suisse, XIXe partie : Les sources du droit du canton de Vaud, D. Repression de la sorcellerie en Pays de Vaud (XVe–XVIIe siecles), Tome 1 : le registre Ac 29 des ACV, erstellt von Pau Castell Granados, Gwendolin Ortega und Martine Ostorero, in Rechtsquellenstiftung des Schweizerischen Juristenvereins Einzelnachweise
Catherine Quicquat (gestorben am 18. Marz 1448 in Vevey) aus Vevey wurde vermutlich im Marz 1448 in der Region Vevey im Herzogtum Savoyen im Rahmen eines Inquisitionsverfahrens wegen Hexerei zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Ihr Prozess war Teil einer zweiten Welle von Hexenverfolgungen im Waadtland und markiert den Ubergang der Verfolgung von der «klassischen» Haresie zur Verfolgung einer imaginaren «Hexensekte».
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c-29
Die Stadt der Millionen – Ein Lebensbild Berlins ist ein deutscher experimenteller Dokumentarfilm von Adolf Trotz, der am 28. Mai 1925 im Berliner Tauentzienpalast uraufgefuhrt wurde. Der Film ist das erste abendfullende Stadtportrat Berlins. Inhalt = Gliederung = Die Titelsequenz zeigt den stark befahrenen Potsdamer Platz mit dem im Jahr zuvor errichteten Verkehrsturm. Der Film ist in vier Akte gegliedert, wobei der erste Akt den Charakter eines filmischen Reisefuhrers tragt. Die Anreise beginnt mit dem Flugzeug, Berlin wird in Luftaufnahmen prasentiert: Alexanderplatz, Kaiser-Wilhelm-Gedachtniskirche, Potsdamer Platz mit Potsdamer Bahnhof und Haus Vaterland sowie Rotes Rathaus mit Marienviertel, Stadtschloss, Berliner Bauakademie, Forum Fridericianum und Gendarmenmarkt von oben. Weiter geht es mit einer Stadtrundfahrt des Anbieters Elite Rundfahrten. Ab Minute 10 bzw. 11 sind kurze Zeichentricksequenzen zu sehen, die den Potsdamer Platz der Vergangenheit („Einst“) und der Zukunft („Im Jahre 2000“) zeigen. „Einst“ gab es dort das Leipziger Tor, das von Pferdekutschen passiert wurde. Aber „Im Jahre 2000“ stehen am Potsdamer Platz dichtgedrangt Wolkenkratzer mit Gebaudebrucken, mehrspurigen Fahrbahnen, Schnellzugen, Luftschiffen, Lufttaxis und Hohencafe. Im Mittelpunkt ragt ein gewaltiger Ampelturm empor, der den Verkehr regelt, und gleich dahinter blinkt eine Leuchtreklame mit dem Logo der UFA, die Die Stadt der Millionen produziert hat. Das gezeigte Großstadtpanorama antizipierte das in Fritz Langs Film Metropolis, der 1927 ebenfalls von der UFA produziert wurde. Der Film verwendet Doppelbelichtungen, Zeitraffer, Split Screen, Nachtaufnahmen, Montagen, schauspielerische und humoristische Einlagen. = Szenen = 1. Akt. Quer durch Berlin Berlin von oben – Das Brandenburger Tor – Der alte Kaiser Wilhelm II. – Stadtschloß Berlin – Auf der Museumsinsel – Berliner Dom – Die Staatstheater: Schauspielhaus und Staatsoper Unter den Linden – Friedrichstraße – Leipziger Straße – Alexanderplatz – Potsdamer Platz: Einst. Jetzt. Im Jahre 2000. – Die Warenhauser: Kaufhaus Wertheim, Kaufhaus Tietz am Alex, Straßenverkaufer – Schuhputzer: „Wenn ick die Stiebel putze, dann spiejelt sich janz Berlin drin.“ – Pferdedroschke vs. Automobil – Nach dem Westen: Der Tauentzien, Kurfurstendamm, Tiergarten, Zoo. – Mitte: Rotes Rathaus. Der Krogel. – Die Bruderstraße: Lessing und Mendelssohn – Die Spreestraße, der Schauplatz von Wilhelm Raabes Die Chronik der Sperlingsgasse – Alexander und Wilhelm von Humboldt – Historisches Szenenbild: Johann Gottlieb Fichtes Reden an die deutsche Nation. 2. Akt. Des Tages Arbeit Morgenverkehr: U-Bahnhof Gleisdreieck – Historisches Szenenbild: Der Große Kurfurst, das Edikt von Potsdam und die Hugenotten in Berlin – Berliner Porzellanmanufaktur – Deutsche Automobil-Ausstellung – Eisenbahnausstellung in Seddin – Das Haus der Radiomesse – Ufa-Filmaufnahmegelande Tempelhof und Neubabelsberg – Die Borse – Landwirtschaft – Wochenmarkte – Charite – Symphonie der Arbeit. 3. Akt. Berlin bei Nacht Wenn’s Abend wird – Historisches Szenenbild: Damals bei unseren Großeltern – Das Radiokonzert – Historisches Szenenbild: Die Vater im Wirtshaus – Hammernde Leuchtreklame – Historisches Szenenbild: Lutter & Wegner – Lichtspiele: Kammer-Lichtspiele am Potsdamer Platz, Ufa-Theater Turmstraße und Ufa-Palast am Zoo (bewirbt Der letzte Mann) – Tanzvergnugen: Foxtrott oder Walzer – Sportvergnugen – Nachtredaktion – Kriminelle Nachtarbeiter in der Steglitzer Straße 66 – Stadtische Morgentoilette. 4. Akt. Der Sonntag des Berliners Im Westen das „baumbluhende“ Werder – Schlachtensee im Sommer und Winter – Pichelsberg – Stoßenseebrucke – Der Tegeler See im Norden – Im Osten der Muggelsee – Treptow – Rahnsdorf – In Grunau, da ist der Himmel blau… – Die „Herrenpartie“ am Himmelfahrtstag – Am Wannsee – Das Grab von Heinrich von Kleist – Schloss Sanssouci – In der Laubenkolonie – Sportstatten (Deutsches Stadion) – Lunapark mit Gebirgsbahn („Krummhausibahn“) – Mit der Bahn nach Hause – Reichstag – Reichsprasident Friedrich Ebert bei der Verfassungsfeier am 11. August 1924 – Amtsubernahme des Reichsprasidenten Paul von Hindenburg – Der Zeppelin uber Berlin. Produktionsnotizen Bei der Filmprufstelle Berlin erfolgte die Erstzulassung am 28. Mai 1925 mit einer Lange von 2021 Metern (Nr. 10626, 4 Akte, jugendfrei), die zweite Zensurfassung vom 25. Juni 1925 hatte 2027 Meter (Nr. 10800, 5 Akte, jugendfrei). Im Bundesarchiv-Filmarchiv ist eine Kopie mit einer Lange von 1985 Meter uberliefert. Zur Originallange fehlen 42 Meter. Kritiken Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten im April 1925 erwartete man: Unter der Uberschrift „Schlecht verfilmtes Berlin – Kulturkino ohne Kultur“ bemangelte der Filmkritiker Heinz Pol in der Vossischen Zeitung vom 30. Mai 1925 die Wahllosigkeit der Bilder ohne erzahlerischen Zusammenhang sowie die Lange des Films: DVD Guido Altendorf (Hrsg.): Die Stadt der Millionen. Ein Lebensbild Berlins. Regie: Adolf Trotz, 80 min, Deutschland 1925; Bonus: Audiokommentar, Bildergalerie, Outtakes und der Bonusfilm: Im Strudel des Verkehrs. Ein Film fur jedermann. Regie: Leo Peukert, 39 min, Deutschland 1925. Absolut Medien, Berlin 2014, ISBN 978-3-8488-3003-9. Literatur Stefanie Kreuzer (Hrsg.): Filmzeit: Zeitdimensionen im Film. Schuren Verlag, Marburg 2021, ISBN 978-3-7410-0388-2, S. 389–394. Siehe auch Berlin – Die Sinfonie der Großstadt Menschen am Sonntag Weblinks Die Stadt der Millionen - Ein Lebensbild Berlins 1925, YouTube-Video Die Stadt der Millionen bei Filmdienst Die Stadt der Millionen bei filmportal.de Die Stadt der Millionen bei IMDb Einzelnachweise
Die Stadt der Millionen – Ein Lebensbild Berlins ist ein deutscher experimenteller Dokumentarfilm von Adolf Trotz, der am 28. Mai 1925 im Berliner Tauentzienpalast uraufgefuhrt wurde. Der Film ist das erste abendfullende Stadtportrat Berlins.
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Etta Moten Barnett (* 5. November 1901 als Etta Geraldine Moten in Weimar, Texas, Vereinigte Staaten von Amerika; † 2. Januar 2004 in Chicago, Illinois) war eine afroamerikanische Sangerin, Schauspielerin und Philanthropin. Sie war die erste afroamerikanische Filmschauspielerin, die fur eine Auffuhrung in das Weiße Haus eingeladen wurde. Besondere Bekanntheit erlangte sie als Darstellerin und Sangerin am Broadway in der popularen Oper Porgy and Bess. Wahrscheinlich wurde George Gershwin von Barnett zur Figur der Bess inspiriert. Leben Etta Moten kam als einziges Kind von Ida Mae (geb. Norman) und deren Mann Freeman Franklin Moten zur Welt. Ihre Mutter arbeitete als Schneiderin, wahrend der Vater Pfarrer in der African Methodist Episcopal Church war. Bereits als Kind engagierte sie sich in der Kirchengemeinde und unterrichtete ab dem zehnten Lebensjahr in der Sonntagsschule; außerdem sang sie im Kirchenchor. Nach dem Abschluss der High School heiratete sie Curtis Brooks und zog mit ihm nach Oklahoma. Bis zur Scheidung sechs Jahre spater gingen drei Tochter aus der Ehe hervor. Nach der Trennung zog Moten mit ihren Kindern zu den Eltern, die mittlerweile in Kansas ansassig waren. Hier studierte sie Schauspiel und Gesang an der University of Kansas. Bei ihrem Abschlusskonzert fur das Studium wurde sie 1931 von einem Talentsucher fur den Chor von Eva Jessye entdeckt und nach New York City eingeladen. In New York ubernahm Moten die Hauptrolle in der Revue Fast and Furious (1931) und dem Theaterstuck Zombie (1932). Danach wechselte sie in die Filmindustrie nach Los Angeles. Dort spielte Moten 1933 in einer Nebenrolle als Sangerin in dem Musicalfilm Goldgraber von 1933 mit. Sie stellte eine verwitwete Hausfrau dar und brach damit die stereotypen Rollen als Dienerinnen, die bis dahin fur Afroamerikanerinnen in Hollywood vorgesehen waren. Ihren bekanntesten Filmauftritt hatte sie im gleichen Jahr in dem Musical Flying Down to Rio an der Seite von Fred Astaire und Ginger Rogers. Moten spielte eine brasilianische Sangerin, wobei ihre Haare mit Fruchten dekoriert waren. Ihr Song The Carioca wurde bei der Oscarverleihung 1935 in der Kategorie Bester Song nominiert. Auf Initiative von Prasident Franklin Delano Roosevelt und seiner Frau Eleanor wurde sie fur den 31. Januar 1934 in das Weiße Haus eingeladen. Sie war die erste schwarze Filmschauspielerin, die zu einem Auftritt in den Amtssitz des amerikanischen Prasidenten eingeladen wurde. Um diese Zeit zog sie zuruck nach New York und ubernahm Rollen am Broadway. Im Jahr 1934 heiratete sie Claude Albert Barnett, den Grunder der Associated Negro Press (ANP). Von 1942 bis 1944 spielte sie am Broadway in der popularen Oper Porgy and Bess die Rolle der Bess. Es wird angenommen, dass George Gershwin zur Figur der Bess von Barnett inspiriert wurde. In den Jahren danach hatte sie als Sangerin Auftritte mit dem Orchester Duke Ellingtons und den New Yorker Philharmonikern. Außerdem fuhrte Barnett eine Konzerttournee um die Welt. Ihren letzten Buhnenauftritt absolvierte sie 1952 in Danemark. In den spaten 1950er Jahren war sie mit ihrem Gatten Teil einer Delegation der Vereinigten Staaten nach Ghana und in andere afrikanische Staaten. Insgesamt reprasentierte Barnett ihre Bundesregierung in mehr als zehn Staaten Afrikas. Mehrere Universitaten und Colleges verliehen ihr den Ehrendoktor, darunter die University of Illinois und das Spelman College. Nach dem Tod ihres Mannes 1967 widmete sich Barnett mehr lokalen Angelegenheiten. Sie betatigte sich als Treuhanderin in der National Conference of Christians and Jews und im African American Institute. Außerdem war sie Mitglied im Frauenrat der Lyric Opera of Chicago, des Field Museum of Natural History und der University of Chicago. Im Jahr 1979 wurde sie in die Black Filmmakers Hall of Fame aufgenommen; die Handelskammer der Frauen von Texas nahm sie in ihre Liste der 100 einflussreichsten Frauen des 20. Jahrhunderts auf. Im Januar 2004 starb Barnett im Alter von 102 Jahren an Bauchspeicheldrusenkrebs. Filmografie (Auswahl) 1933: Ladies They Talk About 1933: Goldgraber von 1933 (Gold Diggers of 1933) 1933: Carioca (Flying Down to Rio) 1934: Geheimagent 13 (Operator 13) 1936: The Green Pastures 1937: Die Marx Brothers: Ein Tag beim Rennen (A Day at the Races) 1942: Born to Sing Buhnenauftritte (Auswahl) Fast and Furious (1931) Zombie (1932) Porgy and Bess (1942–1944) Lysistrata (1946) Literatur Interview with Etta Moten Barnett, 11. Februar 1985. In: Ruth Edmonds Hill (Hrsg.): The Black Women Oral History Project. Volume 1. Meckler, Westport/London 1991, ISBN 0-88736-606-6, S. 135–234. Weblinks Literatur von und uber Etta Moten Barnett im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Etta Moten Barnett bei IMDb Etta Moten Barnett bei AllMusic (englisch) Etta Moten Barnett in der Internet Broadway Database (englisch) Candace Goodwin: Barnett, Etta Moten (1901–2004). Eintrag im Handbook of Texas, 7. Juni 2013, zuletzt aktualisiert am 30. August 2022. Etta Moten Barnett in der Datenbank Find a GraveVorlage:Findagrave/Wartung/Wikidatakennung nicht gesetzt Anmerkungen
Etta Moten Barnett (* 5. November 1901 als Etta Geraldine Moten in Weimar, Texas, Vereinigte Staaten von Amerika; † 2. Januar 2004 in Chicago, Illinois) war eine afroamerikanische Sangerin, Schauspielerin und Philanthropin. Sie war die erste afroamerikanische Filmschauspielerin, die fur eine Auffuhrung in das Weiße Haus eingeladen wurde. Besondere Bekanntheit erlangte sie als Darstellerin und Sangerin am Broadway in der popularen Oper Porgy and Bess. Wahrscheinlich wurde George Gershwin von Barnett zur Figur der Bess inspiriert.
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Thomas „Tom“ Sherlock Hodgson (* 5. Juni 1924 in Toronto, Ontario, Kanada; † 27. Februar 2006 in Peterborough, Ontario) war ein kanadischer Kunstler, der als Mitglied der avantgardistischen Kunstlergruppe Painters Eleven bekannt wurde, die in den 1950er Jahren die abstrakte Kunst in Ontario pragte. Gleichzeitig war er ein erfolgreicher Kanute, der Kanada bei den Olympischen Sommerspielen 1952 und 1956 vertrat. Leben Tom Hodgson wurde 1924 in Toronto geboren. Sein Interesse an der Kunst wurde durch die Teilnahme an Kunstkursen an der AGO (Art Gallery of Ontario) geweckt. Wahrend des Zweiten Weltkriegs diente er in der Royal Canadian Air Force und begann wahrend seiner Ausbildung zum Piloten zu malen. Nach seinem Dienst in der kanadischen Luftwaffe absolvierte er eine formale Kunstausbildung am Ontario College of Art, die er 1946 abschloss, und wagte den Sprung in die Werbebranche. Zunachst arbeitete Tom Hodgson erfolgreich als freiberuflicher Illustrator, Layouter und Artdirector. Seine kunstlerische Karriere begann jedoch, als er sich Organisationen wie der Ontario Society of Artists, der Royal Canadian Academy of Arts, der Canadian Group of Painters und der Canadian Society of Painters in Watercolors anschloss. Seine Werke zeichnen sich durch große Formate, kraftige Farben und gestische Pinselstriche aus. Kritiker loben seine Fahigkeit, Emotionen und Erinnerungen durch abstrakte Kompositionen zu vermitteln. Neben seiner Arbeit als Maler unterrichtete Hodgson am Ontario College of Art, wo er spater Professor wurde. Tom Hodgson war auch Grundungsmitglied der Painters Eleven, einer Kunstlergruppe, die die abstrakte Malerei in Kanada propagierte. Painters Eleven Die Painters Eleven, eine Kunstlergruppe, die in der Hutte der Kunstlerin Alexandra Luke an der Grenze zwischen Oshawa und Whitby gegrundet wurde, hatte sich zum Ziel gesetzt, die ruckstandige Kunstszene zu modernisieren und die abstrakte Kunst in Kanada bekannt zu machen. Die Gruppe wollte erreichen, dass die abstrakte Malerei, eine damals wenig bekannte Kunstrichtung ohne konkrete Themen, ernst genommen wurde. Trotz anfanglicher Skepsis der Offentlichkeit gelang es ihnen, innerhalb von nur sechs Jahren zu einer Legende der kanadischen Kunstgeschichte zu werden. Die Mitglieder der Gruppe unterschieden sich in Personlichkeit und Stil. Jack Bush, der Erfolgreichste der Gruppe, arbeitete als professioneller Werbekunstler. Harold Town fiel durch sein exzentrisches Auftreten auf, wahrend Hortense Gordon, die Alteste der Gruppe, eine pensionierte Lehrerin war. Oscar Cahen (* 1916 in Kopenhagen), ein Kunstler europaischer Herkunft, brachte Einflusse aus Frankreich und Italien mit. Der gemeinsame Nenner war ihr Engagement fur die abstrakte Kunst. Tom Hodgson war eine bemerkenswerte Ausnahme: Er war nicht nur Maler, sondern auch ein erfolgreicher Kanute, der Kanada bei den Olympischen Spielen 1952 und 1956 vertrat. In seinem Werk verband Hodgson die Dynamik und Energie des Sports mit seinem kunstlerischen Ausdruck. Kritiker bemerkten, dass seine Abstraktionen den kraftvollen Schwung seiner Paddelbewegungen widerspiegelten. Die Painters Eleven begannen ihre Ausstellungskarriere mit einer Ausstellung in der Roberts Gallery in Toronto, die zwar gut besucht war, aber keine Verkaufe brachte. Spater wurden ihre Werke jedoch anerkannt und einige Mitglieder, darunter Tom Hodgson, erlangten individuelle Bekanntheit. In den 1960er Jahren pragte eine neue moralische Offenheit auch die Gruppendynamik, etwa bei unkonventionellen Atelierpartys. Bei einem nachtlichen Trinkfest Mitte der 1960er Jahre in Hodgsons Atelier wurde das Buffet – Wurst, Obst, Brot etc. – hubsch auf dem nackten Korper eines auf dem Arbeitstisch liegenden Modells arrangiert. Ein tragisches Ereignis erschutterte die Gruppe, als Oscar Cahen 1956 bei einem Autounfall ums Leben kam. Vor allem Tom Hodgson, der Cahen als Mentor schatzte, traf dieser Verlust schwer. Noch zwei Jahre spater trauerte er. „Oscar war einer der Großten der Welt“, sagte er mir, „und jetzt ist alles vorbei, es wird niemanden mehr wie ihn geben.“ Trotz dieses Ruckschlags setzten die Kunstler ihre Arbeit fort. In den folgenden Jahrzehnten geriet Hodgson, wie viele seiner Zeitgenossen, aus dem Blickfeld der Kunstszene. Dank des Engagements von Kunsthandlern wie Christopher Cutts wurden Hodgsons Werke jedoch wiederentdeckt und erzielten steigende Preise. Am Ende seines Lebens wurde seine Kunst in Toronto erneut gewurdigt. Tom Hodgson selbst verstand seine Arbeit nicht nur als kunstlerisches, sondern auch als soziales Projekt. Mit seinen Wandmalereien und abstrakten Arbeiten wollte er dazu beitragen, Kunst einem breiten Publikum zuganglich zu machen. Dieser utopische Anspruch pragte die Painters Eleven insgesamt: Sie traumten von einer Gesellschaft, in der Kunst das Leben aller bereichern kann. Trotz seiner Erfolge hatte Tom Hodgson mit finanziellen Schwierigkeiten zu kampfen. Aus Materialmangel ubermalte er spater einige seiner ursprunglichen Leinwande. 1993 wurden viele seiner Werke bei einem Brand vernichtet. Am 27. Februar 2006 starb er nach langer Krankheit an Alzheimer in Peterborough, Ontario. Tom Hodgson uberlebte die anderen zehn Mitglieder der Painters Eleven. Mit seinem Tod am 27. Februar im Alter von 81 Jahren in einem Pflegeheim in Toronto endete die Geschichte der Painters Eleven. Olympische Laufbahn Neben seiner kunstlerischen Tatigkeit war Hodgson ein herausragender Kanute. Er gewann 21 nationale Titel und vertrat Kanada bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki und 1956 in Melbourne. Dabei erreichte er im Zweier-Canadier respektable Platzierungen, darunter einen achten Platz uber 1000 Meter (1952) und einen neunten Platz uber 10.000 Meter (1956). Bedeutung und Vermachtnis Tom Hodgson hatte zahlreiche Einzelausstellungen, unter anderem in der Gallery of Contemporary Art (1957), und erhielt mehrere Auszeichnungen, darunter den Monsanto Canadian Art Prize (1957) und ein Stipendium des Canada Council for the Arts (1963–64). Tom Hodgsons Werke befinden sich in bedeutenden Sammlungen wie der National Gallery of Canada und der Art Gallery of Ontario. Sein Beitrag zur abstrakten Kunst und zur kanadischen Kultur ist unbestritten, und er wird sowohl als Kunstler als auch als Sportler in Erinnerung bleiben. Literatur Helen Bradfield: Art Gallery of Ontario: The Canadian Collection, Toronto, 1970. Roald Nasgaard: Abstract Painting in Canada, Vancouver, 2008. Iris Nowell: Painters Eleven: The Wild Ones of Canadian Art, Vancouver, 2011. Weblinks Robert Fulford: Tom Hodgson's abstract objective: Portrait of the late artist as a young man who wanted to change how we saw Cowley Abbott Tom Hodgson in der Datenbank von Olympedia.org (englisch) York University Art Collection Heffel. Werke des Kunstlers Einzelnachweise
Thomas „Tom“ Sherlock Hodgson (* 5. Juni 1924 in Toronto, Ontario, Kanada; † 27. Februar 2006 in Peterborough, Ontario) war ein kanadischer Kunstler, der als Mitglied der avantgardistischen Kunstlergruppe Painters Eleven bekannt wurde, die in den 1950er Jahren die abstrakte Kunst in Ontario pragte. Gleichzeitig war er ein erfolgreicher Kanute, der Kanada bei den Olympischen Sommerspielen 1952 und 1956 vertrat.
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Der Dreadnought-Streich war eine von Horace de Vere Cole initiierte, scherzhafte Aktion uber den Besuch des angeblichen Prinzen Makalen von Abessinien und seines Gefolges auf der HMS Dreadnought, dem damaligen Flaggschiff der britischen Home Fleet, im Februar 1910. Cole brachte den Oberbefehlshaber der Home Fleet, Admiral Sir William May, dazu, der vermeintlich koniglichen Gruppe das Schiff zu zeigen. Dieser Vorfall lenkte die Aufmerksamkeit Großbritanniens auf die Aktivitaten der Bloomsbury Group, der einige von Coles Mitstreitern angehorten. Der Besuch stellte eine Wiederholung eines ahnlichen Streichs dar, den Cole und Adrian Stephen bereits 1905 als Studenten an der University of Cambridge veranstaltet hatten. Vorgeschichte Als Vorlaufer des Dreadnought-Streichs gilt ein Streich, den Adrian Stephen und Horace Cole dem Burgermeister von Cambridge spielten. Sie schickten dem Burgermeister ein Telegramm, in dem sie ihn baten, den Sultan von Sansibar und Teile seines Gefolges zu empfangen. Der Burgermeister sagte zu, die notwendigen organisatorischen Maßnahmen zu treffen. Die betreffenden Personen, darunter Stephen und Cole, kamen verkleidet mit dem Zug in Cambridge an. Da durch eine Zeitungsmeldung mit Bild bekannt geworden war, dass sich der Sultan an diesem Tag in London befand, teilte ein „Dolmetscher“, der die Gruppe begleitete, den Beamten in Cambridge mit, dass der Sultan sich im Buckingham Palace aufhalte und seinen Onkel, Prinz Mukasa Ali, gebeten habe, ihn zu vertreten. Die Gruppe wurde von Wurdentragern der Stadt empfangen und von einer großen Menschenmenge begeistert begrußt. Die anschließende Presseberichterstattung uber den Streich machte Horace Cole und Adrian Stephen bekannt, wahrend der Burgermeister von Cambridge vergeblich versuchte, sie von der Universitat verweisen zu lassen. Ablauf Cole hatte einen Freund, der Offizier auf der HMS Hawke war, einem Schiff der Kanalflotte. Damals war es ublich, dass junge Offiziere sich gegenseitig Streiche spielten, und die Offiziere der Hawke und der Dreadnought hatten eine kleine Fehde. Der Offizier der Hawke bat Cole, dessen Talent fur Streiche bekannt war, auch der Dreadnought einen Streich zu spielen. Die Mitwirkenden am Dreadnought-Streich waren Virginia Stephen, spater bekannt als Virginia Woolf, die den Prinzen Sanganya spielte. Adrian Stephen, Virginias jungerer Bruder, spielte den deutschen Ubersetzer Georg Kaufmann. Horace de Vere Cole, Adrian Stephens Freund aus Cambridge, trat als Herbert Cholmondeley vom British Foreign Office auf, der die Gruppe begleitete. Anthony Buxton, ein Freund von Cole aus Cambridge, spielte Prinz Makalen, den Fursten von Abessinien. Duncan Grant, ein Maler und Designer sowie spaterer Freund von Vanessa Bell, Virginias und Adrians Schwester, spielte Prinz Mendax. Guy Ridley, ein Jurastudent, spielte Prinz Michael Golen. Im Hintergrund agierten Tudor Castle, ein Freund Coles, und Willy Clark, ein Buhnen- und Maskenbildner, der die Perucken und Kostume besorgte und fur die Maske verantwortlich war. Die Teilnehmer trugen diamantbesetzte Seidenschals als Turbane und weiße Tuniken, uber die prunkvolle Gewander geworfen waren. Als Schmuck trugen sie goldene und juwelenbesetzte Halsketten und goldene Ringe. Prinz Makalen trug zusatzlich den „Kaiserorden von Athiopien“. Die Gesichter waren dunkelbraun geschminkt und unter falschen Barten und Schnurrbarten verborgen. Die Haare waren schwarz gefarbt und gelockt. Alle trugen spitz zulaufende Lackstiefel im orientalischen Stil. Der Streich begann mit einem Telegramm, das von Tudor Castle an Admiral May, den Commander-in-chief der Home Fleet, geschickt wurde, kurz bevor die vermeintliche konigliche Gruppe ankam. Darin wurde dem Admiral mitgeteilt, dass Prinz Makalen von Abessinien mit seinem Gefolge und einem Dolmetscher am Nachmittag in Weymouth eintreffe und um eine Fuhrung durch die Dreadnought gebeten habe. Das Telegramm war unterzeichnet von „Harding, Foreign Office“. Cole hatte darauf spekuliert, dass May durch die kurze Vorlaufzeit keine Zeit bliebe, die Echtheit des Telegramms zu uberprufen. Die Ankunft der Gaste wurde mit allen Ehren gefeiert und die Schiffskapelle spielte eine Nationalhymne, jedoch die falsche. Unter den Offizieren, die die Gruppe an Bord in Empfang nahmen, war auch der Cousin der Stephen-Geschwister, Flag Commander William Wordsworth Fisher. Adrian Stephen, der den deutschen Ubersetzer spielte, tauschte einen deutschen Akzent vor und wurde von Fisher in seiner Verkleidung tatsachlich nicht erkannt. Die „Prinzen“ ließen sich das ganze Schiff einschließlich Funk und Bewaffnung zeigen und kommentierten anerkennend jedes neue Detail mit den Worten „Bunga Bunga“. Die Gruppe verbrachte etwa 45 Minuten an Bord und wurde danach mit der Pinasse des Admirals wieder an Land gebracht. Gegen 18 Uhr verließ die Gruppe Weymouth mit dem Zug. Nachwirkungen Am nachsten Tag organisierte Cole einen Fotografen und ließ die Gruppe geschminkt und verkleidet fotografieren. Cole meldete sich beim Foreign Office und berichtete, dass er und seine Gruppe auf der Dreadnought als abessinische Prinzen empfangen worden seien. Sir Charles Hardinge informierte daraufhin die Admiralitat, wo er erfuhr, dass am Vortag tatsachlich eine abessinische Delegation an Bord der Dreadnought empfangen worden war, nachdem bei Admiral May ein Telegramm in seinem Namen eingegangen war. Einige Tage spater erschien die Geschichte im Daily Mirror, wo sie als „Dreadnought-Schwindel“ bezeichnet wurde. Es gab einen langen Artikel daruber und sie wurde als der dreisteste Schwindel in der Geschichte bezeichnet. Die HMS Dreadnought war das erste moderne Schlachtschiff der Royal Navy. Sie galt als Symbol der Uberlegenheit der britischen Marine sowie als das machtigste und geheimste Kriegsschiff, das sich zu dieser Zeit auf See befand, und stand namensgebend fur die Klasse der Dreadnought-Schlachtschiffe. Fur die Royal Navy, die sich damals im Flottenwettrusten mit dem Deutschen Reich befand, war es daher außerst peinlich, von einer Gruppe mit falschen Barten und Kostumen hereingelegt worden zu sein. Die Geschichte wurde in der Presse breitgetreten und Matrosen wurden mit „Bunga, Bunga“-Rufen begrußt. Zunachst wollte die Marinefuhrung die Beteiligten formell anklagen. Jedoch waren die meisten Details des Vorfalls von Cole geliefert worden, so dass nicht zu erwarten war, dass sie vor Gericht verwendet werden konnten. Da eine Anklage nur noch mehr Aufmerksamkeit auf den Fall gelenkt hatte, wurde die Idee verworfen. Schließlich entschied man sich fur eine informellere Bestrafung. Nach dem Vorbild britischer Internate erhielten einige Teilnehmer, mit Ausnahme von Virginia Stephen, symbolische Schlage mit einem Rohrstock auf das Gesaß. Literatur Adrian Stephen: The “Dreadnought” Hoax. RH Canada UK Dist, 1983, ISBN 978-0-7011-2747-3 Weblinks Einzelnachweise
Der Dreadnought-Streich war eine von Horace de Vere Cole initiierte, scherzhafte Aktion uber den Besuch des angeblichen Prinzen Makalen von Abessinien und seines Gefolges auf der HMS Dreadnought, dem damaligen Flaggschiff der britischen Home Fleet, im Februar 1910. Cole brachte den Oberbefehlshaber der Home Fleet, Admiral Sir William May, dazu, der vermeintlich koniglichen Gruppe das Schiff zu zeigen. Dieser Vorfall lenkte die Aufmerksamkeit Großbritanniens auf die Aktivitaten der Bloomsbury Group, der einige von Coles Mitstreitern angehorten. Der Besuch stellte eine Wiederholung eines ahnlichen Streichs dar, den Cole und Adrian Stephen bereits 1905 als Studenten an der University of Cambridge veranstaltet hatten.
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Die Frankfurter Silberinschrift ist eine 18-zeilige lateinische Gravur auf einer Silberfolie, die sich in einem Schutzamulett aus der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. befand und wegen ihres Bezugs auf Jesus Christus das alteste bisher bekannte Zeugnis des Christentums nordlich der Alpen darstellt. Das Amulett wurde im Jahr 2018 bei archaologischen Untersuchungen auf einem Graberfeld am Rand der fruheren romischen Stadt Nida im Nordwesten von Frankfurt am Main in Hessen gefunden. Fundstelle Bei Ausgrabungen auf einer Flache von 500 m² vor dem Bau eines Wohnhauses im Frankfurter Stadtteil Praunheim stießen Archaologen in den Jahren 2017 und 2018 auf 127 Bestattungen, davon 113 Korpergraber und 14 Brandgraber. Sie gehorten zu einem seit dem 19. Jahrhundert bekannten romischen Bestattungsplatz, der als Graberfeld „Heilmannstraße“ bezeichnet wird. Die Fundstelle lag hinter der nordwestlichen Ecke der Stadtmauer der fruheren Romerstadt Nida. Die etwa 50 Hektar große Stadt bestand von der Mitte des 1. bis Mitte des 3. Jahrhunderts, also bis zur Aufgabe des Obergermanisch-Raetischen Limes, und war Verwaltungssitz der Civitas Taunensium. Fundstuck In Grab 134 fand sich 2018 das Skelett eines Mannes, dessen Alter bei seinem Tod auf etwa 35 bis 45 Jahre geschatzt wurde. Vorgefundene Nagel wiesen darauf hin, dass er in einem Sarg beigesetzt wurde. Unterhalb seines Kinns lag ein 35 mm langes und neun mm breites silbernes Amulett in Form einer Kapsel, das der Verstorbene vermutlich mit einem Band um den Hals getragen hatte. Dabei handelte es sich um ein magisches Amulett, ein Phylakterion, das den Trager wahrscheinlich vor Krankheit oder anderen Widrigkeiten schutzen sollte. Im Amulett befand sich eine 91 Millimeter lange Silberfolie, die gerollt, gefaltet und geknickt war. Die Bestattung wurde anhand zweier Grabbeigaben, eines Raucherkelchs und eines Tonkrugs, in die Zeit zwischen 230 und 270 n. Chr. datiert. An den sterblichen Resten des Amuletttragers wurde eine Isotopenuntersuchung vorgenommen, um Aufschlusse uber seine geographische Herkunft zu erlangen. Als der Fund 2024 bekannt gegeben wurde, lagen die Ergebnisse noch nicht vor. Der Althistoriker Hartmut Leppin von der Universitat Frankfurt am Main nimmt an, dass der Verstorbene in der Region verankert und nicht auf der Durchreise war. Dafur spreche die bewusste Platzierung des Amuletts durch die Angehorigen. Andererseits sei auch moglich, dass der Verstorbene das Amulett geschenkt bekam und er kein Christ war. Bei der Fundrestaurierung im Archaologischen Museum Frankfurt wurden Amulett und Silberfolie voneinander getrennt. Dabei wurde durch Rontgenaufnahmen im Jahr 2020 festgestellt, dass auf der Folie eine Inschrift vorhanden war. Da die sehr dunne Folie durch die lange Lagerung im Boden sprode geworden war und sich nicht entrollen ließ, wurde sie 2024 im Leibniz-Zentrum fur Archaologie in Mainz mittels Computertomografie durchleuchtet. Anhand der dabei gewonnenen Daten wurde ein 3D-Modell der Folie erstellt, so dass sich ihre 18 Zeilen umfassende Gravur „digital entrollen“ und auf diese Weise lesbar machen ließ. Der Provinzialromische Archaologe Markus Scholz von der Universitat Frankfurt entzifferte und ubersetzte die lateinische Inschrift, die mit folgenden Satzen beginnt: Im weiteren Text wird Jesus Christus mehrfach erwahnt. So auch in den letzten sechs Zeilen, in denen auf den Brief des Paulus an die Philipper (Phil 2,10) Bezug genommen wird. Das Fundstuck wurde der Offentlichkeit erstmals im Dezember 2024 bei einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main prasentiert. Kurz danach wurde es in die Dauerausstellung des Archaologischen Museums Frankfurt aufgenommen. In den ersten vier Ausstellungswochen erfuhr das Museum eine spurbare Steigerung der Besucherzahlen. Bedeutung Der Fund aus der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. bietet Einblicke in die fruhe Verbreitung des Christentums auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Die ersten sicheren Nachweise dafur, dass es hier Christengemeinden gegeben hat, waren bisher die Erwahnungen von Kolner und Trierer Bischofen als Teilnehmer der Synode von Rom und des Konzils von Arles in den Jahren 313 und 314. Laut dem Archaologen Markus Scholz verehrt der Text Jesus Christus als Herrn der Welt und zitiert den Christushymnus aus dem Brief des Paulus an die Philipper 2,10–11 in lateinischer Ubersetzung. Es sei der alteste authentische christliche Text nordlich der Alpen. Einmalig an der Inschrift ist nach der Einschatzung von Scholz, dass sie nur lateinisch und nicht griechisch geschrieben ist. Zu dieser Zeit wurde die christliche Literatur in der Regel auf Griechisch geschrieben, wahrend sich Latein in diesem Bereich erst Jahrzehnte spater verbreitete. Besonders am Text sei auch, dass er rein christlichen und keinen polytheistischen Inhalt aufweise. Das einzige Vergleichsstuck aus einem Gebiet rechts des Rheins stammt aus einem Kindergrab der Romertherme Badenweiler. Auf dieser Inschrift wurde neben dem christlich-judischen Gott auch ein germanischer Quellgott angerufen. Eine weitere Besonderheit der Frankfurter Inschrift ist die Anrufung AGIOS AGIOS AGIOS, „Heilig, heilig, heilig“, der einzige griechische Teil der Inschrift. Wurden die Ursprunge dieser liturgischen Formel, des sogenannten Trishagion, bisher ins 4. Jahrhundert datiert, glaubt der Archaologe Markus Scholz nun, dass der Fund mit dem deutlich alteren Zeugnis fur die formelhafte Verwendung des Sanctus zu einer Anderung der Liturgiegeschichtsschreibung fuhren konnte. Fur den Kirchengeschichtler Ulrich Volp von der Johannes Gutenberg-Universitat Mainz zeige der Fund, dass sich trotz zeitweiliger Christenverfolgungen das Christentum im 3. Jahrhundert entlang der Handelswege im Romischen Reich verbreitet hatte. Der Kirchenhistoriker Wolfram Kinzig von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universitat Bonn halt die Inschrift fur eines der altesten Zeugnisse fur die Verbreitung des Neuen Testaments im romischen Germanien. Der Judaist Peter Schafer und der Kirchenhistoriker Christoph Markschies außerten Zweifel an der Deutung der Frankfurter Silberinschrift. Obwohl sie noch nicht wissenschaftlich publiziert wurde und nur eine vorlaufige Ubersetzung des Textes vorliege, diene die Inschrift als Grundlage fur Hypothesen. Die bisherigen Deutungen wurden zu wenig berucksichtigen, dass die gefaltete Silberfolie im Amulett fur seinen Trager kaum lesbar gewesen sei. Daher seien Spekulationen, wie der Amuletttrager zum Christentum stand, schwierig. Weblinks Der alteste Christ nordlich der Alpen war Frankfurter bei hessenschau vom 11. Dezember 2024 Stadt Frankfurt am Main: Pressekonferenz zur Vorstellung eines archaologischen Sensationsfundes vom 11. Dezember 2024 bei YouTube (Video, 57 Minuten) Der Film zum Fund der Frankfurter Silberinschrift (Video, 07:50 Minuten) Paul Eisbach: Neuste Rontgentechnik: Forscher entlocken Frankfurter Sensationsfund erste Geheimnisse in Frankfurter Rundschau vom 19. Februar 2025 Einzelnachweise
Die Frankfurter Silberinschrift ist eine 18-zeilige lateinische Gravur auf einer Silberfolie, die sich in einem Schutzamulett aus der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. befand und wegen ihres Bezugs auf Jesus Christus das alteste bisher bekannte Zeugnis des Christentums nordlich der Alpen darstellt. Das Amulett wurde im Jahr 2018 bei archaologischen Untersuchungen auf einem Graberfeld am Rand der fruheren romischen Stadt Nida im Nordwesten von Frankfurt am Main in Hessen gefunden.
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Das Paul-Friedrich-Denkmal ist eine klassizistische Bronzestatue auf dem Alten Garten in Schwerin, die uberlebensgroß den mecklenburgischen Großherzog Paul Friedrich darstellt. Sie wurde in den Jahren 1843 bis 1847 von Christian Daniel Rauch geschaffen und 1849 aufgestellt. Geschichte Der allgemein beliebte Großherzog war am 7. Marz 1842 nach nur funfjahriger Regierungszeit im Alter von 41 Jahren gestorben. Schon wenige Tage spater, am 16. Marz, grundeten Schweriner Burger ein Denkmalkomitee, das bis Ende Mai bereits Spenden in Hohe von fast 20.000 Talern gesammelt hatte. Es wandte sich am 7. Juni mit der Bitte um einen Denkmalentwurf an den Berliner Bildhauer Christian Daniel Rauch, der den Großherzog gekannt und bereits 1821 eine Buste seiner damaligen Braut Alexandrine von Preußen geschaffen hatte. Fur das Denkmal war zunachst an eine Marmorstatue in einem tempelartigen Bau gedacht; auf Wunsch der Witwe und des nunmehr regierenden Sohnes, Großherzog Friedrich Franz II., entschied man sich dann aber fur eine Bronzestatue. Rauch, einer der bedeutendsten und meistbeschaftigten Bildhauer seiner Zeit, war mit Auftragen uberhauft; er wollte den Auftrag zunachst ablehnen und nahm ihn schließlich nur unter der Bedingung an, dass ihm fur die Ausfuhrung kein Zeitlimit gesetzt werde. Am 17. November 1842 reiste Rauch zu Besprechungen mit dem Komitee und zur Auswahl eines Standorts nach Schwerin. Um die gewunschte Portratahnlichkeit zu gewahrleisten, ubersandte man ihm im Februar 1843 mehrere Bildnisse des Verstorbenen. Die fur Ende Mai zugesagte Entwurfsskizze schickte Rauch, der zu dieser Zeit an den Sockelfiguren fur das Reiterstandbild Friedrichs des Großen zu arbeiten begann, erst Ende September 1843. Dieser Entwurf wurde vom Denkmalkomitee in einer Reihe von Punkten kritisiert. Unter anderem wurde bemangelt, die Darstellung sei nicht ahnlich genug, der hochgewachsene und schlanke Großherzog wirke zu untersetzt und das Schwert zu kriegerisch. Der Schriftwechsel uber diese Fragen zog sich bis ins Fruhjahr 1844 hin. Im November 1844 legte Rauch zwei neue Skizzen vor, in denen er zum Teil auf die Einwande einging und auf deren Grundlage noch 1844 der endgultige Auftrag erteilt wurde. Rauch arbeitete mit Unterbrechungen bis zum Herbst 1846 an dem Denkmal. Auf ein erstes, 58 cm hohes Modell folgte im Sommer 1845 ein Modell im Maßstab 1 : 3; das Tonmodell in Originalgroße war im Marz 1846 fertig. Nach der Abnahme durch Mitglieder des Denkmalkomitees wurde es in Gips abgeformt und das Gipsmodell am 9. November 1846 zum Guss an die Bronzegießerei Lauchhammer geschickt. Fur den Guss und die Nachbearbeitung (Ziselierung) der Statue sowie den Transport nach Schwerin war ein Preis von 7000 Talern vereinbart worden. Nach dem Guss im darauffolgenden Jahr besichtigte Rauch das Ergebnis in Lauchhammer am 7. September 1847 und nochmals Ende November nach erfolgter Ziselierung. In einem Brief an Rauch hatte sich sein Freund Ernst Rietschel bereits am 9. November 1847 lobend uber das Werk geaußert, das er in Lauchhammer gesehen hatte. Auch Rauch selbst, der die Statue wahrend der Arbeit daran sehr selbstkritisch beurteilt hatte, zeigte sich nunmehr zufrieden. Die Aufstellung des Denkmals verzogerte sich, da zunachst die Herstellung des Sockels abgewartet werden musste. Der Sockel mit Inschrift wurde in der herzoglichen Schleifmuhle hergestellt und ist dem Sockel von Rauchs 1829 aufgestelltem August-Hermann-Francke-Denkmal in Halle an der Saale nachgebildet. Der ursprungliche Sockelentwurf stammte von Karl Friedrich Schinkel, der sich dabei von einem Fresko des Malers Andrea del Castagno im Dom zu Florenz hatte inspirieren lassen, das ein Reiterstandbild Niccolo da Tolentinos zeigt. Um den Wortlaut der Inschrift gab es eine langere Auseinandersetzung: Die von den Schwerinern vorgeschlagene heutige Inschrift war Rauch nicht erhaben genug. Er holte in Berlin Gegenvorschlage von August Boeckh und Konig Friedrich Wilhelm IV. ein; der Denkmalausschuss beharrte jedoch darauf, dass gerade die „vertrauliche“ Formulierung „Ihrem Paul Friederich“ das enge Verhaltnis der Stadt zu ihrem Fursten zum Ausdruck bringe. Da sie auch die Zustimmung von Friedrich Franz II. fand, blieb es bei dem ursprunglichen Vorschlag. Die Buchstaben der Inschrift wurden von Karl Ludwig Friebel in Berlin gegossen. Anfangs sollte das Denkmal an der Stelle des zum Abriss vorgesehenen Alten Palais aufgestellt werden; da die Großherzogin-Witwe jedoch weiter im Alten Palais wohnen wollte, entschieden Burgerausschuss und Großherzog sich im September 1848 fur einen Standort auf dem Alten Garten als reprasentativem Platz, vor dem geplanten Neuen Palais, das aber erst mehr als dreißig Jahre spater als Museum fertiggestellt wurde. Am 23. Februar 1849, dem Geburtstag der Großherzogin-Witwe, wurde das Denkmal feierlich enthullt. Anlasslich der Enthullung wurde in der großherzoglichen Munze eine Denkmunze gepragt, die auf dem Avers ein Brustbild Paul Friedrichs und auf dem Revers das Denkmal mit der Denkmalinschrift als Umschrift zeigte. Das Denkmal erhielt ein gusseisernes Gitter als Einfassung, an dessen vier Ecken 1861 Gaskandelaber aufgestellt wurden, und war von einem Rondell umgeben. In der Zeit des Nationalsozialismus diente der Alte Garten als zentraler Platz fur Aufmarsche, Massenversammlungen und Paraden. Da das Paul-Friedrich-Denkmal dabei optisch und politisch storte, wurde es 1935 auf die Schlossinsel vor den Burgseeflugel des Schlosses versetzt, wobei der untere Teil der Grundplatte im Rasen versenkt wurde. Im Zuge der Neugestaltung des Alten Gartens kehrte es 2011 nach umfassenden Restaurierungsarbeiten an seinen ersten Standort vor der Freitreppe des Museums zuruck. Beschreibung Die eigentliche Figur ist 3,15 Meter groß (mit Plinthe 3,47 m) und stellt Paul Friedrich frontal in ganzer Figur dar. Statt einer Gala-Uniform tragt er einen einfachen Interims-Uniformrock mit Feldbinde um den Leib und dem Ordensband des Schwarzen Adlerordens schrag uber der Brust. Um die Schultern liegt ein weiter, faltenreicher Furstenmantel mit Hermelinfutter, der unterhalb des hohen Uniformkragens durch zwei Schnure geschlossen ist, die in Quasten enden. Das rechte Bein ist als Spielbein vorgestellt, die Fußspitze ragt etwas uber den Rand der Plinthe hinaus. Der unbedeckte Kopf, frisiert nach der damaligen Mode a la duc d’Orleans mit nach vorn gekammtem und gekrauseltem Haar, ist nach rechts gewendet. Die rechte Hand stutzt sich auf ein Schwert, um dessen Scheide der Schwertgurt gewickelt ist, wahrend die linke Hand in die Hufte gestemmt ist. Der Denkmalsockel aus mecklenburgischem Granit hat eine Gesamthohe von 4,44 m. Die 5,60 m breite und 0,67 m hohe rechteckige Grundplatte ist in halber Hohe ringsum abgeschragt, so dass sie in Form eines flachen Pyramidenstumpfs zum eigentlichen Sockel ansteigt. Auf zwei glatten, polierten Quadern, der untere 2,15 m breit und 0,50 m hoch, der obere 2 m breit und 1 m hoch, steht der 2,15 m hohe Hauptteil des Sockels, ein schmalerer Quader mit uberstehender profilierter Fuß- und Deckplatte, die an den vier Ecken von runden Saulchen gestutzt wird. Dieser Quader tragt in serifenlosen Versalien aus vergoldeter Bronze die Inschrift: „IHREM / PAVL FRIEDERICH / DIE / STADT SCHWERIN / MDCCCXLIX“. Die Ecksaulen sind in halber Hohe von zwei Ringen eingeschnurt, schwellen daruber und darunter jeweils in Form von Balustern an und verjungen sich dann wieder. Rezeption Wahrend die Statue selbst Anerkennung fand, stieß die Gestaltung des Sockels, insbesondere die Form der Ecksaulen, auf Kritik. Im Kunstblatt des Morgenblatts fur gebildete Stande ruhmte ein anonymer Autor die Portratahnlichkeit und die als „edel und koniglich“ beschriebene Haltung der Figur, bemangelte jedoch, dass die Ecksaulchen „zu sehr aus Holz gedrehten Treppenpfosten gleichen“. Auch Karl und Friedrich Eggers nennen sie „stillos“, da sie „an Holzdrechslerei erinnern“. Literatur Albrecht Bartsch: Das Denkmal Paul Friedrich’s zu Schwerin. Geschichte und Beschreibung des Denkmals und der Enthullungsfeier, nebst der bei dieser Feier gehalt. Rede. Kurschner, Schwerin 1849. Friedrich und Karl Eggers: Christian Daniel Rauch. Vierter Band. Duncker, Berlin 1887, S. 26–37. Jutta von Simson: Christian Daniel Rauch. Œuvre-Katalog. Gebr. Mann, Berlin 1996, ISBN 978-3-7861-1778-0, S. 406–408 (Katalog-Nr. 274). Weblinks Einzelnachweise
Das Paul-Friedrich-Denkmal ist eine klassizistische Bronzestatue auf dem Alten Garten in Schwerin, die uberlebensgroß den mecklenburgischen Großherzog Paul Friedrich darstellt. Sie wurde in den Jahren 1843 bis 1847 von Christian Daniel Rauch geschaffen und 1849 aufgestellt.
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GPTZero ist eine Software zur Erkennung von Texten und Textstellen, die mit großen Sprachmodellen erzeugt wurden. Sie wurde anfangs vor allem eingesetzt, um so generierte Schul- und Studienarbeiten zu erkennen, und hat in diesem Feld eine hohe Verbreitung erreicht (Stand 2024). Wahrend GPTZero fur die Fahigkeit, akademische Tauschungsversuche zu verhindern gelobt wurde, wird auf der anderen Seite die Falsch-Positiv-Rate der Software kritisiert. GPTZero ist bei Investoren eines der erfolgreichsten KI-Identifizierungstools und wird sehr haufig eingesetzt (Stand Juli 2024). Geschichte GPTZero wurde von Edward Tian, einem Studenten der Princeton-Universitat, entwickelt, um Texte und Textstellen aufzuspuren, die mit Sprachmodellen erstellt wurden. Die Software wurde am 3. Januar 2023 online gestellt und schon in der ersten Woche 30.000 Mal genutzt. Aufgrund des großen Erfolgs grundete Tian zusammen mit Alex Cui ein Start-up, das im Mai 2023 bereits 3,5 Mio. Dollar Startkapital eingeworben hatte. Im Juli 2024 hatte GPTZero bereits 4 Mio. Nutzer und 10 Mio. Dollar von Investoren eingesammelt. GPTZero bietet bereits ein KI-Klassifizierungsmodell an, das den Anteil KI-generierter Teile eines Textes anzeigt. Das Unternehmen kundigte im September 2024 an, ein weit umfassenderes Tool zur Uberwachung des Schreibprozesses zu entwickeln. Die Nutzer dieser neuen Autorenplattform konnen Daten uber ihren Schreibprozess zusammenstellen und weitergeben, z. B. den Verlauf der Texteingabe, die Anzahl der Autoren oder die Dauer der Bearbeitung. So kann der Entstehungsprozess uberwacht und aufgezeichnet und spater von Dritten uberpruft werden. Dieses Tool wird vom Unternehmen „Origin“ genannt und kann als Plug-in in Microsoft Word integriert werden. Funktionsweise Ziel der Entwickler von GPTZero ist, mit KI erstellte Texte oder Textabschnitte zu identifizieren. Dazu arbeitet GPTZero mit zwei Eigenschaften eines Textes, um zu erfassen, ob er von einer kunstlichen Intelligenz verfasst wurde. Die erste Eigenschaft ist die „Perplexitat“ (deutsch: Unsicherheit). Sie ist ein Maß dafur, wie beliebig oder vertraut ein Text einem Sprachmodell erscheint, das heißt, ob der Satzbau und die Wortwahl typisch oder ungewohnlich fur ein Sprachmodell ware. Sprachmodelle ubernehmen die Eigenheiten der Textsammlungen, mit denen sie trainiert wurden. Je diverser ein Text diesbezuglich ausfallt, desto großer ist daher die Wahrscheinlichkeit, dass er von einem Menschen verfasst wurde. Die zweite Eigenschaft eines Textes nennt das Unternehmen „Burstiness“ (deutsch: Zerreißfaktor). Diese bezieht sich auf die Komplexitat und Varietat in Satzen. Menschen neigen dazu, die Satzlange zu variieren, lange Satze und kurze Satze abzuwechseln oder mal viele und dann wieder sehr wenige Adjektive zu nutzen. Maschinell erstellte Texte sind diesbezuglich gleichformiger. Neben der Uberprufung von Texten, die direkt von KI-Werkzeugen kopiert wurden, ist das Tool auch in der Lage, jene Teile eines Textes zu erkennen und hervorzuheben, die von einem Sprachmodell wie ChatGPT geschrieben oder umformuliert wurden. Nach GPTZero konnen mehrere Dateien zusammen hochgeladen werden, um eine effektive und schnelle Uberprufung von unterschiedlichen Texten sicherzustellen. Damit konnen Lehrer z. B. die Abgaben einer ganzen Klasse effizient uberprufen. Anwendungen Die ersten Anwender des Tools waren Schulen und Universitaten, die es nutzten, um Arbeiten von Schulern und Studenten darauf zu uberprufen, ob diese mit einer KI erstellt wurden. Im Oktober 2023 schloss GPTZero eine Partnerschaft mit der US Teachers Union, der zweitgroßten Gewerkschaft der USA. Im Sommer 2024 wurde das Tool von der American Federation of Teachers und der School of Education der University of Virginia getestet. Auch Personalverantwortliche zeigten sich interessiert daran, Bewerbungsschreiben darauf zu uberprufen, ob sie mit KI erstellt wurden. Auch wenn die meisten Anwender Schulen und Universitaten sind, ist es das Ziel von Tian, „dieses Tool so vielen Branchen wie moglich zur Verfugung zu stellen. Und zwar allen, die von KI betroffen sind, darunter Bildung, Finanzen, Journalismus und auch daruber hinaus wie Cybersicherheit.“ Ergebnisse des Tools und Kritik Forscher der University of Maryland stellten im Marz 2023 fest, dass verschiedene Tools zur Identifikation KI-generierter Texte nicht immer zuverlassig arbeiteten. Bereits einfaches Umschreiben der Texte reiche oft aus, um der Entdeckung zu entgehen. Dadurch konne die Genauigkeit eines Identifizierungstools von 97 Prozent auf 80 Prozent und im schlimmsten Fall auf 57 Prozent verringert werden. Dies gelte auch fur Tools, die Wasserzeichenschemata verwenden oder auf neuronalen Netzen basieren. In einer Studie von William H. Walters wurde GPTZero eine hohe Genauigkeit attestiert, viele KI-generierte Texte korrekt zu identifizieren: 5 Prozent wurden als inkorrekt, also falschlich als von Menschen geschrieben eingestuft, 77 Prozent wurden korrekt als KI-generierter Text erkannt und bei 18 Prozent war sich das Tool unsicher. Andererseits hat GPTZero bei von Menschen geschriebenen Texten eine Unsicherheitsrate: 88 Prozent wurden korrekt als von Menschen geschriebener Text eingestuft, bei 10 Prozent war sich das Tool unsicher, die restlichen 2 Prozent wurden falschlich als KI-generiert eingestuft. Die Technik-Website Futurism lobte in einem Test die Geschwindigkeit der Software, bemangelte aber eine hohe Fehlerquote. Von acht von Menschen geschriebenen Texten habe GPTZero nur sechs als echt identifiziert, von acht Texten, die mit ChatGPT erstellt wurden, seien sieben erkannt worden. Auch die Washington Post stellte im August 2023 fest, dass Identifizierungswerkzeuge bisweilen unter falsch-positiven Ergebnissen litten, und gab Tipps, wie Studenten damit umgehen konnen. Die Nachrichten-Website Ars Technica kommentierte, dass auch Menschen Satze sehr regelmaßig schreiben konnen, was mitunter zu falsch positiven Ergebnissen fuhre. Der Autor Benj Edwards fuhrte weiter aus, dass der Perplexitatswert nur das berucksichtige, was fur die KI „uberraschend“ sei. Das fuhre dazu, dass sehr gebrauchliche Texte, wie beispielsweise die US-Verfassung, als wahrscheinlich von der KI generiert eingestuft werden konnten. Grunder Tian außerte zu derartigen Beobachtungen, dass jedes Identifizierungstool blinde Flecken habe, an deren Reduzierung gearbeitet werde. Siehe auch Ethik der kunstlichen Intelligenz Weblinks gptzero.me Einzelnachweise
GPTZero ist eine Software zur Erkennung von Texten und Textstellen, die mit großen Sprachmodellen erzeugt wurden. Sie wurde anfangs vor allem eingesetzt, um so generierte Schul- und Studienarbeiten zu erkennen, und hat in diesem Feld eine hohe Verbreitung erreicht (Stand 2024). Wahrend GPTZero fur die Fahigkeit, akademische Tauschungsversuche zu verhindern gelobt wurde, wird auf der anderen Seite die Falsch-Positiv-Rate der Software kritisiert. GPTZero ist bei Investoren eines der erfolgreichsten KI-Identifizierungstools und wird sehr haufig eingesetzt (Stand Juli 2024).
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Die Fassfabrik Fruhinsholz (franzosisch Societe Francaise des Etablissements de Tonnellerie Mecanique, Adolphe Fruhinsholz, Nancy) war ein Fasshersteller in Nancy im Departement Meurthe-et-Moselle von Frankreich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt Fruhinsholz als die bedeutendste Fassfabrik der Welt. Geschichte Charles Fruhinsholz (1812–1889) grundete 1849/1850 eine Fassfabrik in Schiltigheim bei Straßburg. Seine drei Sohne ubernahmen zu seinen Lebzeiten den Betrieb, der dann als Gebruder Fruhinsholz (franzosisch Fruhinsholz Freres) firmierte. Ab 1866 wurden die Werkzeugmaschinen von einer Dampfmaschine angetrieben. Nach dem Deutsch-Franzosischen Krieg und der Abtrennung des Elsass grundeten die Bruder 1872 eine Fassfabrik im franzosischen Bayon, die Auguste Fruhinsholz (1849–1924) leitete. Zuvor gab es im Tal der Meurthe keine bedeutende Fassfabrik. Zehn Jahre spater hatte diese Fabrik funfzig Mitarbeiter und war Hauptlieferant der Brauereien in Lothringen. Die Fabrik erwarb von einem Sagewerk ein großes Gelande in Nancy und verlegte 1881/1882 ihren Standort. Mit benachbarten Unternehmen des Maschinenbaus entwickelte sich eine erfolgreiche Zusammenarbeit bei der weiteren Mechanisierung der Produktion. Als Sadi Carnot im Juni 1892 Nancy besuchte, beschaftigte die Fabrik 175 bis 200 Arbeiter, von denen die Mehrzahl in Werkswohnungen auf dem Betriebsgelande untergebracht war. Die Dampfmaschine mit einer Leistung von 150 PS trieb 64 Werkzeugmaschinen an. Fur den Empfang des Prasidenten hatten die beiden „elsassischen“ Fabrikanten Daum und Fruhinsholz einen „monumentalen“ Bogen errichtet. Neun Jahre spater wurde die Fabrik die Aktiengesellschaft Societe Francaise des Etablissements de Tonnellerie Mecanique, Adolphe Fruhinsholz, Nancy. Adolphe Fruhinsholz (1845–1938) hatte 1889 die Leitung ubernommen, die er 1920 an seinen Sohn Adolphe (1869–1960) abgab. Der Vater wurde 1935 zum Kommandeur der Ehrenlegion ernannt, sein Sohn fuhrte bis 1949 das Unternehmen. Die Aktiengesellschaft verdoppelte von 1901 bis 1911 den Umsatz. Das Unternehmen gewann neue Kunden in Sudamerika und nahm an vielen bedeutenden Ausstellungen teil, unter anderem in Wien (1873), Paris (1878, 1889, 1900), Oran (1886), Tunis (1896), St. Louis (1904), Kapstadt (1905), Mailand (1906) und Buenos Aires (1910). Das Unternehmen und das Betriebsgelande wurden 1956 an Nordon verkauft, der Rohrhersteller Fives Nordon ist dort weiterhin tatig (Stand 2024). Die Sparte der Fassbinderei kaufte 1969 die Kuferei Marchive (Tonnellerie Marchive), die die Maschinen aus Nancy an ihren Standort in Jarnac verlegte, nachdem sie dort weitere Fabrikgebaude errichtet hatte. Um 1970 hatte Marchive etwa 100 Mitarbeiter und stellte eine große Anzahl von Holzfassern und Metalltanks her. Bis 1987 verringerte sich die Produktion auf 30 Fasser pro Tag mit 16 Mitarbeitern. Charles Fruhinsholz (1847–1911) hatte 1871 fur das Deutsche Reich optiert und Fruhinsholz Freres bzw. Gebr. Fruhinsholz in Schiltigheim ubernommen. Die Firma lautete ab 1889 Erste Elsassische mechanische Kuferei AG. vorm. Fruhinsholz. Zum Unternehmen in Nancy bestand spatestens 1909 keine Verbindung mehr. Seit 1908 firmierte der Betrieb als Aktien-Binderei vormals Fruhinsholz in Schiltigheim. Lage und Gebaude Das Unternehmen nahm in Nancy den sudlichen Teil eines Gelandes im Faubourg Saint-Georges ein, das von der Meurthe umflossen wurde. Es war 100.000 Quadratmeter groß, 60 % der Flache nahmen Holzlagerplatze sowie Lagerhallen ein und 10 % die verschiedenen Werkstatten, in denen 1909 etwa 200 Arbeiter tatig waren. In einem großen Fachwerkgebaude im elsassischen Stil befand sich ein Teil der Werkswohnungen. Der Park im nordwestlichen Teil des Areals ist noch erhalten. An der Ausfallstraße lag das Chalet der Unternehmerfamilie. Von ihm wurde lange Zeit falschlicherweise angenommen, dass es nach 1870 Stuck fur Stuck in Schiltigheim abgebaut und in Nancy wieder aufgebaut worden sei. Ein Zeitungsartikel in L’Est Republicain vom 7. Dezember 1889 widerlegt diese Annahme und erklart, dass die Materialien wohl aus Schiltigheim kamen, aber dort von einem der Bruder Fruhinsholz neuwertig erworben wurden, um 1888 das Chalet in Nancy zu errichten. Nachdem das Chalet wahrend des Zweiten Weltkriegs erst von der deutschen Armee und dann von der amerikanischen Armee besetzt worden war, war sein Zustand so schlecht, dass es in der Nachkriegszeit abgerissen wurde. Ostlich des Chalets wurde 1912 das Maison Fruhinsholz im Heimatstil errichtet. Es ist, wie die 1908 von Leon Cayotte im Jugendstil entworfene Villa Fruhinsholz, in die Liste der denkmalgeschutzten historischen Monumente in Nancy eingetragen. In Schiltigheim wurde 1900 ein neues Hauptgebaude der Fabrik erbaut. Vor der alten Fabrik ließ Charles Fruhinsholz 1903 ebenfalls eine Villa Fruhinsholz errichten. Entworfen wurde sie von den Straßburger Architekten Albert Brion und Eugene Haug. Ein privates Bahngleis ließen Fruhinsholz und der Gerber Herrenschmidt anlegen. Die drei Objekte sind in das Denkmalinventar der Region Grand Est eingetragen. Die Villa wird als Verwaltungsgebaude einer Berufs- und Industriehochschule genutzt. Kunstsammlung Die Familie Fruhinsholz war nicht nur ihren Traditionen verbunden, sondern auch der modernen Kunst. Sie kaufte Kunstwerke von Daum und Emile Galle und ließ Letzteren und Eugene Vallin an der Ausschmuckung der monumentalen Fasser fur die Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 und die internationalen Ausstellungen von Saint Louis und Buenos Aires arbeiten. Um 1898 installierte Adolphe Fruhinsholz an der linken Wand seines Ausstellungsraums ein Buntglasfenster von Jacques Gruber, das einen Apfelweinbaum, Weinreben und Disteln darstellt. Bedeutende Fasser = Das große Fass von Chigny-les-Roses, um 1855 = Das große Fass von Chigny-les-Roses wurde wahrscheinlich in den 1850er Jahren von der Fassfabrik Fruhinsholz hergestellt und vom Champagnerhaus Legros-Pagnon genutzt. Mit seiner Hohe von drei Metern und einem Leergewicht von funf Tonnen konnte es 20.800 Liter fassen. Das Fass war in den Kellern eines Hauses vergessen worden und wurde 2020 im Rahmen einer Erbschaft wiederentdeckt. Einer der Erben hat es der Gemeinde geschenkt, die es fur 60.000 € renovierte und im Dorfzentrum als Touristenattraktion ausstellt. = Weinfass fur die Weltausstellung in Paris, 1889 = Bei der Pariser Weltausstellung 1889 aus Anlass des hundertjahrigen Jubilaums der Franzosischen Revolution, fur die der Eiffelturm errichtet und die mit einer Decauville-Bahn erschlossen wurde, stellte die Fassfabrik Fruhinsholz funf Weinfasser unterschiedlicher Große und zwei Bottiche aus. = Riesenweinfass fur die Weltausstellung in Paris, 1900 = Das damals großte Fass der Welt versetzte auf der Weltausstellung Paris 1900 Tausende von Besuchern mit seinen Dimensionen in Erstaunen: 14 Meter Hohe, 9,25 Meter Durchmesser, ein Fassungsvermogen von 420.000 Litern und ein Gewicht von 150 Tonnen. Acht Jahre Trocknungszeit und achtzehn Monate Herstellungszeit waren notig, bevor es 1899 in Nancy bei einem riesigen Bankett mit 150 Gasten eingeweiht wurde, die vor seinem Transport in die Hauptstadt im Inneren Platz nahmen: Die Beforderung dieses Kolosses nach Paris erforderte eine sorgfaltige Demontage und einen ganzen Eisenbahnzug mit dreißig Guterwagen. Das Giebelfeld war ein Werk des Ebenisten der Ecole de Nancy, Eugene Vallin (1856–1922), und symbolisierte das Neue Jahrhundert, das mit seinen Handen die Wolken auseinanderzieht. Der Vordergrund bestand aus drei geschnitzten Querbalken und drei Tragern: einer Karyatide, einem Schild und einem Atlanten. Die Karyatide symbolisierte Bier, der Schild stand fur Cidre und der Atlant fur Wein. Die Herstellung des Fasses kostete umgerechnet etwa 120.000 ℳ (entspricht heute etwa 1.000.000 EUR). Das Fass wurde 1901 bei einem der zahlreichen Brande auf dem Betriebsgelande zerstort. = Fass fur die Weltausstellung in Saint-Louis, 1904 = Auf der Louisiana Purchase Exposition wurde 1904 ein reich dekoriertes Fass ausgestellt, das nicht nur durch seine Große (5,4 m Durchmesser, 5 m Lange, 75.000 Liter Inhalt), sondern vor allem durch die Qualitat seiner Skulpturen beeindruckte. Fur die kunstlerische Gestaltung beauftragte die Champagner-Kelterei Pommery in Reims die Adolphe Fruhinsholz-Gesellschaft und den Schnitzer Emile Galle (1846–1904). In einer Broschure uber die „Societe francaise des etablissements de tonnellerie mecanique Adolphe Fruhinsholz Nancy (France)“ wird die Symbolik seines Kunstwerks erwahnt: „Der Leiter der Schule von Nancy hat, seiner Gewohnheit folgend, aus der Bestimmung des Objekts, das ein Champagnerfass ist, das Thema seiner Komposition abgeleitet: Eine Winzerin aus der Gegend von Reims, inmitten ihres Weinbergs, aus dem eine machtige Ranke entwachst, hangt schmackhafte Trauben entlang eines Querbalkens auf. Die franzosische Winzerin reicht einer jungen Amerikanerin, die die Stadt St. Louis symbolisiert und auf einem kuriosen und verwirrenden Hippogreif mit dem Kopf einer Rothaut sitzt, ein Sektglas mit der schaumenden Flussigkeit, die die Amerikanerin mit einem Strohhalm schlurft. An der Spitze der Gruppe werden die Vereinigten Staaten von Nordamerika durch eine reiche Madonna dargestellt, deren Finger mit den Edelsteinen des Wilden Westens geschmuckt sind und die auf einem hohen Stuhl sitzt. Ihre meditative Pose strahlt Macht, Stolz, energischen Willen und Zuversicht aus. Ihr Blick scheint den Horizont zu erforschen, vorbei an den Handels- und Kriegsschiffen, die in die Hafen ein- und auslaufen, vorbei an der Freiheitsstatue, die ihr Leuchtfeuer in den Himmel reckt. In den freien Raumen zwischen den Balken im unteren Teil erscheint die Stadt Reims mit den beiden Turmen ihrer Kathedrale, deren Kunstler sich freuen wurden, wenn sie funf Jahrhunderte nach ihrem Tod die naturalistische Kunst, die ihnen so lieb war, wieder aufbluhen sehen wurden. Die Eidechsen, die die Beschlage zieren, erinnern an ihre Manier, und der mit zwei Weinbergschnecken verzierte Zapfhahn ist in einem Stil gehalten, der sie mit Freude erfullt hatte.“ = Großtes Fass der Welt, 1949 = Von 1935 bis 1949 fertigte Fruhinsholz das großte Eichenfass der Welt an. Es wurde 1950 bei Byrrh in Thuir aufgestellt und fasst 1.000.000 Liter. Es wiegt leer 110 Tonnen, hat eine Hohe von zehn und einen Durchmesser von zwolf Metern. Das großere Durkheimer Riesenfass diente nie der Aufnahme von Flussigkeiten. Patente Bei der Fassbindemaschine von Fruhinsholz Freres in Schiltigheim wird die Pressplatte durch Wasserdruck auf den zusammengesetzten Fasskorper gepresst. „Das zu bindende Fass wird auf die Platte L der hydraulischen Presse gesetzt. Nachdem man den Reifen J aufgeschoben hat, lasst man die untere Platte sanft anheben und dreht das Handrad V so, dass die Klauen G die fur den Reifen passende Stellung einnehmen. Die Einrichtung gestattet das Aufbringen samtlicher Reifen von gleicher Weite, ohne dass man Anderungen vorzunehmen hatte. Die Klaue G kann sich um ihr Scharnier E und aus der normalen Lage seitlich herausbewegen, wird aber durch eine mittels Schrauben an ihrem Gleitstucke befestigte Blattfeder R in dieselbe zuruckgedruckt. Die so den Klauen mitgeteilte Elastizitat gestattet ihnen, nach Maßgabe der Zunahme des Fassdurchmessers auseinander zu gehen. Die auf den Reifen wirkende Klauenflache ist schwach abgeschragt, so dass sie senkrecht zur Fassoberflache zu stehen kommt, und nach Art einer Feile gehauen, um Gleiten auf dem Reifen zu verhindern. Die innere senkrechte Seite der Klauen ist hohlzylindrisch, entsprechend einem Durchmesser gleich dem des großten mittels derselben aufzutreibenden Reifens, um die Beruhrung zwischen beiden Stucken auf einer Maximalflache stattfinden zu lassen. Die Klauen sind so lang, dass die der Mitte des Fasses zunachst liegenden Reifen aufgetrieben werden konnen unter Belassung eines die weitere Bewegung des Fasses gestattenden Zwischenraumes zwischen oberem Fassboden und Platte A. Das Auftreiben der Bodenschlussreifen geschieht, indem man die Klauen auseinanderzieht und das Fass bis gegen die Pressplatte heranhebt.“ Firmenschriften und Filmberichte Societe Francaise des Etablissements de Tonnellerie Mecanique, Adolphe Fruhinholz, Nancy, France, 1909. Siehe auch: Digitalisat. Pierre Claudin und Charles-Andre Doley: Les Etablissements de Tonnellerie Mecanique Adolphe Fruhinsholz. Video, 1929, franz. u. engl., 2:33 min. Weblinks Nachweise
Die Fassfabrik Fruhinsholz (franzosisch Societe Francaise des Etablissements de Tonnellerie Mecanique, Adolphe Fruhinsholz, Nancy) war ein Fasshersteller in Nancy im Departement Meurthe-et-Moselle von Frankreich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt Fruhinsholz als die bedeutendste Fassfabrik der Welt.
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Regina Bruce (* 12. Dezember 1900 in Elberfeld; † 21. September 1991 in Lome) war eine deutsch-togoische Padagogin und Prasidentin des Roten Kreuzes von Togo. Leben Regina Bruce wurde am 12. Dezember 1900 in Elberfeld, heute zu Wuppertal gehorend, geboren. Ihr Vater war Prinz John Calvert Nayo Bruce, geboren am 3. Marz 1859 in Klein-Popo, Togo. Er war der Sohn des Konigs Amuzu Djaglidjagli und gehorte zur Ethnie der Ewe. Nayo Bruce hatte die Schule der Bremer Mission besucht und als Dolmetscher fur die Kolonialverwaltung gearbeitet. Er erhielt 1896 das Angebot, anlasslich der ersten Deutschen Kolonialausstellung in Berlin als Darsteller an einer Volkerschau teilzunehmen. Am 1. Mai 1896 traf er in Deutschland ein. Er trat auf und entdeckte die Volkerschau fur sich als Geschaftsmodell. Er grundete 1898 seine eigene „Togo-Truppe“ und tingelte zusammen mit vierzig Landsleuten jahrelang quer durch Europa. Sie spielten singend und tanzend „Sklavenmarkt“, „Uberfall der Buschmanner“ und „Eine Nacht im Togoland“. Mit dabei waren auch seine vier Ehefrauen, mit denen er insgesamt 11 Kinder hatte, denn obwohl er evangelisch getauft war, hatte er an dem Brauch seines Heimatlandes festgehalten, mit mehreren Frauen verheiratet zu sein. Die Truppe gastierte 1900 in Elberfeld im dortigen Eden-Theater, dem heutigen Rex-Theater; dort wurde am 12. Dezember Regina Bruce geboren. Ihre Mutter war Dassi Creppy. Im Eintrag des Geburtenregisters ist vermerkt: „Mutter: Dahi Bruce, geborene Confert, angezeigt und unterschrieben von der Hebamme Caroline Schopp.“ = Ausbildung = Das Leben in der Truppe war fur die Kinder jedoch nicht forderlich und so vermittelte die Bremer Mission, als sich die Truppe 1904 in Warnemunde aufhielt, den Kontakt zur Familie von Baron George von Fircks aus einem alten baltischen Adelsgeschlecht. Diese nahm Regina und ihren Halbbruder Pietro bei sich auf. Sie ermoglichten ihnen eine gute Ausbildung, teilweise lebten sie auf dem Landgut in Riga. Eigentlich sollten die Kinder nur wenige Jahre bei der Familie von Fircks bleiben, um eine Ausbildung zu erhalten, denn das war ihrem Vater wichtig, doch sie blieben dort bis zu ihrem Erwachsenenalter. Regina Bruce besuchte die hohere Tochterschule und machte eine Ausbildung bei den Diakonissen. Ihr Halbbruder wurde Koch. Als sie 20 Jahre alt war, ubernahm sie gemeinsam mit ihrer Freundin Hanna die Leitung des evangelischen Kinderheims Sonnenschein in Groß-Borstel bei Hamburg. = Schulleitung in Lome = Die Bremer Mission entschied 1926, Regina Bruce nach Togo zu schicken. Sie sollte dort ein Madchenschulheim in Lome leiten. Dies stellte sie vor eine große Herausforderung, denn sie kannte das Land nicht und sprach weder die Landessprache Ewe noch das inzwischen ubliche Franzosisch. Togo war infolge des Ersten Weltkriegs auch keine deutsche Kolonie mehr. Franzosisch-Togo stand nun unter neuer, franzosischer Verwaltung. Die Franzosen forderten zwar die christliche Missionsarbeit, aber sie akzeptierten keine weißen Missionare. Da die Bremer Mission jedoch in dem Gebiet keine afrikanischen Lehrerinnen ausgebildet hatte, schickten sie Regina Bruce, die neunzig Schulerinnen unterrichten sollte und funfzig Kinder im Vorschulalter zu betreuen hatte. Mit ihr reisten ihre Halbschwester Anni und ihre Schwester Lisa Bruce. Anni und Lisa waren in Dusseldorf im christlichen Kinderheim der Graf-Recke-Stiftung aufgewachsen. Die drei Schwestern mussten einen Intensivkurs Franzosisch absolvieren und Ewe, die Landessprache von Togo, erlernen. Aus Zeitgrunden sprachen sie Ewe zunachst nur recht oberflachlich. Dies erschwerte es ihnen erheblich, sich in Lome einzugewohnen. Alle drei Schwestern hatten Heimweh und wollten zuruck nach Deutschland. = Hochzeit und Familie = Regina Bruce war mit der Aufgabe der Leitung des Madchenschulheims deutlich uberfordert. Sie fand Freundschaft und Unterstutzung bei Jonathan Savi de Tove. Von ihm wurde sie auch schwanger, was zur Beendigung ihrer Arbeit fur die Mission fuhrte, da Savi de Tove bereits verheiratet war und drei Kinder hatte. Savi de Tove ließ sich scheiden und heiratete Regina Bruce. Am 29. September 1928 kam Tochter Fernanda in Keta zur Welt, es folgten noch vier weitere Kinder. Der 1939 geborene jungste Sohn Jean-Lucien Savi de Tove wurde Politiker und war von 2005 bis 2007 Minister fur Handel und Handwerk der Republik Togo. Jonathan Savi de Tove hatte zunachst die Druckerei seines Vaters ubernommen, in der die Zeitung der spateren Unabhangigkeitsbewegung Togos erschien. Er vertrat von 1947 bis 1953 die Interessen der Bevolkerung von Togo in der Assemblee de l’Union Francaise und war als Mitbegrunder und Generalsekretar der Befreiungsbewegungspartei CUT an der Unabhangigkeit Togos 1960 maßgeblich beteiligt. Danach war er Parlamentsvorsitzender, dann zusatzlich Sonderbevollmachtigter seines Landes in Bonn. Nach einem Putsch 1963 fand er in Bonn Asyl und eine Anstellung als Ewe-Lektor an der Universitat zu Koln. Sie zogen in eine kleine Wohnung am Neptunplatz in Koln-Ehrenfeld. = Karitative Arbeit = Regina Bruce engagierte sich beim Roten Kreuz von Togo und wurde schließlich zu dessen Prasidentin ernannt. In dieser Funktion reiste sie oft nach Togo. Als Bundesprasident Heinrich Lubke und seine Frau Wilhelmine im Marz 1966 zu einem Staatsbesuch nach Lome kamen, gehorte Regina Bruce in ihrer Funktion als Prasidentin des Roten Kreuzes von Togo zu den Ehrengasten. 1968, als sich die Lage beruhigt hatte, kehrten sie schließlich nach Togo zuruck. Jonathan Savi de Tove starb im Jahr 1971 in Lome. Regina Bruce blieb karitativ tatig und fuhrte ein offenes Haus mit zahlreichen europaischen Gasten. Spater lebte sie bei ihrer Tochter Isabelle und deren Ehemann Dennis, der als Gynakologe eine Privatklinik leitete. Hermann Schulz begegnete Regina 1977 zufallig in einem Supermarkt. Sie erzahlte ihm ausfuhrlich ihre Lebensgeschichte und aus diesem Stoff entstand der Roman Therese. Das Madchen, das mit Krokodilen spielte, dessen Titelfigur von Regina Bruce inspiriert ist. Regina Bruce starb am 21. September 1991 in Lome. Ehrungen Im Rahmen des Projekts FrauenOrte NRW wurde Regina Bruce am 12. Dezember 2024 am Rex-Theater eine Gedenktafel gewidmet. Literatur Rea Brandle: Nayo Bruce. Geschichte einer afrikanischen Familie in Europa. Chronos, Zurich 2007, ISBN 978-3-0340-0868-6. Hermann Schulz: Therese: das Madchen, das mit Krokodilen spielte. Roman. Deutscher Taschenbuch-Verlag, Munchen, 2021, ISBN 978-3-423-64086-2; als E-Book: ISBN 978-3-423-43966-4. Weblinks Regina Bruce auf FrauenOrte NRW Einzelnachweise
Regina Bruce (* 12. Dezember 1900 in Elberfeld; † 21. September 1991 in Lome) war eine deutsch-togoische Padagogin und Prasidentin des Roten Kreuzes von Togo.
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Simon Billy (* 5. Dezember 1991 in Montpellier, Herault) ist ein franzosischer Geschwindigkeitsskifahrer. Er ist vierfacher Weltmeister und halt seit 22. Marz 2023 mit 255,5 Kilometern pro Stunde den Speedski-Weltrekord. Biografie Simon Billy ist der Sohn des Speedski-Weltmeisters von 1996 und ehemaligen Weltrekordhalters Philippe Billy (243,902 km/h im Jahr 1997). Er begann im Alter von zwei Jahren mit dem Skifahren und im Alter von sechs Jahren in seinem Heimatort Vars mit dem Geschwindigkeitsskifahren. Am 2. Februar 2008 gab Billy auf seiner Heimstrecke Chabrieres in Vars sein Debut im Speedski-Weltcup. Zwei Jahre spater gelang ihm mit Platz 20 ebendort ein erstes Ergebnis in den Punkterangen. Sein erstes Spitzenresultat war Ende April 2010 ein vierter Platz in Verbier. Am selben Ort belegte er bei seiner ersten Weltmeisterschaft Rang acht. Ende Januar 2013 gewann er in Vars hinter Simone Origone und seinem Landsmann Bastien Montes die WM-Bronzemedaille. Einige Wochen darauf schaffte er als Dritter hinter den beiden Origone-Brudern in Verbier seinen ersten Weltcup-Podestplatz. 2016 brach er mit 252,809 km/h erstmals den franzosischen Landesrekord. Am 30. Marz 2017 kam Billy bei einem Speed-Masters-Wettbewerb in seinem Heimatort Vars bei einer Geschwindigkeit von 230 km/h zu Sturz und erlitt mehrere Verletzungen, darunter Bruche der Kniescheibe und des Sprunggelenks. Die Beweglichkeit seines ausgerenkten linken Ellbogens ist laut Arzten dauerhaft eingeschrankt. Nach achtmonatiger Rehabilitation kehrte Simon Billy auf die Rennstrecke zuruck. 2018 konnte er erstmals die franzosische Meisterschaft gegen Bastien Montes fur sich entscheiden und sich dank zwei zweiten Platzen in Andorra unter den besten zehn im S1-Weltcup etablieren. 2019 gewann er hinter dem langjahrigen Dominator Simone Origone WM-Silber und feierte vier Tage spater auf seiner Heimstrecke den ersten Weltcupsieg seiner Karriere. Im Marz 2021 gewann Billy alle drei Weltcup-Rennen auf dem Idre Fjall und sicherte sich damit in einer aufgrund der COVID-19-Pandemie verkurzten Saison erstmals den Sieg in der S1-Gesamtwertung. 2022 kurte er sich in Vars erstmals zum Weltmeister. Am 22. Marz 2023 gelang ihm auf der Chabrieres-Piste die WM-Titelverteidigung. Dabei stellte er mit 255,5 km/h einen neuen Weltrekord im Geschwindigkeitsskifahren auf und ubertraf den sieben Jahre alten Bestwert von Ivan Origone um 0,542 km/h. 2024 gewann er die dritte WM-Goldmedaille in Folge, was zuvor nur Simone Origone gelungen war. Auch im Jahr darauf konnte er den Titel erfolgreich verteidigen. Simon Billy leitet gemeinsam mit seinem Vater Philippe ein Immobilienunternehmen. Sein jungerer Bruder Louis war bis zu einem schweren Sturz ebenfalls als Geschwindigkeitsskifahrer aktiv (personliche Bestleistung 241 km/h). Seit dem Rucktritt trainiert er seinen Bruder. Erfolge = Weltmeisterschaften = Vars 2009: 45. S1 Verbier 2011: 8. S1 Vars 2013: 3. S1 Vars 2019: 2. S1 Vars 2022: 1. S1 Vars 2023: 1. S1 Vars 2024: 1. S1 Vars 2025: 1. S1 = Weltcupwertungen = = Weltcupsiege = Billy errang im Weltcup 33 Podestplatze, davon 8 Siege: = Weitere Erfolge = 2 franzosische Meistertitel (S1 2018 und 2022) Weltrekord im Geschwindigkeitsskifahren (255,500 km/h am 22. Marz 2023 in Vars) Weblinks Simon Billy in der Datenbank des Internationalen Skiverbands (englisch) Einzelnachweise
Simon Billy (* 5. Dezember 1991 in Montpellier, Herault) ist ein franzosischer Geschwindigkeitsskifahrer. Er ist vierfacher Weltmeister und halt seit 22. Marz 2023 mit 255,5 Kilometern pro Stunde den Speedski-Weltrekord.
