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Bunny „Striker“ Lee, OD (* 23. August 1941 in Kingston als Edward O’Sullivan Lee; † 6. Oktober 2020 ebenda) war ein einflussreicher und produktiver jamaikanischer Musikproduzent. Er hat maßgeblich zur Entwicklung von Reggae, Dub und Dancehall beigetragen. Lee machte Aufnahmen mit Lee Perry, Bob Marley, den Hippy Boys, Roland Alphonso, Dennis Alcapone, King Tubby, Tommy McCook und Beenie Man. Zu seinen bekanntesten und erfolgreichsten Produktionen gehoren Max Romeos Wet Dream, Bangarang von Stranger Cole und Lester Sterling, Better Must Come von Delroy Wilson und Cherry Oh Baby von Eric Donaldson. Sein Markenzeichen war eine Kapitansmutze.
Werdegang Bunny Lee kam im Jubilee Hospital Kingston zur Welt. Nach seinem Schulabschluss machte er eine Elektrikerausbildung und reparierte NSU Quicklys, bevor er als Verkaufer bei Uni Motors und Kingston Industrial Garage (KIG) anfing. Ab 1962 arbeitete er nebenher als Plattenpromoter (record plugger) fur Duke Reids Musiklabel Treasure Isle, Coxsone Dodds Studio One und Leslie Kongs Beverley’s Records. Nachdem er 1967 seinen ersten Hit (Music Field, gesungen von Roy Shirley) veroffentlicht hatte, beendete er seine Tatigkeit bei KIG und machte sich mit seinem Label Striker Lee selbstandig. Im Jahr darauf flog er nach London, kontaktierte Chris Blackwell von Island Records und ließ sich statt Geld neue Musikinstrumente fur seine Band geben. Bobby Aitken bekam eine Gretsch-Gitarre und Alva „Reggie“ Lewis eine Gibson sowie einen kleinen Hofner-Bass, wie ihn auch die Beatles verwendeten. In London schloss Striker Vertrage mit den Musiklabeln Trojan und Pama; Letztere veroffentlichten seine Produktionen auf dem eigens geschaffenen Sublabel Unity.
Zusammen mit dem Saxofonisten Lester Sterling von den Skatalites, dem Sanger Stranger Cole und dem Keyboarder Lloyd Charmers nahm Bunny Lee in den Treasure Isle Studios die Single Bangarang auf. Das Lied basierte großtenteils auf dem Bongo Chant von Kenny Graham’s Afro-Cubists aus dem Jahr 1955. Die Idee fur den Liedtext „Mumma no wan bangarang“ (Patwah fur „Mama will keinen Stress“) geht auf Cole zuruck. Das Arrangement mit dem neuartigen Rhythmus war eine Idee von Lester Sterling. Die Aufnahme, die gemeinhin als erster Reggae-Song gilt, erschien 1968 auf Unity.
Ein erster Uberraschungserfolg fur Unity war die sexuell anstoßige Single Wet Dream von Max Romeo. Obwohl das Reggae-Stuck wegen seines zweideutigen Textes nicht von der BBC im Radio gespielt wurde, kam es im Sommer 1969 in die Top Ten der britischen Hitparade und blieb insgesamt 25 Wochen in den UK-Single-Charts. Somit gehort Wet Dream – neben dem Welthit Israelites von Desmond Dekker & The Aces aus der gleichen Zeit – zu den ersten jamaikanischen Titeln, die auch außerhalb der Karibik erfolgreich waren und den Reggae bekannt machten.
Im Jahr 1970 kam es zur einzigen Aufnahme mit Bob Marley & The Wailers. In dem Diss-Track Mr. Chatterbox machen sich Marley und Lee uber die Geschwatzigkeit des Produzenten Niney The Observer lustig. Zu Beginn der Aufnahme ist sogar Bunny Lees Stimme zu horen, die sich auf Patois uber die nahende Ankunft von „Mr. Talkative“ amusiert.
Die 1970er Jahre begannen mit einer Reihe großer Hits. Im Jahr 1971 war er mit seiner Produktion von John Holts Stick By Me am langsten ununterbrochen auf Platz eins der jamaikanischen Charts. Im selben Jahr wurde ihm fur den Reggae-Superhit Cherry Oh Baby von Eric Donaldson die erste Goldene Schallplatte Jamaikas verliehen, uberreicht durch Tom Dowd vom US-amerikanischen Musiklabel Atlantic Records. Cherry Oh Baby gilt als Jamaikas meistverkaufte Platte (Stand 2024). Sie wurde spater von Seeed, UB40 und den Rolling Stones, die ihre Version auf dem Album Black and Blue veroffentlichten, prominent gecovert.
Mit dem Toningenieur und Studiobesitzer King Tubby und seiner Studioband The Aggrovators entstanden ab Mitte der 1970er Jahre eine Reihe von Dub-Alben, die das neue Genre mit definierten.
Im Jahr 1983 produzierte Lee The Invincible Beany Man – The 10 Year Old D.J. Wonder, das Debutalbum