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Calypso Blues ist ein Song von Nat King Cole aus dem Jahr 1950. Sein Gesang wird nur von einer Conga begleitet. Das Lied handelt von Einsamkeit, Heimweh und Sehnsucht nach dem ursprunglichen Leben. Musikstil Der Calypso, ein Musikstil, der aus Trinidad stammt, war zu jener Zeit in den USA sehr popular. Nat King Cole, der gegenuber neuen musikalischen Einflussen offen war, nahm den Trend auf und integrierte Elemente des Calypso in seinen Blues, der die musikalische Grundlage des Songs bildet. Auch imitiert Cole in seinem Liedtext Formulierungen aus dem Antillen-Kreolisch, um authentisch zu klingen („sittin’ by de ocean, me heart, she feel so sad“). Die Originalversion entstand am 9. September 1949 mit Jack Costanzo an der Conga. Am 19. Juli 1961 spielte Cole mit Mike Pacheco an der Conga fur das Boxset The Nat King Cole Story eine neue und qualitativ bessere Version ein (Session #10199). Inhalt Der Liedtext handelt von einem einsamen Mann aus Trinidad, der in den Vereinigten Staaten lebt und sich nach seiner Heimat sehnt. Der Trinidadier sitzt am Strand und schaut aufs Meer, hat aber kein Geld fur die Ruckreise. In seinem Klagelied zahlt er auf, was er an seiner Heimat vermisst und was ihn an der Fremde stort. Er vermisst das karibische Essen (Schrimps mit Reis) und kritisiert „dese Yankee hot dogs“, die ihm nicht bekommen. Danach listet er auf, was man sich auf Trinidad fur einen Dollar kaufen kann: Papayasaft, ein Bananenbrot, sechs Kokosnusse, eine Ziege, ein Boot voller Fisch, einen Scheffel Weizen und ein Fass Wein; in den USA gibt es dafur gerade mal eine Tasse Kaffee und ein Schinkenbrot („ham on rye“). Der Schlips schnurt ihm die Kehle zu und die Fuße schmerzen der Schuhe wegen. Und auch die Yankee-Frauen sind problematisch: ihre Haare sind gefarbt, die Wimpern nicht echt, das Gesicht geschminkt, die Kleidung ausgepolstert, und vermutlich ist sogar der Name falsch. Das Calypso-Madchen hingegen ist echt, man bekommt, was man sieht. Besetzung Gesang: Nat King Cole Percussion: Jack Costanzo (1949) Percussion: Mike Pacheco (1961) Rezeption = Adaption = Chuck Berry holte sich vom Calypso Blues die Inspiration fur seinen Song Havana Moon, erschienen auf seinem Debutalbum After School Session (1957). Auch hier ist das Thema die Einsamkeit: Das lyrische Ich wartet seit Mitternacht vergeblich am Strand auf das „amerikanische Madchen“, betrinkt sich in seiner Langeweile mit kubanischem Rum und schlaft wutend ein. Am nachsten Morgen wacht der Liebhaber verkatert auf, er hat die verspatete Ankunft des Madchens durch seinen Alkoholrausch verschlafen. Abgesehen davon, dass auf Kuba und in Havanna Spanisch gesprochen wird, benutzt Chuck Berry in seinem Liedtext ebenso wie Nat King Cole Formulierungen aus dem Antillen-Kreolisch („Me all alone, me open the rum“). = Coverversionen = Marvin Gaye interpretierte den Song fur sein Tamla-Motown-Album A Tribute to the Great Nat King Cole von 1965. In seiner Aufnahme behielt er die sparsame Instrumentierung des Originals bei. Im Jahr 1968 spielte der Puerto Ricaner Willie Rosario mit seinem Orchester eine Version im gerade angesagten Boogaloo-Stil ein. Eine Version im Latin Jazz erschien 1971 auf dem Album Companionship: Jazz Joint 2 von Sahib Shihab feat. Kenny Clarke, Francy Boland, Jimmy Woode, Fats Sadi und Joe Torres. Diese in Koln aufgenommene Version wurde 1998 auf dem Kompilationsalbum Calypso Blues des Kenny Clarke–Francy Boland Sextets wiederveroffentlicht. Die Sangerin Calypso Rose aus Trinidad und Tobago interpretierte den Calypso Blues auf ihrem selbst betitelten Album von 2008. Sie holte den Song damit in die ursprungliche Heimat des Calypso, nach Trinidad. Ihre moderne, mit Halleffekten versehene Version erhielt internationale Aufmerksamkeit und wurde auch im deutschen Radio gespielt. Das offizielle Musikvideo auf ihrem YouTube-Kanal erzielte in sechs Jahren uber 23 Millionen Aufrufe (Stand: Dezember 2024). Weblinks Calypso Blues Lyrics bei Genius Calypso Blues bei Discogs Calypso Blues bei Secondhandsongs Musikbeispiele Nat King Cole: Calypso Blues auf YouTube Chuck Berry: Havana Moon auf YouTube Marvin Gaye: Calypso Blues auf YouTube Willie Rosario & His Orchestra: Calypso Blues auf YouTube Calypso Rose: Calypso Blues (Official Video) auf YouTube Einzelnachweise
Calypso Blues ist ein Song von Nat King Cole aus dem Jahr 1950. Sein Gesang wird nur von einer Conga begleitet. Das Lied handelt von Einsamkeit, Heimweh und Sehnsucht nach dem ursprunglichen Leben.
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Irma Petronella Suzanna Sluis (* 1971 in Den Haag) ist eine niederlandische Gebardendolmetscherin. Seit 2005 arbeitet sie fur die niederlandische Rundfunkgesellschaft NOS. Am 12. Marz 2020 trat Sluis wahrend der COVID-19-Pandemie als erste Gebardensprachdolmetscherin bei einer Pressekonferenz der niederlandischen Regierung auf und wurde in den folgenden Monaten landesweit popular. Beruflicher Werdegang Irma Sluis hat keine nahen Verwandten, die gehorlos sind, daher ist die Gebardensprache nicht ihre Muttersprache. Sie erlernte die Sprache am Institute for Signs, Language & Deaf Studies in Utrecht, wo sie 1997 zu den ersten Studenten gehorte. 2001 machte sie ihren Bachelor und schloss 2011 ihr Studium an der Heriot-Watt University in Edinburgh mit dem Master ab. Sie dolmetscht zwischen Niederlandisch, Englisch, niederlandischer Gebardensprache (NGT) und Gestuno. Im Jahr 2001 begann Sluis als Dolmetscherin zu arbeiten und ist seit 2005 fur die niederlandische Rundfunkanstalt NOS tatig. Unter anderem ist sie seit vielen Jahren morgens in der Nachrichtensendung auf NPO 2 zu sehen. Sluis bekam Erfahrung als Dolmetscherin in den Niederlanden und international bei Konferenzen, in der akademischen und hoheren Bildung sowie bei weiteren Fernsehubertragungen. Auch publizierte sie zum Thema Gebardensprache. Sie leitet eine eigene Schule, wo sie etwa auch von Pferden unterstutzte Kurse (Equine assisted coaching) anbietet. Im Jahr 2019 spielte sie eine Rolle in einer Folge der Jugendsendung Het Klokhuis, in der sie in einem Wildwest-Sketch fur einen Cowboy dolmetscht, der kurz vor seiner Erhangung noch ein paar letzte Worte sagen darf. Ab November 2021 prasentierte Sluis die Sendung Hands Up auf KRO-NCRV, eine TV-Spiele-Sendung, bei der gehorlose und horende Menschen als Teams teilnahmen. Wahrend der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 wurde Sluis als Gebardendolmetscherin durch ihre Beteiligung an den zahlreichen Pressekonferenzen mit Ministerprasident Mark Rutte und Gesundheitsminister Hugo de Jonge landesweit bekannt. Rutte und sein Kabinett erhielten viel Lob fur ihre Mitwirkung bei den Pressekonferenzen, da dies die niederlandische Gesellschaft fur die Belange von Gehorlosen sensibilisiert habe. Lediglich Thierry Baudet, Grunder der rechtsextremen Partei Forum voor Democratie, kritisierte die TV-Auftritte von Sluis mit den Ministern scharf und nannte sie „unsinnig“: Die Regierung wurde dies nur tun, „um sich wichtig zu machen“. Popularitat von Irma Sluis Außerhalb ihrer beruflichen Tatigkeit ist Irma Sluis medienscheu und sagte in einem ihrer seltenen Interviews, dass sie nicht glucklich uber ihre neugewonnene Beruhmtheit sei: „Es war reiner Zufall, dass ich zu den Pressekonferenzen eingeladen wurde, weil ich in Den Haag wohne.“ Besonders wahrend der Corona-Pandemie erhielt Sluis großen Zuspruch vom Fernsehpublikum. Viele nicht-gehorlose Zuschauer empfanden ihre Gebarde fur „Hamstern“ als belustigend. Die „Wurgegeste“, die sie fur den Satz „wenn man es zu Hause nicht aushalt“ machte, ging ebenfalls viral. In den Medien erhielt sie Beinamen wie „(Gebarden-)Dolmetscherin des Vaterlandes“ und „Leuchtturm in der Krise“. Durch die haufigen Einsatze von Sluis im Fernsehen wahrend der Pandemie im Jahr 2020 bekamen Schulen fur Gebardensprache in den Niederlanden starken Zulauf, „Irma Sluis Effect“ genannt, der allerdings nach einigen Jahren nachließ. Im Juli 2020 wurde die Offentlichkeit von der Gemeinde Velsen aufgerufen, Namen fur die auf ihrem Gebiet im Bau befindliche neue Schleuse bei IJmuiden, der großten Seeschleuse der Welt, einzureichen; es gab uber 5000 Einsendungen. Der Name „De Irma Sluis“ (Sluis = Schleuse) war der Favorit fur die Namensgebung, auch mit der Begrundung, Irma Sluis stelle ebenso wie die Schleuse eine „Verbindung“ dar. Eine Jury aus Anwohnern bestimmte die funf besten Vorschlage, aus denen die Gemeinde schließlich den Namen Zeesluis IJmuiden wahlte. Große Infrastrukturbauten konnten, so die Begrundung, nur nach Personen benannt werden, die uber zehn Jahre tot sind. Weblinks irmasluiscoaching.nl Einzelnachweise
Irma Petronella Suzanna Sluis (* 1971 in Den Haag) ist eine niederlandische Gebardendolmetscherin. Seit 2005 arbeitet sie fur die niederlandische Rundfunkgesellschaft NOS. Am 12. Marz 2020 trat Sluis wahrend der COVID-19-Pandemie als erste Gebardensprachdolmetscherin bei einer Pressekonferenz der niederlandischen Regierung auf und wurde in den folgenden Monaten landesweit popular.
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La Belle de Gaza ist ein franzosischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 2024 von Yolande Zauberman. Der Film thematisiert den Lebensweg von Transfrauen aus Gaza, die vor gewaltsamer Verfolgung nach Tel Aviv in Israel fliehen und dort ein neues Leben beginnen. Der Film hatte am 17. Mai 2024 bei den 77. Filmfestspielen in Cannes Premiere. Hintergrund In Gaza und den Palastinensischen Autonomiegebieten werden Homosexuelle und Transgender-Personen brutal verfolgt. Ein großer Anteil der Gewalt und Unterdruckung in Gaza geht auf die Terrororganisation Hamas zuruck, die seit 2007 im Gazastreifen regiert. Sexuelle Handlungen zwischen Mannern sind durch das islamische Recht (Scharia) nach Auslegung der Hamas illegal. Manner, die wegen dergleichen verurteilt werden, werden offiziell mit bis zu zehn Jahren Gefangnis bestraft. Auch Anschuldigungen von Hinrichtungen und Folter wurden bekannt. Die Region belegt weltweit einen der letzten Platze bei Menschenrechten von Schwulen, Lesben und Transgender. Das benachbarte Israel gilt als maßgeblicher Zufluchtsort fur diese Menschen. Nach den Dokumentarfilmen Would you have sex with an Arab? („Wurdest du mit einem Araber Sex haben?“, 2011) und M (2018) ist La belle de Gaza der dritte Teil einer Trilogie, die Yolande Zauberman im Nachtleben Israels gedreht hat. Handlung Gedreht wurde der Film auf der Hatnufa Street in Tel Aviv, an der viele Prostituierte tatig sind. Die Regisseurin Yolande Zauberman begleitet die Frauen Talleen, Nathalie, Danielle, Israela und Nadine, die sich dort prostituieren. Viele von ihnen sind Araberinnen, manche glaubige Musliminnen. Der Film thematisiert ihre Angste und Traume und die Gefahr, von den eigenen Familienmitgliedern oder Bekannten gefunden, verprugelt oder sogar getotet zu werden. Mit einem Foto sucht die Regisseurin nach einer Transfrau, die – Erzahlungen zufolge – 70 Kilometer zu Fuß aus Gaza nach Tel Aviv geflohen ist. Keine ihrer Gesprachspartnerinnen weiß, wo man die „Schone aus Gaza“ treffen kann, sie bleibt bis zum Ende des Films unauffindbar. Danielle erzahlt, wie sie nach Schlagen gezwungen wurde, zu einem Checkpoint im Westjordanland zu rennen. Ihre Peiniger hofften, die israelischen Soldaten wurden sie dann erschießen. Zu Wort kommt auch die Israelin Talleen Abu Hanna, Siegerin des Wettbewerbs Miss Trans Israel in 2016, die ihre Dankbarkeit Israel gegenuber ausdruckt, dort in Sicherheit leben zu konnen. Rezeption Andreas Scheiner besprach den Film in der Neuen Zurcher Zeitung positiv: „«La Belle de Gaza» ist lange vor dem 7. Oktober entstanden. Es ist ein auf kluge Art zuruckhaltend montierter, assoziativer Film, der sich kaum vereinnahmen lasst. […] Selbst wenn der Film kein schones Licht wirft auf die «Freunde in Palastina»: Gegen palastinensische Transpersonen kann noch der verbohrteste Israel-Hasser schlecht protestieren.“ Auf Telepolis.de schrieb der Filmkritiker Rudiger Suchsland: „Der Film zeigt, dass im Nahen Osten Israel als einziger Staat fur Freiheit, Demokratie und Menschenrechte steht. Der Film zeigt auch die primitiven Verhaltnisse und die Barbarei, die es in palastinensischen Familien gibt: ‚Wenn ich zu meiner Familie zuruckkehre, werden mich meine Bruder umbringen‘, sagt eine Transfrau im Film. Eltern sagen ihren Kindern: ‚Es ware besser, wenn du tot warst.‘“ Auf der Plattform Moviebreak.de schrieb Lida Bach: „Es sind unscheinbare Momente und fluchtige Begegnungen, denen Yolande Zaubermans dritter Teil ihrer losen Trilogie uber die Lebenswelt von trans Menschen in Israel ihre emotionalsten Eindrucke verdankt. Das unscharfe Foto der titelgebenden Schonheit, deren unwahrscheinliche Reise die Inszenierung nicht so sehr ergrundet als etabliert, wird zum spirituellen Alter Ego ihrer realen Schwestern. Ihr Leben am Rande einer Gesellschaft, in der sie bestandig um ihre Existenz kampfen mussen, lassen die vagen Einblicke der Kamera nur erahnen.“ Der Film vermittle das Gefuhl, Israel sei eine Oase fur arabische Transfrauen im Nahen Osten, schrieb Amir Bogen auf Ynet. Er thematisiere aber auch problematische Aspekte wie Rassismus. Das internationale belgische Filmfestival Cinemamed sagte im Dezember 2024 eine Auffuhrung des Films ab, da pro-palastinensische Aktivisten, die den Vorwurf des Pinkwashings erhoben, Druck ausgeubt hatten. Das Filmfestival machte sich die Vorwurfe nicht zu eigen, war aber um den reibungslosen Ablauf des Events besorgt. Weblinks La Belle de Gaza bei IMDb Siehe auch Homosexualitat in Israel Einzelnachweise
La Belle de Gaza ist ein franzosischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 2024 von Yolande Zauberman. Der Film thematisiert den Lebensweg von Transfrauen aus Gaza, die vor gewaltsamer Verfolgung nach Tel Aviv in Israel fliehen und dort ein neues Leben beginnen. Der Film hatte am 17. Mai 2024 bei den 77. Filmfestspielen in Cannes Premiere.
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Robert A. Cunningham (* 27. Juli 1837 in Godmanchester, Quebec; † 24. Mai 1907 in New York) war ein kanadischer Schausteller und Volkerschau-Impresario. Er vermarktete sich selbst (wie sein Vorbild und Geschaftspartner P. T. Barnum) mit den Initialen seiner Vornamen als „R. A. Cunningham“. Cunningham organisierte zwischen 1883 und 1898 drei langjahrige Volkerschau-Tourneen, die jeweils zuerst durch Nordamerika und anschließend durch Europa fuhrten. Die erste Volkerschau der „Aborigines“ dauerte von 1883 bis 1888. Von den anfanglich neun indigenen Australiern verstarben sechs. Die Samoa-Volkerschau dauerte von 1889 bis 1891. Von den anfanglich zehn indigenen Samoanern verstarben funf. Die zweite Volkerschau der „Aborigines“ dauerte von 1892 bis 1898. Von den anfanglich acht indigenen Australiern verstarben funf. Leben Robert A. Cunningham wurde am 27. Juli 1837 in Godmanchester bei Huntingdon in der kanadischen Provinz Quebec geboren. Er war eines von mehreren Kindern der Bauern Andrew Cunningham und Margaret Emberson. Sein Vater Andrew stammte ursprunglich aus dem County Londonderry in Nordirland und war 1827 nach Kanada eingewandert. Robert A. Cunningham reiste 1856 als 18-Jahriger nach Kalifornien, um wahrend des dortigen Goldrauschs sein Gluck als Bergmann zu versuchen. In den Stadten rund um die Goldfelder kam er mit dem Schaustellergewerbe in Kontakt und trat dort zunachst als Musiker auf. Seit den 1870er Jahren war er dann als Theateragent tatig und organisierte Auftritte fur Zirkusse, Freakshows und Varietetheater. Cunningham kam im Juli 1879 erstmals nach Australien. Wahrend seines Aufenthalts in Melbourne im November 1882 wurde er vom damals sehr bekannten amerikanischen Schausteller P. T. Barnum beauftragt, eine Gruppe von „Aborigines“ in die USA zu bringen. Im Januar 1883 entfuhrte er (wie er spater mehrfach selbst behauptete) eine Gruppe von neun „Aborigines“ von den Inseln Palm Island und Hinchinbrook Island im Norden Australiens. Seine Volkerschau der „Aborigines“ reiste 1883 zunachst zusammen mit P. T. Barnums Ethnological Congress of Strange Savage Tribes durch zahlreiche Stadte der USA, bei denen die „Aborigines“ als „Kannibalen“ auf der „niedrigsten Stufe der Menschheit“ stigmatisiert wurden. Unabhangig davon ließ Cunningham seine Gruppe auch in Vergnugungsstatten und Kuriositatenkabinetten aller Art auftreten. Im Februar 1884 verstarben Tambo und ein weiterer Darsteller, dessen Name unbekannt ist, in Cleveland an Infektionskrankheiten. Cunningham uberließ Tambos Leichnam dem Besitzer des dortigen Dime-Museums, der ihn praparieren ließ und in einer Glasvitrine ausstellte. Die Vitrine wurde 1993 wiederentdeckt und Tambos Leichnam daraufhin nach Australien uberfuhrt und 1994 auf Palm Island bestattet. Nach dem Tod der beiden entschied sich Cunningham, die Volkerschau-Tournee in Europa fortzusetzen, wo die „Aborigines“ im April zuerst in London, anschließen in Brussel und ab Juni in Koln und zahlreichen weiteren Stadten des Deutschen Reichs zur Schau gestellt wurden. Von den dortigen Volkerschauen ist ein Programmheft uberliefert, in dem sie wie folgt angekundigt wurden: Die Ruckseite des Programmheftes kundigte an: Wahrend der mehr als ein Jahr dauernden Tournee durch Deutschland verstarben 1885 vier weitere Gruppenmitglieder ebenfalls an Infektionskrankheiten, unter ihnen auch Tagarah (auch Sussy genannt), die am 23. Juni 1885 in Sonnborn (heute zu Wuppertal) beigesetzt wurde. Cunningham setzte die Tournee mit den drei uberlebenden „Aborigines“ in den folgenden drei Jahren durch eine Vielzahl europaischer Lander uber Skandinavien, Russland und Sudeuropa fort und brachte sie im April 1888 wahrscheinlich zuruck nach Townsville. Ab 1889 organisierte er eine Volkerschau von zehn Samoanern. Da er die Gruppe auch im Winter mit unzureichender Kleidung prasentierte, starben funf Mitglieder. Funf der Uberlebenden ließ Cunningham in New York zuruck, wo ein Journalist der Zeitung New York World sie in einem desolaten Zustand auffand. Der Journalist begleitete sie auf Kosten des Staates New York und der Zeitung zuruck in ihre Heimat. 1892 rekrutierte Cunningham erneut eine Gruppe von acht „Aborigines“, mit denen er wieder sowohl durch Nordamerika als auch in Europa tourte. Bei der zweiten, sechs Jahre dauernden Volkerschau der „Aborigines“ starben funf Mitglieder der Gruppe. Bereits wahrend der dritten Tournee kehrte Cunningham nach Kanada zuruck und uberließ die Gruppe seinem Geschaftspartner Frank Frost. In spateren Jahren versuchte er, Auftrage fur den norwegischen Ethnologen Johan Adrian Jacobsen zu vermitteln, der Auftritte fur Carl Hagenbeck organisierte. In seinen letzten Lebensjahren arbeitete Cunningham auf verschiedenen Jahrmarkten in Kalifornien und Indiana noch als Kartenverkaufer und Kassierer bei Tiershows und Jahrmarktsattraktionen. Er starb 1907 in New York und wurde im kanadischen Huntingdon beerdigt. Zeitgenossische Beurteilung R. A. Cunningham galt „ubereinstimmend in allen Quellen als der Prototyp des schlechten, rucksichtslosen Volkerschau-Impresarios“, als „Menschenjager“ und „Freak-Catcher“. Er selbst behauptete, die „Aborigines“ auf sein Schiff gelockt zu haben, um dann ohne ihr Einverstandnis abzulegen. Carl Hagenbeck außerte: „Dieser Cunningham ist ein großer Lump solch einem Kerl kann man nichts anvertrauen und muß nichts darauf geben was er sagt“. Der Direktor des Westfalischen Zoologischen Gartens Hermann Landois beschrieb Cunningham wahrend des Aufenthaltes der „Aborigines“ in Munster im August 1885 in einem langeren Zeitungsartikel: Forschungsstand Obwohl sich nicht zweifelsfrei klaren lasst, ob Cunningham seine Reise von Kalifornien zuruck nach Townsville im April 1888 antrat, um die uberlebenden drei „Aborigines“ zuruck in ihre Heimat zu bringen, gilt dies laut Roslyn Poignant als sehr wahrscheinlich. Insofern war die Einschatzung von Hermann Landois nicht ganz zutreffend. Poignant veroffentlichte 2004 eine umfassende, uber zwei Jahrzehnte recherchierte Darstellung Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacles uber Cunningham und seine drei Volkerschau-Tourneen der „Aborigines“ und der Samoaner. Sie konnte aus dem Familienarchiv unter anderem ein umfangreiches Sammelalbum einsehen, in dem er Zeitungsartikel seiner Schauen aufbewahrt hatte. Literatur Roslyn Poignant: Professional Savages. Captive Lives and Western Spectacle. Yale University Press, New Haven, London 2004, ISBN 978-0-300-20847-4. Roslyn Poignant: Die Aborigines: „professionelle Wilde“ und Gefangene. In: Pascal Blanchard u. a. (Hrsg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Les editions du Crieur Public, Hamburg 2012, ISBN 978-3-9815062-0-4, S. 232–241. Hilke Thode-Arora: Fur funfzig Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Volkerschauen. Campus-Verlag, Frankfurt am Main 1989, ISBN 3-593-34071-2. Einzelnachweise
Robert A. Cunningham (* 27. Juli 1837 in Godmanchester, Quebec; † 24. Mai 1907 in New York) war ein kanadischer Schausteller und Volkerschau-Impresario. Er vermarktete sich selbst (wie sein Vorbild und Geschaftspartner P. T. Barnum) mit den Initialen seiner Vornamen als „R. A. Cunningham“. Cunningham organisierte zwischen 1883 und 1898 drei langjahrige Volkerschau-Tourneen, die jeweils zuerst durch Nordamerika und anschließend durch Europa fuhrten.
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Claudy Jongstra (* 6. Februar 1963) ist eine niederlandische Kunstlerin und Textildesignerin. The New York Times stellt sie in eine Reihe mit den niederlandischen Designern wie Hella Jongerius und Tord Boontje. Leben und Arbeit Claudy Jongstra begann nach ihrem Abitur an der Utrecht School of the Arts (HKU) Modedesign zu studieren. Dort kam sie mit Arbeiten von Yoji Yamamoto, Rei Kawakubo und Issey Miyake in Kontakt. Sie verstand den Zugang japanischer Modedesigner, die nach ihrem Verstandnis „Materialien [schufen], die im Einklang mit der naturlichen Bewegung des Korpers und seiner Umgebung den Korper umgaben“. Bei ihrem ersten Arbeitgeber nach ihrem Abschluss 1989 war sie geschockt von der Schnelllebigkeit der Textilindustrie und der Menge an Stoffabfallen, die sie produzierte. Wie sie angab, dachte sie bei einem Besuch einer Kleiderfabrik in Paris nur: „Wo werden all die Stoffe landen, wenn sie nicht mehr getragen werden?“ Dies habe ihr die Augen geoffnet und sie begann, uber alternative und nachhaltigere Kleidungsstucke nachzudenken. 1994 besuchte sie das Textilmuseum in Tilburg, wo sie die langlebige Wolle in der Form von Filz, wie sie bei traditionellen Jurten verwendet werden, schatzen lernte. Sie kundigte ihren Arbeitsplatz, nahm eine Putzstelle an, auf der sie nachts beschaftigt werden konnte, und arbeitete zwei Jahre lang wahrenddessen tagsuber an einer Kollektion. Jongstra war „von dem Material und den Farben uberwaltigt. Sie beherrschte den Prozess des Filzens schnell und begann, Stoffe herzustellen, bei denen Wolle mit Seidenfasern verfilzt oder mit transparentem Seidenorganza kombiniert wurde. Mitte der neunziger Jahre war dies ein Novum, aber das Verfahren fuhrte zu einer bemerkenswerten Kombination aus Transparenz und Dichte, aus Eleganz und Rohheit, aus Handwerk und Kunst.“ Diese ersten Stucke prasentierte sie dem Textilmuseum in Tilburg. Sie ging nun ihrer Leidenschaft nach, war sich jedoch unsicher, ob sich jemand fur ihre Werke interessieren wurde, doch ein Museums-Kurator kaufte diese „vom Fleck weg“. Ende der 1990er Jahre traf sie wahrend eines Aufenthalts in der Londoner Royal Opera House, wo sie einen Teil ihrer Woll-Kollektion prasentierte, zufallig auf die Kostumbildnerin von Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung, Trisha Biggar, die offensichtlich begeistert von Jongstras Kleidung war. Sie erhielt dort den Auftrag, die Kostume fur die Jedi-Darsteller zu produzieren, was sie nachtraglich als „aufregend und als eine große Chance“ empfand. Dabei wurde eine Stoffbahn von insgesamt 50 Metern Lange benotigt. Seit der darauffolgenden Mailander Modewoche wirkt sie als unabhangige Filz-Schneiderin, deren Kreationen von großen Modemarken wie zum Beispiel Hella Jongerius, Christian Lacroix, John Galliano und Viktor & Rolf vertrieben wurden. Neben Kleidung produziert Jongstra auch Vliesstoffe aus Materialien ganz unterschiedlicher Provenienz: Uber 600 verschiedene Mischungen hat sie bisher hergestellt, darunter Fasern aus rohem Kaschmir, Hadernleinen, Kamel- und Yakfell, lockigem Haar der Wensleydale-Schafe mit ungekammtem Fell und vereinzelten Strohhalmen, die diese Tiere auf der Wiese aufnehmen. In ihren Arbeiten entstehen so Unikate, die auch die Aufmerksamkeit von Architekten wie Steven Holl und Rem Koolhaas erregten, die sie als Wandbehange in ihren Gebauden verwenden. Ihre Werke werden sowohl in verschiedenen Museen ausgestellt, darunter dem Stedelijk Museum, dem Victoria & Albert Museum in London, dem Los Angeles County Museum of Art (LACMA), MoMA New York und San Francisco, dem Centraal Museum, Museum De Lakenhal und dem Fries Museum, als auch in offentlichen oder staatlichen Einrichtungen wie der Niederlandischen Botschaft in Brussel und der Standigen Vertretung des Konigreichs der Niederlande bei der Europaischen Union, wo eines ihrer Werke in einen bedeutungsvollen visuellen Dialog mit einem Wandteppich aus dem 18. Jahrhundert tritt. Außerdem findet man sie in privaten Sammlungen wie beispielsweise der des Ministerprasidenten in Den Haag, Jan Peter Balkenende, oder denen von Adele und Brad Pitt. Claudy Jongstra lebt und arbeitet in dem 300-Einwohner-Dorf Spannum, einem Ortsteil der Gemeinde Waadhoeke. Sie bewohnt dort mit ihrer Familie ein Haus mit 2 Werkstatten und einem großen Grundstuck. Dort halt sie auch Bienen und eine Herde von Schafen – hauptsachlich Drenthe-Heideschafe –, die das Material fur ihre Arbeit liefern. Wurdigungen Im Jahr 2005 erhielt sie den Amsterdamer Preis fur die Kunste, 2019 wurde sie zur Kunstlerin des Jahres ernannt und in die Akademie der Kunste, eine Sektion der Koniglich Niederlandischen Akademie der Kunste und Wissenschaften, aufgenommen. Weblinks Claudy Jongstra on the Importance of Creating Art Sustainably Interview mit Claudy Jongstra uber ihre Herangehensweise an Materialien und die Herstellung von Kunst mit Umweltbewusstsein, Sotheby’s London, 7. September 2021 Hella Jongerius & Claudy Jongstra appointed honorary members of the Association of Dutch Designers (BNO). Bureau of European Design Associations (BEDA), 24. Mai 2021 Mary Murphy: Why Good Old-Fashioned Wool Is Back in Modern Textiles. Metropolis, 17. September 2018 Einzelnachweise
Claudy Jongstra (* 6. Februar 1963) ist eine niederlandische Kunstlerin und Textildesignerin. The New York Times stellt sie in eine Reihe mit den niederlandischen Designern wie Hella Jongerius und Tord Boontje.
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Die Langnasige Rinderlaus (Linognathus vituli) ist eine beim Hausrind vorkommende Echte Tierlaus. Sie ist die haufigste Laus bei Rindern, neben ihr kommen beim Lausbefall des Rindes noch die Kurznasige Rinderlaus (Haematopinus eurysternus) und die Kleine blaue Rinderlaus (Solenopotes capillatus) vor. In Europa kommen Rinderlause in etwa 40 % der Bestande vor. Haufig treten Mischinfektionen mit dem Haarling Bovicola bovis auf. Die Lause sind streng wirtsspezifisch, andere Tierarten oder der Mensch werden also nicht befallen. Da die Wildform des Hausrindes, der Auerochse, ausgestorben ist, kommt die Langnasige Rinderlaus ausschließlich beim Hausrind vor. Die Erstbeschreibung durch Carl von Linne basierte auf einem Exemplar von einem schwedischen Hausrind. Dieses Typexemplar ist jedoch verloren gegangen. Es wurden ein mannlicher Neotyp und Paraneotypen bestimmt, die aus Heidelberg stammen und in der Zoologischen Sammlung der Universitat Heidelberg hinterlegt sind. Merkmale Die Langnasige Rinderlaus ist blaulich-schwarz gefarbt und bis zu 2,5 mm lang. Sie hat weder Augen noch Augenhocker. Das zweite und dritte Beinpaar sind kraftiger als das erste und enden jeweils in einer kraftigen Kralle, die mit einem Fortsatz an der Tibia (Tibialdaumen) zum Festhalten an den Haaren dient. Die Sternalplatte ist gering entwickelt oder fehlt. Pro Hinterleibssegment sind zwei Borstenreihen ausgebildet. Da der Parasit der einzige Vertreter der Gattung bei Rindern ist, ist die Gattungsdiagnose bereits ausreichend. Von anderen Linognathus-Arten unterscheidet sich die Langnasige Rinderlaus durch ihren relativ langen, vorn spitz-konischen Kopf und einen sklerotisierten Haken am Gonopodium der Weibchen. Lebenszyklus Die Langnasige Rinderlaus befallt vorzugsweise Rinder bis zu einem Alter von drei Jahren. Altere Tiere besitzen meist Antikorper gegen die Speichelantigene, so dass eine Teilimmunitat entsteht. Die Langnasige Rinderlaus tritt meist in dichtgepackten Gruppen am Wirt auf. Der Parasit sucht meist die Kopf- und Halsregion oder den Triel auf. Das Weibchen klebt seine weißlichen, weichschaligen Eier an Haare am Bauch, an der Brust oder an den Innenseiten der Gliedmaßen, im Herbst an der Schwanzwurzel und am Hodensack. Aus den Eiern schlupft nach etwa einer Woche das erste Nymphenstadium und innerhalb von ein bis zwei Wochen entstehen uber zwei weitere Nymphenstadien die Adulten (erwachsenen Lause). Ein Weibchen legt bis zu vier Eier am Tag, insgesamt in ihrem Leben bis zu 80. Die Lebenserwartung des Parasiten betragt einen Monat, außerhalb des Wirts uberlebt er nur drei Tage. Die Ubertragung auf andere Tiere findet durch direkten Korperkontakt statt, aber auch durch Rollbursten und Pflegeutensilien. Die Schadwirkung entsteht vor allem durch den Juckreiz und Hautreizung und die damit verbundene Beunruhigung des Tieres. Wirtschaftlich spielen die Minderung der Mast- und Milchleistung sowie Lederschaden eine Rolle. Einzelnachweise
Die Langnasige Rinderlaus (Linognathus vituli) ist eine beim Hausrind vorkommende Echte Tierlaus. Sie ist die haufigste Laus bei Rindern, neben ihr kommen beim Lausbefall des Rindes noch die Kurznasige Rinderlaus (Haematopinus eurysternus) und die Kleine blaue Rinderlaus (Solenopotes capillatus) vor. In Europa kommen Rinderlause in etwa 40 % der Bestande vor. Haufig treten Mischinfektionen mit dem Haarling Bovicola bovis auf. Die Lause sind streng wirtsspezifisch, andere Tierarten oder der Mensch werden also nicht befallen. Da die Wildform des Hausrindes, der Auerochse, ausgestorben ist, kommt die Langnasige Rinderlaus ausschließlich beim Hausrind vor. Die Erstbeschreibung durch Carl von Linne basierte auf einem Exemplar von einem schwedischen Hausrind. Dieses Typexemplar ist jedoch verloren gegangen. Es wurden ein mannlicher Neotyp und Paraneotypen bestimmt, die aus Heidelberg stammen und in der Zoologischen Sammlung der Universitat Heidelberg hinterlegt sind.
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Kaylia Nemour (arabisch كيليا نمور; * 30. Dezember 2006 in Saint-Benoit-la-Foret, Frankreich) ist eine franzosisch-algerische Turnerin und Olympiasiegerin. Ihr Spezialgerat ist der Stufenbarren. Erfolge Kaylia Nemour begann im Alter von vier Jahren mit dem Turnen bei dem Verein Avoine-Beaumont Gymnastique in Indre-et-Loire, nachdem ihre altere Schwester bereits dort turnte. 2017 gab sie bei den Juniorinnen ihr internationales Debut in Combs-la-Ville und turnte bis 2021 fur ihr Geburtsland Frankreich. 2021 musste sie sich einer Knieoperation unterziehen und stieg im Marz 2022 wieder ins Training ein, nachdem ihr Arzt ihr die Freigabe dazu gegeben hatte. Der Mannschaftsarzt des franzosischen Turnverbandes verweigerte jedoch die Trainingsfreigabe, zudem stellte der Verband die Anforderung, die damals 14-jahrige Nemour solle wie alle Turntalente nach Paris ziehen, wo sie unter professioneller Aufsicht von Verbandstrainern trainieren sollten. Nemour lehnte dies ab und entschied sich, fortan fur das Geburtsland ihres algerischen Vaters zu starten. Die dazu erforderliche Wartefrist von einem Jahr hatte mit einer Freigabe des franzosischen Verbandes vorzeitig beendet sein konnen, dieser lehnte dies jedoch zunachst ab. Erst nach offentlichem Druck infolge eines parallel aufgedeckten Missbrauchsskandals, in den Nemour jedoch nicht involviert war, und einer darauffolgenden Intervention von Sportministerin Amelie Oudea-Castera erfolgte die Freigabe. Nemour durfte schließlich im Mai 2023, rechtzeitig zu den Afrikameisterschaften in Pretoria, erstmals international fur Algerien antreten. Diese waren zugleich Nemours einzige realistische Chance, sich fur die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris zu qualifizieren. Ohne nennenswerte Wettkampfpraxis gewann Nemour die Konkurrenz im Einzelmehrkampf und zeigte an ihrem Lieblingsgerat, dem Stufenbarren, ein neues Turnelement, das daraufhin unter ihrem Namen Einzug in den Code de Pointage fand. Dank dieses Erfolgs sicherte sie sich die Qualifikation fur die Weltmeisterschaften in Antwerpen im selben Jahr. Daruber hinaus belegte sie mit der Mannschaft den dritten Platz. Bei den Weltmeisterschaften gelang Nemour am Stufenbarren hinter der Chinesin Qiu Qiyuan der Gewinn der Silbermedaille. Neben dem Finale an diesem Gerat hatte sie sich als 13. der Qualifikation auch fur das Einzelmehrkampffinale qualifiziert, womit sie sich schließlich auch die Qualifikation als Einzelstarterin fur die Olympischen Spiele in Paris sicherte. Den Einzelmehrkampf schloss sie auf dem achten Platz ab. Das Jahr 2024 begann Nemour mit drei Weltcupsiegen am Stufenbarren. Bei den Olympischen Spielen erzielte sie in der Qualifikationsrunde eine Gesamtpunktzahl von 55,966 Punkten, das funftbeste Resultat. Damit zog sie ins Finale des Einzelmehrkampfs ein, in den sie gut startete. Sie wurde am Sprung Vierte und erzielte das beste Resultat aller 24 Finalistinnen am Stufenbarren. Am Schwebebalken erzielte sie den 13. Rang und am Boden Platz elf, wodurch sie letztlich mit 55,899 Punkten auch das Finale auf dem funften Platz beendete. Noch erfolgreicher verlief fur Nemour der Wettkampf am Stufenbarren. Sie hatte sich zunachst mit 15,600 Punkten als Beste fur das Finale qualifiziert und verbesserte dort ihre Wertung auf eine personliche Bestleistung von 15,700 Punkten, womit sie die Goldmedaille gewann und Olympiasiegerin wurde. Dabei ließ sie die Chinesin Qiu Qiyuan knapp hinter sich, die 15,500 Punkte erzielt hatte. Bronze ging an die US-Amerikanerin Sunisa Lee mit 14,800 Punkten. Weblinks Kaylia Nemour in der Datenbank der Federation Internationale de Gymnastique (englisch) Kaylia Nemour auf der Seite der Olympischen Spiele 2024 (englisch) Einzelnachweise
Kaylia Nemour (arabisch كيليا نمور; * 30. Dezember 2006 in Saint-Benoit-la-Foret, Frankreich) ist eine franzosisch-algerische Turnerin und Olympiasiegerin. Ihr Spezialgerat ist der Stufenbarren.
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Eugenie Foa (geb. 12. Juni 1796 in Bordeaux; gest. 3. Mai 1852 in Paris) (geboren als Esther-Eugenie Rodrigues-Henriques) war eine franzosische Schriftstellerin, die unter dem Namen ihres Mannes schrieb, aber zeitweise das Pseudonym Miss Maria Fitz-Clarence und Edmond de Fontanes benutzte. Foa war die erste Judin, die von ihrer schriftstellerischen Tatigkeit leben konnte. Sie ist hauptsachlich fur ihre Kinderbucher bekannt. Leben Foa war die Tochter eines Bankiers, Alexander Isaac Rodrigues-Henriques, Leiter der Bank Les Fils d’A. Rodrigues. Ihre Mutter, Esther Gradis, stammte aus einer Familie von Reedern aus Bordeaux, die mit den franzosischen Kolonien Handel trieben. Eugenie Foa war eine sephardische Judin portugiesischer Abstammung. Ihr Vater, Isaac Rodriguez Henriquez, war der Leiter der Familienbank und Mitglied des Großen Sanhedrins. Ihre Mutter, Esther Gradis, war die Tochter von David Gradis, einem Philanthropen und Kaufmann, dessen Unternehmen, David Gradis et fils, auf Rustungsguter und den Kolonialhandel (vor allem in Westindien und Kanada) spezialisiert war. Beide Eltern gehorten der judischen Gemeinde von Bordeaux an. Die Familie zog in den 1810er Jahren nach Paris. 1814 heiratete Eugenie den 21-jahrigen Kaufmann Joseph Foa aus Genua. Aber die Ehe war unglucklich und von kurzer Dauer. Dennoch gingen aus der Ehe sechs Kinder hervor. Nachdem ihr gewalttatiger Ehemann sie verlassen hatte, zog Eugenie zuruck in ihr Elternhaus in der Pariser Rue Monthalon, wo sie bis zum Tod ihres Vaters im Jahr 1834 lebte. Um 1842 erblindete Eugenie Foa. Sie starb am 3. Mai 1852 „in tiefstem Elend“ und wurde am 5. Mai in Paris beigesetzt. Familie Foas Familie hinterließ wichtige Spuren in der franzosischen Kultur des 19. Jahrhunderts. Ihre Schwester war Hanna Leonie Rodrigues Henriques (1820–1884), eine bekannte Bildhauerin, die 1842 in Paris den Komponisten Jacques-Fromenthal Halevy (1799–1862) heiratete; deren Tochter war Genevieve Halevy Bizet Strauss (1849–1926), die beruhmte Salonniere. Eugenies Bruder Jacob Hippolyte arbeitete in der Bank der Familie, schrieb aber auch zahlreiche belletristische Werke und Abhandlungen uber die Stellung des Judentums in der modernen Welt. Sie ist eine Cousine des Mathematikers Olinde Rodrigues. Schriftstellerische Karriere Ihre ersten Romane waren von der romantischen Asthetik der damaligen Zeit gepragt und stellten meist eine Heldin in den Mittelpunkt, die nach Unabhangigkeit strebte. Sie raumen der judischen Kultur einen wichtigen Platz ein und bringen sie der katholischen Leserschaft der Zeit naher. Dafur stehen Werke wie Le Kidouschim (1830), Philippe (1831), Rachel ou L’Heritage (1833) und La Juive: Histoire du temps de la Regence (1835). Doch erst mit ihren Kinderbuchern – einem damals wenig beachteten Genre, das sie forderte – gelang ihr ein wirklicher Erfolg. Mehrere ihre Kinderbucher wurden auch ins Englische ubersetzt. Foa ist hochstwahrscheinlich die ursprungliche Autorin der Geschichte uber den Helden von Haarlem, die uber eine englische Ubersetzung in die niederlandische Folklore eingegangen ist. Sie schrieb auch Romane und Kurzgeschichten im romantischen Stil, der zu ihrer Zeit in Mode war. Den großten Erfolg hatte sie mit dem Buch Le Petit Robinson de Paris, ou le triomphe de l’industrie. Dieses Buch wurde in Frankreich mindestens sechsmal nachgedruckt. Die Ubersetzung ins Englische wurde auch in den Vereinigten Staaten mehrfach nachgedruckt. Daruber hinaus sind mindestens zwei Ubertragungen ins Deutsche nachweisbar. Die Kinderbucher waren didaktisch angelegt und betonten burgerliche Tugenden wie Nachstenliebe, Fleiß und religiose Toleranz. Sie schrieb auch Geschichten, in denen sie sich fur die Rechte und Tugenden von unterdruckten Menschen wie Sklaven, Frauen und Blinden sowie von Kindern einsetzte. Die meisten ihrer Kindergeschichten basieren auf fiktiven oder realen Kindheitserlebnissen beruhmter Personlichkeiten, darunter franzosische Staatsfuhrer (z. B. Napoleon) und Heilige (z. B. St. Genevieve und St. Vincent de Paul). Im Jahr 1838 gehorte sie zu den Grundungsmitgliedern der Societe des Gens de Lettres, einer Vereinigung, der bei ihrer Grundung nur zehn Frauen angehorten. Sie war auch Mitglied der Academie des femmes, eines 1843 gegrundeten Kollektivs, das sich ebenfalls dem Schutz von Kunstlern und ihren Urheberrechten verschrieben hatte, allerdings mit einem starkeren Interesse an der Wahrung der Interessen von Schriftstellerinnen. Auch engagierte sie sich in der feministischen Bewegung. So war sie 1848 zusammen mit Eugenie Niboyet an der Grundung der Zeitschrift La Voix des femmes (Die Stimme der Frauen) beteiligt und schrieb fur La Chronique de Paris. Mit ihrer lebhaften Fantasie und ihrer ansteckenden Sensibilitat arbeitete sie mit und beteiligte sich an der Grundung neuer Kinderzeitungen wie Le Journal des Demoiselles, La Gazette de la jeunesse und Le Journal des enfants, der ersten Zeitschrift, die sich speziell an junge Leserinnen und Leser richtete. Sie schrieb darin unter ihrem Pseudonym Edmond de Fontanes. 1841 brach sie mit ihrer Familie und konvertierte zum Katholizismus, woraufhin sie eine Serie uber das Leben der Heiligen schrieb. Sie schrieb Romane und Zeitungsartikel zu einer Vielzahl von Themen, darunter Geschichten uber Juden, aber auch uber Mode, Literatur und historische Figuren aller Art. Am bekanntesten aber ist sie fur ihre Kinderbucher. Vermachtnis Veroffentlichungen Literatur Meyer Kayserling: Die judischen Frauen in der Geschichte, Literatur und Kunst. Hrsg.: Brockhaus. Leipzig 1879, S. 290 ff. (google.de). Elisabeth-Christine Meulsch, Creativity, Childhood and Children’s Literature, or How to Become a Woman Writer: The Case of Eugenie Foa, 1997 Michele Bitton: Poetesses et lettrees juives: une memoire eclipsee (= Geneses Societes et cultures juives). Publisud, Paris 1999, ISBN 2-86600-832-4, S. 209 (franzosisch). Maurice Samuels: Inventing the Israelite: Jewish fiction in nineteenth-century France (= Stanford studies in Jewish history and culture). Stanford University Press, Stanford, Calif 2010, ISBN 978-0-8047-7342-3, S. 37 ff. (englisch, google.de [abgerufen am 27. November 2024]). A. G. Polz: Dodecaton. Franzosische Literatur-Zustande. 10. Eugenie Foa. In: Der Humorist (1837–1862), 12. Juni 1839, S. 3 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/hum Weblinks Werke von Eugenie Foa im Project Gutenberg Works by Eugenie Foa at Faded Page (Canada)fadedpage.com Internet Archive. In: archive.org. Abgerufen am 28. November 2024 (englisch). Lisa Moses Leff: Eugenie Foa | Jewish Women's Archive. In: jwa.org. 23. Juni 2021, abgerufen am 28. November 2024 (englisch). Einzelnachweise
Eugenie Foa (geb. 12. Juni 1796 in Bordeaux; gest. 3. Mai 1852 in Paris) (geboren als Esther-Eugenie Rodrigues-Henriques) war eine franzosische Schriftstellerin, die unter dem Namen ihres Mannes schrieb, aber zeitweise das Pseudonym Miss Maria Fitz-Clarence und Edmond de Fontanes benutzte. Foa war die erste Judin, die von ihrer schriftstellerischen Tatigkeit leben konnte. Sie ist hauptsachlich fur ihre Kinderbucher bekannt.
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Das Kunstdepot Hohenzollern bestand vom 31. August 1942 bis August 1947 auf der Burg Hohenzollern im heutigen Zollernalbkreis in Baden-Wurttemberg. Es bewahrte in dieser Zeit kriegsbedingt ausgelagerte Kunstschatze aus den drei Kolner Museen Wallraf-Richartz-Museum, Museum Schnutgen und Museum fur Angewandte Kunst. Die Sammlung enthielt Hauptwerke der Altkolner Malerei, aber auch bis in die Romanik zuruckreichende Skulpturen, wie das Kruzifix aus der St.-Georgs-Kirche. Zudem fanden sich im Kunstdepot Hohenzollern Kunstwerke, die im Verlauf des Zweiten Weltkriegs als Raubkunst aus Frankreich dorthin gelangt waren. Ein Großteil der Kunstwerke wurde vor ihrer Ruckkehr nach Koln in den Jahren 1946/47 zusammen mit Werken der Wurttembergischen Staatsgalerie aus anderen Depots im Kunstgebaude Tubingen in der Ausstellung Meisterwerke aus den Kolner Museen und der Wurttembergischen Staatsgalerie Stuttgart gezeigt. Die Vorbereitung zur Auslagerung Der Ablauf der Auslagerung wird in einem Schreiben von Wilhelm Ewald, dem Verantwortlichen fur die Auslagerung, an den ersten verantwortlichen Nachkriegsvertreter der Kolner Stadtverwaltung Willi Suth beschrieben. Zunachst sei bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs das stadtische Amt 72 in Koln damit beauftragt gewesen, eine Auslagerung der Kolner Kunstschatze zu organisieren. Zu diesem Zeitpunkt war nur ein Depot geplant. Mit Beginn des Krieges sei Amt 72 jedoch zunehmend uberfordert gewesen, sodass es den Unterabteilungen und den Museumsdirektoren selbst uberlassen wurde, geeignete Depotraume zu finden. Es ist anzunehmen, dass es mindestens 29 verschiedene Standorte gab. Der fur den Schutz der gesamten rheinischen Kulturguter beauftragte Theodor Wildeman besuchte Anfang Juni 1942 Suddeutschland und traf sich dort mit dem geburtigen Kolner Walther Genzmer, der ab 1934 als Leiter fur das Hochbauwesen in Sigmaringen arbeitete. Ehrenamtlich war dieser auch als Landeskonservator der preußischen Hohenzollernschen Lande beschaftigt. Bei der Besichtigung der Burg Hohenzollern wurden die Herrschaftskuche unter dem Grafensaal, bei Bedarf auch die Kellerraume darunter und die evangelische Kapelle als mogliche Aufbewahrungsraume in Betracht gezogen. Die Kellerraume im Nordflugel wurden als zu feucht und fur ein Depot ungeeignet empfunden. Nach Abklarung mit der Generalverwaltung des vormals regierenden preußischen Konigshauses wurde die Genehmigung zur Einrichtung eines Depots erteilt, mit der Auflage, die Schlosskapelle nicht zu nutzen. In einem Telegramm des Wallraf-Richartz-Museums wurde die definitive Ankunft des Bergungstransports fur die Nacht des 31. Augusts auf den 1. September 1942 angekundigt. Die Gesamtverantwortung fur die Transporte lag bei dem Kunsthistoriker Werner Bornheim. Die Einrichtung des Kunstdepots Ein Transport von Werken aus dem Kunstgewerbemuseum in Koln von der Festung Ehrenbreitstein (einem weiteren Depot) auf die Burg Hohenzollern, organisiert von „Haubrich, Koln“, ist fur den 31. August belegt. Ihm wurden weitere Kunstwerke aus dem Wallraf-Richartz-Museum zugepackt. Insgesamt sollen es bei diesem Transport etwa 34 Kisten gewesen sein. Dies ergibt sich aus nachtraglichen Erinnerungsprotokollen. Viele Kunstgegenstande waren zunachst in anderen Depots untergebracht und kamen erst im weiteren Verlauf ins fur sicherer gehaltene Suddeutschland, als diese Depots, wie im vorliegenden Fall Ehrenbreitstein, als zu unsicher empfunden wurden. Aus Inventarlisten zum Zeitpunkt der Auflosung des Depots lasst sich folgender Umfang rekonstruieren: Mindestens 20 Kisten aus dem Schnutgen-Museum mit Holzplastiken 14 Kisten mit Gemalden, Kunsthandwerk aus Holz, Elfenbein, Papier, Keramik, Glas, Gold, Silber, Kupfer, Bronze, Zinn, Eisen und Textilien aus dem Kunstgewerbemuseum, davon 7 Kisten mit Werken aus der Sammlung Clemens 16 Grafikkasten mit Handzeichnungen, Grafiken, Radierungen und Miniaturen aus dem Wallraf-Richartz-Museum 78 wertvolle Gemalde ohne besondere Schutzverpackung aus dem Wallraf-Richartz-Museum Das Pestkruzifixus der Pfarrgemeinde St. Maria im Kapitol und eine Frauenbuste mit Konsole aus der St. Margaretenkirche. Einzelne Kunstwerke wurden auch bei Kontrollbesuchen der Kuratoren noch nachtraglich eingebracht, so wie das am 19. November 1942 von Helmut May mitgebrachte „kostbare Gemalde von van Gogh“: Die Brucke von Arles. Um die Raumlichkeiten fur die Nutzung als Depot herzurichten, wurden unter anderem elektrische Heizofen angeschafft, die Turen wurden mit Sicherheitsschlossern versehen und die Fenster zum Burghof hin mit Splitterschutz fur den Fall von Luftangriffen ausgestattet. Dieser Schutz bestand aus 60 cm tiefen Holzkasten, die mit Sand befullt waren. Nach innen waren sie oben und unten mit zwei in die Fensterlaibung eingelassenen Eisenschienen bewehrt, nach vorn mit 8/8-cm-Kantholzern gesichert. Andere Fenster wurden einbruchsicher gemacht. Ein Hechinger Schlosser stellte am 28. Juli 1943 fur 2 Eisenturen, 24 Luftschutzkasten, 8 Rohre, 8 Eisenstabe fur ein Fenster und 2 Schlosser 185,65 RM in Rechnung. Die Schlusselgewalt lag beim Schlossverwalter. Otto Schmitt, Professor fur Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule Stuttgart, hatte von dem Kunstdepot erfahren und bat in einem Schreiben vom 24. Februar 1943 an Genzmer um eine Fuhrung fur seine 20 bis 30 Studierenden. Genzmer willigte ein, versaumte aber, sowohl die Generalverwaltung als auch die Verantwortlichen der Museen zu informieren. Der Schlossverwalter beschwerte sich bei seinen Vorgesetzten daruber, dass die Kunstgegenstande von den Studierenden auch in die Hand genommen worden waren. Genzmer erklarte, dass dies nur durch Fachleute erfolgt sei. Im Juni 1943 gab es eine weitere Exkursion. Am 28. Mai 1943 wurde die Burg von einem Erdbeben der Starke 5,6 mit Epizentrum im Raum Tailfingen-Onstmettingen erschuttert. Es kam zu leichten Schaden auf der Burg, die Kunstwerke waren aber nicht betroffen. Im Dezember 1944 beanspruchte die Luftwaffe Raumlichkeiten fur eine Nachrichtenstelle auf der Burg. Der Schlossverwalter konnte den Zugang zum Depot sichern, und der Raumbedarf der Luftwaffe war nicht besonders groß. Ob die Angriffe mit Bordwaffen alliierter Flieger im Februar 1945 damit in Verbindung standen oder eher im Vorbeiflug erfolgten, ist nicht zu ermitteln. Letztlich hinterließen auch sie kaum Schaden an der Burg. Am 3. Marz 1945 kam es zu einem letzten Besuch von etwa acht bis zehn Stuttgarter Kunststudenten. In diesem Zusammenhang lud Genzmer den in Hechingen wohnenden Werner Heisenberg ein, die Kunstwerke ebenfalls zu betrachten. Heisenberg arbeitete im Rahmen des aus Berlin-Dahlem ausgelagerten Kaiser-Wilhelm-Instituts fur Physik am Forschungsreaktor Haigerloch sowie in den Raumen einer Hechinger Textilfabrik und einer ortlichen Brauerei. Er war kulturell interessiert und gab als guter Pianist auch Konzerte in Hechingen. Am Tag nach dem Besuch schrieb er an seine Frau: Ein fachmannischer Umgang mit den Kunstwerken schien offenbar immer noch nicht wichtig. Am 20. April erreichten franzosische Truppen Hechingen, zur gleichen Zeit mit den amerikanischen Truppen der Alsos-Mission. Sie besuchten auch die Burg; es existieren Fotoaufnahmen. Das Kunstdepot war aber nicht von Interesse fur sie. Koln war bereits im Marz von den Amerikanern besetzt worden. Am 5. Mai war Konrad Adenauer wieder als Oberburgermeister eingesetzt worden. Adenauer setzte alles daran, die Werke der Kolner Malerschule sicher nach Koln zuruckzubringen. Er befurchtete, dass die Bilder von den Alliierten beschlagnahmt werden konnten, und organisierte deshalb eine Ruckholaktion uber Zonengrenzen hinweg. Hierfur waren amerikanische Dokumente notwendig. In einem stadtkolnischen Leichenwagen wurden die wichtigsten Bilder am 25. Mai nach Koln zuruckgebracht. Sie sind namentlich nicht aufgefuhrt, aber aus den spateren Inventarlisten lassen sie sich ungefahr ermitteln. Die Werke wurden zunachst in einem Keller einer katholischen Pfarrei in der Hermann-Pflaume-Straße eingelagert. Als die Amerikaner von franzosischer Seite (siehe unten) uber die Angelegenheit informiert wurden, wurde Adenauer doch zur Herausgabe gezwungen. Die Bilder wurden beschlagnahmt, aber mit der Versicherung, dass sie, soweit es sich nicht um Raubkunst handele, wieder in stadtischen Besitz zuruckkehren sollten. Das Depot nach dem Krieg Am 31. Mai besuchte erstmals die Commission de recuperation artistique („Kommission zur Ruckfuhrung der Kunst[werke]“) unter Fuhrung von Rose Valland die Burg. In ihrer Begleitung war auch Kurt Martin, der ehemalige Direktor der Kunsthalle Karlsruhe und wahrend der deutschen Besatzung des Kunstmuseum Straßburg. Rose Valland war also uber Raubkunst und die deutschen Kunstdepots gut informiert und auch im standigen Kontakt mit ihren amerikanischen Kollegen. Wegen der Leichenwagenaktion befahl sie, dass ohne eine schriftliche Genehmigung der franzosischen Militarbehorden kein Kunstwerk mehr aus dem Depot entfernt werden durfte. Das Depot wurde in ihren Berichten als sich im ausgezeichneten Zustand befindlich beschrieben und befand sich nach ihrer Darstellung in einem perfekt eingerichteten Raum. Die Kommission vermutete auch Raubkunst vorzufinden, insbesondere aus der Sammlung Vollard. Rose Valland erwahnt Kunstler wie Courbet, Degas, Renoir und Ingres. Von Rose Valland nachgewiesene Werke der Raubkunst, die sich auf der Burg befanden Die MNR-Nummer bezieht sich auf das Verzeichnis Musees nationaux recuperation Die Delegation traf auch mit dem ehemaligen Kronprinzen Wilhelm und seiner Geliebten Gerda Puhlmann zusammen. Diese waren seit dem 26. Mai, also einen Tag nach der Leichenwagenaktion und funf Tage vor Rose Vallands Ankunft auf der Burg, von den franzosischen Behorden in Hausarrest gesetzt worden. Erst im Oktober 1945 konnten sie hinunter nach Hechingen ziehen. Rose Valland erwahnt das Gesprach in ihren Memoiren. Die Delegation reiste am Abend weiter nach Rottweil. Die unter dem Raubkunstverdacht stehenden Gemalde verblieben zunachst im Depot. Ab Juni 1945 ubernahm die franzosische Militarbehorde das Kommando uber das Depot. Der Schlossverwalter musste die Schlussel abgeben und konnte den ganzen Winter 1945/46 die Raume nicht betreten. Obwohl im November auf die Notwendigkeit des Heizens und des Luftens unter Beobachtung mit Hilfe der vorhandenen Hygrometer hingewiesen wurde, erfolgte dies nicht. Die Kalte allein ware noch zu verkraften gewesen, aber durch die Feuchtigkeit kam es zu Schimmelbefall bei den auf Leinwand gemalten Bildern und zu Verwerfungen bei den Tafelgemalden. Im Fruhjahr 1946 trat das neu geschaffene Landesdenkmalamt fur Wurttemberg-Hohenzollern unter der Leitung von Adolf Rieth auf den Plan. In vermutlich zwei Etappen wurden die unverpackt abgestellten Gemalde des Wallraf-Richartz-Museum nach Tubingen gebracht. Der letzte Transport erfolgte am 30. April 1946. In einem Brief vom 14. Mai 1946 schrieb Adolf Rieth: Die Kisten mit den Plastiken aus dem Schnutgen-Museum und dem Kunstgewerbemuseum verblieben zunachst noch auf der Burg. Sie kamen aber vor dem 28. August 1946 nach Tubingen. Eingelagert wurden die Gemalde in einem Luftschutzraum der Neuen Aula. Die Grafiken und Handzeichnungen kamen auf das Schloss Hohentubingen, wo sich auch das neu etablierte Landesdenkmalamt befand. Die spater angelieferten Kunstwerke aus dem Schnutgen- und aus dem Kunstgewerbemuseum wurden ebenfalls in Kellerraumen der Neuen Aula eingelagert. Adolf Rieth hatte die Restauration der beschadigten Kunstwerke durch den Hauptkonservator Mayer vorgeschlagen. Da dieser aber in Stuttgart, also der Amerikanischen Besatzungszone, arbeitete, wurden die Arbeiten durch den Freiburger Restaurator P. Hubner ausgefuhrt. Einige Werke scheinen kurzfristig auch anderweitig verwendet worden sein. So wurde Rembrandts Bildnis des Johannes Cornelisz, Sylvius kurzzeitig zur Ausschmuckung der franzosischen Militarverwaltung genutzt. Zusammen mit Werken aus der Stuttgarter Staatsgalerie, die ebenfalls in Depots in Sud-Wurttemberg ausgelagert waren, wurden die Kunstwerke vom 22. September bis zum 1. Dezember 1946 im Kunstgebaude Tubingen in der Ausstellung „Meisterwerke aus den Kolner Museen und der Wurttembergischen Staatsgalerie Stuttgart“ ausgestellt. In dieser Zeit sahen 42.000 Besucher die Werke. Von August bis September 1947 erfolgte eine Ausstellung mit 128 Handzeichnungen aus den ausgelagerten Bestanden der Kolner und Stuttgarter Bestande. Schon 1947 kehrten einzelne Exponate des Schnutgen-Museums, darunter das Georgskruzifixus, nach Koln zuruck, wo sie in der Ausstellung „Romanische Kunst in Koln“ an der Universitat gezeigt wurden. In einer weiteren Ruckfuhrungsaktion im folgenden Jahr folgten Kunstwerke aus dem Schnutgen- und dem Kunstgewerbemuseum, die in der Ausstellung „Gotische Kunst in Koln“ prasentiert wurden. Im Fruhjahr 1949 kehrten die letzten in Tubingen befindlichen Gemalde aus dem Wallraf-Museum zuruck, sofern sie nicht der Restitution unterlagen. Die sechs in Tubingen verbliebenen Werke, die Rose Valland bereits identifiziert hatte, die aber dennoch in der Tubinger Ausstellung prasentiert worden waren, wurden im Herbst 1950 in das „Centre de Rassemblement Artistique (Collecting Point) de Baden-Baden“ gebracht. Sie traten am 23. Februar 1951 ihre Heimreise nach Frankreich an. Sie wurden mit einer MNR (Musees Nationaux Recuperation)-Nummer versehen. Solche Werke werden im Falle der Identifikation der Vorbesitzer und ihrer Erben an diese zuruckgegeben, anderweitig den franzosischen Nationalmuseen anvertraut. Der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Auch die Kunstwerke, die nach Koln zuruckkehrten, wurden im Rahmen der Provenienzforschung weiter auf fragwurdigen Erwerb wahrend der NS-Zeit untersucht. Alle Werke, soweit bekannt, die der Restitution unterlagen, sind auf der unten angefuhrten Liste mit dem Vermerk (RK) versehen. Heutige Nutzung der Depotraume In den Raumlichkeiten wurde im Jahr 1951 das Hohenzollern-Museum eingerichtet, damals noch in Anlehnung an das vormals im Schloss Monbijou befindliche Museum so genannt. Heute als Schatzkammer bezeichnet, beherbergt sie Erinnerungsstucke des Hauses Hohenzollern, wie, als Teil der Preußischen Kronjuwelen, die Krone Wilhelms II. und den Waffenrock und die lebensrettende Schnupftabaksdose, mit dazugehoriger Musketenkugel Friedrichs des Großen aus der Schlacht bei Kunersdorf. Die auf der Burg eingelagerten Kunstwerke Rekonstruktion anhand der „Bergungsliste Siegen, 1944“, der Kopie einer Liste vom 6. Dezember 1943 (angefertigt 1946) und des Katalogs der Ausstellung „Meisterwerke aus neun Jahrhunderten“. Die Bergungsliste Siegen, 1944 befindet sich im Staatsarchiv Sigmaringen, Ho 310,T2. Nr. 575. Wahrscheinlich war geplant, die Bilder von Hohenzollern in einen Stollen bei Siegen zu verlagern, was aber nicht realisiert wurde. Die Kopie der Liste vom 6. Dezember 1943 ist mit Kurzeln versehen. H (das Kunstwerk befindet sich noch auf dem Hohenzollern), T (das Kunstwerk befindet sich bereits in Tubingen), C (Das Kunstwerk befindet sich in Koln = Cologne) – „Adenauers Leichenwagenaktion“ Werke, die nicht mehr zum Bestand der Kolner Museen gehoren, sind mit dem Kurzel „RK“ versehen. Die Titel und Werkbeschreibungen entsprechen den Listen beziehungsweise dem Katalog der Tubinger Ausstellung. Sie entsprechen dem damaligen Kenntnisstand und konnen von der heutigen Zuschreibung abweichen. Der heutige Erkenntnisstand sollte in der Bildbeschreibung und auf Wikidata korrekt abgebildet sein. Literatur Volker Lassing: Das Kunstdepot auf der Burg Hohenzollern. Wie Kunstschatze aus drei Kolner Museen den Krieg uberlebten. CM-Verlag, Albstadt 2021, ISBN 978-3-939219-04-0. „Meisterwerke“ fur die Tubinger Ausstellung mit 300 Kunstwerken. Wurttembergisches Amt fur Denkmalpflege e. V., Tubingen 1946 (Q124694913). Meisterwerke aus neun Jahrhunderten, ein Bilderbuch. Gesellschaft der Freunde des Tubinger Kunstgebaudes e. V., Stuttgart 1948. Einzelnachweise
Das Kunstdepot Hohenzollern bestand vom 31. August 1942 bis August 1947 auf der Burg Hohenzollern im heutigen Zollernalbkreis in Baden-Wurttemberg. Es bewahrte in dieser Zeit kriegsbedingt ausgelagerte Kunstschatze aus den drei Kolner Museen Wallraf-Richartz-Museum, Museum Schnutgen und Museum fur Angewandte Kunst. Die Sammlung enthielt Hauptwerke der Altkolner Malerei, aber auch bis in die Romanik zuruckreichende Skulpturen, wie das Kruzifix aus der St.-Georgs-Kirche. Zudem fanden sich im Kunstdepot Hohenzollern Kunstwerke, die im Verlauf des Zweiten Weltkriegs als Raubkunst aus Frankreich dorthin gelangt waren. Ein Großteil der Kunstwerke wurde vor ihrer Ruckkehr nach Koln in den Jahren 1946/47 zusammen mit Werken der Wurttembergischen Staatsgalerie aus anderen Depots im Kunstgebaude Tubingen in der Ausstellung Meisterwerke aus den Kolner Museen und der Wurttembergischen Staatsgalerie Stuttgart gezeigt.
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Carl Vincenti (* 1871; † 1940 in Munchen) war ein deutscher Fotograf und Inhaber eines Fotostudios in Daressalam, Deutsch-Ostafrika. Seine Fotografien aus der Zeit von 1894 bis ca. 1914 umfassen eine Vielzahl von Motiven, darunter Aufnahmen von Deutschen und Einheimischen, kolonialen Bauwerken und Stadtansichten sowie Landschaftsaufnahmen, die Ausschnitte aus dem Alltagsleben und der Natur im damaligen Deutsch-Ostafrika dokumentieren. Exemplare seiner Fotografien und Postkarten befinden sich in den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums, des Ethnografischen Museums in Budapest sowie deutscher und US-amerikanischer wissenschaftlicher Bibliotheken. Leben und Wirken Vincenti wuchs im bayrischen Miesbach auf. Informationen uber die Umstande seiner Reise nach Deutsch-Ostafrika sowie seine Ausbildung als Fotograf sind bisher nicht dokumentiert. Ab circa 1894 war Vincenti in Daressalam als Fotograf und Verleger in seiner „Photographischen Anstalt und Handlung photographischer Artikel“ tatig. Spatestens ab 1914 produzierte er Ansichtskarten auch durch den "Kunstverlag C.Vincenti, Daressalam". Als Verleger stellte er sowohl Einzelabzuge wie auch Bildpostkarten her und versah diese zum Teil mit seinem Firmenstempel und dem Jahr der Aufnahme. Walther Dobbertin, der spater ebenfalls professioneller Fotograf in Deutsch-Ostafrika wurde, arbeitete nach seiner Ankunft um 1903 fur einige Jahre fur Vincentis Fotostudio. Zwischen Vincenti und Dobbertin kam es allerdings bald zu einem heftigen Streit, der auch vor Gericht ausgetragen wurde. Vincenti warf Dobbertin vor, fotografisches Material gestohlen bzw. unterschlagen zu haben. Aufgrund seiner Erfahrungen als ortsansassiger Fotograf konnte Vincenti auch Fotografen Ratschlage erteilen, die sich vorubergehend in Deutsch-Ostafrika aufhielten. So korrespondierten die deutschen Palaontologen Werner Janensch und Edwin Hennig, die ihre bedeutenden Ausgrabungen von Dinosaurier-Fossilien in Tendaguru auch fotografisch dokumentierten, mit Vincenti uber technische Probleme zu ihren Fotografien in den Jahren 1909 und 1910. Außerdem berichtete der Kolonialbeamte Oscar Bongart in seinen Aufzeichnungen zu fotografischen Aufnahmen in den Tropen, dass er gelungene Fotografien erst mit einer Goerz-Anschutz-Klappkamera erzielen konnte, die ihm Vincenti geliehen hatte. Neben seiner Tatigkeit als Geschaftsmann war Vincenti auch Mitglied des Gouvernementsrates. 1896 brachten die deutschen Behorden Chalid ibn Barghasch, den exilierte Sultan von Sansibar, in Vincentis Haus unter, wo er fortan lebte. Im Ersten Weltkrieg war Vincenti Mitglied des Stadt-Komitees in Daressalam. In letzterer Eigenschaft fuhrte er auch nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Ende der deutschen Kolonie Schriftwechsel mit dem Reichs-Kolonialministerium in Berlin und dem englischen District Political Officer uber die Ruckfuhrung der Deutschen. = Fotografisches Werk = Als visuelle Dokumente in europaischen und amerikanischen Sammlungen bieten Vincentis historische Fotografien Einblicke in die Geschichte, Bevolkerung, Kultur und naturliche Beschaffenheit der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Seine Fotos dokumentieren Szenen des taglichen Lebens wie Markte, Dorfer und traditionelle Zeremonien, Mitglieder der deutschen kolonialen Gesellschaft sowie Einheimische aus verschiedenen ethnischen Gruppen. Daneben existieren Aufnahmen, die koloniale Bauwerke und Ansichten aus Deutsch-Ostafrika, Landschaften, Tiere und die Natur der Kolonie aus der Zeit von 1894 bis ca. 1907 abbilden. Vincentis Fotografien entstanden sowohl im Fotostudio als auch im Freien und wurden bis 1919 in mehreren Werken zu Deutsch-Ostafrika abgedruckt. Die Verhandlungen des Deutschen Kolonialkongresses, 1905, zu Berlin am 5., 6. und 7. Oktober 1905 kommentierten Vincentis Aufnahmen wie folgt: „Diese sehr schonen Bilder von stattlichem Format stellen Vegetations-Ansichten, landschaftliche Szenerien und Volkstypen aus unserer ostafrikanischen Kolonie [...] dar.“ Aufnahmen der Kolonialherrschaft Vincentis Aufnahmen von Szenen des kolonialen Lebens in Daressalam zeigen unter anderem den Hafen, Straßenzuge und Wohnhauser, eine Militarparade zu Kaisers Geburtstag, einen Appell der Askari genannten afrikanischen Truppen mit deutschen Offizieren in weißer Uniform, Spielleute der kaiserlichen Schutztruppe fur Deutsch-Ostafrika oder einen Kolonialbeamten im Feld auf einem Klappstuhl vor seinem Zelt sitzend, mit einheimischem Diener. Auf Vincentis Foto aus einer Regierungsschule von 1903 sind ein deutscher Lehrer und einheimische Schuler anlasslich einer Lehrprobe zu sehen. Die Schultafeln weisen sowohl Beispiele aus dem Unterricht fur das Lesen und Schreiben in der Swahili-Sprache mit lateinischen Buchstaben als auch fur den Unterricht im Rechnen auf. Aufnahmen einheimischer Menschen Die erhaltenen Aufnahmen Vincentis umfassen zahlreiche Abbildungen von einheimischen Menschen und ihrem Alltagsleben unter kolonialer Herrschaft. Hierzu zahlen Vertreter von Ethnien in Tanganjika wie die Nyamwezi, Wahere, Wayao, Wagogo, Massai, Swahili sowie Kaufleute indischer Abstammung und sogenannte Araber, eine aus Verbindungen arabischer Einwanderer mit afrikanischen Frauen stammende Bevolkerungsgruppe. Unter den fotografierten Portrats einheimischer Menschen befinden sich inszenierte Studioaufnahmen vor einem damals ublichen gemalten Hintergrund: Eines zeigt die Vollansicht einer stehenden jungen Frau der Wayao-Ethnie aus dem Suden Tansanias mit traditioneller Kleidung und Haartracht. Ein weiteres zeigt eine Dreiviertel-Ansicht eines Jungen und einer jungen Frau der Swahili. Der Junge tragt die landestypische islamische Kopfbedeckung Kofia und das Hemdkleid Kanzu; die junge Frau einen Turban und das Wickelkleid Kanga, dazu Halsketten, Ohrringe und Armreifen. Ebenso wie auf den zuvor genannten Portrats hat ein junger Mann der Massai-Ethnie mit typischer Haartracht seinen Blick auf die Kamera gerichtet. Dagegen sind auf einer Aufnahme im Freien ein Mann und eine Frau mit einem Jungen unter der Bezeichnung „Familie (einheimisch)“ zu sehen. Sie tragen Kangas und sitzen vor einem Zelt, den Blick auf die Kamera gerichtet. Andere Aufnahmen dokumentieren Einheimische bei einem ngoma-Tanz oder mit einem afrikanischen Brettspiel. Das Halbportrat des Wali Mohamed bin Salim, eines Wurdentragers aus Mikindani, zeigt den Portratierten mit typischen Kleidungsstucken seiner arabischen Abstammung und dem Krummdolch Jambia. Außerdem dokumentierte Vincenti Szenen mit afrikanischen Arbeitern beim Bau von Eisenbahngleisen, aus einem Expeditionslager oder von einer Karawane mit Tragern und Stoßzahnen, die von den Arbeitsbedingungen unter kolonialer Herrschaft in Deutsch-Ostafrika zeugen. Daneben wurden Aufnahmen von Vincenti auch in Veroffentlichungen, zum Beispiel des Botanikers Walter Busse uber die Pflanzen und Landwirtschaft in Deutsch-Ostafrika, veroffentlicht. Rezeption = Historische Studien und Bildwissenschaft = Aufnahmen aus Deutsch-Ostafrika dienen wie andere historische Bilder und Texte als Dokumente fur die Forschung zur Geschichte Ostafrikas und seiner Bewohner sowie ihrer Bedeutung fur den Betrachter. Hier sind insbesondere Wissenschaften wie die Visuelle Anthropologie, Visual History und historische Bildwissenschaft zu nennen. So zeigt beispielsweise eine Webseite des Deutschen Historischen Museums zu Deutsch-Ostafrika als Erganzung zum Text Vincentis Foto eines kolonialen Schulraums mit Tafeln zum Unterricht und Wandbildern des deutschen Kaisers Wilhelm II. und seiner Gattin. Oben auf derselben Webseite befindet sich ein weiteres historisches Foto, das den deutschen Fotografen Otto Haeckel wahrend dessen Reise nach Deutsch-Ostafrika mit einer Balgenkamera auf Stativ vor einer Hutte zeigt. Ein kolonialgeschichtliches Forschungsprojekt zur Sammlung des Botanikers Karl Braun veroffentlichte 2024 ein Panoramabild Vincentis der Forschungsstation Amani in den Usambara-Bergen. Im Vergleich zu den Fotografien von Kolonialbeamten, Wissenschaftlern und Amateuren wurden von den kommerziellen Fotografen, die den seit den 1880er Jahren stark expandierenden europaischen Markt fur Aufnahmen aus Afrika bedienten, weniger authentische Bilder von Afrika und seinen Volkern geschaffen. Kommerzielle Fotostudios produzierten ansprechende und verkaufsfordernde Fotografien, indem sie die fotografierten Personen sorgfaltig in bestimmten Posen und mit „typischer“ Kleidung und Schmuck in Szene setzten. Ihre manipulierten Darstellungen trugen somit zur Stereotypisierung Afrikas und der Afrikaner bei. Im Kontext der Postcolonial Studies, der Visuellen Kultur und der Kritischen Weißseinsforschung werden solche Darstellungen mit dem Begriff kolonialer Blick bezeichnet. Eine Studie zur deutschen Kolonialfotografie mit Bezug zu dem damals zu Deutsch-Ostafrika gehorenden Gebiet des modernen Staates Ruanda versucht, anhand einer Bildpostkarte aus Vincentis Verlag Hintergrunde uber ihre Entstehung zu erortern. Darauf sind zwei Manner in traditioneller Kleidung zu sehen, die als „Watussi-Sultane. Deutsch-Ostafrika.“ bezeichnet sind. Daruber hinaus sind jedoch keine weiteren Angaben zu dieser Aufnahme im kolonialen Bildarchiv der Universitatsbibliothek Frankfurt am Main enthalten. Auch wenn der Fotograf dieser Aufnahme unbekannt ist, geht die Autorin der Studie davon aus, dass Vincenti als Verleger großes Interesse an Bildern von Mitgliedern des ruandischen Konigreichs hatte. Im Kontext ihrer Bildanalyse kolonialer Fotografien stellt die Autorin abschließend fest: „Die Ergebnisse von Vincentis Arbeit treten also vor Augen, ohne lebensgeschichtliche oder kolonialpolitische Aussagen uber die Hintergrunde seiner Bilderwelt treffen zu konnen.“ = Vincentis Fotografien in Sammlungen = In Deutschland befinden sich Fotografien und Ansichtskarten von Vincenti in den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums, der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, der Universitat Frankfurt am Main sowie des Ethnologischen Museums Berlin. In letzterer befindet sich neben einzelnen Positivabzugen in Schwarz-Weiß auch ein Fotoalbum mit dem Titel Original-Aufnahmen aus Deutsch-Ostafrika; Dar-es-Saalam [sic] aus den Jahren 1901–1902 mit Silbergelatineabzugen auf Karton mit Vincentis Firmenzeichen und dem Vermerk „Vervielfaltigung vorbehalten“. Das Ethnografische Museum in Budapest besitzt eine Serie von Vincentis Aufnahmen vom Bau und Betrieb einer katholischen Missionsstation der Benediktinerkongregation von St. Ottilien in den Jahren 1894–1895 im sudlich von Daressalam gelegenen Kurasini. Diese sind mit dem Vermerk „Originalaufnahme u. Verlag von C. Vincenti, Dar-es-Salaam. Ost-Afrika“ versehen und wurden von Vincenti auch als Bildpostkarte vertrieben. In den USA bestehen eine umfangreiche Sammlung in der Beinecke Rare Book and Manuscript Library der Yale University sowie eine kleinere in der Frank and Frances Carpenter Collection der Library of Congress in Washington, D.C. Auch private Sammler besitzen historische Fotos von Vincenti. So versteigerte das Auktionshaus Sotheby’s ein Fotoalbum zu Sansibar und Daressalam, worin 32 Fotos den runden Firmenstempel von Vincenti tragen. Weiterhin verkaufte die Kunstagentur Artnet 2014 eine Sammlung von 58 Original-Fotografien Vincentis aus Deutsch-Ostafrika. Auszeichnungen 1905: Silbermedaille auf der Louisiana Purchase Exposition, St. Louis Literatur Eliane Kurmann: Fotogeschichten und Geschichtsbilder: Aneignung und Umdeutung historischer Fotografien in Tansania. Campus Verlag, Frankfurt / New York 2023, ISBN 978-3-593-45187-9 (campus.de). Sophie Junge: Fotografie und Kolonialismus. Editorial. In: Fotogeschichte. Beitrage zur Geschichte und Asthetik der Fotografie. Nr. 162, 2021 (fotogeschichte.info). Heike Behrend: Contesting Visibility: Photographic Practices on the East African Coast. transcript Verlag, 2014, ISBN 978-3-8394-2456-8 (englisch, google.com). Jens Jager: Fotografie und Geschichte. Campus Verlag, 2009, ISBN 978-3-593-38880-9 (google.com). Paul S. Landau: Images and Empires: Visuality in Colonial and Postcolonial Africa. Hrsg.: Paul S. Landau, Deborah D. Kaspin. University of California Press, Berkeley/Los Angeles/London 2002, ISBN 0-520-22949-5, Empires of the Visual: Photography and Colonial Administration in Africa, S. 141–171 (englisch, google.com). Thomas Theye (Hrsg.): Der geraubte Schatten: eine Weltreise im Spiegel der ethnographischen Photographie. Bucher, Munchen / Luzern 1989, ISBN 3-7658-0646-3 (archive.org [PDF]). Weblinks Fotografien von Carl Vicenti in den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin Reproduktion einer Naturaufnahme Lianen oder Kletterpflanzen von Carl Vincenti, 1904, im Kunsthandel Einzelnachweise
Carl Vincenti (* 1871; † 1940 in Munchen) war ein deutscher Fotograf und Inhaber eines Fotostudios in Daressalam, Deutsch-Ostafrika. Seine Fotografien aus der Zeit von 1894 bis ca. 1914 umfassen eine Vielzahl von Motiven, darunter Aufnahmen von Deutschen und Einheimischen, kolonialen Bauwerken und Stadtansichten sowie Landschaftsaufnahmen, die Ausschnitte aus dem Alltagsleben und der Natur im damaligen Deutsch-Ostafrika dokumentieren. Exemplare seiner Fotografien und Postkarten befinden sich in den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums, des Ethnografischen Museums in Budapest sowie deutscher und US-amerikanischer wissenschaftlicher Bibliotheken.
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c-49
Die Jetins sind kleinwuchsige Fabelwesen aus der bretonischen Mythologie, die zur Kategorie der Lutins gehoren. Sie werden vor allem in den Kustenregionen der Ille-et-Vilaine in der Bretagne und auf der Kanalinsel Guernsey erwahnt. Ursprung und Charakteristik Der Name „Jetins“ leitet sich vom franzosischen Verb jeter („werfen“) ab, was auf ihre Fahigkeit hinweist, große Steine zu werfen. Varianten des Namens sind J’tins oder J’tuns. Es wird vermutet, dass sie wie die verwandten Fions von den englischen fairies abstammen. Dafur spricht ihr Lebensraum in Meereshohlen, den Houles (von engl. hole fur Loch). Die Jetins werden als kleine Mannlein von etwa anderthalb Fuß (ca. 45 cm) beschrieben. Sie tragen rustikale Kleidung, einen behaarten Hut und silberne Holzschuhe. Ihre hervorstechendste Eigenschaft ist ihre enorme Kraft, mit der sie hausgroße Steine uber große Entfernungen schleudern. Damit wird in der bretonischen Folklore das Vorhandensein riesiger Felsbrocken auf den Feldern erklart. Lebensraum und Verhalten Die Jetins bewohnen vorwiegend Kustenhohlen und Felsspalten entlang der Kuste von Ille-et-Vilaine und auf Guernsey. Sie sind besonders an den Ufern des Flusses Rance anzutreffen. Trotz ihres Lebensraums in den Houles teilen sie diesen nicht mit den Grottenfeen. Jetins gelten als verspielt und gesellig. Nachts verlassen sie ihre Hohlen, um in der Landschaft Schabernack zu treiben, zum Beispiel Pferdemahnen zu verfilzen oder Huhnerstalle zu offnen. Trotz ihrer Streiche sind sie im Grunde großzugig und geben jedem Brot, Speck und Wurst, der sie darum bittet. Ein wichtiger Aspekt der Jetin-Folklore ist ihre angebliche Praxis, menschliche Babys zu entfuhren und durch ihre eigenen, gealterten Wechselbalger zu ersetzen. Diese Wechselbalger wachsen nicht und saugen standig an der Brust. Nach uberlieferten Geschichten bekommen Eltern ihre Kinder zuruck, indem sie den Wechselbalgern mit dem Tod drohen. Moderne Interpretationen In der zeitgenossischen Literatur wurden die Jetins von Autoren wie Pierre Dubois aufgegriffen und ausgeschmuckt. In seiner Grande Encyclopedie des lutins („Große Enzyklopadie der Lutins“) schreibt er ihnen zusatzliche Eigenschaften wie die Versiegelung des Zugangs zum Palast der Grottenfeen zu, nachdem sie die Bretagne verlassen hatten. Siehe auch Zwerg (Mythologie) Einzelnachweise
Die Jetins sind kleinwuchsige Fabelwesen aus der bretonischen Mythologie, die zur Kategorie der Lutins gehoren. Sie werden vor allem in den Kustenregionen der Ille-et-Vilaine in der Bretagne und auf der Kanalinsel Guernsey erwahnt.
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c-50
Unter dem Begriff Spilhaus-Projektion werden verschiedene Weltkartenentwurfe des Ozeanografen Athelstan Frederick Spilhaus zusammengefasst. Die Grundlage aller Karten bildet der Versuch, alle Ozeane der Erde als eine zusammenhangende Wasserflache darzustellen, d. h. als ein Weltmeer. In ihrer ab Herbst 2018 popular gewordenen und in ArcGIS implementierten Form wird unter der Spilhaus-Projektion oft eine quadratische Karte verstanden, die auf einer Projektion des Kartografen Oscar S. Adams basiert. Ihr Nutzen fur die Ozeanografie besteht darin, dass weltmeerubergreifende Zusammenhange wie die globalen Meeresstromungen in einer Karte visualisiert werden konnen. Hintergrund und Entwicklung Auf den meisten Weltkarten bilden Wasserflachen die Rander der Kartenflache, so dass die Kontinente optimal zur Geltung kommen. Laut Spilhaus’ eigener Aussage ist es fur die Ozeanografie allerdings von grundlegender Bedeutung, dass das Weltmeer im Prinzip ein kontinuierliches Wasservolumen mit relativ freiem Austausch ist. Spilhaus versuchte daher nun, die ubliche Darstellung so umzukehren, dass auf einer Weltmeerkarte Kontinentalflachen am Kartenrand liegen und die Meeresflache optimal prasentiert wird. Im Jahr 1942 veroffentlichte er eine Publikation mit zwei Karten, die die gesamte Wasserflache der Erde ununterbrochen als eine Einheit darstellen sollten. Eine der beiden Karten basierte auf der winkeltreuen, epizykloidalen August-Projektion und bildete Meeresstromungen im Winterhalbjahr (der Nordhalbkugel) ab, die andere nutzte eine flachentreue Hammer-Aitov-Projektion und zeigte Meeresoberflachentemperaturen. Da an den Randern Kontinentteile wiederholt abgebildet werden, handelt es sich nicht um eine kartographische Projektion im strengen Sinne. Spilhaus-Projektionen von 1942, jeweils mit Tissotscher Indikatrix 1979 stellte Spilhaus schließlich eine quadratische Ozeankarte vor, die er zusammen mit Robert Hanson und Erwin Schmid entwickelt hatte. Welche Projektion dabei verwendet wurde, ist in der Veroffentlichung nicht exakt erklart. Ein Team von ArcGIS-Mitarbeitenden fand allerdings große Ahnlichkeiten mit einer quadratischen Weltkarte von Oscar S. Adams aus dem Jahr 1929, die geeignet verschoben und verkippt wurde. Ein Rand der Karte beginnt im Suden Chinas (bei 115° Ost und 30° Nord), fuhrt durch die Beringstraße (169° West und 65.3° Nord) und endet in Argentinien (65° West und 30° Sud). Die Abbildungsmethode bringt es mit sich, dass bestimmte Bereiche mehrfach auftreten, darunter die Kuste des Golfs von Mexiko, Gebiete in Zentralamerika, die sudamerikanische Westkuste sowie der Bereich nordlich der Beringstraße. In leicht modifizierter Form ist dies die Spilhaus-Projektion, die mit ArcGIS gezeichnet werden kann. Da die Landflachen fur diese Art von Ozeankarten ohnehin nicht interessant sind, werden sie oft ausgeblendet oder weggeschnitten. Im Jahr 1983 veroffentlichte Spilhaus zwei weitere, nun kreisformige Karten mit derselben Zielstellung. Eine Karte nutzt eine flachentreue Lambert-Projektion. Die andere Karte zeigt die Erde in winkeltreuer stereografischer Projektion, wobei das Zentrum bei 95° West, 45° Sud liegt: Wiederum bilden Kontinentalflachen die Rander der Karte, das Weltmeer liegt innerhalb. Zusammengefasst und leicht variiert finden sich alle diese Kartenentwurfe, erweitert um Karten, die die Plattentektonik visualisieren, auch in Spilhaus’ Atlas of the World von 1991. Bedeutung Die Spilhaus-Projektion kann prinzipiell uberall dort angewendet werden, wo ozeanubergreifende Sachverhalte dargestellt werden sollen, darunter Meeresstromungen, Oberflachentemperaturen, Erdbeben, Plattengrenzen, Meeresbodentopografie, Magnetfeldanomalien, die Verteilung Schwarzer Raucher und vieles mehr. Auch konnen „einzelne“ Ozeane auf den ersten Blick bequem miteinander verglichen werden. Auch fur die Darstellung weltweiter klimatologischer Zusammenhange bietet die Spilhaus-Karte eine wertvolle Grundlage. Weblinks Einzelnachweise
Unter dem Begriff Spilhaus-Projektion werden verschiedene Weltkartenentwurfe des Ozeanografen Athelstan Frederick Spilhaus zusammengefasst. Die Grundlage aller Karten bildet der Versuch, alle Ozeane der Erde als eine zusammenhangende Wasserflache darzustellen, d. h. als ein Weltmeer. In ihrer ab Herbst 2018 popular gewordenen und in ArcGIS implementierten Form wird unter der Spilhaus-Projektion oft eine quadratische Karte verstanden, die auf einer Projektion des Kartografen Oscar S. Adams basiert. Ihr Nutzen fur die Ozeanografie besteht darin, dass weltmeerubergreifende Zusammenhange wie die globalen Meeresstromungen in einer Karte visualisiert werden konnen.
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c-51
Das Konzil von (Basel-)Ferrara-Florenz(-Rom) (lateinisch Concilium Ferrariense-Florentinum-Romanum) stellt das letzte einer Reihe von Konzilien dar, die versuchten, das Morgenlandische Schisma zu uberwinden, was aus Sicht der Lateiner bedeutete, die Byzantiner und die orientalischen Nationalkirchen unter papstliche Jurisdiktion zu bringen. Die von Kaiser Johannes VIII. Palaiologos und dem Okumenischen Patriarchen Joseph II. geleitete byzantinische Delegation war zu erheblichen theologischen Zugestandnissen bereit, weil sie auf Militarhilfe hoffte. Das Konzil wurde ursprunglich zum 23. Juli 1431 von Papst Martin V. nach Basel einberufen, wo es eigenstandig bis zum Jahre 1449 weitergefuhrt wurde. Eugen IV., der Nachfolger Martins V., verlegte das Konzil 1438 nach Ferrara und 1439 nach Florenz. Am 5. Juli 1439 wurde mit der Unterzeichnung des Dekretes Laetentur coeli durch den Papst und 116 Lateiner sowie den Kaiser und 32 Byzantiner die Kirchengemeinschaft hergestellt und am Folgetag mit einem Festgottesdienst gefeiert; anschließend reiste die byzantinische Delegation ab. Nach erfolgreichen Unionsverhandlungen mit einer Delegation des armenischen Katholikats von Sis (Bulle Exultate Deo, 22. November 1439) reisten auch die meisten lateinischen Konzilsteilnehmer ab. Die verbliebenen Konzilsvater beschlossen Unionen mit Delegationen weiterer orientalischer Kirchen: Kopten, Maroniten, Nestorianer und Jakobiten. Konzilsort war ab September 1443 Rom. Da das Konzil von Basel parallel zum Konzil von Ferrara–Florenz weiterarbeitete, hat es sich in der Forschung durchgesetzt, das Konzil als zwei voneinander unabhangige Versammlungen – einmal Basel, einmal Ferrara-Florenz – zu betrachten. Ferrara-Florenz wird als 17. okumenisches Konzil der romisch-katholischen Kirche gezahlt. Die Kirchenunion als Thema auf dem Konzil von Basel Das Konzil von Konstanz hatte am 9. Oktober 1417 das Dekret Frequens verabschiedet, demzufolge Konzilien „haufig“ (die Ubersetzung des Anfangswortes des Dekrets) tagen sollten. Papst Martin V. berief in Ubereinstimmung mit dem Dekret das erste Folgekonzil funf Jahre spater im Jahre 1423 nach Pavia und das darauf folgende Konzil sieben Jahre spater fur 1430 nach Basel ein (danach sollten alle zehn Jahre Konzilien tagen). Die fristgemaße Eroffnung fur das Jahr 1430 verzogerte sich u. a. durch den Tod Martins V. und die erforderliche Wahl von Papst Eugen IV. (1431–1447). Die in Basel versammelten Konzilsvater gaben sich ein eigenes Statut und eine eigene Tagesordnung, die ihre Vorstellung vom Vorrang des Konzils uber den Papst darlegten – diese Position nennt man Konziliarismus. Eine Besonderheit von Basel – gerade im Vergleich mit Ferrara-Florenz – ist das Kooptationsprinzip: Die Konzilsvater konnten selbst uber die Aufnahme neuer Mitglieder entscheiden. Bis 1443 waren durch dieses Verfahren etwa 3350 Personen inkorporiert und etwa 300 bis 400 zeitgleich anwesend, darunter ein erheblicher Anteil von Universitatstheologen (etwa 22 Prozent) und Ordensleuten; der Anteil von Bischofen schwankte zwischen 5 und 15 Prozent. Franzosen und Deutsche stellten etwa je ein Drittel der Teilnehmer. Papst Eugen ließ am 23. Juli 1431 das Konzil eroffnen, kummerte sich aber einstweilen nicht weiter darum. Im Jahr 1430 hatte ein osmanisches Heer nach zweimonatiger Belagerung Thessaloniki eingenommen. Immer prekarer wurde die Situation des Byzantinischen Reichs und seiner Hauptstadt Konstantinopel. Aber auch Venedig und Ungarn sahen das osmanische Vordringen als Bedrohung ihrer Existenz. Wenn Byzantiner und Lateiner ihre seit Jahrhunderten kultivierten theologischen Gegensatze zugig uberwanden, konnten sie auch militarisch gegen den gemeinsamen Gegner vorgehen. Der byzantinische Gesandte am papstlichen Hof in Rom schlug Eugen IV. deshalb vor, ein okumenisches Konzil in einer italienischen Stadt abzuhalten. Eugen schlug dem Basler Konzil daher einen Umzug nach Bologna vor. Kardinal Giuliano Cesarini antwortete dem Papst im Namen des Konzils, die Verstandigung mit den Hussiten sei vordringlich, und das Thema einer Verstandigung mit Byzanz werde schon lange ohne Fortschritte behandelt. Von ihrer geografischen Lage her sei die Stadt Basel aber geeignet, um beide Themen dort zu besprechen. Der Papst erklarte daraufhin die Versammlung in Basel am 18. Dezember 1431 fur aufgelost. Doch das Konzil ignorierte die Auflosung, unterstutzt vom deutschen Konig Sigismund und anderen weltlichen Machten, die in Basel durch Gesandte vertreten waren. Das Konzil erklarte am 15. Februar 1432 in Anlehnung an das Konstanzer Dekret Haec sancta synodus, dass es seine Autoritat direkt von Christus beziehe und daher gegen den Willen der Konzilsvater weder aufgelost noch verlegt werden konne. Eugen IV. gab nach und erkannte das Konzil von Basel am 15. Dezember 1433 mit der Bulle Dudum sacrum an. Gegen die Hussiten fuhrte Konig Sigismund funf Kreuzzuge. In allen wurde der Konig von diesen schwer geschlagen. Doch dann spalteten sich die Hussiten in radikale Taboriten und gemaßigte Utraquisten. Sigismund und das Konzil einerseits, die Utraquisten andererseits verstandigten sich: Auf Grundlage eines formlosen Vergleichs von 1433 wurden im Juli 1436 die Kompaktaten von Iglau (Jihlava) abgeschlossen. Dieser Erfolg starkte die Bedeutung des Konzils. Im Konflikt zwischen Basler Konzil und Papst versuchten unterdessen beide Seiten, durch eine Kirchenunion mit den Byzantinern Prestige zu gewinnen. Die erste Basler Gesandtschaft nach Konstantinopel reiste am 2. Januar 1433 ab. Da war der Papst langst im Gesprach mit den Byzantinern. Im Sommer 1434 trafen drei byzantinische Gesandte in Basel ein und wurden dort begeistert empfangen. Einer von ihnen war Isidor, der Vorsteher des Demetriosklosters von Konstantinopel. Hier zeigte sich ein Problem: die allermeisten Konzilsvater verstanden kein Griechisch; der sizilianische Humanist Giovanni Aurispa avancierte wegen seiner Zweisprachigkeit zum Hauptubersetzer. Die Konzilsvater trafen nun Maßnahmen, um sich fur die kunftigen Verhandlungen mit den Byzantinern besser aufzustellen. Sie beriefen eine Gruppe griechischsprechender Gelehrter, zu der neben Aurispa auch der latinisierte Grieche Andreas Chrysoberges und mehrere Humanisten gehorten: Ludovico da Strassoldo, Francesco Filelfo, Ambrogio Traversari, Guarino da Verona, Vittorino da Feltre, Pietro Vitali, der Abt von Grottaferrata, und Antonio da Rho. Das Ergebnis der Verhandlungen im Sommer 1434 war das Dekret Sicut pia mater (1. September 1434), das etliche kustennahe Orte fur ein Unionskonzil vorschlug, aber auch Buda oder Wien ins Gesprach brachte. Doch die Gesandten, die das Dekret in Konstantinopel uberbrachten, erklarten dort, das Konzil gedenke in Basel zu bleiben, und die byzantinische Delegation solle dorthin reisen; alle entstehenden Kosten trage das Konzil. Dem Papst wurde das Dokument Sicut pia mater zugeleitet; er stimmte zu. Unterdessen hatte der papstliche Gesandte Cristoforo Garatoni den Byzantinern vorgeschlagen, das Konzil in Konstantinopel auszurichten und kehrte Anfang 1435 mit zwei byzantinischen Gesandten an den papstlichen Hof zuruck, der sich mittlerweile in Florenz befand. Eugen IV. ließ den Austragungsort Konstantinopel fallen und schickte Garatoni mit seinen griechischen Begleitern weiter nach Basel. Dort stimmten die Byzantiner dem Dekret Sicut pia mater zu und reisten nach Konstantinopel zuruck, um ihren Kaiser und Patriarchen dafur zu gewinnen. In Konstantinopel sorgten aber Formulierungen in der Einleitung des Dekrets, die die Byzantiner als Schismatiker bezeichneten, fur Verargerung. Im Februar 1437 schrieben Kaiser und Patriarch dem Konzil, sie lehnten es ab, nach Basel zu reisen. Im Sommer 1437 diskutierten die Konzilsvater in chaotischer Weise die Frage des Ortes fur das Unionskonzil. Die Konkurrenz zum Papst hatte sich so verscharft, dass viele sich nur einen Ort außerhalb der papstlichen Machtsphare, d. h. außerhalb Italiens, vorstellen mochten. Die Mehrheit wollte in Basel bleiben und war allenfalls mit einer Verlegung nach Avignon oder Savoyen einverstanden. Eine Minderheit akzeptierte auch Florenz, Udine oder sonst eine Stadt, die sowohl dem Papst als auch den Byzantinern gelegen ware. Diese Minderheit erbat am 20. Mai 1437 die Zustimmung Eugens IV. Dieser entsandte papstliche Galeeren mit Garatoni und Nikolaus von Kues zusammen mit den Bischofen von Digne und von Porto als Vertreter der Konzilsminderheit an Bord nach Konstantinopel, um die griechische Delegation abzuholen. Im September liefen diese Schiffe im Hafen von Konstantinopel ein – und kurz darauf, am 3. Oktober 1437, traf dort auch eine vom Konzil entsandte Flotte zur Aufnahme der byzantinischen Delegation ein. Diese hatte immer noch keine klare Botschaft, ob das Unionskonzil nun in Basel, Avignon oder einer Stadt in Savoyen zusammentreten sollte. Die Byzantiner entschieden sich, an Bord der papstlichen Galeeren zu gehen und die Einladung des Basler Konzils auszuschlagen. Konzil von Ferrara–Florenz–Rom = Teilnehmer = Eugen IV. verlegte das Konzil durch die Bullen Doctoris Gentium (16. September 1437) und Pridem ex iustis (30. Dezember 1437) nach Ferrara und lud die Byzantiner hierzu ein. Er ubernahm auch die Kosten fur Reise und Aufenthalt. Eine hochrangige byzantinische Delegation reiste daraufhin im November 1437 auf vier vom Papst gemieteten Galeeren aus Konstantinopel ab, deren Begleitung ein Florentiner und drei venezianische Schiffe bildeten. Fantino Vallaresso, der lateinische Erzbischof von Candia, schatzte die byzantinische Delegation auf 200 vornehme Personen, mit ihrem Gefolge insgesamt fast 700 Personen. An ihrer Spitze standen der Kaiser Johannes VIII. Palaiologos und der greise Okumenische Patriarch Joseph II. (1360–1439). Vor allem aus griechischen Quellen sind rund 50 Kleriker und 30 Laien namentlich bekannt. Anfang 1437 wurde klar, dass die Patriarchen von Alexandria, Antiochia und Jerusalem keine Ausreisegenehmigung des Mamlukensultans Barsbay erhalten wurden, in dessen Machtbereich sich ihre Patriarchensitze befanden. Damit das Konzil aber okumenisch sein konnte, mussten sie dort durch Bevollmachtigte reprasentiert werden. Sie benannten je zwei Stellvertreter, aber nicht aus ihrem eigenen Klerus, sondern aus dem des Patriarchats von Konstantinopel, bei deren Auswahl der Kaiser folglich Einfluss nehmen konnte. Ursprunglich waren folgende Personen benannt worden: fur Alexandria Metropolit Antonios von Herakleia und Hieromonachos Markos Eugenikos, fur Antiochia Metropolit Ioasaph von Ephesos und Hieromonachos Isidor (letzterer wurde zwischenzeitlich zum Metropoliten von Kiew berufen) und fur Jerusalem der Protosynkellos Gregorios Mammas und Hieromonachos Dionysios. Wahrend des Konzils wurden einige Anpassungen und neue Beauftragungen erforderlich. Außerdem wurden drei Monchstheologen kurz vor der Abreise aus Konstantinopel zu Metropoliten erhoben, um ihrem Beitrag auf den Konzilsverhandlungen moglichst großes Gewicht zu verleihen: Markos Eugenikos wurde Metropolit von Ephesos, Dionysios Metropolit von Sardes und Bessarion Metropolit von Nikaia. Moglich war das durch die Gebietsverluste des Byzantinischen Reichs: In seiner Endphase lagen Ephesos, Sardes und Nikaia außerhalb seiner Grenzen. Die Amtsinhaber waren daher eine Art Titularbischofe, und weil die Bischofssitze nicht mehr durchgangig besetzt wurden, verfugte der Kaiser uber einen Pool hoher Kirchenamter, die er kurzfristig vergeben konnte. Seinen Bruder Demetrios Palaiologos, zu dem er ein gespanntes Verhaltnis hatte, nahm der Kaiser wahrscheinlich nur deshalb nach Italien mit, damit dieser wahrend seiner Abwesenheit in Konstantinopel keine Unruhe stiften konnte. Die Zahl der Lateiner auf dem Konzil von Ferrara-Florenz fluktuierte und ist aufgrund der Quellenlage schlechter einschatzbar als fur das Konzil von Basel. Deutlich ist aber, dass die Zahl der Inkorporierten wesentlich niedriger war, da der in Basel stark vertretene mittlere und niedere Klerus fehlte; es waren zwar mehr Bischofe und Abte als in Basel anwesend, doch muss diese Zahl angesichts der vielen kleinen italienischen Bistumer relativiert werden. Bei den Abten und Bischofen dominierten die Italiener sehr stark mit regionalen Unterschieden. Besonders gut vertreten war das Konigreich Neapel, wahrend Mailand weiter das Konzil von Basel beschickte. Dieser Trend wird noch ausgepragter, wenn man berucksichtigt, dass griechische, dalmatinische und einige franzosische Bischofssitze durch Italiener (meist Venezianer) besetzt waren. „Frankreich und Spanien sind schwach vertreten, Nord-, Mittel- und Osteuropa, aber auch England fallen fast aus“, bilanziert Johannes Helmrath – ein nicht nur verglichen mit der Beschickung der Konzilien von Konstanz und Basel, sondern auch mit dem IV. Lateranum, II. Lugdunense und V. Lateranum ungewohnlicher Befund. Der einzige deutsche Konzilsteilnehmer war Johannes Kreul (Crewel), Bischof von Osel-Wiek, der sich allerdings als Prokurator des Deutschen Ordens ohnehin an der Kurie aufhielt; aus dem Reich war – so weit aus den Quellen erkennbar – kein bedeutender Kleriker von sich aus angereist. (Nikolaus von Kues hatte die byzantinische Delegation zwar auf der Ruckreise begleitet, wurde dann aber als papstlicher Diplomat an europaische Furstenhofe entsandt und war somit kein Teilnehmer des Konzils von Ferrara/Florenz.) = Eroffnung = Papst Eugen ließ das Konzil in bewusster Konkurrenz zu Basel am 8. Januar 1438 durch seinen Legaten Kardinal Niccolo Albergati eroffnen. De facto aber begann die Konzilstatigkeit erst mit dem Eintreffen des Papstes selbst (27. Januar) sowie der byzantinischen Delegation (4./7. Marz) und der von Basel abgereisten Minderheit unter Kardinal Giuliano Cesarini ab Marz des Jahres. Patriarch Joseph II. weigerte sich, dem Papst wie in Lateineuropa ublich den Fußkuss zu leisten; Eugen IV. bestand nicht darauf, gewahrte dem Patriarchen aber nur einen Privatempfang. Um die Sitzordnung wurde in der Eroffnungsphase stark gerungen. Lateiner und Byzantiner saßen sich in zwei Reihen gegenuber. Der Papst wunschte als Vorsitzender zwischen beiden Reihen am Kopfende zu thronen, was ihm die Byzantiner nicht zugestanden. Die Losung bestand darin, dass Christus den Platz des Vorsitzenden einnahm, reprasentiert durch ein Evangelienbuch, das auf einem Thron vor dem Altar ausgestellt wurde. Eugen IV. erhielt einen erhohten Sitz auf der Seite der Lateiner, dem kein Byzantiner gegenubersaß. Der Platz neben ihm wurde fur den abwesenden Kaiser des Westens symbolisch freigehalten. Gegenuber diesem leeren Kaiserthron stand der Thron des byzantinischen Kaisers, auf dessen Seite nun als Nachstes der Patriarch seinen Thron einnahm, gegenuber einem der lateinischen Kardinale – der Patriarch musste also hinnehmen, im Rang zu einem Kardinal herabgestuft zu werden. Schließlich konnte das Konzil am 9. April 1438 in der Kathedrale von Ferrara feierlich eroffnet werden. Bei diesem Festakt fehlte Joseph II. krankheitshalber; anwesend waren der Papst, Kaiser Johannes VIII., 118 Kardinale, Bischofe und Abte der Lateiner, 20 byzantinische Bischofe und weitere Kleriker und Hoflinge. Der Kaiser, der in Erwartung militarischer Hilfszusagen nach Ferrara gereist war, forderte einen viermonatigen Aufschub, um die Ankunft der Delegationen von europaischen Furstenhofen abzuwarten. Deren Prasenz war in Ferrara-Florenz aber ungeachtet vieler papstlicher Einladungsschreiben schwach. Nur die Gesandtschaft des in seinem Anspruch auf die Krone von Neapel vom Papst abhangigen Rene I. (Anjou) war bereits ab April anwesend; eine hochkaratig besetzte Delegation Philipps III. von Burgund traf im November 1438 ein. Ansonsten ließ sich nur Amadeus VIII. von Savoyen (der vor seiner Wahl zum Gegenpapst in gutem Einvernehmen mit Eugen IV. stand) zeitweise durch Gesandte vertreten. Als Gastgeber waren die Este und Medici vor Ort, außerdem Reprasentanten der Republik Venedig und des Furstentums Tarent. Aber die großen europaischen Hofe fehlten. Einige sympathisierten weiter mit dem konkurrierenden Konzil von Basel. Der eher papsttreue Konig Heinrich VI. von England war an dem Konzilsthema Kirchenunion nicht interessiert; Karl VI. von Frankreich schickte erst im November 1441 Gesandte zum Konzil, die sich dort aber nur mit franzosischen Anliegen im engeren Sinn befassten. = Erste Gesprachsrunden = Den Lateinern war der vom Kaiser gewunschte mehrmonatige Aufschub nicht recht, und sie gewannen ihre byzantinischen Gaste fur mehrere theologische Ausschusse, die mit je zehn Delegierten beschickt wurden. Eine Diskussion der Themen Filioque und Eucharistie in diesem Rahmen lehnte Johannes VIII. ab. Die Ausschusse behandelten deshalb im Juni–Juli das Thema Fegefeuer und tauschten schriftliche Stellungnahmen aus. Der Dissens zwischen ostlichen und westlichen Konzeptionen konnte nicht uberwunden werden; wohl im Zusammenhang mit dem Auftreten der Pest in Ferrara wurden diese Zusammenkunfte in der zweiten Julihalfte ergebnislos abgebrochen. Wahrend die Seuche grassierte, verließ Kaiser Johannes VIII. die Stadt und ging in den Landereien der Este ausgiebig der Jagd nach. = Diskussionen um das Filioque = Metropolit Isidor von Kiew und ganz Russland reiste mit einem Gefolge von rund hundert Personen von seinem Amtssitz Moskau aus uber Riga, Lubeck, Nurnberg, Innsbruck und Padua an; die Gruppe schmolz unterwegs stark zusammen. Mitte August traf Isidor zusammen mit dem Bischof von Susdal in Ferrara ein. Am 8. Oktober begannen die eigentlichen Konzilsverhandlungen mit einer Rede Bessarions, des Metropoliten von Nikaia; anschließend eroffnete Markos Eugenikos, der Metropolit von Ephesus, die Gesprache uber den Zusatz filioque in der lateinischen Fassung des Glaubensbekenntnisses von Nizaa-Konstantinopel. In zwei Sitzungen erlauterte Bessarion die byzantinische Sicht, in allen weiteren Markos Eugenikos: Der Wortlaut des Glaubensbekenntnisses sei unantastbar, erlauternde Zusatze unzulassig. Als eine solche Erlauterung wollten die Lateiner aber das Filioque verstanden wissen; nicht der Wortlaut, sondern die Glaubensaussage des Bekenntnisses sei unveranderlich – so Giuliano Cesarini als fuhrender lateinischer Konzilstheologe gegen Bessarion. Unterdessen bereitete die Versorgung der byzantinischen Delegation Schwierigkeiten. Als Gastgeber hatte der Papst zugesagt, ihren Unterhalt zu bezahlen. Er war damit aber in Verzug und nahezu bankrott, zumal er zeitgleich ein Soldnerheer unterhalten musste, das den Kirchenstaat gegen die Angriffe des Mailander Herzogs Filippo Maria Visconti und Alfons’ von Aragon und Neapel verteidigte. Als der Mailander Condottiere Niccolo Piccinino gegen Ferrara vorruckte, verlegte Eugen VI. das Konzil mit der Bulle Decet oecumenici concilii (10. Januar 1439) nach Florenz; die Stadt hatte zugesagt, den Unterhalt der Byzantiner sicherzustellen. Offizieller Verlegungsgrund war die weiter bestehende Seuchengefahr in Ferrara. Im Verlauf des Monats Marz 1439 fanden acht offentliche Diskussionen in Frage-Antwort-Form uber die Bedeutung des Filioque statt. Obwohl die meisten Konzilsteilnehmer nicht zweisprachig waren, wurde die Sprachbarriere relativ problemlos gemeistert: Niccolo Sagundino, ein Venezianer griechischer Abstammung, war als „genialer Simultandolmetscher“ imstande, auch subtilste theologische Texte in beide Richtungen zu ubersetzen. Seitens der Lateiner disputierte der Dominikaner Giovanni Montenero, seitens der Byzantiner Markos Eugenikos. Die ersten funf Sitzungen waren ein ergebnisloser Schlagabtausch uber die Echtheit oder Unechtheit einiger Kirchenvaterzitate. Dass die Diskussion sich darauf zuspitzte, welche Seite uber die besseren Textausgaben verfugte, lag einerseits daran, dass die beiderseits anerkannte Autoritat der Kirchenvater das war, was Lateiner und Byzantiner verband – andererseits entsprach es auch dem humanistischen Ideal der Ruckkehr zu den antiken Quellen (ad fontes). Humanistennetzwerke arbeiteten unterstutzend am Rande des Konzils mit. Insbesondere der Kamaldulenser Ambrogio Traversari als bester Patristiker der Lateiner durchsuchte gemeinsam mit Tommaso Parentucelli die Bibliothek der Abtei Pomposa nach Kirchenvater-Manuskripten und ubersetzte seine Funde laufend ins Lateinische. In der sechsten Sitzung trug Eugenikos eine Gesamtdarstellung der byzantinischen Lehre vom Ausgang des Heiligen Geistes nur aus Gott dem Vater vor; letzterer sei nach Lehre aller Konzilien und Vater die „einzige Quelle der Gottheit“. In den letzten beiden Sitzungen fehlte Eugenikos aus unbekanntem Grund, und Giovanni Montenero legte die lateinische Lehre des doppelten Ausgangs des Heiligen Geistes aus Gott dem Vater und Gott dem Sohn dar. Die Lateiner wunschten eine Antwort der Byzantiner: entweder Gegenargumente oder Zustimmung. Diese Antwort verzogerte sich aber durch die schwere Erkrankung des Patriarchen, mit dessen Tod zu rechnen war. In internen Zusammenkunften der Byzantiner zeichnete sich unterdessen ab, dass eine Fraktion um Markos Eugenikos zu keinen Zugestandnissen bereit war und die Lateiner fur Haretiker hielt, wahrend die Gegenpartei um Bessarion eine Zustimmung zum Filioque mit der Konsequenz einer Kirchenunion anstrebte. Als theologischer Berater des Kaisers aus dem Laienstand arbeitete Georgios Kurtesios Scholarios daran, das Filioque so zu interpretieren, dass es fur die byzantinischen Theologen akzeptabel war. Die byzantinische Partei forderte eine schriftliche Darlegung des Filioque an, erhielt sie, nahm am Text Anderungen vor, die wiederum aus Sicht der Lateiner zweideutig waren. So drehte sich alles im Kreis. Dass die Gruppe um Markos Eugenikos schließlich das Nachsehen hatte, lag, so Joseph Gill, an einem Axiom der orthodoxen Theologie, dem zufolge alle heiligen Vater identisch und rechtglaubig lehren; alle Widerspruche mussten daher scheinbar sein und sich bei genauerer Untersuchung auflosen. Von Montenero damit konfrontiert, dass lateinische Kirchenvater unzweifelhaft das Filioque lehrten, blieb Eugenikos nicht anderes ubrig, als die Manuskripte dieser Kirchenvatertexte fur unecht zu erklaren. Als ihm klar wurde, dass die Mehrheit seiner Delegation unbedingt die Kirchenunion wollte, zog er sich zuruck. Am 3. Juni erklarten der Patriarch, alle bis auf zwei Metropoliten und mindestens zwei theologische Berater des Kaisers mit dessen Billigung, in der Lehre stimmten Ost und West uberein. Die Lateiner forderten aber daruber hinaus auch die Akzeptanz der lateinischen Formel, und nach weiteren internen Diskussionen waren die Byzantiner am 7. Juni auch hierzu bereit. Am 10. Juni starb Patriarch Joseph II, ein entschiedener Befurworter der Union, und wurde in der Florentiner Kirche Santa Maria Novella beigesetzt. = Auf dem Weg zum Dekret Laetentur coeli = Nach dem beim Filioque letztlich erfolgreichen Muster wurden nun die Themen Papstprimat und (auf Wunsch Eugens IV.) Eucharistie abgehandelt: Die Lateiner reichten einen Text ein und bemuhten sich, Einwande der Byzantiner durch weitere Erlauterungen zu entkraften. Am 24. Juni standen die Gesprache vor dem Scheitern. Der Papst rettete die Situation durch eine Rede, in der er zwar seinen Primatsanspruch herausstrich, den Byzantinern aber auch in einigen Punkten entgegenkam, „indem er in der Unionsdefinition jeden Hinweis auf die Kontroverse um die Epiklese strich, einen Satz uber verschiedene Stufen der Belohnung fur die Seligen einfuhrte und eine Rangordnung der Patriarchate einfuhrte“ mit Konstantinopel hinter Rom auf dem zweiten Platz. In der Primatsfrage stellte das Konsensdokument letztlich beide Denkmodelle nebeneinander, ohne sie aufeinander zu beziehen: Zunachst wurde in westlicher Begrifflichkeit der Papstprimat dargestellt, dann die Rangfolge der funf Patriarchate entsprechend dem orthodoxen Modell der Pentarchie. In der westlichen Rezeption war die erste Aussage dogmatisch verbindlich, die zweite ein ehrwurdiger Brauch; in der ostlichen Lesart war hier lediglich der Ehrenvorrang des Patriarchen von Rom zugestanden – die zweite Aussage schrankte die erste ein. Nach einem letzten Feilen an Formulierungen erfolgte am 5. Juli 1439 mit der Unterzeichnung des Dekretes Laetentur coeli durch den Papst und 116 Lateiner sowie den Kaiser und 32 Byzantiner der Abschluss der Union. Die byzantinischen Unterzeichner waren bis auf den Kaiser samtlich Kleriker: 18 Metropoliten, ein Bischof, der Megas Protosynkellos fur das Patriarchat Alexandria, funf Spitzenbeamte des Okumenischen Patriarchats, ein Protopapas von Moldoblachia und sechs Klostervorsteher oder Reprasentanten von Klostern. Am Folgetag wurde dieses Dokument in lateinischer Sprache durch Cesarini, in griechischer Sprache durch Bessarion in der Kathedrale von Florenz feierlich verlesen und von den anwesenden Konzilsteilnehmern angenommen. Innerhalb der byzantinischen Gesandtschaft verhielt sich Markos Eugenikos kontrar zu den Erwartungen, die der Kaiser an ihn hatte. Er blieb sich treu und unterzeichnete das Unionsdekret nicht. Im Spatsommer 1438 hatte er vergeblich versucht, Florenz Richtung Venedig zu verlassen, vermutlich um von dort aus nach Konstantinopel zu reisen. Andere Unionsgegner sammelten sich um den mitgereisten Bruder des Kaisers, Demetrios Palaiologos. Letzterer hatte zusammen mit dem Philosophen Georgios Gemistos Plethon und Scholarios das Konzil vorzeitig verlassen. Der Metropolit Esaias von Staurupolis entzog sich der Unterschriftsleistung durch Flucht nach Venedig, wo ihn Demetrios schutzte. Der Reprasentant Georgiens, Johannes, unterschrieb ebenfalls nicht. Er zeigte ein erratisches Verhalten: Nachdem er seine Kleider verschenkt hatte, wanderte er durch Italien, bis er krank in Modena eintraf und nach Venedig gebracht wurde. Dort hatte er zuvor sein Geld deponiert, mit dem er die Heimreise antrat. Die kaiserlichen Beamten dagegen verhielten sich alle loyal und stutzten die Unionspolitik; als hochster Beamter und kaiserlicher Vertrauter assistierte Georgios Philanthropenos wahrend der Unionsmesse dem Papst bei der Handwaschung. Diese Unionsmesse fand unter Teilnahme der byzantinischen Delegation nach lateinischem Ritus statt. Die byzantinische Delegation hatte gewunscht, auch eine Unionsmesse nach byzantinischem Ritus mit Teilnahme des Papstes zu zelebrieren; die Lateiner lehnten ab, weil ihnen, der Papst eingeschlossen, der Ablauf der Gottlichen Liturgie unbekannt war. Ernst Gamillscheg listet 19 bekannte Abschriften der Unionsbulle, meist mit kaiserlicher Unterschrift. Einige von ihnen konnen bekannten byzantinischen Kopisten zugeordnet werden. Auffallig ist, dass in sieben Exemplaren die Erwahnung des Papstes oder ein fur den Papstprimat wesentlicher Satz „vergessen“ wurde, Gamillscheg interpretiert dies als Hinweis auf Vorbehalte gegen die Union unter den Mitgliedern der byzantinischen Delegation. = Kulturelle Kontakte = Im Gefolge des byzantinischen Kaisers reisten drei Gelehrte aus dem Laienstand mit nach Ferrara und Florenz: Georgios Amirutzes, Georgios Gemistos Plethon und Georgios Kurtesios Scholarios. Außer den in Florenz und an der Kurie ohnehin tatigen Humanisten, waren weitere westliche Gelehrte eigens angereist, um „Gemistos Plethon, die Sonne Platons, die nach Chrysoloras zweite mythische Griechengestalt“ zu erleben; den hierzu sparlich fließenden Quellen zufolge trafen sich griechische und lateinische Gelehrte in privatem Rahmen zu gemeinsamen Symposien. Auf kaiserlichen Wunsch verteidigte Plethon auf dem Konzil mit der ihm zu Gebote stehenden Beredsamkeit die griechische Lehre vom Ausgang des Heiligen Geistes aus Gott dem Vater. Was er dabei vortrug, veroffentlichte er nach 1450 in einer kleinen Schrift Das Hervorgehen des Heiligen Geistes in der er sich auf der Hohe der Diskussion zeigte. Einflussreicher wurde aber eine eilig wahrend einer Krankheitsphase in Florenz niedergeschriebene Abhandlung Die Unterschiede zwischen Platon und Aristoteles. Der Text war fehlerhaft, doch er traf im italienischen Humanismus einen Nerv: „Gezundet hat der Funke der Platonbegeisterung im Abrucken von Aristoteles. Das traf im Westen auf eine Tendenz des Abruckens von der Scholastik, deren Hauptsaule Aristoteles gewesen war, auf ein Abrucken von scholastischem Latein und scholastischer Wissenschaftlichkeit zugunsten eine Vorstellung von ‚Leben‘, die an der Antike gewonnen war.“ Sowohl auf lateinischer als auch auf byzantinischer Seite waren Kirchenmusiker beim Konzil anwesend, die fur die liturgischen Feiern unverzichtbar waren. An dem Festgottesdienst anlasslich der Kirchenunion am 6. Juli 1439 beteiligten sich Sanger beider Gruppen. Der byzantinische Großekklesiarch Sylvester Syropoulos schreib in seinen Erinnerungen, die Lateiner hatten „einfache emmelische Gesange“ dargeboten (wahrscheinlich meinte er damit Gregorianische Chorale), die ihm weniger zusagten als die „asmatischen“ Gesange der Byzantiner. Daniel Glowotz erlautert: „Der schlichte, in der Regel wenig melismatische Charakter dieser Art von Musik scheint das asthetische Empfinden des Byzantiners Syropoulos beleidigt zu haben, der den kalophonen, von langen Melismen und Koloraturen, Tonbeugungen und Mikrointervallen gepragten, orientalisch klingenden Kirchengesang seiner Heimat gewohnt war, den er konsequenterweise als liedhaft, sanglich, ja musikalisch im Gegensatz zur Kirchenmusik des Westens empfunden haben muss.“ Auf Kunstler der italienischen Renaissance machte die byzantinische Delegation nachhaltigen Eindruck, wie Brigit Blass-Simmen erlautert: „Die Farbigkeit und die, in der romischen Kirche unbekannte, hieratische Wurde der orthodox-liturgischen Gewander, die langen Barte und die Dignitat ihrer Trager – die bereits Vespasiano da Bisticci in seiner Lebensbeschreibung Papst Eugens IV. hervorhob – haben … ihren Niederschlag in vielen nach dem Konzil entstandenen Bildwerken gefunden.“ Besonders beeindruckend war die Erscheinung des etwa 50-jahrigen Kaisers, der von Antonio Pisanello mehrfach skizziert wurde in Vorbereitung seiner Darstellung auf einer großen Bronzemedaille, die besonders den Reisehut (Skiadon) mit vorne aufsteigender Krempenspitze genau wiedergibt. Dieser Hut, manchmal auch mit einer Krone kombiniert, avancierte nicht nur zum Erkennungsmerkmal des Palaiologenherrschers, sondern zum Attribut des Byzantiners und Orientalen uberhaupt. Ein Beispiel fur die Rezeption des Konzils von Ferrara-Florenz in der Kunst ist die Anbetung der Konige von Antonio Vivarini und Giovanni d’Alemagna in der Gemaldegalerie Berlin: Da das Verhaltnis des Heiligen Geistes zu Gott dem Vater und dem Sohn (Filioque) das dogmatische Hauptthema der Verhandlungen war, konnte die Taube des Heiligen Geistes seit Filippo Brunelleschis Sacra Rappresentazione dell’Annunciazione (1439) anstelle des Sterns von Bethlehem in den Mittelpunkt geruckt werden. Vivarini und d’Alemagna stellten den altesten, das Jesuskind anbetenden Konig mit Hut und Haartracht Johannes’ VIII. dar. Ein weiteres byzantinisches Element ist das Maultier mit Blumen-Zaumzeug am rechten Bildrand. = Rezeption in Byzanz = Sobald die Byzantiner die Unterhaltszahlungen empfangen hatten, mit denen die Stadt Florenz zwischenzeitlich auch in Ruckstand war, machten sie sich auf die Heimreise. Vor der Einschiffung in Venedig ermoglichte ihnen der Doge die Feier einer Unionsmesse nach byzantinischem Ritus – Lateiner nahmen nicht daran teil. Der prominenteste Kritiker der Union, Markos Eugenikos, fuhr auf dem kaiserlichen Schiff mit, wahrend Bessarion und Isidor von Kiew als prominente Befurworter der Union nicht nach Konstantinopel reisten. Beide wurden zu Kardinalen ernannt. Bessarion blieb in Italien; Isidor reiste nach Russland „und betrieb dort die Sache der Union.“ Klaus Schatz zufolge tauchten die Delegationsmitglieder, die in der besonderen weltoffenen Atmosphare von Florenz die Union befurwortet hatten, nach ihrer Heimkehr in eine massiv anti-lateinisch gesonnene Bevolkerung ein, gegen die sie sich nicht behaupten konnten. Hier wirkte immer noch die Plunderung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer (1204) nach. Die Unterzeichner des Unionsdekrets „wagten in Konstantinopel erst gar nicht, die Union zu verkunden.“ Isidor von Kiew, der gekleidet wie ein Kardinal der Lateiner in Moskau die Union verkunden wollte, wurde dort 1441 abgesetzt und verhaftet. Als Konstantinopel daraufhin nach mehrjahriger Vakanz einen neuen Metropoliten bestellen wollte, erklarte sich die Moskau-Rus-Metropolie 1448 fur autonom und wahlte Jonas von Moskau zum Metropoliten. Auf einer Synode in Jerusalem 1443 sprachen die orientalischen Patriarchen das Anathema uber die unierten Griechen aus und zwangen damit Kaiser Johannes, wieder zur Orthodoxie zuruckzukehren. Papst Eugen hatte zugesagt, fur einen Kreuzzug gegen das Osmanische Reich zu werben, der Byzanz die erhoffte militarische Entlastung bringen sollte. Burgund und Venedig verstarkten die papstliche Flotte, aber nur Polen und Ungarn stellten Landstreitkrafte. Letztere erlitten am 10. November 1444 in der Schlacht bei Warna eine schwere Niederlage. „Damit war ein machtiges Argument zugunsten der Union, militarische Hilfe fur Konstantinopel, hinfallig geworden.“ Die Erneuerung der Union durch Kaiser Konstantin XI., Bruder und 1448 Nachfolger von Kaiser Johannes, blieb wegen der am 29. Mai 1453 erfolgten Eroberung Konstantinopels durch die Turken, bei der dieser letzte byzantinische Kaiser starb, bedeutungslos. Sowohl Lateiner als auch Byzantiner interpretierten den Fall Konstantinopels als gottliche Strafe. Die Byzantiner sahen in der Kirchenunion das entscheidende Fehlverhalten ihrer kirchlichen und politischen Elite. Aus Sicht der Lateiner, beispielsweise bei Nikolaus von Kues, war der Bruch der Unionsvereinbarung bzw. deren Ablehnung durch die Mehrheit der Konstantinopolitaner, der Sundenfall, der den Untergang der Stadt verschuldet hatte. Betrogene Betruger seien die Griechen, so Cusanus: Um einen weltlichen Vorteil, namlich Militarhilfe, zu erlangen, hatten sie in Ferrara-Florenz Zustimmung geheuchelt und diese spater widerrufen. = Unionen mit weiteren ostlich-orientalischen Kirchen = Etwa zeitgleich mit der Abreise der Byzantiner traf eine Delegation des armenischen Katholikos von Sis, Kostandin VI. (1430–1439) in Florenz ein. Dass Kostandin nach einer Reihe romfeindlicher Amtsinhaber an einer Union interessiert war, wird mit dem Einfluss der romorientierten Krim-Armenier (Fratres Unitores) erklart. Die von ihm entsandte Delegation, zu der jedenfalls die Wardapets Sarchis und Thomas gehorten, brach am 1. Dezember 1438 von Kaffa auf, kam aber erst Ende Juli 1439 in Genua und am 13. August in Florenz an. Die Unionsverhandlungen mit den Armeniern mundeten in die Bulle Exultate Deo (22. November 1539), die eine Aufstellung der sieben Sakramente enthalt und auf armenischer Seite von Sarchis und Thomas unterschrieben wurde. Da der Katholikos Kostandin im Jahr 1439 plotzlich starb, bleib diese Union in Kilikien ohne Auswirkungen. Nach der Verabschiedung des Armenierdekrets reiste die große Mehrheit der Konzilsteilnehmer ab. In den Folgejahren schloss die Papstkirche weitere Unionen: durch das Dekret Cantate Domino (4. Februar 1442) mit den „Jakobiten“, gemeint waren Kopten und Athiopier, durch das Dekret Multa et Admirabilia (30. September 1444) mit den Syrern, durch das Dekret Benedictus sit Deus (7. August 1445) mit den Chaldaern und Maroniten auf Zypern. Die koptische Delegation war einer Einladung zum Konzil gefolgt, die Papst Eugen IV. durch seinen Gesandten am Hof von Konstantinopel, den Franziskaner Alberto di Sarteano, an die griechischen Patriarchen von Alexandria und Jerusalem sowie den koptischen Patriarchen von Kairo gerichtet hatte. Di Sarteano uberbrachte auch einen auf den 26. Juli 1439 datierten lateinischen Brief des Papstes an den koptischen Patriarchen Johannes XI., der einerseits als Bruder angesprochen wurde, andererseits mitsamt der koptischen Christenheit der universalen Hirtensorge des Papstes unterstellt wurde. Johannes XI. antwortete mit einem hoflichen arabischen Schreiben und entsandte den Vorsteher des Antoniosklosters, Abt Andreas, mit di Sarteano nach Florenz. Gioacchino Dahik aus der franziskanischen Kustodie des Heiligen Landes ubersetzte dieses Antwortschreiben ins Italienische, wobei er sich die Freiheit nahm, die papstlichen Wurdetitel zu erganzen, so dass dieses Schreiben als vermeintliche Anerkennung des romischen Primats durch die Kopten rezipiert wurde. In Florenz setzten sich die Missverstandnisse fort. Abt Andreas, der mit einer teils koptischen, teils athiopischen Delegation angereist war (die Athiopier unterstanden der Jurisdiktion des koptischen Patriarchen), hielt vor dem Konzil eine arabische Rede. Ihm war die scholastische Theologie unbekannt; die Kaufleute, die aus dem Arabischen ubersetzen sollten, waren mit theologischen Fachbegriffen ebenso unvertraut wie mit dem Kirchenrecht und der Theologie der Kopten. So ist anzunehmen, dass beide Seiten aneinander vorbeiredeten. Angeblich hatte Abt Andreas den Text der lateinischen Bulle Cantate Domino verstanden und stimmte ihm im Namen seines Patriarchen und seiner Kirche zu; er trug eine arabische Ubersetzung vor, die sich vom lateinischen Original erheblich unterscheidet. Das Konzil wurde im September 1443 nach Rom verlegt; mangels eines Abschlussdatums gilt der Tod Eugens IV. am 23. Februar 1447 auch als Ende des Konzils. = Rezeption in Lateineuropa = Wahrend die westkirchlichen Konzilien des Mittelalters sich nicht explizit als okumenisch deklarierten, wurde das Konzil von Ferrara-Florenz im 15. Jahrhundert als achtes Okumenisches Konzil bezeichnet, das die Reihe der sieben altkirchlichen Konzilien fortsetzte. Dies anderte sich durch Robert Bellarmin, der 1586 (Disputationes de Controversiis Christianae Fidei) ein in der romisch-katholischen Kirchengeschichtsschreibung vorherrschendes Narrativ begrundete: Demnach sollten bei einem Okumenischen Konzil alle Kirchenprovinzen eingeladen und die Mehrheit von ihnen vertreten, aber kein Bischof ausgeschlossen werden. Fur Bellarmin war weiterhin wunschenswert (bene esse), aber nicht unverzichtbar, dass die funf altkirchlichen Patriarchate vertreten waren. Da namlich die vier Patriarchate des Ostens aus seiner Sicht schismatisch waren, reichte fur Bellarmin die Anwesenheit des Papstes als Patriarch des Westens. Mit diesem Kunstgriff machte er Ferrara-Florenz zum 17. und das Tridentinum zum 18. Okumenischen Konzil. Die Unionsverhandlungen von Ferrara-Florenz hatten gezeigt, dass die Verschiedenheit von Riten und Glaubensformeln eine gegenseitige Anerkennung der Rechtglaubigkeit nicht ausschließen muss. Insofern waren sie Blaupause fur die Etablierung mit Rom unierter Ostkirchen, „die bis heute Zeugnis dafur ablegen, daß katholische und lateinische Kirche nicht identisch sind.“ Eine besondere Wirkungsgeschichte hatten die Ausfuhrungen zum Papstprimat im Dekret Laetantur coeli: Wahrend der Verhandlungen des Ersten Vatikanischen Konzils uber die dogmatische Konstitution Pastor Aeternus berief sich die Minderheit der Konzilsvater, welche die papstliche Vollgewalt eingeschrankt sehen wollten, auf das altkirchliche Modell der Pentarchie, wie es als Zugestandnis an die Byzantiner in Laetantur coeli festgehalten worden war. Heutige Bewertung Der katholische Byzantinist und Kirchenhistoriker Joseph Gill betont, die mit Laetentur coeli erreichte Union mit den Byzantinern sei „real, wenn auch kurzlebig. Das hier befolgte Prinzip der Ubereinstimmung im Glauben bei Freizugigkeit im Ritus …diente bei spateren Vereinbarungen, z. B. mit der ukrainischen und rumanischen Kirche, als Richtschnur.“ Kaum weniger wichtig sei der Aspekt, dass der papstliche Erfolg der Kirchenunion und die Definition des Papstprimats in Laetentur coeli im Zusammenspiel mit der ausgepragt antipapstlichen Haltung des konkurrierenden Konzils von Basel „den Konziliarismus in die Schranken wies.“ Aus orthodoxer Perspektive stellt Grigorios Larentzakis fest, dass es Eugen IV. auf dem Konzil vor allem um die Unterwerfung der Kirche des Ostens unter seine Jurisdiktion gegangen sei und er daraus auch direkt Konsequenzen ziehen wollte: Markos Eugenikos, der Metropolit von Ephesos, sollte wegen seiner Unterschriftsverweigerung verurteilt werden; der Nachfolger Josephs II. auf dem Thron des Okumenischen Patriarchen sollte vor Ort in Florenz bestimmt und sodann vom Papst bestatigt und mit seinen Rechten ausgestattet werden. In beiden Fallen widersetzte sich die byzantinische Delegation. Die selektive Rezeption des Unionsdekrets im Westen zeigt sich fur Larentzakis darin, dass im Enchiridion Symbolorum bis zur 31. Auflage (1955) nur der Abschnitt uber den Primat des Papstes abgedruckt und der folgende Abschnitt uber die funf Patriarchate weggelassen wurde. Der Historiker Erich Meuthen sieht die Konzilsorte Basel – Ferrara – Florenz als Etappen eines Wegs nach Rom und verweist auf die Dominanz italienischer Kleriker als Unterzeichner der Unionsbullen: „Die Unterfertiger von ‚Laetentur coeli‘ hatten zu 70 % italienische Amtssitze; beim Armenierdekret waren es schon 80 %, beim Koptendekret 78 %. Die Dekrete gehoren damit in jenen weitgestreckten Prozeß, den man als Italianisierung der Kurie bezeichnet … [und der] mit einer sehr raschen Wiederverstrickung des Papsttums in die italienische Machtepolitik erkauft [wurde].“ Literatur A. N. Edward D. Schofield, Joseph Gill: Basel-Ferrara-Florenz, Konzil von. In: Theologische Realenzyklopadie (TRE). 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Das Konzil von (Basel-)Ferrara-Florenz(-Rom) (lateinisch Concilium Ferrariense-Florentinum-Romanum) stellt das letzte einer Reihe von Konzilien dar, die versuchten, das Morgenlandische Schisma zu uberwinden, was aus Sicht der Lateiner bedeutete, die Byzantiner und die orientalischen Nationalkirchen unter papstliche Jurisdiktion zu bringen. Die von Kaiser Johannes VIII. Palaiologos und dem Okumenischen Patriarchen Joseph II. geleitete byzantinische Delegation war zu erheblichen theologischen Zugestandnissen bereit, weil sie auf Militarhilfe hoffte. Das Konzil wurde ursprunglich zum 23. Juli 1431 von Papst Martin V. nach Basel einberufen, wo es eigenstandig bis zum Jahre 1449 weitergefuhrt wurde. Eugen IV., der Nachfolger Martins V., verlegte das Konzil 1438 nach Ferrara und 1439 nach Florenz. Am 5. Juli 1439 wurde mit der Unterzeichnung des Dekretes Laetentur coeli durch den Papst und 116 Lateiner sowie den Kaiser und 32 Byzantiner die Kirchengemeinschaft hergestellt und am Folgetag mit einem Festgottesdienst gefeiert; anschließend reiste die byzantinische Delegation ab. Nach erfolgreichen Unionsverhandlungen mit einer Delegation des armenischen Katholikats von Sis (Bulle Exultate Deo, 22. November 1439) reisten auch die meisten lateinischen Konzilsteilnehmer ab. Die verbliebenen Konzilsvater beschlossen Unionen mit Delegationen weiterer orientalischer Kirchen: Kopten, Maroniten, Nestorianer und Jakobiten. Konzilsort war ab September 1443 Rom. Da das Konzil von Basel parallel zum Konzil von Ferrara–Florenz weiterarbeitete, hat es sich in der Forschung durchgesetzt, das Konzil als zwei voneinander unabhangige Versammlungen – einmal Basel, einmal Ferrara-Florenz – zu betrachten. Ferrara-Florenz wird als 17. okumenisches Konzil der romisch-katholischen Kirche gezahlt.
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c-52
De Vrouw 1813–1913 (dt.: Die Frau 1813–1913) war eine Ausstellung anlasslich des 100. Jahrestags der Befreiung der Niederlande von den franzosischen Besatzern und des Bestehens als unabhangiges Konigreich (siehe Geschichte der Niederlande). Sie fand vom 2. Mai bis 30. September 1913 auf dem Gelande des Buitenplaats Meerhuizen auf dem Amsteldijk in Amsterdam statt. Sie hob die Leistungen der Frauen in dieser Zeit hervor und ihre Errungenschaften zwischen 1813 und 1913. Planung und Organisation Bereits 1898 war mit der Nationale Tentoonstelling van Vrouwenarbeid in Den Haag eine Ausstellung der niederlandischen Frauenbewegung zu Frauenarbeit gezeigt worden, die Impulse zur Grundung mehrerer Frauenorganisationen und -vereine gesetzt hatte. Ziel von „De Vrouw 1813–1913“ war es zu zeigen, was die Niederlanderinnen in den 100 Jahren seit der Unabhangigkeit der Niederlande im Jahr 1813 erreicht hatten. Die Ausstellung zog Vergleiche zwischen dem Leben und der gesellschaftlichen Stellung von Frauen in den Jahren 1813 und 1913 in verschiedenen Bereichen wie Haushalt, Wahlrecht, Kunst, Literatur, Religion, Sozialarbeit, Sport, Frauenarbeit in den Niederlanden und den Kolonien. So sollte die bedeutende Rolle der Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen als Argument dienen, ihnen auch die vollen Burgerrechte zu verleihen und ihnen nicht weiter „das Wahlrecht, die wirtschaftliche Unabhangigkeit oder den Zugang zu bestimmten Amtern oder Berufen zu verweigern“. Die Ausstellung sollte zudem eine Moglichkeit bieten, Menschen zu erreichen, die sich mit Frauenrechten bisher nicht beschaftigt hatten, und sie von der Bedeutung des Frauenwahlrechts zu uberzeugen. Initiatorinnen der Ausstellung waren die Zoologin Mia Boissevain (1878–1959), die sich in der niederlandischen Vereinigung fur Frauenwahlrecht (Vereeniging voor Vrouwenkiesrecht, VvVK) engagierte, und die Feministin, Aktivistin fur Frauenrechte und Frauenwahlrecht Rosa Manus (1881–1942). Dem Vorstand gehorten außerdem an: Jo van Buuren-Huijs, Johanna Petronella Odijk-Wouters, Louise van Eeghen, Wilhelmina Asser-Thorbecke und Geertruida van Leeuwen-van Maarseveen. Zur Durchfuhrung wurden 150.000 Gulden benotigt. Die niederlandische Regierung forderte das Projekt mit 8.000 Gulden. Weitere Geldmittel wurden durch den Eintritt zur Ausstellung, den Verkauf von Publikationen, durch die Katalogeinnahmen von 75 Cent pro Buch und die Vermietung von Verkaufsflachen in der Galerie erwirtschaftet. Dazu kamen Spenden von Menschen, die die niederlandische Frauenbewegung unterstutzten. Die Ausstellung Das Ausstellungsgelande am Amsteldijk in der Nahe des heutigen Meerhuizenplein im Stadtviertel Rivierenbuurt in Amsterdam-Zuid umfasste das Gehoft Meerhuizen und das umliegende Areal, auf dem Pavillons errichtet wurden. Die Ausstellung dauerte vom 2. Mai bis 1. Oktober 1913. Sie war taglich von 10 bis 21:30 Uhr geoffnet und wurde von 300.000 Menschen besucht. Die Eroffnung der Ausstellung am 2. Mai begann mit einer Rede der Initiatorin Mia Boissevain, bei der unter anderem die Hofdame Thora van Loon-Egidius als Vertreterin der Konigin, Minister Syb Talma und Wilhelmus Frederik van Leeuwen als Kommissar der Konigin anwesend waren. Die Ausstellung wurde offiziell durch die Frau des Burgermeisters Antonie Roell, Anna Adriana barones de Vos van Steenwijk, eroffnet. Weitere offentliche Aufmerksamkeit erhielt die Ausstellung durch die Besuche von Konigin Wilhelmina am 15. Mai und 16. August. In der Tradition der Weltausstellungen wurden „mit einem durchdachten Mix aus Wissen und Unterhaltung, wie Statistiken, historischen Ausstellungen und Partyabenden“ vom 2. Mai bis 1. Oktober 1913 „auf dem Ausstellungsgelande und in den großen Salen die Fortschritte in der Stellung der niederlandischen Frau einem breiten Publikum sichtbar gemacht“. Wie auch in zeitgenossischen Museen ublich, wurden auf dem Ausstellungsgelande Speisen und Getranke angeboten. Die Besucher konnten sich zu den Themen Frauenwahlrecht, Bildung, Statistik, Kolonien, Sozialarbeit, Hygiene und Krankenpflege, Heimarbeit und in der groß angelegten historischen Abteilung informieren. Im Ausstellungszeitraum wurden im Konferenzsaal insgesamt 51 Vortrage zu aktuellen Themen der Frauenbewegung gehalten. Neben Niederlanderinnen sprachen auch bekannte internationale Feministinnen wie die Amerikanerin Carrie Chapman Catt, Prasidentin der International Alliance of Women. Außer dem Katalog gab es das Ausstellungsmagazin De Vrouw, das als offizielles Organ der Ausstellung in 16 Ausgaben uber aktuelle Veranstaltungen informierte. Neben dem Hauptausschuss wurde die Gestaltung der einzelnen Themengebiete durch 24 Unterausschusse geplant und ausgefuhrt. Einen eigenen Raum hatte die Vereinigung fur Frauenwahlrecht (VvVK), in dem sie uber die Entwicklung der Frauenrechte informierte und fur das Frauenstimmrecht warb. Abwechselnd wurden dort Vortrage von der Vereinigung fur Frauenwahlrecht, dem Niederlandischen Bund fur Frauenwahlrecht und der Mannervereinigung fur Frauenwahlrecht gehalten. Auch prominente internationale Feministinnen wie Carrie Chapman Catt und Anna Howard Shaw besuchten die Ausstellung. Der Unterausschuss fur Literatur und Theater unter dem Vorsitz von Carry van Bruggen gab in seiner Abteilung mit Buchern und Portrats einen Uberblick uber die Arbeit moderner niederlandischer Schriftstellerinnen und Schauspielerinnen. Zudem fanden Vortrage und Theaterauffuhrungen statt. Fur die Ausstellung wurden zwei Hauser eingerichtet, die die Einrichtung 1813 und 1913 gegenuberstellten. Das „Het Huis 1913“ entwarf Margaret Staal-Kropholler unter ihrem Pseudonym „Greta Derlinge“ als ein Schauobjekt fur modernes Design. Sie stattete es mit den zeitgenossischen technischen Errungenschaften wie Gas, Elektrizitat und elektrischer Heizung aus, außerdem mit einem Schreibtisch auch fur die Hausherrin. Die Einrichtung einer Sektion Koloniales Leben wurde erst spat in die Planung aufgenommen. In der Ausstellung waren ein indonesisches Haus und ein Raum mit Produkten weiblicher Arbeit aus den Kolonien zu sehen. Anlasslich der Ausstellung wurde Van Vrouwenleven, 1813–1913. Ontwikkelingsgang van het leven en werken der vrouw in Nederland en de kolonien von Anna van Hogendorp veroffentlicht, das Beitrage von Jeltje de Bosch Kemper, M. W. Maclaine Pont und V. C. van der Meer van Kuffeler enthielt. Die Sektion Bildende Kunst wahlte neben Werken von Frauen in der Kunstgeschichte um 1813 auch Beispiele fur die Kunst von Frauen aus ihrer eigenen Zeit. Ein Ausschuss suchte dazu aus den 667 eingereichten Werken von Kunstlerinnen aus dem gesamten Land 357 Stucke von 181 Frauen aus, darunter 29 Skulpturen. Fur einzelne Werke wurden Medaillen vergeben. Samtliche Dekorationen und Werbearbeiten fur die Exponate wurden von Kunstlerinnen angefertigt. Wilhelmina Drupsteen entwarf das Werbeplakat Violett und Grun, das pramiert und auch als Cover des Ausstellungskatalogs gewahlt wurde. Mit daran befestigten Kordeln konnte das Buch wie eine Damenhandtasche getragen werden. Auch die Entwurfe fur die Wandgemalde der Eingangshalle des zentralen Ausstellungsraumes stammten von Drupsteen, die vom Gedicht Gebroken kleuren („Gebrochene Farben“) von Henriette Roland Holst inspiriert waren. Nelly Bodenheim gestaltete die Titelseite des Katalogs der Abteilung Bildende Kunst. Sie verwendete dazu Bilder, um die Buchstaben des Wortes „Katalog“ darzustellen. Die einzelnen Bilder stellten die verschiedenen Kunstformen dar, die niederlandische Frauen ausubten. Beteiligte Kunstlerinnen waren unter anderem: Henriette Addicks: Gemalde Ans van den Berg: Gemalde, Silbermedaille Louise Beijerman: Bildhauerarbeiten, Medaille der 3. Klasse in der Bildhauereiabteilung Wilhelmina Bohl: Gemalde Rachel van Dantzig: Skulptur, Medaille 1. Klasse Hendrika van Gelder Bertha van Hasselt: Gemalde P. van Heerdt tot Eversberg-Quarles van Ufford: Gemalde Anna Kerling: Gemalde Berhardina Midderigh-Bokhorst: Gemalde Charlotte Pothuis: Gemalde Eva Emmelina Seelig: Gemalde Margaret Staal-Kropholler: Innendekoration von Het Huis 1913 auf der Ausstellung Saar de Swart: Skulptur Marie Robert-Jansen: Gemalde, Medaille 1. Klasse Hillegonda Henriette Tellekamp Bas van der Veer: Gemalde Betsy Westendorp-Osieck: Gemalde, Silbermedaille Neben der Vereinigung fur Frauenwahlrecht (VvVK) beteiligte sich auch andere Organisationen, darunter die Tuinbouwschool Huis te Lande (Gartenbauschule fur Madchen). Die Schule gewann bei der Ausstellung mehrere Preise. Ausschusse Es wurden 24 Unterausschusse gebildet, darunter Banken- und Burosektor: Clara Meijers (Vorsitzende), Maria Bouwmeester Bildende Kunst: Therese Schwartze (Prasidentin), Jo Schreve-IJzerman (Vizeprasidentin), Agnieta Gijswijt (Schatzmeisterin), Hendrika van der Pek (Sekretarin), Lizzy Ansingh, Nelly Bodenheim, Jacoba van Heemskerck, Geesje Mesdag-van Calcar, Suze Robertson, Georgine Schwartze und Marie Wandscheer. Der Unterausschuss war hauptsachlich fur die Organisation einer Ausstellung und die Auswahl der eingereichten Werke verantwortlich, war aber auch an der Bewertung des Designwettbewerbs fur ein Plakat beteiligt. Nelly Bodenheim hat den Entwurf fur den Katalog der Abteilung Bildende Kunst entworfen. Historische Kommission: Frau J. Overvoorde-Gordon (Prasidentin), Dinah Kohnstamm, Annie Posthumus, J. M. Sterck-Proot, S. M. Ferman, R. J. van Oven, Frau C. M. Lely, R. de Balbian Verster-Bolderhey Geschichte: Johanna Naber, Nelly Bodenheim, Wilhelmina Drupsteen, Dinah Kohnstamm, Cato Neeb, Greet te Winkel. Diese Kommission hatte die Aufgabe, ein Bild vom Leben der Frauen im Jahr 1813 zu liefern. Kinderliteratur: Ida Heijermans (Vorsitzende), Suze Groshans, H.G. Gunning-de Vries, Annie Gebhart, H.A. Heijermans, Nienke van Hichtum, Nellie van Kol, Nelly Bodenheim, Rie Cramer und Berhardina Midderigh-Bokhorst Literatur und Theater: Carry van Bruggen (Prasidentin), Marie Elise Loke (Vizeprasidentin), Annie Salomons (Schatzmeisterin), Cornelia Serrurier (Sekretarin), Caroline van Dommelen und Annie Oppenheim. Kolonien: H. E. Kasteleyn-Beyerinck (Prasidentin), N. van Zuylen-Tromp (Vizeprasidentin), J. M. Trouw-Gunning (Schatzmeisterin), M. L. van Vollenhoven-Rochussen (Sekretarin), C. Delfos-van der Linde, E. van Deventer-Maas, J. van der Schuijt, J. S. R. Baerveldt-Haver, J. Schuurbecque Boeye, Frau Ginjoolen-Bakker, H. B. de la Bassecour Caan, H. G. de Booy-Boissevain, E. D. de Visser-Quanjer, E. C. van Buuren-du Mosch, F. J. Vattier Kraane-Daendels, E. M. de Jong van Beek en Donk-Stern, G. J. D. Baelde-Schaap, Frau Hissink-Liddell, Frau Hesselberg Ausbildung Wissenschaft, Spiele und Sport: Jeanne van den Bergh van Eysinga-Elias Angewandte Kunst: Margaretha Verwey (Vorsitzende), Alise Monnickendam-Mouzin (stellvertretende Vorsitzende), R. Dorfmeijer (Sekretarin), Gerarda Rueter-de Lang (Schatzmeisterin), Bertha Bake, Tjeerdtje Slothouwer, Francoise Baanders-Fockema, Louise Wildt Literatur Gedenkboek van de tentoonstelling De Vrouw, 1813–1913, Meerhuizen, Amsterdam, 1913, auf Delpher Marianne Hainisch: Das „Executive“ des „Int. Council of Women“ im Haag und die Ausstellung „Die Frau 1813–1913“. In: Der Bund. Zentralblatt des Bundes osterreichischer Frauenvereine, Heft 6/1913, S. 1–4 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/dbd Ein Jahrhundert niederlandischer Frauenarbeit. In: Osterreichische Frauen-Rundschau, Jahrgang 1912, S. 9–10 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/frs Daisy Minor: Frauenkongresse und die Ausstellung „Die Frau 1813–1913“ in Amsterdam. In: Mitteilungen der „Vereinigung der arbeitenden Frauen“ / Osterreichische Frauen-Rundschau, Jahrgang 1913, S. 2–4 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/frs Weblinks Beeldend BeNeLux Elektronisch (Lexicon): De vrouw 1813 - 1913, 1913. Einzelnachweise
De Vrouw 1813–1913 (dt.: Die Frau 1813–1913) war eine Ausstellung anlasslich des 100. Jahrestags der Befreiung der Niederlande von den franzosischen Besatzern und des Bestehens als unabhangiges Konigreich (siehe Geschichte der Niederlande). Sie fand vom 2. Mai bis 30. September 1913 auf dem Gelande des Buitenplaats Meerhuizen auf dem Amsteldijk in Amsterdam statt. Sie hob die Leistungen der Frauen in dieser Zeit hervor und ihre Errungenschaften zwischen 1813 und 1913.
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Die Maison du Frere-Moffet ist ein historisches Gebaude in der Stadt Ville-Marie in der Provinz Quebec in Kanada. Es wurde 1881 auf Initiative des Oblatenbruders Joseph Moffet, auch „Vater von Temiscamingue“ genannt, errichtet und gilt als das alteste Gebaude in Ville-Marie. Geschichte 1863 kamen die Oblaten von Maria Immaculata in die Region und grundeten die Mission Saint-Claude in der Nahe des alten Handelspostens Fort Temiscamingue. 1872 traf Bruder Joseph Moffet in der Mission ein, um sich um die Lebensmittelversorgung zu kummern. Er erkannte schnell, dass der Boden rund um die Mission unfruchtbar war. 1874 fand er fruchtbares Land am Ende der Kelly-Bucht (heute Baie des Peres), etwa 5 km nordlich der Mission. Ohne die Erlaubnis seines Vorgesetzten begann er das Land zu roden und erhielt erst 1879 die Genehmigung, dort eine Farm zu errichten. 1881 wurde auf dem Gelande des Hofes ein kleines Haus gebaut, um Arbeiter und durchreisende Missionare unterzubringen. Ein Jahr spater kam eine Scheune hinzu. Bis zur Grundung des Dorfes 1886 war dies das einzige Gebaude in der Kelly-Bucht. Die Ernteertrage uberstiegen bald den Bedarf der Gemeinde und die Uberschusse wurden an Holzfallerbetriebe und den Markt in Haileybury, Ontario, verkauft. Im Laufe der Jahre wurde das Haus mehrfach transloziert und restauriert. Die erste Versetzung fand 1908 statt, um Platz fur ein Pensionat der Sœurs de la charite d’Ottawa zu schaffen. Danach diente das Gebaude als Schuppen und von 1930 bis 1936 als Wohnung fur den Concierge des Pensionats. 1949 erwarb die Societe d’Histoire de Temiscamingue das Haus. 1954 wurde es zum zweiten Mal versetzt, diesmal auf das Gelande der Landwirtschaftsschule Frere-Moffet. Bei dieser Gelegenheit wurde es restauriert, wobei der Scheunenanbau abgerissen wurde. Eine weitere Restaurierung erfolgte 1958 unter Verwendung von Materialien aus den Gebauden des Fort Temiscamingue. 1973 wurde das Haus zum dritten Mal an den Stadtrand versetzt, wo es zunachst dem Verfall preisgegeben war. Anfang 1978 wurde es zum vierten Mal versetzt, und zwar zuruck auf das Gelande der ehemaligen Landwirtschaftsschule. Die funfte und letzte Versetzung erfolgte 1979 in die Nahe der Kirche Notre-Dame-du-Rosaire. Weitere Restaurierungsarbeiten wurden 2003 und 2015 durchgefuhrt. Bei der letzten Restaurierung wurde eine Bronzebuste des Bruders Moffet vor dem Eingang aufgestellt. Das Haus wurde 1978 und erneut 2005 unter Denkmalschutz gestellt. Seit 1980 ist in dem Gebaude ein Museum eingerichtet, das die Geschichte der Region und ihres Grunders lebendig halt. Architektur Die Maison du Frere-Moffet ist ein Beispiel fur die fruhe Siedlungsarchitektur in Temiscamingue. Das Gebaude auf quadratischem Grundriss wurde aus behauenen Holzbalken in Blockbautechnik errichtet. Das Satteldach mit Gaube ist mit Zedernschindeln gedeckt. Die rechteckigen Fenster sind Schiebefenster, die Turen bestehen aus Holzpaneelen. Die Einfachheit der Konstruktion und die Verwendung lokaler Materialien machen dieses Haus zu einem reprasentativen Beispiel fur die traditionelle Architektur der Region. Museale Nutzung Heute dient das Frere-Moffet-Haus als Museum, das die Geschichte der ersten Besiedlung von Temiscamingue erzahlt. Die Dauerausstellung De la Terre et des Hommes („Von der Erde und den Menschen“) ist dem Leben und Wirken von Frere Moffet sowie der ersten Siedlungswelle in der Region zwischen 1881 und 1920 gewidmet und wird durch jahrlich wechselnde Sonderausstellungen erganzt, die verschiedene Aspekte der lokalen Geschichte beleuchten. Weblinks Offizielle Website (franzosisch) Einzelnachweise
Die Maison du Frere-Moffet ist ein historisches Gebaude in der Stadt Ville-Marie in der Provinz Quebec in Kanada. Es wurde 1881 auf Initiative des Oblatenbruders Joseph Moffet, auch „Vater von Temiscamingue“ genannt, errichtet und gilt als das alteste Gebaude in Ville-Marie.
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Der Asiatische Gepard (Acinonyx jubatus venaticus, Synonyme: Acinonyx jubatus raddei, Acinonyx jubatus venator) ist eine vom Aussterben bedrohte Unterart des Geparden, die derzeit nur noch im Iran vorkommt. Sein Verbreitungsgebiet erstreckte sich einst von der Arabischen Halbinsel und dem Nahen Osten bis zur Kaspischen Region, dem Transkaukasus, der Kysylkum-Wuste und dem nordlichen Sudasien. Er wurde im Verlauf des 20. Jahrhunderts in diesen Regionen ausgerottet, darunter 1997 in Belutschistan. Der Asiatische Gepard uberlebt in Schutzgebieten in der ostlichen und zentralen Trockenregion des Irans, wo die menschliche Bevolkerungsdichte sehr gering ist. Zwischen Dezember 2011 und November 2013 wurden 84 Tiere in 14 verschiedenen Schutzgebieten gesichtet, und 82 davon wurden anhand von Kamerafallenfotos identifiziert. Im Dezember 2017 wurden weniger als 50 Tiere in drei Teilpopulationen vermutet, die uber 140.000 km² in der zentralen Hochebene des Irans verstreut sind. Im Januar 2022 schatzte das iranische Umweltministerium, dass nur noch zwolf Asiatische Geparde, neun Mannchen und drei Weibchen, im Land leben. 2023 sprach ein Mitglied der Iranian Cheetah Society von 30 bis 40 im Iran lebenden Exemplaren. Merkmale Der Asiatische Gepard hat ein gelbbraunliches bis hell rehbraunes Fell, das an den Flanken, an der Vorderseite der Schnauze, unterhalb der Augen und an den Innenseiten der Beine heller ist. Kleine schwarze Flecken sind in Linien auf Kopf und Nacken angeordnet, aber unregelmaßig auf dem Korper, den Beinen, den Pfoten und dem Schwanz verstreut. Die Schwanzspitze ist schwarz gestreift. Das Fell und die Mahne sind kurzer als bei den afrikanischen Gepardenunterarten. Kopf und Korper eines erwachsenen Asiatischen Geparden sind etwa 112 bis 135 cm lang, der Schwanz ist 66 bis 84 cm lang. Das Gewicht betragt etwa 34 bis 54 kg. Die Geschlechter weisen einen Sexualdimorphismus auf, wobei die Mannchen etwas großer sind als die Weibchen. Systematik Die Erstbeschreibung, die auf einer Skizze eines mahnenlosen Geparden aus Indien basierte, erfolgte 1821 von Edward Griffith unter dem Artnamen Felis venatica. Seine Beschreibung wurde 1827 mit Unterstutzung von Griffiths Assistenten Charles Hamilton Smith im Buch Le Regne Animal veroffentlicht. Acinonyx raddei wurde 1913 von Max Hilzheimer fur die Gepardenpopulation in Zentralasien, den Transkaspischen Geparden, aufgestellt. Hilzheimers Typusexemplar stammte aus Merw, Turkmenistan. Evolution Die Ergebnisse einer funfjahrigen phylogeografischen Untersuchung der Gepardenunterarten weisen darauf hin, dass sich die asiatischen und afrikanischen Populationen vor 32.000 bis 67.000 Jahren genetisch voneinander spalteten und genetische Unterschiede aufweisen. Fur die Analyse wurde mitochondriale DNA von 94 Exemplaren aus neun verschiedenen Landern entnommen, darunter wilde Tiere, beschlagnahmte Individuen, Zootiere sowie Museumsexemplare. Die iranische Population wird als autochthon und monophyletisch klassifiziert und stellt den letzten verbliebenen Vertreter der asiatischen Unterart dar. Daruber hinaus zeigten mitochondriale DNA-Analysen von Museumsexemplaren eines indischen und eines sudostafrikanischen Geparden, dass diese sich vor etwa 72.000 Jahren genetisch voneinander trennten. Verbreitungsgebiet und Lebensraum = Heutiges Vorkommen = Der Asiatische Gepard ist in offenen Landschaften, einschließlich kleinen Ebenen und Halbwusten, verbreitet, wo ausreichende Nahrungsressourcen vorhanden sind. Seine Hauptverbreitungsgebiete befinden sich in den Wustenregionen des Dascht-e Kawir im ostlichen Iran, insbesondere in den Provinzen Kerman, Chorasan, Semnan, Yazd, Teheran und Markazi. Eine bedeutende Population ist innerhalb von funf Schutzgebieten anzutreffen, darunter dem Kawir-Nationalpark, dem Touran-Schutzgebiet, dem Bafq-Schutzgebiet, dem Dar-e Anjir-Wildreservat und dem Naybandan-Wildreservat. In den 1970er Jahren wurde der Bestand der Asiatischen Geparden im Iran auf etwa 200 Individuen in elf Schutzgebieten geschatzt. Ende der 1990er Jahre reduzierte sich die Population auf 50 bis 100 Tiere. Erhebungen mittels Fotofallen, die zwischen 2001 und 2012 in 18 Schutzgebieten durchgefuhrt wurden, identifizierten insgesamt 82 Individuen, die in 15 bis 17 Familien lebten. Nur sechs dieser Tiere wurden langer als drei Jahre beobachtet. In diesem Zeitraum kamen 42 Geparden durch Wilderei, Verkehrsunfalle und naturliche Ursachen ums Leben. Die Populationen sind stark fragmentiert, wobei Uberlebensraume insbesondere in den Provinzen Semnan, Nord-Chorasan, Sud-Chorasan, Yazd, Isfahan und Kerman bekannt sind. Im Sommer 2018 wurden ein Weibchen und vier Jungtiere im Touran-Schutzgebiet in der iranischen Provinz Semnan gesichtet. = Ehemalige Vorkommen = Der Asiatische Gepard war einst von der Arabischen Halbinsel und dem Nahen Osten uber den Iran, den Kaukasus, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan bis nach Indien verbreitet. Uberreste aus der Bronzezeit sind aus Troja in Westanatolien und Armenien bekannt. Er gilt in seinem gesamten fruheren Verbreitungsgebiet als lokal ausgestorben, wobei die einzige bekannte uberlebende Population im Iran vorkommt. Im Irak wurde der Gepard 1926 noch in der Wuste westlich von Basra nachgewiesen, und ein 1947 oder 1948 von einem Auto getoteter Gepard war das letzte bekannte Vorkommen in diesem Land. 1973 wurden in der Provinz Ha'il im Norden Saudi-Arabiens zwei Geparde getotet. Auf der Arabischen Halbinsel kam er fruher in den nordlichen und sudostlichen Randgebieten vor und wurde vor 1974 in Saudi-Arabien und Kuwait gemeldet. Im Jemen wurde der letzte bekannte Gepard 1963 im Wadi Mitan, nahe der Grenze zu Oman, gesichtet. In den Dhofar-Bergen des Oman wurde 1977 ein Gepard in der Nahe von Jibjat erlegt. In Zentralasien trugen die unkontrollierte Jagd auf Geparde und ihre Beutetiere, strenge Winter und die Umwandlung von Grasland in landwirtschaftlich genutzte Flachen zum Ruckgang der Population bei. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich das Verbreitungsgebiet in Zentralasien erheblich verkleinert. In den 1930er Jahren waren Geparde auf das Ustjurt-Plateau und die Halbinsel Mangischlak in Kasachstan und Usbekistan sowie auf die Auslaufer des Kopet-Dag-Gebirges und eine Region im Suden Turkmenistans an der Grenze zu Iran und Afghanistan beschrankt. Die letzten bekannten Sichtungen in diesem Gebiet erfolgten 1957 zwischen den Flussen Harirud und Murgab, im Juli 1983 auf dem Ustjurt-Plateau und im November 1984 im Kopet-Dag. Beamte des staatlichen Badhyz-Naturreservats haben bis 2014 keinen Geparden in diesem Gebiet gesichtet; der Grenzzaun zwischen Iran und Turkmenistan konnte die Ausbreitung behindern. Die Gepardenpopulation in Afghanistan ist so stark zuruckgegangen, dass sie seit den 1950er Jahren als ausgestorben gilt. Zwei Felle wurden auf den Markten des Landes entdeckt, eines im Jahr 1971 und ein weiteres im Jahr 2006, letzteres offenbar in der Provinz Samangan. In Indien war der Asiatische Gepard historisch in bestimmten Regionen verbreitet, insbesondere in Rajputana, Punjab, Sindh sowie im Gebiet sudlich des Ganges in Bengalen bis zum nordlichen Teil des Dekkan-Plateaus. Zusatzliche Vorkommen fanden sich im Kaimur-Distrikt, im Mukundara-Hills-Nationalpark sowie in verschiedenen Wustengebieten Rajasthans, Teilen Gujarats und Zentralindiens. Mitte des 16. Jahrhunderts wurde der Asiatische Gepard von Großmogul Akbar zur Jagd auf Hirschziegenantilopen, Indische Gazellen und andere Antilopen eingesetzt. Historischen Quellen zufolge soll Akbar wahrend seiner Herrschaft bis zu 1000 Geparden gehalten haben. Diese Angabe konnte jedoch ubertrieben sein, da es an Belegen fur die ausreichende Unterbringung in Gehegen und der Versorgung mit ausreichend Fleisch einer derart hohen Anzahl an Tieren mangelt. Das Einfangen ausgewachsener Geparde, die ihre Jagdfahigkeiten von ihren wildlebenden Muttern erlernt hatten, zum Einsatz bei koniglichen Jagden gilt als eine weitere Hauptursache fur den raschen Ruckgang der Art in Indien: Die außerst geringe Reproduktionsrate von in Gefangenschaft lebenden Tieren ist durch lediglich einen einzigen nachweislichen Wurf dokumentiert. Da zu Beginn des 20. Jahrhunderts wilde Asiatische Geparde in Indien kaum noch anzutreffen waren, fuhrten indische Fursten zwischen 1918 und 1945 vermehrt Geparde aus Afrika zur Jagd ein. Drei der letzten indischen Geparden wurden 1947 von Maharadscha Ramanuj Pratap Singh Deo erlegt. Ein Weibchen wurde 1951 im Bezirk Koriya im nordwestlichen Chhattisgarh gesichtet. Okologie und Aktivitatsmuster Im Miandascht-Wildreservat wurden zwischen Januar 2003 und Marz 2006 vorwiegend tagsuber Geparden beobachtet, wobei diese Sichtungen haufig in der Nahe von Wasserlaufen stattfanden. Diese Daten legen nahe, dass die Tiere in unmittelbarem Zusammenhang mit der Verfugbarkeit ihrer Beutetiere aktiv sind. Zusatzlich zeigen Kamerafallenaufzeichnungen aus dem Zeitraum von 2009 bis 2011, dass Geparden bedeutende Strecken zurucklegen konnen. Ein Weibchen wurde in zwei verschiedenen Schutzgebieten festgestellt, die etwa 150 Kilometer voneinander entfernt liegen und durch eine Eisenbahnstrecke sowie zwei Straßen getrennt sind. Eine Analyse ahnlicher Daten ergab, dass auch ihre drei mannlichen Geschwister und ein weiteres adultes Mannchen in drei verschiedenen Schutzgebieten dokumentiert wurden, was auf eine Tendenz zu großen Aktionsraumen hindeutet. Nahrungsverhalten Der Asiatische Gepard ernahrt sich von mittelgroßen Pflanzenfressern wie der Indischen Gazelle, Kropfgazelle, Wildschafen, Wildziegen und Kaphasen. Im Khar-Turan-Nationalpark nutzen Geparde eine breite Palette von Lebensraumen, bevorzugen jedoch Gebiete in der Nahe von Wasserquellen. Dieser Lebensraum uberschneidet sich zu 61 % mit dem von Wildschafen, zu 36 % mit dem von Onagern und zu 30 % mit dem von Gazellen. In Indien war die Beute fruher reichlich vorhanden. Vor seiner Ausrottung in diesem Land bestand die Hauptnahrung aus Hirschziegenantilopen, Indischen Gazellen, Axishirschen und Nilgauantilopen. Fortpflanzungsverhalten Belege fur die erfolgreiche Aufzucht von Jungtieren durch die Weibchen sind sehr selten. Einige wenige Beobachtungen im Iran deuten darauf hin, dass sie das ganze Jahr uber ein bis vier Jungtiere zur Welt bringen. Im April 2003 wurden vier Jungtiere in einer Hohle gefunden, die noch geschlossene Augen hatten. Im November 2004 wurde ein Jungtier mit einer Kamerafalle aufgenommen, das etwa 6 bis 8 Monate alt war. Die erfolgreiche Aufzucht hangt von der Verfugbarkeit von Beutetieren ab. Im Oktober 2013 wurde im Touran-Nationalpark ein Weibchen mit vier Jungtieren gefilmt. Im Dezember 2014 wurden im selben Nationalpark vier Geparden gesichtet und mit Kamerafallen fotografiert. Im Januar 2015 wurden drei weitere erwachsene Asiatische Geparde und ein Weibchen mit ihrem Jungtier im Miandascht-Wildreservat gesichtet. Zu dieser Zeit wurden auch elf Geparde und einen Monat spater vier weitere nachgewiesen. Im Juli 2015 wurden funf erwachsene Geparde und drei Jungtiere im Touran-Nationalpark beobachtet. Gefahrdung Der Asiatische Gepard wird seit 1996 auf der Roten Liste der IUCN in der Kategorie „vom Aussterben bedroht“ gefuhrt. Nach der iranischen Revolution von 1979 wurde der Schutz der Wildtiere fur mehrere Jahre unterbrochen. In den Steppen wurden Manover mit bewaffneten Fahrzeugen durchgefuhrt, und die lokale Bevolkerung jagte Geparden und andere Beutetiere unkontrolliert. Die Gazellenpopulation ging in vielen Gebieten zuruck, und die Geparden zogen sich in abgelegene Berggebiete zuruck. Der Ruckgang der Gazellenpopulation, Verfolgung, Landnutzungsanderungen, Lebensraumzerstorung und -fragmentierung sowie Desertifikation trugen zum Ruckgang der Gepardenpopulation bei. Der Gepard leidet unter dem Verlust von Beutetieren infolge der Antilopenjagd und der Uberweidung durch eingefuhrte Viehbestande. Seine Beute wurde verdrangt, als Hirten mit ihren Herden in Wildreservate eindrangen. Ein Hirte verfolgte ein Gepardenweibchen mit zwei Nachkommen auf einem Motorrad, bis eines der Jungtiere aufgrund von Erschopfung zusammenbrach. Er fing das Tier ein und hielt es zwei Wochen lang angekettet in seinem Haus, bis es von Vertretern des iranischen Umweltministeriums befreit werden konnte. Der Bergbau sowie der Straßenbau in der Nahe von Naturschutzgebieten bedrohen ebenfalls die Gepardenpopulation im zentralen und ostlichen Iran. In drei verschiedenen Regionen, in denen Kohle, Kupfer und Eisen abgebaut werden, wird die großte Gepardenpopulation außerhalb geschutzter Gebiete vermutet. Dies betrifft insbesondere die Gebiete Nayband und Bafq, in denen Kohle- und Eisenvorkommen vorliegen. Obwohl der Abbau dieser Rohstoffe an sich nicht direkt schadlich fur die Gepardenpopulation ist, fuhrt die Errichtung von Verkehrswegen und der damit verbundene Verkehr zu einem leichteren Zugang fur Menschen, einschließlich Wilderer. Zudem sind die iranischen Grenzregionen zu Afghanistan und Pakistan, insbesondere die Provinz Belutschistan, wichtige Durchgangsgebiete fur kriminelle Gruppen und Opiumschmuggler, die in den zentralen und westlichen Teilen Irans aktiv sind und dabei den Lebensraum der Geparden durchqueren. Die unkontrollierte Jagd auf diese Tiere in der Wuste bleibt aufgrund mangelnder Kontrolle seitens der Regierungen der betroffenen Lander ein ernstes Problem. Konflikte zwischen Viehhaltern und Geparden gefahrden die Populationen ebenfalls, auch in Gebieten außerhalb ausgewiesener Schutzgebiete. Zahlreiche Hirten haben Geparden getotet, um Viehverluste zu minimieren oder aus Motiven wie Trophaenjagd, kommerziellem Nutzen oder Freizeitaktivitaten. Zudem halten einige Viehhalter große Hunde vom mastiffartigen Typus, um ihre Herden in geschutzten Regionen zu bewachen. Zwischen 2013 und 2016 wurden durch diese Praxis funf Geparden getotet. Zwischen 2007 und 2011 starben in der Provinz Yazd sechs Geparde, dreizehn andere Raubtiere und zwolf Kropfgazellen nach Kollisionen mit Fahrzeugen auf einer Transitstraße. Zwischen 2001 und 2014 wurden mindestens elf Asiatische Geparde bei Verkehrsunfallen getotet. Das Straßennetz im Iran stellt ein sehr hohes Risiko fur die kleine Population dar, da es die Verbindungen zwischen den Populationseinheiten behindert. Bemuhungen, den Bau einer Straße durch das Kerngebiet des Bafq-Schutzgebiets zu stoppen, blieben erfolglos. Zwischen 1987 und 2018 starben im Iran 56 Geparden durch Menschen, 26 wurden von Hirten oder ihren Hunden getotet. Schutzmaßnahmen Im September 2001 startete das iranische Umweltministerium in Zusammenarbeit mit der Globalen Umweltfazilitat des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, der Wildlife Conservation Society, der IUCN/SSC Cat Specialist Group, dem Cheetah Conservation Fund und der Iranian Cheetah Society das Projekt Conservation of the Asiatic Cheetah and its Associated Biota. Mitarbeiter der Wildlife Conservation Society und des iranischen Umweltministeriums begannen im Februar 2007 mit der Funkuberwachung der Asiatischen Geparden. Die Bewegungen der Katzen werden mit GPS-Halsbandern uberwacht. Sanktionen gegen den Iran haben einige Projekte, wie die Beschaffung von Kamerafallen, erschwert. Einige verwaiste Jungtiere wurden in Gefangenschaft aufgezogen, wie zum Beispiel Marita, die 2003 im Alter von neun Jahren starb. Seit 2006 wird der 31. August, der Zeitpunkt ihres Todes, als Tag der Gepardenerhaltung begangen, um die Offentlichkeit uber Schutzprogramme zu informieren. 2014 kundigte die iranische Fußballnationalmannschaft an, dass ihre Trikots fur die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Fußball-Asienmeisterschaft 2015 mit Logos des Asiatischen Geparden bedruckt werden, um das internationale Bewusstsein fur seinen Schutz zu scharfen. Im Februar 2015 fuhrte der Iran die Suchmaschine Yooz ein, die einen Geparden als Logo tragt. Im Mai 2015 kundigte das iranische Umweltministerium an, die Strafe fur das Wildern eines Geparden auf 100 Millionen iranische Toman zu verfunffachen. Im September 2015 fuhrte die Fluggesellschaft Meraj Airlines eine neue Ausstattung mit dem Logo des Asiatischen Geparden ein, um ihre Bemuhungen zum Schutz dieser Tiere zu unterstutzen. Iranische Beamte haben den Bau von Wildtierkorridoren diskutiert, um die Zahl der Todesfalle bei Verkehrsunfallen zu verringern. Geparde in Gefangenschaft Im Januar 2008 wurde ein mannliches Jungtier im Alter von etwa sieben bis acht Monaten von einem Schafhirten aufgegriffen und in Gefangenschaft gebracht. Beamte des Miandascht-Wildreservats und des Touran-Nationalparks haben einige verwaiste Jungtiere aufgezogen. Im Februar 2010 wurden Fotos eines Asiatischen Geparden im "Semi-Captive Breeding and Research Center of Iranian Cheetah" in der iranischen Provinz Semnan veroffentlicht. In einem anderen Nachrichtenbeitrag hieß es, dass das Zentrum etwa zehn Asiatische Geparde in einer halbwilden Umgebung beherbergt, die durch einen Drahtzaun rundherum geschutzt ist. 2014 wurde zum ersten Mal ein Asiatischer Gepard von Wissenschaftlern der Universidad de Buenos Aires geklont. Der Embryo wurde nicht geboren. Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass im Pardisan-Park 18 asiatische Gepardenjunge geboren wurden. Im Mai 2022 brachte eine Asiatische Gepardin in einer Einrichtung im Iran drei mannliche Jungtiere zur Welt; zwei von ihnen starben kurz darauf, wobei Pirouz als einziges uberlebte. Dies ist die erste bekannte Fortpflanzung der Unterart in Gefangenschaft. Am 28. Februar 2023 starb Pirouz Berichten zufolge im Tierkrankenhaus im Iran an Nierenversagen. Literatur Divyabhanusinh: The End of a Trail: The Cheetah in India, 2002, Oxford University Press, India. ISBN 0-19565-891-4 Eskandar Firouz: The complete fauna of Iran. I.B. Tauris & Co Ltd, London 2005, ISBN 978-1-85043-946-2, S. 60–61. Mohammad Farhadinia, Mahmoud-Reza Hemami: Prey selection by the critically endangered Asiatic cheetah in central Iran. In: Journal of Natural History. Band 44, Nr. 19–20, 19. April 2010, ISSN 0022-2933, S. 1239–1249, doi:10.1080/00222931003624770. Mohammad S. Farhadinia, Navid Gholikhani, Pouyan Behnoud, Kaveh Hobeali, Atieh Taktehrani, Fatemeh Hosseini-Zavarei, Morteza Eslami, Luke T. B. Hunter: Wandering the barren deserts of Iran: Illuminating high mobility of the Asiatic cheetah with sparse data. In: Journal of Arid Environments. Band 134, November 2016, S. 145–149, doi:10.1016/j.jaridenv.2016.06.011. E. M. Moqanaki, S. A. Cushman: All roads lead to Iran: Predicting landscape connectivity of the last stronghold for the critically endangered Asiatic cheetah. In: Animal Conservation. Band 20, Nr. 1, Februar 2017, S. 29–41, doi:10.1111/acv.12281. Weblinks Cheetah. In: IUCN/SSC Cat Specialist Group. Abgerufen im 1. Januar 1 (englisch). Iranian Cheetah Society. In: Iranian Cheetah Society. Abgerufen im 1. Januar 1 (englisch). Cheetah Conservation Fund. In: Cheetah Conservation Fund. Abgerufen im 1. Januar 1 (englisch). Video: Hunting with Cheetahs in India auf YouTube Video: Extinctions : Discover the endangered Asiatic cheetah auf YouTube The Persian Cheetah Spotted big cat in Turkmenistan Asiatic cheetah embryos cloned at Royan Institute Einzelnachweise
Der Asiatische Gepard (Acinonyx jubatus venaticus, Synonyme: Acinonyx jubatus raddei, Acinonyx jubatus venator) ist eine vom Aussterben bedrohte Unterart des Geparden, die derzeit nur noch im Iran vorkommt. Sein Verbreitungsgebiet erstreckte sich einst von der Arabischen Halbinsel und dem Nahen Osten bis zur Kaspischen Region, dem Transkaukasus, der Kysylkum-Wuste und dem nordlichen Sudasien. Er wurde im Verlauf des 20. Jahrhunderts in diesen Regionen ausgerottet, darunter 1997 in Belutschistan. Der Asiatische Gepard uberlebt in Schutzgebieten in der ostlichen und zentralen Trockenregion des Irans, wo die menschliche Bevolkerungsdichte sehr gering ist. Zwischen Dezember 2011 und November 2013 wurden 84 Tiere in 14 verschiedenen Schutzgebieten gesichtet, und 82 davon wurden anhand von Kamerafallenfotos identifiziert. Im Dezember 2017 wurden weniger als 50 Tiere in drei Teilpopulationen vermutet, die uber 140.000 km² in der zentralen Hochebene des Irans verstreut sind. Im Januar 2022 schatzte das iranische Umweltministerium, dass nur noch zwolf Asiatische Geparde, neun Mannchen und drei Weibchen, im Land leben. 2023 sprach ein Mitglied der Iranian Cheetah Society von 30 bis 40 im Iran lebenden Exemplaren.
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Bei den Hinrichtungen in Same Ende Januar 1976 wurden etwa 38 Gefangene durch die FRETILIN im osttimoresischen Same ermordet. Es ist eines der großten Kriegsverbrechen, die von der Partei begangen wurden, die im Vorjahr einseitig die Unabhangigkeit von Portugal ausgerufen hatte und gegen die Indonesische Invasion des Landes kampfte. Bei den Gefangenen handelte es sich um Mitglieder der Uniao Democratica Timorense (UDT) und der Associacao Popular Democratica Timorense (APODETI), die im Burgerkrieg 1975 gefangen genommen worden waren. Geschehnisse Am 7. Dezember hatte Indonesien mit dem Angriff auf die Landeshauptstadt Dili offen mit der Invasion Osttimors begonnen. Die FRETILIN hatte zunachst ihre Gefangenen nach Maubisse gebracht. Als auch hier die Lage gefahrlich wurde, transferierte man die verbliebenen 300 bis 400 Gefangenen am 29. Dezember nach Same im sudlichen Distrikt Manufahi. Die Gefangenen wurden dabei gezwungen, auf dem Marsch Munitionskisten zu tragen. Am 30. Dezember trafen sie in Same ein. Am 2. Januar wurden die Gefangenen in Gruppen eingeteilt. Als Grundlage diente die eingeschatzte Bedrohung, die von den jeweiligen Gefangenen ausging. Augenzeugen glauben aber, dass die Kampfer der Forcas Armadas de Libertacao Nacional de Timor-Leste (FALINTIL, der bewaffnete Arm der FRETILIN), die die Aufteilung durchfuhrten, ihre Gefangenen nicht gut genug kannten, um eine realistische Einschatzung vorzunehmen. Zu der Gruppe der „Gefahrlichsten“ (portugiesisch perigosissimo) gehorte Jose Fernando Osorio Soares, Generalsekretar der APODETI und alterer Bruder von Jose Abilio Osorio Soares. Sie kamen in eine unterirdische Zelle im Buro des Administrators des Postos Same. Als weniger bedrohlich Eingestufte kamen unter anderem in das Gebaude der Grundschule von Same. Ende Januar landeten indonesische Truppen in Betano, dem Hafen an der Timorsee, sudlich von Same. Sie ruckten nun nach Norden in Richtung Same und Ainaro vor. Am 27. Januar brachte man die Gefangenen aus dem Buro des Administrators zunachst nach Holarua in das Haus von Major Lorenco, einem UDT-Fuhrer, der bereits einen Monat zuvor in Maubisse ermordet worden war. In derselben Nacht kam Carlos Cesar Correia Lebre (auch bekannt als Cesar Mau Laka), Mitglied im Zentralkomitee der FRETILIN (CCF), nach Holarua. Ihm war die Verantwortung fur die Gefangenen ubertragen worden. Er befahl, acht Gefangene hinauszufuhren, angeblich fur Untersuchungen. Neben Jose Fernando Osorio Soares gehorten zu ihnen seine Verwandten Domingos Osorio Soares und Arlindo Osorio Soares, Mario Zores, Monis da Maia, Saidi Musa, Manuel Jacinto und Peter Mu (auch bekannt als Peter Vong). Die Gefangenen wurden mit verbundenen Augen in ein Fahrzeug gesteckt und man brachte sie zu einem Ort, der Hat Nipah heißt. Einer nach dem anderen wurde aus dem Fahrzeug gebracht und dann erschossen. Monis da Maia wurde durch den Schuss zwar am Hinterkopf verletzt, aber die Wunde war nur oberflachlich. Er kroch in ein Versteck und konnte bei Verwandten in Same Unterschlupf finden. Mario Zores hatte seine Hinrichtung zunachst auch uberlebt. Am nachsten Tag kam er aus seinem Versteck und wollte in Nahe des Hauses von Major Lorenco nach etwas zu essen suchen. Ein Mann uberraschte ihn, als Zores gerade etwas Mais am Dorfbrunnen aß. Ein anderer Mann warf einen Speer, der Zores im Magen traf. Da er noch nicht tot war, wurde er von einem weiteren Mann erschossen. In der folgenden Nacht wurden 34 Gefangene unter der Fuhrung von Lebre von FALINTIL-Kampfern wieder nach Same zuruckgebracht und zu den zehn Gefangenen in der Grundschule gesperrt. Am Morgen des 29. Januars wurden die elf Gefangenen Joao Pereira, Nicolau dos Santos, Jose Tilman, Miguel Pereira, Mateus de Araujo, Alfonso de Araujo, Jose Miquita, Lebeak Lobato, Paulo Pereira, Joao Pereira und Lino Cowboy aus der Grundschule auf einen Wagen gefuhrt, angeblich fur eine offentliche Anhorung. Die Gefangenen hatten aber Angst, hingerichtet zu werden, und als sich das Seil loste, mit dem sie zusammengebunden waren, versuchten sie zu fliehen und sprangen vom Fahrzeug. Lino Cowboy stolperte und wurde erschossen. Paul Pereira wurde ebenfalls beim Fluchtversuch getotet. Die anderen entkamen. Lebre geriet wegen der Flucht der Gefangenen in Zorn und sturmte ins Schulgebaude. Er forderte die verbliebenen Gefangenen auf, sich in einer Reihe aufzustellen, und erklarte: Bevor die Manner mit dem Gebet fertig waren, begannen sechs FRETILIN-Mitglieder zu schießen. Nachdem ihnen die Munition ausgegangen war, verließen sie den Raum und warfen eine Handgranate hinein. Joao da Costa uberlebte das Massaker und konnte spater der Empfangs-, Wahrheits- und Versohnungskommission von Osttimor (CAVR) davon berichten. Neben ihm uberlebten noch drei weitere Manner, die aus dem Fenster sprangen: Filipe Antonio de Aquino Caldas, Bento dos Reis Fernandes und Nazario Corte-Real. Es ist nicht klar, ob Letzterer mit dem spateren Milizenfuhrer Nazario Corte-Real identisch ist. Die Hinrichtungen hatten ein Ende, als eine Gruppe von FALINTIL-Kommandanten, die aus den ostlichen Distrikten stammten, in Same eintraf. Sie hatten erfahren, dass Nicolau dos Reis Lobato, der Premierminister der FRETILIN-Regierung, die Hinrichtung von Jose Fernando Osorio Soares und anderen APODETI-Fuhrern angeordnet habe. Zu der Gruppe gehorten Mauk Moruk (Paulino Gama), Ologari, Antonio Pinto (Kalohan), Moises Quina, Joaquim Ossu, Albino Gusmao, Julio Nicolau und ein Sergeant namens Guido. Sie forderten, das Morden sofort einzustellen, weil es falsch sei, dass die FRETILIN ihre osttimoresischen Landsleute totete. Der Streit zwischen den FRETILIN-Anhangern eskalierte fast zu einer Schießerei, die nur knapp verhindert werden konnte. Als die FALINTIL-Kommandeure Same wieder verließen, nahmen sie eine Gruppe von Gefangenen mit, die aus dem Osten des Landes stammten. Einer der vom Lastwagen Geflohenen fand Zuflucht bei Raul Isaac, einem FALINTIL-Kommandeur in Same. Dieser brachte ihn direkt zu Nicolau Lobato und erklarte: „Dieser Kerl [ist] bei mir, ich mochte nicht, dass ihn jemand anfasst.“ Der Gefangene blieb verschont. Kurze Zeit darauf befahl das CCF die Freilassung aller UDT-Gefangenen. Einige APODETI-Mitglieder blieben aber in Gefangenschaft. Die ehemaligen Gefangenen schlossen sich zum Teil der Bevolkerung in den Widerstandszentren gegen die Indonesier an, einige begannen, aktiv am Widerstandskampf gegen die Invasoren teilzunehmen. Andere gingen in die bereits von Indonesien kontrollierten Gebiete. Wer im Machtbereich der FRETILIN blieb, musste aber mit Verdachtigungen leben und wurde manchmal Ziel von Menschenrechtsverletzungen. Es kam auch zu Morden. Verantwortung Neben Carlos Cesar Correia Lebre wird auch anderen Parteimitgliedern eine Mitverantwortung an den Morden gegeben. Neben Nicolau Lobato sind dies Lito Gusmao, Hamis Bassarewan (Hata), Alarico Fernandes und Kanusa Bino und die lokalen FRETILIN-Fuhrer Pedro Corte-Real, Adriano Corte-Real und Antonio Cepeda. Einzelnachweise
Bei den Hinrichtungen in Same Ende Januar 1976 wurden etwa 38 Gefangene durch die FRETILIN im osttimoresischen Same ermordet. Es ist eines der großten Kriegsverbrechen, die von der Partei begangen wurden, die im Vorjahr einseitig die Unabhangigkeit von Portugal ausgerufen hatte und gegen die Indonesische Invasion des Landes kampfte. Bei den Gefangenen handelte es sich um Mitglieder der Uniao Democratica Timorense (UDT) und der Associacao Popular Democratica Timorense (APODETI), die im Burgerkrieg 1975 gefangen genommen worden waren.
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Das Schloss Boblingen lag in der Kreisstadt Boblingen in Baden-Wurttemberg und wurde 1303 erstmals als Burg urkundlich erwahnt. Das Schloss war im 15. Jahrhundert ein bedeutender Witwenwohnsitz. Hier lebten Mechthild von der Pfalz und Barbara Gonzaga aus Mantua nach dem Tode ihrer furstlichen Ehemanner. Nach mehreren Umbauten wurde das Schloss 1818 als Furstenwohnsitz aufgegeben und diente danach als Schulgebaude. Bei dem Bombenangriff wahrend des Zweiten Weltkriegs auf Boblingen vom 7. zum 8. Oktober 1943 wurde das Schloss schwer getroffen, brannte aus und wurde 1950 abgerissen. Lage Das Schloss Boblingen lag am ostlichen Ende der Boblinger Altstadt auf dem nach ihm benannten Schlossberg. Die ehemalige Stadtmauer ist im heutigen Straßenbild gut erkennbar. Sie verlief vom Elbenplatz im Westen entlang der Poststraße zum Postplatz im Osten und von dort entlang der Sindelfinger Straße und Stadtgrabenstraße zuruck zum Elbenplatz. Das ehemalige Schloss lag am westlichen Ende der Schlossbergstraße. Markantestes Gebaude ist heute St. Dionysius, die ehemalige Schlosskirche. Geschichte = Die Burg = Wann erstmals auf dem Schlossberg eine Burg errichtet wurde, ist nicht bekannt. Moglicherweise war dort im 11. oder 12. Jahrhundert eine Burg zusammen mit anderen Burgen der Gaugrafschaft Glehuntare errichtet worden, wie zum Beispiel die Burg Hildrizhausen oder die Burg Wartenberg. Eine Burg Boblingen wurde jedoch in den Fehden des 12. Jahrhunderts nicht erwahnt. Erst mit dem Ausbau und der Befestigung von Boblingen zur Stadt um das Jahr 1250, vermutlich durch Graf Rudolf aus einer Seitenlinie der Pfalzgrafen von Tubingen, etablierte sich mit dem Niedergang der Macht der Staufer auf dem Schlossberg eine Familie aus dem Hochadel. Die Burg hatte wohl eher wehrhaften Charakter, diente zeitweise als Residenz und war die einzige „Ritterburg“ der Gemarkung Boblingen. Im Jahr 1302 wurde die Burg Boblingen erstmals urkundlich erwahnt. Die Pfalzgrafen von Tubingen verkauften 1344 und 1357 Boblingen in zwei Vertragen an das Haus Wurttemberg. Boblingen wurde in der Folgezeit zu einem wichtigen Verwaltungssitz ausgebaut. Das Amt Boblingen wurde gegrundet und spater das gleichnamige Oberamt. = Entwicklung der Burg zum Schloss = Die Burganlage des Mittelalters wurde an der Schwelle zur Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert als Schloss mit hofischer Kultur ausgebaut. Zeitgenossische Angaben zur Architektur der Burg sind nicht bekannt, doch geben Untersuchungen, die um das Jahr 1800 stattfanden, Einblicke in die bautechnische Geschichte der Gebaude. Die als unregelmaßiges Achteck gebaute Wehrmauer trug acht bis neun Meter uber dem Gelandeniveau einen Wehrgang und war wegen der topographischen Vorgaben nicht als regelmaßiges Oktogon ausgefuhrt; dennoch lassen sich staufische Einflusse vermuten. Die 2,5 bis 3 m breite Wehrmauer pragte den Aufbau und das Aussehen der Gebaude, die ursprunglich in Holz ausgefuhrt waren und im Schutze der Mauer lagen. Durch der Ausbau der Durnitz an der Sudseite der Anlage wurde der Wehrgang an dieser Stelle erstmals geschwacht (wahrscheinlich schon im 14. Jahrhundert). Dieser Sudflugel enthielt alle Einrichtungen, die zum Leben in einer Burg des 13. bis 15. Jahrhunderts notwendig waren. So gab es einen gemauerten Brunnenschacht, der bis zum Grundwasser reichte, Kuche, Keller und Gemacher. Zentrum des hofischen Lebens war der beheizbare Saal, die Durnitz. Das ersten Obergeschoss besaß daruber hinaus einen Einstieg in die Burgmauer. Ab 1530 wurde an der Nordseite der Wehrmauer der Bau des „Neuen Flugels“ unter Habsburger Herrschaft begonnen und bis 1540 unter Herzog Ulrich fertiggestellt. Mit dem Anbau des Kuchen- und Backereitraktes im Jahr 1568 unter Herzog Christoph wurde erstmals außerhalb des achteckigen Mauerzugs gebaut. Die Burg war damit nicht mehr wehrfahig und wurde fortan nur noch als Schloss bezeichnet. Mit dem Tod Herzog Christophs im Dezember 1568 hatte Schloss Boblingen seine Endausbaustufe erreicht, die es, von kleinen Ausbesserungen abgesehen, bis etwa zum Jahr 1800 beibehielt. Fur das Jahr 1630 ist eine Inventarliste bekannt, nach der das Schloss uber etwa 50 Raume verfugte: Gemacher und Stuben, Vorgemacher, von denen aus die Ofen der Stuben und Gemacher betrieben wurden (Ohrn), sowie weitere Kammern. Der Schlosshof hatte zwei Zugange, einen von der Stadtseite (Westen) durch den alten sudlichen Flugel sowie einen von Osten durch einen Torturm. Im Erdgeschoss befanden sich die Kanzlei, die Backstube (Pfisterei) mit Mehlkammer, die große Schlosskuche mit Geflugelkammer und Wildbrettkammer, die Metzig (Schlachterei) und ein Keller. In den oberen Etagen befanden sich die Wohnraume und Sale. Diese waren der Lowensaal im Nordflugel und die Durnitz im Sudflugel. Zu den standigen Schlossbewohnern gehorten der Hausschneider, der Torwart und das Gesinde. = Witwensitz des Hauses Wurttemberg = Am Ende des 14. und im 15. Jahrhundert war das Schloss Boblingen, damals Residenz, Witwensitz des Hauses Wurttemberg. Der Glanz der Hofhaltung war fur die Stadtentwicklung Boblingens und die daraus folgende Entwicklung der Kunst nicht unerheblich. Elisabeth von Bayern (1329–1402), Herrin von Verona und Grafin von Wurttemberg, war die Mutter von Graf Eberhard III von Wurttemberg, genannt „der Milde“. Er wies seiner Mutter die Einkunfte der Stadte Boblingen und Sindelfingen als Wittum zu. Am 23. August 1388 wurde sie Witwe, als ihr Ehemann, Ulrich von Wurttemberg, in der Schlacht bei Doffingen ums Leben kam. Henriette von Mompelgard (zwischen 1384 und 1391–1444) war Grafin von Wurttemberg und mit Graf Eberhard IV. verheiratet. Nach dem Tod von Eberhard IV. ubernahm Henriette 1419 mit mehreren Raten die Vormundschaft uber ihre bis dahin sieben und sechs Jahre alten Sohne, die spateren Grafen Ludwig I. und Ulrich V., und regierte das Land. Im selben Jahr ließ sie wahrscheinlich die fruhere Burgkapelle von Burg Boblingen zur Pfarrkirche Sankt Dionysius umbauen. Obwohl ihr Witwensitz Tubingen und Nurtingen war, lebte sie moglicherweise auch in Boblingen, bevor sie in Mompelgard starb. Mechthild von der Pfalz (1419–1482), Grafin von Wurttemberg und Erzherzogin von Osterreich, wurde in ihrem Geburtsjahr mit dem damals achtjahrigen Grafen Ludwig I. von Wurttemberg verlobt. Nach der Hochzeit 1434 uberschrieb ihr Graf Ludwig 1436 zur Absicherung ihres Heiratsgutes und des Witwengutes die Stadte Boblingen, Sindelfingen, Aidlingen, Dagersheim, Dettenhausen, Darmsheim, Doffingen, Holzgerlingen, Magstadt, Maichingen, Ostelsheim, Schonaich und Steinenbronn. Nach dem Tod Ludwigs im Jahr 1450 zog Mechthild in ihren Witwenwohnsitz im Schloss Boblingen. Sie residierte dort fur die Dauer von zwei Jahren, bis sie 1452 ihren zweiten Ehemann, Herzog Albrecht VI von Osterreich, heiratete. Die Furstenhochzeit im Schloss Boblingen fand um den 10. August 1452 statt und war eines der aufwendigsten Feste des 15. Jahrhunderts und vielleicht das glanzvollste Ereignis in Boblingens Geschichte. Auch nach der Wiederverheiratung behielt Mechthild ihr Witwengut in Boblingen bei. 1463 wurde sie zum zweiten Mal Witwe. Sie starb 1482 in Heidelberg. Barbara Gonzaga (1455–1503) aus Mantua brachte die Ideen des Humanismus der italienischen Renaissance an den wurttembergischen Hof. Sie heiratete im Juli 1474 den spateren Herzog Eberhard im Bart. Ihre Uracher Hochzeit war eine der glanzvollsten Furstenhochzeiten dieser Zeit. Als ihr Ehemann im Februar 1496 starb, nahm Barbara Gonzaga ihren Witwensitz auf Schloss Boblingen. Dort lebte sie bis zu ihrem Tode 1503. Sie pragte das hofische Leben in Boblingen und im Hause Wurttemberg und wirkte nachhaltig an der Kirchenreform mit. Sie trat auch als Mazenin fur Kunst und Nonnenkloster auf, wie zum Beispiel fur das Dominikanerinnenkloster in Kirchheim unter Teck, in dem sie auch beigesetzt wurde. Eva von Wurttemberg-Mompelgard (1468–1558), geborene von Salm, heiratete am 21. Juli 1488 Graf Heinrich von Wurttemberg. In der Folge der Erbstreitigkeiten um die Grafschaft Wurttemberg-Stuttgart und damit um Gesamt-Wurttemberg ließ ihn im August 1490 sein Vetter Eberhard V. (Eberhard im Bart) in Stuttgart verhaften und verbannte ihn auf die Burg Hohenurach. Eva folgte Heinrich dorthin und pflegte ihn weitgehend isoliert von der Außenwelt bis zu seinem Tod im Jahr 1519. Nach Heinrichs Tod lebte sie kurze Zeit auf Schloss Boblingen, von wo aus sie um ihr Wittum kampfte. Sie starb 1558 auf ihrem Witwensitz Reichenweiher. = Jagdschloss = Die Walder um Boblingen waren ein beliebtes Jagdrevier der wurttembergischen Herzoge. Besonders Herzog Karl Alexander von Wurttemberg pflegte hier regelmaßig auf die Jagd zu gehen. Er ließ zum Beispiel 1737 im heutigen Stadtwald von Boblingen unterirdische, gemauerte Pirschgange einrichten, die noch heute teilweise erhalten sind. Durch diese Gange konnte die hofische Jagdgesellschaft wetterunabhangig die Jagdstande wechseln. Nach den Jagdgangen war es ublich, auf Schloss Boblingen prunkvolle Hoffeste zu feiern. Zu diesem Zweck hatte Carl Alexander im dritten Stock des Nordflugels einen Ballsaal einrichten lassen. Dieser war, gemaß der damaligen Mode, nach franzosischem Vorbild im Stil des Rokoko eingerichtet und dekoriert. Die im Schloss ublichen schweren, aus Eisen oder glasiertem Ton hergestellten Ofen wurden durch modische, franzosische Kamine ersetzt. Ebenso waren die schlichten Wandleuchter entfernt worden. An deren Stelle wurden zwei Kronleuchter an der Decke angebracht, die ihr Kerzenlicht „im Diamantfeuer strahlend zuruckwarfen“. Das war „fur die schlichten Boblinger eine nie gesehene Pracht“. So stand dieser Ballsaal im Gegensatz zu dem eher altertumlichen Schloss. Auch Herzog Carl Eugen von Wurttemberg und seine Matresse und spatere Ehefrau Franziska von Hohenheim besuchten regelmaßig Schloss Boblingen. Nach Franziskas Tagebucheintragen ging bei diesen Besuchen Carl Eugen ausgiebig jagen (haufig schon um 6 Uhr fruh), wahrend sie sich mit Lesen und Schreiben die Zeit vertrieb. = Ende des Schlosses = Die Aufgabe der herrschaftlichen Guter begann 1756 unter Carl Eugen mit dem Verkauf des Hundshofs sowie einer betrachtlichen Gutersumme an die Stadt Boblingen. Im Hundshof wurden Jagdhunde gezuchtet und gehalten. Mit dem Tod Herzog Carl Eugens verlor die Jagd absolutistischer Pragung ihren Glanz und das Schloss mit seinen veralteten Einrichtungen genugte nicht mehr den damaligen Anspruchen an Hygiene, Asthetik und Funktionalitat fur einen langeren Aufenthalt des Herrschers. So wohnte um das Jahr 1800 nur noch der Hausschneider als Aufseher im Schloss. Als Folge erfasste nach 1800 die Kommunalisierung und Privatisierung die gesamte Schlossanlage mit Fruchtkasten, Seen und Pferdestallen. Ab 1803 wurden große Umbaumaßnahmen am Schloss in Angriff genommen. Von Westen wurde eine neue Einfahrt in den Schlosshof gebrochen und der Gebaudeteil uber dem Westtor wurden abgerissen. Von Osten erhielt der Alte Flugel eine Scheuneneinfahrt in das Erdgeschoss und der Turm uber dem Osttor sowie Kuche und Backstube wurden abgerissen. Jetzt standen sich die beiden Gebaude des Sudflugels und des Nordflugels gegenuber und zwischen ihnen fuhrte eine Straße durch den ehemaligen Schlosshof vom Postplatz zur St.-Dionysius-Kirche. Am 24. Juni 1818 kaufte die Stadt Boblingen vom Staat, das heißt von Wilhelm I., Konig von Wurttemberg, die beiden Gebaude und ließ sie zu Schulen und Lehrerwohnungen umbauen. Auf den Grundmauern der ehemaligen Schlosskuche wurden ab 1822 Gefangnisse errichtet. Wegen Baufalligkeit wurde der Nordflugel 1839 abgerissen und 1840 durch einen modernen Schulneubau ersetzt. Im verbleibenden ehemaligen Schlossgebaude befanden sich die Wohnungen des Prazeptors, des Reallehrers und eines Schulmeisters sowie die Knabenschule. Im neuen Schulhaus befanden sich die Wohnung des Madchenschulmeisters sowie die Lateinschule, die Elementarschule, die Realschule und die Madchenschule. Der Sudflugel brannte nach dem Bombenangriff vom 7. zum 8. Oktober 1943 vollstandig aus und wurde 1950 abgerissen. Damit waren alle sichtbaren Spuren von Schloss Boblingen verschwunden. Seit dieser Zeit pragt die St.-Dionysius-Kirche auf dem Schlossberg das Stadtbild. Weblinks Stadtbild von Boblingen; 1681 Stadtplan von Boblingen, 1830; Die zwei Schlossflugel stehen westlich der Schlossbergstrasse Podcast: Das Boblinger Schloss – von wichtigen Wurttembergern, Witwen und wilden Tieren Anmerkung Einzelnachweise
Das Schloss Boblingen lag in der Kreisstadt Boblingen in Baden-Wurttemberg und wurde 1303 erstmals als Burg urkundlich erwahnt. Das Schloss war im 15. Jahrhundert ein bedeutender Witwenwohnsitz. Hier lebten Mechthild von der Pfalz und Barbara Gonzaga aus Mantua nach dem Tode ihrer furstlichen Ehemanner. Nach mehreren Umbauten wurde das Schloss 1818 als Furstenwohnsitz aufgegeben und diente danach als Schulgebaude. Bei dem Bombenangriff wahrend des Zweiten Weltkriegs auf Boblingen vom 7. zum 8. Oktober 1943 wurde das Schloss schwer getroffen, brannte aus und wurde 1950 abgerissen.
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Acid ist ein Musikalbum des Perkussionisten Ray Barretto. Es ist 1968 auf dem New Yorker Label Fania Records erschienen. Das Album verbindet gekonnt Elemente des Soul und des Jazz mit traditionellen lateinamerikanischen Rhythmen und wird dem Genre Boogaloo zugerechnet. Hintergrund Nach einer Reihe von Alben fur Tico Records und United Artists unterschrieb Ray Barretto 1968 bei dem noch jungen Label Fania, das sich auf lateinamerikanische Musik aus New York spezialisiert hatte. Acid war Barrettos Debutalbum bei Fania. Die Idee fur den Albumtitel war eine Marketingidee von Jerry Masucci, dem Mitbegrunder von Fania Records. „Acid“ (Saure) ist ein Slangwort fur die damals sehr populare, aber bereits verbotene Droge LSD. Mit dieser Annaherung an den Zeitgeist sollten vor allem jungere Nuyoricans, aber auch schwarze und weiße Kauferschichten aus den Nachbarvierteln angesprochen werden. Durch den Boogaloo Blues (1967) von Johnny Colon & Orchestra gab es schon einen Beruhrungspunkt zwischen Boogaloo-Szene und psychedelischer Bewegung, denn in dessen repetiven Chorus heißt es: „LSD has a hold on me.“ Musikstil Barretto kombinierte auf Acid gekonnt Elemente des Soul und Jazz mit traditionellen lateinamerikanischen Rhythmen wie Cha-Cha-Cha und Son montuno. Diese Fusion war zu jener Zeit innovativ und trug wesentlich zur Entwicklung der Salsa-Musik bei. Die energiegeladenen Percussion-Passagen und die souligen Basslinien erzeugen einen mitreißenden Groove. Neben instrumentalen Stucken bietet das Album auch spanische (El Nuevo Barretto, Sola Te Dejare) und englische Gesangseinlagen, die sich sowohl an die latein- als auch an die afro-amerikanische Nachbarschaft richten und die musikalische Vielfalt des Albums unterstreichen. Englische Titel machen die Halfte des Albums aus: Mercy Mercy Baby, A Deeper Shade of Soul, The Soul Drummers und Teacher of Love. = El Nuevo Barretto = Den Auftakt des Albums macht der funky gespielte Son montuno El Nuevo Barretto (deutsch „Der neue Barretto“). Der Titel verweist auf den Neuanfang nach dem Wechsel zu Fania und verkundet Barrettos neues Programm: „El nuevo Barretto lo invita a bailar.“ (deutsch „Der neue Barretto ladt zum Tanzen ein.“) Den kurzen Blasersatz aus dem Intro wird die Band Santana zwei Jahre spater aufgreifen und in ihrer Version von Tito Puentes Cha-Cha-Cha-Klassiker Oye como va wiederverwenden. = A Deeper Shade of Soul = Die Titelgebung von A Deeper Shade of Soul ist offenkundig eine Anspielung auf A Whiter Shade of Pale von Procol Harum, einem weltweiten Hit aus dem vorherigen Jahr. In dem englisch gesungenen Text geht es um ein Madchen, das weder scharf auf Geld ist, noch auf einen Cadillac. Sie liebt den Sanger allein der Liebe wegen, denn „she’s got soul“ („sie hat Seele“). Das Wort „Soul“ wird hier in seiner doppelten Bedeutung verwendet, denn auch die Komposition ist mit Soul-Elementen versetzt. Im Mittelteil wird eine Akkordfolge aus dem Stax-Klassiker Knock on Wood zitiert. = The Soul Drummers = Die zweite Schallplattenseite eroffnet mit The Soul Drummers, einer Boogaloo-Hommage an afrikanische Rhythmen: Die Soul Drummers spielen so gut, dass man sich bewegen und tanzen mochte. In den englischen Songlyrics heißt es: „It’s so hard to resist with the African twist“ und „You know they can swing that African thing“. = Espiritu Libre = Espiritu Libre bedeutet auf Deutsch „Freier Geist“. Das von Congas getriebene Instrumentalstuck ist mit 8:25 Minuten das langste des Albums und kann durch seine freie Komposition durchaus als psychedelisch bezeichnet werden. Das Stuck fuhrte seinerzeit zu einem kunstlerischen Austausch. Der „Nuyoricanische“ Dichter Victor Hernandez Cruz widmete Barretto das Drum Poem (Free Spirit) aus seinem Gedichtband Snaps und uberreichte dem Musiker ein Buchexemplar. Barretto antwortete auf dem Folgealbum Head Sounds mit seiner Komposition Drum Poem (Free Spirit), an die sich das oben genannte Espiritu Libre anschließt. Das Gedicht von Hernandez ist auf der Ruckseite der Plattenhulle abgedruckt. Titelliste Seite 1 El Nuevo Barretto – 6:49 Mercy Mercy Baby – 2:42 Acid – 5:05 A Deeper Shade of Soul – 2:42 Seite 2 The Soul Drummers – 3:46 Sola Te Dejare (Ray Barretto, Gilbert Lopez) – 3:48 Teacher of Love – 2:26 Espiritu Libre – 8:25 CD-Bonus Guarare Vine pa’ echar candela Vale mas un guaguanco Canto abacua Eras Rezeption John Bush nennt Acid auf AllMusic ein großartiges Dokument fur das Verschmelzen von Latin, Funk und Soul in den spaten 1960er Jahren. Besonders lobt er die Titel El Nuevo Barretto und Acid sowie die Crossover-Stucke A Deeper Shade of Soul, The Soul Drummers und Teacher of Love. Allerdings sei das Album „bei Weitem nicht so psychedelisch, wie der Titel vermuten lasse.“ Der New Yorker Perkussionist und Jazz-Experte Bobby Sanabria bezeichnete das Album als „abwechslungsreiche musikalische Reise“. Fur Sanabria ist der Titelsong Acid das Glanzstuck des Albums: „Das Ergebnis, das in einem Take aufgenommen wurde, ist eine Meisterleistung, die die Asthetik des Jazz mit dem Schwung des afrokubanischen Rhythmus verbindet.“ Der US-amerikanische Kulturwissenschaftler Juan Flores sieht Acid als „ein Album, das sich durch seinen Eklektizismus und seine Bandbreite auszeichnet.“ Literatur Juan Flores: Salsa Rising: New York Latin Music of the Sixties Generation, Oxford University Press, Oxford 2016, ISBN 978-0-19-976489-1, S. 149–152. Mark Goodall: Gathering of the Tribe: Acid: A Companion to Occult Music on Vinyl Vol. 1, SCB Distributors, 2022. Weblinks Acid Lyrics bei Genius (englisch) Acid bei AllMusic (englisch) Acid bei Discogs Acid bei Bandcamp Acid bei Fania Records (englisch) Musikbelege Fania Records: Acid (Fania Goes Psychedelic) auf YouTube Ray Barretto: El Nuevo Barretto (Visualizador Oficial) auf YouTube Ray Barretto: A Deeper Shade of Soul (Lyric Video) auf YouTube Fania Records: The Soul Drummers (Official Visualizer) auf YouTube Einzelnachweise
Acid ist ein Musikalbum des Perkussionisten Ray Barretto. Es ist 1968 auf dem New Yorker Label Fania Records erschienen. Das Album verbindet gekonnt Elemente des Soul und des Jazz mit traditionellen lateinamerikanischen Rhythmen und wird dem Genre Boogaloo zugerechnet.
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Der Held von Haarlem ist eine Geschichte aus den 1850er Jahren uber den Sohn eines Haarlemer Schleusenwarters, der an einem sturmischen Nachmittag ein kleines Loch in einem Haarlemer Deich entdeckt. Der Junge weiß, dass das Loch, wenn das Wasser weiterfließt, immer großer wird und den Deich zum Einsturz bringen konnte. Er zogert keinen Augenblick und halt das Loch mit seinem Finger zu. Einen Abend und eine Nacht lang verteidigt er so buchstablich mit bloßen Handen Stadt und Land gegen das drohende Meer. Die Geschichte Der Ursprung der Geschichte liegt in Frankreich. Sie erschien in einer Geschichtensammlung von Eugenie Foa (1796–1852) mit dem Titel Le petit eclusier („Der kleine Schleusenwarter“), was darauf hindeutet, dass es sich um ein altes Volksmarchen handelt, in dem der Junge seinen Finger benutzt, um ein Leck im Schleusentor zu schließen. Anonyme Ubersetzungen bzw. Adaptationen dieser Geschichte ins Englische erschienen ab 1850 in Zeitschriften in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, wobei die vermutlich erste dieser Publikationen am 23. Februar 1850 in der britischen Wochenzeitschrift Eliza Cook’s Journal erschien; mindestens neun weitere Veroffentlichungen in anderen Sammelwerken erschienen bis Anfang der 1860er Jahre. In Foas Version und den meisten englischsprachigen Versionen der 1850er Jahre steckt der Junge seinen Finger nicht in ein Loch im Deich selbst, sondern in eines in einem holzernen Deichschleusentor. Aber bereits 1858 erschien eine gekurzte englischsprachige Fassung in The Rhode Island Schoolmaster, in der eine Deichschleuse nicht mehr erwahnt wird und der Held stattdessen seinen Finger direkt in den Deich steckt. Die Sage wurde 1866 von der amerikanischen Schriftstellerin Mary Mapes Dodge in ihrem Kinderbuch Hans Brinker oder die silbernen Schlittschuhe aufgezeichnet (New York, 1865). Das Buch enthalt eine Geschichte mit dem Titel Der Held von Haarlem. Der kleine Junge, dessen Name nicht bekannt ist, wurde dabei mit der Hauptfigur des Buches, Hans Brinker, identifiziert. Sie wurde zu einer amerikanischen Sage und dann auch zu einem Stuck hollandischer Importfolklore. Aufgrund der Holland-Manie, die in den Vereinigten Staaten vom spaten neunzehnten Jahrhundert bis etwa 1920 herrschte, wurde die Geschichte in den USA sehr bekannt. Sie wurde ins Niederlandische, Franzosische, Italienische, Russische und als Hans Brinker oder Die silbernen Schlittschuhe ins Deutsche ubersetzt und von der Academie francaise mit einem Preis uber 1500 Francs ausgezeichnet. Literarischer Hintergrund Die Geschichte uber den Helden von Haarlem erschien in mehreren Publikationen. Im Vereinigten Konigreich: 1850, in einer Ausgabe des London Journal of Entertainment and Instruction: „The Little Hero of Haarlem“ 23. Februar 1850, in einer Ausgabe von Eliza Cook’s Journal: „The Brave Little Dutchman“ 1855, in einer Ausgabe des Boy’s Own Magazine: „The Little Dutch Hero“ 1863, The 'Sixth' Standard Reader, zusammengestellt von J.S. Laurie (1863): „The Little Dutch Hero“ In den Vereinigten Staaten: August 1850, in einer Ausgabe des Harper’s Magazine: „The Little Hero of Haarlem“ 1852, in einer Ausgabe von The Ladies' Repository: „The Little Hero of Haarlem“ 1854, Literary Gem: Van Court’s New Monthly Magazine: „The Little Hero of Haarlem“ 1856, in einem Buch von Julia Matilda Olin, A Winter at Wood Lawn 1857, McGuffey’s New High School Reader for Advanced Classes: „The Little Hero of Haarlem“ 1858, The Rhode Island Schoolmaster: „Der Junge am Deich“ 1858/1859, Sargent’s School Monthly: „The Boy at the Deich“ 1868 schrieb Phoebe Cary eine Version in Versform „The Leak in the Dike“. Der kleine Junge wird in diesem Gedicht Peter genannt. 1974, in dem Buch The Hole in the Dike von Norma Green 1987, in dem Buch The Boy Who Held Back the Sea, von Lenny Hort (1987) Im deutschsprachigen Raum: 1909, als Feuilleton „Der kleine Held“ von Hermann Hesse (Ubersetzung einer Novelle von Legoffic): „Und er versperrte den Spalt mit zwei Fingern und stieß dann einen Ruf aus, indem er sich zu dem noch fernen Dorfe wendete, wo die Fenster einiger Strohhutten glanzten wie irdische Sterne.“ Der Disneyzeichner Carl Barks griff die Geschichte auf und veroffentlichte 1964 den Comic Hero of the Dike („Undank ist der Welt Lohn“), in dem Donald Duck die Rolle des Hans Brinker ubernimmt. Anders als in der ursprunglichen Erzahlung endet die Geschichte fur Entenhausen tragisch mit einer Uberschwemmung, weil niemand Donalds Hilferufe beachtet und alle nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Nur fur Donald endet die Geschichte gut, da er sich, mit Daisy selig vereint, in einem uberdimensionalen Holzschuh-Boot und damit im Trocknen befindet und außerdem sein Widersacher Gustav Gans nicht mit Daisy am Holzschuh-Tanz zum Deichfest teilnehmen konnte. Rezeption Man nahm an, dass die Geschichte von „Hansje Brinker“ aus den Niederlanden stammt, was aber nicht zutrifft. Niederlandische Folklore wurde tatsachlich aus Amerika importiert. Insgesamt wurden fast vierzig Ubersetzungen des Buches in allen moglichen Varianten veroffentlicht. Und naturlich hatte man auch in den Niederlanden großes Interesse an diesem amerikanischen Kinderbuch uber einen hollandischen Jungen. In ihrer typisch amerikanischen Heldengeschichte zeigt Mapes wenig Kenntnis uber niederlandische Deiche. Deiche sind keine Steinmauern. Man kann das Wasser nicht durch das Einstecken eines Fingers in ein Loch stoppen. Deiche und Dunen bestehen hauptsachlich aus Sand, Erde, Lehm und ahnlichen Materialien. Wenn das Wasser durch den Deich sickert, ist der gesamte Deich bereits mit Wasser gesattigt. Wenn der Deich bricht, erstreckt sich der Bruch uber eine großere Lange und ist nicht mehr aufzuhalten. Dennoch wurde Hans Brinker zu einem bekannten Symbol des niederlandischen Kampfes gegen das Wasser. Niederlandische Redensweise Der Ausdruck Den Finger in den Deich stecken stammt aus dieser Geschichte. Er wird verwendet, um auf ein bevorstehendes Problem hinzuweisen, das gestoppt werden kann, bevor es großer wird. Roger van Boxtel beispielsweise verwendete den Ausdruck, um darauf hinzuweisen, wie er mit dem Millennium-Bug umgegangen war: „Ich habe eineinhalb Jahre lang Hansje Brinker gespielt. Ich habe meinen Finger in den Deich gesteckt. Er blieb zu.“ In den Niederlanden wird er auch speziell im Zusammenhang mit den Themen Wasserwirtschaft und Klimawandel verwendet. Film Die Geschichte wurde 1910 von dem US-Studio Thanhouser Company unter dem Titel The Little Hero of Holland verfilmt. Der Film ist wahrscheinlich verschollen. Statuen = Spaarndam = Auf Initiative der Vereniging voor Vreemdelingenverkeer wurde 1950 im Dorf Spaarndam in der Gemeinde Haarlem an der Woerdersluis am IJdijk die Statue Peter von Haarlem aufgestellt, die einen Jungen zeigt, der mit dem Finger in einem Deich steckt. Die Statue wurde von Gra Rueb geschaffen. Auf dem Sockel steht: „Unserer Jugend gewidmet als Hommage an den Jungen, der zum Symbol des ewigen Kampfes der Niederlande gegen das Wasser wurde“. Der Name des Jungen wird nicht genannt. Die Statue wurde aufgestellt, weil amerikanische Touristen vergeblich nach dem Ort der Geschichte suchten. = Harlingen = 1962 wurde die Skulptur It Jonkje in Harlingen an der Abfahrtsstelle der Fahre aufgestellt. Diese Skulptur wurde von Johan Jorna entworfen und damals fur den Film De zaak M.P. von Bert Haanstra angefertigt, in dem diese Skulptur eine Rolle spielt. = Madurodam = Die Geschichte wird an verschiedenen Stellen in Madurodam dargestellt. Eine verkleinerte Nachbildung der Statue in Spaarndam mit dem Namen „Peter Holland“ wurde in Madurodam aufgestellt. Außerdem gibt es das Hans-Brinker-Spiel, bei dem die Besucher mit dem Finger ein Loch im Deich stopfen konnen, um das Eindringen von Wasser zu verhindern. An der Außenseite von Madurodam wurde ein deichformiger Damm errichtet, auf dem 1999 eine Statue aufgestellt wurde, die die Geschichte darstellt. Die Geschichte wird schließlich in der Multimediashow Madurodam by Light dargestellt. = Andere Stadte = Eine Statue steht in Scheveningen in Beelden aan Zee an einer eisernen Staumauer, und in der US-Stadt Holland im Themenpark Dutch Village von Nelis in Michigan ist er auf einer Steinboschung liegend dargestellt. Ausstellungen Hans Brinker, a classic Dutch story, 2018, Batavialand Weblinks Henk Donkers: Het onmogelijke verhaal van Hans Brinker of de Held van Haarlem. In: geografie.nl. 13. Mai 2022, abgerufen am 18. November 2024 (niederlandisch). Redactie: Hansje Brinker - Geimporteerde Hollandse folklore | Historiek. In: historiek.net. 19. November 2018, abgerufen am 18. November 2024 (niederlandisch). De legende van de held van Haarlem | IsGeschiedenis. In: isgeschiedenis.nl. 5. Januar 2012, abgerufen am 18. November 2024 (niederlandisch). Bernd Rieken: Donald Duck als „Hero of the Dike“. (PDF) In: journals.sfu.ac.at. 2022, abgerufen am 18. November 2024. Einzelnachweise
Der Held von Haarlem ist eine Geschichte aus den 1850er Jahren uber den Sohn eines Haarlemer Schleusenwarters, der an einem sturmischen Nachmittag ein kleines Loch in einem Haarlemer Deich entdeckt. Der Junge weiß, dass das Loch, wenn das Wasser weiterfließt, immer großer wird und den Deich zum Einsturz bringen konnte. Er zogert keinen Augenblick und halt das Loch mit seinem Finger zu. Einen Abend und eine Nacht lang verteidigt er so buchstablich mit bloßen Handen Stadt und Land gegen das drohende Meer.
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Clara Porset Dumas (* 25. Mai 1895 in Matanzas; † 17. Mai 1981 in Mexiko-Stadt) war eine kubanische Mobeldesignerin und Innenarchitektin. Von 1935 bis zu ihrem Tod lebte und arbeitete sie hauptsachlich in Mexiko, wo sie als Vorreiterin des Mobeldesigns galt. Sie erhielt ihre Schulbildung in Kuba und in den Vereinigten Staaten und studierte in Frankreich und in North Carolina. Ausbildung Clara Porset entstammte einer reichen kubanischen Familie, weshalb sie die Moglichkeit hatte, weit zu reisen und dabei ein breites Spektrum an kunstlerischen und politischen Einflussen kennenzulernen. Von 1911 bis 1914 studierte sie an der Manhattanville Academy in New York City, spater besuchte sie Kurse in Architektur und Design in Kuba. Im Jahr 1925 kehrte sie nach New York City zuruck, um an der an die Columbia University angegliederten School of Fine Arts weiter Architektur und Design sowie an der New York School of Interior Decoration Innenarchitektur zu studieren. In den spaten 1920er Jahren reiste Porset nach Europa, wo sie die Bauhaus-Lehrer Walter Gropius und Hannes Meyer traf, mit denen sie danach uber viele Jahre in Kontakt blieb. Von 1928 bis 1931 studierte sie in Paris Architektur und Mobeldesign bei Henri Rapin, nahm an Kursen an der Ecole des Beaux-Arts, der Universitat Paris (Sorbonne) und der Ecole du Louvre teil. Kurz nach ihrer Ruckkehr nach Kuba 1932 prasentierte sie eine Schrift mit dem Titel La decoracion interior contemporanea su adaptacion al Tropic (dt. Zeitgenossische Inneneinrichtung, ihre Anpassung an die Tropen), worin sie ihr wachsendes Interesse an der Thematik aufzeigte, die sie ihre Karriere lang begleitete. Wahrend dieser Zeit in Kuba arbeitete Porset als Designerin. Im Sommer 1934 reiste sie nach North Carolina, wo sie am Black Mountain College bei den fruheren Bauhaus-Lehrern Josef und Anni Albers studierte. Karriere Wahrend sie an verschiedenen Universitaten studierte, nutzte Porset die Sommer zum Reisen durch das westliche Kontinentaleuropa und Großbritannien. Letztlich kehrte sie nach Kuba zuruck, wo sie unter anderem als Designerin fur Schulmobiliar arbeitete. Wahrenddessen gab sie auch Kurse fur die breite Offentlichkeit, um den Menschen Kenntnisse uber modernes Design zu vermitteln. Trotz ihres Erfolgs als professionelle Designerin schrieb sie 1933 Walter Gropius von der Bauhaus-Schule, um sich dort anzumelden. Wegen der immer großeren Macht der Nationalsozialisten empfahl Gropius ihr, anstatt in Deutschland lieber in den Vereinigten Staaten bei Josef Albers am Black Mountain College zu studieren. Nach ihrer Ruckkehr nach Kuba arbeitete Porset kurze Zeit als kunstlerische Leiterin der Escuela Tecnica para Mujeres (Technische Schule fur Frauen), aber wegen ihrer politischen Einstellung war sie gezwungen, Kuba 1935 zu verlassen. Sie siedelte nach Mexiko uber, wo sie den Kunstler Xavier Guerrero kennenlernte und heiratete. Durch ihn wurde sie sowohl an die Volkskunst als auch an die bekannten Kunstler des Landes herangefuhrt, was ihr Werk beeinflussen sollte. Das Paar reichte gemeinsam einen Beitrag fur den 1940 vom New Yorker Museum of Modern Art ausgeschriebenen Wettbewerb Organic Design in Home Furnishings (dt. Organisches Design in der Inneneinrichtung) ein. In diesem Jahr durften erstmals Lateinamerikaner an dem Wettbewerb teilnehmen. Obwohl sie mit Guerrero zusammenarbeitete, erhielt er die alleinige Anerkennung fur das Design im Ausstellungskatalog. Porsets Mobeldesign setzte sich aus einheimischen mexikanischen Materialien zusammen, beispielsweise gewebten Agavenfasern, und Formen, wie beim kolonialen Butaque-Stuhl. In den 1950er Jahren wurde sie von Ruiz Galindo Industries, das als beste Mobelmanufaktur Mexikos galt, als beste Designerin ihrer Zeit betrachtet. Sie stellten Porset ein, um Mobiliar fur Architekturprojekte in ganz Mexiko zu entwerfen und zu entwickeln. Sie unterschrieb einen Vertrag fur zwei Kollektionen, die E-Serie mit qualitativ hochwertigen Buromobeln aus Holz und die H-Serie mit Buromobeln aus Metall. Wegen ihrer Qualitat wurden diese Produktionsreihen die beliebtesten Mobelkollektionen des Landes, da sie ein gutes Design hatten, langlebig und relativ gunstig in der Anschaffung waren. 1952 gestaltete Porset die Ausstellung Arte en la vida diaria: exposicion de objetos de buen diseno hechos en Mexico (Kunst im Alltag: Eine Ausstellung fur gute Designobjekte aus Mexiko) beim Instituto Nacional de Bellas Artes y Literatura in Mexiko-Stadt. Dabei hob sie sowohl in Handarbeit hergestellte Objekte als auch Massenprodukte hervor. Diese große Ausstellung beinhaltete Werke vieler Kunstler und Designer, bspw. von Odilon Avalos, Los Castillo, Jose Feher, Cynthia Sargent, William Spratling und dem fruheren Bauhaus-Lehrer Michael van Beuren. Porset kehrte 1959 nach der kubanischen Revolution in ihr Heimatland zuruck, wo sie vom Prasidenten Fidel Castro beauftragt wurde, Mobel fur die Schule von Camilo Cienfuegos, einem institutionellen Symbol fur die neue Gesellschaft nach Vorstellung der Revolutionare, zu entwerfen. Zudem entwarf sie Mobel fur einige weitere Hochschulen. 1963 kehrte sie nach Mexiko zuruck, nachdem ihre Plane, eine neue Designschule in Kuba einzurichten, nicht realisiert worden waren. Der Designer Horacio Duran entwickelte an der Escuela Nacional de Arquitectura, die heute Teil der Nationalen Autonomen Universitat von Mexiko ist, ein Programm fur Industriedesign und lud Porset ein, dort ein Seminar zu leiten. Sie lehrte danach Design bis zu ihrem Lebensende. Das Instituto Nacional de Bellas Artes erkannte Porset als Vorreiterin des modernen, mexikanischen Designs an, indem es ihr 1971 eine Goldmedaille verlieh. Außerdem wird seit 1993 der Clara-Porset-Design-Preis an mexikanische Design-Studierende verliehen. Vermachtnis Porset lebte in Mexiko-Stadt. Zum Ende ihrer Karriere hin vermachte sie ihre Schriften und ihre Sammlung der Abteilung fur Industriedesign in der Architekturfakultat an der Nationalen Autonomen Universitat von Mexiko, damit Designer sie nutzen konnen. Mit dem Erlos aus dem Verkauf ihres Hauses sollte ein Graduiertenstipendium fur Studentinnen geschaffen werden. Das Stipendium wurde anschließend in den Clara Porset Award umgewandelt, einen dotierten Preis fur das beste Industriedesign-Projekt, welches von Studentinnen aus der ganzen Welt eingereicht werden kann. Rund um ihre gestiftete Sammlung wurde die Biblioteca Clara Porset aufgebaut, die heute als beste Design-Bibliothek Mexikos gilt. Literatur Jorge R. Bermudez: Clara Porset: diseno y cultura. Editorial Letras Cubanas, La Habana 2005. Eliot Noyes: Organic Design in Home Furnishings. Museum of Modern Art, Exh. Cat. New York 1941. Clara Porset et al.: El diseno de Clara Porset: inventando un Mexico moderno. Turner Eds, Madrid 2006. Oscar Salinas Flores: Clara Porset: una vida inquieta, una obra sin igual. Universidad Nacional Autonoma de Mexico, Facultad de Arquitectura, Mexico 2001. Links Einzelnachweise
Clara Porset Dumas (* 25. Mai 1895 in Matanzas; † 17. Mai 1981 in Mexiko-Stadt) war eine kubanische Mobeldesignerin und Innenarchitektin. Von 1935 bis zu ihrem Tod lebte und arbeitete sie hauptsachlich in Mexiko, wo sie als Vorreiterin des Mobeldesigns galt. Sie erhielt ihre Schulbildung in Kuba und in den Vereinigten Staaten und studierte in Frankreich und in North Carolina.
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Die letzten Tage des Patriarchats ist der Titel eines feministischen Sachbuches der Autorin Margarete Stokowski. Das Buch beinhaltet Kolumnen und Essays, die Stokowski zwischen 2011 und 2018 in der taz und bei Spiegel Online veroffentlicht hat. Die erste Auflage erschien 2018 und wurde im Rowohlt Verlag veroffentlicht. Das Buch war 2018 auf der Spiegel-Bestsellerliste. Inhalt Das Buch beinhaltet ausgewahlte Kolumnen und Essays, die Stokowski ab 2011 in der taz und ab 2015 bei Spiegel Online veroffentlichte. In den Essays kommentiert sie gegenwartige Themen und Thesen aus feministischer Sicht. Diese wurden von der Autorin fur das Buch geringfugig bearbeitet und zu Kapiteln gruppiert. Jedes Kapitel enthalt sechs bis neun thematisch verwandte Essays. Zeit und Ort der Veroffentlichung sind fur jeden Essay im Anhang aufgefuhrt. Die einzelnen Kapitel werden durch Anmerkungen und Quellen erganzt. Um aktuell zu bleiben, wurden einzelne Essays erganzt, vereinzelt auch um (Hass-)Kommentare zu den einzelnen Texten. Rezeption Der Deutschlandfunk stellte anlasslich eines Interviews auf der Frankfurter Buchmesse 2018 fest, dass Stokowski mit ihren Kolumnen das Patriarchat herausfordere oder das, was davon noch ubrig sei. Mareice Kaiser kam nach einem Interview mit Stokowski bei Ze.tt zu dem Ergebnis, dass der Band vor allem jene gesellschaftskritischen Kommentare zusammenfasse, die das Ziel der feministischen Revolution verfolgten. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung attestierte Elena Witzeck, dass sich gewisse feministische Themen in den Texten wiederholten, schatzt aber auch den analytischen Ton der Autorin. Zu lernen sei auch fur mit Gendertheorie unbeschwerte Leser so einiges, etwa uber Ideale und Grenzen des Feminismus. Auf derStandard.at urteilte Beate Hausbichler, dass Stokowski ohne Zweifel eine der wichtigsten und klugsten Stimmen des Feminismus sei, nicht zuletzt deswegen, weil sie auch damit verknupfte Themen wie Armut, Fluchtlingshilfe oder Kapitalismuskritik regelmaßig aufgreife. Das Literaturhaus Munchen schrieb uber eine Lesung aus dem Buch, dass die Autorin den Umgang mit Macht, Sex und Korpern, die MeToo-Debatte und den Rechtspopulismus analysiere und Themen wie Pornos, Gender Studies, Political Correctness humorvoll kommentiere. Ausgaben Margarete Stokowski: Die letzten Tage des Patriarchats. 7. Auflage. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020, ISBN 978-3-498-06363-4. Einzelnachweise
Die letzten Tage des Patriarchats ist der Titel eines feministischen Sachbuches der Autorin Margarete Stokowski. Das Buch beinhaltet Kolumnen und Essays, die Stokowski zwischen 2011 und 2018 in der taz und bei Spiegel Online veroffentlicht hat. Die erste Auflage erschien 2018 und wurde im Rowohlt Verlag veroffentlicht. Das Buch war 2018 auf der Spiegel-Bestsellerliste.
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Das Medinger Osterorationale ist ein spatmittelalterliches klosterliches Andachtsbuch fur das Osterfest. Die Handschrift entstand um 1470 im Zisterzienserinnenkloster Medingen im heutigen Niedersachsen und wurde 2024 von der Herzog August Bibliothek in Wolfenbuttel erworben. Inhalt Die kleinformatige Handschrift umfasst 335 doppelseitig beschriebene hochformatige Pergamentblatter mit einer Große von 14,5 zu 9,5–9,9 cm. Gebunden ist sie in einen Holzdeckeleinband mit braunem Lederbezug. Die Schrift enthalt liturgische Texte der Osterliturgie, Gebete und Meditationen, deren Texte meist 17-zeilig in einer regelmaßigen Bastarda geschrieben sind. Sie sind uberwiegend in Latein mit langeren niederdeutschen Passagen gehalten. Die Lombarden weisen meist die Farben Rot und Blau auf. Die 38 farbigen Illustrationen sind kunstvoll und aufwendig gestaltet und zeigen erzahlende und allegorische biblische Szenen des Ersten und Zweiten Testaments wie Mose, David, Salomo, Maria mit Johannes dem Taufer, Jacobus Minor, Petrus, den Apostel Thomas, musizierende Engel am Grabe Jesu sowie begleitend die Kirchenvater Ambrosius, Leo, Gregor und Hieronymus. Die Textanfange sind mit farbigem Rankenwerk und Gold verziert. In den Illustrationen bildeten sich die Nonnen auch selbst ab, und es sind Details, wie spezifische Kleidungsstucke, zu erkennen. Die Handschrift zeichnet sich durch ihre Gestaltung mit einzigartigen ikonografischen Merkmalen aus. Da die Texte die Osterfeier behandeln, wird die Schrift als Osterorationale bezeichnet. Zentrale Bedeutung hat die Feier der Osternacht, die liturgisch als Nachtwache konzipiert ist. Sie wird eingeleitet durch den Gesang des Exsultet und einer Folge von biblischen Lesungen, die die Heilsgeschichte darstellen. Die zentrale Erzahlung ist, wie beim judischen Pessachfest, die von der Errettung des Volkes Israel aus Agypten durch Gott, den Auszug aus Agypten und den Durchzug durch das Rote Meer. Im Exsultet heißt es: „Dies ist die Nacht, die unsere Vater, die Sohne Israels, aus Agypten befreit und auf trockenem Pfad durch die Fluten des Roten Meeres gefuhrt hat. … Dies ist die selige Nacht, in der Christus die Ketten des Todes zerbrach und aus der Tiefe als Sieger emporstieg. … Dies ist die Nacht, von der geschrieben steht: ‚Die Nacht wird hell wie der Tag, wie strahlendes Licht wird die Nacht mich umgeben. Der Glanz dieser heiligen Nacht nimmt den Frevel hinweg, reinigt von Schuld, gibt den Sundern die Unschuld, den Trauernden Freude. Weit vertreibt sie den Hass, sie einigt die Herzen und beugt die Gewalten.‘ … O wahrhaft selige Nacht, die Himmel und Erde versohnt, die Gott und Menschen verbindet!“ Die Handschrift bietet die Texte der Liturgie mit darauf bezogenen bildlichen Darstellungen. In die Texte sind Gebete und Reflexionen eingeschoben, zum Teil Satz fur Satz, und durch rote Initialen gekennzeichnet. So konnten die Nonnen wahrend der osterlichen Nachtwache und an den folgenden Ostertagen die liturgischen Texte meditativ und betend nachvollziehen und bedenken. Ein besonderes Stilmittel des gesamten Gebetbuches ist die „Personifizierung“ der Nacht, auch uber den Kontext des Exsultet hinaus. So wird die Nacht als „fließendes Gold“ (auriflua) und als „die Hochste“ (altissima) begrußt und textlich sowie durch Illustration dargestellt (fol. 26v); sie steht fur das großte Wunder der Heilsgeschichte, die Auferstehung Jesu Christi, die die Sunde des Menschen hinwegnimmt und eine sonst dunkle Nacht erhellt. In der tatsachlichen Dunkelheit der Osternacht zwischen Karsamstag und Ostersonntag in einer Kirche bei Kerzenlicht wurde das Heilsgeschehen in den goldenen Initialen der Gebetbucher reflektiert und zeigte das Paradox einer goldenen, lichtdurchfluteten Osternacht (Nox auriflua, ‚fließende Goldnacht‘), wie es die Literaturforscherin Marlene Schilling von der University of Oxford in einer Untersuchung des Gebetbuches feststellt. Das literarische Mittel der Personifizierung ermogliche „es der betenden Person, auf sehr greifbare Weise uber Ostern zu sprechen und daruber nachzudenken“. Die Nonne werde dadurch angeleitet, „eine innige Beziehung zu diesem besonderen Moment und all seinen Implikationen fur die Erlosung aufzubauen.“ Geschichte Im 16. Jahrhundert bekam die Handschrift eine Neubindung in Luneburg. Auch nach der Reformation war sie noch in Gebrauch, was spatere Uberarbeitungen belegen. Seit etwa 1668 war das Medinger Osterorationale in Luneburger Privatbesitz. 2021 gelangte es in den Handel und wurde bei einer Auktion mit einem Mindestgebot von 4000 Euro zum Kauf angeboten. 2024 erwarb es die Herzog August Bibliothek von einem Antiquar fur 130.000 Euro. Der Ankauf wurde von der Kulturstiftung der Lander, der Klosterkammer Hannover und dem Niedersachsischen Ministerium fur Wissenschaft und Kunst gefordert. Die Bibliothek machte das Werk der Forschung und Offentlichkeit als Digitalisat im Internet zuganglich. Die Schrift ist Teil der umfangreichen Reihe von personlichen Gebetbuchern im Kloster Medingen vor der Reformation, die Nonnen eigenhandig geschrieben und ausgemalt haben. Heute sind etwa 50 weitere Handschriften bekannt. Weblinks Digitalisat des Medinger Osterorationale (Signatur Cod. Guelf. 84 Noviss. 12°) in der Wolfenbutteler Digitalen Bibliothek Kostbare Klosterhandschrift bereichert Wolfenbutteler Bibliothek bei Herzog August Bibliothek vom 11. Dezember 2024 Einzelnachweise
Das Medinger Osterorationale ist ein spatmittelalterliches klosterliches Andachtsbuch fur das Osterfest. Die Handschrift entstand um 1470 im Zisterzienserinnenkloster Medingen im heutigen Niedersachsen und wurde 2024 von der Herzog August Bibliothek in Wolfenbuttel erworben.
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Leigh Handy Royden (* 15. Oktober 1955 in Palo Alto, Kalifornien) ist eine US-amerikanische Geologin, Geophysikerin und Hochschullehrerin am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Leben und Wirken Leigh Royden, Tochter des Mathematikers Halsey Royden, studierte zunachst Physik an der Harvard University, wo sie 1977 den Bachelor of Arts erwarb. 1982 wurde sie vom Massachusetts Institute of Technology in Geologie und Geophysik promoviert. Anschließend kehrte sie als Postdoktorandin an die Harvard University zuruck. 1988 wurde sie am MIT zunachst Assistenzprofessorin, 1988 stieg sie zur ordentlichen Professorin auf. 1990 wurde Royden als Senior Fellow in die Geological Society of America aufgenommen und erhielt die von dieser verliehene Donath Medal fur junge Wissenschaftler. Seit 1993 hat sie am MIT einen ordentlichen Lehrstuhl fur Geologie und Geophysik inne und ist seit 2020 Cecil and Ida Green Professor of Geology and Geophysics. 2004 wurde sie in die American Geophysical Union aufgenommen. 2011 wurde ihr der George P. Woollard Award verliehen; 2013 erfolgte die Verleihung der Stephan-Mueller-Medaille. 2018 wurde sie als Mitglied in die American Academy of Arts and Sciences gewahlt. Ein Jahr spater erhielt sie die von der American Geophysical Union verliehene Walter H. Bucher Medal. 2022 wurde Royden zum Mitglied in die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina gewahlt. Forschung Roydens Forschungsschwerpunkte liegen vor allem in der Geodynamik und der Tektonik, hier insbesondere im Bereich der Subduktionsprozesse. Durch ihre Forschung gelang ihr der Nachweis, dass das dynamische Umfeld, in dem sich Gebirgszuge wahrend der Kontinentalkollision bilden, mit der geologischen Auspragung dieser Gurtel in Verbindung gebracht werden kann. Dadurch konnte sie auf ein dynamisches Umfeld fur alte Gebirge schließen. Ihre Forschungsgebiete waren hierbei die Basin and Range Province, der atlantische Kontinentalrand und das Pannonische Becken. Methodisch untersucht sie bei ihrer Forschung die Verformung der kontinentalen Lithosphare, den Ruckzug der Subduktion, die Auswirkungen des Plattenzugs und den Fluss der unteren kontinentalen Kruste in verschiedenen tektonischen Umgebungen. Karriere im Rudersport In ihrer Studienzeit betrieb Royden leistungsmaßig Rudersport, gewann mit dem US-Team eine Silbermedaille bei den Ruder-Weltmeisterschaften 1975 und wurde 1975 US-amerikanische Meisterin im Einer. Die Teilnahme an den Olympischen Sommerspielen 1976 verpasste sie aufgrund einer Knochelverletzung, nahm das Angebot auf einen Sommerpraktikumsplatz am MIT an und widmete sich erst durch dieses Verpassen der Spiele ernsthaft ihrer akademischen Karriere. Weblinks Leigh Royden beim MIT Leigh Royden bei der American Academy of Arts and Sciences Mitgliedseintrag von Leigh Royden (mit Curriculum Vitae) bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina Einzelnachweise
Leigh Handy Royden (* 15. Oktober 1955 in Palo Alto, Kalifornien) ist eine US-amerikanische Geologin, Geophysikerin und Hochschullehrerin am Massachusetts Institute of Technology (MIT).
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Elbridge Ayer Burbank (* 10. April 1858 in Harvard, Illinois; † 21. Marz 1949) war ein US-amerikanischer Maler, der vor allem fur seine Portrats von Indianern bekannt ist. Leben Elbridge Ayer Burbank studierte 1887 an der Chicago Academy of Design und von 1889 bis 1891 Kunst in Munchen, wo er sich mit den Kunstlern Joseph Henry Sharp, William R. Leigh und Toby Rosenthal anfreundete. Danach hatte er fur kurze Zeit ein Portratstudio in London, England, bevor er nach Chicago zuruckkehrte, wo er 1892 seine erste Ausstellung in seinem neu eroffneten Atelier hatte. Unter den ausgestellten Werken befanden sich auch Portrats, darunter Portrait of a Woman, Munich, 1892, das von einem Redakteur der Chicago Tribune positiv besprochen wurde. Da es ein reprasentatives, fur die Gesellschaftsportrats der Zeit charakteristisches Werk ist, wird vermutet, dass Burbank Portratauftrage zu erhalten versuchte. Die Dargestellte ist wahrscheinlich die Ehefrau des Kunstlers, Alice Blanche Wheeler. Sein erster Auftrag in Chicago kam vom Northwest Magazine. Er illustrierte die Strecke der Northern Pacific Railway von Minnesota nach Puget Sound, Washington. Nach zwei Jahren als Portratmaler in England ließ er sich in Chicago nieder. Die Kritiker lobten seine Arbeit, aber anstatt sich in der hart umkampften Welt der Gesellschaftsportrats zu behaupten, reiste Burbank durch die Sudstaaten und zeichnete Afroamerikaner. 1897 beauftragte Burbanks wohlhabender Onkel Edward E. Ayer, Prasident des Field Museum of Natural History in Chicago, ihn, in den Westen zu reisen und das Leben der Indianer zu dokumentieren. Mehrere renommierte Museen und das Kaufhaus Wanamaker’s lieferten sich einen Bieterkrieg um diese Portrats, und das offentliche Schulsystem von Chicago bestellte sogar 10.000 Farbreproduktionen eines einzigen Bildes. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Elbridge Ayer Burbank in San Francisco, wo er Illustrationen fur den San Francisco Chronicle anfertigte. Insgesamt malte Elbridge Ayer Burbank im Laufe seines Lebens mehr als 1200 Indianerportrats. Auf seinen Reisen kam er mit einigen der bedeutendsten Personlichkeiten des Westens in Kontakt, darunter Juan-Lorenzo Hubbell, den er zu seinen besten Freunden zahlte, und Geronimo, dessen Portrat er malte und der gesagt haben soll, er habe Burbank mehr gemocht als jeden anderen Weißen, den er je kennengelernt habe. Heute sind Werke von Elbridge Ayer Burbank in den Sammlungen der Newberry Library in Chicago, des Smithsonian American Art Museum und des Field Museum. Nach fast zwanzig Jahren in psychiatrischen Kliniken starb Elbridge Ayer Burbank 1949 an den Verletzungen, die er sich bei einem Zusammenstoß mit einer Kabelstraßenbahn in der Innenstadt von San Francisco zugezogen hatte. Werk Elbridge Ayer Burbank spezialisierte sich auf Portrats von Indianern und schuf zwischen 1897 und 1910 mehr als 1200 Gemalde indianischer Personlichkeiten. Seine Werke zeichnen sich durch realistische Darstellungen mit oft unbestimmtem Hintergrund aus, wodurch der Blickpunkt auf den Portratierten liegt. Werke (Auswahl) Literatur Dan L. Thrapp: Encyclopedia of Frontier Biography, Volume 1: A-F. Bison Books, 1991, S. 191. Ashley Waechter: The art of Elbridge Ayer Burbank from the Harold and Bonnie Julsen Collection. Gerald Peters Gallery, Santa Fe, N.M., 2005 Weblinks Elbridge Ayer Burbank beim Smithsonian American Art Museum Elbridge Ayer Burbank beim Art Institute of Chicago Mark Sublette Medicine Man Gallery Einzelnachweise
Elbridge Ayer Burbank (* 10. April 1858 in Harvard, Illinois; † 21. Marz 1949) war ein US-amerikanischer Maler, der vor allem fur seine Portrats von Indianern bekannt ist.
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Ironic (englisch fur „ironisch“) ist ein Lied der kanadisch-US-amerikanischen Sangerin Alanis Morissette, das im Juni 1995 auf dem Studioalbum Jagged Little Pill erschien. Es wurde von Glen Ballard und Morissette geschrieben sowie von Ballard produziert. Der Liedtext prasentiert unterschiedliche ungluckliche Situationen, die als ironisch beschrieben werden, woraufhin diskutiert wurde, ob eine dieser Situationen zur Begriffsdefinition von „Ironie“ passt. Die im Februar 1996 veroffentlichte Single avancierte zum Nummer-eins-Hit, weltweiten Millionenseller und gewann unter anderem einen Juno Award. Das zugehorige Musikvideo drehte der franzosische Regisseur Stephane Sednaoui; darin fahrt Morissette im Auto durch eine winterliche Landschaft und spielt auch die drei Mitfahrerinnen. Es gewann bei den MTV Video Music Awards 1996 drei Preise, wahrend VH1 es in seiner Liste der „Greatest Music Videos“ fuhrt. Ironic war Teil der Setlist von Morisettes Jagged Little Pill World Tour im Jahr 1995, von Morissettes MTV Unplugged im Jahr 1999 sowie ihres Best-of-Albums The Collection von 2005. Entstehung und Veroffentlichung Geschrieben wurde das Lied von der Interpretin selbst, zusammen mit dem Koautor Glen Ballard. Fur die Produktion zeichnete Ballard allein verantwortlich. In einem Interview mit Christopher Walsh vom Billboard-Magazin beschrieb Ballard, wie er und Morissette sich begegneten und wie Ironic entstand: Die Erstveroffentlichung von Ironic erfolgte am 9. Juni 1995 bei Maverick Records, als Teil von Morissettes drittem Studioalbum Jagged Little Pill (Katalognummer: 9362-45901-1). Am 27. Februar 1996 erschien das Lied als vierte Singleauskopplung aus dem Album. Diese erschien unter anderem als CD-Maxi-Single mit Liveversionen zu Forgiven, Not the Doctor und Wake Up als B-Seiten (Katalognummer: 9362436502). Inhalt = Komposition = Gemaß den Noten, die von Universal Music Group bei Musicnotes.com veroffentlicht wurden, wurde das Lied in einem moderaten Tempo von 82 Beats per minute komponiert. Es wird in der Tonart H-Dur gespielt; der Refrain beruht hingegen auf Fis im Mixolydischen Modus. Morissettes Stimmumfang liegt zwischen E4 und Ais5 und die Progression der Akkorde bei Ironic beginnt mit einer Sequenz aus Emaj7–Fis6–Emaj7–Fis6, bevor sie im Refrain zu Fis–Hadd9–Fis–Gism7 wechselt. = Text = Die Benutzung des Wortes „ironic“ (ironisch) erregte eine mediale Aufmerksamkeit. Laut Jon Pareles von der Zeitung The New York Times verleiht das Lied mit seinen Implikationen dem Inhalt einen „unironischen“ Sinn. Gemaß dem Oxford English Dictionary wird irony im englischsprachigen Raum folgendermaßen definiert: “irony is a state of affairs or an event that seems deliberately contrary to what was or might be expected; an outcome cruelly, humorously, or strangely at odds with assumptions or expectations” („Ironie ist ein Sachverhalt oder ein Ereignis, das absichtlich im Widerspruch zu dem steht, was erwartet wurde oder erwartet werden konnte; ein Ergebnis, das grausam, humorvoll oder auf seltsame Weise im Widerspruch zu Annahmen oder Erwartungen steht“). Vor dem Hintergrund der Praskription sind Texte wie “It’s a free ride when you’ve already paid” („Es ist eine Freikarte, nachdem du bereits bezahlt hast“) und “A traffic jam when you’re already late” („Ein Stau, wenn du ohnehin schon spat dran bist“) nicht ironisch. Morissette sagte, dass die Debatte uber die Ironie ihrer Aussagen in Ironic sie nicht traumatisiert habe. Sie akzeptierte fur sich, die Malapropismus-Konigin zu sein, und beim Schreiben des Textes achteten sie und Ballard nicht beharrlich darauf, dass alles „ironisch“ entsprechend der eigentlichen Definition sei. Michael Reid Roberts schrieb 2014 in dem Onlinemagazin Salon.com eine Verteidigung fur das Lied. Der Zustand oder ein Ereignis stehe absichtlich im Widerspruch zu dem, was man erwartet, und sei daher oft ironisch amusant, was eine situative Ironie darstelle. Michael Stevens nahm sich auf dem Youtube-Kanal Vsauce Zeit, in der Folge „Dord“ zum Thema Ironie zu diskutieren. In diesem Video betrachtete Stevens den Unterschied zwischen „situativer Ironie“ und „dramatischer Ironie“. Seiner Meinung nach muss die Ironie nicht zwingend in den Situationen selbst liegen, sondern eher in der dramatischen Ironie – wenn sich jemand der Bedeutung eines Ereignisses nicht bewusst ist, wahrend andere sich dessen bewusst sind. Nicht die Situationen, sondern das Leben in sich ist ironisch. Der Komiker Ed Byrne meinte in einem Sketch, in dem er spaßhaft das Lied wegen der fehlenden Ironie angriff: “The only ironic thing about that song is it’s called 'Ironic' and it’s written by a woman who doesn’t know what irony is. That’s quite ironic.” („Das einzige Ironische an diesem Lied ist, dass sein Titel Ironic lautet und dass es von einer Frau geschrieben wurde, die nicht weiß, was Ironie ist. Das ist einfach ironisch.“) Die Satiriker Berger und Wyse parodierten das Lied in einem Teil ihres Comicstrips The Pitchers. In diesem Teil vergleicht ein Superheld namend „Irony Man“ seine Superkrafte mit dem Songtext von Morissette, weshalb er von seinen Mitmenschen in „The Man from Alanis“ umbenannt wurde. Im Dezember 2009 veroffentlichte die Comedy-Website CollegeHumor ein Parodievideo mit dem Titel „Actually Ironic“ („Wirklich ironisch“), an dem die Schauspielerin Sarah Natochenny mitwirkte und in dem Patrick Cassels den Songtext des Originals so anderte, dass sie einen ironischen Inhalt im eigentlichen Sinn enthalten. Ein Beispiel hierfur ist der Text: “it’s like rain on your wedding day, to the Egyptian sun god Ra” („es ist wie Regen an deinem Hochzeitstag mit dem agyptischen Sonnengott Re“). In seinem Lied Word Crimes referenziert Weird Al Yankovic auf Morissettes Songtext, indem er „Irony is not coincidence“ („Ironie ist kein Zufall“) singt und gleichzeitig im Video ein Piktogramm eines brennenden Feuerwehrwagens mit der Unterschrift „Irony“ und daneben ein Piktogramm eines Brautpaares im Regen mit der Unterschrift „Weather“ („Wetter“) zeigt, was sich ebenfalls auf die Zeile “It’s like rain on your wedding day” („Es ist wie Regen an deinem Hochzeitstag“) bezieht. Alanis Morissette machte sich 2013 uber ihre eigenen Fehler lustig, als sie mit der Comedygruppe The Lonely Island den Song Semicolon bei Jimmy Kimmel Live! spielte. Darin unterbricht Morissette einen Rap der Gruppe, weil sie den Begriff „Semikolon“ falsch verwenden, worauf die Entgegnung folgt, dass eine derartige Kritik aus ihrem Mund doch „ironisch“ sei. Auch 2015 machte Morissette sich erneut uber sich lustig, als sie in The Late Late Show with James Corden mit einer neuen Version von Ironic auftrat, in der sie die Zeile “It’s singing 'Ironic', when there are no ironies” („Es ist ‚Ironic‘ singen, wenn keine Ironien vorhanden sind“) erganzte. Liveauftritte Das Lied war 1995 Teil ihrer Setlist auf der Konzerttour Jagged Little Pill World Tour und war somit Teil ihres Albums Jagged Little Pill Live von 1997. Danach war das Lied auch auf dem Live-Album Alanis Unplugged, das 1999 im Zuge der Reihe MTV Unplugged entstand. Konzertauftritte mit Ironic sind auf den DVDs Feast on Scraps von 2002 und Live in the Navajo Nation ebenfalls von 2002 enthalten. Mit Ironic machte Morissette ihre Unterstutzung fur die gleichgeschlechtliche Ehe klar, als sie im Marz 2004 der Verleihung der GLAAD Media Award mit verandertem Text auftrat. Sie anderte eine Situation innerhalb des Lieds in den Text: “It’s meeting the man of my dreams /And then meeting his beautiful husband” („Es ist wie das Zusammentreffen mit meinem Traummann /Und mit seinem wunderschonen Ehemann“). Sie gab gegenuber der Zeitung USA Today an, dass ihre Unterstutzung weiter gehe, als einen klugen Songtext zu schreiben. Ihre Fantasie sei es, einige ihrer befreundeten schwulen Paare zu verheiraten. Im Juni 2004 sagte sie zu VH1, dass sie selbst zwar keine schwulen Freunde habe, die verlobt sind, und dass es fur sie eine Ehre sei, die schwule Community zu unterstutzen. Die Version mit verandertem Songtext nahm Morissette zunachst als Akustikversion fur iTunes auf und veroffentlichte sie 2004. Unter anderem ist das veranderte Lied auch auf dem Album Jagged Little Pill Acoustic. Morissette spielte die Husband-Version 2005 auch gemeinsam mit Avril Lavigne bei House of Blues. Musikvideo Das Musikvideo zu Ironic wurde unter Regie von Stephane Sednaoui gedreht und am 23. Januar 1996 veroffentlicht. Am Anfang des Videos geht Alanis Morissette mit einem Coffee-to-go-Becher in der Hand an einer Tankstelle zu ihrem Auto, einem dunkelgrauen Continental Mark V mit Lederinnenausstattung. Sie tragt eine braune Jacke, eine rote Mutze, hellblaue Handschuhe und einen buntgestreiften Schal. Danach fahrt sie durch die verschneite Winterlandschaft und beginnt, die erste Strophe zu singen. Am Anfang des Refrains sitzt eine zweite von Morissette verkorperte Person auf der Ruckbank auf der Beifahrerseite und singt. Sie tragt einen grunen Pullover. Die zweite Strophe wird von Morissette in einem gelben Sweatshirt und mit in Zopfe geflochtenem Haar gesungen, wahrend sie dabei isst. Die dritte Morissette sitzt auf der Ruckbank hinter dem Fahrersitz. Der zweite Refrain wird von Morissette in rotem Pullover und in einer pyjamaartigen Hose auf dem Beifahrersitz gesungen, wahrend sie sich bei der Fahrt weit aus dem Seitfenster hinauslehnt, beinahe mit einer Brucke kollidiert und anschließend wieder auf den Beifahrersitz setzt und lacht. Die Bridge sowie die dritte Strophe und den dritten Refrain singen alle vier Morisettes, wobei in den Kameraeinstellungen jeweils nur einer der Sitze zu sehen ist. Wahrend des dritten Refrains setzt die erste Morissette ihre Mutze ab und wirft sie zu derjenigen mit dem grunen Sweater. Außerdem tanzen alle auf ihren Sitzen sitzend. Ab dem Outro ist nur noch die erste Morissette im Bild. Sie blickt auf ihr Armaturenbrett, bringt den Wagen mitten auf der Fahrbahn zum Stehen und steigt aus; ihre Mitfahrerinnen sind verschwunden. Moglicherweise stoppte der Wagen infolge eines leeren Tanks, was hinsichtlich des Videoanfangs an der Tankstelle eine Ironie darstellen wurde. In einem Interview fur die Vogue im Jahr 2015 verriet Morissette, dass die Kleidung im Video die Personlichkeiten der Charaktere widerspiegele. Die Fahrerin mit der roten Mutze hat die Kontrolle und tragt die Verantwortung. Die gelbe Figur ist mutig und schrullig, die Morissette als prasent und lebhaft und unbefangen bezeichnete. Die Frisur mit den Zopfen liebte Morissette und trug sie spater oft bei Auftritten. Die Beifahrerin ist romantisch, nachdenklich, aber auch risikofreudig. Mit dem Madchen im grunen Pullover kann Morissette sich am besten identifizieren. Es ist lustig und ausgelassen, weshalb es am ehesten in Schwierigkeiten gerat. Blaine Allan bemerkte im 2002 erschienenen Buch Television: Critical Methods and Applications, wie Morissette mit dem Zuschauer interagiert. Er verglich das Video mit dem Video zu Lucky von Britney Spears, in dem Spears ebenfalls zwei Rollen, von Lucky und einem Fan, einnahm. Im Gegensatz zu Lucky, in dem beide Spears-Charaktere mit Hilfe visueller Effekte direkt miteinander interagieren, wird im Ironic-Video ausschließlich durch den Schnitt der Eindruck erweckt, dass die von Morissette dargestellten Charaktere miteinander interagieren. Die Journalistin Carol Vernallis befand, dass die plaudernde Art, in der Morissette das Lied im Video singt, eine intime Verbindung zum Zuschauer aufbaue. Sie stellte aber auch fest, dass der Songtext durch Videoaufzeichnung und Fernsehausstrahlung fur die Zuschauer unzuganglich werde. Charles Aaron vom Spin-Magazin bezeichnete das Musikvideo zu Ironic als „gelungen“. Das Video wurde 1996 sechsmal bei den MTV Video Music Awards nominiert. In den Kategorien Viewer’s Choice, Best Direction und Video of the Year konnte es den Preis nicht gewinnen. In den Kategorien Best Editing, Best New Artist in a Video und Best Female Video siegte Ironic. 1997 folgte eine Nominierung fur den Grammy Award for Best Music Video. Das Video wurde außerdem auf Platz 18 der von VH1 herausgegebenen Liste der 100 Greatest Videos gefuhrt. Ende 1996 wurde eine Parodie auf das Musikvideo veroffentlicht, in dem das sechsjahrige kanadische Madchen Allison Rheaume Morissettes Kleidung und Bewegungen nachahmt und eine Lippensynchronisation zum Originallied macht. Am Ende des Videos bemerkt ihr Vater, wie sie in der Einfahrt im Auto sitzt, und sagt ihr, sie solle mit dem Herumgealbere aufhoren. Die Parodie wurde von David Rheaume gedreht. Das Video wurde auf MTV ins Programm aufgenommen und war 2005 Bestandteil von Alanis Morissettes Greatest-Hits-Album The Collection auf CD/DVD. In einem MTV-Werbefim parodierte Donal Logue in seiner Rolle als Jimmy The Cab Driver ebenfalls Ende 1996 das Video. Der Rapper DBA Flip aus Inglewood in Kalifornien produzierte 1996 zu seiner Single It’s Friday Night (Just Got Paid) ein sehr ahnliches Video, in dem er ebenfalls mehrere Rollen in einem fahrenden Auto einnimmt. Am Ende des Lieds bleibt sein Wagen ebenfalls liegen, wahrend an der Straße eine Alanis Morissette ahnliche Frau mit Zopffrisur, wie im Ironic-Video, und einer Jacke, wie im Video zu Morissettes Lied You Learn, entlanglauft und einen Benzinkanister tragt. Die kanadische Band Rusty parodierte 1997 in der zweiten Videoversion zu ihrer Single Empty Cell die Handlung vom Ironic-Video. Weird Al Yankovic produzierte 2003 eine Parodie des Videos fur seine Comedy-Reihe Al TV, worin er den Platz der vierten Morissette auf dem Beifahrerplatz einnahm. Der R&B-Sanger Ramriddlz aus Toronto zollte 2018 dem Ironic-Video mit seinem Musikvideo zur Single Worst Love Tribut. Mitwirkende Alanis Morissette – Gesang, Produktion, Autorin Glen Ballard – Produktion, Gitarre, Autor Chris Fogel – Mischtechnik Basil Fung – Gitarre Rob Ladd – Schlagzeug, Perkussion Lance Morrison – Bassgitarre Michael Thompson – Orgel Rezeption = Rezensionen = Jaime Gill von Dot Music kommentierte 2005 in seiner Rezension von Jagged Little Pill Acoustic uber die Originalversion, dass Morissette den Horern eines der großten Gesellschaftsspiele des Pops geliefert habe, in dem echte Ironie in Ironic erkannt wurde, und er nannte das Lied „pretty“ („hubsch“) und „catchy“ („eingangig“). Zusatzlich stellte er fest, die Akustikversion klinge ohne die lauten Gitarren der ursprunglichen Version entspannter und einnehmender. Obwohl Stephen Thomas Erlewine von AllMusic das Lied fur das Album hervorhob, wurden dem Lied bei einer anderen Rezension auf derselben Website, die anlasslich der Single-Veroffentlichung geschrieben wurde, nur zweieinhalb von funf Sternen verliehen. Pareles stellte fest, dass man sich durch die Strophen von Ironic und von einem anderen Lied des Albums (Mary Jane) gut vorstellen konne, wie Morissette auf der Buhne eines Clubs ironische Texte singt, wahrend sie auf einer Akustikgitarre spielt. Spater schrieb er, dass das Lied genau genommen unironisch sei. Victoria Segal vom Melody Maker lobte das Lied absolut schones Stuck sprudelnden Folk-Rocks. In Music Week wurde das Lied mit vier von funf Sternen bewertet, wobei das Lied als eine kraftvolle Hymne, die an ein schones Echo der Cocteau Twins erinnere, bezeichnet wurde. Die Rezension sagte Morissette erstes Erreichen einer Chartposition innerhalb der Top 20 voraus. Dave Brecheisen von PopMatters befand die Akustikversion von Ironic als wesentlich schlechter als das Original. Mit der Single gewann Morissette 1997 wie bereits im Vorjahr den Juno Award fur die Single des Jahres. Im selben Jahr war das Lied unter anderem in der Kategorie Single des Jahres fur einen Grammy Award nominiert. = Clear Channel Memorandum = Nach den Terroranschlagen am 11. September 2001 wurde das Lied vom Medienunternehmen Clear Channel Communications auf die Liste fragwurdiger Lieder aufgenommen. Diese Liste ist auch als 2001 Clear Channel Memorandum bekannt und hatte zur Folge, dass viele Sender aufgrund dieser Empfehlung ihr Programm anderten. Ironic wurde wegen der zweiten Strophe in die Liste aufgenommen, da in dieser ein Mann bei einem Flugzeugabsturz stirbt. = Nutzung in anderen Medien = Im Roman Naiv. Super. den der norwegische Schriftsteller Erlend Loe 1996 veroffentlicht hat, sieht der Protagonist das Musikvideo zu Ironic im Fernsehen und traumt davon, das Alanis-Madchen zu treffen und mit ihr in einem Haus zusammenzuleben. In der achten Folge der vierten Staffel der Serie Superman – Die Abenteuer von Lois & Clark machen verschiedene Charaktere scherzhafte Anspielungen auf das Lied, in dem es uberhaupt nicht um Ironie geht. Im Jay-und-Silent-Bob-Comic von Kevin Smith aus dem Jahr 1998 singt der Charakter Tricia Jones Ironic, bevor Jay in die Dusche tritt. In der Filmkomodie Hauptsache verliebt von 2007 singt die von Saoirse Ronan dargestellte Figur Izzie Mensforth das Lied mit verandertem Songtext in einer Talentshow. In der Komodie Prakti.com mit Owen Wilson und Vince Vaughn singen die beiden Protagonisten in der Anfangsszene des Films das Lied mit, das im Autoradio lauft. In The Late Late Show with James Corden war Morissette 2015 zu Gast und sang eine neue Version von Ironic mit einem vollkommen veranderten Text. Der neue Songtext benutzt ein neues technisches Vokabular und benennt verschiedene Apps wie Tinder oder Snapchat und ist eine Hommage an die sprachliche Diskussion, die nach der Veroffentlichung 1996 gefuhrt wurde. Ahnlich wie damals werden alltagliche Szenen besungen, die im eigentlichen Sinne nicht ironisch sind, beispielsweise das Verpassen des Seelenverwandten auf einer Dating-App, da man ihn aus Versehen „wegwischt“ und niemals trifft. Kommerzieller Erfolg = Chartplatzierungen = In Kanada erreichte Ironic mit einem Einstieg auf Platz 96 erstmals am 8. Januar 1996 die RPM 100 Hit Tracks. Zwolf Wochen spater, am 1. April 1996, nahm das Lied den ersten Platz der Charts ein und hielt diese Platzierung fur sechs Wochen, bis es von der US-amerikanischen Musikgruppe BoDeans mit der Single Closer to Free verdrangt wurde. Insgesamt befand sich das Lied fur 29 Wochen in den Top 100, zuletzt am 22. Juli 1996 auf Platz 81. Es befand sich 14 Wochen in den Top 10 und belegte in den kanadischen Jahrescharts 1996 den zweiten Platz hinter Morissettes Single You Learn. Daruber hinaus avancierte das Lied zum Top-10-Erfolg in Australien und Neuseeland (je Rang 3), Norwegen und den Vereinigten Staaten (Rang 4), Belgien-Flandern und den Niederlanden (je Rang 6), Deutschland, Irland und Island (je Rang 8), Belgien-Wallonien und der Schweiz (je Rang 9). Weitere Chartplatzierungen erreichte es im Vereinigten Konigreich (Rang 11), Frankreich (Rang 16) und Schweden (Rang 24). = Auszeichnungen fur Musikverkaufe = Hauptartikel: Alanis Morissette/Auszeichnungen fur Musikverkaufe Coverversionen 2003 sang Ji-In Cho Ironic in der deutschen Castingsendung Fame Academy, woraufhin diese Version in die deutschen Charts einstieg. Das mexikanische Duo Jesse & Joy interpretierte das Lied auf seinem Album Esta Es Mi Vida Sesiones. Die Pop-Punk-Band Four Year Strong spielte das Lied 2009 fur ihr 90er Jahre Coveralbum Explains It All ein. Weblinks Andrew Boon: The Search for Irony: A Textual Analysis of the Lyrics of Ironic by Alanis Morissette. In: The Reading Matrix. Band 5, Nr. 2, 2005, S. 129–142 (readingmatrix.com [PDF]). Britt Peterson: How we learned to love Alanis Morissette's 'irony'. In: bostonglobe.com. The Boston Globe, 5. Juni 2015, abgerufen am 2. Januar 2025. Einzelnachweise
Ironic (englisch fur „ironisch“) ist ein Lied der kanadisch-US-amerikanischen Sangerin Alanis Morissette, das im Juni 1995 auf dem Studioalbum Jagged Little Pill erschien. Es wurde von Glen Ballard und Morissette geschrieben sowie von Ballard produziert. Der Liedtext prasentiert unterschiedliche ungluckliche Situationen, die als ironisch beschrieben werden, woraufhin diskutiert wurde, ob eine dieser Situationen zur Begriffsdefinition von „Ironie“ passt. Die im Februar 1996 veroffentlichte Single avancierte zum Nummer-eins-Hit, weltweiten Millionenseller und gewann unter anderem einen Juno Award. Das zugehorige Musikvideo drehte der franzosische Regisseur Stephane Sednaoui; darin fahrt Morissette im Auto durch eine winterliche Landschaft und spielt auch die drei Mitfahrerinnen. Es gewann bei den MTV Video Music Awards 1996 drei Preise, wahrend VH1 es in seiner Liste der „Greatest Music Videos“ fuhrt. Ironic war Teil der Setlist von Morisettes Jagged Little Pill World Tour im Jahr 1995, von Morissettes MTV Unplugged im Jahr 1999 sowie ihres Best-of-Albums The Collection von 2005.
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Das Wilde Haggis (humoristischer wissenschaftlicher Name: Haggis scoticus) ist ein fiktives kleines Saugetier der schottischen Folklore, das angeblich in den Highlands beheimatet ist. Es heißt, dass aus dem Fleisch des Wesens Haggis gekocht wird, ein traditionelles Gericht der schottischen Kuche. Beschreibung Das Wilde Haggis, eine in Schottland endemische Art, ist ein kleines, pelziges Tier, das einer Kreuzung aus Kaninchen und Eichhornchen ahneln soll. Sein Fell ist in der Regel braun oder grau und bietet eine hervorragende Tarnung in seinem naturlichen Lebensraum. Es wird angenommen, dass das Hebriden-Haggis die ursprungliche einheimische Art ist, von der alle anderen Haggis abstammen. Diese Haggis-Rasse ist kleiner und widerstandsfahiger als die Sorten vom Festland und war ein Grundnahrungsmittel der „alten Schotten“. Der „Uberlieferung“ zufolge war das Wilde Haggis ursprunglich ein Vogel, dessen Flugel im Laufe der Evolution verkummert sind und das nun ausschließlich an Berghangen lebt. Die linken und die rechten Beine des Haggis sind unterschiedlich lang, ahnlich wie die des Dahu oder des Hanghuhns, anderer imaginarer Wesen. Das ermoglicht dem Haggis, schnell die steilen Berge und Hange seines naturlichen Lebensraums zu durchstreifen, wenn auch nur in eine Richtung, weshalb es einfach ist, eins zu fangen. Es wird zudem behauptet, dass es zwei Arten des Wilden Haggis gibt, eine mit langeren linken und eine mit langeren rechten Beinen. Die erste Art kann nur im Uhrzeigersinn um einen Berg herumlaufen, die zweite nur gegen den Uhrzeigersinn. Die beiden Arten koexistieren friedlich, konnen sich aber in der freien Wildbahn nicht paaren, da sich ein Mannchen der einen Art zur Begattung mit einem Weibchen der anderen Art in die gleiche Richtung drehen musste, weil es sonst das Gleichgewicht verliert, vom Weibchen herunterfallt und den Berghang herunterrollt. Durch die sortengleiche Paarung wurden die Unterschiede in der Beinlange der Haggis-Population noch verstarkt. Das Wilde Haggis ist ein Pflanzenfresser und ernahrt sich angeblich am liebsten von Pilzen mit Tartanmuster. Eine „Studie“ der Haggis Wildlife Foundation ergab, dass der Bestand an Wildem Haggis in den Highlands zwischen 1994 und 2024 um 74,8 % zuruckgegangen sei, wofur vor allem die Verschmutzung seines Lebensraumes mit Mikroplastik verantwortlich gemacht wird. Rund um das Wilde Haggis Laut einer Online-Umfrage aus dem Jahr 2003 glaubte ein Drittel von 1000 US-amerikanischen Touristen in Schottland, dass das Wilde Haggis tatsachlich existiere. Als eine mogliche Ursache fur diese Annahme wird ein satirisches Gedicht des Dichters James J. Montague vermutet, das 1924 in der New York Herald Tribune erschien: Rund um das Fabelwesen haben sich Communitys gebildet, wie etwa die Wild Haggis Foundation oder Gruppen, in denen man lernen kann, wie man ein Wildes Haggis jagt. Das Gericht Haggis wird tatsachlich aus den Innereien von Schafen zubereitet. Siehe auch Donertier, eine vergleichbare Legende Literatur MacDougal MacDougal: Scotland’s Wild Haggis. Rare Photographs from the Haggis Wildlife Foundation Archives (1890–1905). Independently published, 2023, ISBN 979-88-6573232-7 (englisch). Sacred Order of the Haggis: Wild Haggies Spotting in Scotland. Selbstverlag, 2025, ISBN 979-83-0614761-1 (englisch). Stuart McHardy: The Wild Haggis an the Greetin-faced Nyaff. Scottish Children’s Press, 1995, ISBN 1-899827-04-8 (englisch). Weblinks Haggis Wildlife Foundation: Scotland's Sharp Hair Wild Haggis auf YouTube, 9. Marz 2024, abgerufen am 16. Januar 2025 (Laufzeit: 0:39 min). Einzelnachweise
Das Wilde Haggis (humoristischer wissenschaftlicher Name: Haggis scoticus) ist ein fiktives kleines Saugetier der schottischen Folklore, das angeblich in den Highlands beheimatet ist. Es heißt, dass aus dem Fleisch des Wesens Haggis gekocht wird, ein traditionelles Gericht der schottischen Kuche.
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Pavel Taussig (* 24. November 1933 in Bratislava, Tschechoslowakei) ist ein slowakischer Schriftsteller, Satiriker, Autor, Fotograf und Uberlebender des Holocaust. Er war Mitbegrunder des Satiremagazins Titanic. Als Kind uberlebte er mehrere Konzentrationslager. Leben Pavel Taussig wurde am 24. November 1933 in Bratislava in einer burgerlichen judischen Familie geboren, sein Vater handelte mit Brennholz und Kohle. Die Familie war wohlhabend und vollstandig assimiliert. Pavel Taussig wurde gleich nach der Geburt von einem evangelischen Pfarrer getauft. Seine judische Herkunft war zu Hause kein Thema, Pavel Taussig besuchte eine slowakische Schule. Erst im Alter von acht Jahren erfuhr er von seinen Eltern seine Herkunft. Wegen des Aufstiegs des Nationalsozialismus in der zweiten Halfte der 1930er Jahre begann sich die Lage der Juden zu verschlechtern. Seine Eltern konvertierten 1938 selbst. Nach der Grundung des Protektorats Bohmen und Mahren und des ab 1939 unabhangigen Slowakischen Staates war eine Auswanderung nicht mehr moglich. Pater Artur Taussig verlor seine Arbeit und die Familie musste mehrmals umziehen. Am 26. Oktober 1944, gegen Ende des Slowakischen Nationalaufstands, verhaftete die SS die Familie beim Abendessen und sie wurde in Viehwaggons ins KZ Auschwitz deportiert, wo sie am 3. November ankam. In Auschwitz uberlebte Taussig nur durch Zufall, da er fur ein todliches medizinisches Experiment uberraschend nicht ausgewahlt wurde. Den Todesmarsch im Januar 1945 ins KZ Mauthausen uberlebte er, weil ihn Mithaftlinge zeitweilig trugen. Dort wurde er in den Außenlagern Melk und Gunskirchen interniert. Am 4. Mai 1945 wurde er – schwer krank und fast verhungert – von US-amerikanischen Soldaten befreit. Er litt bereits unter gefahrlichen Magenbeschwerden und Tuberkulose. Nach einer mehrwochigen Erholung in Horsching und Linz kehrte er Mitte 1945 nach Bratislava zuruck, wo er seine Eltern traf. Er wurde etwa ein Jahr lang in der Hohen Tatra wegen Tuberkulose behandelt. Ab 1946 besuchte er das Gymnasium in Bratislava. Im Jahr 1958 schloss er sein Studium der Bibliothekswissenschaft und der Slowakischen Sprache an der Philosophischen Fakultat der Comenius-Universitat Bratislava ab und wurde Journalist, Autor und Cartoonist. Von 1956 bis 1964 war er als Bibliothekar, Leiter der Werbeabteilung des Slowakischen Verlags fur Schone Literatur und von 1964 bis 1968 als Herausgeber der slowakischen Satirezeitschrift Rohac tatig. Er heiratete in Bratislava eine Osterreicherin. Im Jahr 1962 veroffentlichte er den Roman Hana. Im Jahr 1968 floh er in Folge des Prager Fruhlings auf Anraten seines Chefredakteurs mit seiner Ehefrau nach Deutschland und lebt seitdem in Frankfurt am Main. In Frankfurt arbeitete er fur pardon. 1979 grundete er die Titanic mit, fur die er Cartoons beisteuerte. In den 1980er Jahren veroffentlichte er zwei Bucher: eine satirische Kurzgeschichte und eine Cartoonsammlung. Fur seinen Sohn ubersetzte er zu dessen 11. Geburtstag sein Kinder-Tagebuch ins Deutsche. Im Jahr 2018 erschien seine darauf aufbauende Autobiografie in Tschechien und eine deutsche Ausgabe 2022. Am 27. Januar 2020 begleitete er Bundesprasident Frank-Walter Steinmeier auf dessen Einladung bei einer Reise nach Auschwitz zur Gedenkfeier anlasslich des 75. Jahrestags der Befreiung des Lagers. Werke (Auswahl) Hana. Roman. Vydavatelstvo Rak, Bratislava 1962, ISBN 978-80-85501-55-1 (slowakisch, 184 S.). Jedinecna svata. Humorne a satiricke povidky. 68 Publishers, Toronto 1985, ISBN 80-219-0155-1 (slowakisch, 210 S.). Blbe, ale nase. Kreslene vtipy. 68 Publishers, Toronto 1987, ISBN 0-88781-191-4 (slowakisch, 48 S.). Chlapec, ktery prezil pochod smrti … a natruc jsem neumrel! Autobiograficke vzpominky. Cosmopolis, Prag 2018, ISBN 978-80-271-0410-9 (slowakisch, 208 S.). Sarah Friedrich, Uwe Neumarker (Hrsg.): Ich habe den Todesmarsch uberlebt. Erinnerungen und Tagebuch eines Elfjahrigen. Stiftung Denkmal fur die Ermordeten Juden Europas, Berlin 2022, ISBN 978-3-942240-41-3 (155 S.). Einzelnachweise
Pavel Taussig (* 24. November 1933 in Bratislava, Tschechoslowakei) ist ein slowakischer Schriftsteller, Satiriker, Autor, Fotograf und Uberlebender des Holocaust. Er war Mitbegrunder des Satiremagazins Titanic. Als Kind uberlebte er mehrere Konzentrationslager.
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c-68
Abel Will (seltener auch Abel Wild, litauisch Abelis Vili(u)s, * in Pobethen (Samland); † nach 1575 in Konigsberg, Herzogtum Preußen) war ein preußischer Reformator und evangelisch-lutherischer Pfarrer in Pobethen. Er ubersetzte 1561 Martin Luthers Kleinen Katechismus in die heute ausgestorbene altpreußische Sprache (prußische Sprache), samlandischer Dialekt. Seine Ubersetzung war die dritte Ubersetzung des Kleinen Katechismus ins Prußische, nach zwei alteren 1545 von Hans Weinreich gedruckten von unbekannten Ubersetzern. Wills prußische Ubersetzung des Katechismus ist fur die Baltistik zur Erforschung des Altpreußischen aufgrund ihres großeren Umfangs und der Markierung von Intonations- und Akzentverhaltnissen fur die Aussprache von großem Wert, die wichtigste Quelle zur Erforschung des Prußischen, das um 1700 ausstarb. Leben Abel Will entstammte einer alteingesessenen Familie in Pobethen. Sein Onkel, der Muller Matthias Will oder „Mads Bubisch“, hatte 1527 die Muhle in Pobethen ubernommen, die bereits seine Vorfahren betrieben hatten. Wills Vater Michael Will war 1520, also schon vor der Reformation, Priester der Kirche Pobethen. Er konvertierte zum Luthertum und wurde 1529 als lutherischer Prediger in Pobethen bestatigt. 1540 wurde er Hofprediger in Memel. Weder Abel Wills Geburtsjahr noch das Jahr seines Amtsantrittes in Pobethen sind bekannt. 1544–45 war er an der in diesem Jahr neu gegrundeten Albertus-Universitat Konigsberg unter dem Namen Abel Wild Regiomontanus fur Theologie eingeschrieben. Ob Abel Will prußischer oder deutscher Herkunft und Muttersprache war, ist nicht direkt bekannt und wird anhand der Indizien verschieden beantwortet. Daraus, dass Pobethen im 16. Jahrhundert noch eine Hochburg der gesprochenen prußischen Sprache war, er aus einer alteingesessenen Familie stammte und den Auftrag zur Ubersetzung erhielt, schlussfolgerten einige Historiker, dass er prußisch war. Andere zogen aus seinem Namen und aus der Tatsache, dass er einen muttersprachlichen Mitautor brauchte und dass von ihm deutschsprachige Briefe erhalten sind, den Schluss, dass er deutsch war und Prußisch nicht vollstandig beherrschte. Allerdings gab sein Onkel Matthias Will laut eines Visitationsvermerkes an, dass sein Neffe ohne Tolken, ohne bauerliche Ubersetzer in die baltischen Sprachen, predigen konne. = Katechismusubersetzung = Im Jahr 1554 wurde er vom zum Protestantismus ubergetretenen Herzog Albrecht in Preußen auf Empfehlung des Hofpredigers Johann Funck mit einer vollstandigeren Ubersetzung von Luthers Kleinem Katechismus beauftragt, die er in Zusammenarbeit mit dem Tolken des Altpreußischen, Paul Megot(t) 1561 beendete. Gleichzeitig zur Ubersetzungsarbeit blieb Will Pfarrer in Pobethen. Die Ubersetzung war in dem Dialekt gehalten, der auf den mittelalterlichen prußischen Stammesverband der Semba, deutsch auch „Samlander“ genannt, zuruckgeht. Nach einem erhaltenen Bittgesuch Abel Wills an Johann Funck von 1559 war Paul Megott ein schon betagter freier Bauer aus dem zum Kirchspiel gehorenden Dorf Biegiethen, der ihm die Ubersetzung wesentlich erleichterte, aber von dem lokalen Amtmann Georg von Eichicht zunehmend in Frondienste eingebunden wurde („Scharwerk auferlegt, das seine Vorfahren und auch er, zuvor niemals haben thun durfen“, siehe Bauernlegen), so dass die Ubersetzung nachhaltig behindert wurde. Will setzte sich fur die Befreiung von Megott und seiner Frau ein und erbat fur ihn eine Besoldung als kirchlicher Ubersetzer, wie er sie auch selbst erhielt. Megott beherrschte nach Will nicht nur Prußisch, samlandischer Dialekt, sondern auch die beiden anderen bedeutenderen baltischen Sprachen Preußens fließend: Litauisch im schemaitischen Dialekt Preußisch Litauens und Nehrungskurisch („Kurisch“) im Kustengebiet, das dem Lettischen nahesteht und dessen letzte Sprecher Anfang des 21. Jahrhunderts leben. Im Jahr 1561 wurde die Katechismusubersetzung unter dem Titel Enchiridion. Der kleine Catechismus Doctor Martin Luthers. Teutsch vnd Preussisch in der Druckerei von Hans Daubmann in Konigsberg gedruckt. Zusatzlich zu zwei alteren, kurzeren prußischen Katechismusubersetzungen von 1545 umfasst Wills Enchiridion nicht nur die funf Hauptstucke, sondern auch Luthers Erklarungen mit Frage-Antwort-Schablone und eine Agende fur Tauf- und Trauliturgie aus der Preußischen Kirchenordnung von 1558. Anders als diese beiden alteren Ubersetzungen und weitere prußische Texte enthalt Wills Katechismus durchgehend Hilfszeichen fur die Aussprache und Akzente fur die Betonung, was Abels Ubersetzung zur wertvollsten, langsten und wichtigsten linguistischen Quelle zur Erforschung der um 1700 ausgestorbenen prußischen Sprache macht. Die deutschsprachigen Vorworte der Katechismusubersetzung schrieben Herzog Albrecht personlich und danach Abel Will. = Osiandrischer Streit = Im Osiandrischen Streit um die theologische Rechtfertigungslehre des ostpreußischen Reformators Andreas Osiander († 1552), die der fuhrende lutherische Reformator Philipp Melanchthon vehement bekampfte, wechselte Abel Will durch den Einfluss eines Burgers von Konigsberg von einer ursprunglich sehr anti-osiandrischen Haltung zum uberzeugten Anhanger der Theologie Osianders. Im Jahr 1552 bekannte Will vor seiner Gemeinde in Pobethen, bisher theologisch falsch gedacht zu haben. Daraufhin wurde er wahrend einer Taufe von zwei hohen herzoglichen Wurdentragern, dem Rustmeister und dem Rittmeister, aufgesucht und ein offener Streit brach aus. Die beiden waren inoffiziell von dem gegen Osianders Lehre eingestellten evangelischen Kircheninspektor Joachim Morlin geschickt worden, wie Briefwechsel zwischen ihnen uberliefern. Ein ausfuhrlicher Brief Wills an Hofprediger Funck uberliefert die Ereignisse aus seiner Sicht ebenfalls. Im Jahr 1554 wurde Abel Will kurzzeitig als Anhanger der theologischen Lehre Osianders inhaftiert. Das hinderte Herzog Albrecht und Johann Funck nicht an ihrem Auftrag zur prußischen Katechismusubersetzung, eher im Gegenteil, denn Albrecht und Funck waren bekanntermaßen ebenfalls Anhanger der offiziell verponten Theologie des verstorbenen Osiander. Viele Historiker sehen darin den Hauptgrund fur den Ubersetzungsauftrag an ihn. Im Jahr 1568 geriet Will nach dem Tod Herzog Albrechts und zwei Jahre nach der Hinrichtung von Johann Funck erneut in Schwierigkeiten, als Joachim Morlin, inzwischen Bischof von Samland, bei einer Gemeindevisitation feststellte, dass Wills Amtsfuhrung mangelhaft und er zudem unverandert Anhanger von Osiander sei. Will leistete Abbitte und Wiedergutmachung, woraufhin ihn Morlin im Pfarramt beließ. In den folgenden Jahren erblindete Abel Will und bat Herzog Albrecht Friedrich, den Sohn des verstorbenen Albrecht, 1575 um Entbindung von seiner Pfarrstelle und Umzugserlaubnis ins Lobenichtsche Hospital von Konigsberg. Wie lange er dort noch lebte, ist nicht bekannt. Werk Martin Luther: Enchiridion. Der kleine Catechismus Doctor Martin Luthers. Teutsch vnd Preussisch. Hrsg.: Abel Will. Johann Daubman, Konigsberg 1561 (staatsbibliothek-berlin.de [abgerufen am 24. Januar 2025]). Literatur Pietro U. Dini: Allgemeine Ansatze zur vergleichend-kontrastiven Analyse der baltischen Fassungen des Lutherschen „Kleinen Katechismus“. In: Baltistica. XLII (1), 2007, S. 69–88 (baltistica.lt). Pietro U. Dini: ‚ins undeudsche gebracht.‘ Sprachgebrauch und Ubersetzungsverfahren im altpreußischen ‚Kleinen Katechismus‘. Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Gottingen. Neue Serie 33. De Gruyter. Berlin/Boston 2014 (Google Books). Eduard Hermann: Abel Will und die altpreußische Sprache. In: Indogermanische Forschungen. Band 60, 1952, S. 241–253. Abel Will in der Visuotine lietuviu enciklopedija (Litauische Allgemeine Enzyklopadie) (litauisch) Abelis Vilis in der Mazosios Lietuvos enciklopedija (Kleinlitauische Enzyklopadie) (litauisch) Anmerkungen
Abel Will (seltener auch Abel Wild, litauisch Abelis Vili(u)s, * in Pobethen (Samland); † nach 1575 in Konigsberg, Herzogtum Preußen) war ein preußischer Reformator und evangelisch-lutherischer Pfarrer in Pobethen. Er ubersetzte 1561 Martin Luthers Kleinen Katechismus in die heute ausgestorbene altpreußische Sprache (prußische Sprache), samlandischer Dialekt. Seine Ubersetzung war die dritte Ubersetzung des Kleinen Katechismus ins Prußische, nach zwei alteren 1545 von Hans Weinreich gedruckten von unbekannten Ubersetzern. Wills prußische Ubersetzung des Katechismus ist fur die Baltistik zur Erforschung des Altpreußischen aufgrund ihres großeren Umfangs und der Markierung von Intonations- und Akzentverhaltnissen fur die Aussprache von großem Wert, die wichtigste Quelle zur Erforschung des Prußischen, das um 1700 ausstarb.
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c-69
Margot Dias, GOIH, (* 4. Juni 1908 in Nurnberg als Margot Schmidt; † 26. November 2001 in Obidos, Portugal) war eine aus Deutschland stammende portugiesische Musikerin, autodidaktische Ethnologin und Dokumentarfilmerin. Leben und Wirken = Fruhe Jahre = Margot Schmidt wurde 1908 in Nurnberg geboren. Ihr Vater war Bierbrauer und ihre Mutter, die aus einer Handwerkerfamilie stammte, arbeitete vor der Heirat in einem Juweliergeschaft. Bereits in jungen Jahren nahm Schmidt Klavierunterricht, zunachst bei ihrer alteren Schwester. Im Alter von 18 Jahren zog sie nach Munchen, um ihr Musikstudium fortzusetzen, und verdiente ihren Lebensunterhalt durch privaten Klavierunterricht. 1940 schloss sie ihr Klavierstudium an der Munchner Musikhochschule ab und lernte ihren spateren Ehemann Jorge Dias bei einem Konzert in Rostock kennen. Jorge Dias war von 1938 bis 1939 Dozent fur Portugiesisch an der Universitat Rostock, von 1939 bis 1942 an der Universitat Munchen und von 1942 bis 1944 an der Universitat Berlin. Sie heirateten im November des folgenden Jahres und ubersiedelten 1944, noch vor Ende des Zweiten Weltkriegs, mit ihren beiden Kindern nach Portugal. Dabei verloren sie alle Bucher und Partituren durch einen Brand am Flughafen. = Portugal = In den 1940er Jahren widmete sich Margot Dias den volkstumlichen Liedern des Ortes Vilarinho da Furna und unterstutzte ihren Mann bei seiner Dissertation, die er 1944 an der Universitat Munchen verteidigte. Er fugte diese Lieder im Kapitel XIV, Feste, Tanze, Lieder seiner Doktorarbeit uber diesen Ort hinzu. Jorge Dias wurde 1947 beauftragt, die ethnografische Abteilung des Zentrums fur ethnologische Studien (CEEP) zu leiten, und Margot Dias wurde dort aufgrund ihrer autodidaktisch erworbenen Kenntnisse offiziell seine Mitarbeiterin. Zu diesem Team gehorten auch Fernando Galhano, Ernesto Veiga de Oliveira und Benjamim Enes Pereira. Ihr letztes Klavierkonzert gab sie 1956 und widmete sich fortan ganz der Ethnologie. = Angola, Mosambik und Portugiesisch-Guinea = Nach 1957 begleitete sie Jorge Dias, der spater als der bedeutendste portugiesische Anthropologe des 20. Jahrhunderts bezeichnet wurde, auf Missionen nach Angola, Mosambik und Portugiesisch-Guinea zur Erforschung ethnischer Minderheiten in den damaligen portugiesischen Kolonien. Der kolonialpolitisch motivierte Auftrag dieser Missionen bestand darin, die indigene Bevolkerung in den portugiesischen Uberseegebieten und ihre Einstellung gegenuber der kolonialen Herrschaft zu untersuchen. Zwischen 1957 und 1961 fuhrte das Ehepaar Dias unter anderem Forschungskampagnen uber die Makonde im Norden Mosambiks, die Chopi im Suden Mosambiks und die Khoisan in Angola durch. In der Kampagne von 1961 kehrte Margot Dias alleine auf das Makonde-Plateau zuruck, um fehlende Informationen zu sammeln. Diese Kampagnen fuhrten zur Veroffentlichung von zwei gemeinsam verfassten Banden uber die Makonde in Mosambik. Margot Dias konzentrierte sich dabei auf ihre Studien zu Verwandtschaftsbeziehungen, Initiationsriten, Gebrauchsgegenstanden, Musik und traditionellen Skulpturen. Dabei machte sie zahlreiche Fotografien und Filmaufnahmen, unter anderem von Pubertatsriten der jungen Frauen, Maskentanzen, Geschichtenerzahlern, Topfer- und Korbflechtarbeiten oder Praktiken von traditionellen Heilern. Weitere Dokumente waren ihre Tonaufnahmen und detaillierte ethnografische Aufzeichnungen. Einer ihrer seltenen Kommentare, der eine kritische Einschatzung gegenuber der portugiesischen Kolonialpolitik nach dem Massaker von Mueda am 16. Juni 1960 ausdruckte, lautete: „Wir waren uns 1961 bewusst, dass es das letzte Mal war – dass sich alles andern wurde. Meine Notizen beschreiben eine sehr große Traurigkeit, denn es gibt ein Misstrauen, die Schwarzen versteckten sich im Busch, sie hatten Angst vor den Weißen, und die Weißen vor den Schwarzen.“ = Spatere Jahre = Nach 1965 unterstutzte Margot Dias die Grundung des heutigen Nationalen Museums fur Ethnologie und steuerte das erste Objekt fur die ethnografische Sammlung bei, einen Behalter, mit dem Makonde-Frauen Wasser holten. Jorge Dias wirkte von 1965 bis zu seinem Tod im Jahr 1973 als erster Direktor des als Museu de Etnologia do Ultramar (Museum fur Ethnologie der portugiesischen Uberseegebiete) in Lissabon gegrundeten ethnografischen Museums. Nach dem Tod ihres Mannes setzte sie ihre ethnologische Arbeit fort, wobei sie weiterhin Studien uber die Kultur in Mosambik veroffentlichte. Karin Schmidt Dias, die Tochter von Margot und Jorge Dias, war in dessen erster Ehe mit dem spateren Staatsprasidenten Portugals, Jorge Sampaio, verheiratet. – Im Jahr 2001 verstarb Margot Dias im Alter von 93 Jahren in der portugiesischen Kleinstadt Obidos. Ausgewahlte Veroffentlichungen = Monografien und Studien = Jorge Dias, Margot Dias, Manuel Viegas Guerreiro: Os Macondes de Mocambique, vol. 1 – 4, 1964/1970. Hrsg.: Junta de Investigacoes do Ultramar, Centro de Estudos de Antropologia Cultural. Lissabon (portugiesisch, 1168 S., Neuausgabe des ersten Bands 1998 mit einem Vorwort von Rui Pereira). Daneben verfasste Margot Dias mehrere ethnologische Studien uber ihre Feldforschungen in Mosambik und Angola: Instrumentos musicais de Mocambique. Lissabon: Instituto de Investigacao Cientifica Tropical, 1986. (portugiesisch) O Fenomeno Da Escultura: Maconde Chamada ‘Moderna’. Junta de Investigacoes do Ultramar, 1973. (portugiesisch) Die Maganja da Costa. Beitrag zum Studium der Verwandtschaftssysteme Mocambiques. In: Baessler-Archiv. (worldcat.org). Makonde-Topferei. In: Baessler-Archiv, Bd. IX. 1961 (worldcat.org). Gruppenbildende und individuelle Musikinstrumente in Mocambique. (worldcat.org). Mosambik. In: Gerhard Kubik (Hrsg.): Musikgeschichte in Bildern. Ostafrika. Band 1, Nr. 10. VEB Deutscher Verlag fur Musik, Leipzig 1982. = Ethnografische Dokumentarfilme = Im Jahr 2016 veroffentlichten das Nationale Museum fur Ethnologie, die Generaldirektion fur kulturelles Erbe und die Cinemateca Portuguesa 28 ethnografische Dokumentaraufnahmen, die Dias zwischen 1958 und 1961 gefilmt hatte, mit einer Einleitung und eingesprochenen Kommentaren aus ihren Aufzeichnungen auf DVD. Auszeichnungen Am 4. Februar 1989 wurde Margot Dias mit dem Orden des Infanten Dom Henrique durch den portugiesischen Prasidenten Mario Soares dekoriert. Ihr und Benjamim Pereira zu Ehren stiftete die Portugiesische Gesellschaft fur Anthropologie den APA-Margot-Dias-und-Benjamim-Pereira-Preis, mit dem Arbeiten auf dem Gebiet der visuellen Anthropologie ausgezeichnet werden. Rezeption Laut dem Sozialanthropologen Joao Leal stand Margot Dias zu Unrecht im Schatten ihres Mannes, was der britische Sozialanthropologe Harry G. West als ein haufiges Phanomen unter Ehepaaren bezeichnete, die in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts als Ethnologen arbeiteten. Wahrend Jorge Dias als Leiter der Mission und Universitatsprofessor gesehen wurde, war seine Frau die Ethnologin, die von den Menschen fasziniert war und eine Beziehung mit ihnen aufbauen konnte. Dabei richtete sich ihr Interesse auch besonders auf Frauen der afrikanischen Ethnien. Ihre gemeinsam verfassten umfassenden Bande uber die Kultur der Makonde in Mosambik, Os Macondes de Mocambique (1964/70), wurden zu einem Referenzwerk der ethnologischen Studien in Portugal. Den geplanten funften Band uber die Skulptur und Musik der Makonde wollte sie jedoch nicht vollenden, da sie sich dafur ihren verstorbenen Mann als Mitautor gewunscht hatte. Die von Jorge und Margot Dias verfassten drei Bande uber die Makonde von Mosambik wurden in Rezensionen von Fachkollegen in den 1960er Jahren einerseits als „exzellente Werke sozialanthropologischer Literatur“ bezeichnet. Andererseits kritisierte die Sozialanthropologin Susan Drucker den „unkritischen Umgang mit Quellen, ethnozentrische Vorurteile, Mutmaßungen und einen literarischen Stil“. Im Vorwort des portugiesischen Politikers Rui Pereira zur 1998 erschienenen Neuausgabe des ersten Bandes kommentiert dieser den kolonialpolitischen Kontext der Mission: „Jorge Dias [scheint] im Laufe der Kampagnen die Hierarchie der Interessen, die zuvor von den Geldgebern seiner Forschungen im Norden Mosambiks festgelegt worden war, umgedreht zu haben, d. h. er hat die eminent ethnologischen Ziele in den Vordergrund gestellt.“ Die Notizbucher, mehr als 1800 Filme und 6000 Tonaufnahmen sowie die technische Ausrustung von Margot Dias befinden sich heute im Besitz des Nationalen Museums fur Ethnologie (MNE) in Lissabon. Ihre Filmdokumente zur ethnografischen Forschung seit Mitte der 1950er Jahre wurden von Paulo Costa, Direktor des MNE, als „absolut wegweisend“ und „außergewohnlicher Schatz“ bewertet. In ihrer Studie Evidence and Fiction: An Untimely Alliance with the Photography Archive of Margot Dias and Jorge Dias benutzte die Kunstlerin Catarina Simao unter anderem Fotos von Jorge und Margot Dias als fotografisches Medium, um damit Konzepte wie „Authentizitat“ und „Kolonialitat“ im Sinne der Visuellen Anthropologie zu untersuchen. Im Jahr 2022 veroffentlichte die portugiesische Regisseurin Catarina Alves Costa den Dokumentarfilm Margot, der auf einer vorausgegangenen Fernsehdokumentation beruht. Der Film behandelt das Leben von Margot Dias von ihrer Jugend im Deutschland der 1920er Jahre bis zu ihren ethnologischen Studien mit Jorge Dias und enthalt Originalfotos und Filmszenen. Er wurde unter anderem bei Dokumentarfilmfestivals in Lissabon, Porto, Munchen und Wien gezeigt. Weblinks Margot Dias bei IMDb Trailer fur den Film von Catarina Alves Costa Margot auf Vimeo Fotografien mit Margot Dias bei den Makonde im Archiv des Nationalen Museums fur Ethnologie in Lissabon Literatur Lurdes Macedo, Viviane Almeida: Adventures in Mozambique and the Portuguese Tendency to Forget: A Radical Critique of Portuguese Late Colonialism by Angela Ferreira. In: Portuguese Studies. Band 40, Nr. 2, 2024, ISSN 2222-4270, S. 202–217 (englisch, jhu.edu). Joao Leal: Abreise aus Berlin: os ultimos meses de Jorge Dias na Alemanha (1943-1944). In: Etnografica. Nr. 27(2), 29. Juni 2023, ISSN 0873-6561, S. 495–525, doi:10.4000/etnografica.14041 (portugiesisch, openedition.org [abgerufen am 28. Januar 2025]). Viviane Almeida, Renata Flaiban Zanete, Lurdes Macedo: Autoria em Margot Dias pela lente revivescente da pos-memoria. In: ex aequo - Revista da Associacao Portuguesa de Estudos sobre as Mulheres. Nr. 47, 15. Juni 2023, S. 117–136, doi:10.22355/exaequo.2023.47.09 (portugiesisch, apem-estudos.org [PDF] Open access). Catarina Simao: Evidence and Fiction: An Untimely Alliance with the Photography Archive of Margot Dias and Jorge Dias. In: Zeitschrift fur Kulturwissenschaften. Band 15, Nr. 2, 1. Dezember 2021, ISSN 2197-9111, S. 167–202, doi:10.14361/zfk-2021-150213 (englisch, degruyter.com). Paolo Costa, Catarina Alvez Costa (Hrsg.): Margot Dias - Filmes Etnograficos (1958-1961). Museu Nacional de Etnologia, Lissabon 2014 (portugiesisch). Paolo Israel: In Step with the Times: Mapiko Masquerades of Mozambique. Ohio University Press, 2014, ISBN 978-0-8214-4486-3 (englisch, google.com). Einzelnachweise
Margot Dias, GOIH, (* 4. Juni 1908 in Nurnberg als Margot Schmidt; † 26. November 2001 in Obidos, Portugal) war eine aus Deutschland stammende portugiesische Musikerin, autodidaktische Ethnologin und Dokumentarfilmerin.
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Der Alvis TC 21 ist ein Oberklassefahrzeug des ehemaligen britischen Automobilherstellers Alvis Cars, das zur Alvis Three Litre Series gehort. Das Modell debutierte Anfang 1953 als Limousine und loste den seit 1950 produzierten TA 21 ab. Eine weiterentwickelte, nunmehr auch als Cabriolet erhaltliche Variante erschien bereits im Herbst 1953 als Alvis TC 21/100, fur den sich die inoffizielle Bezeichnung Grey Lady etabliert hat. Die TC-21-Modelle sind die letzten Alvis-Fahrzeuge mit einem Karosseriedesign, das seinen Ursprung in der Vorkriegszeit hat. Entstehungsgeschichte Das 1919 gegrundete Unternehmen Alvis etablierte sich in den Zwischenkriegsjahren schnell als erfolgreicher Hersteller von Oberklassefahrzeugen, die sportliche Fahrleistungen boten und von hoher handwerklicher Qualitat waren. Die Werksanlagen wurden wahrend des Zweiten Weltkriegs vollstandig zerstort. Ungeachtet dessen nahm Alvis 1946 die Automobilproduktion in zunachst improvisiertem Umfeld wieder auf. Im Programm stand in den ersten Jahren der Alvis TA 14, der weitgehend mit dem 1937 vorgestellten 12/70 ubereinstimmte und im Werk als bloßes Interimsmodell angesehen wurde. 1950 ersetzte Alvis den TA 14 durch den TA 21, fur den ein neuer, geringfugig großerer Rahmen und neuer Reihensechszylindermotor konstruiert wurde. Der TA 21 war als geschlossener Saloon mit Mulliners-Karosserie und als offenes Drophead Coupe mit Tickford-Aufbau erhaltlich; die Karosserien erinnerten stilistisch stark an die des TA 14, die ihrerseits ihren Ursprung im Vorkriegsdesign haben. Anfangliche Planungen aus dem Jahr 1952 sahen vor, den TA 21 im Sommer 1956 durch die vollig neu konstruierte Limousine TA 350 mit selbsttragender Karosserie im Pontonstil und Achtzylinder-V-Motor zu ersetzen, die unter der Leitung von Alec Issigonis entwickelt wurde. Die Zeit bis zu seinem Erscheinen sollte eine leicht uberarbeitete Version des TA 21 uberbrucken. Diese Luckenfullerfunktion ubernahm der Alvis TC 21, der im Fruhjahr 1953 auf den Markt kam. Der wesentlichste Unterschied zum TA 21 betraf den Motor, der im TC 21 deutlich leistungsstarker war. Bereits ein halbes Jahr spater brachte Alvis eine in Details verbesserte Version des TC 21 heraus, die ab Oktober 1953 als TC 21/100 vermarktet wurde. Formal standen der TC 21 und der TC 21/100 bis 1955 nebeneinander im Programm; tatsachlich wurden aber ab 1954 nur noch TC 21/100 gebaut. Eine Roadster-Version in der Tradition des TB 21, der noch als Schwestermodell des TA 21 erhaltlich gewesen war, gab es neben dem TC 21 nicht mehr. Im letzten Baujahr des TC 21/100 geriet Alvis in eine schwere Krise. 1955 zerbrach einerseits unvorhergesehen die Verbindung zu den Karosserieherstellern Mulliners und Tickford, ohne dass Alvis einen Ersatz hatte; andererseits war das Projekt TA 350 finanziell aus dem Ruder gelaufen und musste aufgegeben werden. Daraufhin erwog die Unternehmensleitung im Sommer 1955 die dauerhafte Einstellung der Automobilproduktion. Letztlich entwickelte Alvis zusammen mit dem Schweizer Karosseriehersteller Graber den TC 108/G, mit dem der Bau von Automobilen ab 1956 jedenfalls in geringen Stuckzahlen fortgesetzt werden konnte. Der TC 108/G wurde zum Ausgangspunkt der Neuausrichtung der Three-Litre-Serie. Bezeichnung Das Auto wurde in der Werbung vielfach lediglich als Alvis Three Litre bezeichnet. Der Code TC 21 kam im Laufe der Produktionszeit hinzu. Er setzt die 1950 mit dem TA 21 begonnene und 1951 mit dem TB 21 erganzte Reihe alphabetisch konsequent fort. Einer Quelle zufolge kann das TC auch als Abkurzung von „Twin Carburettors“ gelesen werden, also als Hinweis darauf, dass der Motor dieser Modellversion mit zwei Vergasern ausgestattet ist. Modellbeschreibung TC 21 = Fahrwerk = Chassis und Fahrwerk des TC 21 stimmen mit dem des TA 21 uberein. Grundlage ist ein aus miteinander verschweißten Stahlrohren bestehender Kastenrahmen mit seitlichen Auslegern zwischen Vorder- und Hinterradern. Wie beim TA 21 betragt der Radstand 2832 mm. Vorn ist eine Doppelquerlenkerachse mit Schraubenfedern und Teleskopdampfern von Girling eingebaut, hinten eine Starrachse mit Blattfedern. = Motor und Kraftubertragung = Der TC 21 hat ebenso wie der TA 21 einen 2993 cm³ (Bohrung × Hub: 84 × 90 mm) großen Reihensechszylindermotor mit untenliegender Nockenwelle und zwei hangenden Ventilen pro Zylinder. Anstelle des Solex-Vergasers, der anfanglich serienmaßig in den TA-21-Modellen zum Einsatz kam, hat der TC 21 zwei SU-Vergaser (Typ H4), durch die die Motorleistung im Vergleich zum Vorganger um 21 auf 104 bhp steigt. Die gleiche Motorisierung findet sich auch im TC 21/100. = Karosserie = Der Alvis TC 21 war anfanglich nur als geschlossener Vierturer (Saloon) erhaltlich. Stilistisch und technisch stimmt der bei Mulliners of Birmingham hergestellte Aufbau mit dem des TA 21 vollstandig uberein. Der Aufbau besteht aus Stahlblechen, die an einem Holzgerust befestigt sind. Kennzeichnende Merkmale des konservativen, teilweise als „entsetzlich altmodisch“ und „selbst nach damaligen Maßstaben als anachronistisch“ empfundenen Entwurfs sind frei stehende, geschwungene Kotflugel vorn, seitliche Trittbretter und Vorderturen, die an der B-Saule angeschlagen sind. Die Turscharniere sind außenliegend an der B-Saule angebracht; erst mit dem TC 21/100 von 1954 wurden sie innenliegend verdeckt montiert. Die hinteren Radausschnitte sind zum Teil abgedeckt. Die vorderen Scheinwerfer sind in eine Metallverkleidung zwischen Kotflugeln und Kuhlermaske eingebunden. Zusatzscheinwerfer stehen auf hohen Stelzen. Modellbeschreibung TC 21/100 Grey Lady Auf der Earls Court Motor Show im Oktober 1953 stellte Alvis mit dem TC 21/100 eine weiterentwickelte Version des laufenden Modells vor, die sich durch einige technische und optische Anderungen von den ersten TC 21 unterscheidet. Die Modellbezeichnung TC 21/100 weist auf die Hochstgeschwindigkeit von 100 mph (161 km/h) hin, die diese Variante zuverlassig erreicht. Der TC 21/100 tragt auch den Beinamen Grey Lady (graue Dame). Er ist auf den damaligen Verkaufsdirektor von Alvis Cars zuruckzufuhren, der das 1953 in Earls Court gezeigte, in Grautonen lackierte und mit grauer Innenausstattung versehene Ausstellungsstuck zunachst inoffiziell so bezeichnete. Spater griff die Presse die Bezeichnung auf, und auch Alvis selbst ubernahm sie zeitweise. = Motor und Kraftubertragung = Zu den technischen Besonderheiten des TC 21/100 gehort ein neu konstruierter Zylinderkopf mit einem von 7 : 1 auf 8 : 1 erhohten Verdichtungsverhaltnis. Abgesehen davon blieb der Motorblock unverandert. Mit Blick auf eine hohere Endgeschwindigkeit modifizierte Alvis außerdem die Hinterachsubersetzung. = Karosserie = Der TC 21/100 war weiterhin mit geschlossener Karosserie als Saloon erhaltlich; außerdem stand mit Einfuhrung des TC 21/100 auch wieder ein offener Viersitzer im Programm. Der TC 21/100 Saloon wurde wiederum bei Mulliners gebaut. Die Karosserie entspricht weitestgehend der des einfachen TC 21. Allerdings sind die Turscharniere beim TC 21/100 nun innenliegend eingebaut, sodass sie von außen bei geschlossenen Turen nicht mehr zu sehen sind. Hierzu war eine Anderung des Gerusts, an dem die Karosserie befestigt ist, erforderlich. Auf Wunsch waren außerdem einige Detailanderungen erhaltlich, die den TC 21/100 vom einfachen TC 21 unterscheidbar machten. Dazu gehoren Drahtspeichenrader, zwei aufgesetzte Lufteinlasse auf der Motorhaube sowie ein Grey-Lady-Schriftzug an den vorderen Flanken. Sie finden sich bei vielen, aber nicht bei allen TC 21/100. Die Karosserie des wieder eingefuhrten TC 21/100 Drophead Coupe entsprach weitgehend der des offenen TA 21 und wurde ebenso wie sie bei Tickford in Newport Pagnell hergestellt. Die zusatzlichen Karosseriedetails, die beim Saloon erhaltlich waren, konnten auch beim Drophead Coupe bestellt werden. = Zwischenversionen = Der Ubergang vom TC 21 zum TC 21/100 vollzog sich schrittweise. Außerdem wurden einige TC 21 nachtraglich zum TC 21/100 durch den Einbau eines neuen Motors oder durch optische Details aufgewertet, sodass eine klare Abgrenzung der beiden Varianten nur begrenzt moglich ist. Produktion Von 1953 bis 1955 entstanden insgesamt 727 Autos der Baureihen TC 21 und TC 21/100; davon hatten 100 Cabriolet-Karosserien. Der letzte TC21 mit Mulliners-Aufbau wurde im Sommer 1955 fertiggestellt. Literatur David Culshaw: Alvis three litre in detail: TA 21 to TF 21 1950–67. Herridge and Sons, Beaworthy, Devon, England, 2003, ISBN 0-9541063-2-6. John Fox: Alvis Cars 1946-1967: The Post-War Years, Amberley Publishing Limited, 2016, ISBN 978-1-4456-5631-1. Rainer W. Schlegelmilch, Hartmut Lehbrink: Englische Sportwagen. Konemann, Koln 2001, ISBN 3-8290-7449-2. Weblinks Anmerkungen Einzelnachweise
Der Alvis TC 21 ist ein Oberklassefahrzeug des ehemaligen britischen Automobilherstellers Alvis Cars, das zur Alvis Three Litre Series gehort. Das Modell debutierte Anfang 1953 als Limousine und loste den seit 1950 produzierten TA 21 ab. Eine weiterentwickelte, nunmehr auch als Cabriolet erhaltliche Variante erschien bereits im Herbst 1953 als Alvis TC 21/100, fur den sich die inoffizielle Bezeichnung Grey Lady etabliert hat. Die TC-21-Modelle sind die letzten Alvis-Fahrzeuge mit einem Karosseriedesign, das seinen Ursprung in der Vorkriegszeit hat.
{ "url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Alvis_TC_21" }
c-71
Die Liste der Koniginnen auf Timor listet die weiblichen Herrscherinnen auf der Insel Timor auf, von denen es historische Uberlieferungen gibt. Hintergrund Prinzipiell wird nach dem timoresischen Glaubensprinzip des „Lulik“ die Macht zwischen einem weltlichen, mannlichen Liurai und einer spirituellen, weiblichen Maromak O’an (auch: lia nain, dato lulik, railuli, rei de pomali) geteilt. Allerdings spiegelt sich diese Philosophie nicht unbedingt in der Rollenverteilung der Geschlechter bei der politischen Macht wider. Die Machtinhaber sind haufig beides Manner. Der Mann, der die spirituelle Rolle ubernimmt, wird als „alte Frau“ bezeichnet und beschrieben als „schlafend“ und unbeweglich. Er ist fur Rituale und den Schutz der heiligen Gegenstande verantwortlich. Aber auch in der Geschichte Timors finden sich eine Reihe von weiblichen Herrschern, uber die portugiesische, niederlandische und andere europaische Quellen berichte. Hier werden sie „Koniginnen“ (portugiesisch Rainha) genannt. Es finden sich auch Frauen, die mit dem mannlichen Herrschertitel „Liurai“ genannt werden. In den kolonialen Berichten der Portugiesen wurden die weltlichen Fuhrer der zahlreichen kleinen Herrschaftsgebiete als „Konige“ (portugiesisch rei) oder „Kleinkonige“ (portugiesisch regulo) bezeichnet, weswegen diese Bezeichnung in dieser Liste fur die weiblichen Herrscherinnen ubernommen wird. Grund konnte die Ahnlichkeit des portugiesischen Wortes mit dem Herrschertitel Liurai (deutsch aus der Erde hervorragend) aus dem Tetum sein und die Tetum-Bezeichnung fur das Herrschaftsgebiet „Rai“ (portugiesisch reino, deutsch Reich). Andere europaische Sprachen ubernahmen diese Bezeichnung, wobei die Niederlander die Herrscher Raj oder Raja nannten. Herrscher, die einer Reihe anderer ubergeordnet waren, erhielten in niederlandischen Berichten sogar den Titel Kaiser. In neueren Veroffentlichungen wird die Beschreibung als Kleinkonige von einigen Autoren als „aus Europa eingefuhrt“ abgelehnt. Auch die Definition des Herrschaftsgebietes als „Reich“ ist relativ ungenau, da die Liurais nicht uber isolierte, homogene, soziokulturelle Gebilde herrschten, was ein Reich im eigentlichen Sinne ausmacht. Wie weit es ublich war, dass auch Frauen Herrscherinnen werden konnten, wird in historischen Berichten sehr unterschiedlich dargestellt. Louis de Freycinet schreibt in seinem Bericht, Frauen seien grundsatzlich von der Thronfolge ausgeschlossen. Der portugiesische Gouverneur Afonso de Castro (1859–1863) berichtet, dass in der Erbfolge die mannlichen Nachkommen bevorzugt wurden, wahrend Henry Ogg Forbes erklart, dass die altesten Tochter die Herrschaft ubernehmen, wenn es keine Sohne gibt. Sie wurden dann von einem Regenten unterstutzt und die Schwestern wurden Herrscher der Nachbarreiche heiraten. Fur ihre Konigin wurden die Einwohner des Reiches unter den Nachbardynastien einen Gemahl auswahlen. Ist die Auswahl getroffen, werde eine Abordnung an den Liurai entsandt, mit der Bitte, einen seiner Sohne als Ehemann fur die Konigin zu schicken. Wird der Kandidat akzeptiert, ziehe der Brautigam in sein neues Reich, das er von der Konigin als Geschenk erhalt, zusammen mit dem Herrschertitel. Man darf bei diesen Berichten aber nicht vergessen, dass es Dutzende Reiche gab und die Kolonialzeit auf Timor 400 Jahre abdeckt. In den ersten zweihundert Jahren der europaischen Prasenz auf Timor wird immer wieder von weiblichen Herrschern berichtet, teils mit großem Einfluss, wie der Konigin von Mena, die Portugal erst die Tore fur die Herrschaft uber den Westen von Timor offnete. Im 18. Jahrhundert gibt es dagegen abgesehen von der „weiblichen Liurai von Belu“ in Wehale (1732) keine ausfuhrlichen Berichte uber Herrscherinnen. So wird Isabel von Hera (1726) nur kurz erwahnt. Sofern die kolonialen Chronisten die Frauen nicht zu Gunsten der mannlichen Regenten verschwiegen haben, scheinen sie zu dieser Zeit nicht die Regel gewesen zu sein. Im 19. Jahrhundert tauchen in den kolonialen Berichten auf einmal eine Reihe von Herrscherinnen auf, weswegen Historiker von einer Ara der Koniginnen sprechen. 1815 erstellte der Sekretar eines portugiesischen Gouverneurs eine Liste, die allein zwolf Frauen aus Timor (und eine aus Larantuka) als rainha oder coronela (deutsch weiblicher Oberst, der militarische Rang, der Herrschern von den Portugiesen verliehen wurde) unter 55 Herrschern aufzahlte. 1854 nennt ein Dokument 13 Koniginnen in 47 Kleinreichen. Weitere Herrscherinnen tauchen in Berichten bis zum Anfang der 1890er Jahre auf, wobei die Zahl der Koniginnen anteilig wieder zu sinken schien. Im Gesamtuberblick hatten fast die Halfte der Kleinreiche Portugiesisch-Timors im 19. Jahrhundert zumindest eine weibliche Herrscherin. Parallel mit der zunehmenden Kontrolle der Portugiesen uber ihre Kolonie sank die Zahl der weiblichen Herrscher in den untergeordneten Vasallen. An den Randern der Reichweite Portugals, im außersten Osten und Suden, fehlen aus dieser Zeit Berichte uber die dortigen Kleinreiche. Man konnte annehmen, dass weibliche Herrscherinnen vermehrt erschienen, wenn der portugiesische Einfluss zwar bereits vorhanden war, die koloniale Kontrolle aber noch nicht ausgepragt war. Doch das Fehlen an Informationen darf man bei den Quellen nicht unterschatzen. Die Timoresen hatten keine eigene Schrift und Geschichtschronik entwickelt. In den mundlichen Uberlieferungen kann man bestenfalls einige Hinweise auf Usi Tetu Utang, der Kaiserin von Sonbai Kecil ableiten. Ahnlich ist es aber auch in der umgebenden Inselwelt zu dieser Zeit. Nur mit viel Phantasie erkennt man in der mundlichen Uberlieferung der Geschichte auf Sawu die Konigin Ina Tenga von Seba. Nur den beiden Koniginnen auf der Insel Solor, Nyai Cili und Nyai Cili Muda, erinnert man in der uberlieferten Geschichte. Liste Die angegebenen Zeitraume beziehen sich zum Teil nur auf das Jahr, aus dem es Berichte uber die Konigin gibt, nicht uber ihre gesamte Regentschaft. Die Schreibweise der Ortsnamen orientiert sich nach der heute offiziell ublichen Bezeichnung. Literatur Carlos Filipe Ximenes Belo: Os antigos reinos de Timor-Leste (Reys de Lorosay e Reys de Lorotoba, Coroneis e Datos). 2011, Baucau: Tipografia Diocesana Baucau. Douglas Kammen: Queens of Timor. In: Archipel. Band 84, Nr. 1, 2012, S. 149–173, doi:10.1017/S0022463409000216. Hans Hagerdal: Cycles of Queenship on Timor: A Response to Douglas Kammen. In: Archipel. Band 85, Nr. 1, 2013, S. 237–251, doi:10.3406/arch.2013.4394. Hans Hagerdal und Douglas Kammen: The Lost Queens of Timor. 2016, In: Women and the Politics of Gender in Post-Conflict Timor-Leste: Between Heaven and Earth, Eds Sara Niner. Routledge, Taylor and Francis Group, London, New York, doi:10.4324/9781315657387-3. Einzelnachweise
Die Liste der Koniginnen auf Timor listet die weiblichen Herrscherinnen auf der Insel Timor auf, von denen es historische Uberlieferungen gibt.
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c-72
Die traditionelle franzosische Reitkunst (franzosisch Equitation de tradition francaise) ist eine jahrhundertealte Reittradition, die fur ihre harmonische Beziehung zwischen Reiter und Pferd bekannt ist. Sie wurde 2011 von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt. Geschichte Die Anfange der franzosischen Reitkunst reichen bis ins 16. Jahrhundert zuruck. Im Jahr 1515 entdeckte der siegreiche Konig Franz I. nach der Schlacht bei Marignano die verfeinerte italienische Reitkunst und brachte sie nach Frankreich. Im Laufe der nachsten Jahrhunderte entwickelten sich vier Hauptstromungen in der franzosischen Reitkunst: Die „alte Reitkunst“, die aus der italienischen Reitkunst des 16. Jahrhunderts hervorging und im 18. Jahrhundert in der Schule von Versailles ihren Hohepunkt erreichte, die Schule von d’Auvergne oder erste militarische Reitkunst, der Baucherismus, der in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts seinen Hohepunkt erreichte, der Daurismus oder die zweite militarische Reitkunst als Ursprung der modernen sportlichen Reitkunst. Die Grundung der Societe Hippique Francaise im Jahr 1865 leitete die Ara des Reitsports ein. Der erste Reitwettbewerb fand im darauffolgenden Jahr in Paris statt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde 1919 der Cadre Noir, die renommierte franzosische Reitschule, unter der Leitung von Kommandant Wattel neu aufgestellt und erhielt einen modernen, sportlichen Impuls. 1921 wurde die Federation Nationale des Sports Equestres gegrundet, die Vorlauferin des heutigen Franzosischen Reitsportverbands. Im Laufe des 20. Jahrhunderts erzielte der Cadre Noir bemerkenswerte Erfolge in den drei olympischen Reitsportdisziplinen Dressur, Springreiten und Military (spater Vielseitigkeit). Prinzipien und Methoden Die franzosische Reitkunst beruht auf folgenden Grundsatzen: Harmonie zwischen Reiter und Pferd Respekt vor der Physiologie und Psychologie des Pferdes Sanfte und prazise Hilfe Forderung der naturlichen Bewegungen des Pferdes Ein wesentliches Merkmal ist die Ablehnung von Zwang und Gewalt. Stattdessen wird großer Wert auf die Ausbildung des Reiters in Bezug auf Pferdekunde (Physiologie, Psychologie und Anatomie) sowie auf die Entwicklung eines respektvollen Umgangs mit dem Pferd gelegt. Bedeutende Institutionen und Personen Der Cadre Noir de Saumur ist die bekannteste Institution der franzosischen Reitkunst. Er wurde 1814 gegrundet und stellt heute das Lehrpersonal fur die Ecole Nationale d’Equitation (Nationale Reitschule). Die Bereiter des Cadre Noir, bekannt als Ecuyers und Ecuyeres, sind weltweit fur ihre Expertise und Vorfuhrungen beruhmt. Trotz des militarischen Ursprungs hatte sich der Cadre Noir de Saumur im Laufe der Zeit auch fur Zivilisten geoffnet. Frauen sind allerdings noch in der Minderheit, im Jahr 2023 gab es unter den insgesamt 31 Reitmeistern nur vier Reitmeisterinnen. Die Ecole Nationale d’Equitation (ENE) wurde 1972 in Saumur gegrundet. Sie ist die zentrale Ausbildungsstatte fur hochqualifizierte Reitlehrer und Trainer in Frankreich. Die ENE bietet verschiedene Fortbildungsprogramme an und empfangt jahrlich etwa 1500 Teilnehmer aus Frankreich und dem Ausland. Zu den bedeutendsten Reitern und Ausbildern der traditionellen franzosische Reitkunst zahlen Antoine de Pluvinel, Salomon de la Broue, Francois Robichon de la Gueriniere, Francois Baucher, General Decarpentry und Alexis L’Hotte. Bedeutung und Anerkennung Die traditionelle franzosische Reitkunst hat nicht nur in Frankreich, sondern weltweit einen bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung des Reitsports und der Pferdeausbildung. Ihre Prinzipien der Harmonie, des Respekts und der Leichtigkeit finden in vielen modernen Reitphilosophien Anwendung. 2011 wurde die franzosische Reitkunst in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Literatur Francois Robichon De La Gueriniere: Reitkunst oder grundliche Anweisung zur Kenntniß der Pferde, deren Erziehung, Unterhaltung, Abrichtung, nach ihrem verschiedenen Gebrauch und Bestimmung (= Documenta Hippologica). 7. Reprint Auflage. Georg Olms, Hildesheim 2023, ISBN 978-3-7582-0042-7. Guillaume Henry, Marine Ossedik: Die Geschichte der franzosischen Reitweise. Crystal, Wentorf bei Hamburg 2016, ISBN 978-3-95847-013-2 (franzosisch: Une histoire de l'equitation francaise. Ubersetzt von Dr. Christian Kristen von Stetten). Jean Claude Racinet: Feines Reiten in der franzosischen Tradition der Legerete (= Documenta Hippologica). 2. Auflage. Georg Olms, Hildesheim 2013, ISBN 978-3-7582-0105-9. Weblinks unescoFrench: L’equitation de tradition francaise auf YouTube, 22. November 2011 (franzosisch; Laufzeit: 9:50 min). Einzelnachweise
Die traditionelle franzosische Reitkunst (franzosisch Equitation de tradition francaise) ist eine jahrhundertealte Reittradition, die fur ihre harmonische Beziehung zwischen Reiter und Pferd bekannt ist. Sie wurde 2011 von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe der Menschheit anerkannt.
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Michel Ferry (* 28. Januar 1904 in Vorbruck (La Broque), damals Deutsches Reich; † 29. November 1997 in Straßburg (Strasbourg)) war ein franzosischer Fluchthelfer (passeur) und Resistancemitglied in den Vogesen wahrend des Zweiten Weltkriegs. Leben Michel Ferry entstammte einer im Elsass lebenden Familie mit neun Kindern. Drei seiner alteren Bruder gingen uber die damalige deutsch-franzosische Grenze, um im Ersten Weltkrieg nicht im Deutschen Heer dienen zu mussen. Er selbst wurde 1927 Automechaniker, heiratete 1936 und wurde Vater eines Kindes. 1939 wurde er zur franzosischen Armee einberufen und nach der franzosischen Niederlage als elsassischer Kriegsgefangener freigelassen. Das Deutsche Reich versuchte, das Elsass mit der Schaffung des CdZ-Gebiets Elsaß zu annektieren. Am 24. Juli 1940 wurde eine Zollgrenze geschaffen, die uber den Vogesenkamm verlief. Bewacht wurde die neue Grenze vom deutschen Zollgrenzschutz, verstarkt durch Grenzpolizei. Sie sollten die Flucht von entkommenen Kriegsgefangenen, Germanisierungsverweigerern und abgeschossenen alliierten Piloten verhindern. Durch die Einfuhrung der Pflicht zum Reichsarbeitsdienst am 8. Mai 1941 und der deutschen Wehrpflicht (Malgre-nous) am 25. August 1942 fur Elsasser nahm der Fluchtlingsdruck noch zu. Die De-facto-Annexion des Elsass und die Zollgrenze wurden vom Vichy-Regime nie anerkannt und so gab es auf franzosischer Seite keine Grenzkontrollen. Ab Februar 1941 half Ferry Fluchtlingen uber die Grenze ins 15 km entfernte Moussey. Bis Herbst 1944 uberquerte er die Grenze im Schnitt mehr als einmal die Woche mit bis zu zehn fluchtigen Personen. Sechzig Personen sind namentlich bekannt, und nach seinen Angaben wurden durch ihn 978 Personen uber die Grenze geschleust. Ferry wurde zwar gelegentlich als „Fluchthelfermeister“ des Reseau Martial bezeichnet, agierte aber bis ins Fruhjahr 1944 auf eigene Faust, wie andere Fluchthelfer des Bruche-Tals auch. Durch seine Beziehungen verfugte er uber franzosische Blankoformulare aus der unbesetzten Zone und gefalschte Stempel. Forster im zu durchquerenden Waldgebiet von Salm unterrichteten ihn uber Patrouillen, und in Moussey gab es eine breite Unterstutzung fur die heimliche Versorgung und Weiterreise der Gefluchteten. Ferry wurde 1944 nominell Leutnant der Forces francaises de l’interieur, dem theoretisch eine Truppe von 300 Mann unterstanden hatte, die aber nie mobilisiert wurde. Literatur Jean-Michel Adenot: Auf den Pfaden der Fluchthelfer mit Michel Ferry: Elsass-Vogesen 1940–1944. ubersetzt von Johannes Honigmann, Schicksal(e) der Großregion, Band 30/2022, ISSN 2535-8472, S. 11–18. Weblinks Michel Ferry auf resistance-deportation.org Einzelnachweise
Michel Ferry (* 28. Januar 1904 in Vorbruck (La Broque), damals Deutsches Reich; † 29. November 1997 in Straßburg (Strasbourg)) war ein franzosischer Fluchthelfer (passeur) und Resistancemitglied in den Vogesen wahrend des Zweiten Weltkriegs.
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David Cunio (hebraisch דוד קוניו; * 21. Mai 1990) ist ein israelischer Schauspieler. Leben David Cunio wuchs als Sohn von Luis und Sylvia Cunio mit seinem Zwillingsbruder Eitan und seinem jungeren Bruder Ariel im Kibbuz Nir Oz im Suden Israels auf. Seine Eltern waren 1988 aus Argentinien nach Israel eingewandert. David und Eitan Cunio wurden 2012 bei einem Laiencasting fur die Hauptrollen in dem deutsch-israelischen Film HaNoar – Youth („Jugend“) von Tom Shoval entdeckt. David Cunio lebte mit seiner Frau Sharon, die er uber die Dreharbeiten zu Youth kennengelernt hatte, und den Zwillingstochtern Emma und Juli weiterhin im Kibbuz, ebenso wie sein Bruder mit seiner Familie. Er arbeitete als Elektriker. David Cunio wurde am 7. Oktober 2023 gemeinsam mit seiner Frau und den damals dreijahrigen Tochtern, seinem jungeren Bruder Ariel sowie dessen Lebenspartnerin Arbel Yehoud wahrend des Terrorangriffs der Hamas auf Israel 2023 vom Kibbuz nach Gaza verschleppt. Frau und Kinder kamen im November 2023 im Rahmen des ersten Geisel-Abkommens frei. Arbel Yehoud kam erst im Januar 2025 im Rahmen des zweiten Abkommens zwischen Israel und der Hamas aus der Geiselhaft frei. Mitte Februar 2025 gab es von anderen freigelassenen Geiseln Hinweise darauf, dass Cunio noch am Leben sei. Berlinale-Filme und Reaktionen Bei der Berlinale 2013 feierte HaNoar – Youth („Jugend“) seine Weltpremiere in der Sektion Panorama. Der Film behandelt die Situation einer mittelstandischen Familie in Petach Tikva drei Jahre nach den Sozialprotesten in Tel Aviv. Der Regisseur besetzte David und Eitan Cunio als Hauptdarsteller fur eine Geschichte, in der zwei Bruder aufgrund finanzieller Schwierigkeiten in ihrer Familie eine junge Frau entfuhren, um Losegeld zu erpressen. Als Hauptdarsteller des Films nahm David Cunio am Festival teil. Bei der Berlinale 2024 war das Schicksal von David Cunio kein Thema. Wiederholte Anfragen an die Leitung der Panorama-Sektion mit dem Anliegen, bei der Abschlussveranstaltung die Besorgnis um Cunio auszudrucken, blieben unbeantwortet. Uber die Opfer der Hamas habe niemand reden wollen. Nach der Berlinale wurde der Film Youth als Solidaritatsveranstaltung in einem Kino in Berlin-Prenzlauer Berg gezeigt. Zur Berlinale 2025 wurde Tom Shovals Dokumentarfilm Michtav Le'David (Brief an David) erstmals aufgefuhrt. Der Regisseur verwendete in einigen Szenen bisher unveroffentlichtes Behind-the-Scenes-Material und Casting-Aufnahmen von Youth und interviewte fur den Film Angehorige von Cunio. Aber es sei auch ein Film uber den 7. Oktober, ohne das Originalmaterial vom 7. Oktober zu verwenden. Marlene Knobloch beschrieb ihn in der Zeit als beruhrend schon. Er erinnere an David Cunio und den Wert eines Menschenlebens. Prominente Schauspieler wie Julia von Heinz, Andrea Sawatzki, Ulrich Matthes und Christian Berkel sowie Menschenrechtsaktivistin Duzen Tekkal und Berlinale-Leiterin Tricia Tuttle hielten auf dem roten Teppich ein Bild mit der Aufschrift „Bring David Cunio Home“ hoch. Tricia Tuttle bat um Entschuldigung fur das Fehlverhalten der Berlinale-Leitung im Vorjahr, nicht an David Cunio erinnert zu haben. Im Abspann des Films wird erwahnt, dass er nicht unter den wahrend der Waffenruhe 2025 zwischen Israel und Gaza freigelassenen Geiseln ist. Weblinks David Cunio bei IMDb Israels Geiseln: Zwei Dokus zeigen das menschliche Leid Podcast von Deutschlandfunk Kultur vom 17. Februar 2025 In der Gewalt der Hamas Aufzeichnung von ttt – titel, thesen, temperamente (ARD) vom 16. Februar 2025 Einzelnachweise
David Cunio (hebraisch דוד קוניו; * 21. Mai 1990) ist ein israelischer Schauspieler.
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Susan Finnegan (* 20. Oktober 1903, Belfast, Nordirland; † 20. Juni 1995, London) war eine britische Zoologin, die sich auf das Studium von Milben (mites) und Zecken (ticks) spezialisiert hatte. Sie war die erste Frau, die am Natural History Museum in London 1927 auf eine wissenschaftliche Stelle ernannt wurde, und war die erste Frau, die eine Gattung von Skorpionen, Apistobuthus, beschrieb und benannte. Zwei Skorpionarten wurden nach ihr benannt. Finnegan musste ihren Posten 1936 aufgeben, als sie ihren Kollegen Walter Campbell Smith heiratete. Leben = Familie = Finnegan wurde am 20. Oktober 1903 in Belfast geboren. Sie war die jungste Tochter von John Maxwell Finnegan und Susanna Wilson Dobbin. Einer ihrer Bruder, Robert Thompson Finnegan, fiel im Ersten Weltkrieg bei der Operation Michael bei St. Quentin im Marz 1918. Ihr anderer Bruder, Thomas Finnegan (1901–1964), war spater Prasident der Selly Oak Colleges. = Bildung = Finnegan erhielt ihre Ausbildung am Victoria College und spater an der Queen’s University Belfast, wo sie mit einem BSc. abschloss. Sie studierte dann am Newnham College in Cambridge als Forschungsstudentin (1925–1927). Sie vollendete ihr Doktorstudium 1928 und erhielt 1930 einen Ph.D. von der University of Cambridge. Ihre Thesis bzw. Studienabschlussarbeit verfasste sie uber Krebstiere, die der englische Zoologe Cyril Crossland bei der St. George-Expedition 1924 im Pazifik gesammelt hatte. Sie publizierte ihre Arbeit 1931. Im Juli 1927 wurde Finnegan zur stellvertretenden Museumswarterin (assistant keeper) in der Zoologieabteilung des Natural History Museum ernannt, wo sie vom September 1927 bis Juli 1936 Leiterin der Arachniden-Abteilung war. Sie war die erste Frau, die eine wissenschaftliche Stelle erhielt. In dieser Rolle arbeitete sie intensiv uber Acari (Milben und Zecken) sowie uber Spinnen und Skorpione. Sie veroffentlichte eine Reihe wissenschaftlicher Artikel, einschließlich der Beschreibung von drei neuen Arten von Milben, die sie an Spinnen, Schlangen und Seelowen gefunden hatte. Sie hielt regelmaßig sonntagnachmittags im Natural History Museum offentliche Vortrage uber Spinnen und Skorpione. Finnegan wurde 1928 zum Fellow der Linnean Society berufen. Neue Gattung von Skorpionen Im Jahr 1932 beschrieb Finnegan drei Exemplare eines neuen Skorpions, die der britische Forscher Bertram Thomas in der Rub-al-Chali-Region im Suden der Arabischen Halbinsel gesammelt hatte. Sie erkannte, dass diese Exemplare alle ein einzigartiges scheibenformiges Abdominalsegment besaßen, das man zuvor bei Skorpionen nicht gesehen hatte, und ordnete sie einer neuen Gattung zu, Apistobuthus. Es stellte sich heraus, dass alle drei Tiere noch unreif waren, und erst 1960 wurde ein erwachsener weiblicher Skorpion dieser Gattung beschrieben, anhand von Exemplaren, die Wilfred Thesiger im Wadi Andhur im Oman gesammelt hatte. Finnegan war die erste Wissenschaftlerin, die eine neue Gattung von Skorpionen beschrieb. In Anerkennung ihrer Beitrage zum Studium von Skorpionen wurden zwei Arten nach ihr benannt: Hottentotta finneganae und Apistobuthus susanae. Ehe Finnegan heiratete 1936 ihren Kollegen Walter Campbell Smith. Campbell Smith arbeitete damals in der Mineralogie-Abteilung des Museums, und Finnegan musste ihren Posten fur die Heirat aufgeben, da in dieser Zeit ein Civil Service Marriage Bar (Heiratsverbot fur den Beamtendienst) im Vereinigten Konigreich gultig war. Finnegan benutzte nach ihrer Heirat in Berufskreisen weiterhin ihren Madchennamen. Finnegan hatte einen Sohn und eine Tochter sowie sieben Enkelkinder. Ihr Ehemann starb 1988 im Alter von 101 Jahren, und Finnegan starb am 20. Juni 1995. Einzelnachweise
Susan Finnegan (* 20. Oktober 1903, Belfast, Nordirland; † 20. Juni 1995, London) war eine britische Zoologin, die sich auf das Studium von Milben (mites) und Zecken (ticks) spezialisiert hatte. Sie war die erste Frau, die am Natural History Museum in London 1927 auf eine wissenschaftliche Stelle ernannt wurde, und war die erste Frau, die eine Gattung von Skorpionen, Apistobuthus, beschrieb und benannte. Zwei Skorpionarten wurden nach ihr benannt. Finnegan musste ihren Posten 1936 aufgeben, als sie ihren Kollegen Walter Campbell Smith heiratete.
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Ali Nasuh Mahruki (* 21. Mai 1968 in Istanbul) ist ein turkischer Bergsteiger, Schriftsteller, Fotograf, Dokumentarfilmer und Politiker. Mahruki ist der erste Turke, der den Gipfel des Mount Everest und die Seven Summits bestieg. Ferner ist er Mitgrunder und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Bergrettungsvereinigung AKUT Arama Kurtarma Dernegi. 2024 trat er als Burgermeisterkanditat in Besiktas an und wurde wegen angeblicher Falschmeldungen im Dezember kurzzeitig inhaftiert und spater vor Gericht gestellt. Leben = Herkunft = Nasuh Mahruki ist der Enkel der funften Generation von Admiral Nasuhzade Ali Pascha, der wahrend des osmanischen Reichs Sultan Mahmud II. diente. Sein Vater, Cafer Cem Mahruki (1943–2024), war einer der bedeutendsten Numismatiker der Turkei und Prasident der Turkischen Numismatischen Vereinigung, der seinen Lebensunterhalt mit einem Autoteile-Handel verdiente. Mahrukis Mutter kam 1999 bei einem Erdbeben ums Leben. = Ausbildung = Nach seinem Abitur am Sisli Terakki-Gymnasium in Istanbul im Jahr 1987 besuchte Mahruki die School of Business Administration an der Bilkent-Universitat in Ankara, die er 1992 abschloss. Wahrend seiner Zeit an der Universitat lernte er im Kletterclub der Universitat das Bergsteigen kennen und wurde spater Clubprasident. Danach hat Nasuh Mahruki an der Nationalen Sicherheitsakademie (Milli Savunma Universitesi) in Besiktas, Istanbul studiert und dort 2004 seinen Abschluss gemacht. = Bergsteigen = 1995 bestieg er als erster Turke den Gipfel des Mount Everest und komplettierte 1996 die Besteigung der sieben hochsten Gipfel der Welt (Seven Summits). Im Jahr 1997 bestieg er den Cho Oyu im Alleingang und stellte damit einen turkischen Rekord auf. Als Nachstes bestieg er 1998 den Lhotse ohne Sauerstoffflasche und den K2. Er veroffentlichte sieben Bucher und mehrere Dokumentarfilme. Er hielt Vorlesungen zum Thema „Teamarbeit und Fuhrung“ an der Bahcesehir-Universitat und organisiert daruber hinaus Motivationsreden und Seminare zu Themen wie Fuhrung, Teamarbeit, personliche Entwicklung, Selbstbewusstsein, Zielorientierung, Entschlossenheit, Disziplin und Risikomanagement und arbeitete als Kolumnist fur verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Chronologie der wichtigsten Besteigungen Kleiner Demirkazık (3425 m) Westwandkletterei Nigde, Turkei, Juli 1991 Funf Besteigungen an Terskey Ala Too: Uglawaya (3900 m), Peak Studentin (4202 m), Brigandina-Albatros-Traverse (4800-4740 m), Cigid (5.170 m), Kasachstan, Juli 1991 Turkische Erstbesteigung des Khan Tengri (7010 m), Kirgisistan, August 1992 Große Demirkazık-Nordwandbesteigung (3756 m), Nigde, Turkei, September 1992 Winterbesteigung des Elbrus (5621 m), Kaukasus, Russland, Februar 1993 Pik Lenin (7134 m), Kirgisistan, Juli 1993 Turkische Erstbesteigung des Vaja Psavela (6912 m), Kirgisistan, August 1993 Turkische Erstbesteigung des Peak of Four (6 299 m), Kirgisistan, Juli 1994 Turkische Erstbesteigung des Gipfels Korzhenevskaya (7105 m), Tadschikistan, Juli 1994 Pik Kommunismus (7495 m), Tadschikistan, Juli 1994 Allein- und turkische Erstbesteigung des Pik Pobeda (7439 m), Kirgisistan, August 1994 Erste turkische Winterbesteigung des Damavand (5610 m), Iran, Dezember 1994 Besteigung des Erciyes (3916 m), Winterbesteigung des Nordeisfalls, Kayseri, Turkei, Februar 1995 Abschluss des „Seven Summits“-Projekts zur Besteigung der hochsten Gipfel aller Kontinente im November 1996: Mt. Everest (8848 m), Tibet, 17. Mai 1995 Erste turkische Besteigung des Aconcagua (6959 m), Argentinien, November 1995 Turkische Erstbesteigung des Vinson-Massivs (4897 m), Antarktis, Dezember 1995 Erste turkische Besteigung des McKinley (6194 m), Alaska, USA, Januar 1996 Erste turkische Besteigung des Kilimandscharo (5895 m), Tansania, August 1996 Elbrus (5642 m) Kaukasus, Russland, August 1996 Mount Kosciuszko (2228 m), Australien, November 1999 Great Demirkazık (3756 m), Peck-Route, Erstbegehung im Winter, Nigde, Turkei, Dezember 1999 Guzeller (3461 m), Nordwand-Erstbegehung im Winter, Nigde, Turkei, Februar 1997 Solo-Besteigung des Cho Oyu (8201 m), Tibet, sechsthochster Berg der Erde. Die hochste Solo-Besteigung der Turkei. September 1997, ohne Sauerstoff. Erste turkische Besteigung des Lhotse (8516 m), des vierthochsten Berges der Erde, Nepal, 1998 Westwand, Nepal, Mai 1998, Die hochste sauerstofflose Besteigung der Turkei. Erste versuchte turkische Besteigung des Manaslu (8163 m), Nepal, Oktober 1998 Damavand (5610 m), Iran, Januar 2000 Winterbesteigung des Ararat (Agrı Dagı) (5137 m), Turkei, Februar 2000 Erste turkische Besteigung des K2 (8611 m), Pakistan Juli 2000. Zweithochster Berg der Erde, hochste Besteigung ohne Sauerstoff durch einen turkischen Staatsburger. Muztagh Ata (7546 m), China, August 2001. Erste turkische Besteigung. Hochste Skibesteigung der Turkei. = Vereinswesen = Mahruki ist ein Grundungsmitglied von AKUT. Um sich auf die Politik zu konzentrieren, trat er am 28. November 2016 als Vorsitzender des Verwaltungsrats und Vorstandsmitglied zuruck. 2019 trat er auch als Ehrenprasident von AKUT zuruck. = Politik = Mahruki gehort dem kemalistischen Lager an und ist ein lautstarker Kritiker von Recep Tayyip Erdogan. Er gilt als wichtiger Vertreter der Zivilgesellschaft in der Turkei. Seine politischen Forderungen umfassen Transparenz und Fairness bei Wahlen, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit, Kampf gegen die Korruption in staatlichen Institutionen und Schutz vor willkurlichen Verhaftungen. Auch die Katastrophenhilfepolitik der AKP-Regierung hat er inhaltlich kritisiert und sieht bei der AKP eine Mitschuld an den hohen Opferzahlen des Erdbebens von 2023 in der Sudostturkei. Seit 2016 ist er in der Lokalpolitik aktiv und machte sich Hoffnungen auf die Burgermeisterkandidatur der sozialdemokratischen CHP fur den Istanbuler Stadtteil Besiktas. Als die CHP ihn jedoch nicht nominierte, kandidierte er bei den Kommunalwahlen im Marz 2024 als unabhangiger Kandidat und erhielt 13 Prozent der Wahlerstimmen. Am 20. November 2024 wurde er vor allem unter dem Vorwurf der offentlichen Verbreitung irrefuhrender Informationen verhaftet, weil er auf dem Kurznachrichtendienst X die nationale Wahlbehorde YSK beleidigt habe. Mahruki hatte in dem Post Ahmet Yener, dem Leiter der Behorde, Wahlmanipulation vorgeworfen, weil dieser uber Plane sprach, die elektronische Stimmabgabe in der Turkei einzufuhren: „Verehrtes turkisches Volk, außerste Vorsicht und Wachsamkeit ist geboten. Die Regierung und die Wahlbehorde planen ein weiteres Mal, eure Stimmen zu stehlen [...] Das ware das Ende der Turkischen Republik, mit Konsequenzen, die schrecklicher sind als eure schlimmsten Albtraume.“ Diese Vorwurfe fallen unter das 2022 eingefuhrte Desinformationsgesetz, das besonders harte Strafen vorsieht und auch als Zensurgesetz kritisiert wird. Am 5. Dezember wurde er aus der Haft entlassen. Am 13. Januar 2025 wurde von einem Istanbuler Strafgericht erstinstanzlich eine Haftstrafe von drei Jahren von einem Staatsanwalt gegen Mahruki beantragt, denn Mahruki habe „mit dem Ziel gehandelt, in der Offentlichkeit Unruhe, Furcht und Panik zu schuren.“ Schriften Bir Dagcının Guncesi (Tagebuch eines Bergsteigers) Yapi Kredi Press, 1995. Everest'te Ilk Turk (Erster Turke auf dem Everest) Yapi Kredi Press, 1995. Bir Hayalin Pesinde (Auf der Suche nach einem Traum) Yapi Kredi Press, 1996. Asya Yolları, Himalayalar ve Otesi (Asiens Straßen, Himalaya und daruber hinaus) Yapi Kredi Press, 1999. Yeryuzu Guncesi (Tagebuch der Erde) KAPITAL Press, 2002. Vatan Lafla Degil Eylemle Sevilir (Heimat wird durch Taten, nicht durch leere Worte geliebt) GUNCEL YAYINCILIK, 2007. Kendi Everest'inize Tırmanın (Besteige deinen eigenen Everest) Alfa Yayinlari, 2010. Weblinks Einzelnachweise
Ali Nasuh Mahruki (* 21. Mai 1968 in Istanbul) ist ein turkischer Bergsteiger, Schriftsteller, Fotograf, Dokumentarfilmer und Politiker.
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Der Foderalismus in Osterreich ist von einem bestandigen Ringen zwischen zentralistischen und foderalistischen Stromungen gepragt. Bereits bei der Grundung der Republik Osterreich in den Jahren 1918 bis 1920 spielten die Lander eine entscheidende Rolle beim Aufbau der politischen und administrativen Strukturen auf Landesebene. In den sogenannten Landerkonferenzen, in denen Vertreter der Lander und der neuen Zentralregierung in Wien zusammenkamen, einigte man sich darauf, die Republik als foderalen Bundesstaat zu konstituieren. Die schließlich im Jahr 1920 verabschiedete osterreichische Bundesverfassung, maßgeblich entworfen vom Rechtswissenschaftler Hans Kelsen, sah einen Bundesstaat mit neun Gliedstaaten (Landern) vor. Der daraus resultierende Foderalismus war schwach ausgepragt, da die meisten wichtigen Kompetenzen, insbesondere in Finanzangelegenheiten, dem Bund zugewiesen wurden. Diese Kompetenzverteilung spiegelte die unterschiedlichen Vorstellungen der beiden dominierenden politischen Krafte wider: die Christlichsozialen, die den Foderalismus befurworteten, und die Sozialdemokraten, die einen zentralisierten Staat bevorzugten. Die Verfassung war in weiten Teilen provisorisch und unvollstandig, und erst mit der Verfassungsreform von 1925 unter Bundeskanzler Rudolf Ramek wurde die Kompetenzverteilung endgultig geregelt. Die Verfassung des autoritaren Standestaates von 1934 brachte einen weiteren Zentralisierungsschub. Alle Landesgesetze bedurften der Zustimmung des Bundeskanzlers, und der Landeshauptmann wurde vom Bundesprasidenten ernannt. Mit dem Anschluss Osterreichs an Deutschland im Jahr 1938 wurde der Foderalismus in Osterreich dann ganzlich abgeschafft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Verfassung von 1929 wieder in Kraft gesetzt. In den folgenden Jahrzehnten setzten sich die Lander fur eine Starkung ihrer Position innerhalb des Bundesstaates ein, und die Forderungen der Lander fuhrten schrittweise zu einer Erweiterung ihrer Kompetenzen. Die Bemuhungen Osterreichs um einen Beitritt zur Europaischen Union wurden von den Landeshauptleuten von Anfang an unterstutzt, und ihr Engagement trug maßgeblich dazu bei, dass sich 1994 zwei Drittel der osterreichischen Bevolkerung in einem Referendum fur den EU-Beitritt aussprachen. Im Gegenzug fur ihre Unterstutzung wurde den Landern im sogenannten Perchtoldsdorfer Abkommen von 1992 eine umfassende Bundesstaatsreform zugesagt, die jedoch bis heute von keiner der nachfolgenden Bundesregierungen umgesetzt wurde. Auch die Ergebnisse des Osterreich-Konvents von 2005, der sich mit einer Reform des Foderalismus befasste, wurden nicht in die Praxis umgesetzt. Der schwache Foderalismus in Osterreich fuhrte immer wieder zu der Frage, ob Osterreich uberhaupt ein echter Bundesstaat ist. Im internationalen Vergleich gilt Osterreich als ein relativ schwach ausgepragter Bundesstaat, da die meisten Gesetzgebungskompetenzen nach wie vor dem Bund zugeordnet sind. Entwicklung des osterreichischen Foderalismus = Grundungsphase der Republik (1918–1920) = Die Grundung der Republik Osterreich nach dem Ersten Weltkrieg war eng mit der Frage nach der zukunftigen Staatsstruktur verbunden. In der Zeit von 1918 bis 1920 wurde die politische Landschaft von der Debatte zwischen Zentralismus und Foderalismus gepragt. Nach der Niederlage Osterreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg zerfiel die Monarchie und es entstanden zahlreiche neue Staaten, darunter auch ein deutlich kleineres Osterreich. Am 12. November 1918 proklamierte die provisorische Nationalversammlung die Republik Osterreich. Zunachst stand die Idee eines foderalen Systems nicht im Vordergrund. Der Wunsch nach einem Anschluss an Deutschland, der von vielen, besonders den Sozialdemokraten, favorisiert wurde, sprach fur die Etablierung eines zentralistischen Einheitsstaates. Die ehemaligen Kronlander der Habsburgermonarchie, die eine gewisse foderalistische Tradition besaßen, begannen jedoch bald, eigene Interessen zu verfolgen. Einige dieser Lander, wie Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Karnten, Steiermark, Oberosterreich und Niederosterreich, verfugten uber eigene Landesordnungen. Die Christlichsoziale Partei, die in den Landern stark vertreten war, setzte sich fur ein foderales System ein, wahrend die in Wien dominierenden Sozialdemokraten einen zentralistischen Staat bevorzugten. Im Mai 1919 fand in Salzburg eine Konferenz statt, auf der die Vertreter der Lander den foderalen Planen der Christlichsozialen gegenuber den zentralistischen Vorstellungen der Sozialdemokraten Nachdruck verliehen. Der osterreichische Foderalismus entstand letztlich aus einem Kompromiss zwischen diesen beiden Kraften. Die Bundesverfassung, die am 1. Oktober 1920 in Kraft trat, sah einen zentralistisch gepragten Bundesstaat vor. Trotz des Kompromissescharakters der Verfassung wurde bereits in der Grundungsphase deutlich, dass die Lander eine wichtige Rolle im osterreichischen Bundesstaat spielen wurden. In den sogenannten Landerkonferenzen von 1919, in denen Vertreter der Lander und der neuen Zentralregierung in Wien zusammenkamen, wurde vereinbart, dass die Republik als foderaler Staat aufgebaut werden sollte. Die starke Beteiligung der Lander an der Staatsgrundung wird bis heute in der osterreichischen Politik betont. Die Bundesverfassung von 1920, die maßgeblich von Hans Kelsen entworfen wurde, basierte auf zentralen Strukturprinzipien, die in Art. 1 und Art. 2 des Bundesverfassungs-Gesetzes (B-VG) festgeschrieben sind. Neben dem demokratischen und republikanischen Prinzip sowie dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zahlt dazu auch das foderale Prinzip. Dieses Prinzip beinhaltet die Aufteilung der staatlichen Funktionen und Aufgaben zwischen Bund und Landern. Sowohl der Bund als auch die Lander haben in ihren jeweiligen Zustandigkeitsbereichen das Recht, Gesetze zu erlassen und fur deren Vollziehung zu sorgen. Die Grundungsphase des osterreichischen Foderalismus war somit eine Zeit des Aushandelns und der Kompromissfindung. Die Spannungen zwischen dem Wunsch nach Einheit und dem Streben nach regionaler Autonomie pragten die politischen Debatten und fuhrten zu einer Verfassung, die bis heute die Grundlage fur das osterreichische Staatswesen bildet. = Erste Republik, Austrofaschismus & Zweiter Weltkrieg (1920–1945) = Der osterreichische Foderalismus in der Ersten Republik (1920–1934) war gepragt von einer komplexen Dynamik zwischen zentralistischen Tendenzen und dem Streben der Lander nach Autonomie. Die Bundesverfassung von 1920 schuf die Grundlage fur einen Bundesstaat, der jedoch von Anfang an eine starke zentralistische Ausrichtung aufwies. Die Verfassung sah zwar eine Kompetenzverteilung zwischen Bund und Landern vor, doch die meisten wichtigen Bereiche lagen in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Insbesondere in Finanzangelegenheiten hatte der Bund die Oberhand, was die Handlungsspielraume der Lander einschrankte. Die Mitwirkung der Lander an der Bundesgesetzgebung war durch den Bundesrat, die zweite Kammer des Parlaments, nur schwach ausgepragt. Der Bundesrat hatte zwar ein Vetorecht, konnte aber vom Nationalrat, der ersten Kammer, uberstimmt werden. Diese Asymmetrie in der Machtverteilung fuhrte dazu, dass der Bundesrat in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle spielte und der Nationalrat die Gesetzgebung dominierte. Trotz der zentralistischen Ausrichtung des osterreichischen Foderalismus spielten die Lander eine wichtige Rolle im politischen System der Ersten Republik. Sie verfugten uber eigene Verfassungen, Parlamente und Regierungen und waren fur die Verwaltung wichtiger Bereiche wie Bildung, Sicherheits- und Gesundheitswesen zustandig. Die Lander hatten zudem eine gewisse finanzielle Autonomie, die ihnen erlaubte, eigene politische Schwerpunkte zu setzen. Die Landeshauptleute, die als Vertreter der Lander in der Bundespolitik ein bedeutendes Gewicht hatten, nutzten ihre Position, um in den regelmaßigen Landerkonferenzen politische Strategien zu entwickeln und Einfluss auf die Bundespolitik zu nehmen. In diesen Konferenzen, an denen sowohl Vertreter der Landesregierungen als auch der Bundesregierung teilnahmen, konnten sie ihre Interessen artikulieren und gemeinsame Losungen erarbeiten. Neben den formellen institutionellen Regelungen war der osterreichische Foderalismus in der Ersten Republik auch von informellen Praktiken und politischen Kompromissen gepragt. Die enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Landern in der Verwaltung fuhrte zu einer Verflechtung der beiden Ebenen, die in einer Form von Exekutivfoderalismus resultierte. Viele Aufgaben wurden von den Landern im Auftrag des Bundes ausgefuhrt, was die Position des Bundes starkte, aber gleichzeitig auch den Landern eine gewisse Gestaltungsmacht in der praktischen Umsetzung von Bundesgesetzen ermoglichte. Die Zeit des Austrofaschismus zwischen 1934 und 1938 war gepragt von einem dramatischen Wandel im Wesen des osterreichischen Foderalismus. Nach dem Februaraufstand 1934 errichtete Bundeskanzler Engelbert Dollfuß den Bundesstaat Osterreich, ein autoritares, klerikales Regime. Obwohl dieses Regime foderalistische Strukturen beibehielt, verfolgte es aktiv zentralisierende Politik. Eine wesentliche Veranderung war die Notwendigkeit der Zustimmung des Bundeskanzlers zu allen Landesgesetzen. Dies schmalerte die legislative Autonomie der Lander und festigte die Autoritat der Bundesregierung. Daruber hinaus erhielt der Bundesprasident die Befugnis, den Landeshauptmann zu ernennen, was zu einer weiteren Konzentration der Macht auf Bundesebene fuhrte. Dadurch wurden die Landeshauptmanner effektiv von Vertretern ihrer jeweiligen Lander zu Ausfuhrungsgehilfen der Zentralregierung. Diese Veranderungen, obwohl ohne großen politischen Widerstand umgesetzt, hohlten die foderale Struktur der Verfassung aus. Der Zentralisierungsprozess ließ sich unter anderem auch im Bildungssystem beobachten. Vor 1934 genossen die Lander erhebliche Autonomie in Bildungsfragen. Das autoritare Regime des Standestaates strebte jedoch nach einer Standardisierung des Schulsystems, um die nationale Einheit zu fordern. Mit dem Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Osterreich (BGBl. II Nr. 2/1934) verlagerte sich die Kontrolle uber das Bildungswesen von den Landern auf den Bund. Dieser Schritt wurde von Vertretern der Lander im Bundesrat unterstutzt, was die vorherrschende Denkweise der Prioritat der nationalen Einheit gegenuber der Landerautonomie verdeutlichte. Dadurch wurde die kulturelle und bildungsmaßige Vielfalt, die zuvor vom foderalen System gefordert wurde, effektiv reduziert. Bis 1938 war Osterreich nur noch formell ein Bundesstaat, funktionierte praktisch jedoch wie ein Einheitsstaat. Dieses Kapitel des osterreichischen Foderalismus wurde jedoch mit dem Anschluss Osterreichs an Nazi-Deutschland im Jahr 1938 abrupt beendet. Die Nazis reorganisierten die osterreichischen Lander, zogen Grenzen neu und fusionierten einige Bundeslander, wodurch die Zahl der Verwaltungsregionen auf sieben Reichsgaue reduziert wurde. Damit wurde jegliche Spur der zuvor bestehenden foderalen Struktur Osterreichs ausgeloscht und das Land in das hochgradig zentralisierte Verwaltungssystem Nazi-Deutschlands integriert. = Zweite Republik (ab 1945) = Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die osterreichische Verfassung von 1920, die wahrend der Nazizeit ausgesetzt worden war, wieder in Kraft gesetzt. Es folgte eine lange Stagnationsphase, in der die Lander hauptsachlich das Bundesverfassungsrecht replizierten und bis in die spaten 1960er Jahre bemerkenswert passiv agierten. Dies fuhrte dazu, dass Osterreichs foderales System als stark zentralisiert beschrieben wurde, wobei der Bund eine dominierende Rolle spielte und die Lander ihre Gesetzgebungskompetenzen in eingeschrankten Bereichen ausubten. Einen Wendepunkt bildete die Verfassungsanderung von 1974 (§ 0 B-VG), die zu großen Veranderungen in der Landespolitik und einer allmahlichen Zunahme der Kompetenzen der Lander fuhrte und deren Selbstbewusstsein starkte. Die Lander begannen, ihre Verfassungen, insbesondere hinsichtlich der Regierungsbildungsregeln und der direkten Demokratie, aktiv anzupassen. So nutzten insbesondere die westlichen Lander die neue Doktrin der „relativen Autonomie“, um ihre regionale Identitat zu starken und eine ausgepragtere Rolle in der Bundespolitik zu fordern. Die Landeshauptleutekonferenz, ein Koordinierungsgremium der Lander, das seit 1970 regelmaßig tagte, spielte eine entscheidende Rolle bei der Forderung foderaler Reformen. Die Anforderung der Konferenz nach einstimmigen Entscheidungen gewahrleistete, dass jedes Land eine starke Stimme hatte. Die wahre Starke der Landeshauptleute liegt jedoch in ihrer doppelten Funktion als Spitzenpolitiker ihrer jeweiligen Landesparteien. Dieser politische Einfluss zeigte sich in ihrer entschiedenen Unterstutzung des osterreichischen EU-Beitritts. Ihr Engagement war maßgeblich an der Sicherung einer Zweidrittelmehrheit im EU-Beitrittsreferendum von 1994 beteiligt. Die Beteiligung der Lander an den EU-Entscheidungsprozessen hat jedoch die Grenzen der Landeshauptleutekonferenz aufgezeigt. Die Organisation einer großen Konferenz mit allen neun Landern in zeitnaher Weise erwies sich als unpraktisch und hinderte effiziente Reaktionen auf die Anforderungen der europaischen Integration. Folglich diente die Konferenz hauptsachlich als Plattform zur Formulierung von Positionen und Erklarungen, wobei der eigentliche Entscheidungsprozess informell durch die Mitarbeiter der Landesverwaltungen erfolgte. Der EU-Beitritt Osterreichs brachte auch die Frage der Landerrechte in EU-Angelegenheiten in den Vordergrund. Vor dem EU-Beitritt konnten Bund und Lander Angelegenheiten unabhangig voneinander entscheiden und mussten nur Vereinbarungen innerhalb Osterreichs treffen. Der EU-Beitritt sturzte sie jedoch in eine großere politische Arena mit zwischenzeitlich bis zu 28 Mitgliedstaaten, die unterschiedliche Interessen hatten und bindende Entscheidungen trafen. Die Landtage, obwohl formal in der Lage, die Position ihres Landes in EU-Angelegenheiten zu beeinflussen, uben diese Rechte aufgrund begrenzter administrativer Ressourcen selten aus. Trotz der Versprechen umfassender foderaler Reformen im Rahmen des Perchtoldsdorfer Abkommens von 1992 als Anerkennung ihrer Unterstutzung fur den EU-Beitritt scheiterten die folgenden Bundesregierungen, denen die notwendige verfassungsrechtliche Mehrheit im Parlament fehlte, an der Umsetzung. Ein ahnliches Schicksal ereilte die Ergebnisse des Osterreich-Konvents von 2005, einer verfassungsgebenden Versammlung, die sich mit foderalen Fragen befasste. Diese Blockade foderaler Reformen ruhrt von der Persistenz einmal etablierter verfassungsrechtlicher Regelungen und der Zuruckhaltung politischer Akteure, sich auf umfassende Reformen einzulassen, die ihre Einflussbereiche gefahrden konnten. Die Debatte uber den Foderalismus in Osterreich dreht sich oft um die Notwendigkeit der Reform des Bundesrates, der zweiten Kammer des Parlaments. Die Notwendigkeit zur Reform ist allgemein anerkannt. Die Offentlichkeit empfindet den Bundesrat als uberflussig und unbedeutend, wobei eine Umfrage von 2014 ergab, dass 54 % der Osterreicher seine Abschaffung befurworteten. Mehrere Faktoren tragen zu dieser negativen Wahrnehmung bei. Erstens entspricht die Zusammensetzung des Bundesrates der des Nationalrates, was bedeutet, dass er die Lander oder politischen Parteien nicht in einem signifikant anderen Sinne reprasentiert. Dadurch wird seine Legitimitat untergraben. Zweitens sind die Befugnisse des Bundesrates begrenzt. Er fungiert hauptsachlich als eine Uberarbeitungsinstanz mit eingeschrankten Vetorechten, insbesondere in finanziellen Angelegenheiten, die die Bundeslander betreffen. Drittens werden die Mitglieder des Bundesrates indirekt von den Landtagen gewahlt und fuhlen sich oft ihren politischen Parteien verpflichtet. Dies reduziert ihre wahrgenommene Unabhangigkeit und Effektivitat zusatzlich. Verschiedene Reformvorschlage wurden unterbreitet, darunter die Anderung des Einstellungsverfahrens zu einer direkten Wahl, die Bindung der Mitglieder an ein zwingendes Mandat ihrer Bundeslander und die Erweiterung der Veto- und Kontrollrechte des Bundesrates. Diese Vorschlage konnten jedoch keine Zustimmung finden, da potenzielle Machtverschiebungen zwischen den wichtigsten politischen Institutionen und Parteien zu befurchten waren. Neben dem Bundesrat ist die Reform des osterreichischen Finanzfoderalismus entscheidend fur ein ausgewogeneres und effizienteres foderales System. Das derzeitige System ist durch mehrere Probleme gekennzeichnet. Es mangelt an Transparenz und Rechenschaftspflicht in den Finanzbeziehungen zwischen Bund und Landern. Zudem besteht eine starke Abhangigkeit von Gemeinschaftssteuern, wahrend die Betonung auf eigenen Einnahmen der Landesregierungen schwach ist. Daruber hinaus gibt es eine dringende Notwendigkeit fur großere Klarheit und Verantwortlichkeit bei der Verteilung von Aufgaben und Ausgaben zwischen den verschiedenen Regierungsebenen. Experten pladieren fur mehrere Maßnahmen, um das foderale System zu starken. Sie fordern eine Starkung der subnationalen Regierungen durch die Erweiterung ihrer Steuerhoheit und die Reduzierung der Abhangigkeit von Gemeinschaftssteuern, um finanzielle Aquivalenz und Rechenschaftspflicht zu fordern. Zudem schlagen sie die Durchfuhrung umfassender Funktionsanalysen vor, um Ineffizienzen und Uberschneidungen in den Verantwortlichkeiten auf verschiedenen Regierungsebenen zu identifizieren und zu beseitigen, insbesondere in wichtigen Politikbereichen wie Gesundheitswesen, Verkehr und Bildung. Schließlich wird die Einfuhrung eines transparenteren und leistungsorientierten Systems fur zwischenstaatliche Transfers empfohlen, das allokative und distributive Ziele klar voneinander trennt. Trotz der weit verbreiteten Anerkennung der Notwendigkeit von Reformen bleibt der Weg nach vorne komplex und politisch herausfordernd. Die Lander, die sich fur mehr Autonomie in der Innenpolitik einsetzen, widersetzen sich oft Veranderungen, die die Verteilung von Rechten und Pflichten zwischen Bund und Landern verandern konnten. Eine sinnvolle und nachhaltige Reform erfordert politischen Willen, einen umfassenden Ansatz und die Verpflichtung, Losungen zu finden, die allen Regierungsebenen und den Burgern, die sie bedienen, zugutekommen. Kompetenzverteilung und Institutionen des Foderalismus = Kompetenzverteilung zwischen Bund und Landern = Das osterreichische foderale System teilt die gesetzgeberischen und administrativen Zustandigkeiten zwischen der Bundesregierung und den neun Landern auf. Diese Kompetenzverteilung ist ein pragendes Merkmal des osterreichischen Foderalismus und bestimmt das Machtverhaltnis zwischen Bund und Landern. Die osterreichische Bundesverfassung (Bundes-Verfassungsgesetz, B-VG) legt den Rahmen fur die Verteilung dieser Kompetenzen fest. Die Artikel 10 bis 15 des B-VG widmen sich speziell der Abgrenzung der jeweiligen Zustandigkeitsbereiche von Bund und Landern: Diese Verteilung wird zusatzlich dadurch erschwert, dass die entsprechenden Regelungen nicht ausschließlich im Bundes-Verfassungsgesetz enthalten sind, sondern sich uber das gesamte Verfassungsrecht erstrecken. Die Verfassung gewahrt dem Nationalrat ausdrucklich exklusive gesetzgeberische und administrative Kompetenzen in einer Vielzahl von Politikbereichen, wahrend der Bundesrat, der die Interessen der Lander vertritt, nur begrenzte Befugnisse besitzt. Dieses Machtungleichgewicht zwischen den beiden Parlamentskammern wirft Fragen uber die tatsachliche foderale Natur Osterreichs auf. Das osterreichische foderale System basiert auf dem Prinzip der ausschließlichen Zustandigkeiten, was bedeutet, dass ein bestimmtes Sachgebiet entweder in die Zustandigkeit des Bundes oder der Lander fallt. Es gibt keine Regelungen fur geteilte oder konkurrierende Zustandigkeiten. Art. 10 des B-VG enthalt eine detaillierte Liste von Angelegenheiten, die ausschließlich in die Kompetenz des Bundes fallen. Diese Liste umfasst zentrale Bereiche wie Staatsburgerschaft, Landesverteidigung, Außenpolitik, Finanzen, Handel und Justizwesen. Daruber hinaus bestimmt Art. 15 Absatz 1 des B-VG, dass alle Angelegenheiten, die in der Verfassung nicht ausdrucklich dem Bund zugewiesen sind, in die autonome Kompetenz der Lander fallen. Dies suggeriert ein System, in dem die Lander uber betrachtliche Restkompetenzen verfugen. In der Praxis jedoch fuhrt der umfangreiche und detaillierte Katalog der Bundeskompetenzen dazu, dass den Landern ein vergleichsweise begrenzter Bereich an Restkompetenzen verbleibt. Zur Veranschaulichung dieser Kompetenzverteilung: Die Lander sind befugt, in Bereichen wie Bauordnungen, Raumordnung, Grundverkehr, Jagd, Naturschutz und Jugendschutz Gesetzgebung zu betreiben. Demgegenuber hat der Bund die exklusive Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz in Angelegenheiten wie Bildung, Wissenschaft und offentlichem Verkehr. Trotz dieser offensichtlichen Einschrankung gewahrt Art. 17 des B-VG den Landern ein erhebliches Maß an politischer Autonomie, indem er ihnen erlaubt, auch in Bereichen, in denen der Bund gesetzgeberische Kompetenz besitzt, nach Privatrecht zu handeln. Diese Bestimmung wirkt als „Sicherheitsventil“ gegen eine ubermaßige Zentralisierung, indem sie den Landern ermoglicht, Projekte zu finanzieren und rechtliche Instrumente wie Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen in Bereichen einzusetzen, die der Bundeskompetenz unterliegen. Beispielsweise kann ein Land trotz der Bundeskompetenz fur Bildung und Wissenschaft auf Grundlage des Artikels 17 wissenschaftliche Einrichtungen grunden und finanzieren. Ebenso konnen die Lander gemeinsam mit Bund und Gemeinden an der Finanzierung offentlicher Dienstleistungen, wie des offentlichen Nahverkehrs, teilnehmen. Trotz seines foderalen Aufbaus wird Osterreich oft als ein hoch zentralisierter Bundesstaat charakterisiert. Diese Zentralisierung wird durch mehrere Faktoren begunstigt. Der historische Kontext des osterreichischen Foderalismus spielte dabei eine entscheidende Rolle. Das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 war das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den foderalistischen Bestrebungen der Christlich-Sozialen Partei und den zentralistischen Tendenzen der Sozialdemokraten. Dies fuhrte zu einem foderalen Aufbau mit einem zentralistischen Grundzug. Daruber hinaus tragt die Kompetenzverteilung, bei der die uberwiegende Mehrheit der Gesetzgebungsbefugnisse dem Bund zugewiesen ist, erheblich zu dieser Zentralisierung bei. Der begrenzte Einfluss des Bundesrates auf die Bundesgesetzgebung verstarkt diese Zentralisierung, da es den Landern erschwert wird, ihre Interessen im Gesetzgebungsprozess wirksam zu vertreten. Die Dominanz nationaler Perspektiven unter Politikern, Burokraten, Interessengruppen und Wahlern verstarkt diese Zentralisierung zusatzlich, was zu einer nicht-foderalen Gesellschaft fuhrt, die innerhalb eines gesamtosterreichischen nationalen Rahmens agiert. Dieses Fehlen territorialer sozialer Vielfalt schwacht eine foderale Perspektive und fordert die zentralistischen Tendenzen im osterreichischen Foderalismus. Vielmehr bezeichnete Ewald Wiederin den Foderalismus in Osterreich eher als „eine Sache fur das Gemut“. Der Foderalismus wird in Osterreich dennoch tendenziell positiv wahrgenommen. Die Aussage „Wir brauchen die Lander nicht mehr.“ wurde in osterreichweiten Studien von einer großen Mehrheit der Befragten abgelehnt. Die Zentralisierung der Macht in Osterreich ist Gegenstand von Debatten und Kritik. Kritiker argumentieren, dass sie die Autonomie der Lander untergrabt und die Reaktionsfahigkeit der Regierung auf regionale Bedurfnisse und Praferenzen einschrankt. Dies hat zu Forderungen nach einem starker dezentralisierten foderalen System gefuhrt, das die Lander starkt. Trotz dieser Forderungen hat das osterreichische foderale System eine bemerkenswerte Stabilitat bewahrt, die eine gewisse Resilienz und Anpassungsfahigkeit zeigt. Dies liegt zum Teil daran, dass es an signifikanter territorialer sozialer Vielfalt mangelt. Daher gibt es nur begrenzten Druck fur einen durchsetzungsfahigeren Foderalismus seitens der Lander oder ihrer Bevolkerung. Diese Homogenitat innerhalb der osterreichischen Gesellschaft, kombiniert mit historischen Faktoren und der Struktur der Kompetenzverteilung, hat ein foderales System gefestigt, in dem die Zentralregierung dominant bleibt. = Institutionelle Ausgestaltung des Foderalismus = Der institutionelle Rahmen des osterreichischen Foderalismus ist durch ein vielschichtiges Zusammenspiel von Bundes- und Landesinstitutionen gepragt. Wahrend die osterreichische Verfassung (Bundes-Verfassungsgesetz, B-VG) die grundlegende Struktur festlegt, werden die Dynamiken des Foderalismus maßgeblich durch informelle Praktiken und die Zusammenarbeit zwischen den Regierungsebenen gestaltet. Der Bundesrat Der Bundesrat ist die zweite Kammer des osterreichischen Parlaments und reprasentiert die Interessen der neun Lander. Er spielt eine Rolle in der Bundesgesetzgebung, jedoch eine begrenzte. Die Zusammensetzung des Bundesrats richtet sich nach der Zahl der Wahlberechtigten in den einzelnen Landern, wobei die Anzahl der Mitglieder pro Land zwischen drei und zwolf variiert. Die Mitglieder werden von den jeweiligen Landtagen gewahlt. Die Aufgaben des Bundesrats konzentrieren sich hauptsachlich auf die Uberprufung von Gesetzen, die vom Nationalrat, der starkeren und wichtigeren Kammer des Parlaments, beschlossen wurden. Der Bundesrat besitzt ein aufschiebendes Vetorecht, mit dem er die Verabschiedung von Bundesgesetzen, die die Interessen der Lander betreffen, verzogern kann. Dieses Veto kann jedoch vom Nationalrat mit einfacher Mehrheit uberstimmt werden, mit Ausnahme einiger spezifischer Falle, in denen eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Diese begrenzte Macht verdeutlicht die Schwache des Bundesrats bei der Einflussnahme auf die Bundesgesetzgebung. Die eingeschrankte Einflussmoglichkeit des Bundesrats resultiert aus seinem Mangel an bedeutenden legislativen Kompetenzen. Wahrend er Gesetzesanderungen vorschlagen kann, sind diese fur den Nationalrat nicht bindend. Daruber hinaus ist der Bundesrat nicht am Budgetprozess beteiligt, was seine Fahigkeit, die Interessen der Lander in der Bundespolitik effektiv zu vertreten, weiter mindert. Die Landtage Die Landtage sind einkammerige Parlamente, die als gesetzgebende Organe auf Landesebene fungieren. Ihre Mitglieder, die Landtagsabgeordneten, werden von den Burgern jedes Landes nach dem Prinzip der Verhaltniswahl gewahlt. Die Landtage sind fur die Erlassung von Gesetzen zustandig, die in die Gesetzgebungskompetenz ihrer jeweiligen Lander fallen. Diese Kompetenzen umfassen vor allem Bereiche wie Bauordnungen, Raumplanung und Umweltschutz. Eine der zentralen Aufgaben der Landtage ist die Wahl der Landesregierungen, einschließlich des Landeshauptmanns. Dieser Wahlprozess schafft eine direkte Verbindung zwischen der gesetzgebenden und der ausfuhrenden Gewalt auf Landesebene. Zusatzlich zu ihrer Gesetzgebungsfunktion uben die Landtage Kontrolle uber die Landesverwaltung aus, indem sie die Aktivitaten der Landesregierung uberprufen und diese zur Rechenschaft ziehen. Diese Kontrollfunktion umfasst Mechanismen wie parlamentarische Anfragen, Interpellationen und Untersuchungsausschusse, ahnlich den Instrumenten des Nationalrats auf Bundesebene. Die Landesregierungen Die Landesregierungen, angefuhrt vom Landeshauptmann, bilden die Exekutive auf Landesebene. Sie sind fur die Umsetzung der von den Landtagen erlassenen Gesetze und die Verwaltung der Landesangelegenheiten zustandig. Die Zusammensetzung der Landesregierungen wird durch die jeweilige Landesverfassung bestimmt, wobei Große und Struktur von Land zu Land variieren. Die Landeshauptleute nehmen eine besonders prominente Position innerhalb der Landesstrukturen ein. Sie sind Regierungschefs, leiten die Sitzungen der Landesregierung, fuhren die Landesverwaltung und vertreten das Land gegenuber der Bundesregierung und anderen Landern. Historisch dominierte in den meisten osterreichischen Landern ein System der Proporzregierungen, bei dem die starksten Parteien entsprechend ihrer Starke in der Landesregierung vertreten waren. Dieses System wurde jedoch weitgehend durch Allein- oder Koalitionsregierungen abgelost, mit Ausnahme von Niederosterreich und Oberosterreich, die weiterhin Proporzregierungen haben. Wien hat ein einzigartiges System mit einer Landesregierung (Stadtsenat), die proporzmaßig zusammengesetzt ist, jedoch amtsfuhrende Stadtrate sowie Regierungsmitglieder ohne eigenes Aufgabengebiet (ohne Portefeuille) umfasst (siehe auch: Wiener Stadtsenat und Landesregierung). Kooperative Elemente Obwohl die formale institutionelle Struktur eine klare Trennung zwischen Bundes- und Landesebene nahelegt, spielen kooperative Elemente eine entscheidende Rolle im osterreichischen Foderalismus. Zwei wichtige Beispiele sind die Landeshauptleutekonferenz und die Verbindungsstelle der Bundeslander. Die Landeshauptleutekonferenz ist ein regelmaßiges Treffen aller neun Landeshauptleute, um gemeinsame Interessen zu besprechen und zu koordinieren. Obwohl nicht in der Verfassung verankert, hat sie sich zu einer bedeutenden Plattform fur die Zusammenarbeit zwischen den Regierungsebenen entwickelt. Entscheidungen in der Landeshauptleutekonferenz werden in der Regel im Konsens getroffen, was die Zustimmung aller teilnehmenden Landeshauptleute erfordert. Ihre informelle Natur mindert jedoch nicht ihr politisches Gewicht, da sie die Artikulation gemeinsamer Interessen und die Entwicklung koordinierter Positionen der Lander ermoglicht. Die Verbindungsstelle der Bundeslander, mit Sitz in Wien, dient als standiges Sekretariat der Landeshauptleutekonferenz und stellt administrative und logistische Unterstutzung fur deren Sitzungen und Aktivitaten bereit. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Forderung der Kommunikation und des Informationsaustauschs zwischen den Landern. Die Verbindungsstelle unterstutzt zudem die Lander bei der Formulierung ihrer Standpunkte gegenuber der Bundesregierung und vertritt ihre kollektiven Interessen in verschiedenen nationalen und internationalen Gremien. Die Aktivitaten der Verbindungsstelle tragen zu einem koordinierten Vorgehen der Lander in ihren Interaktionen mit der Bundesregierung und anderen Akteuren bei und fordern die Zusammenarbeit zwischen den Regierungsebenen uber die formalen institutionellen Strukturen hinaus. Finanzfoderalismus in Osterreich = Grundzuge des osterreichischen Finanzfoderalismus = Das osterreichische System des Finanzfoderalismus basiert auf dem Prinzip getrennter Finanzsysteme fur den Bund und die neun Lander, mit dem Instrument des Finanzausgleichs. Dieses System, das in der osterreichischen Bundesverfassung verankert ist, weist dem Bund bedeutende Steuerbefugnisse zu, wahrend die Lander uber Restkompetenzen verfugen. Das osterreichische System ist durch einen hohen Grad an finanzieller Integration zwischen Bund und Landern gekennzeichnet, der durch verschiedene Institutionen und Organisationen ermoglicht wird, was zu seiner Beschreibung als kooperatives Foderalismusmodell fuhrt. Der Bund verfugt uber weitreichende Steuerbefugnisse, die eine breite Palette von Steuern umfassen. Das Finanzverfassungsgesetz ermachtigt die Bundesgesetzgebung, die Verteilung der Steuerrechte und Einnahmenanteile auf allen Regierungsebenen zu regeln, was die zentrale Rolle des Bundes in fiskalischen Angelegenheiten verdeutlicht. Diese zentralistische Tendenz wird jedoch durch ein System des Finanzausgleichs abgemildert, das sicherstellen soll, dass Lander mit geringeren Steuereinnahmen offentliche Dienstleistungen auf einem vergleichbaren Niveau wie wohlhabendere Lander erbringen konnen. Diese Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Landern durch das finanzpolitische Instrument des Finanzausgleichs ist eine komplexe, periodisch neu verhandelte Vertragsvereinbarung. Dieses System versucht, die finanziellen Bedurfnisse der Lander mit dem Erfordernis fiskalischer Disziplin auf Bundesebene in Einklang zu bringen. = Reformdiskussionen und Herausforderungen = Reformdiskussionen im Zusammenhang mit dem osterreichischen Finanzfoderalismus konzentrieren sich darauf, die finanzielle Autonomie der Lander zu erhohen, insbesondere durch die Gewahrung eines großeren Anteils an Steuereinnahmen und einer starkeren Kontrolle uber ihre Ausgaben. Befurworter von Reformen argumentieren, dass dies die Rechenschaftspflicht und die Reaktionsfahigkeit auf regionale Bedurfnisse verbessern wurde, was zu einer effizienteren Bereitstellung offentlicher Dienstleistungen fuhren konnte. Der Reformaufruf erstreckt sich auch auf die Starkung der Rolle der Gemeinden innerhalb des osterreichischen Mehrebenensystems. Obwohl als wesentlicher Bestandteil des Systems anerkannt, fehlt den Gemeinden eine starke verfassungsrechtliche Stimme, und sie werden oft als Juniorpartner innerhalb der foderalen Struktur behandelt. Dies hat zu Forderungen nach einer starkeren kommunalen Vertretung und Beteiligung an Entscheidungsprozessen gefuhrt (z. B. durch den Gemeindebund), die ihre Funktionen und Verantwortlichkeiten direkt betreffen. Die Verwirklichung bedeutsamer Reformen steht jedoch vor erheblichen Herausforderungen, insbesondere dem Widerstand der Lander selbst geschuldet. Das derzeitige System, obwohl es wegen seiner zentralistischen Aspekte kritisiert wird, hat den Landern einen vorhersehbaren und relativ stabilen Einnahmestrom verschafft, der oft ihre Ausgabenbedarfe ubersteigt. Diese finanzielle Sicherheit, gepaart mit ihrem politischen Einfluss durch Gremien wie die Landeshauptleutekonferenz, macht sie zogerlich, jegliche Kontrolle uber ihre finanziellen Angelegenheiten aufzugeben. Europaisierung des osterreichischen Foderalismus = Einfluss der EU-Mitgliedschaft auf die Kompetenzverteilung = Der Beitritt Osterreichs zur Europaischen Union (EU) im Jahr 1995 hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf das foderale System des Landes, insbesondere in zwei zentralen Bereichen: der Verteilung der Kompetenzen zwischen dem Bund und den Landern sowie der Mitwirkung der Lander an der EU-Politikgestaltung. Der Einfluss der EU hat die Grundstruktur des osterreichischen Foderalismus nicht grundlegend verandert. Er hat jedoch zur Starkung bestehender Merkmale wie der spezifischen Kompetenzaufteilung und der Bedeutung des Exekutivfoderalismus beigetragen. Die Lander haben durch verschiedene Mechanismen eine aktivere Rolle in der EU-Politikgestaltung ubernommen, wodurch ihre Interessen vertreten und die Relevanz des osterreichischen Foderalismus im europaischen Kontext gewahrt bleiben. Beteiligung der Lander an der EU-Politikgestaltung Der Einfluss der EU auf die Kompetenzverteilung war erheblich. Obwohl das osterreichische foderale System allgemein als zentralistisch gilt, wobei der Bund eine dominierende Rolle spielt, hat die EU-Mitgliedschaft Anpassungen und eine starkere Betonung der Zusammenarbeit erforderlich gemacht. Dies liegt daran, dass das EU-Recht haufig Bereiche beruhrt, die in die Gesetzgebungskompetenz der Lander fallen, wie Landwirtschaft, Umwelt und Verkehr. Folglich mussten die Lander aktiver in EU-Angelegenheiten eingebunden werden, um ihre Interessen zu wahren und ihre Stimmen Gehor zu verschaffen. Die Lander haben sich zu wichtigen Akteuren bei der Gestaltung der osterreichischen EU-Politik entwickelt. Diese Mitwirkung erfolgt vor allem durch das Landerbeteiligungsverfahren, ein Verfahren, das in Art. 23d der osterreichischen Bundesverfassung verankert ist. Dieses Verfahren verpflichtet die Bundesregierung, die Lander unverzuglich uber alle EU-Initiativen zu informieren, die ihre eigenstandigen Kompetenzen betreffen oder fur sie von Interesse sein konnten. Die Lander erhalten zudem die Moglichkeit, zu diesen Initiativen Stellung zu nehmen. Das Gewicht dieser Stellungnahmen hangt von Faktoren wie der Anzahl der beteiligten Lander und der Relevanz des Themas fur sie ab. Wenn alle Lander in einer Angelegenheit, die ihren Gesetzgebungsbereich betrifft, eine einheitliche Position vertreten, ist die Bundesregierung an diese gebunden. Abweichungen sind nur aus zwingenden integrations- oder außenpolitischen Grunden zulassig, die den Landern umgehend mitzuteilen sind. Neben dem Landerbeteiligungsverfahren beteiligen sich die osterreichischen Landtage auch an der Subsidiaritatsprufung. Dieser von der EU eingefuhrte Mechanismus zielt darauf ab, sicherzustellen, dass Entscheidungen auf der geeignetsten Regierungsebene getroffen werden. Die Landtage beteiligen sich uber ihre Verwaltungen aktiv an der Prufung von EU-Initiativen auf mogliche Subsidiaritatsbedenken. Dabei wird haufig bestimmten Landern die Aufgabe ubertragen, Initiativen zu prufen, die in ihren Kompetenzbereich fallen, was die Rolle der Lander bei der Wahrung ihrer Interessen im EU-Rahmen weiter verdeutlicht. Europaische Verbunde fur Territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) Die Einrichtung Europaischer Verbunde fur territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) war eine weitere bedeutende Folge der EU-Mitgliedschaft Osterreichs. EVTZ bieten einen Rechtsrahmen fur die grenzuberschreitende Zusammenarbeit zwischen regionalen und lokalen Behorden verschiedener EU-Mitgliedstaaten. Dieses Instrument hat sich in Osterreich als besonders relevant erwiesen, da viele seiner regionalen Behorden Grenzen zu auslandischen Staaten teilen. Osterreich nimmt formell z. B. an zwei etablierten EVTZ teil: der Europaregion Tirol-Sudtirol-Trentino und der Euregio Senza Confini (Euregio ohne Grenzen). Beide sind Euroregionen, die darauf abzielen, die Zusammenarbeit zwischen osterreichischen und italienischen Regionalbehorden in verschiedenen Bereichen zu fordern. Wahrend diese ersten EVTZ auf allgemeine Kooperationszwecke ausgerichtet waren, gab es Diskussionen und Initiativen zur Einrichtung von EVTZ mit spezifischeren Zielen. Ein Beispiel hierfur ist der EVTZ Alpine Pearls, der auf die Forderung des nachhaltigen Tourismus in einer grenzuberschreitenden Region abzielt, die Osterreich, Deutschland, Slowenien, Italien, die Schweiz und Frankreich umfasst. Diese Diversifizierung der EVTZ-Typen spiegelt die wachsende Anerkennung ihres Potenzials wider, spezifische grenzuberschreitende Herausforderungen und Chancen anzugehen. Aktuelle Herausforderungen und Reformdiskussionen Osterreich ist eine Bundesrepublik, die aus neun autonomen Bundeslandern besteht. Das foderale System des Landes, das 1920 etabliert wurde, zeichnet sich durch einen hohen Grad an Integration zwischen Bund, Landern und Gemeinden aus. Allerdings wird es weithin als stark zentralisiert angesehen, da der Bund eine dominierende Rolle einnimmt und die Lander nur begrenzte Gesetzgebungsbefugnisse ausuben. Dies hat zu anhaltenden Debatten und Forderungen nach Reformen gefuhrt, um die Herausforderungen und Schwachen des osterreichischen Foderalismus zu adressieren. Die Debatte uber die Zukunft des osterreichischen Foderalismus bleibt jedoch lebendig, getrieben von einem wachsenden Bewusstsein fur die Schwachen des Systems und dem Bedarf nach einem ausgewogeneren und reaktionsfahigeren Regierungsmodell. Der Reformdiskurs muss die Komplexitaten des bestehenden Systems adressieren, die Auswirkungen der europaischen Integration berucksichtigen und Wege finden, um die demokratische Rechenschaftspflicht und Transparenz zu starken. = Zentralisierungstendenzen und Bundesdominanz = Trotz der formalen foderalen Struktur ist der osterreichische Foderalismus von einem anhaltenden Trend zur Zentralisierung gepragt. Der Bundesrat, die zweite Kammer des Parlaments, die die Interessen der Lander in der Bundesgesetzgebung vertreten soll, verfugt nur uber begrenzte Befugnisse und wird allgemein als politisch schwach angesehen. Dies liegt teilweise an seiner Zusammensetzung: Die Mitglieder des Bundesrates werden von den Landtagen ernannt und unterliegen der Parteidisziplin, anstatt die Interessen ihrer Lander zu vertreten. Im Gegensatz dazu besitzt der Nationalrat, die erste Kammer des Parlaments, die ausschließliche Bundeskompetenz in Gesetzgebung und Verwaltung, was die Dominanz des Bundes weiter starkt. Die finanzielle Dominanz des Bundes tragt ebenfalls zu den zentralistischen Tendenzen im osterreichischen Foderalismus bei. Die Haupteinnahmen aller Regierungsebenen werden durch ein gemeinsames Steuersystem generiert, wobei der Bund letztlich die Verteilung der finanziellen Mittel uber den Finanzausgleich bestimmt. Dies fuhrt dazu, dass Lander und Gemeinden nur uber wenig finanzielle Autonomie verfugen und stark von Bundeszuschussen abhangig sind. = Komplexitat der Kompetenzverteilung = Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Landern ist ein weiterer Bereich, in dem der osterreichische Foderalismus auf Herausforderungen stoßt. Obwohl die Verfassung den Landern formal die residualen Kompetenzen zuweist, ist der katalogartige Umfang der Bundesangelegenheiten umfangreich und detailliert, was den Handlungsspielraum der Lander stark einschrankt. Dies hat zu einer komplexen und oft unklaren Verteilung der Zustandigkeiten gefuhrt, mit uberlappenden Kompetenzen und einem Mangel an Transparenz. Der Bund konnte seinen Einfluss auch durch den Einsatz von Kompetenzdeckungsklauseln in Bundesgesetzen ausweiten, die gesetzgeberische und exekutive Kompetenzen des Bundes in Bereichen sichern, die eigentlich in die Zustandigkeit der Lander fallen wurden. = Mangel an Transparenz und demokratischer Legitimitat = Die Zentralisierung der Macht und die komplexe Kompetenzverteilung haben Bedenken hinsichtlich der Transparenz und demokratischen Legitimitat des osterreichischen Foderalismus aufgeworfen. Die unklaren Verantwortlichkeiten erschweren es den Burgern, ihre gewahlten Vertreter zur Rechenschaft zu ziehen. Daruber hinaus haben die Dominanz des Bundes und die Schwache des Bundesrates die Fahigkeit der Lander eingeschrankt, die Interessen ihrer Burger auf Bundesebene wirksam zu vertreten. = Finanzielle Ungleichgewichte und die Notwendigkeit einer Reform des Finanzausgleichs = Das derzeitige Finanzausgleichssystem in Osterreich wird weitgehend fur seine Komplexitat und mangelnde Transparenz kritisiert, was zu finanziellen Ungleichgewichten zwischen den Landern fuhrt. Das komplizierte Netzwerk von Transfers und finanziellen Verflechtungen zwischen Bund, Landern und Gemeinden erschwert die Bewertung der verteilungs- und allokativen Effekte des Systems. Dies kann finanzielle Disparitaten perpetuieren und eine effiziente Umsetzung von Politiken, insbesondere in Bereichen wie Gesundheit und Bildung, behindern. = Diskussion uber die Starkung der Lander und Foderalismusreform = Die Herausforderungen des osterreichischen Foderalismus haben anhaltende Diskussionen und Forderungen nach Reformen befeuert. Wahrend weitgehende Einigkeit uber die Notwendigkeit von Veranderungen besteht, herrscht weniger Konsens uber die konkreten Maßnahmen. Einige Experten und Politiker pladieren fur ein starker dezentralisiertes System mit mehr Autonomie und finanziellen Ressourcen fur die Lander. Sie argumentieren, dass dies die demokratische Verantwortlichkeit verbessern, maßgeschneiderte politische Losungen fur regionale Bedurfnisse ermoglichen und Innovationen durch interregionalen Wettbewerb fordern wurde. Andere setzen sich fur eine Starkung der Kooperationsmechanismen zwischen Bund und Landern ein, wobei der Fokus auf einer besseren Koordination und Straffung der Entscheidungsprozesse liegt. Reformbemuhungen werden durch einen Mangel an politischem Willen, insbesondere auf Seiten des Bundes, der ungern Macht an die Lander abgeben mochte, behindert. Auch die Lander selbst werden fur ihren mangelnden Zusammenhalt und ihre Kompromissunwilligkeit kritisiert. Trotz dieser Herausforderungen bleibt die Debatte uber die Zukunft des osterreichischen Foderalismus aktiv, begleitet von Forderungen nach einer grundlegenden Neubewertung des derzeitigen Systems und der Entwicklung eines ausgewogeneren und reaktionsfahigeren Modells der Governance. = Uberlappung in EU-Angelegenheiten und Landerrechte = Die Europaisierung der osterreichischen Politik hat eine zusatzliche Komplexitat in das foderale System gebracht. Der EU-Beitritt Osterreichs im Jahr 1995 brachte zwar wirtschaftliche Vorteile und Integration, stellte jedoch auch die traditionelle Machtbalance zwischen Bund und Landern vor Herausforderungen. Mit der Ausweitung der Kompetenzen der EU verschwammen die Grenzen zwischen Bundes- und Landesverantwortlichkeiten, was Bedenken hinsichtlich einer Erosion der Landerautonomie in Bereichen wie Landwirtschaft, Umweltschutz und Regionalentwicklung ausloste. Die osterreichische Verfassung sieht das sogenannte Landerbeteiligungsverfahren vor, das die Mitwirkung der Lander an EU-Angelegenheiten sicherstellen soll, die ihre Kompetenzen betreffen. Dieses Verfahren verpflichtet die Bundesregierung, die Lander uber alle relevanten EU-Projekte zu informieren und ihnen die Moglichkeit zu geben, Stellung zu nehmen. Wahrend die Informationsweitergabe in der Praxis gut funktioniert, hangt der Einfluss der Landerstellungnahmen von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Anzahl der intervenierenden Lander und die Einheitlichkeit ihrer Ansichten. Wenn die Lander eine einheitliche Stellungnahme zu einem EU-Projekt abgeben, das eine Materie der Landesgesetzgebung betrifft, wird dies zu einem bindenden Mandat fur die Bundesregierung. Allerdings kann die Bundesregierung aus integrations- und außenpolitischen Grunden von diesem Mandat abweichen. Diese Regelung ermoglicht zwar Flexibilitat in Verhandlungen, weckt jedoch auch Befurchtungen, dass der Bund die Interessen der Lander zugunsten ubergeordneter EU-Ziele ubergehen konnte. = Dominanz der Exekutive und Parteipolitik = Ein Merkmal des osterreichischen Foderalismus ist die starke Macht der Landeshauptleute, die großen Einfluss in ihren Bundeslandern haben und eine wichtige Rolle in Verhandlungen zwischen Bund und Landern spielen. Diese starke Exekutivmacht, kombiniert mit dem historisch verankerten System des Proporz, bei dem Regierungspositionen proportional zwischen den großen politischen Parteien verteilt werden, hat zu einer Kultur der Konsenssuche und Hinterzimmerdeals gefuhrt. Dies geschah oft auf Kosten von Transparenz und offener politischer Debatte, was die demokratische Legitimitat des Systems weiter schwachte. = Forderungen nach Dezentralisierung und Reform im Kontext von Pandemie und Klimawandel = Die COVID-19-Pandemie hat die Schwachen des osterreichischen Foderalismus deutlich gemacht und den Bedarf an einem dezentraleren und effizienteren System verdeutlicht. Die Pandemie legte die Begrenzungen der aktuellen Kompetenzverteilung offen: Uberlappende Zustandigkeiten und unklare Verantwortlichkeiten fuhrten zu Verwirrung und Verzogerungen bei der Umsetzung von Maßnahmen im offentlichen Gesundheitswesen. Dies hat Forderungen nach einer Uberprufung des foderalen Systems befeuert, wobei einige Kommentatoren fur die Ubertragung bestimmter Kompetenzen vom Bund auf die Lander pladieren, insbesondere in Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Umweltschutz. Ebenso hat der dringende Handlungsbedarf beim Klimaschutz die Notwendigkeit einer effektiveren und koordinierten Antwort aller Regierungsebenen hervorgehoben. Dies hat zu Forderungen nach einer starkeren Rolle der Lander in der Klimapolitik gefuhrt, da sie aufgrund ihrer Nahe zu lokalen Gemeinschaften in der Lage sind, Maßnahmen spezifisch auf regionale Bedurfnisse zuzuschneiden. = Finanzielle Ungleichgewichte und Reform der Kommunalverwaltung = Die finanziellen Disparitaten zwischen den Landern und die fiskalische Abhangigkeit der Gemeinden von Bundeszuschussen bleiben bedeutende Herausforderungen fur den osterreichischen Foderalismus. Experten argumentieren, dass Gemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern finanziell nicht tragfahig sind und zu effizienteren Verwaltungseinheiten zusammengelegt werden sollten. Andere schlagen vor, mehr Aufgaben auf die mittelbare Bundesverwaltung zu verlagern, bei der Aufgaben lokal ausgefuhrt werden, jedoch unter Regeln, die vom Bund festgelegt werden. Siehe auch Verwaltungsgliederung Osterreichs Foderalismus in Deutschland Foderalismus in der Schweiz Weblinks Institut fur Foderalismus Peter Bußjager: Foderalismus und Regionalismus in Osterreich. In: Bundeszentrale fur politische Bildung. 17. August 2018, abgerufen am 11. Januar 2025. Franz Schausberger: Foderalismus – gibt es den in Osterreich uberhaupt? Haus der Geschichte, abgerufen am 11. November 2024. Hans Pitlik, Michael Klien, Margit Schratzenstaller & Christina Seyfried: Umfassende Steuerhoheit der osterreichischen Bundeslander . Osterreichisches Institut fur Wirtschaftsforschung, 2015, 207 S., abgerufen am 11. Januar 2025. Einzelnachweise
Der Foderalismus in Osterreich ist von einem bestandigen Ringen zwischen zentralistischen und foderalistischen Stromungen gepragt. Bereits bei der Grundung der Republik Osterreich in den Jahren 1918 bis 1920 spielten die Lander eine entscheidende Rolle beim Aufbau der politischen und administrativen Strukturen auf Landesebene. In den sogenannten Landerkonferenzen, in denen Vertreter der Lander und der neuen Zentralregierung in Wien zusammenkamen, einigte man sich darauf, die Republik als foderalen Bundesstaat zu konstituieren. Die schließlich im Jahr 1920 verabschiedete osterreichische Bundesverfassung, maßgeblich entworfen vom Rechtswissenschaftler Hans Kelsen, sah einen Bundesstaat mit neun Gliedstaaten (Landern) vor. Der daraus resultierende Foderalismus war schwach ausgepragt, da die meisten wichtigen Kompetenzen, insbesondere in Finanzangelegenheiten, dem Bund zugewiesen wurden. Diese Kompetenzverteilung spiegelte die unterschiedlichen Vorstellungen der beiden dominierenden politischen Krafte wider: die Christlichsozialen, die den Foderalismus befurworteten, und die Sozialdemokraten, die einen zentralisierten Staat bevorzugten. Die Verfassung war in weiten Teilen provisorisch und unvollstandig, und erst mit der Verfassungsreform von 1925 unter Bundeskanzler Rudolf Ramek wurde die Kompetenzverteilung endgultig geregelt. Die Verfassung des autoritaren Standestaates von 1934 brachte einen weiteren Zentralisierungsschub. Alle Landesgesetze bedurften der Zustimmung des Bundeskanzlers, und der Landeshauptmann wurde vom Bundesprasidenten ernannt. Mit dem Anschluss Osterreichs an Deutschland im Jahr 1938 wurde der Foderalismus in Osterreich dann ganzlich abgeschafft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Verfassung von 1929 wieder in Kraft gesetzt. In den folgenden Jahrzehnten setzten sich die Lander fur eine Starkung ihrer Position innerhalb des Bundesstaates ein, und die Forderungen der Lander fuhrten schrittweise zu einer Erweiterung ihrer Kompetenzen. Die Bemuhungen Osterreichs um einen Beitritt zur Europaischen Union wurden von den Landeshauptleuten von Anfang an unterstutzt, und ihr Engagement trug maßgeblich dazu bei, dass sich 1994 zwei Drittel der osterreichischen Bevolkerung in einem Referendum fur den EU-Beitritt aussprachen. Im Gegenzug fur ihre Unterstutzung wurde den Landern im sogenannten Perchtoldsdorfer Abkommen von 1992 eine umfassende Bundesstaatsreform zugesagt, die jedoch bis heute von keiner der nachfolgenden Bundesregierungen umgesetzt wurde. Auch die Ergebnisse des Osterreich-Konvents von 2005, der sich mit einer Reform des Foderalismus befasste, wurden nicht in die Praxis umgesetzt. Der schwache Foderalismus in Osterreich fuhrte immer wieder zu der Frage, ob Osterreich uberhaupt ein echter Bundesstaat ist. Im internationalen Vergleich gilt Osterreich als ein relativ schwach ausgepragter Bundesstaat, da die meisten Gesetzgebungskompetenzen nach wie vor dem Bund zugeordnet sind.
{ "url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Föderalismus_in_Österreich" }
c-78
Der Bienenwaben-Satz besagt in der euklidischen Geometrie, dass bei einer Aufteilung der Ebene in Gebiete jeweils gleichen Flacheninhalts der Gesamtumfang der Rander mindestens dem der regelmaßigen sechseckigen Bienenwaben-Aufteilung im Bild entspricht. Die entsprechende Bienenwaben-Vermutung wurde 1999 vom Mathematiker Thomas Hales bewiesen. Die Verallgemeinerung auf drei Dimensionen in Form von Kelvins Vermutung bleibt offen. Geschichte Marcus Terentius Varro, Namensgeber fur die Varroamilbe, schrieb ungefahr 36 v. Chr. in seinem Buch uber Landwirtschaft Rerum rusticarum libri tres auch uber die Bienen und deren Waben. Damals gab es zwei Erklarungsversuche fur deren Form: Die sechs Beine der Bienen passen dort am besten hinein, oder das Verhaltnis des Umfangs zur eingeschlossenen Flache ist am kleinsten. Auch Apollonios von Perge erwahnt das Problem in seinem funften Buch, das weitgehend Zenodorus Werk De isoperimetris (Uber isoperimetrische Figuren) (ca. 180 v. Chr.) folgt. Von diesem sind allerdings nur Fragmente erhalten, sodass nicht bekannt ist, ob das Problem von Zenodorus diskutiert wurde. Der griechische Geometer Pappos von Alexandria schrieb in einem Essay, dass die Bienen Denn die Zellen ihrer Bienenwaben bilden eine regelmaßige sechseckige Kachelung der Ebene. Das Bild oben zeigt die Uberlagerung von realen Bienenwaben mit einer regelmaßigen sechseckigen Aufteilung (blau), was die prazise Ausfuhrung der Waben demonstriert. Uber die Jahrhunderte wurde das Problem vielfach diskutiert. Charles Darwin glaubte, dass die von Bienen verwendeten sechseckigen Zellen das Ergebnis naturlicher Selektion seien, bei der diejenigen Bienen gewinnen, die am wenigsten Wachs verbrauchen. Die Losung eines bestimmten Falles dieses Satzes wird Hugo Steinhaus zugeschrieben, und der ungarische Mathematiker Laszlo Fejes Toth bewies den Satz 1943 fur konvexe Pflastersteine. Frank Morgan hatte 1993 gezeigt, dass in jedem Fall die Grenzlinien Kreisbogen oder gerade Linien sein mussen, die sich, wenn uberhaupt, dann zu dritt und in Winkeln von 120° treffen. Nun fehlte noch, die Kreisbogen auszuschließen, was Thomas Hales schließlich auch gelang. Es ist derselbe Thomas Hales, der 1998 die Keplersche Vermutung uber die dichteste Kugelpackung bewies, ein Problem, das mit der Bienenwaben-Vermutung eng verknupft ist. Die optimale Form der Zellenbasis und Hohe der Zelle Johannes Kepler, der die Gesetze der Planetenbewegung aufstellte, erkannte 1619, dass die Basis der Bienenwabe die Halfte eines Rhombendodekaeders ist. Giacomo Filippo Maraldi entdeckte 1710, dass die rautenformigen Platten der Bienenwaben immer dieselben Winkel zeigen, namlich 109° 28' fur den stumpfen und 70° 32' fur den spitzen Winkel. Rene-Antoine Ferchault de Reaumur fragte sich 1712, ob diese Form optimal sei – eine Frage, die Johann Samuel Konig 1734 positiv beantwortete. Simon L’Huilier untersuchte 1781 die Zellenhohe und stellte fest, dass bei vorgegebenem Zellvolumen die benotigte Wachsmenge am geringsten ist, wenn das Verhaltnis der Hohe h {\textstyle h} zur Seitenlange a {\textstyle a} des Schafts gleich h a = 1 2 ≈ 0 , 7 {\displaystyle {\frac {h}{a}}={\frac {1}{\sqrt {2}}}\approx 0,7} betragt, was einem halben Rhombendodekaeder entspricht. Bienenwaben weisen ein etwa 8-fach großeres Verhaltnis von 5,7 auf. David F. Siemens stellte 1967 fest, dass die Wabendeckel im Mittel 2,8-mal so dick sind wie die Wande von Basis und Schaft. Optimiert man nun die Wachsmenge, die fur eine Zelle mit festem Volumen einschließlich des Deckels und mit den tatsachlichen Wandstarkenverhaltnissen benotigt wird, so ergibt sich fur das Verhaltnis h a {\textstyle {\frac {h}{a}}} ein Wert von ungefahr 5,6 – also etwa der von den Bienen benutzte Wert. Mathematische Formulierung des Problems Sei Γ ein lokal endlicher Graph in ℝ2, der aus glatten Kurven besteht, sodass ℝ2\Γ aus unendlich vielen, beschrankten, zusammenhangenden Regionen mit Flacheninhalt eins besteht. Sei C die Vereinigung dieser beschrankten Regionen und B(0,r) eine Kreisscheibe mit Radius r im Ursprung. Dann gilt: lim sup r → ∞ Umfang ( C ∩ B ( 0 , r ) ) Inhalt ( C ∩ B ( 0 , r ) ) ≥ 12 4 . {\displaystyle \limsup _{r\to \infty }{\frac {{\text{Umfang}}{\big (}C\cap B(0,r){\big )}}{{\text{Inhalt}}{\big (}C\cap B(0,r){\big )}}}\geq {\sqrt[{4}]{12}}.} Darin ist lim sup die kleinste obere Schranke fur den Bruch. Der Wert auf der rechten Seite der Ungleichung ist die Grenzlange pro Flacheneinheit bei der sechseckigen Parkettierung, siehe unten. Zur Losung des Problems ersetzte Hales den planaren Graph durch einen Graph auf einem flachen Torus (mit Krummung null). Der Torus hat die Vorteile des beschrankten Flacheninhalts (genauer Kompaktheit) und einer verschwindenden Euler-Charakteristik. Das Theorem 4 gibt eine untere Schranke fur die Umfangslange in Form eines Funktionals. Die isoperimetrischen Eigenschaften des Funktionals erzwingen, dass die minimierende Figur konvex ist. Ein Strafterm verhindert, dass die Losung zu „rund“ wird. Die Optimalitat der regelmaßigen sechseckigen Wabe mit Flache 1 ist das Ergebnis. Beispiele Die Tabelle untermauert den Satz mit einigen Beispielen. Die gelb unterlegten Flachen haben den Inhalt eins. Blaue Rander teilen sich zwei Zellen und zahlen daher nur zu 50 %, wahrend die schwarzen Rander in der jeweiligen Zelle voll zu Buche schlagen. Literatur
Der Bienenwaben-Satz besagt in der euklidischen Geometrie, dass bei einer Aufteilung der Ebene in Gebiete jeweils gleichen Flacheninhalts der Gesamtumfang der Rander mindestens dem der regelmaßigen sechseckigen Bienenwaben-Aufteilung im Bild entspricht. Die entsprechende Bienenwaben-Vermutung wurde 1999 vom Mathematiker Thomas Hales bewiesen. Die Verallgemeinerung auf drei Dimensionen in Form von Kelvins Vermutung bleibt offen.
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c-79
Die Tsavo-Menschenfresser (englisch: Tsavo Man-Eaters) waren zwei mannliche Lowen, die in der Tsavo-Region in Britisch-Ostafrika, dem heutigen Kenia, Dutzende Menschen toteten und zeitweilig den Bau der Uganda-Bahn zum Erliegen brachten. Sie wurden im Dezember 1898 von dem britischen Ingenieur und Offizier John Henry Patterson erschossen. Das Lowenduo gehort neben der franzosischen Bestie des Gevaudan und dem indischen Champawat-Tiger zu den beruchtigtsten menschenfressenden Großraubtieren. Vorgeschichte: Bau der Uganda-Bahn In den 1890er Jahren gehorten unter anderem Indien und große Teile Ostafrikas zum expandierenden Britischen Weltreich. Das britische Parlament stimmte 1896 fur den von Konigin Victoria unterstutzten Plan einer Bahnverbindung von Mombasa am Indischen Ozean zum Victoriasee in Uganda. Damit sollte insbesondere der Transport von Wirtschaftsgutern und Soldaten durch das Innere Ostafrikas erleichtert und die Kontrolle uber Uganda und den Victoriasee gesichert werden. Fur den Bau der Uganda-Bahn wurden Tausende vorwiegend aus Indien stammende Arbeiter (Kulis) und Handwerker angeheuert; Baubeginn war 1896 in Mombasa. Der Ingenieur Ronald Preston, der in Indien Erfahrungen mit dem Eisenbahnbau gewonnen hatte, war ab 1897 fur den Gleisbau verantwortlich. Etwa 220 Kilometer von der Kuste entfernt erreichte die Bahnstrecke unter Prestons Leitung im Januar 1898 den Fluss Tsavo, der meist ruhiges Wasser fuhrt, saisonbedingt jedoch auch reißende Fluten, und zunachst mit einer temporaren Brucke uberquert wurde. Die Konstruktion einer permanenten Tragerbrucke oblag dem Ingenieur John Henry Patterson, der ebenso wie Preston aus Indien Erfahrungen mit dem Bahnbau hatte. Lowenangriffe in der Tsavo-Region = Angriffe vor Marz 1898 = Bereits vor der Ankunft der Bahnarbeiter am Tsavo gab es in der Region Lowenangriffe: 1886 verschleppte dort ein Lowe einen schlafenden Trager aus einem Camp. 1896 wurde eine Karawane an der seinerzeit zu Fuß zur Flussuberquerung genutzten Stelle attackiert, an der spater die Tsavo-Brucke entstand; als die Gruppe am Flussufer campierte, wurde nachts einer der Trager von einem Lowen verschleppt, konnte jedoch in 200 Meter Entfernung vom Camp gerettet werden. Wohl derselbe Lowe (moglicherweise einer der Lowen, die im Dezember 1898 von Patterson erlegt wurden) attackierte in derselben Nacht ein „30 Minuten“ entferntes anderes Camp und totete einen Einheimischen. Kurz nach seiner Ankunft am Fluss im Januar 1898 registrierte Preston mehrere Attacken. Nachdem uber Nacht ein indischer Arbeiter verschwunden war, fand man dessen Kleidung am Flussufer; Preston entdeckte kurz darauf nicht nur die zerfetzte Leiche des Mannes neben den Trittsiegeln eines Lowen, sondern auch mehrere menschliche Schadel und andere Skelettteile. Einige Tage darauf verschwand bei einem Lowenangriff gegen zwei Uhr in der Nacht ein weiterer Arbeiter aus einem Camp. Preston versuchte vergeblich, den Angreifer aufzuspuren. = Angriffe nach Pattersons Ankunft = Patterson erreichte Tsavo am 8. Marz 1898 und erfuhr nach wenigen Tagen, „ein oder zwei“ Arbeiter seien von Lowen aus ihren Zelten verschleppt und gefressen worden. Drei Wochen nach Pattersons Ankunft wurde Ungan Singh, ein indischer jamadar (Aufseher), von einem Lowen aus seinem Zelt verschleppt; der Lowe hatte seinen Kopf gegen Mitternacht durch den offenen Zelteingang gesteckt und den nachstgelegenen Mann am Hals gepackt. Patterson folgte am Morgen einer Blutspur und fand die zerfetzte, enthauptete und fast vollig blutleere Leiche Ungan Singhs; Trittsiegel zeigten, dass zwei Lowen von der Leiche gefressen hatten. Bis Dezember 1898 toteten die beiden Lowen mindestens 28 indische Arbeiter der Uganda-Bahn und eine unbekannte Zahl Einheimischer. Die meisten Opfer wurden aus ihren Zelten verschleppt, alle paar Nachte verschwand ein Mann aus einem der Camps. Weder hohe und breite Schutzwalle aus dornigen Asten (Bomas) um die Camps noch Lagerfeuer, die man die ganze Nacht unterhielt, noch regelmaßiges Scheppern mit leeren Olkanistern hinderten die Lowen daran, in die Camps einzudringen. Die Bomas wurden ubersprungen oder nach Schwachstellen abgesucht und – sogar mit menschlicher Beute – durchdrungen. Schusse nach einem Angriff ins Dunkel abgefeuert in die Richtung, in der Fressgerausche der Lowen zu horen waren oder in der die reflektierenden Katzenaugen aufblinkten, veranlassten die Lowen allenfalls, sich mit ihrer Beute ein Stuck zuruckzuziehen. Einige Angegriffene entkamen lebend: Als ein Lowe in ein Zelt einbrach, in dem 14 Arbeiter schliefen, verletzte er einen von ihnen erheblich an der Schulter, verschleppte jedoch in dem entstandenen Chaos keinen Menschen, sondern einen großen Reisbeutel, den er in der Nahe des Zelts fallen ließ. Ein indischer Handler wurde auf einem Esel reitend attackiert und rettete sich auf einen Baum; ebenfalls auf einen Baum rettete sich („mehr tot als lebendig“) ein Arbeiter, der entlang der Bahnlinie zu Fuß unterwegs gewesen und bei einem Lowenangriff verletzt worden war. Die Angriffe gipfelten schließlich in einer von Patterson so bezeichneten „Terrorherrschaft“ der Lowen. Zunachst griff jeweils einer der Lowen an, wahrend der andere außerhalb der Boma wartete; spater brachen beide Lowen gleichzeitig in die Camps ein, und jeder ergriff ein Opfer. Viele Arbeiter glaubten, es mit „Teufeln in Lowengestalt“ zu tun zu haben. Am 1. Dezember 1898 legten alle ihre Arbeit nieder; sie erklarten Patterson, sie seien nicht langer bereit, als Futter fur Lowen oder „Teufel“ herhalten zu mussen. Mehrere hundert Arbeiter besetzten einen Zug und flohen damit von der Baustelle. Das brachte die Arbeiten fur etwa drei Wochen zum Erliegen. Am Nachmittag des 2. Dezember mussten sich Bahnbedienstete ins Bahnhofsgebaude von Tsavo in Sicherheit bringen, weil sich ein „gewaltiger“ Lowe auf dem Bahnsteig aufhielt. Der fur 18 Uhr angekundigte Zug mit dem von Patterson zum Dinner erwarteten District Officer Whitehead erreichte den Bahnhof an diesem Abend mit erheblicher Verspatung. Whitehead machte sich in der Dunkelheit mit dem Askari Abdullah, der eine Lampe trug, auf den Weg zu Pattersons Camp. Die beiden wurden auf der Schneise zum Camp von einem Lowen angegriffen, der vom Bahndamm auf Whitehead sprang, ihn zu Boden riss und mit seinen Krallen am Rucken verletzte. Als es Whitehead gelang, einen Schuss abzufeuern, ließ der Lowe von ihm ab und attackierte stattdessen Abdullah, der trotz eines weiteren Schusses Whiteheads verschleppt und getotet wurde. = Opferzahlen = Preston berichtete, wahrend seines Aufenthalts in der Region seien dort 17 Arbeiter aus der Provinz Punjab von Lowen getotet worden. Patterson zufolge wurden wahrend der Bauarbeiten am Tsavo 28 Inder von Lowen getotet. Kerbis Peterhans und Gnoske vermuten, dass Patterson die von Preston genannte Opferzahl in letztere Zahl einbezogen hatte. Die 1925 von Patterson publizierte Zahl von insgesamt 135 indischen und afrikanischen Opfern ist nicht belegt. Fraglich ist auch, ob die aufgrund des Isotopenverhaltnisses von Kohlenstoff zu Stickstoff in Knochen und Haaren der Lowen errechnete Zahl von etwa 35 Opfern (wobei die Forscher eine mogliche Spanne von vier bis 72 Opfern angeben) einen realistischen Wert widerspiegelt. Pattersons Jagden auf die Lowen Die Camps der Bahn-Mitarbeiter waren entlang der Strecke uber 13 Kilometer verteilt; die Lowen schlugen in kaum vorhersehbarer Weise mal in diesem Camp zu, mal in jenem. Patterson und einige seiner Mitarbeiter verbrachten etliche Nachte vergeblich damit, an Orten zu warten, von denen Patterson glaubte, das Auftauchen der Lowen sei dort besonders wahrscheinlich, etwa weil sie dort vorher Beute gemacht hatten. Mit Strychnin praparierte Kadaver von Lasttieren, die laut Patterson als Folge der Stiche von Tsetsefliegen gestorben waren, ruhrten die Lowen nicht an. Am 23. April 1898 bezog Patterson mit dem Arzt Dr. Brock abends in einem gedeckten Guterwagen Position; die Lowen waren tagsuber in der Gegend gesehen und ein Arbeiter war angegriffen worden. Die beiden Manner ließen die obere Halfte einer Wagentur offen, um mit Gewehren im Anschlag ein verlassenes Camp im Auge behalten zu konnen, in dem sie Vieh als Koder angebunden hatten. In der Dunkelheit versuchte ein Lowe, die Manner im Wagen zu attackieren; der Lowe war bereits im Sprung auf die halb offene Tur und wurde im letzten Moment durch Schusse abgewehrt. Patterson ließ zudem eine uberdimensionale, massive Kastenfalle bauen; Baumaterial waren unter anderem Bahnschwellen und Schienen. Mit senkrecht nebeneinander zu einem Gitter aufgebauten Schienen wurde die Falle in zwei Abteilungen untergliedert; die Abstande zwischen den fest verankerten Schienen waren so bemessen, dass man durch die Lucken schießen, ein Lowe jedoch nicht mit seiner Tatze hindurchlangen konnte. Im hinteren Teil der Falle hielten sich Bewaffnete als Koder auf. In den ersten Nachten ubernahm Patterson diese Aufgabe; am 3. Dezember hielten dort zwei mit einer Lampe und reichlich Munition ausgestattete Sepoys (indische Soldaten) Wache. Gegen 21 Uhr lief ein Lowe in die Falle; die Falltur fiel wie geplant herab, das Tier war gefangen. Die Sepoys gerieten jedoch in Panik und schossen ziellos umher. Eine Folge war, dass Patterson und Whitehead beinahe von Kugeln getroffen wurden, obwohl sie sich der Falle im rechten Winkel zur erwarteten Schussrichtung naherten. Eine weitere Folge war, dass die Arretierung der Falltur zerschossen wurde und der Lowe, Blutspuren zufolge verletzt, entkam. Als Patterson am 9. Dezember nachts auf einem provisorischen Hochsitz einem der Lowen nahe dem Kadaver eines von den Lowen erbeuteten Esels auflauerte, wurde er „vom Jager zum Gejagten“: Wie Patterson den von dem Lowen verursachten Gerauschen entnahm, umrundete dieser Pattersons Ansitz im Verlauf von etwa zwei Stunden immer wieder und pirschte sich dabei naher an Patterson heran, bis dieser schließlich trotz der Dunkelheit schemenhaft die Umrisse des Lowen ausmachen und todliche Schusse auf ihn abfeuern konnte. Einige Tage nachdem Patterson den ersten Lowen erschossen hatte, schlich der zweite nachts um den Bungalow des Gleisbauinspektors; dieser glaubte, draußen sei ein betrunkener Arbeiter, und rief „Verschwinde!“, ging jedoch zu seinem Gluck nicht hinaus. Der Lowe totete zwei Ziegen und fraß davon. In der folgenden Nacht legte Patterson sich in einer Hutte beim Bungalow auf die Lauer; als Koder hatte er drei Ziegen an einem 250 pounds schweren Schienenstuck festgebunden. Der Lowe erschien vor Tagesanbruch, packte eine der Ziegen und verschleppte sie mit den beiden anderen und dem Schienenstuck. Pattersons Schusse trafen eine Ziege. Am Morgen folgten Patterson und einige weitere Manner den Schleifspuren und uberraschten den Lowen eine Viertelmeile entfernt, der von einer Ziege fraß. Als die Manner sich naherten, sturmte der Lowe auf sie zu, brach jedoch seinen Angriff ab und verschwand im Gebusch. Patterson errichtete nahe dieser Stelle ein Gerust und wartete dort am folgenden Abend mit seinem Waffentrager Mahina auf die Ruckkehr des Lowen. Als dieser auftauchte, traf Pattersons Schuss ihn an der Schulter; der Lowe ging zu Boden, rappelte sich auf und floh. Bei Tageslicht folgten die Manner uber eine Meile seiner Blutspur, ohne den Lowen zu finden. Etwa zehn Tage darauf umkreiste der Lowe nachts einen Baum bei Pattersons Boma, auf dem Arbeiter schliefen; der Lowe hatte Trittsiegeln zufolge auch deren leere Zelte aufgesucht. Patterson vertrieb den Lowen in der Dunkelheit mit Schussen. In der folgenden wolkenlosen Mondnacht (vom 28. auf den 29. Dezember) warteten Patterson und Mahina auf diesem Baum. Gegen zwei Uhr tauchte der Lowe auf und umrundete den Baum, dabei die Deckung von Buschen nutzend. Patterson traf ihn mit wohl zwei Schussen, doch der Lowe entkam wieder. Patterson, Mahina und ein Einheimischer folgten am Morgen der Blutspur des Tieres und fanden es nach einer Viertelmeile in einem Gebusch. Patterson traf das Tier mit zwei weiteren Schussen, nach jedem Schuss fiel es zu Boden, kam jeweils wieder hoch und lief auf die Manner zu, die sich auf einem Baum in Sicherheit brachten. Der Lowe humpelte ins Gebusch zuruck, wo ihn erneut Schusse trafen. Patterson ging in der Annahme, der Lowe sei tot, auf ihn zu; dieser raffte sich jedoch auf und versuchte wieder, Patterson anzugreifen. Erst weitere zwei Schusse toteten den Lowen. Nach dem Tod des zweiten Lowen kehrten die geflohenen Arbeiter zuruck, und die Arbeiten wurden fortgesetzt. Zuruck in England ließ Patterson die Balge der Lowen samt Schadeln als Fellvorleger praparieren; 1924 verkaufte er sie an das Field Museum of Natural History in Chicago. Dort wurden die Balge in einem aufwendigen Verfahren neu prapariert und als Dermoplastiken ausgestellt. Die in den 1980er Jahren in den Museumssammlungen wiederentdeckten Schadel sind heute ebenfalls ausgestellt. Die Balgpraparate erreichen nicht die ursprungliche Große der Tiere und zeigen deren Erscheinungsbild nur naherungsweise. Untersuchungen an den Lowen Die Gesamtlangen der Tiere, gemessen von der Nasenspitze bis zum Schwanzende, betrugen 295 (der erste erschossene Lowe) beziehungsweise 290 Zentimeter. Zwar erlaubt Pattersons Messweise keine genauen Ruckschlusse auf die Kopf-Rumpf-Langen, doch ist – auch aufgrund der von Patterson veroffentlichten Fotos – eindeutig, dass es sich um relativ große Mannchen handelte. Beide Lowen waren als Anpassung an den ostafrikanischen Dornbuschgurtel mahnenlos und Schadelmerkmalen zufolge sechseinhalb bis achteinhalb Jahre alt. Der erste erschossene Lowe hatte schwere Zahn- und Kieferschaden, moglicherweise als Folge eines Tritts oder Hornstoßes von einem Huftier. Der zweite Lowe hatte leichtere Zahnschaden. Aus den Zahnhohlen der Tiere gewonnene Haare ließen sich mit DNA-Analysen Lowe, Mensch, Giraffe, Oryxantilope, Wasserbock, Gnu und Zebra zuordnen. Die Lowenhaare stammten wahrscheinlich von der (eventuell gegenseitigen) Fellpflege. Die beiden Lowen waren wahrscheinlich Geschwister oder Halbgeschwister. Ursachen der Angriffe auf Menschen Die Massentotungen von Elefanten fur den Elfenbeinhandel hatten gegen Ende des 19. Jahrhunderts zur Folge, dass sich dornige Akazienbusche und -baume ungehindert ausbreiteten – ein auf Swahili als nyika bezeichneter Lebensraum, der Lowen wenig Beute, aber gute Deckung bot. Diese Storung des okologischen Gleichgewichts gilt als eine der Ursachen fur die Angriffe auf Menschen. Als weitere Ursache gilt ein Ausbruch der Rinderpest, die von Europaern nach Afrika eingeschleppt worden war und sowohl Hausrinder als auch Buffel dezimierte. Zudem war der erste erschossene Lowe moglicherweise auf Grund seiner Gebissschaden nur eingeschrankt in der Lage gewesen, normal Beute zu machen. Hinzu kommt, dass die Uganda-Bahn entlang einer alten Karawanenroute verlief, die von Sklavenhandlern genutzt wurde; illegaler Sklavenhandel florierte in Ostafrika noch Ende des 19. Jahrhunderts. Entkraftete und sterbende Sklaven wurden zuruckgelassen; tote wurden nicht beerdigt. Auch Einheimische ließen ihre Toten, ohne sie zu beerdigen, aber auch Sterbende, im Busch zuruck. Lowen lernten Menschen damit als leichte Beute kennen. In Ostafrika bildeten Lowen eine „soziale Tradition“ der Erbeutung von Menschen, die vor den Angriffen der beiden Tsavo-Menschenfresser begonnen hatte und danach fortbestand. So drang 1900 in Kima, etwa 80 Kilometer sudostlich von Nairobi, ein Lowe nachts in einen Waggon der Uganda-Bahn ein und verschleppte und totete den britischen Polizeibeamten Ryall, der diesem Lowen mit zwei weiteren Mannern vom Waggon aus aufgelauert hatte. Alle drei Manner waren mit Gewehren bewaffnet; sie hatten die reflektierenden Augen des Lowen fur Leuchtkafer gehalten und waren eingeschlafen. Der Lowe hatte zuvor unter anderem versucht, durch das Wellblechdach eines Bahnhofsgebaudes ins Innere zu gelangen, und dabei seine Tatzen verletzt. Lowenangriffe in der Region gab es auch im Ersten Weltkrieg, unter anderem nahe dem Tsavo-Fluss auf indische Soldaten sowie auf britische Wachposten, die die Bahnlinie gegen deutsche Saboteure beschutzen sollten. Kinofilme Die Geschichte der Tsavo-Menschenfresser inspirierte zu mehreren Kinofilmen: Bwana, der Teufel (1953), Regie Arch Oboler Killers of Kilimanjaro (1959), Regie Richard Thorpe Der Geist und die Dunkelheit (1996), Regie Stephen Hopkins, in den Hauptrollen Val Kilmer und Michael Douglas Prey (2007), Regie Darrell James Roodt Literatur John Henry Patterson: The Man-eaters of Tsavo: And Other East African Adventures. Macmillan and Co., London 1908. [4] Julian C. Kerbis Peterhans; Thomas Patrick Gnoske: The Science of ‘Man-Eating’ Among Lions Panthera leo. With a Reconstruction of the Natural History of the ‘Man-Eaters of Tsavo’. Journal of East African Natural History, 2001, 90 (1). [5] Hadas Kushnir; Helga Leitner; Dennis Ikanda; Craig Packer: Human and Ecological Risk Factors for Unprovoked Lion Attacks on Humans in Southeastern Tanzania. Human Dimensions of Wildlife 15 (5), 2010. S. 315–331. doi:10.1080/10871200903510999 Susan Frith: The Lions’ Share. Johns Hopkins Magazine, 2010. [6] Karl-Hans Taake: The 19th Century Man-eating Tsavo Lions (Panthera leo) and the 18th Century French “Beast of Gevaudan” Shared Similar Behavioural Patterns and High Level of Physical Resilience to Gunshot Wounds. ResearchGate, 2024; S. 1–15. doi:10.13140/RG.2.2.15075.87841 Weblinks Einzelnachweise
Die Tsavo-Menschenfresser (englisch: Tsavo Man-Eaters) waren zwei mannliche Lowen, die in der Tsavo-Region in Britisch-Ostafrika, dem heutigen Kenia, Dutzende Menschen toteten und zeitweilig den Bau der Uganda-Bahn zum Erliegen brachten. Sie wurden im Dezember 1898 von dem britischen Ingenieur und Offizier John Henry Patterson erschossen. Das Lowenduo gehort neben der franzosischen Bestie des Gevaudan und dem indischen Champawat-Tiger zu den beruchtigtsten menschenfressenden Großraubtieren.
{ "url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Tsavo-Menschenfresser" }
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Der Giardino di Ninfa ist ein Park und englischer Garten auf dem Gebiet der Gemeinde Cisterna di Latina in der italienischen Region Latium, an der Grenze zu Norma und Sermoneta. Der Park erstreckt sich uber eine Flache von 105 Hektar und ist ein italienisches Naturdenkmal. Der Landschaftsgarten innerhalb des Parks umfasst 8 Hektar und enthalt mittelalterliche Ruinen, Eichen, Zypressen und Pappeln, grasbewachsene Wiesen, eine große Auswahl an exotischen Pflanzen aus verschiedenen Teilen der Welt, zahlreiche Wasserlaufe und eine Vielzahl von Kletterrosen, die auf den Steinmauern der Ruinen wachsen. Der Park wird von der italienischen Stiftung Fondazione Roffredo Caetani betrieben. Der Garten ist von April bis November fur die Offentlichkeit zuganglich. Er gilt als einer der romantischsten Garten der Welt. Beschreibung Der Giardino di Ninfa ist bekannt fur seine uppige Vegetation, malerischen Seen und die mittelalterlichen Ruinen, die sich harmonisch in den Garten einfugen. Der Giardino di Ninfa wird oft als einer der romantischsten Garten der Welt bezeichnet. Es gibt dort uber 1300 verschiedene Pflanzenarten, unter anderem Rosen, Magnolien, Iris, japanische Kirschen und weitere exotische Pflanzen. Der Giardino di Ninfa erstreckt sich uber eine Flache von etwa 105 Hektar, der eigentliche Landschaftsgarten innerhalb des Parks umfasst etwa 8 Hektar. Der Garten wird von zahlreichen kleinen Quellen und dem Fluss Ninfa durchquert, der sudlich des Gartens fließt. Bei der Wiederherstellung des Gartens wurden Pflanzenarten aus der ganzen Welt importiert. Die Ruinen im Giardino di Ninfa sind Uberreste des mittelalterlichen Dorfes Ninfa, das im 14. Jahrhundert aufgrund von Kampfen und Krankheiten verlassen wurde. Die Ruinen der Festung aus dem 12. Jahrhundert sind ebenfalls inmitten des Gartens und sind heute teilweise uberwachsen. Ebenso sind die Ruinen von funf der ursprunglich neun Kirchen, deren Fresken 1971 abgenommen wurden, um sie im Caetani-Schloss von Sermoneta aufzubewahren, noch erhalten: San Giovanni, San Biagio, San Pietro fuori le mura, San Salvatore und Santa Maria Maggiore. Santa Maria Maggiore war die Hauptkirche der Stadt und wurde wahrscheinlich im 10. Jahrhundert erbaut und in der ersten Halfte des 12. Jahrhunderts vergroßert. Die Kirche San Giovanni wird auf das 11. Jahrhundert datiert. Im Mittelalter bestand Ninfa aus mehr als 150 Hausern, mehreren Kirchen, Muhlen, Brucken, zwei Hospizen, einer Burg und einem Rathaus. Die Stadt war von einer 1400 m langen Stadtmauer mit Wachturmen umgeben, durchsetzt mit mindestens elf Turmen, auch wenn es wahrscheinlich viel mehr waren. Schriftsteller wie Virgina Woolf, Truman Capote, Giuseppe Ungaretti, Alberto Moravia, Giorgio Bassani, Gabriele D’Annunzio, Ignazio Silone, Pier Paolo Pasolini, Carlo Levi, Elsa Morante, Pietro Citati, Attilio Bertolucci, Boris Pasternak, T. S. Eliot und Philippe Jaccottet fanden hier Inspiration fur ihre Werke. Geschichte Der Name Ninfa (deutsch: Nymphe) leitet sich von einem romischen Tempel ab, der in der Nahe des heutigen Gartens errichtet wurde und der Wassergottheit gewidmet war. Laut Charles Quest-Ritsons Buch Ninfa: The Most Romantic Garden in the World (Der romantischste Garten der Welt) stammt die erste urkundliche Erwahnung der Garten von Ninfa von Plinius dem Jungeren, der einen Tempel auf dem Gelande beschrieb, der den Wassernymphen gewidmet war. Ninfa war Teil eines großeren Gebiets, das Campagna und Marittima genannt wurde. Ab 741 verwaltete Papst Zacharias die großen landwirtschaftlichen Guter von Norba und Ninfa, die er vom byzantinischen Kaiser Konstantin V. Kopronymus geschenkt bekommen hatte, als Dank fur seine diplomatischen Bemuhungen und seine Unterstutzung der byzantinischen Interessen in Italien. Das Landgut von Ninfa wurde aufgrund seiner strategischen Lage bald zu einer Ansammlung von Hausern und im 9. Jahrhundert zu einer befestigten Stadt, um sich gegen die Sarazenenuberfalle zu schutzen. Die Bedeutung von Ninfa lag neben dem reichlichen Vorhandensein von Wasser auch an seiner gunstigen Lage, nachdem die Via Appia wegen Uberschwemmung aufgegeben worden war. Somit verlief der Verkehr nach Suden uber die piemontesische Straße von Velletri nach Terracina, die zwei Abschnitte der Via Appia verband, die nicht von den Sumpfen betroffen waren, und fuhrte genau an der Engstelle durch Ninfa. Diese Eigenschaft machte die Stadt zum Einfallstor des gesamten Verkehrs nach Suditalien, der durch die Mautgebuhren, die von den Durchreisenden erhoben wurden, Reichtum erwirtschaftete. Ab dem 11. Jahrhundert wurde die Stadt Ninfa von verschiedenen Adelsfamilien wie den Conti di Tuscolo und den Frangipani regiert, unter denen die Architektur der Stadt aufbluhte und die wirtschaftliche und politische Bedeutung von Ninfa wuchs: 1159 wurde Kardinal Rolando Bandinelli in der Kirche Santa Maria Maggiore, deren Ruinen heute noch zu sehen sind, zu Alexander III. gekront. 1298 kaufte Benedetto Caetani, Papst Bonifatius VIII., Ninfa und andere benachbarte Gebiete fur seinen Neffen Pietro II Caetani fur 200.000 Goldgulden von den feudalen Besitzern. Hiermit begann der Niedergang der Stadt. 1381 wurde die Stadt von Truppen benachbarter Fursten geplundert und zerstort. Viele Einwohner verließen die Stadt, auch durch den haufigen Ausbruch von Malaria in der Pontinischen Ebene. Somit wurde Ninfa zu einer Geisterstadt. 1471 eroffneten die Caetani in Ninfa eine Eisenhutte, mit deren Bau 1457 begonnen worden war und die nach nur wenigen Jahren wieder geschlossen wurde. In der gleichen Zeit wurde die Burg als Gefangnis genutzt: 1447 fand das Massaker von Ninfa statt, als einer der im Turm eingesperrten Gefangenen einen Warter totete und Onorato III. zur Strafe alle Insassen vom Turm warf, darunter auch einen Diakon, was von der Kirche als unzulassig angesehen wurde. Um der Exkommunikation zu entgehen, die auch die Konfiszierung aller Lehen beinhaltete, musste Onorato offentlich ausgepeitscht werden. Im 16. Jahrhundert versuchte Kardinal Nicolo III. Caetani, ein Liebhaber der Botanik, einen „Garten der Freuden“ in Ninfa zu errichten. Er ließ neben den Ruinen der mittelalterlichen Festung einen ummauerten Garten mit regelmaßigem Grundriss anlegen, in dem er edle Zitrussorten zuchtete. Im 17. Jahrhundert kummerte sich auch Herzog Francesco IV. um den Garten, doch bald zwang auch ihn die Malaria zur Aufgabe. lm 19. Jahrhundert schwarmte der deutsche Historiker Ferdinand Gregorovius von Ninfa als „marchenhafte Ruine einer Stadt“, als „Pompeji des Mittelalters“ bzw. als „Pompeji des Christentums“ und schwarmte: „Dieses entzuckende Nympha ist das reizendste Marchen der Geschichte und Natur, das ich irgend in der Welt gesehen habe.“ In den fruhen 1900er Jahren fing die Familie Caetani wieder an, sich um Ninfa zu kummern, da ihnen das Potenzial bewusst war, das in der wilden Natur Ninfas steckte. Der Landschaftsgarten wurde von Gelasio Caetani im Jahr 1921 angelegt. Nach dem Tod von Gelasio 1934 pflanzte seine amerikanische Schwagerin Marguerite, Herzogin von Sermoneta, in großem Stil, bis ihre Tochter Lelia um 1950 den Garten ubernahm. Lelia war eine Kunstlerin und eine leidenschaftliche Pflanzenliebhaberin. Nach ihrem Tod im Jahr 1977 wurde Ninfa von ihrem englischen Ehemann, Hubert Howard, mit gefuhrt und ging in den Besitz der Roffredo Caetani Foundation uber, da die Howards keine eigenen Kinder hatten und die mannliche Linie der Caetani-Familie ausgestorben war. Als Hubert 1987 starb, ging die Leitung des Gartens an den Schutzling der Howards, Lauro Marchetti, uber, den Sohn ihres Gutsverwalters und noch ein junger Mann in den Dreißigern. Lauro hat den Garten genau im Sinne von Lelia und Hubert gepflegt und weiterentwickelt. Im Jahre 2000 wurde Ninfa ein Naturdenkmal der Republik Italien. Weblinks Einzelnachweise
Der Giardino di Ninfa ist ein Park und englischer Garten auf dem Gebiet der Gemeinde Cisterna di Latina in der italienischen Region Latium, an der Grenze zu Norma und Sermoneta. Der Park erstreckt sich uber eine Flache von 105 Hektar und ist ein italienisches Naturdenkmal. Der Landschaftsgarten innerhalb des Parks umfasst 8 Hektar und enthalt mittelalterliche Ruinen, Eichen, Zypressen und Pappeln, grasbewachsene Wiesen, eine große Auswahl an exotischen Pflanzen aus verschiedenen Teilen der Welt, zahlreiche Wasserlaufe und eine Vielzahl von Kletterrosen, die auf den Steinmauern der Ruinen wachsen. Der Park wird von der italienischen Stiftung Fondazione Roffredo Caetani betrieben. Der Garten ist von April bis November fur die Offentlichkeit zuganglich. Er gilt als einer der romantischsten Garten der Welt.
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Theodore Dora Petronella Bernardine Schook-Haver (* 18. Dezember 1856 in Amsterdam; † 1. November 1912 ebenda) war eine niederlandische Lehrerin, Feministin, Sozialistin und Publizistin. Leben Dora Haver wurde am 18. Dezember 1856 in Amsterdam geboren. Sie war eine Tochter des Ladenbesitzers Marinus Bernardus Haver (1827–1860) und der Jeanne Cornelie van Campen (1829–1908). Mit ihrer jungeren Schwester Josephine (1868–1945) wuchs Dora Haver in einer wallonisch-reformierten Ladenbesitzerfamilie am Laagte Kadijk in Amsterdam auf. Beide wurden spater Lehrerinnen. Dora Haver heiratete am 8. November 1887 in Amsterdam ihren Kollegen und spateren Schulleiter Hermanus Wilhelmus Johannes Anthony Schook (1857–1926), der zu dem Zeitpunkt Witwer mit einer funfjahrigen Tochter war. Aus der Ehe gingen zwei gemeinsame Sohne hervor, Herman (1888–1945) und Jean (1890–1969). = Frauenbewegung = Mit der Frauenbewegung kam Dora Schook-Haver durch ihre Freundin Grietje Romijn-Cohen im Winter 1888/89 in Kontakt. Sie wurde bei der ersten offentlichen Versammlung der Vrije Vrouwenvereeniging (Freie Frauenvereinigung) im Mai 1890 zur Sekretarin gewahlt. Nachdem 1891 das erste Amsterdamer Gemeindezentrum „Ons Huis“ eroffnet worden war, gab Schook-Haver dort Unterricht. Mit sechs weiteren Frauen grundete sie 1893 aus der Freien Frauenvereinigung die Vereeniging voor Vrouwenkiesrecht (Vereinigung fur das Frauenstimmrecht). Sie hielt bei der Grundungsversammlung der Vereinigung, es war die erste von niederlandischen Frauen organisierten offentlichen Versammlung zum Frauenwahlrecht, eine Rede. Ihre Ehe war zu dem Zeitpunkt am Zerbrechen, und 1895 wurde die gerichtliche Trennung gestattet. Von Wilhelmina Drucker, die mit ihr die Redaktion der feministischen Zeitschrift Evolutie bildete, wurde sie zur Direktorin der neuen Arbeiterzeitung, Het Volksdagblad, vorgeschlagen, jedoch erhielt diese Position ein Mann. Schook-Haver wurde 1896 zur Verwalterin von Ziekenzorg, der ersten Amsterdamer Krankenversicherungskasse. Sie hielt gemeinsam mit Drucker im ganzen Land Vortrage und sprach sich auf der Nationale Tentoonstelling van Vrouwenarbeid fur die Grundung von „Frauengewerkschaften“ aus. Außerdem war sie an Planen fur Gewerkschaften fur Naherinnen, Dienstpersonal und Telefonistinnen beteiligt. 1897 nahm sie als niederlandische Vertreterin an dem vom Internationalen Frauenrat veranstalteten Internationalen Frauen-Congress in Brussel teil. Im September 1901 nahm sie in Rotterdam als Vertreterin der Vereeniging ter Behartiging van de Belangen der Vrouw (Verein fur die Beforderung weiblicher Interessen) an einer vielbeachteten Podiumsdiskussion mit einem Funktionar der gegen weibliche Buroangestellte agitierenden Gewerkschaft Nationale Bond van Handels- en Kantoorbedienden „Mercurius“ (Nationaler Verband der Handels- und Buroangestellten) teil. Sie trat dafur ein, dass jede Arbeit ungeachtet des Geschlechts von der qualifiziertesten Person getan werden solle, worauf ihr Kontrahent Davidson entgegnete: „Wir wollen keine Frauen in unserer Welt“. Auch nachdem am 23. Oktober 1900 offiziell ihre Ehe geschieden worden war, setzte sich Dora Haver weiterhin fur das Wahlrecht, fur Bildung und fur bezahlte Arbeit fur Frauen ein. Als die Nationale Vereeniging voor Vrouwenarbeid (Nationale Vereinigung fur Frauenarbeit) gegrundet worden war, war sie von 1901 bis 1908 Vorsitzende der Vereinigung und arbeitete bis 1905 im Auftrag der Vereinigung im niederlandischen Komitee fur allgemeines Wahlrecht zusammen mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) von Henriette Roland Holst und weiteren. Sie verließ das Komitee 1905, als sich die SDAP nicht klar fur das Frauenwahlrecht aussprach. 1906 wurde sie Vorsitzende der Amsterdamer Zweigstelle der Vereinigung fur das Frauenstimmrecht und 1909 Herausgeberin der Monatszeitschrift dieses Verbandes. Darin vertrat sie die damals außerst radikale Position, dass verheiratete Frauen selbst fur ihren Lebensunterhalt sorgen konnen sollten. Dadurch wurden „Ernahrerlohne“ uberflussig: „Weder der Mann noch die Frau allein mussen so viel verdienen, dass die ganze Familie davon leben muss“. Haver engagierte sich auch außerhalb der Frauenbewegung fur den Bond voor Staatspensionering (Gewerkschaft fur staatliche Altersversorgung), dort fur die Gleichberechtigung von Mann und Frau, fur die Freidenkervereinigung De Dageraad und fur den Nieuw Malthusiaansche Bond, der sich fur eine kostenlose Geburtenkontrolle einsetzte. Im April 1912 absolvierte sie ihren letzten offentlichen Auftritt bei der Jahresversammlung der Vrije Vrouwen Vereeniging. Kurze Zeit spater erkrankte sie schwer und wurde ins Burgerziekenhuis (Ziviles Krankenhaus) eingeliefert. Noch im Krankenhaus plante sie mit an der Ausstellung De Vrouw 1813–1913. Sie erlebte diese nicht mehr. Dora Haver starb am 1. November 1912 in Amsterdam im Alter von 55 Jahren. Sie wurde in Deutschland eingeaschert, da eine Einascherung in den Niederlanden zu der Zeit nicht moglich war. Ehrungen Dora Haver forderte als Feministin eine vollige Veranderung der Beziehungen zwischen Mann und Frau, vor allem auch im wirtschaftlichen Bereich. Dadurch wurde sie als „Ultra“ bekannt. Die Vereinigung fur das Frauenstimmrecht gab nach ihrem Tod bei der Bildhauerin Jo Schreve-IJzerman eine Marmorbuste Dora Havers in Auftrag, die 1914 im Amsterdamer Stedelijk Museum ausgestellt wurde. Auf Anordnung der Museumsleitung wurden jedoch samtliche Hinweise auf Havers frauenbewegendes Engagement vom Sockel entfernt. Dank Wilhelmina Drucker wurde diese damnatio memoriae im Jahr 1920 ruckgangig gemacht. Seit 1937 ist die Statue als Leihgabe dem Internationalen Archiv der Frauenbewegung in Amsterdam zur Verfugung gestellt worden und wurde 1994 auf einer Ausstellung zur Frauenbewegung im Historischen Museum Amsterdam ausgestellt. Einzelnachweise Weblinks Theodore Haver auf biografischportaal.nl Theodore Haver auf Huygens Instituut
Theodore Dora Petronella Bernardine Schook-Haver (* 18. Dezember 1856 in Amsterdam; † 1. November 1912 ebenda) war eine niederlandische Lehrerin, Feministin, Sozialistin und Publizistin.
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Gisselfeld, auch Kloster Gisselfeld, ist das funftgroßte Gut Danemarks und eines der altesten und am besten erhaltenen Renaissanceschlosser des Landes. Es liegt zwischen Haslev und Næstved auf der Insel Seeland und erstreckt sich uber mehrere Gemeinden. Das Hauptgebaude steht im Braby Sogn in der Faxe Kommune. Geschichte Gisselfeld wurde erstmals Ende des 14. Jahrhunderts erwahnt. Der erste bekannte Besitzer war 1370 Bo Falk. Die kleine mittelalterliche Burg lag einige Kilometer entfernt von dem spateren Herrenhaus. Durch Heirat ging sie 1450 in die Familie Gjøe (Gøye) uber. In finanzielle Schwierigkeiten geraten, verpfandete Henrik Gøye das Gut an seinen Bruder, Reichshofmeister Mogens Gøye. 1526 verkaufte er es aber an seinen Schwager Johann Oxe. Das fuhrte zu einem langeren Streit, denn Mogens Gøye focht die Rechtmaßigkeit des Verkaufs an. Wahrend der Grafenfehde wurde Gisselfeld 1534 geplundert und Johann Oxe von aufstandischen Bauern erschlagen. 1541 verlor Mogens Gøye den Prozess, weshalb das Gut nach seinem Tod 1544 nicht an seine Kinder, sondern an seinen Enkel Peder Oxe, den Sohn von Johann Oxe und Mogens Gøyes Tochter Mette, fiel. Oxe, ein gebildeter Humanist, der hoch in der Gunst von Konig von Christian III. stand, ließ die alte Burg abreißen und zwischen 1547 und 1575 das heutige Herrenhaus im damals modernen Renaissancestil erbauen. Angesichts der unruhigen Zeiten erschien ihm der Ausbau als Verteidigungsanlage mit Ringmauer, Zugbrucken, Schießscharten, Bruhlochern, aus denen Angreifer mit kochendem Wasser oder Pech begossen werden konnte, und Wassergraben notwendig. Angeblich richtete er sich sogar ein Geheimversteck im Keller ein, wo er sich aufhielt, als er aus unbekannten Grunden 1558 in Ungnade gefallen war, ehe ihm die Flucht ins Ausland gelang. Seine Guter, darunter das noch unfertige Gisselfeld, wurden beschlagnahmt. Aus dem Exil startete er eine Verschworung gegen Friedrich II., der seinem Vater 1559 auf den Thron folgte. 1566 rief der Konig, der auf seine Fahigkeiten im Krieg gegen Schweden nicht verzichten konnte, Oxe zuruck, ernannte ihn zum Reichshofmeister und gab ihm seinen Besitz zuruck. In den folgenden Jahren ließ Oxe Schloss Gisselfeld fertigstellen. Neben den Wirtschaftsgebauden außerhalb des Schlossgrabens legte er einen Obst- und einen Krautergarten sowie Fischteiche fur die Karpfenzucht an. Er versuchte auch, die Ertrage durch die Einfuhrung neuer Gemusesorten und die Bewirtschaftung der Brache zu verbessern. Fur das Gut, zu dem neben den in unmittelbarer Nahe liegenden Dorfern achtzig Hofe und sechs Wassermuhlen gehorten, erlangte er die Hohe Gerichtsbarkeit. Die Ehe von Oxe und seiner Frau Mette Rosenkrantz (1533–1588) war kinderlos, weshalb das Gut uber seine Nichte an die Adelsfamilie Lykke fiel. Kai Lykke (1625–1699), ein Neffe von Anne Lykke und einer der reichsten Gutsherren seiner Zeit, wurde hier geboren. 1661 fiel er in Ungnade, weil er das Gerucht in Umlauf gesetzt hatte, die Konigin Sophie Amalie habe Ehebruch begangen. Er floh, ehe das Todesurteil wegen Majestatsbeleidigung vollstreckt werden konnte. Seine Guter wurden von der Krone eingezogen. Konig Friedrich III. uberließ das Gut dem Kronprinzen, dem spateren Konig Christian V. 1671 erhielt Detlef von Rumohr Gisselfeld, verkaufte es aber im folgenden Jahr schon an Graf Hans Schack, einen erfolgreichen Feldherrn in den Kampfen gegen Schweden im Dreißigjahrigen und Zweiten Nordischen Krieg. Schack inkorporierte dem Gut sieben umliegende Kirchspiele und ließ einen Teil der zuvor selbstandigen Hofe, darunter das gesamte Dorf Hesede, niederlegen und schuf so eins der großten Guter in Danemark. Es fehlten ihm allerdings die notwendigen Arbeiter, um das große Hoffeld zu beackern. Nach seinem Tod verkauften die Nachkommen das durch Misswirtschaft verarmte Gut an Adam Levin von Knuth, der es erfolgreich neu organisierte. Hesede entstand als unabhangiger Pachthof neu. Ein Giebel des zu seiner Zeit errichteten dreiflugligen Wirtschaftsgebaudes Grev Knuths Hus, das neben dem Schloss innerhalb des Grabens liegt, tragt die Maueranker ALK 1697. Nach Knuths Tod 1699 erwarb Christian Gyldenløve, ein unehelicher Sohn von Konig Christian V., das Gut. Er verfugte 1701/1702 in seinem Testament die Einrichtung eines Damenstifts fur unverheiratete adlige Frauen, bevorzugt aus der eigenen Verwandtschaft, dessen Abtissin seine alteste Tochter sein sollte. Diese Stiftung sollte aber erst nach dem Tod seiner Frau Dorothea Krag (1675–1754) in Kraft treten, deren Wohnsitz Gisselfeld bleiben sollte. Gyldenløve starb nur zwei Jahre spater 1703 unerwartet. Gisselfeld blieb im Besitz seiner Nachkommen, des Adelsgeschlechts Danneskiold-Samsøe. Zwar bestatigten Gyldenløves Erben Christian Danneskiold-Samsøe und seine Geschwister 1725 die Stiftung und erklarten, sich nicht an dem zu Gisselfeld gehorenden Besitz bereichern zu wollen, wirksam wurde die Stiftung aber dem Testament entsprechend erst nach dem Tod von Gyldenløves Witwe. Unter Gyldenløves Enkel Friedrich Christian Danneskiold-Samsøe wurde 1754 das Gisselfeld Adelige Jomfrukloster I Sjælland gegrundet. Erste Priorin war seine Cousine Friederike Louise Charlotte Danneskiold-Samsøe (1737–1821). Gyldenløves ursprunglicher Plan, auf dem Schlossgelande Wohnungen einzurichten, wurde aber aus finanziellen Grunden nicht verwirklicht. Die Konventualinnen hatten daher nicht wie in anderen Stiften Residenzpflicht, sondern konnten (und mussten) ihren Aufenthaltsort frei wahlen. Sie erhielten eine jahrliche Pension aus dem Stiftungsguthaben und den Ertragen des Stiftungslandes. Die Voraussetzungen waren, dass die Frauen aus dem Adel stammten, unverheiratet waren und sich mit der etwa dreifachen Summe der jahrlichen Pension einkauften. Der Austritt, etwa bei Eheschließung, war jederzeit moglich. Die zunachst sechzehn Platze wurden 1851 auf dreißig erweitert. Der jeweilige Lehnsgraf von Samsøe verwaltete Kloster und Gut als Oberdirektor und erhielt dafur freie Wohnung im Schloss. Nach wie vor wohnen Mitglieder der Familie Danneskiold-Samsøe in einem Teil des Schlosses, wahrend ein anderer Teil Sammlungen beherbergt und besichtigt werden kann. Beschreibung Das dreifluglige Hauptgebaude ist ein aus Backstein errichteter dreigeschossiger Renaissancebau mit markanten Stufengiebeln und vorspringendem Torturm. Auf der Hofseite befindet sich am Westflugel ein Treppenturm. Der Nordflugel mit Tor ist der alteste Bauteil. Uber dem Tor steht eine Inschrift, die an die Verlegung und den Neubau des Gutshauses durch Peder Oxe ab 1547 erinnert. Die flankierenden Ost- und Westflugel wurden zwischen Oxes Ruckkehr aus dem Exil und seinem Tod fertiggestellt. Ursprunglich bestand das Herrenhaus aus vier miteinander verbundenen Flugeln, von denen der spater abgerissene Sudflugel eine Kapelle enthielt. Von den unter Oxe errichteten Befestigungsanlagen und Wirtschaftsgebauden sind Reste zweier Turme und eine große, dem Herrenhaus vorgelagerte Scheune erhalten. Zwischenzeitlich weiß verputzt, ist die Fassade seit 1869 wieder ziegelrot. Die Anlage ist an drei Seiten von einem Wassergraben umgeben. An der Nordseite liegt der Gardsø (Hofsee). Das Gut hat eine Flache von 3850 Hektar, wovon 2400 Hektar Wald sind. Es umfasst fast die gesamte Vester Egede Sogn, Hesede, Edelesminde, Brødebæk und Gødstrupgard. Der 40 ha große Park mit Teich, Wasserfall, Garten und Gewachshaus wurde Ende des 19. Jahrhunderts durch den englischen Landschaftsarchitekten H. E. Millner als englischer Garten angelegt. Paradehuset, die um 1870 unter Verwendung von Gusseisen und Glas errichtete Orangerie, hatte drei Klimazonen. Heute wird es als Cafe genutzt. In jungerer Zeit wurde im Wald ein 45 Meter hoher hyperbolischer Turm errichtet, Skovtarnet, der einen 360-Grad-Panoramablick uber Seeland bietet. Sammlungen Im Herrenhaus hat die Familie Danneskiold-Samsøe im 18. Jahrhundert eine große Porzellansammlung zusammengetragen, darunter das erste Set des Services Flora Danica, das in der von Christian Conrad Sophus Danneskiold-Samsøe geleiteten Royal Porcelænsfabrik hergestellt wurde. Literatur Hans Christian Andersen hielt sich in den Jahren 1839–1842 mehrmals als Gast auf Gisselfeld auf. Laut seinem Tagebucheintrag vom 5. Juli 1842 bekam er dort die Inspiration fur die „Geschichte einer Ente“, die am 11. November 1843 als das Marchen Das hassliche Entlein veroffentlicht wurde. Weblinks Gisselfeld. Abgerufen am 15. Januar 2025 (danisch). Gisselfeld. In: danskeherregaarde.dk. Abgerufen am 15. Januar 2025 (danisch). Gisselfeld. In: kroneborg.dk. Abgerufen am 13. Januar 2025 (danisch). Einzelnachweise
Gisselfeld, auch Kloster Gisselfeld, ist das funftgroßte Gut Danemarks und eines der altesten und am besten erhaltenen Renaissanceschlosser des Landes. Es liegt zwischen Haslev und Næstved auf der Insel Seeland und erstreckt sich uber mehrere Gemeinden. Das Hauptgebaude steht im Braby Sogn in der Faxe Kommune.
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Alfred Anton Maria Haehner (* 27. Januar 1880 in Dusseldorf; † 26. Oktober 1949 in Koln) war ein deutscher Mediziner. Von 1919 bis 1924 war er der Leibarzt des abgedankten Kaisers Wilhelm II. sowie dessen Gemahlin Auguste Viktoria, wahrend diese in den Niederlanden im Exil lebten. In dieser Zeit schrieb er Tagebuch, 2024 wurden seine Aufzeichnungen erstmals ediert. Biographie Alfred Haehner entstammte einer katholischen Familie mit gesellschaftlichem Ehrgeiz: War sein Großvater Heinrich Haehner (1825–1882) noch Rendant (Buchhalter) in einer von Krupp ubernommenen Grube des rechtsrheinischen Kohlereviers gewesen, absolvierte sein Vater Hermann Haehner (1851–1918) ein Studium zum Militararzt; zum Zeitpunkt seines Todes bekleidete er den Rang eines Generaloberarztes. Haehners Mutter war die Kolnerin Klara Maria Thissen (1851–1912), die entfernt mit der Familie Thyssen verwandt war. Haehner war das mittlere von drei Kindern, in der Familie wurde er „Fred“ genannt. Nachdem sein Vater nach Koln versetzt worden war, legte der Sohn sein Abitur am dortigen Gymnasium Kreuzgasse ab und besuchte ab 1898 die militararztliche Kaiser-Wilhelms-Akademie in Berlin; 1905 wurde er zum Thema Uber die ra­tio­nel­le Be­kos­ti­gung der Sol­da­ten in Frieden und im Krie­g promoviert. Bei einem Aufenthalt im Kadettenhaus in Plon lernte er Angehorige der kaiserlichen Familie kennen. Im Ersten Weltkrieg war er zunachst an der Westfront stationiert, anschließend als Bataillonsarzt bei den Kampfen um Namur und Reims. Wegen einer Venenentzundung wurde er jedoch schon im November 1914 dauerhaft kriegsunfahig. 1916 wurde er Adjutant im preußischen Kriegsministerium und mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet. Gemaß den Auflagen des Versailler Vertrags musste er 1919 aus dem Militar ausscheiden. Wie es dazu kam, dass der katholische Alfred Haehner zum Leibarzt des protestantischen ehemaligen Kaisers ernannt wurde, ist nicht bekannt. Im November 1919 reiste er in das niederlandische Amerongen, wo Wilhelm im dortigen Schloss lebte, um seinen Dienst anzutreten, erhielt aber erst nach einer Probezeit im April 1920 seine Bestellungsurkunde. Darin wurde ausdrucklich erwahnt, dass er ebenfalls fur die medizinische Behandlung der Kaiserin Auguste Viktoria (1858–1921) zustandig sein werde, die 1918 einen Schlaganfall erlitten hatte. Im Dienst des ehemaligen Kaisers entwickelte er „die fuhrungsorientierte Autoritat des akademisch ausgebildeten, professionellen Militarmediziners mit der Unterordnung innerhalb der sozialen Befehlhierachie am Hof“, so die Historikerin Sabine Mangold-Will. Im Mai 1920 heiratete Haehner Sophie Julia Viktoria Probsting (1872–1943), Tochter des Kolner Architekten Hermann Josef Stubben. Sie war in erster Ehe mit dem Augenarzt August Probsting verheiratet gewesen; aus dieser Ehe, die 1913 geschieden worden war, stammten zwei Tochter. Nachdem Haehner die Anstellung als Leibarzt bekommen hatte, zogen er und seine Frau mit der jungeren ihrer Tochter in die Niederlande; beide sahen sich als Monarchisten. Dass sich Haehner weder mit der Deutschen Zentrumspartei noch dem Monarchismus der Weimarer Republik, aber spater auch nicht mit dem Nationalsozialismus identifizieren konnte, deute darauf hin, dass er „politisch heimatlos“ war, so Mangold-Will. Sophie Haehner war sehr literaturinteressiert und unterhielt einen eigenen, prominent besetzten Freundeskreis, darunter der Schriftsteller Hermann Sudermann und der Afrikanist Leo Frobenius. Die Atmosphare in Haus Doorn, der Residenz von Wilhelm II. ab 1920, empfand sie als bedruckend, dennoch blieb sie – wie ihr Mann – zeitlebens kaisertreu. Sophie Haehner betatigte sich als „monarchistische Netzwerkerin“. Mangold-Will charakterisiert die Eheleute Haehner als „Arbeitsehepaar“ und merkt an, dass der Nachlass Alfred Haehners korrekterweise auch den Namen seiner Frau tragen musse. Dass Haehner seine Anstellung in Doorn schließlich verließ, hing wohl mit Hermine Reuß (1887–1947), der zweiten Ehefrau Wilhelms II., zusammen, die den Haushalt ihres Ehemanns nach ihren Vorstellungen neu ordnete. Sie irritierte Haehner „mensch­lich wie po­li­tisch“. Zudem fehlte ihm die gynakologische Ausbildung zum Verstandnis ihrer Beschwerden. Wahrend seiner Zeit in den Niederlanden er­warb Haehner zu­satz­lich die Ap­pro­ba­ti­on und praktizierte dort bis 1925. Gleich­zei­tig uber­setz­te er me­di­zi­ni­sche Wer­ke aus dem Nie­der­lan­di­schen ins Deutsche, dar­un­ter ein Hand­buch zur Zu­cker­krank­heit. Am 1. Ju­ni 1925 gingen er und seine Frau zuruck nach Deutsch­land, und er wur­de Kreisarzt in Waldbrol im Bergischen Land, was er als nicht befriedigend empfand. Anschließend wurde er arztlicher Mitarbeiter der Frankfurter Allgemeinen Versicherungs-AG. Gemeinsam mit seinem Chef Hans Lininger veroffentlichte er 1930 einen Ratgeber fur Arzte in der Versicherungsmedizin. Um dem naherruckenden Luftkrieg zu entgehen, verließen Sophie und Alfred Haehner im Winter 1942 Frankfurt und zogen nach Seefeld in Tirol. Beide hatten inzwischen auch mit verschiedenen Krankheiten zu kampfen. Sophie Haehner starb am 4. Marz 1943. Alfred Haehner kehrte 1946 nach Koln zuruck und zog in das Haus seiner jungeren Schwester Ida (1884–1976) und von Schwager Leo Schwering, einem Historiker und Politiker, in Koln-Lindenthal. Dort starb er am 26. Oktober 1949 im Alter von 69 Jahren. Er wurde mit seinen Verwandten im selben Grab auf dem Melaten-Friedhof beerdigt. Geschichte der Tagebucher Als Haehner nach dem Zweiten Weltkrieg nach Koln zuruckkam, hatte er einige wenige kostbare gerettete Erinnerungsstucke dabei, darunter Schmuck, den ihm Wilhelm II. geschenkt hatte, aber auch Briefe, Fotoalben und Bildpostkarten und funf Tagebucher. Nach Haehners Tod wurde sein Schwager Leo Schwering zum Bewahrer dieses Nachlasses. Vergeblich versuchte er, den niederlandischen Bermann-Fischer/Querido Verlag sowie den Herausgeber der Kolnischen Rundschau, Reinhold Heinen, fur eine Herausgabe der Tagebucher zu interessieren. Der Historiker Peter Rassow, damals fur die Herausgabe der Reihe Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts der Historischen Kommission verantwortlich, sprach sich gegen eine Veroffentlichung aus und empfahl stattdessen, die Tagebucher in das Depot des Bundesarchivs zu geben oder dem Prinzen Louis Ferdinand zu schenken. Auch ein letzter Versuch Schwerings, einen Redakteur des WDR fur ein Manuskript der Tagebucher zu interessieren, schlug fehl. Nach Schwerings Tod im Jahre 1971 gingen sein und Haehners Nachlass an das Historische Archiv der Stadt Koln. Uber Jahrzehnte wurden die originalen Tagebucher von Haehner durch Wissenschaftler eingesehen und zitiert. Nach dem Einsturz des Archivs 2009 galt Haehners Nachlass zunachst als verloren. Inzwischen konnten sowohl die Tagebuchblatter als auch der weitere Nachlass weitgehend unbeschadigt gerettet werden. 2024 wurde diese „einzigartige Quelle fur die Geschichte der Hohenzollern“ nach 1918 von der Historikerin Sabine Mangold-Will als Quellenedition herausgegeben. Die Tagebucher Alfred Haehner selbst betitelte seine Aufzeichnungen nachtraglich als Hollandisches Tagebuch Amerongen – Doorn. Sie setzen sich aus insgesamt funf Heften zusammen. Die Eintrage umfassen den Zeitraum vom 4. November 1919 bis zum 27. Februar 1924, teils handschriftlich, teils maschinenschriftlich verfasst. Als Leibarzt des ehemaligen Kaisers waren Alfred Haehners Fahigkeiten, obwohl als Militararzt ursprunglich in Chirurgie ausgebildet, in verschiedenen medizinischen Bereichen gefragt, so als Kardiologe, Palliativmediziner, Hausarzt und Gynakologe. Wilhelm selbst litt nur unter kleineren korperlichen „Malaisen“ wie Schnupfen, Zerrungen oder einer Mittelohrentzundung; meistens behandelte Haehner die todkranke Kaiserin Auguste Viktoria. Nie außerte er sich zu Wilhelms geistigem Zustand, wenn auch er dessen depressive Anfalle zu behandeln versuchte, indem er viel Bewegung, Beschaftigung und abwechslungsreiche Gesellschaft empfahl. Auch beteiligte sich Haehner an dem exzessiven Holzhacken des Kaisers. Der Verdacht, der Kaiser konne an „Irrsinn“ leiden, beschaftigte ihn, und er erklarte sich dessen Festhalten an nicht-rationalen Narrativen mit einer Traumatisierung durch Erziehung und Abdankung. Er notierte auch „Absonderlichkeiten“ des Kaisers am Esstisch, der schon mal mit einem gebrauchten Loffel in die Terrine mit Erbsensuppe langte, um Wurst herauszuangeln, oder quer uber den Tisch seinem Sohn den Rosenkohl vom Teller pickte. In den Tagebuchern zeichnete der Leibarzt des Kaisers, der „kein Blatt vor den Mund nimmt“, das Bild eines „tief gekrankten“ Wilhelm, der die Schmach seiner Abdankung nicht verwinden konnte und die eigene Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs zuruckwies. Der ehemalige Kaiser hasste die Weimarer Republik und die dort agierenden Politiker und sah sich als Opfer einer „Weltverschworung“ von „Juden, Jesuiten und Freimaurern“. Der Name „Hitler“ fallt im Tagebuch ein einziges Mal, als namlich Haehner von Wilhelms Reaktion auf den „Hitlerputsch“ im November 1923 in Munchen berichtete, der behauptete, die „Jesuiten“ hatten beim Scheitern der Aktion ihre Finger im Spiel gehabt. Durch seinen personlichen Umgang mit den Hohenzollern erkannte der Monarchist Haehner, dass weder der Kaiser noch der Kron­prinz zur erneuten Ubernahme der Macht geeignet waren. Insbesondere das unkontrollierte Sexualleben des Kronprinzen Wilhelm enttauschte ihn zusehends. Als rheinischer Katholik sah er sich zudem wiederholt in der Situation, den Katholizismus gegen Anwurfe des protestantischen Kaisers zu verteidigen. Eine wirkliche Diskussion uber das Thema mit dem Kaiser sei jedoch nicht moglich gewesen, da sich bei Wilhelm die „fixe Idee“ bilde, dass ihn die Katholiken verfolgten, so Haehner. Als am 27. August 1921 ein Telegramm aus Berlin in Doorn eintraf, dass der Zentrums-Politiker Matthias Erzberger von Rechtsterroristen ermordet worden war, zeigte sich Wilhelm erfreut, dass seinen argsten Feind „das verdiente Schicksal“ ereilt habe. „Wenn Wilhelm da den Kapp-Putsch begrußt, wenn er fur Deutschland eine Diktatur herbeiwunscht und mit den Juden aufgeraumt wissen will, wird dem heutigen Leser schier schlecht“, so der Journalist und Historiker Markus Schwering. Literatur Ronald Kousbroek: Majesteiten zijn nu eenmaal geen gewone stervelingen!: Dagboekaantekeningen van dr.med. Alfred Haehner, lijfarts van ex-keizer Wilhelm II, tijdens ... Amerongen van 4 november 1919 tot 16 mei 1920. Aspekt, 2021, ISBN 978-94-6424-480-9 (niederlandisch). Sabine Mangold-Will (Hrsg.): Wilhelm II. im Exil. Das „Hollandische Tagebuch“ des Leibarztes der Hohenzollern Dr. Alfred Haehner 1919–1924 (= Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Hans-Christof Kraus [Hrsg.]: Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts. Nr. 82). Duncker & Humblot, Berlin 2024, ISBN 978-3-428-19283-0. Markus Schwering: Leibarzt seiner abgesetzten Majestat. Das Tagebuch des Kolner Mediziners Alfred Haehner gibt Auskunft uber Leben, Denken und Wahnvorstellungen des exilierten Kaisers Wilhelm II. In: Kolner Stadt-Anzeiger. 2. Januar 2025, S. 22. Weblinks Tagebucher von Alfred Haehner online Podcasts - Historische Kommission: Nr. 13: Nr. 13: Der Leibarzt und sein Tagebuch: Dr. Alfred Haehner und die Hohenzollern im Exil. In: historischekommission-muenchen.de. Abgerufen am 10. Januar 2025. DFG-Projekt Haehner-Nachlass. In: neuere-geschichte.phil-fak.uni-koeln.de. Abgerufen am 10. Januar 2025. Sabine Mangold-Will – Kolner Vortrage zur Neueren und Neuesten Geschichte. Der Kolner Leibarzt der Hohenzollern im Exil: Alfred Haehner und sein „Hollandisches Tagebuch“. In: lisa.gerda-henkel-stiftung.de. 1. Januar 1970, abgerufen am 10. Januar 2025. Einzelnachweise
Alfred Anton Maria Haehner (* 27. Januar 1880 in Dusseldorf; † 26. Oktober 1949 in Koln) war ein deutscher Mediziner. Von 1919 bis 1924 war er der Leibarzt des abgedankten Kaisers Wilhelm II. sowie dessen Gemahlin Auguste Viktoria, wahrend diese in den Niederlanden im Exil lebten. In dieser Zeit schrieb er Tagebuch, 2024 wurden seine Aufzeichnungen erstmals ediert.
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c-84
Die Churfurstlich Sachsischen Cassen Billets waren ab 1772 im Kurfurstentum Sachsen ausgegebene Papiergeldscheine. Mit den Billets gab Sachsen als erster deutscher Staat Papiergeld heraus. Vorgeschichte Nach Beendigung des Siebenjahrigen Krieges 1763 war das Kurfurstentum Sachsen okonomisch weitestgehend zerstort. Die Staatsverschuldung war hoch, Reparationszahlungen an Preußen verscharften die Lage noch und Hungersnote verteuerten Lebensmittel, die Residenzstadt Dresden war nach dem Bombardement 1760 noch stark zerstort und es herrschte Geldknappheit. Auch die konsequente Schuldentilgung schrankte den finanziellen Spielraum Sachsens stark ein. Im Zuge des Retablissements empfahl deshalb das sachsische Obersteuerkollegium, dem Kapitalmangel mit der Ausgabe von Staatspapiergeld entgegenzuwirken. Vorbild war Wien, wo seit 1762 die Wiener-Stadt-Banco-Zettel ausgegeben wurden. Auch wurden bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts pfalzisch-julich-bergische Geldscheine von der Privatbank Banco di gyro d’affrancatione emittiert. Viele ahnliche Papiergeldemissionen in Frankreich und Schweden scheiterten oft nach kurzer Zeit, und die Scheine wurden wertlos. Ausgabe von 1772 Um die Krise zu beenden und ein Wirtschaftswachstum anzuregen, gab Sachsen unter Kurfurst Friedrich August III. am 1. Oktober 1772 die „Churfurstlich Sachsischen Cassen Billets“ heraus (Edict vom 6. Mai 1772). Die Erstemission 1772 war auf eine Papiergeldmenge von maximal 1,5 Millionen Taler streng limitiert. Auch widerstand der sachsische Staat danach erfolgreich der Versuchung, die Geldmenge durch Neudruck der Billets spater auszuweiten. Neue Geldscheine wurden nur gedruckt, um schadhafte und verschlissene alte zu ersetzen. Die dadurch wertstabilen Cassenbillets konnten bei Auswechselungskassen in Munzgeld zurucktauscht werden. Allerdings musste dafur ein Abschlag gezahlt werden, der bis zu neun Pfennig pro Taler betragen konnte. Anders als beispielsweise die Wiener Banco-Zettel im Hochformat wurden die sachsischen Cassenbillets im Querformat hergestellt – ein Format, das bis heute beim Geldscheindruck dominiert. Zukunftsweisend war auch die ubersichtliche Gestaltung der einseitig bedruckten Scheine. Fur den Druck wurde Spezialpapier aus der Papiermuhle in Penig des Papierfabrikanten Christian August Kaferstein verwendet. Das Hauptwasserzeichen in der Mitte des Geldscheins zeigt die Großbuchstaben CSCBILL (Abkurzung fur: Churfurstlich Sachsisches Cassen-BILLet). Als Sicherheitsmerkmal diente die handschriftliche zweifache Nummerierung der Cassenbillets. Die Geldscheinnummern wurden zur Kontrolle in Listen festgehalten. Wurde ein Schein ersetzt, wurde seine Kontrollnummer auf das neu gedruckte Exemplar ubertragen. Die Scheine im Nennwert von einem bis hundert Talern (Stuckelung zu 1, 2, 5, 10, 50 und 100 Taler) wurden in der Meinhold’schen Hofbuchdruckerei in Dresden gefertigt. Jede Nominalwertserie hatte außerdem noch einen eigenen Litt.(Littera)-Buchstaben, beispielsweise 1 Taler Litt.A, 2 Taler Litt.B, 5 Taler Litt.C usw. Alle 783.750 Scheine trugen zwei Unterschriften – von einem der Mitglieder der 1772 eingesetzten „Cassen-Billet-Commission“ und eine vom Buchhalter dieser Kommission. Zu Ausgabebeginn 1772 war die Kommission wie folgt zusammengesetzt: Christian Wilhelm von Nitzschwitz, Christoph Friedrich von Flemming, Karl Ferdinand Lindemann, Victor Carl von Vieth, Carl August von Schonberg, Johann Hilmar Adolph von Schonfeld, Albrecht Ludewig Graf von der Schulenburg, Carl Wilhelm Benno von Heynitz, Otto Bernhard von Borke, Gottlieb August Re(t)zsch, Friedrich Wilhelm von Ferber, George Matthias Rachel von Lowmannseck sowie als Buchhalter Heinrich Christian Spahn und sein Stellvertreter Johann Gottfried Jacobi. 1789 sind als Mitglieder nur noch von Flemming, von Schonberg, von Ferber, von Schonfeld, von Heynitz und zusatzlich Johann Friedrich Gurtler sowie als Buchhalter Johann Gottfried Jacobi verzeichnet. Neuausgaben ab 1804 Durch den regen Umlauf machten sich die Gebrauchsspuren auf den Billets deutlich bemerkbar und umso schwerer ließen sich echte von falschen Scheinen unterscheiden. Die Hauptauswechslungskasse hatte Probleme, die beschadigten Stucke durch neue zu ersetzen, und auch die Anzahl der Falschungen nahm immer weiter zu. Deshalb wurde am 2. Januar 1804 eine neue, grafisch aufwendiger gestaltete Serie ausgegeben (Edict vom 1. Juli 1803). Das bisherige Notenkontingent von 1,5 Millionen Reichstalern wurde auch bei den neuen Kassenbillets anfanglich beibehalten, die Inhaber der Billets von 1772 hatten bis 30. Juni 1804 Zeit, sie in den Auswechselungskassen umzutauschen. Da aber zugunsten der fur den Umlauf bedeutenderen niedrigen Wertstufen auf Nominale oberhalb von 5 Reichstalern verzichtet wurde, standen trotzdem 40 Prozent mehr Geldscheine fur den Publikumsverkehr zur Verfugung. Dass sich die Kassenbillets mittlerweile im Zahlungsverkehr etabliert hatten, zeigt die Herabsetzung des Zwangsaufgeldes und der Einwechselgebuhr auf einen Pfennig pro Reichstaler. Zusatzlich zur Hauptauswechslungskasse in Dresden war es jetzt auch in Leipzig und Chemnitz moglich, die Billets in Munzgeld einzuwechseln. Die Nachfrage nach den Geldscheinen war so hoch, dass selbst an den offentlichen Kassen ein Mangel entstand und die Billets gegen entsprechende Aufschlage bei anderen Bankanstalten aufgekauft werden mussten. Aufdeckern von Falschern wurden 500 Taler Belohnung zugesichert. Mit der Aufwertung Sachsens zum Konigreich durch Napoleon ging ab 1806 mit dem großer gewordenen, nunmehr koniglichen Hof und den neuen militarischen Verpflichtungen ein hoherer Finanzbedarf einher. Entgegen der bisherigen soliden Papiergeldpolitik wurde daher bis 1812 die Menge der Kassenbillets nach und nach auf 5 Millionen Reichstaler aufgestockt. Nach der Ubertragung des Herzogtums Warschau an den sachsischen Konig 1807 wurde auch dort drei Jahre spater nach sachsischem Vorbild Papiergeld eingefuhrt. Die inflationare Geldpolitik und die zunehmende Kriegsgefahr ließen das Vertrauen der Bevolkerung in das Papiergeld immer weiter schwinden. Als sich dann 1813 der Krieg den eigenen Grenzen naherte, setzte ein Ansturm auf die Auswechslungskassen ein, die daraufhin geschlossen werden mussten. Entsprechend fiel der Kurs der Kassenbillets gegenuber dem Munzgeld auf 79 Prozent des Nennwerts, erholte sich bis 1815 aber wieder vollstandig. Die Commission fur die Kassenbillets setzte sich 1806 folgendermaßen zusammen: Carl August von Schonberg, Detlev von Einsiedel, Carl Friedrich Ludwig von Watzdorf, August Wilhelm Gotthelf von Leipziger bzw. George Carl Richter und als Buchhalter Johann Heinrich Nagels. Entwicklung ab 1815 Nach dem militarischen Sieg uber Napoleon wurde Sachsen als Verbundeter Napoleons als Verlierer behandelt und musste auf dem Wiener Kongress als Kriegsentschadigung zwei Drittel seines Territoriums und knapp die Halfte seiner Bevolkerung an Preußen abtreten. Preußen verpflichtete sich, anteilig fur die ihm zugesprochenen sachsischen Gebiete die darauf liegenden Staatsschulden zu ubernehmen. Dies bezog sich auch auf die Kassenbillets. Preußen ubernahm somit samtliche 1-Reichstaler-Scheine in Hohe von 1,75 Millionen Reichstalern und erklarte sie zu eigenem Staatspapiergeld. In Sachsen verblieben somit nur noch Geldscheine im Umfang von 3,25 Millionen Reichstalern. Nach zweijahriger Schließzeit wurde am 18. Dezember 1815 die Dresdner Hauptauswechslungskasse wieder eroffnet und mit dem Edict vom 28. Dezember 1815 die Kassenbilletskommission mit den Mitgliedern Friedrich Wilhelm von Ferber, Finanzrat von Bunau, Kriegs-Kammerrat von Carlowitz und Hofrat Sahr wiedererrichtet. Als Ausgleich fur die im Umlauf fehlenden 1-Reichstaler-Scheine wurden 400.000 „Interims-Cassen-Scheine“ gedruckt. Um den Papiergeldkurs weiter zu stabilisieren, wurde noch 1816 die Gesamtsumme an Kassenbillets auf 2,5 Millionen Reichstaler reduziert. Nach Edict vom 1. Oktober 1818 wurden die alten Kassenbillets von 1803 eingezogen und im selben Gesamtbetrag von 2,5 Millionen Reichstalern durch eine neue Serie mit einheitlichen Druckformat ersetzt. Da der sachsische Staat auch in den folgenden Jahrzehnten eine maßvolle und streng kontrollierte Emissionspolitik betrieb (weitere Emissionen erfolgten 1840, 1855 und 1867), blieben die Cassenbillets im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts ein aufgrund ihrer Stabilitat solides Zahlungsmittel. Nach der Grundung des Deutschen Reiches und der Einfuhrung der Mark-Wahrung wurden die letzten Cassenbillets bis zum 30. Juni 1876 gegen Banknoten in Reichswahrung eingelost. Literatur Deutsche Bundesbank: Fruhzeit des Papiergeldes, Beispiele aus der Geldscheinsammlung der Deutschen Bundesbank. Frankfurt 1970. Deutsche Bundesbank: Glanzstucke Aus der Numismatischen Sammlung der Deutschen Bundesbank. Frankfurt 2014, Seite 36ff. Frank Metasch: Papiergeld und Banknoten in Sachsen 1772 bis 1936. in: Sachsische Heimatblatter 65 (2019), Heft 1: Geld in Sachsen, S. 14–24. Cassen-Billets-Commision. In: Churfurstlich-Sachsischer Hof- und Staatscalender: 1790. Weidmann, 1790, S. 182 (Digitalisat in der Google-Buchsuche). Weblinks Hermann Tydecks: Sachsen gab vor 250 Jahren das erste Papiergeld heraus. Mit Abbildung des Cassen-Billets Nr. 1 von 1772. In: Tag24. 5. Oktober 2022; abgerufen am 15. Januar 2024. Einzelnachweise
Die Churfurstlich Sachsischen Cassen Billets waren ab 1772 im Kurfurstentum Sachsen ausgegebene Papiergeldscheine. Mit den Billets gab Sachsen als erster deutscher Staat Papiergeld heraus.
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Die Mujeres Libres (spanisch fur „Freie Frauen“) waren eine anarchistische Frauenorganisation im Spanischen Burgerkrieg, die von 1936 bis 1939 aktiv war. Ihr gehorten uber 20.000 Frauen an, die sich zivilgesellschaftlich engagierten und an der Front gegen die Franquisten kampften. Obwohl sich die Mujeres Libres zu den Zielen der Confederacion Nacional del Trabajo (CNT) und der Federacion Anarquista Iberica (FAI), der beiden wichtigsten anarchistischen Organisationen wahrend des Spanischen Burgerkrieges, bekannten, wurden sie von diesen nie als gleichwertige Verbundete anerkannt. Nach dem Ende des Burgerkrieges waren die Mujeres Libres wie auch alle anderen politischen Gegner der Franquisten von massiven Repressionen betroffen, die ihre politische Arbeit verunmoglichten und somit zum Ende der Organisation fuhrten. Heute sind die Mujeres Libres ein nach wie vor haufig vernachlassigtes Kapitel in der Geschichte des Anarchismus in Spanien. Ideologie Einige Forschende bezeichnen die Mujeres Libres heute als Vorlaufer des Anarchafeminismus. Der Begriff Anarchafeminismus kam allerdings erst wahrend der 1970er Jahre auf. Die Mujeres Libres beschrieben sich selbst nie als Feministinnen, denn der Begriff Feminismus war in Spanien zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch stark mit dem burgerlichen Kampf fur das Frauenwahlrecht verbunden. In erster Linie verstanden sich die Mujeres Libres daher als Anarchistinnen, die eine herrschaftsfreie Gesellschaft anstreben. Daruber hinaus strebten die Mujeres Libres die Gleichberechtigung von Mann und Frau an. In ihrem Verstandnis konnte die Geschlechterfrage nur durch Beendigung der okonomischen Ungleichheit gelost werden. Als zentrale Mittel zur Erreichung dieses Ziels wurden captacion (deutsch: Rekrutierung) und capacitacion (deutsch: Befahigung) angesehen. Die Mujeres Libres wollten nicht nur Frauen fur die anarchistische Idee gewinnen, sondern sie auch durch Bildungskurse dazu befahigen, eigenstandig politisch aktiv zu sein und fur sich selbst zu sorgen. Sie bezeichneten ihre Philosophie als Humanismus. Geschichte = Frauen im spanischen Anarchismus vor 1936 = Etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts begannen Frauen, sich in anarchistischen Gruppen und Organisationen zu beteiligen. Sie streikten zusammen mit mannlichen Arbeitern z. B. fur die Einfuhrung des Achtstundentags oder die Abschaffung der Kinderarbeit. Eine der ersten Personen, die sich in den 1880ern als Grunderin anarchistischer Frauengruppen hervortat, war Teresa Claramunt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts initiierten Frauen auch erstmals selbst Streiks, z. B. als wahrend des Rifkrieges 1909 Reservisten einberufen wurden oder als die Verteuerung von Kohle und Grundnahrungsmitteln 1918 zu Massenprotesten fuhrte. 1931 wurde die Zweite Spanische Republik ausgerufen. In der Folge nahmen Frauen in deutlich hoherem Maße am politischen Geschehen teil, als sie es zuvor getan hatten. Dies stieß bei vielen Mannern auf Ablehnung. Auch in der anarchistischen Bewegung Spaniens war offener Sexismus weit verbreitet. So wollte etwa die Anarchistin Mercedes Comaposada 1933 auf Anfrage der anarchosyndikalistischen CNT Fortbildungskurse fur Arbeiterinnen und Arbeiter anbieten. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch an der fehlenden Kooperationsbereitschaft vieler mannlicher Teilnehmer, die eine Frau als Lehrerin nicht akzeptieren wollten. Nach Meinung vieler Anarchisten sollte sich die Partizipation von Frauen an anarchistischen Kampfen auf das Rekrutieren neuer Verbundeter beschranken. Im Allgemeinen herrschte die Meinung vor, dass es keines eigenen Kampfes fur die Befreiung der Frauen aus patriarchalen Verhaltnissen bedurfte. Vielmehr sei diese eine Nebenfolge, die automatisch aus einer erfolgreichen Revolution resultiere. = Grundung der Zeitschrift Mujeres Libres = Im April 1936 grundeten die drei Anarchistinnen Lucia Sanchez Saornil, Mercedes Comaposada und Amparo Poch y Gascon die Zeitschrift Mujeres Libres. Die erste Ausgabe erschien im Mai desselben Jahres. Bis Anfang 1939, als die Zeitschrift aufgrund des verlorenen Burgerkrieges eingestellt werden musste, erschienen 13 Nummern. Mujeres Libres begriff sich als eine Zeitschrift von Frauen fur Frauen. Samtliche Artikel stammten von Frauen. Damit bildete Mujeres Libres eine einmalige Ausnahme unter den damaligen anarchistischen Zeitschriften, die sich wenn uberhaupt nur auf einigen Seiten einer Ausgabe mit Frauen beschaftigten. Lediglich fur das Design und Layout der Zeitschrift war Baltasar Lobo, der Lebensgefahrte von Mercedes Comaposada, zustandig. Dennoch war weder die Zeitschrift noch die Gruppe der Mujeres Libres per se gegen Manner gerichtet. Als hauptsachliches Feindbild galt der Faschismus, den die Aktivistinnen zusammen mit den Mannern besiegen wollten. Mujeres Libres sollte Frauen politisieren. Dabei deckte die Zeitschrift eine große Bandbreite an Themen ab: In ihr wurden Gedichte, Buchrezensionen, Essays zur Emanzipation der Frau, gynakologische Kolumnen und seit dem Beginn des Burgerkrieges auch Frontberichte abgedruckt. Neben den drei Grunderinnen der Zeitschrift, die auch das Redaktionskollektiv bildeten, schrieben u. a. Emma Goldman, Etta Federn, Carmen Conde und Lola Iturbe fur Mujeres Libres. = Grundung der Gruppe Mujeres Libres = Bereits 1934 hatte sich in Barcelona unter der Federfuhrung von Conchita Liano Gil und Soledad Estorach die libertare Frauengruppe Grupo Cultural Femenino gegrundet. Die Redaktion von Mujeres Libres hatte ihren Sitz in Madrid. Als die beiden Gruppen voneinander erfuhren, beschlossen sie, sich zusammenzutun. Sie fusionierten im September 1936 zur Agrupacion de Mujeres Libres oder kurz Mujeres Libres. In den ersten Monaten der anarchistischen Revolution konnten die Mujeres Libres in den von der republikanischen Regierung kontrollierten Gebieten Aragonien und Katalonien mindestens 20.000 Mitglieder rekrutieren, die sich in etwa 170 Ortsgruppen organisierten. Viele der Revolutionarinnen waren zugleich Mitglieder der CNT oder der FAI. Zwar bekannten sich die Mujeres Libres offen zu den Zielen der CNT und FAI, doch lehnten die beiden Organisationen die Gruppe dennoch ab. Sie warfen den Mujeres Libres vor, durch die Grundung einer Frauengruppe die anarchistische Bewegung unnotig zu spalten. Im Vergleich zu anderen sozialen Frauenorganisationen in Spanien bestanden die Mujeres Libres auf der Unabhangigkeit von ihren mannerdominierten Schwesterorganisationen CNT, FAI und FIJL. So konnten sie sich umfassend mit Frauenfragen befassen und argumentierten, dass Autonomie und Trennung es ihnen ermoglichen wurden, unabhangig zu handeln und Frauen zu organisieren und zu starken. Sie betonten, ein integraler Bestandteil der libertaren Bewegung zu sein, verzichteten jedoch darauf, stimmberechtigte Delegierte fur die Sitzungen der drei anderen Organisationen zu beantragen. Die Mujeres Libres wollten so an der Bewegung teilnehmen, aber gleichzeitig nicht an deren Beschlusse gebunden sein und damit ihre Unabhangigkeit verlieren. Im August 1937 fand der erste nationale Kongress der Mujeres Libres in Valencia statt. Dort grundete sich die Organisation offiziell und es wurde eine Satzung beschlossen, die die basisdemokratische Ausrichtung der Mujeres Libres sowie die Autonomie der lokalen Gruppen festschrieb. = Nach dem Sieg der Franquisten = Trotz der Ablehnung durch CNT und FAI engagierten sich die Mujeres Libres zwischen 1936 und 1939 in den Bereichen Bildung, Kindererziehung und Unterstutzung von Prostituierten. Außerdem waren sie Teil des bewaffneten Kampfes gegen die Franquisten. Nach deren Sieg 1939 begannen die Faschisten außerst repressiv gegen anarchistische Organisationen vorzugehen. Viele Mujeres Libres flohen daher ins Exil. Diejenigen, die in Spanien blieben, wurden oft wegen „Militarrebellion“ angeklagt und zu langen Haft- oder sogar Todesstrafen verurteilt. Wahrend der Franco-Ara wurde wie vor der Zweiten Republik wieder ein Frauenbild, welches die vollstandige Unterordnung der Frau dem Mann gegenuber beinhaltete, postuliert. Ehemalige Mujeres Libres galten dementsprechend nicht als anstandige Frauen und konnten aufgrund der drohenden Repressionen auch nicht uber ihre Aktivitaten wahrend des Burgerkrieges reden, sodass die Gruppe mehr und mehr in Vergessenheit geriet. Zwar kam es 1976 zur Neugrundung einiger Ortsgruppen, doch diese bestanden nicht lange. Anarchistische Frauen organisieren sich heute eher in autonomen Gruppen. Obwohl der Kampf der Mujeres Libres gegen den spanischen Faschismus letztlich nicht erfolgreich war, wird ihnen von verschiedenen Seiten attestiert, dass sie ihrer Zeit weit voraus und ein Vorbild fur spatere feministische Organisationen waren. Viele der damals bei den Mujeres Libres engagierten Frauen beschrieben ihre Zeit bei der Gruppe im Nachhinein als uberaus befreiend und erfullend. Aktivitaten = An der Front = Besonders wahrend der ersten Monate des Spanischen Burgerkrieges nahmen Mitglieder der Mujeres Libres als sogenannte milicianas am bewaffneten Kampf gegen die Franquisten teil. Als aber ab September 1936 mehr und mehr militarische Strukturen in den anarchistischen Milizen Einzug hielten, wurden die meisten Frauen wieder zuruck nach Hause geschickt. Einige von ihnen weigerten sich jedoch erfolgreich, den Dienst an der Waffe zu quittieren, und waren bis zum Ende des Burgerkrieges an Kampfen beteiligt. Viele Mujeres Libres waren wahrend des Krieges zudem als Krankenschwestern tatig. Die anarchistischen Krankenschwestern verstanden sich dabei als Gegenentwurf zu den aus ihrer Sicht zu sehr einem burgerlichen Frauenbild entsprechenden Krankenschwestern des spanischen Roten Kreuzes. Die Mujeres-Libres-Krankenschwestern lehnten zudem die offen zur Schau gestellte Nahe ihrer Kolleginnen vom Roten Kreuz zur katholischen Kirche ab. = In der Zivilgesellschaft = Die Mujeres Libres sahen in der (Aus-)Bildung von Frauen die Grundlage, um deren Autonomie zu ermoglichen. Daher boten die jeweiligen Ortsgruppen verschiedene Kurse an, die vor allem die Alphabetisierung von Frauen vorantreiben sowie ihre Allgemeinbildung vertiefen sollten. In Madrid, Barcelona und Valencia grundeten die Mujeres Libres zudem eigene Bildungseinrichtungen (spanisch Institutos Mujeres Libres), in denen sie ihre Kurse anboten. Diese orientierten sich am Padagogik-Verstandnis Francesc Ferrer i Guardias und am Prinzip der antiautoritaren Erziehung. Mit zunehmender Dauer des Burgerkrieges kampften immer mehr Manner an der Front, sodass sich ein Arbeitskraftemangel in den von den Anarchisten kontrollierten Gebieten Spaniens bemerkbar machte. Die Mujeres Libres riefen daher Frauen dazu auf, die Lucken in der Produktion zu fullen, um so die Kriegswirtschaft zu unterstutzen: Aus diesem Grund organisierten die Mujeres Libres in Kooperation mit Betrieben und Gewerkschaften Fortbildungskurse fur Frauen, in denen diese u. a. handwerkliche Tatigkeiten und Metallarbeiten erlernen konnten. In Madrid wurde zudem eine Fahrschule ausschließlich fur Frauen eingerichtet, damit diese Sanitatsdienste im Hinterland ausfuhren konnten. Um die Kinderbetreuung wahrend der Arbeitszeiten zu gewahrleisten, arbeiteten die Mujeres Libres an Fabrikkindergarten, von denen der erste bis zum Herbst 1938 eroffnet werden konnte. Die Fortbildungskurse standen auch Prostituierten offen, die aus ihrem Gewerbe aussteigen wollten. Die Mujeres Libres verurteilten Prostitution nicht aus moralischen Grunden, sondern sahen sie als die Folge finanzieller Not. Daher richteten sie auch Schutzraume fur Prostituierte ein, in denen diese Unterschlupf finden und Beratung in Anspruch nehmen konnten. Daruber hinaus waren die Mujeres Libres Verfechterinnen der sexuellen Selbstbestimmung. Sie sahen in der Institution der Ehe ein Werkzeug zur Unterdruckung der Frau und waren daher eher Konzepten wie der freien Liebe zugeneigt. Auch im Gesundheitswesen engagierten sich die Mujeres Libres, wobei sich hier die Frauen in Barcelona unter der Fuhrung von Amparo Poch y Gascon in besonderem Maße hervortaten. Sie boten etwa Kurse fur Mutter zum Thema Kindererziehung an. Poch und ihre Genossinnen widmeten sich zudem besonders der Ausbildung von Krankenschwestern und Kinderpflegerinnen und organisierten die Evakuierung von Kindern aus den Kriegsgebieten ins Ausland. Uber Barcelona hinaus veranstalteten die Mujeres Libres auch Informationsveranstaltungen zur Empfangnisverhutung. Literatur Martha A. Ackelsberg: Free Women of Spain. Anarchism and the Struggle for the Emancipation of Women. AK Press, Edinburgh/Oakland/Baltimore 2004, ISBN 1-902593-96-0. Martin Baxmeyer: Amparo Poch y Gascon. Biographie und Erzahlungen aus der spanischen Revolution. Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2018, ISBN 978-3-939045-33-5 (zu den Mujeres Libres siehe insbesondere S. 56–94). Sabine Behn, Monika Mommertz: "Wir wollen eine bewußte weibliche Kraft schaffen"; "Mujeres Libres"; anarchistische Frauen in Revolution und Widerstand. Nachdruck aus Archiv fur die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit 8.1987, S. 53–68; Syndikat-A, Moers 2006. Vera Bianchi: Feministinnen in der Revolution. Die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Burgerkrieg. Unrast, Munster 2003, ISBN 3-89771-203-2. Vera Bianchi: Feminismus in proletarischer Praxis: Der "Syndikalistische Frauenbund" (1920 bis 1933) und die "Mujeres Libres" (1936 bis 1939). In: Arbeit – Bewegung – Geschichte. Band 17, Nr. 1, 2018, S. 27–44. Vera Bianchi (Hrsg.): Mujeres Libres. Libertare Kampferinnen. Edition AV, Bodenburg/Frankfurt/Berlin/Munchen 2019, ISBN 978-3-86841-221-5. Doris Ensinger: Mujeres Libres – ein Licht, das am Horizont aufging. Eine Zeitschrift und Frauengruppe im Kampf gegen den Kapitalismus und mannliche Dominanz. In: Thomas Friedrich (Hrsg.): Handbuch Anarchismus. Springer VS, Wiesbaden 2022, ISBN 978-3-658-28531-9, doi:10.1007/978-3-658-28531-9_92-1. Gabriella Hauch: Gegen welchen Krieg – fur welchen Frieden? Frauen zwischen Autonomie – Affirmation – Parteidisziplin am Beispiel des Spanischen Burgerkrieges 1936–1939. Organisierte Frauen. "Mujeres Libres" – "Mujeres Antifascistas". In: Zeitgeschichte, Jahrgang 1987, S. 379–381 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/ztg Temma Kaplan, Liz Willis, Cornelia Krasser, Jochen Schmuck (Hrsg.): Frauen in der Spanischen Revolution 1936-1939. 2., aktualisierte Auflage. Libertad, Potsdam 1986, ISBN 3-922226-27-2. Silke Lohschelder, Liane M. Dubowy, Ines Gutschmidt: Mujeres Libres – die Freien Frauen. In: AnarchaFeminismus. Auf den Spuren einer Utopie. 4. Auflage. Unrast, Munster 2024, ISBN 978-3-89771-315-4, S. 127–144. Mary Nash: Mujeres Libres – Die freien Frauen in Spanien 1936–1978. Karin Kramer, Berlin 1979. Elisabeth de Sotelo (Hrsg.): New Women of Spain; Social-Political and Philosophical Studies of Feminist Thought. Frauenstudien und emanzipatorische Frauenarbeit Bd. 4, Lit, Munster 2005, ISBN 978-3-8258-6199-5. Filme De toda la Vida (All our lives) von Lisa Berger und Carol Mazer, Spanien 1986. Dokumentarfilm uber die Mujeres Libres in Form von Ruckblenden und Interviews mit noch lebenden Mitgliedern (online auf Youtube). Libertarias (Freedom Fighters) von Vicente Aranda, Spanien 1996. Spanischer Spielfilm mit englischen Untertiteln, fiktiv zu den Mujeres Libres. Vivir la Utopia – Die Utopie leben von Juan A Gamero, Arte-TVE 1997 (wurde auch auf Deutsch gesendet bei arte). Weblinks Digitalisate aller Ausgaben der Zeitschrift Mujeres Libres Interview mit Vera Bianchi uber die „mujeres libres“ der spanischen Revolution (Memento vom 17. Februar 2004 im Internet Archive) ausfuhrlicher Artikel auf de.anarchopedia.org (Memento vom 22. Januar 2016 im Internet Archive) Einzelnachweise
Die Mujeres Libres (spanisch fur „Freie Frauen“) waren eine anarchistische Frauenorganisation im Spanischen Burgerkrieg, die von 1936 bis 1939 aktiv war. Ihr gehorten uber 20.000 Frauen an, die sich zivilgesellschaftlich engagierten und an der Front gegen die Franquisten kampften. Obwohl sich die Mujeres Libres zu den Zielen der Confederacion Nacional del Trabajo (CNT) und der Federacion Anarquista Iberica (FAI), der beiden wichtigsten anarchistischen Organisationen wahrend des Spanischen Burgerkrieges, bekannten, wurden sie von diesen nie als gleichwertige Verbundete anerkannt. Nach dem Ende des Burgerkrieges waren die Mujeres Libres wie auch alle anderen politischen Gegner der Franquisten von massiven Repressionen betroffen, die ihre politische Arbeit verunmoglichten und somit zum Ende der Organisation fuhrten. Heute sind die Mujeres Libres ein nach wie vor haufig vernachlassigtes Kapitel in der Geschichte des Anarchismus in Spanien.
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Dorrit Dekk (* 18. Mai 1917 in Brunn, Osterreich-Ungarn; † 29. Dezember 2014 in London, Vereinigtes Konigreich) war eine tschechisch-britische Grafikdesignerin, Druckgrafikerin und Malerin. Leben und Werk Dekk wurde als Dorothea Karoline Fuhrmann in Mahren geboren. Sie entstammte einer wohlhabenden judischen Familie von Textilfabrikanten. Ihr Vater war Hans Fuhrmann, ihre Mutter Wally geb. Turkl; die beiden hatten im August 1913 geheiratet. Im Alter von vier Jahren zog sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Osterreich, wahrend ihr Vater in Brunn blieb. In der NS-Zeit wurden er und seine zweite Frau Erna 1941 nach Theresienstadt deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. Dorothea Fuhrmann litt an Tuberkulose und verbrachte vier Jahre in einem Schweizer Sanatorium. 1926 war sie als Kind zur Kur in Baden bei Wien. Ab 1936 studierte sie bei Otto Niedermoser an der Kunstgewerbeschule in Wien. Nach dem Anschluss Osterreichs an das Deutsche Reich 1938 organisierte Niedermoser fur sie ein Stipendium fur die Reimann School and Studios, die im Vorjahr von Berlin nach London umgezogen war. Da sie noch ihren tschechischen Pass besaß, benotigte sie fur die Ausreise keine Erlaubnis der Nationalsozialisten. In London studierte sie bis 1939. Sie heiratete 1940 den sudafrikanischen Physiker Leonard Klatzow, der maßgeblich an der Weiterentwicklung der Kathodenstrahlrohre und des Infrarot-Nachtsichtgerats fur die Marine beteiligt war. Klatzow starb zwei Jahre spater nach einem Flugzeugabsturz – laut einem Nachruf in Nature an einem Herzfehler. Sie fand wahrend des Weltkriegs eine Anstellung beim Women’s Royal Naval Service – wegen ihrer Sprachkenntnisse wurde sie Funkaufklarungsoffizierin beim geheimen Y-Dienst. Sie fing die verschlusselten Nachrichten des deutschen Militars an seine im Armelkanal patrouillierenden U-Boote ab. Plakatgestalterin und Buhnengestalterin Nach dem Krieg nahm sie den Berufsnamen Dekk an. Sie begann als Plakatgestalterin beim Central Office of Information unter Reginald Mount und Eileen Evans, die sie aus der Reimann School kannte. Ihr Arbeitsschwerpunkt lag auf offentlichen Informationskampagnen. 1948 verließ sie das Unternehmen, um ein Jahr als Buhnenbildnerin und Illustratorin in Kapstadt (Sudafrika) zu arbeiten. Im gleichen Jahr lernte sie den Ausstellungsdesigner Richard Levin kennen, der sie zur Arbeit an der Land Travelling Exhibition einlud, die 1951 Teil des Festival of Britain war. Eigenstandige Kunstlerin 1950 grundete Dekk ihr eigenes Designburo in London. Beeinflusst von dem Fotomontagekunstler John Heartfield verwendete sie haufig Collagen in ihren Entwurfen fur Kunden wie London Transport, British Rail, Post Office Savings Bank, Penguin Books und das Tatler-Magazin. Ihre Air-France-Plakatentwurfe und die lange Beziehung zur Reederei Peninsular and Oriental Steam Navigation Company brachte ihr den Spitznamen „Reisekonigin“ ein. Sie schuf 1951 das Wandbild British Sports and Games fur die Nationalausstellung Festival of Britain, gestaltete Titelbilder fur das Monatsmagazin The Highway der Workers Educational Association und wurde 1956 Mitglied der Society of Industrial Artists. 1968 heiratete Dekk Kurt Epstein, der 1990 starb. Nachdem sie sich 1982 aus ihrer Designpraxis zuruckgezogen hatte, war sie als freie Kunstlerin tatig und konzentrierte sich auf Malerei, Druckgrafik und Collage. Sie hatte vier Einzelausstellungen, darunter 1984 und 1986 in der Clarendon Gallery in London und 2007 bei Duncan Campbell Fine Art in London. Daruber hinaus nahm sie an mehreren Gruppenausstellungen teil, darunter 1988 an dem Whitechapel Open. 2014 starb sie im Alter von 97 Jahren in London. 2018 wurden Dekks Arbeiten in der Ausstellung Designs on Britain im Judischen Museum London mit Arbeiten mehrerer wegweisender judischer Emigrantendesigner, die in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts aus Kontinentaleuropa nach England kamen, gezeigt. 2019 wurde ihre Arbeit in die Ausstellung Czech Routes to Britain in der Ben Uri Gallery aufgenommen. Ihre Arbeiten befinden sich in britischen offentlichen Sammlungen, darunter die Ben Uri Collection, das Imperial War Museum, das Jewish Museum London, das Transport Museum und das Victoria and Albert Museum. Literatur Elizabeth Resnick: Women Graphic Designers. Bloomsbury, 2025, ISBN 978-1-350-34921-6. Naomi Games: Obituary: Dorrit Dekk. The Guardian, 7. Januar 2015. Weblinks Poster Girls exhibition showcases forgotten design heroines (englisch) Youtube Video: FESTIVAL OF BRITAIN 2011: Dorrit Dekk and the Land Traveller (englisch) Einzelnachweise
Dorrit Dekk (* 18. Mai 1917 in Brunn, Osterreich-Ungarn; † 29. Dezember 2014 in London, Vereinigtes Konigreich) war eine tschechisch-britische Grafikdesignerin, Druckgrafikerin und Malerin.
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Die Strandung des U-Bootes S-363 geschah am 27. Oktober 1981 im Scharengarten von Blekinge, als es bei Torhamnaskar auf Grund lief. Dieses sowjetische U-Boot befand sich zu diesem Zeitpunkt im schwedischen Kustenmeer sowie in der Nahe einer schwedischen Militarbasis. Der Vorfall war Ursache einer sicherheitspolitischen Krise in Schweden im Laufe des Kalten Krieges, auf die spater noch ahnliche (z. B. der Zwischenfall bei Harsfjarden 1982) folgten. S-363 (in schwedischen Dokumenten und am Rumpf des Schiffes notiert U 137) war ein sowjetisches militarisches U-Boot, das 1956 seinen Dienst aufgenommen hatte. Es zahlte zur Klasse Projekt 613, die bei der NATO den Codenamen Whiskey-Klasse hatte. Entsprechend wurde das Ereignis in verschiedenen Medien sowie in einer satirischen Fernsehserie als „Whiskey on the Rocks“ bezeichnet. Eine schwedische Kommission, die mehrere ahnliche Falle zwischen 1981 und 1994 untersuchte, kam 1995 zu dem Schluss, dass das Eindringen in die Territorialgewasser absichtlich geschah. Schon zuvor geaußerte Vermutungen, dass die sowjetische U-Boot-Flotte in schwedischen Gewassern aktiv sei, galten kurz nach dem Ereignis als bewiesen. Ablauf der Havarie bis zur Bergung = S-363 lauft auf Grund = Am 27. Oktober 1981 fuhrte die schwedische Marine im Scharengarten von Karlskrona einen Versuch mit einem neu entwickelten Torpedo durch. Der Abend war still, die Sicht war gut und die wenigen Gerausche waren weit uber dem Wasser horbar. Im Ubungsgebiet waren keine fremden Schiffe erkennbar. Am selben Abend gegen 20 Uhr lief das sowjetische U-Boot S-363 bei einer kleinen Insel etwa 15 km sudostlich von Karlskrona auf Grund. Die Besatzung versuchte mit Einsatz der vollen Maschinenleistung wieder freizukommen, was misslang. Dabei lag der Turm des U-Bootes oberhalb der Wasserlinie. Ein schwedischer Fischer sah gegen 22 Uhr ein unbekanntes Schiff im Wasser, meldete die Entdeckung jedoch nicht. Am nachsten Morgen waren zwei schwedische Fischer in der Nahe aktiv, um den Fang aus ihren Reusen einzuholen. Sie stellten einen dunnen Olfilm auf dem Wasser fest, hatten das fremde U-Boot jedoch noch nicht entdeckt. Erst bei der zweiten Fangfahrt fanden sie das fremde Fahrzeug, das ohne erkennbare Kennzeichnung im Wasser lag. Auf dem Turm befanden sich drei oder vier Personen, die erst mit Feldstechern nach den Fischern spahten und nach weiterer Annaherung mit Maschinenpistolen auf sie zielten. Die Fischer erkannten eine Flagge mit einem Stern, die sie jedoch nicht zuordnen konnten. Aufgrund der deutlichen Bedrohung wendeten die Fischer, entfernten sich und informierten das Marinekommando in Karlskrona. Dort gab es anfanglich Zweifel an der Richtigkeit der Information, so dass das schwedische Militar erst zwei Stunden spater den angegebenen Havarieort aufsuchte. Als ein schwedisches Patrouillenboot den Ort der Strandung erreichte, hatten die Marinesoldaten ihre Waffen uber die Schulter gehangt. Die Flagge stellte sich als Flagge der sowjetischen Marine heraus. Der Kapitan des schwedischen Schiffes kletterte nach einer Meldung an seine Vorgesetzten auf das U-Boot und versuchte mit der Besatzung auf Englisch in Kontakt zu kommen. Diese verstand kein Englisch, ein Besatzungsmitglied jedoch Deutsch. Durch einen Ubersetzer konnte der sowjetische Kommandant mitteilen, dass verschiedene Gerate der Navigationstechnik in ihrer Funktion gestort waren und das U-Boot so in den schwedischen Scharengarten gelangt war. Die Storungen sollten entstanden sein, als das U-Boot bei Bornholm in polnischen Gewassern an einem Stahlseil hangen geblieben sei. Als der schwedische Bootsfuhrer eine Seekarte haben wollte, um die aktuelle Situation zu erlautern, gab ihm der sowjetische Kommandant zunachst eine Karte, auf der kleinere Inseln eingezeichnet waren, die moglicherweise zum Scharengarten von Blekinge gehorten. Diese Karte wurde jedoch schnell durch eine Karte des Decca-Navigationssystems ersetzt. Der sowjetische Kommandant verlangte die Verbindung zum sowjetischen Konsul in Schweden fur weitere Verhandlungen. In den nachsten Stunden fuhren weitere Fahrzeuge der schwedischen Kustenwache und Polizei zum Havarieort. Gegen 12:28 Uhr setzte der Nachrichtendienst Tidningarnas Telegrambyra die erste Telegramm-Mitteilung ab und gegen 12:40 Uhr wurde der Vorfall bei Sveriges Radio publik. Schon gegen 12 Uhr hatte der schwedische Oberbefehlshaber uber einen Staatssekretar den Ministerprasidenten Thorbjorn Falldin informiert. Die erste umfassende Pressekonferenz fand ab 17:10 Uhr statt. Die Zeitung Kvallsposten in Malmo, die ein Fischer angerufen hatte, durfte in ihrer Abendausgabe von dem Ereignis berichten. = Reaktion der sowjetischen Seite = Im Laufe des 28. Oktobers sammelten sich mehrere sowjetische Schiffe und Flugzeuge in internationalen Gewassern, etwa 120 Kilometer sudlich von Karlskrona. Schwedische Abhordienste stellten fest, dass in dieser Region das vermisste U-Boot vermutet wurde. Die schwedische Seite berief den sowjetischen Botschafter Michail Danilowitsch Jakowlew zur Klarung der Situation ein, der fast gleichzeitig aus eigener Initiative schwedische Regierungsbeamte aufsuchte. Wahrend die schwedische Seite darauf bestand, dass sich keine auslandischen Schiffe an der Bergung beteiligten, bat die sowjetische Seite darum, zwei sowjetischen Bergungsbooten und einem hydrologischen Untersuchungsschiff eine kurzfristige Befahrung schwedischer Gewasser zu erlauben. In einer offiziellen Note wurde das Eindringen des U-Bootes in schwedische Gewasser bedauert. Sonarsignale der schwedischen Marine legen nahe, dass sich am 29. Oktober ein weiteres sowjetisches U-Boot kurzzeitig in schwedischen Gewassern befand. Der sowjetische Botschafter legte anfanglich fest, dass die Besatzung des U-Bootes nicht außerhalb befragt werden durfte, was bis zum 1. November galt. Unter Aufsicht von sowjetischen Botschaftsmitarbeitern durfte die schwedische Seite einzelne Untersuchungen am U-Boot durchfuhren. Wahrend der Befragung des U-Boot-Kommandanten feuerten Besatzungsmitglieder drei oder vier Leuchtraketen ab. Damit sollte vermutlich die Befragung kurzfristig beendet werden. Spater behauptete die sowjetische Seite, das U-Boot habe sich in einer Notsituation befunden. Die Leuchtraketen und ein Hilferuf uber Funk sollen als Notsignale abgegeben worden sein. Keine Funkstation in der Umgebung nahm einen derartigen Funkspruch auf. = Schwedische Militaraktionen im Umfeld = Da sich schon am 29. Oktober ein sowjetisches Bergungsboot unerlaubt dem U-Boot naherte, wurde das schwedische U-Boot Neptun ausgesandt, um die Weiterfahrt zu verhindern. Nach einem Kreuzungsmanover bewegte sich das sowjetische Schiff wieder Richtung Osten. Ein Versuch, das Schiff einzuholen, misslang, da das schwedische U-Boot langsamer war. Der ehemalige Eisbrecher Thule, der zum Zeitpunkt als Trossschiff der Marine eingesetzt war, wurde in die Fahrrinne zum U-Boot postiert. Das schwedische Militar berichtete spater, die sowjetische Flotte bei Bornholm sei schon am 28. Oktober zum Eindringen in schwedische Gewasser bereit gewesen. Mit Artillerie bestuckte schwedische Schiffe wurden deshalb im Grenzgebiet zusammengezogen. Trotz unzureichender Vorbereitung konnte bei der sowjetischen Seite der Eindruck entstehen, das schwedische Militar werde bei einer Grenzverletzung schießen. Die sowjetischen Schiffe gingen wieder in ihre Ausgangsposition. = Kernwaffen auf S-363 = Die Forschungsanstalt des schwedischen Militars fuhrte zeitlich versetzt drei Untersuchungen in der Nahe des U-Bootes durch. Dabei wurde ein erhohter Wert von Uran des Isotops 238U festgestellt. Das Gewicht wurde auf etwa 10 kg geschatzt. Dieser Wert bewies noch nicht das Vorhandensein von Kernwaffen. Eine gleichzeitige Registrierung einer hohen Annihilationsstrahlung deutete jedoch stark darauf hin. Der U-Boot-Kommandant erklarte 1994 in einem Interview fur die Dokumentationsreihe Dagar som skakade Sverige („Tage, die Schweden erschutterten“) des Fernsehsenders TV3, dass sich auf dem U-Boot Kernwaffen befunden hatten. Von offizieller Seite kam aus Moskau die Antwort, das U-Boot sei wie alle sowjetischen Marinefahrzeuge mit der notwendigen Bewaffnung bestuckt gewesen. Damit wurde der schwedischen Vermutung nicht widersprochen. Der II. Kommandant gab spater ein Buch heraus, in dem er schrieb, dass die Waffen etwa dieselbe Kraft hatten wie die Hiroshima-Bombe. Laut seiner Aussage kam kurz nach der Havarie der Befehl von der sowjetischen Armeeleitung, die Waffe zu zerstoren. Es gab die Moglichkeit, die Waffen in den Torpedo-Kammern zu zerstoren, was den Tod der Besatzung bedeutet hatte. Eine andere Moglichkeit war das Abfeuern der Torpedos im inaktivierten Zustand. Danach sollte das U-Boot gesprengt werden. Der schwedische Forscher Milton Leitenberg vom Institut fur internationale Beziehungen fragte 1982 in einem Aufsatz, welchen Zweck nukleare Torpedos an dieser Stelle hatten. Deren Ziele waren eigentlich Flugzeugtrager der NATO oder US-amerikanische U-Boote, die nicht in der Ostsee kreuzten. = Bergung des U-Bootes und Ubergabe = Am 5. November gab die schwedische Regierung das U-Boot zur Bergung frei. Eine uberraschend eingeleitete Losung der Verankerung am selben Nachmittag wurde vom schwedischen Kommandeur verhindert, da die Dammerung begann und die Freigabe bei Tageslicht erfolgen sollte. Sie fand am nachsten Morgen durch mehrere schwedische Kriegsschiffe statt. Das U-Boot wurde wegen unruhiger See nur bis zur Grenze der militarischen Schutzzone eskortiert und an die sowjetische Flotte ubergeben. Das U-Boot S-363 Das U-Boot hatte eine Lange von 56 Metern und war fur 56 Besatzungsmitglieder ausgelegt. Es war noch zwei weitere Jahre im Dienst. S-363 hatte eine Wasserverdrangung von 1.030 Tonnen und eine Breite von 4,60 Metern. S-363 (mit kyrillischen Buchstaben C-363) war die sowjetische Bezeichnung des U-Bootes. [Zitat: "sein U-Boot S-363, mehr bekannt als U 137"] In schwedischen und internationalen Dokumenten und Medien wurde der Name U 137 verwendet, obwohl gelegentlich W137 vorkommt. Rechtliche Konsequenzen Ursprunglich hatte der schwedische Generalstaatsanwalt zusammen mit dem Bezirksanwalt der Region Karlskrona eine Anklage gegen den sowjetischen Kommandanten wegen Spionage erwogen. Sie wurde jedoch mit Verweis auf eine vermeintliche volkerrechtliche Immunitat der Besatzung nicht erhoben. Vermutlich hat die schwedische Seite hier außen- und sicherheitspolitischen Aspekten des Falls mehr Bedeutung beigemessen als der rechtlichen Beurteilung. Am 29. Oktober bestellte die schwedische Marine fur die Freilegung des U-Bootes das Bergungsboot Karlshamn der Gemeinde Karlshamn. Dieses Boot legte am folgenden Tag Stahlseile um das U-Boot und begab sich daraufhin auf Bereitschaft in Karlskrona. Am 2. November war die Karlshamn zusammen mit der Achilles erneut am U-Boot und beide zogen das U-Boot zu einem Ankerplatz naher an Land. Die Gemeinde verlangte daraufhin am 4. November Bergungslohn. Der Antrag wurde von schwedischen Gerichten abgewiesen, weil das U-Boot ein Kriegsschiff sei, das Staatenimmunitat besitze. Damit galten die Regeln fur eine Bergung nicht. Siehe auch U-Boot-Vorfalle in Schweden Einzelnachweise Weblinks Ubatshotet (Die U-Boot-Bedrohung) Dokumentation des Senders P3, Download im MP3-Format
Die Strandung des U-Bootes S-363 geschah am 27. Oktober 1981 im Scharengarten von Blekinge, als es bei Torhamnaskar auf Grund lief. Dieses sowjetische U-Boot befand sich zu diesem Zeitpunkt im schwedischen Kustenmeer sowie in der Nahe einer schwedischen Militarbasis. Der Vorfall war Ursache einer sicherheitspolitischen Krise in Schweden im Laufe des Kalten Krieges, auf die spater noch ahnliche (z. B. der Zwischenfall bei Harsfjarden 1982) folgten. S-363 (in schwedischen Dokumenten und am Rumpf des Schiffes notiert U 137) war ein sowjetisches militarisches U-Boot, das 1956 seinen Dienst aufgenommen hatte. Es zahlte zur Klasse Projekt 613, die bei der NATO den Codenamen Whiskey-Klasse hatte. Entsprechend wurde das Ereignis in verschiedenen Medien sowie in einer satirischen Fernsehserie als „Whiskey on the Rocks“ bezeichnet. Eine schwedische Kommission, die mehrere ahnliche Falle zwischen 1981 und 1994 untersuchte, kam 1995 zu dem Schluss, dass das Eindringen in die Territorialgewasser absichtlich geschah. Schon zuvor geaußerte Vermutungen, dass die sowjetische U-Boot-Flotte in schwedischen Gewassern aktiv sei, galten kurz nach dem Ereignis als bewiesen.
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c-88
Banderolentaler ist eine Sammlerbezeichnung fur die Talermunzen Kaiser Leopolds I. (1658–1705), die in den Jahren 1662 und 1663 in der Munzstatte Kremnitz gepragt wurden. Der Talername ist auf die oben eingerollten Banderolen bezogen, auf denen sich die Vorder- und Ruckseitenumschrift befinden. Munzbeschreibung Der abgebildete sogenannte Banderolentaler von 1662 ist ein Reichstaler mit dem Munzzeichen KB aus der Munzstatte Kremnitz. Wegen des großen Durchmessers von 48,3 mm ist der Taler ein breiter Taler. Das silberne Geprage wiegt 28,73 g. = Vorderseite = Die Vorderseite zeigt das drapierte Brustbild Kaiser Leopolds I. aus dem Haus Habsburg mit Lorbeerkranz. Umschrift: LEOPOLDVS [Madonna] D(ei):G(ratia)۰RO(manorum)۰I(mperator)۰S(emper)۰AVG(ustus)۰GER(maniae) [Wappen] HV(ngariae)۰BOH(emiae)۰REX۰ Ubersetzung: Leopold I. von Gottes Gnaden allzeit erhabener romischer Kaiser, deutscher Konig, Konig von Ungarn und Bohmen – die Fortsetzung der Umschrift befindet sich auf der Ruckseite. = Ruckseite = Die Ruckseite zeigt den bekronten und nimbierten Doppeladler mit Schwert und Zepter in den Fangen sowie Brustschild mit dem bekronten vierfeldigen Wappenschild und zweifeldigen Herzschild umgeben von der Kette des Ordens vom Goldenen Vlies. Das Munzzeichen KB fur Kremnitz ist im Feld geteilt angeordnet. Das Pragejahr 1662 befindet sich in der Umschrift. Umschrift: ARCHIDVX۰AVS(tria)۰DVX۰BVR(gundiae)۰MAR(cio)۰MOR(aviae)۰CO(mites)۰TY(rolis)۰1662 Ubersetzung: Erzherzog von Osterreich, Herzog von Burgund, Markgraf von Mahren, Grafen von Tirol. Geschichte Der plotzliche Tod seines Bruders Ferdinand IV. (1653–1654) machte Leopold, der eigentlich die geistliche Laufbahn einschlagen sollte, im Jahr 1654 zum alleinigen Erben des ostlichen habsburgischen Erblandes. Im Jahr 1655 wurde er in Ungarn und 1656 in Bohmen gekront. Nach dem Tod seines Vaters Ferdinand III. (1637–1657) im Jahr 1657 wurde er nach seiner Wahl zum romisch-deutschen Konig romisch-deutscher Kaiser. Die personliche Bescheidenheit und die kleine Gestalt des Kaisers Leopold I. konnten seinen Eindruck als Herrscher nicht mindern, „den die Maler durch Betonung der hasslichen Unterlippe, der gewaltigen Allongeperucke und der spanischen Tracht unterstrichen“. Weit starker brachte der Stempelschneider des Banderolentalers, der nur 1662 und 1663 in Kremnitz gepragt wurde, das ungewohnliche Bild Leopolds zum Ausdruck. Die als Habsburger Unterlippe bezeichnete ausgepragte vererbte Uberentwicklung des Unterkiefers (Progenie), die bei den Habsburgern der Fruhen Neuzeit verbreitet war, ist in aller Deutlichkeit im Munzbild des Banderolentalers zu sehen. Auf den anderen Talern Leopolds I. ist diese Erscheinung nicht so deutlich dargestellt, was allerdings daran liegen mag, dass der Banderolentaler ein „breiter Taler“ ist und ein anderes Motiv fur die Gravur ubertragen wurde. Der Stempelschneider hatte auf Grund des großeren Schrotlings bessere Moglichkeiten fur eine detaillierte und deutliche Darstellung des Brustbilds im Munzfeld. Leopold suchte, wie in dieser Zeit mehrere andere Herrscher, seine Finanzlage durch Goldmacherei zu verbessern, obwohl bereits bei Kaiser Rudolf II. (1576–1612) trotz besonders großer Unternehmungen – er ließ sogar Alchemistentaler pragen – der Erfolg ausblieb. Leopolds lange Regierungszeit bedeutete eine Verfestigung der kaiserlichen Position im Reich – „der kleine hassliche Mann wurde zum Symbol des Ringens mit Franzosen und Turken.“ Mit ihm sind der Wiederaufstieg des Hauses Habsburg im Heiligen Romischen Reich, die Abwehr des franzosischen Drucks und die Expansion Osterreichs in den Sudosten verbunden. Leopold hat die Grundlagen fur den Aufstieg der Habsburger zur europaischen Großmacht gelegt. = Provenienz = Dieses Objekt, der sehr seltene sogenannte Banderolentaler Kaiser Leopolds I. von 1662, ist Teil der Sammlung des Malers und Heimatforschers Ignaz Spottl. Im Jahr 1892 ist dieser Taler aus seinem Nachlass an das Wien Museum gekommen. Weblinks numismatikzoettel: Banderolentaler von 1663, beschnitten Kunker Leopold I., 1657–1705, Reichstaler von 1662, Kremnitz, Banderolentaler. 28,69 g. Sehr selten. Huszar 1368; Voglh. 226 II; Dav. 3256 Literatur Helmut Kahnt: Das große Munzlexikon von A bis Z. Regenstauf 2005. Heinz Fengler, Gerd Gierow, Willy Unger: transpress Lexikon Numismatik, Berlin 1976. Volker Press: Leopold I., Kaiser. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 14, Duncker & Humblot, Berlin 1985, ISBN 3-428-00195-8, S. 256–260 (Digitalisat). Adam Wolf: Leopold I. (1640–1705). In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 18, Duncker & Humblot, Leipzig 1883, S. 316–322. Zachary S. Peacock, Katherine P. Klein, John B. Mulliken, Leonard B. Kaban: The Habsburg Jaw – Re-examined. In: American Journal of Medical Genetics. Teil A. Band 164, 2014, Nr. 9, S. 2263–2269 Einzelnachweise
Banderolentaler ist eine Sammlerbezeichnung fur die Talermunzen Kaiser Leopolds I. (1658–1705), die in den Jahren 1662 und 1663 in der Munzstatte Kremnitz gepragt wurden. Der Talername ist auf die oben eingerollten Banderolen bezogen, auf denen sich die Vorder- und Ruckseitenumschrift befinden.
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c-89
Nyai Cili († 1664) war eine Herrscherin (Sengaji) von Lohayong auf der Insel Solor im Malaiischen Archipel. Leben Im 17. Jahrhundert kampften Portugal und die Niederlandische Ostindien-Kompanie (VOC) mit wechselndem Erfolg um die Vorherrschaft uber Solor und die benachbarten Inseln. Funf muslimische Furstentumer bildeten den Bund Watan Lema auf den Inseln Solor und Adonara. Ab 1613 war Watan Lama mit der VOC verbundet. Lohayong, an der Nordkuste von Solor, hatte die Fuhrung des Bundes inne. Nyai Cili stammte der Legende nach aus Keeda (moglicherweise das heutige Kedah in Malaysia oder Kedang auf Lembata). Sie war aus ihrer ursprunglichen Heimat vertrieben worden und kam mit einigen Gefolgsleuten nach Solor. Kaicili Pertawi (vor 1613–1645, auch bekannt als Sultan Sili Pertawi), der Furst von Lohayong, empfing sie hoflich und uberließ Nyai Cili den oberen Teil seiner Residenz als Schlafgemach. Sie wollte das Angebot zunachst nicht annehmen, weil es dem Sultan vorbehalten sei, aber Pertawi beharrte darauf. Zum Essen wurde Nyai Cili der Kopf eines Ziegenbocks serviert und wieder wies Nyai Cili darauf hin, dass dies das Mahl fur den Herrscher sei. Auch diesmal bestand Pertawi darauf, dass sie den Kopf essen solle. Daraufhin sagte Nyai Cili: „Wenn du es so willst, dann soll es so sein. Einmal der obere Platz, einmal der Kopf, dann immer der Kopf.“ Praktisch war ihr damit die Macht uber Lohayong ubertragen. Ein Mordkomplott gegen sie wurde von Pertawi vereitelt. Historische Dokumente benennen Nyai Cili klar als Ehefrau des Fursten und nicht als einfachen Ehrengast. Ahnliche Legenden uber die rituelle Teilung der Herrschaft zwischen angestammtem Herrscher und einem Neuankommling sind auch aus anderen Reichen dieser Region bekannt, so dass hier eventuell nachtraglich die Geschichte geandert wurde, um das Stilmittel des „fremden Konigs“ einzufuhren. Als Kaicili Pertawi starb, ubernahm seine Witwe Nyai Cili den Furstenthron. Ihr und ihrer Blutlinie wurde die Macht ubertragen. Erst wenn diese aussterben sollte, wurde die alte Herrscherfamilie wieder die Herrschaft beanspruchen konnen. Laut der VOC erwies sie sich als eine kluge Politikerin, obwohl sie bereits alt und gebrechlich war. Ihr Herrschaftsgebiet, das von den Niederlandern in dieser Zeit vernachlassigt wurde, verteidigte sie entschlossen. Gleichzeitig galt sie als gutherzig und darauf bedacht, unnotiges Blutvergießen zu vermeiden. Unruhe herrschte standig im Osten von Solor, in der Nahe von Demon, dem von Portugal kontrollierten Gebiet. Nicht nur der Machtkampf zwischen den beiden Kolonialmachten fuhrte zu Gewalt und zur Tendenz der Zersplitterung der Territorien, ahnlich wie auf den benachbarten Inseln Timor, Roti und Sawu. 1659 unternahm der niederlandische Deserteur Jan van Adrichem mit Larantuqueiros und sieben Segelschiffen einen Uberfall auf Solor. Er versenkte solorische Schiffe und setzte die Moschee von Lohayong in Brand. Nyai Cili war klar, dass eine Fortsetzung der Feindseligkeiten nicht in ihrem Interesse stand. Sie zwang die anderen Sengaji, mit ihr fur Friedensverhandlungen nach Larantuka zu segeln, ohne dies mit der VOC in Kupang abzusprechen. Obwohl es zu einem blutigen Zwischenfall mit einem katholischen Priester kam, war der Besuch von Erfolg gekront. Im Marz 1664 spurte Nyai Cili ihren nahen Tod. In einem Brief bat sie den niederlandischen Generalgouverneur in Batavia um funf Pik weißes Tuch fur ihr Leichentuch und einen Elefantenstoßzahn, der ihr nach ihrem Tod als „Kissen“ dienen sollte, gemaß dem soloresischen Adat. Ihr Land vermachte sie der VOC. Generalgouverneur Joan Maetsuycker war nach Berichten sichtlich geruhrt und schlug in einem begeisterten Brief vor, Dasi, den Sengaji des Walfangdorfes Lamakera in Ostsolor, zum neuen Fuhrer des Bundes zu machen. Dasi besuchte zu dieser Zeit Batavia und hatte bei Maetsuycker einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Zwei Monate nach dem Tod von Nyai Cili kam der niederlandische Opperhoofd (deutsch Leiter) Hugo Cuylenburgh zum Fort Henricus auf Solor. Er musste feststellen, dass nicht Dasi, sondern Nyai Cili Muda (deutsch Nyai Cili, die Jungere), die junge Enkelin der Herrscherin, zur neuen Furstin ernannt worden war. Angeblich sei dies der letzte Wunsch von Nyai Cili gewesen. Erst nach einigen Nachforschungen erfuhr Cuylenburgh, dass Dasi zwar unter den Lamaholot geschatzt wurde, sein Status aber niedrig war. Ware er inthronisiert worden, ware es zu Rebellionen gekommen. Einzelnachweise
Nyai Cili († 1664) war eine Herrscherin (Sengaji) von Lohayong auf der Insel Solor im Malaiischen Archipel.
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c-90
Johanna „Jopie“ Bernardina Jeanne Koopman (* 18. November 1908 in Amsterdam; † 9. April 1981 in Amstelveen) war ein niederlandisches Model und die erste „Miss Holland“. Leben Jopie Koopman wurde 1908 in Amsterdam als Tochter des Gastwirtpaares Carel Bernard Koopman (1889–1952) und Esther Cohen (1890–1943) geboren und wuchs in Zaandam auf. Ihr Vater war Unternehmer und ein bekannter Karambolagespieler in der Disziplin Dreiband. Er stammte aus einer lutherischen Familie, ihre Mutter war Judin. Die Filmschauspielerin und Sangerin Johanna „Jopie“ Bernardina Koopman (1910–1979), die ebenfalls den Spitznamen „Jopie“ trug und mit der sie oft verwechselt wird, war ihre Kusine. Sie war die Tochter von Anna Maria Petronella Eengelberd und von Johan Koopman, dem Bruder von Carel Koopman. Jopie Koopman arbeitete als Kellnerin im elterlichen Hotel-Cafe-Restaurant, dem „Nieuwe Karseboom“ am Dam, einem Platz im Zentrum der Stadt, dessen Bankettsaal in den 1920er Jahren auch von judischen Mitburgern gern fur Feiern und Hochzeiten gebucht wurde. = Miss Holland-Wahl = Als die Wochenzeitschrift Het Leven den ersten Schonheitswettbewerb in den Niederlanden organisierte, reichte ein Unbekannter Ende 1928 Fotos von Jopie Koopman ein. Aus den zahlreichen Einsendungen wahlten die Herausgeber der Zeitschrift sie und neun weitere Frauen als Finalistinnen aus. Die Veranstaltung loste großes, landesweites Interesse aus. Der Nieuwe Rotterdamsche Courant etwa schrieb „Auf der Buhne erbluht im farbigen Licht der Scheinwerfer die Blute der niederlandischen weiblichen Schonheit, der schonsten niederlandischen Madchen, aus denen eine Jury unsere nationale Schonheitskonigin ausrufen wird.“ Am 28. Januar 1929 fand im Amsterdamer Hotel Americain die erste Wahl zur „Miss Holland“ statt. Die siebenkopfige Jury bildeten nur Manner: der Anwalt, Dichter und Ubersetzer Henricus Wijbrandus Jacobus Maria „H.W.J.M.“ Keuls, der Regisseur, Schauspieler, Maler und Musiker Louis Saalborn, der Maler und Zeichner Martin Monnickendam, der Architekt und Designer Piet Kramer, der Maler Jan Sluijters, der Journalist, Autor und Cartoonist Jan Feith und der Chefredakteur Tuschinsky von Het Leven. Die jungen Frauen wurden nicht befragt oder um ihre Meinung zu Fragen des offentlichen Interesses gebeten, sondern mussten nur vor der Jury hin und her paradieren. Daraufhin wurden nach Beurteilung von „Figur, Haltung, Gang, Sitzen, Gestik, Kostum, Gesichtsausdruck und Anmut“ die Gewinnerin ermittelt. Am Abend wurde im Tuschinski-Theater bekannt gegeben, dass Jopie Koopman den Wettbewerb gewonnen habe. Damit hatte sie sich zudem fur die Teilnahme am „Miss Europe“-Wettbewerb in Paris qualifiziert. Sie erhielt eine Scharpe und einen Blumenstrauß, das Publikum applaudierte und das Orchester spielte Het Wilhelmus. Jopie Koopman wurde die erste Gewinnerin einer Miss-Wahl in den Niederlanden; diese fanden die folgenden 95 Jahre bis zu ihrer Einstellung 2024 statt. Die Resonanz der meisten Medien zum Konzept des Schonheitswettbewerbs und insbesondere zur Gewinnerin hingegen war vernichtend. Der Tenor in fast allen Zeitungen war, dass Jopie Koopman ein unglaublich eitles Madchen sein musse, deren Eltern sich als besonders verantwortungslos erwiesen hatten, indem sie ihre Tochter auf diese Weise bloßstellten. In mehreren Zeitungen wurden die Teilnehmerinnen der Miss-Wahl mit Prostituierten gleichgesetzt, da „ein anstandiges, bescheidenes Madchen sich niemals auf der Buhne zur Schau stellen wurde“. Es kursierten Kommentare und Spottgedichte, die sich uber Jopie Koopman lustig machten und ihr unterstellten, sich offenbar anderen niederlandischen Frauen uberlegen zu fuhlen. Jopie Koopman ließ sich von den negativen Reaktionen jedoch nicht beirren. = Folge-Wettbewerbe = Eine gute Woche nach dem Titelgewinn zur „Miss Holland“ reiste Jopie Koopman in Begleitung ihrer Eltern und ihres Verlobten, des Fußballers Klaas Jan Breeuwer (1901–1961), zur Wahl der Miss Europe nach Paris. Der Empfang dort war im Vergleich zu den Niederlanden uberwaltigend positiv. Die teilnehmenden Gewinnerinnen der jeweiligen Lander wurden im Rahmen einer Wohltatigkeitsveranstaltung, bei der auch der franzosische Prasident Gaston Doumergue anwesend war, in der Pariser Oper der franzosischen Elite vorgestellt. Die Fahrt der jungen Frauen durch die Stadt zog ein großes Publikum an. Bei der Wahl zur „Miss Europe 1929“ am 7. Februar belegte Jopie Koopman den vierten Platz und gewann ein Ticket zur Teilnahme am „Miss Universe“-Wettbewerb in Galveston in Texas. Wahrend ihres Aufenthaltes in Paris waren mehrere Zeitungsinterviews in der Wochenzeitschrift Het Leven erschienen, in denen Jopie Koopman angeblich von dem luxuriosen Besuch mit Ballen und Abenddiners berichtete. Die meisten dieser Artikel waren aber von dem bei der Zeitung angestellten Jan Feith verfasst worden. Nach ihrer Ruckkehr kritisierte sie die chaotische Planung in Paris und das Verbot, ihr eigenes Kleid zu tragen. Mit weiteren europaischen Finalistinnen und ihrer Mutter als Begleitperson erreichte Jopie Koopman mit dem Dampfschiff nach einer mehrwochigen Reise die USA, um am „Miss Universe“-Wettbewerb teilzunehmen. Sie und die anderen Teilnehmerinnen erhielten in Amerika einen Empfang wie fur Stars. Bei einem einwochigen Zwischenstopp in New York City wurde die Gruppe in ausverkauften und uberfullten Theatersalen empfangen. Als das Schiff am 31. Mai in Galveston anlegte, wurden sie von Dutzenden Reportern und Fotografen erwartet, und in den nachsten Wochen brachten die amerikanischen und niederlandischen Zeitungen mehrere Kolumnen uber die Teilnehmerinnen. Hunderttausend Menschen drangten sich auf dem Boulevard, um die 59 Schonheitskoniginnen zu sehen, die an zwei aufeinander folgenden Tagen in Kleidern und in Badeanzugen in offenen Wagen stehend an der Menge vorbeigefahren wurden – etwas, das in Europa undenkbar war. Im Auditorium der Stadt Galveston gewann am 11. Juni 1929 die „Miss Austria“ Lisl Goldarbeiter die Wahl zur „Miss Universe 1929“, doch Jopie Koopman kehrte „mit einem einzigartigen Erlebnis“ nach Hause zuruck. = Weiteres Leben = Zuruck in den Niederlanden warb Jopie Koopman in Zeitungsanzeigen fur eine Seifenmarke und trat bei einigen Veranstaltungen auf, erzielte daraus jedoch kaum finanziellen Gewinn. Ihre Hochzeit mit dem Fußballer Klaas Jan Breeuwer am 30. Oktober 1929 in Zaandam wurde von einer großen Menschenmenge begleitet und im Bankettsaal des „Nieuwe Karseboom“ gefeiert. Der Andrang an Schaulustigen war so groß, dass die Polizei ordnend eingreifen musste. Das Paar ließ sich in Haarlem nieder und Jopie Koopman fuhrte das Leben einer Hausfrau. Klaas Jan Breeuwer hatte 1924 in Paris fur die niederlandische Fußballnationalmannschaft gespielt und zwischen 1923 und 1932 bei den Vereinen ZVV Zaandam, ZFC (Zaanlandsche Football Club) und HFC Haarlem. Daher entwickelte sich das Hotel-Cafe-Restaurant ihrer Eltern nach der Heirat im Laufe der 1930er Jahre zum inoffiziellen Clubhaus des ZFC. Jopie Koopmans Eltern trennten sich 1932. Dadurch verlor ihre Mutter in der Zeit des Nationalsozialismus den relativen Schutz durch die „Mischehe“ mit einem „deutschblutigen“ Partner. Nach Kriegsbeginn, der folgenden Besetzung der Niederlande und dem Holocaust in den Niederlanden wurde ihre Mutter als Judin 1943 in das KZ Auschwitz deportiert und ermordet. Am 20. Oktober 1944 wurde Sohn Hans geboren. Zu dieser Zeit war Jopie Koopmans Mann zeitweise im Scheveninger Gefangnis Oranjehotel eingesperrt, weil er im Besitz eines verbotenen Radios war. Nach dem Krieg arbeitete Jopie Koopmans Mann als Handelsvertreter beim Unternehmen Ajax de Boer, das mit Feuerloschgeraten, spater mit Asbest und Gummi handelte. Er stieg zum stellvertretenden Direktor auf, was der Familie ein Leben in Luxus ermoglichte mit regelmaßigen Urlauben in italienischen Villen und anderswo. 1961 starb er nach kurzer Krankheit. Durch ihre ehrenamtliche Arbeit im „Koepelgevangenis van Haarlem“ lernte Jopie Koopman einen Buchhalter kennen, der eine Haftstrafe wegen Betrugs verbußte. Nach seiner Entlassung lebte sie mit ihm zusammen in einer Wohnung in Amstelveen. Sie fuhrten einen verschwenderischen Lebensstil und besuchten haufig die Casinos in Monaco, zum Missfallen der Verwandtschaft. Im April 1981 starb Jopie Koopman in ihrer Wohnung in Amstelveen. Literatur Mark Traa: De mooiste van het land. Opkomst en ondergang van Miss Holland (1929–1937). Athenaeum, Amsterdam 2015, ISBN 978-90-253-0707-3 Weblinks Mark Traa: Koopman, Johanna Bernardina Jeanne (1908-1981). In: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland. Huygens-Institut fur die Geschichte der Niederlande (Hrsg.) Einzelnachweise
Johanna „Jopie“ Bernardina Jeanne Koopman (* 18. November 1908 in Amsterdam; † 9. April 1981 in Amstelveen) war ein niederlandisches Model und die erste „Miss Holland“.
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c-91
Das Directory of Open Access Books (DOAB) ist eine von der gemeinnutzigen DOAB Foundation betriebene Datenbank, die wissenschaftliche, begutachtete Open-Access-Bucher indexiert. Die Kriterien fur die Aufnahme sind streng, es werden nur begutachtete Monografien, Sammelwerke und kritische Editionen aufgenommen, die unter einer Open-Access-Lizenz veroffentlicht wurden. Die Plattform mochte dadurch die Open-Access-Transformation unterstutzen und den Nutzern helfen, vertrauenswurdige Open-Access-Bucher und -Buchverlage zu finden. Das DOAB empfiehlt den Verlagen, die sich fur die Aufnahme ihrer Bucher im DOAB bewerben mochten, die Publikationsstandards der Open Access Scholarly Publishing Association umzusetzen. Stand April 2025 werden im DOAB 97.000 Open-Access-Monografien von 824 verschiedenen Wissenschaftsverlagen verzeichnet, mehr als 13.000 davon in deutscher Sprache. Alle Metadaten werden unter der CC0-Lizenz bereitgestellt. Geschichte Das DOAB wurde 2012 aus dem EU-geforderten Projekt OAPEN (Open Access Publishing in European Networks) gegrundet, aus dem auch die OAPEN Foundation hervorging, die zunachst als Betreiber fungierte. Vorbild war das Directory of Open Access Journals (DOAJ), das nur Open-Access-Zeitschriften aufnimmt, die nachweislich Begutachtungsverfahren nutzen. Das OAPEN-Projekt war aus dem Wunsch heraus gegrundet worden, Open Access auch fur Monografien als die wichtige Publikationsform in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu etablieren. Offiziell vorgestellt wurde das DOAB auf der Open Access Monographs in the Humanities and Social Sciences Conference im Juli 2013. 2014 begann eine Kooperation mit der franzosischen Plattform OpenEdition, weitere mit SciELO und Project MUSE folgten. Seit 2020 wird das DOAB von der DOAB Foundation betrieben, die wie die OAPEN Foundation auch ihren Sitz in Den Haag, Niederlande hat. Mit dem Open Access Books Network (OABN) gibt es eine Diskussionsplattform zum Thema Open Access fur Bucher auf Knowledge Commons. Seit 2021 lauft das DOAB auf der Repository-Software DSpace 6. Im November 2022 wurde PRISM (Peer Review Information Service for Monographs) gestartet, ein Dienst, mit dem Verlage die Moglichkeit haben, Informationen uber das durchgefuhrte Peer Review fur die jeweilige Monografie bereitzustellen. Auf diese Weise soll mehr Transparenz in Bezug auf die Begutachtungsverfahren erreicht werden. 2023 startete die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Kooperation mit der OPAPEN Library, die darin resultiert, dass die von der DFG geforderten Open-Access-Bucher auch im DOAB gelistet werden. Wachstum Das DOAB startete 2012 mit 750 Buchern von 20 verschiedenen Verlagen. Im November 2017 wurde die Zahl von 10.000 indexierten Buchern erreicht. Seitdem hat die Zahl der indexierten Bucher und teilnehmenden Verlage weiter zugenommen und liegt bei mehr als 97.000. Literatur Linnea Stenson: Why all these directories? An introduction to DOAJ and DOAB, Insights, 2012, 25(3), 251–256, https://doi.org/10.1629/2048-7754.25.3.251. Weblinks Directory of Open Access Books Einzelnachweise
Das Directory of Open Access Books (DOAB) ist eine von der gemeinnutzigen DOAB Foundation betriebene Datenbank, die wissenschaftliche, begutachtete Open-Access-Bucher indexiert. Die Kriterien fur die Aufnahme sind streng, es werden nur begutachtete Monografien, Sammelwerke und kritische Editionen aufgenommen, die unter einer Open-Access-Lizenz veroffentlicht wurden. Die Plattform mochte dadurch die Open-Access-Transformation unterstutzen und den Nutzern helfen, vertrauenswurdige Open-Access-Bucher und -Buchverlage zu finden. Das DOAB empfiehlt den Verlagen, die sich fur die Aufnahme ihrer Bucher im DOAB bewerben mochten, die Publikationsstandards der Open Access Scholarly Publishing Association umzusetzen. Stand April 2025 werden im DOAB 97.000 Open-Access-Monografien von 824 verschiedenen Wissenschaftsverlagen verzeichnet, mehr als 13.000 davon in deutscher Sprache. Alle Metadaten werden unter der CC0-Lizenz bereitgestellt.
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c-92
Die Hexenverfolgung im Waadtland (Romandie) forderte vom Spatmittelalter bis zum 18. Jahrhundert aussergewohnlich viele Opfer, die aufgrund von Hexenprozessen hingerichtet wurden. Nach einer Auswertung der Berner Ratsmanuale (Protokolle der Ratssitzungen) wurden 1700 Personen gezahlt, die in der Region zwischen 1580 und 1655 wegen Hexerei verbrannt wurden. Nach der Historikerin Martine Ostorero, die an der Universitat Lausanne mit der systematischen Aufarbeitung der Hexenverfolgungen in der Region befasst ist, belauft sich die Gesamtzahl der vollstreckten Todesurteile auf rund 2000. Geschichte Zu ersten Hexenverfolgungen kam es um 1430 im Wallis. Diese weiteten sich auf Freiburg und Neuenburg (um 1440) aus, um dann verschiedene Orte in der Waadt zu erreichen. Hexenprozesse fanden in Vevey (1448), in den Territorien des Bischofs von Lausanne (um 1460), am Genfersee, in La Tour-de-Peilz, Veytaux und schliesslich in Dommartin (1498 und 1524–1528) statt. Im Waadtland fanden schweizweit die meisten Hexenprozesse statt, gefolgt von Graubunden. Beides waren Territorien mit einer regional stark zersplitterten Blutgerichtsbarkeit. Die Angeklagten wurden oft direkt in ihrem Wohnort oder in einem der Nachbarorte verurteilt und hingerichtet. Gegenden mit einer zentralisierten Gerichtsbarkeit wiesen dagegen weniger Prozesse auf (zum Beispiel Zurich mit etwa 80). Die Grunde fur die hohe Zahl an Prozessen im Waadtland sind, so Wolfgang Behringer, bis heute «nicht ganz entratselt», Ulrich Pfister sieht einen wichtigen Grund in der «gering» entwickelten «Zentralstaatlichkeit der Schweiz». Entscheidend fur die Haufung von Hexereiverfahren scheint mithin auch die herrschaftliche und gerichtsrechtliche Zersplitterung des Gebietes gewesen zu sein. In dem 1536 von den Bernern eroberten Waadtland kam es zu vielen willkurlichen Hinrichtungen und besonders grausamer Harte bei den Folterungen. Die Berner Regierung erliess 1543 ein Edikt, welches unter anderem ungebrauchliche Foltermethoden und die Hinrichtung ohne weitere Verhandlung untersagte. Kurze Zeit spater sah sich der Rat zu Bern sogar veranlasst, in der Waadt jede Hinrichtung zu untersagen, bevor diese nicht vom Rat selbst genehmigt wurde. Massigung und Einsicht der ausfuhrenden Beamten wurden gefordert. Im Jahr 1600 entschloss sich, laut Wilhelm Gottlieb Soldans Geschichte der Hexenprozesse aus dem Jahr 1843, der Grosse Rat von Bern, die Prozessordnung in Hexensachen anzupassen. Verboten wurde das sofortige Verhaften, Inhaftieren und Foltern von denunzierten Personen sowie die Verwendung ungesetzlicher Folterwerkzeuge. Zunachst sollte eine Befragung erfolgen und sollten Erkundigungen uber den Lebenswandel der Person eingezogen werden. Erst im Falle eines begrundeten Verdachtes sei Folter anzuwenden, hoheren Ortes Rat einzuholen und die Folter langsam zu steigern. = Reformation und Gegenreformation = Die sozialen Konflikte in der Fruhen Neuzeit weiteten sich durch die Reformation und Gegenreformation in der Schweiz aus. Nach dem provokativen Zurcher Wurstessen 1522 und dem Ittinger Klostersturm 1524 fand 1528 die Berner Disputation statt. Die Reformation setzte sich durch und verbreitete sich anschliessend 1536 von Bern aus auch im franzosischsprachigen Waadtland. Landliche und stadtische Unruhen waren die Folge. Handwerker und Bauern protestierten gegen hohere Lebenshaltungskosten, verlangten niedrigere Steuern und mehr Autonomie. Es gab Spannungen zwischen der reformierten und der katholischen Bevolkerung. Mit den Sittenmandaten wurde versucht, das tagliche Leben der Menschen zu regeln. Verboten wurden: Fluchen, Schworen, Mussiggang, liederlicher Lebenswandel, aufwendige Feste, Tanzen, Alkoholkonsum, teure Kleidung, Luxus, Glucksspiele, Unzucht und Ehebruch. Eingefuhrt wurde die Pflicht zum sonntaglichen Messe- und Predigtbesuch. Sittengerichte, in Bern «Chorgericht/consistoire» genannt, wurden 1528 eingefuhrt und erst 1798 endgultig abgeschafft. Bestraft wurde mit Zurechtweisungen, Ausschluss vom Abendmahl, Bussen, Gefangnis und Verbannung. Die Todesstrafe wurde verhangt. Auch Johannes Calvin befurwortete die Verfolgung und Hinrichtung von Hexen. Unter Berufung auf die Bibelstelle Buch Exodus Kapitel 22, Vers 17 erklarte Calvin, Gott selbst habe die Todesstrafe fur Hexen festgesetzt. Rita Voltmer und Franz Irsigler fuhren aus, wie eine originalgetreue Bibelexegese im Protestantismus letztlich zu der Annahme fuhrte, Hexerei gehe grundsatzlich von Frauen aus. Das fuhrte letztlich zu der entscheidenden Veranderung bei der Verfolgung, die nun Frauen in den Fokus nahm. «Als nicht weniger bedeutsam fur die Ausbildung der konfessionellen Unterschiede erwies sich die uneinheitliche Ubersetzung der fatalen Bibelstelle Exodus 22 Vers 17 (Vers 18 nach alteren Bibelausgaben). Legitimiert durch das Tridentinum, benutzte die katholische Vulgata das mannliche Genus (‹die Zauberer sollst du nicht leben lassen›), wahrend Luther die aus dem hebraischen Original stammende – grammatikalisch richtige – weibliche Form anwandte.» In der Reformationszeit, zwischen 1520 und 1560, fanden in der Schweiz keine Hexenverfolgungen statt, wie Gary K. Waite ausfuhrt, da die Obrigkeiten mit der Verfolgung von Haretikern beschaftigt waren. Bei den Prozessen spielte spater die Konfession nur eine untergeordnete Rolle. Hexenverfolgung fand in katholischen, protestantischen und calvinistischen Gebieten statt. Erst mit der Akzeptanz eines Religionspluralismus und dem Abflauen interkirchlicher Konflikte kam es auch zu einem Ende der Hexenverfolgungen. = Inquisition = Schon 1430 erschienen theoretische Texte uber teuflische Sekten und den Hexensabbat in franzosischer Sprache. Die lateinische Schrift Formicarius von Johannes Nider erschien 1437/38, beschaftigt sich im 5. Kapitel ausfuhrlich mit der Hexenverfolgung und gilt als Vorlaufer des Malleus maleficarum. Der von Heinrich Kramer veroffentlichte Hexenhammer von 1486, welcher 1487/88 gedruckt wurde und die Hexenverfolgung legitimierte sowie die Verfolgung von Frauen als Hexen wesentlich forderte, wurde offiziell weder von der Kirche noch von den weltlichen Gerichten anerkannt. Allerdings wurden bis Ende des 17. Jahrhunderts rund 30'000 gedruckte Exemplare uber grosse Teile Europas verbreitet, so dass sein Einfluss nicht zu unterschatzen ist. Als eigentlicher Begrunder der Inquisition in den Westschweizer Diozesen Lausanne, Genf und Sitten gilt Ulric de Torrente. Er war im Kloster La Madeleine in Lausanne ansassig. Von 1429 bis 1430 ermittelte er in der Diozese Lausanne gegen die Waldenser, die als Haretiker galten und von der Inquisition, sobald sie in Erscheinung traten, auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurden. Den Waldensern wurde von ihren Gegnern Hexerei, Zauberei und Astrologie in Teufelsdiensten angedichtet. Die Amtszeit des Dominikaners und Inquisitors Ulric de Torrente fallt in die Ubergangszeit von der Verfolgung der Haresie zum sich entwickelnden Hexenglauben, wobei die Hexerei auch als Haresie begriffen werden musste, um in den Zustandigkeitsbereich der Inquisition zu fallen. Dieser Ubergang erwies sich in der Westschweiz als unumkehrbar. Mit den von ihm initiierten Hexenprozessen an der Waadtlander Riviera etablierte Ulric de Torrente eine Verfolgungstradition, die sich in der zweiten Halfte des 15. Jahrhunderts im Waadtland fortsetzte. Erst die Gesetzgebung der Helvetischen Republik, die am 12. April 1798 die Alte Eidgenossenschaft abloste, beendete offiziell die Hexenverfolgungen in der gesamten Schweiz. = Anlasse fur die Verfolgung wegen Hexerei = Die Anklage kam in der Regel aus der Bevolkerung und lautete haufig auf Schadenzauber. Lange Zeit reichte eine glaubhafte Zeugenaussage aus, um zu einer Verhaftung zu fuhren. Viele Zeugenaussagen beriefen sich auf zehn und mehr Jahre zuruckliegende Ereignisse. Personliche Feindschaften innerhalb der Nachbarschaft, auffallige korperliche oder soziale Merkmale konnten Gerede und Anschuldigungen hervorrufen. Fand ein Inquisitionsverfahren statt, wurde das notige Gestandnis, um eine Verurteilung vor einem weltlichen Gericht zu rechtfertigen, mittels Folter erzwungen. Gestanden wurden: Schadenzauber, Teilnahme am Hexensabbat, Hexenflug, Beitritt zur Hexensekte, Haresie, Pakt mit dem Teufel, Teufelsbuhlschaft, Wettermacherei. Unter den Beschuldigten und Hingerichteten befanden sich neben Frauen und Mannern auch zahlreiche «Kinderhexen», die junger waren als 14 Jahre. Wahrend der peinlichen Befragung wurden die Angeklagten gezwungen, weitere angebliche Hexen zu denunzieren. Durch die Besagung kam es zu Nachfolgeprozessen. Strafrechtliche Regelungen fanden im Zusammenhang mit der Inquisition kaum Anwendung, Willkur wurde zur Regel. Seit der Fruhen Neuzeit wurden unerklarliche Todesfalle auf den Teufel zuruckgefuhrt und konnten Anlass zu Anschuldigungen gegen eine Person liefern. Heutige Forschungen gehen davon aus, dass fur diese «unerklarlichen» Todesfalle ursachlich waren: Hunger, Kalte (Kleine Eiszeit), Seuchen, mangelnde Hygiene, schlechte Ernahrung, der in der Schweiz herrschende Jodmangel, Ungeziefer: darunter Ratten, Mause, Zecken, Motten, Flohe und Korperlause. Viele Menschen litten an inneren Krankheiten und Darmbeschwerden. Zugrundeliegende Gesetzgebung = Die Statuten von Savoyen (1430) = Herzog Amadeus VIII. von Savoyen, als Felix V. der letzte Gegenpapst der katholischen Kirche, erliess im Jahr 1430 die Statuta Sabaudiae (Statuten von Savoyen), einen Gesetzgebungs- und Verwaltungskodex, der erstmals den Straftatbestand der Hexerei gesetzlich regelte. Die Statuten hatten das Ziel, Gesetze und Vorschriften des Herzogtums Savoyen zusammenzufuhren und zu vereinheitlichen, und regelten Aspekte der Politik, der Justiz und der Verwaltung. Sie bestehen aus 377 Artikeln und sind in funf Bucher unterteilt, das erste Buch befasst sich mit religiosen Angelegenheiten. Vor dem Hintergrund des Abendlandischen Schismas wurden darin unter anderem die Gefahren zusammengefasst, die dem katholischen Glauben drohten: Gotteslasterer, Ketzer, Hexen und Zauberer, Geisteskranke, aber auch Juden. Wolfgang Behringer fuhrt in Hexen aus, wie stark die Ausbildung eines Judenstereotyps zu der Auspragung eines Hexenstereotyps beigetragen habe. Gerade in Savoyen sei der ursprunglich auf Aussatzige angewandte Vorwurf, aus Rache fur ihre Erkrankung die Brunnen zu vergiften, als Erklarungsversuch fur die periodisch auftretenden Seuchen des Spatmittelalters im 14. Jahrhundert auf Judengemeinden ubertragen worden und habe zu dieser Zeit Eingang in die Beschuldigungen der beginnenden Hexenprozesse gefunden. = Die Berner Verordnungen (1543–1652) = Nach der Ruckeroberung des Waadtlandes aus dem Hoheitsgebiet Savoyens im Jahr 1536 durch eidgenossische Truppen griff die Berner Regierung mehrmals in die waadtlandische Gesetzgebung ein, um die Anwendung der Folter zu regeln, zuerst 1543, dann 1600, 1609 und 1652. Franz Helbing zufolge sah sich der Rat zu Bern insbesondere aufgrund der Strenge der Verfolgung nach Denunziationen und der Schwere der Folterungen dazu veranlasst, Revisionen der Prozessordnungen zu erlassen, um regionaler Willkur vorzubeugen. Mit der Verordnung des Jahres 1600 sollten die Kosten der Rechtsverfolgung und Hinrichtung im Falle einer Verurteilung aus dem Vermogen der Hingerichteten gedeckt werden. Der Berner Rat beanstandete die bisherige Praxis der Inquisitoren, die diese Kosten der Regierung auferlegten und davon unabhangig das Vermogen der Verurteilten einzogen und sich daran bereicherten. In der Folge der Verordnungen kam es zwar kurz zu einer Einschrankung in der Zahl der Hexenprozesse, die jedoch dann wieder aufgenommen wurden, was sich ahnlich auch nach der Verordnung des Jahres 1609 wiederholte. Dokumentierte Falle = Die ersten Falle (1438–1441) = Vor dem Beginn einer systematischen Hexenverfolgung kam es im Waadtland ab 1438 zu vereinzelten Prozessen, wahrscheinlich als Reaktion auf bereits bekannte Falle im Wallis, in Freiburg, Aosta und der Dauphine. Kennzeichnend fur diese fruhen Falle ist, dass sie sich sowohl gegen Manner als auch gegen Frauen richteten. Bekannt ist, dass im Jahr 1438 der zwanzigjahrige Aymonet Maugetaz vom Inquisitor Ulric de Torrente freigesprochen wurde. Er war angeklagt worden, weil er vorgeblich mit seinem verstorbenen Vater, Jaquet Maugetaz alias Cosandeir, Einwohner von Epesses, an nachtlichen Treffen mit dem Teufel teilgenommen hatte. Aymonet Maugetaz hatte im Dominikanerkloster von Lausanne gegenuber Torrente eine Beichte uber diese Vorgange abgelegt. Ulric de Torrente war neben seiner geistlichen Tatigkeit im Kloster von 1423 bis 1442 Inquisitor der Westschweizer Diozesen Lausanne, Genf und Sitten. Die Schilderung von Aymonet Maugetaz gilt als eine der ersten Beschreibungen eines Hexensabbats im gerichtlichen Kontext fur das Waadtland. Der Fall von Sybille Gonra aus Vevey (1441) ist nur aus Buchhaltungsunterlagen bekannt. Sie war die erste Frau, die im Zusammenhang mit den Hexenprozessen im Waadtland wegen Hexerei verbrannt wurde. Ebenfalls im Jahr 1441 wurde Aymonet Tissotet, der Gouverneur von Orbe, zum ersten Mal von der Inquisition befragt, nachdem ihn ein anderer Angeklagter kurz vor seiner Verurteilung denunziert hatte. Tissotet beantragte bei Papst Felix V. Berufung, woraufhin ihm die kanonische Reinigung der Strafe gewahrt wurde. Sieben Jahre spater, 1448, wurde er jedoch vom Inquisitor Pierre d’Aulnay wegen Ketzerei zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. = Hexenverfolgung an der Waadtlandischen Riviera und im nordlichen Waadtland (1448–1449) = Zwischen Marz und April 1448 fanden im Schloss von La Tour-de-Peilz die Prozesse gegen mindestens drei Manner (Jaquet Durier, Pierre Munier und Antoine Bron) und eine Frau (Catherine Quicquat) statt. Zu Gericht sassen der Inquisitor Pierre d’Aulnay, sein Vize-Inquisitor Henri Chouvet, der Vikar Leopard de Bosco als Vertreter der bischoflichen Autoritat, der Vize-Kastellan des Ortes, Pierre Ros, und einige mannliche Vertreter der Schlossherren. Die Original-Akten der Prozesse gegen Jaquet Durier, Catherine Quicquat und Pierre Munier wurden im Register Ac 29 der Archives cantonales vaudoises aufbewahrt. Der Fall von Antoine Bron hingegen ist nur durch eine Textstelle in der Buchhaltung bekannt. Wahrend Pierre Munier als Busse eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela und Le Puy-en-Velay antreten musste, wurden die drei anderen Delinquenten zum Tode verurteilt. Einen Monat spater fuhrten der Inquisitor und sein Gefolge in der Herrschaft Champvent einen Prozess gegen Pierre Chavaz und Renaud Brechon. Zu letzterem existieren keine Angaben, ausser dass er zur gleichen Zeit wie Pierre Chavaz inhaftiert wurde. Pierre Chavaz wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem er einen Pakt mit dem Teufel gestanden hatte. Im Jahr darauf wurde Pierre Antoine, ein Notar aus einer Familie in Estavayer, im Norden des Waadtlandes verurteilt. Sowohl Pierre Antoine als auch Pierre Chavaz denunzierten Aymonet Tissotet, der im Februar 1448 verbrannt worden war, als auch Berthold Barban, der 1439 in Rom die Absolution erhalten hatte. = Die Hexenverfolgung von Dommartin (1498) = Zwischen Oktober und November 1498 fuhrte der Vize-Inquisitor Francois Fossaud im Schloss Dommartin die Prozesse gegen Francois Marguet, Isabelle Perat, Margueritte Diserens und Pierre des Sauges (alias Menetrey). Marguet und Perat wurden verbannt, wahrend Diserens und Sauges zum Tod verurteilt wurden. = Hexenjagd in der Vogtei Chillon (1595–1601) = In den Jahren 1595 bis 1601 fand unter der Leitung des Vogts und Hauptmanns von Chillon, Nicolas de Watteville, in der Vogtei Chillon (Kastellaneien von Vevey, La Tour-de-Peilz, Chillon (Montreux) und Villeneuve) eine grossangelegte Hexenjagd statt. Der Berner Aristokrat residierte von 1595 bis 1601 in der Festung. Unter seiner Herrschaft wurden 40 Menschen, 35 davon Frauen, in Chillon, Vevey und La Tour-de-Peilz hingerichtet. = Der Prozess gegen Michere Bauloz (1602) = 1602 wurde Michere Bauloz in Lausanne inhaftiert. Unter der Folter gestand sie, sich in einen Werwolf verwandelt zu haben. Zusammen mit Michere Bauloz wurde Thievenaz Bauloz, ihre Schwester, auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. = Der Prozess gegen Jeanne Desgras in Veytaux (1664) = Besonders gut dokumentiert ist der Fall der Eheleute Jeanne Desgras und Louys Monney aus der Ortschaft Vevey am Genfersee. Bezuglich Jeanne Desgras, die im Schloss Chillon inhaftiert und zunachst zum Verbrennen bei lebendigem Leib verurteilt worden war, liessen die Berner Behorden Barmherzigkeit walten. Sie wurde vom Scharfrichter enthauptet, bevor ihre Leiche auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Wissenschaftliche Aufarbeitung 2012 fand im Schloss Chillon die Ausstellung La Chasse aux sorcieres dans le Pays de Vaud (deutsch: Die Hexenverfolgung im Waadtland) statt, in der originale Verhorprotokolle und schriftliche Urteile gezeigt wurden. In ihrem Beitrag zum Ausstellungskatalog schatzte Martine Ostorero die Gesamtzahl der vollstreckten Todesurteile auf ungefahr 2000. «Im Waadtland waren in den ersten 100 Jahren zwei Drittel der Opfer Manner. Danach kehrte sich das Verhaltnis zulasten der Frauen um», so Ostorero. Im Januar 2022 wurde im Schweizer Fernsehen der Dokumentarfilm A mort la sorciere von Maria Nicollier und Cyril Depraz gezeigt, begleitet von einer Serie von Audio-Podcasts fur Histoire Vivante, moderiert von Cyril Depraz. Gedenken Zum Gedenken an Jaquette de Clause wurde im Jahr 2020 am Schloss Ouchy in Lausanne eine Gedenktafel angebracht. Sie soll symbolisch fur alle Menschen stehen, die der Hexenverfolgung im Waadtland zum Opfer gefallen sind. Literatur (Auswahl) Pierre-Han Choffat: La sorcellerie comme exutoire. Tensions et conflit locaux. Dommartin 1524–1528 (= Agostino Paravicini Bagliani (Hrsg.): Cahiers lausannois d’histoire medievale. Band 1). Universite de Lausanne, Lausanne 1989. Martine Ostorero: Folatrer avec les demons. Sabbat et chasse aux sorciers a Vevey (1448) (= Cahiers lausannois d’histoire medievale. Band 15). Universite de Lausanne, Lausanne 1995, ISBN 978-2-940440-05-4. Eva Maier: Trente ans avec le diable: une nouvelle chasse aux sorciers sur la Riviera lemanique (1477–1484) (= Cahiers lausannois d’histoire medievale. Band 17). Universite de Lausanne, Lausanne 1996, ISBN 978-2-940110-07-0. Laurence Pfister: L’Enfer sur Terre. Sorcellerie a Dommartin (1498) (= Cahiers lausannois d’histoire medievale. Band 20). Universite de Lausanne, Lausanne 1997, ISBN 978-2-940110-10-0. Georg Modestin: Le diable chez l’eveque: chasse aux sorciers dans le diocese de Lausanne (vers 1460) (= Cahiers lausannois d’histoire medievale. Band 25). Universite de Lausanne, Lausanne 1999, ISBN 978-2-940110-15-5. Martine Ostorero, Agostino Paravicini Bagliani, Kathrin Utz Tremp, Catherine Chene (Hrsg.): L’imaginaire du sabbat: edition critique des textes les plus anciens (1430–1440) (= Cahiers lausannois d’histoire medievale. Band 26). Universite de Lausanne, Lausanne 1999, ISBN 978-2-940110-16-2. Fabienne Taric Zumsteg: Les sorciers a l’assaut du village: Gollion (1615–1631) (= Etudes d’histoire moderne. Band 2). Editions du Zebre, Lausanne 2000, ISBN 978-2-9700235-2-4. Martine Ostorero, Kathrin Utz Tremp, Georg Modestin (Hrsg.): Inquisition et sorcellerie en Suisse romande: le registre Ac 29 des Archives cantonales vaudoises (1438–1528) (= Cahiers lausannois d’histoire medievale. Band 41). Universite de Lausanne, Lausanne 2007, ISBN 978-2-940110-54-4. Kathrin Utz Tremp: Von der Haresie zur Hexerei. «Wirkliche» und imaginare Sekten im Spatmittelalter (= Monumenta Germaniae Historica. Band 59). Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2008. Unveranderter Nachdruck. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2020, ISBN 978-3-447-17233-2. Wolfgang Behringer: Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung. 7., aktualisierte Auflage. Verlag C. H. Beck, Munchen 2020, ISBN 978-3-406-75284-1. Siehe auch Hexenwesen (Schweiz) Hexenverfolgung in Basel Hexenverfolgung Weblinks Ulrich Pfister: Hexenwesen. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 16. Oktober 2014, abgerufen am 18. November 2024. Martine Ostorero: La repression de la sorcellerie demoniaque dans le Pays de Vaud a la fin du Moyen Age. Mai 2021. In: memorado.ch, (franzosisch). Einzelnachweise
Die Hexenverfolgung im Waadtland (Romandie) forderte vom Spatmittelalter bis zum 18. Jahrhundert aussergewohnlich viele Opfer, die aufgrund von Hexenprozessen hingerichtet wurden. Nach einer Auswertung der Berner Ratsmanuale (Protokolle der Ratssitzungen) wurden 1700 Personen gezahlt, die in der Region zwischen 1580 und 1655 wegen Hexerei verbrannt wurden. Nach der Historikerin Martine Ostorero, die an der Universitat Lausanne mit der systematischen Aufarbeitung der Hexenverfolgungen in der Region befasst ist, belauft sich die Gesamtzahl der vollstreckten Todesurteile auf rund 2000.
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c-93
Kaltes Krematorium (Kaltes Krematorium – Bericht aus dem Land namens Auschwitz) ist der deutsche Titel des 1950 von dem ungarisch-jugoslawischen Schriftsteller Jozsef Brunner unter dem Pseudonym Jozsef Debreczeni veroffentlichten autobiografischen Berichtes Hideg Krematorium. Auschwitz regenye uber seine Erlebnisse als KZ-Haftling, Haftlingsnummer 33031. Beschrieben werden die Deportation aus Backa Topola nach Auschwitz, die Selektion und die Erlebnisse und Bedingungen in den Außenlagern des KZ Groß-Rosen wahrend seines zwolfmonatigen Leidensweges. Inhalt Im Lager Backa Topola werden den Haftlingen die Habseligkeiten abgenommen und nach mehrtagiger Fahrt in einem vollgestopften und verschlossenen Viehwaggon erfolgt in Auschwitz die Selektion. Die willkurlich fur arbeitstauglich erklarten Haftlinge werden geschoren und zu namenlosen Haftlingsnummern. Der Erzahler entgeht so zufallig der Vergasung – auch weil er einen langen Fußmarsch einem perfiderweise angebotenen Lkw-Transport vorzieht. Er wird zum namenlosen Arbeitssklaven Nummer 33031, der in Außenlagern des Konzentrationslagers Groß-Rosen zum Tunnelbau des Projekt Riese der Organisation Todt zum Einsatz gelangen wird. Beschrieben werden seine personlichen Erlebnisse in den drei Außenlagern Falkenberg, Schloss Furstenstein und Dornhau. Zufalligkeit und Willkur bestimmen seinen Weg, immer entkrafteter dammert er zuletzt im seuchengeplagten Sterbelager von Dornhau dem Tod entgegen. Dabei wird die zunehmende Entmenschlichung und Gefuhlslosigkeit im weitgehend haftlingsorganisierten Lagerinneren mit dem scharfen Blick des geschulten Journalisten beschrieben. Die Lagergesellschaft aus einfachen Haftlingen, Kapos, Unterkapos, Schreibern, Baracken- und Lageraltesten sowie dem Kuchenpersonal mit ihren jeweiligen Privilegien und Angsten wird ebenso dargestellt wie der Kampf um den letzten Fetzen Stoff, jedes Stuckchen Brot. Die ekelerregende und morderische Umgebung beschreibt er drastisch, wobei jede Laus, alle Ausdunstungen, eitrige Wunden und der mit Exkrementen bedeckte Boden im Sterbelager Dornhau nicht ausgespart werden. Wehrmacht und SS treten nur selten in Erscheinung und werden nach Uniformfarbe als „Grune“ und „Graue“ bezeichnet. Rezeption Das Werk wurde in Ungarn vor dem Hintergrund antisemitischer Kampagnen und Schauprozesse des stalinistischen Regimes kaum wahrgenommen. Mit seiner subjektiven Schonungslosigkeit und der Darstellung der Funktionshaftlinge durfte es auch fur die um Anerkennung kampfende judische Opfergemeinschaft nicht opportun gewesen sein. Hannah Arendt loste etwa mit Eichmann in Jerusalem noch 1963 heftige Diskussionen aus, weil sie darin die zwangsweise Kooperation der Judenrate thematisierte. Erst nach uber siebzig Jahren fand das Werk internationale Beachtung. 2023 erschien es in den Vereinigten Staaten und wurde dann in zahlreiche weitere Sprachen ubersetzt. Die deutsche Fassung erschien 2024 in der Ubersetzung von Timea Tanko mit einem Nachwort von Carolin Emcke. Alexander Camman lobte in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit das Buch als erstaunlich souverane literarische Reportage des Schreckens. Mit geradezu soziologischer Prazision schaue Debreczeni unerbittlich genau auf seine Mithaftlinge und schildere die „Lageraristokratie“ der Funktionshaftlinge und die „komplizierte Hierarchie der Parias“. Minutios wurden die Kampfe um Brot und jedwede Kalorie geschildert und die Umkehrung der gesellschaftlichen Hierarchie im Lager dargestellt: judische Eliten ganz unten, Kriminelle und Taugenichtse ganz oben. Das Buch setze daruber hinaus Mithaftlingen in knappen und bewegenden Portrats ein Denkmal. Ausgaben Jozsef Debreczeni: Hideg krematorium. Belgrad, 1950. Hladni krematorijum. Roman Ausvica. Ubersetzung Bogdan Cipic. 1951. Kaltes Krematorium – Bericht aus dem Land namens Auschwitz. Ubersetzung Timea Tanko. Nachwort Carolin Emcke. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2024, ISBN 978-3-10-397544-4. Einzelnachweise
Kaltes Krematorium (Kaltes Krematorium – Bericht aus dem Land namens Auschwitz) ist der deutsche Titel des 1950 von dem ungarisch-jugoslawischen Schriftsteller Jozsef Brunner unter dem Pseudonym Jozsef Debreczeni veroffentlichten autobiografischen Berichtes Hideg Krematorium. Auschwitz regenye uber seine Erlebnisse als KZ-Haftling, Haftlingsnummer 33031. Beschrieben werden die Deportation aus Backa Topola nach Auschwitz, die Selektion und die Erlebnisse und Bedingungen in den Außenlagern des KZ Groß-Rosen wahrend seines zwolfmonatigen Leidensweges.
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c-94
Der Zamser Grund ist ein Seitental des Zillertals sudwestlich von Mayrhofen in den Zillertaler Alpen in Tirol. Es ist ein etwas abgelegenes, unbewohntes Hochtal, das an den Alpenhauptkamm grenzt. Im Tal befindet sich ein großer Speichersee zur Stromerzeugung. Uber das Pfitscher Joch existiert ein Ubergang nach Sudtirol. Lage und Beschreibung Der Zamser Grund erstreckt sich vom Ende des Zemmgrunds am Zemmbach-Oberlauf bei Breitlahner oberhalb Dornauberg-Ginzling in sudwestlicher Richtung bis zum Pfitscher Joch (2246 m u. A.). Der ihn durchfließende Zamser Bach entspringt am Fuß des Stampflkees unterhalb der Hohen Wand (3289 m u. A.). Das Tal gehorte bis 1919 zur Gemeinde Pfitsch in Sudtirol, seither zur Gemeinde Finkenberg. Im Westen und Norden wird das Tal vom Tuxer Kamm mit dem Olperer (3476 m u. A.) als hochstem Gipfel begrenzt. In sudostlicher Richtung zum Zillertaler Hauptkamm zweigt der Schlegeisgrund ab, der heute zum Großteil vom Schlegeisspeicher eingenommen wird. Unterhalb des Speichers setzt sich das Tal bis zur Zamserbach-Mundung in den Zemmbach fort. Die offentliche Straße fuhrt durch den Zamser Grund weiter bis zum Schlegeis-Speicher (dem sogenannten Zamser Gatterl), sie ist eine Mautstraße. Direkt am Hauptalpenkamm gibt es mehrere Bergseen. Hochalpine Ubergange bestehen uber das Pfitscher Joch (2246 m) ins Sudtiroler Pfitscher Tal und uber die Alpeiner Scharte (2959 m u. A.) ins Valser Tal. Geschichte Das Hochtal gehorte zu dem heute in Sudtirol liegenden Dorf Pfitsch, die Almen im hinteren Teil des Tals werden immer noch von Sudtiroler Bauern bewirtschaftet. Das war moglich, weil das Pfitscher Joch einer der niedrigsten Alpenubergange im Zillertal ist. Es wurde nicht nur das Vieh uber den Alpenubergang getrieben, sondern bereits im 14. Jahrhundert Handel mit Wein und Kase uber das Joch abgewickelt. So bestatigte Konrad Oder um 1382, dass das Vieh, das uber das Joch getrieben wurde, keiner Verzollung unterliege. Es gibt noch eine alte Zollhutte am Eingang des Tals. Im Tal wurden auch verschiedene Materialien wie Magnetit, Turmalin, Aktinolith, Bergkristall, Amethyst und Fluorit gefunden. Der Name der Lavitzalm durfte vom „Lavetzstein“ (Sudtiroler Ausdruck fur Speckstein) abgeleitet sein. Dieser wurde seit dem 7. Jahrhundert n. Chr. im Bereich der Alm abgebaut und zur Herstellung von verschiedensten Objekten wie gedrechselten Gefaßen verwendet. An neun Stellen wurden Fragmente von Lavezgefaßen sowie Abbauspuren wie kreisrunde bis zu 50 cm große Kuhlen und oberflachliche langliche und punktformige Vertiefungen gefunden, die durch den Abbau mit Pickeln und Meißeln entstanden sind. Um 1560 wurde ostlich vom Pfitscherjoch ein Schwefelbergbau betrieben. Im Riepenkar am Sudfuß des Olperers in einer Hohe von 2800 m wurden im Jahr 2000 in einer Quarzkluft prahistorische Abbauspuren und Artefakte gefunden, die vermutlich aus Bergkristall hergestellt waren. Es deutet darauf hin, dass hier im Mesolithikum und Neolithikum durch hochalpine Jager Bergkristall abgebaut wurde, der zu Geraten wie Klingen und Pfeilspitzen verarbeitet wurde. An gleicher Stelle wurden auch Hornsteine vom Gardasee gefunden. Diese belegen, dass bereits vor 9000 Jahren ein Tauschhandel uber die sogenannte „Bergkristallstraße“ im Tal vom Sudrand der Alpen zu Gebieten nordlich der Alpen betrieben wurde. Der Name Zamser Grund geht auf den gleichnamigen Gewassernamen, den Zamser Bach, zuruck. Zams ist vorromischer Herkunft und bedeutet durch feuchtes Land fließender Fluss. Grund ist ein in Tirol ublicher Begriff fur Tal. Alpinismus = Wandern = Trotz der hochalpinen Lage gibt es im Zamser Grund einige moderate Wanderwege, so z. B. den Wanderweg vom Parkplatz an der Staumauer den Stausee entlang und dann zum Furtschaglhaus. Dieser Weg uberwindet nur 520 Hohenmeter, ist 14,3 km lang und man benotigt etwa 4,5 Stunden. Ein etwas anspruchsvollerer Rundweg beginnt ebenfalls am Parkplatz am Stausee und fuhrt uber einen Rundweg zur Olpererhutte, von dort in das Unterschrammachkar und wieder zuruck zum Ausgangspunkt. Fur diesen Pfad sind 750 Hohenmeter und 8,9 km zu uberwinden. Trittfestigkeit und Kondition wird fur diese Tour vorausgesetzt. = Klettersteig = An der 131 m hohen Staumauer wurde ein Klettersteig eingerichtet, der die gesamte Staumauer von unten nach oben quert. Dieser Klettersteig ist der langste seiner Art. = Mountainbiken = Der Ubergang uber das Pfitscher Joch ist eine beliebte Route fur Mountainbiker, um die Alpen zu queren. Beim Aufstieg muss das Rad ein Stuck getragen werden, bietet dann aber eine Abfahrt durch das Pfitschertal. Zamser Grund Trivia: „Top Fotospot an der Olpererhutte“ Vom Schlegeisspeichersee fuhrt ein Weg zur Olpererhutte, der nach der Hutte uber eine kurze Hangebrucke fuhrt. Obwohl diese nur knapp 2 m uber dem Boden einen Bach quert, kann bei geschickter Auswahl des Bildausschnittes der Eindruck entstehen, als wurde die Brucke uber dem Speichersee schweben. Nachdem 2020 ein so entstandenes Foto auf Instagram gepostet wurde, ist ein regelrechter Ansturm von Menschen entstanden, die ein ahnliches Foto haben wollen. Das hat zu Staus an den Parkplatzen beim Speichersee gefuhrt, zudem sind viele Besucher dem Aufstieg von 600 Hohenmetern auf einem Bergpfad nicht gewachsen. Ab 2028 sollen nur noch emissionsfreie Autos zum Speichersee fahren durfen. Weblinks Einzelnachweise
Der Zamser Grund ist ein Seitental des Zillertals sudwestlich von Mayrhofen in den Zillertaler Alpen in Tirol. Es ist ein etwas abgelegenes, unbewohntes Hochtal, das an den Alpenhauptkamm grenzt. Im Tal befindet sich ein großer Speichersee zur Stromerzeugung. Uber das Pfitscher Joch existiert ein Ubergang nach Sudtirol.
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More Than This ist ein Popsong der britischen Artrock-Band Roxy Music aus dem Jahr 1982. Er erschien zunachst als Single und wenig spater auf Avalon, dem letzten Studioalbum der Band. Das von Bryan Ferry geschriebene Lied kam in vielen Landern in die Top Ten der nationalen Hitparaden und gehort zu Roxy Musics bekanntesten Stucken. Entstehung 1982 brachte die britische Band Roxy Music mit Avalon ihr achtes und bislang letztes Studioalbum heraus. Zu den zehn Liedern, die auf Avalon enthalten sind, gehort More Than This, das von Bryan Ferry getextet und komponiert wurde. Ferry schrieb samtliche Lieder des Albums wahrend eines Aufenthalts in Galway an der Westkuste Irlands. Er behauptete spater, dass die „dunkle Melancholie“ des gesamten Albums wohl auf die dortige Stimmung zuruckzufuhren sei. Speziell More Than This sei außerdem unter dem Einfluss der Erfahrung einer kurz zuruckliegenden Trennung entstanden. Inhalt = Text = Das generelle Thema des Liedes, das bereits im Titel angelegt ist, ist der Wunsch nach „mehr“. Das lyrische Ich befindet sich in einer nicht naher konkretisierten Situation, die nicht zufriedenstellend ist. Es hat den Wunsch nach „more than this“ – mehr als dies –, also nach einer Weiterentwicklung oder Verbesserung der gegenwartigen Situation. Zentrale Bilder im Lied sind Naturphanomene wie die Gezeiten und der Wandel der Jahreszeiten. Der Text lasst einige Interpretationsmoglichkeiten zu. Dass es um eine Liebesbeziehung geht, ist nicht eindeutig; das Wort Love kommt jedenfalls nicht vor. Trotzdem ist die Annahme, More Than This beschaftige sich mit einer Liebeskonstellation, weit verbreitet. So lasst sich das Lied als Wunsch nach der Vertiefung einer bestehenden oder nach Fortsetzung einer gescheiterten Beziehung interpretieren. Am Ende steht die Erkenntnis, dass sich die Dinge zwar immer wieder verandern, dass man aber diesem Prozess keine Richtung geben konne, sondern den Gegebenheiten ausgeliefert sei. Die im Lied genannten Gezeiten stehen nach Auffassung mancher Autoren sinnbildlich fur die Unvorhersehbarkeit. Andere sehen diesen Vergleich als Hinweis auf wechselnde Intensitaten von Beziehungen: Ahnlich wie die Gezeiten sei sie mal tief und mal weniger tief, und es konne sein, dass ein Partner eine Ruckzugsphase zum Anlass nehme, die Beziehung zu beenden, obwohl auf Ebbe regelmaßig Flut – das heißt: auf eine schlechte Zeit auch wieder eine gute – folge. Ferry beschrieb More Than This 2022 als „sein poetischstes Lied“: „Es benutzt sehr wenige Worte, aber es scheint sie in die richtige Reihenfolge zu bekommen“, sodass sie die Menschen beruhrten. = Musik = Die Musik zu More Than This ist im 4/4-Takt geschrieben, die Tonart ist F-Dur. In der Roxy-Music-Aufnahme wird das Stuck mit einem Tempo von 129 bpm gespielt. Eine Besonderheit des Roxy-Music-Arrangements ist das fur einen Popsong ungewohnlich lange Outro: Ferrys Gesang endet nach 2:45 Minuten; daran schließt sich ein 1:45 Minuten langes Nachspiel mit Synthesizern und Chorgesang an, das langsam ausgeblendet wird. Produktion Fur die Produktion zeichneten alle Roxy-Music-Mitglieder sowie Rhett Davies verantwortlich. Die Aufnahme erfolgte im Jahr 1981 in den Compass Point Studios in Nassau (Bahamas). Mitwirkende Veroffentlichung More Than This wurde im Marz 1982 bei E.G. Records unter der Katalognummer E’G Roxy 3 als Single mit der B-Seite India veroffentlicht. Das Frontcover wurde von Peter Saville gestaltet. Es verwendet einen quadratischen Ausschnitt des 1872 entstandenen Gemaldes Veronica Veronese von Dante Gabriel Rossetti. Im Mai 1982 erschien das Lied als Eroffnungsstuck des Albums Avalon. Im August desselben Jahres wurde zudem bei Warner Bros. Records in den Vereinigten Staaten eine Singleausfuhrung mit der B-Seite Always Unknowing (Katalognummer: 7-29912) veroffentlicht. Rezeption Einige Kritiker zahlen More Than This zu den besten Werken von Roxy Music: Das Lied sei ein kunstvoll gefertigtes, herrlich gecroontes Stuck Synthiepop fur Erwachsene. Nur sehr wenige Stucke wurden es schaffen, so sinnlich und unverfroren romantisch zu sein wie More Than This, ohne in reines Schmalz abzugleiten. Chartplatzierungen Coverversionen Die Datenbank secondhandsongs.com notiert etwa 50 Coverversionen von More Than This. Zu den bekanntesten gehort die Version der US-amerikanischen Folk-Rock-Band 10,000 Maniacs, die im Sommer des Jahres 1997 Platz 25 in den amerikanischen Charts erreichte. Verwendung in Lost in Translation In Sofia Coppolas 2003er Spielfilm Lost in Translation singt Bill Murray in der Rolle der mannlichen Hauptfigur Bob Harris More Than This in einer Karaoke-Bar in Tokio. Das Lied steht hier in einem inhaltlichen Kontext zum Thema des Films: Lost in Translation beschreibt die Beziehung zwischen einem alternden mannlichen Filmstar (Murray) und einer 30 Jahre jungeren Frau (gespielt von Scarlett Johansson), die platonisch bleibt. Indem der mannliche Hauptdarsteller in Anwesenheit der Frau More Than This singt, deutet er an, dass „mehr als das“ – also mehr als eine platonische Beziehung – daraus werden konnte, und macht zugleich klar, dass das nicht passieren wird. Literatur Jurgen Wanda: Re-Make. Die Geschichte von Roxy Music, Bryan Ferry & Brian Eno. Star Cluster, 1997, ISBN 978-3-925005-45-9. Weblinks More Than This bei AllMusic (englisch) More Than This bei Discogs More Than This auf songfacts.com Roxy Music: More Than This auf YouTube Einzelnachweise
More Than This ist ein Popsong der britischen Artrock-Band Roxy Music aus dem Jahr 1982. Er erschien zunachst als Single und wenig spater auf Avalon, dem letzten Studioalbum der Band. Das von Bryan Ferry geschriebene Lied kam in vielen Landern in die Top Ten der nationalen Hitparaden und gehort zu Roxy Musics bekanntesten Stucken.
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c-96
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c-97
Koflachit ist ein mogliches fossiles Harz (Bernstein) oder Gemisch verschiedener Kohlenwasserstoffverbindungen aus den neogenen Braunkohleschichten des Voitsberg-Koflacher-Reviers in der Weststeiermark. Schon Cornelio August Doelter, der Erstbeschreiber des Minerals, sah darin eine wahrscheinliche Varietat des Jaulingit. Die Eigenschaften des Koflachit sind untypisch fur fossile Harze, weshalb in der spateren Forschung die Zuordnung, aber auch die Eigenstandigkeit als fraglich angesehen wird. Koflachit findet sich dennoch immer wieder als Bezeichnung. Beschreibung und Eigenschaften Laut Cornelio August Doelter, der das Mineral erstmals beschrieb, soll es ein dunkelbraunes Harz sein, dessen Splitter durchscheinend und rotlichbraun gefarbt sind. Der Bruch sei muschelig. Doelter gibt den Schmelzpunkt bei etwa 98 °C und eine Dichte von 1,2 bis 1,25 g/ml an. Diese Eigenschaften sind fur fossile Harze ungewohnlich. Auch die Angabe, dass Koflachit sich schnell und vollstandig in Ether auflose und auch in Kohlenstoffdisulfid loslich sei, ist untypisch fur Bernsteine. Das von Doelter genutzte Originalmaterial ist aber nicht mehr auffindbar. W. Siegl beschreibt Koflachit als braun mit einer schokoladenbraunen Fluoreszenz. Eine von Norbert Vavra 1992/93 untersuchte Probe von vermeintlichem Koflachit aus der Sammlung des Instituts fur Palaontologie der Universitat Wien hatte einen Schmelzpunkt von uber 230 °C. Eine andere zuerst als Retinit bezeichnete, bei Rosental an der Kainach gesammelte Probe aus der Mineralogischen Sammlung des Landesmuseums Joanneum zeigte ubereinstimmende Eigenschaften mit dem zuvor beschriebenen Koflachit. Vavra konnte mit Gaschromatographie belegen, dass sich Koflachit fast zur Halfte aus Eudesman und Phyllocladan (Branchit) zusammensetzt. Daneben fand er noch als weitere Bestandteile Dehydroabietan, Sandarocopimaran, Simonellit sowie ein mogliches Reten, wobei es sich auch um ein anderes isomeres Kohlenstoffgemisch mit der gleichen Molekulmasse handeln konnte. Forschungsgeschichte Der Geologe Cornelio August Doelter beschrieb 1879 ein organisches Mineral (Retinit) aus dem Hangendstollen des Gottesgabenschachts bei Maria Lankowitz als Koflachit. Der Name leitet sich vom Fundort nahe der Stadt Koflach ab. Der Koflachit kam dort in zolldicken Schichten in der neogenen Braunkohle (Ablagerung im Karpatium, d. h. vor 17 bis 16 Millionen Jahren) vor. Doelter benannte das Mineral zwar, sah es aber als wahrscheinliche Varietat des Jaulingit oder zumindest chemisch diesem sehr nahestehend. Er schlug deshalb vor, chemisch sehr nahe verwandte Harze unter einem gemeinsamen Namen zu fuhren, da es je nach Fundort kleine Unterschiede in der Zusammensetzung gebe. Eine Unterscheidung konne durch die Angabe des Fundortes erfolgen. Eduard Hatle folgte 1885 der Ansicht Doelters in seiner Beschreibung Die Minerale des Herzogthums Steiermark und fuhrte den Koflachit als Varietat des Jaulingits. Auch der Mineraloge Heinz Meixner teilte 1950 diese Ansicht. Der Botaniker Jiri Paclt beschrieb 1953, dass das Harz, aus dem sich Koflachit zusammensetzt, wahrscheinlich von Nadelbaumen, moglicherweise vom Zypressengewachs Taxodioxylon stammte. Paclt vermerkt aber nicht, wie er auf einen pflanzlichen Ursprung des Koflachit kam. Norbert Vavra untersuchte 1992/93 eine Koflachitprobe, bei der festgestellt wurde, dass es sich zum uberwiegenden Teil um ein Gemisch von verschiedenen Kohlenwasserstoffen, vor allem Phyllocladan, handelt. Dadurch setzt sich der untersuchte Koflachit zu etwa einem Viertel aus reinem Branchit (ehemals Hartit) zusammen. Fur die Untersuchung wurden zwei Proben mit den Fundortangaben Koflach und Rosental an der Kainach genutzt, weil das von Doelter beschriebene Originalmaterial sich nicht mehr auffinden ließ. Die Probe aus Koflach wies allerdings einen viel hoheren Schmelzpunkt auf als von Doelter angegeben, so dass es fraglich ist, ob es wirklich Koflachit war. Laut Vavra ist Koflachit ein Gemisch verschiedener Kohlenwasserstoffe und kein Harzmineral im eigentlichen Sinn. Anhand dieser Ergebnisse fuhrte Vavra den Arbeitsbegriff Hartit-Gruppe ein, in die er neben dem namensgebenden Hartit/Branchit und dem Koflachit auch ahnliche organische Minerale wie Jaulingit und Ixolith stellte. Als moglichen pflanzlichen Ursprung des Koflachit nennt er die beiden Gattungen Cryptomeria und Sciadopitys. Gerhard Heck bezeichnete 1999 in seiner vergleichenden Studie zur Unterscheidung von Bernstein mittels Pyrolyse-Gaschromatographie einen Bernstein aus Koflach, bei dem es sich vermutlich um Koflachit handelt, als eigenstandigen Bernstein aus Osterreich. Auch Waltraud Winkler bezeichnete in einer 2001 publizierten vergleichenden Studie zur Reifung fossiler Harze durch Raman-Spektroskopie Material aus Koflach als fossiles Harz. Literatur Norbert Vavra: Bernstein und verwandte Organische Minerale aus Osterreich. In: Beitrage zur Palaontologie. Band 29. Wien 2005, S. 255–280 (zobodat.at [PDF; 2,5 MB]). Einzelnachweise
Koflachit ist ein mogliches fossiles Harz (Bernstein) oder Gemisch verschiedener Kohlenwasserstoffverbindungen aus den neogenen Braunkohleschichten des Voitsberg-Koflacher-Reviers in der Weststeiermark. Schon Cornelio August Doelter, der Erstbeschreiber des Minerals, sah darin eine wahrscheinliche Varietat des Jaulingit. Die Eigenschaften des Koflachit sind untypisch fur fossile Harze, weshalb in der spateren Forschung die Zuordnung, aber auch die Eigenstandigkeit als fraglich angesehen wird. Koflachit findet sich dennoch immer wieder als Bezeichnung.
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c-98
Der Codex Sangallensis 966 (Cod. Sang. 966) ist eine «Sammelhandschrift zur geistigen Erbauung» der Codices Sangallenses, die in der Stiftsbibliothek St. Gallen aufbewahrt werden. Der Codex aus den Jahren um 1440/1450 enthalt Stucke geistlichen Inhalts in deutscher Sprache. Darunter sind drei Betrachtungen oder Predigten von Meister Eckhart und seiner Schule, eine Nikolaus von Lyras zugeschriebene Betrachtung uber das Buch Daniel und Spruche von Aposteln, Kirchenvatern und antiken Philosophen. Von Bedeutung ist das St. Galler Weihnachtsspiel aus dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts als altestes deutschsprachiges Spiel in seiner Art. Die Sammelhandschrift wurde im Rahmen des Projektes e-codices – Virtuelle Handschriftenbibliothek der Schweiz digitalisiert und ist dort seit Dezember 2006 frei zuganglich. Beschreibung Der Codex hat 235 Seiten mit den Abmessungen 21 cm × 14,6 Zentimeter. Er ist von einer einzigen Hand in «gut leserlicher» Bastarda 27- bis 33-zeilig auf einem Schriftspiegel von etwa 15,5–16,5 cm × 10–11 cm geschrieben. Uberschriften, Initialen, Schlusszeichen sowie Zierstriche sind rubriziert. Schreibsprache ist nach Joseph Klapper der Dialekt des St. Galler Landes; nach Emilia Batschmann ist die Abschrift im ostlichen Teil des alemannischen Sprachgebiets entstanden. Eine zweite Hand hat eine geringe Zahl von Korrekturen eingefugt. Die Paginierung stammt von einer dritten Hand. Beschreibstoff ist Papier, das anhand des Ochsenkopfwasserzeichens auf die Jahre 1437–1450 datiert werden konnte. Der Einband aus spaterer Zeit besteht aus orangebraunen Kartondeckeln mit einem Rucken aus hellbraunem Leder. Zwei kleine rotgerahmte Papierschilder der Stiftsbibliothek enthalten die Inhaltsangabe «Hl. Spruche. | Propheten | in Reimen. | Nic. de Lyra.» sowie die Signatur «966». Inhalt der Sammelhandschrift Inhaltsangabe Gustav Scherrers, erganzt um die Beschreibung im Handschriftencensus: Drei Betrachtungen, S. 3–11 Es lert bruder David suben gross nutz die man gewinnet von siechtagen und Anderes, S. 13 Pseudo-Anselmus: Fragen S. Anshelms an den Kranken, S. 18–19 Spruche und Ermahnungen der Apostel, Kirchenvater und Kirchenlehrer, S. 19–50 Eckhart-Legenden / Meister Eckhart und der arme Mensch, S. 50–52 (Guiard von Laon:) Von zwolf Nutzen des Sakraments (Zwolf-Fruchte-Traktat), S. 54–60 S. Thomas spricht, S. 60–68 Vaterunserauslegung, Ciprianus spricht etc., S. 68–76 Johannes Franke (?): Von zweierlei Wegen, Abhandlungen uber Trinitat und Anderes, S. 76–86 Drei Predigten Meister Eckharts, S. 87–98 Elsbeth von Oye: Offenbarungen, S. 98–99 Herzklosterallegorie / In dem clostir der selin got ist der prior, S. 103 Funfzehn Zeichen vor dem Jungsten Gericht, S. 104–105 Funfzehn Zeichen in der Geburtsnacht Christi, S. 105–107 Die Wunder der hl. drei Konige, S. 107–108 Die zwolf guten Menschen und der Jungling, S. 108–109 Predigt uber die Vision des Hosea, S. 109–112 Andere Predigt, S. 112–114 Spruche, S. 114–115 Hie lis von ainer guter closnerin (ain bredig von Sant Katherinen), S. 115–121 Vergleichung der X Gebote mit 10 «Helblingen», S. 121–129 Hie vint man die propheten und die propheten spruch von der geburd ihesu Ch.i., S. 129–169 Marquard von Lindau: De Nabuchodonosor (deutsch), Nikolaus von Lyra zugeschrieben, S. 170–233. St. Galler Weihnachtsspiel Das «St. Galler Weihnachtsspiel» (auch St. Galler Spiel von der Kindheit Jesu) ist das alteste deutschsprachige Spiel in seiner Art und nur in dieser einzigen Abschrift des 15. Jahrhunderts erhalten. Die Entstehungsorte des Sammelbandes und seiner Urtexte sind unbekannt. Fur das Weihnachtsspiel weist Batschmann auf eine «enge stilistische Verwandtschaft» mit dem Osterspiel von Muri hin. Es sei jedoch nach diesem entstanden, zehn Reime mit oberdeutscher Apokope lassen sie den Urtext des Spiels auf das letzte Drittel des 13. Jahrhunderts datieren. Das Spiel nimmt die Seiten 129 bis 169 des Codex ein und ist mit Hie vint man die propheten und die propheten spruch von der geburd ihesu Ch.i uberschrieben. Es ist 1081 Verse lang und gliedert sich in vier Teile. Bei der Abschrift wurden sieben der sich paarweise reimenden Verse ausgelassen. Im ersten Teil treten die Propheten auf, die auf die Ankunft des Messias hinweisen. Ab Vers 264 folgt im zweiten Teil die Vorgeschichte der Geburt Jesu Christi. Dazu gehoren Maria Verkundigung sowie Heimsuchung. Die Herbergssuche fehlt. Nach der Hirtengeschichte folgt die Anbetung Marias durch die Tochter Zions. Der dritte, langste und «zentrale» Teil (Vers 506–975) schildert den Weg der Heiligen Drei Konige bis zur Anbetung. Es folgen der Totungsbefehl von Konig Herodes und die Warnung Josefs durch den Engel. Die folgende Flucht nach Agypten ist Thema des kurzen vierten Teils. Das Spiel ist nicht chronologisch angelegt, regelmassige Ruckbezuge auf die Prophetien des ersten Teils machen in den beiden folgenden Teilen einen grossen Anteil des Textinhalts aus. Ein wichtiger Bestandteil des Textes ist eine umfangreiche Klage der Christenheit in Agypten. Diese bringt das Schicksal der Israeliten im Alten Testament mit dem Kindermord in Bethlehem in Verbindung. Nach der jungeren Forschung wurde das Weihnachtsspiel als Lesespiel geschaffen, das unabhangig vom liturgischer Kalender einer «ubergreifenden Erkenntnis dienen sollte» und «nicht bloss zu Weihnachten» vorgetragen wurde. Erhartet wird dies durch fehlende Regieanweisungen und die Aufnahme in eine Sammelhandschrift mit geistlichen Texten. Verschiedene Buhnenfassungen entstanden zwischen 1928 und 1978, unter anderem durch Hans Reinhart. Zu dieser «breiten» Rezeption gehorten standardsprachliche und Dialektfassungen. Batschmann veroffentlichte 1977 die erste wissenschaftliche Edition des Spiels. Transkribierter Anfang des dritten Teils, siehe Bild: Literatur Ruth Wiederkehr: Ein Spiel nicht bloss zu Weihnachten. In: Cornel Dora (Hrsg.): Nur Du! Einmaliges in der Stiftsbibliothek St. Gallen. Winterausstellung 14. November 2023 bis 21. April 2024. Verlag am Klosterhof, St. Gallen 2023. ISBN 978-3-905906-52-3, S. 46–47. Emilia Batschmann: Das St. Galler Weihnachtsspiel (Altdeutsche Ubungstexte, Band 21). Francke, Bern 1977. Franz Josef Mone: Schauspiele des Mittelalters. Aus handschriftlichen Quellen herausgegeben und erklart. Macklot, Karlsruhe 1846. Band 1, S. 132–181. Joseph Klapper: Das St. Galler Spiel von der Kindheit Jesu. Untersuchungen und Text (Germanistische Abhandlungen, Band 21). Breslau 1904. S. 25–31, 123–126. Olms, Hildesheim 1977. Buhnenfassungen des Weihnachtsspiels: St. Galler Spiel von der Kindheit Christi (13. Jahrhundert) / In gekurzter Fassung frei aus dem Urtext in neu-schweizerische Mundart ubertragen und zur Auffuhrung eingerichtet von Hans Reinhart. Geering, Basel 1928. St. Galler-Spiel von der Kindheit Jesu (aus dem 13. Jahrhundert) / frei aus dem Urtext ubertragen und auf die Buhne eingerichtet von Hans Reinhart; Musik von Robert Blum. Gehring, Toss-Winterthur und NZZ-Verlag, Zurich [1940]. Das St. Galler Spiel von der Kindheit Jesu. Deutsches Weihnachtsspiel… aufgefuhrt von Schulern des stadtischen Lehrerseminars Luzern / Spielleitung Rudolf Meyer. Luzern 1967. Das St. Galler Weihnachtsspiel. Die mittelhochdeutsche Fassung in der Stiftsbibliothek St. Gallen in heutiger St. Galler Mundart / nachgestaltet von Hermann Bauer. Verlag Leobuchhandlung, St. Gallen 1978. Weblinks Startseite des Digitalisats der Virtuellen Handschriftenbibliothek der Schweiz (e-codices) Beschreibung bei e-codices Eintrag im Handschriftencensus Belege
Der Codex Sangallensis 966 (Cod. Sang. 966) ist eine «Sammelhandschrift zur geistigen Erbauung» der Codices Sangallenses, die in der Stiftsbibliothek St. Gallen aufbewahrt werden. Der Codex aus den Jahren um 1440/1450 enthalt Stucke geistlichen Inhalts in deutscher Sprache. Darunter sind drei Betrachtungen oder Predigten von Meister Eckhart und seiner Schule, eine Nikolaus von Lyras zugeschriebene Betrachtung uber das Buch Daniel und Spruche von Aposteln, Kirchenvatern und antiken Philosophen. Von Bedeutung ist das St. Galler Weihnachtsspiel aus dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts als altestes deutschsprachiges Spiel in seiner Art. Die Sammelhandschrift wurde im Rahmen des Projektes e-codices – Virtuelle Handschriftenbibliothek der Schweiz digitalisiert und ist dort seit Dezember 2006 frei zuganglich.
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c-99
Love Is Enough (englisch fur „Liebe ist genug“) ist ein Lied der Schweizer Mundart- und Popsangerin Kisha aus dem Jahr 1998. Bekanntheit erlangte das Stuck als Titellied zur Fernsehserie In aller Freundschaft. Entstehung und Veroffentlichung Getextet, komponiert und produziert wurde das Lied gemeinsam von Peter Hantke, Detlef Holler und Frank Reinert. Beim Schreibprozess bekam das Trio zudem Unterstutzung durch Ursula Kobel. Die Produktionsarbeiten fanden dabei im Studio in Kamp-Lintfort statt. Die Erstveroffentlichung von Love Is Enough erfolgte als Single am 6. November 1998 bei Lautstark Records. Diese erschien als CD-Maxi-Single mit dem Lied On My Way und einer Akustikversion zu Love Is Enough als B-Seiten (Katalognummer: 74321 62191 2). Am 13. April 1999 erschien das Lied als Teil von Kishas selbstbetiteltem Debutalbum (Katalognummer: 74321 655812) bei Ariola, dessen zweite Singleauskopplung es ist. Seit dem 26. Oktober 1998 ist das Lied die Titelmusik der ARD-Krankenhausserie In aller Freundschaft. Bis Dezember 2005 (Folge 291) war das Lied mit Gesang auch im Abspann zu horen. Seit Januar 2006 (Folge 292) ist das Lied nur noch instrumental im Abspann zu horen. Inhalt und Stil Das Lied erzahlt die Geschichte von zwei Liebenden, die aus Sicht ihrer Mitmenschen zu jung sind, die ihnen prophezeien, dass ihre Liebe nicht fortbestehen werde („Everybody says we’re too young, our love is not going on“). Das lyrische Ich setzt in dem Refrain dem Ganzen entgegen, dass ihre Liebe ausreichend genug sei, um nicht auseinanderzugehen. Die Tonart des Titels ist Gis-Dur mit 111 Schlagen pro Minute. Musikvideo Das dazugehorige Musikvideo zahlt (Stand: Februar 2025) uber 225.000 Aufrufe auf der Videoplattform YouTube. Chartplatzierungen Coverversionen Die Schauspielerinnen Andrea Kathrin Loewig und Alexa Maria Surholt, die die Hauptrollen in In aller Freundschaft spielen, interpretierten das Lied im Jahr 2003 unter dem Titel Liebe macht Spaß. 2023, zum 25-jahrigen Jubilaum der Serie, haben Prominente und das In-aller-Freundschaft-Team das Lied zusammen unter Federfuhrung von Das Erste neu eingespielt und beim Fernsehmagazin Brisant erstmals vorgetragen. Siehe auch Liste von Titel- und Erkennungsmelodien aus Funk und Fernsehen Weblinks Musikvideo auf YouTube Einzelnachweise
Love Is Enough (englisch fur „Liebe ist genug“) ist ein Lied der Schweizer Mundart- und Popsangerin Kisha aus dem Jahr 1998. Bekanntheit erlangte das Stuck als Titellied zur Fernsehserie In aller Freundschaft.
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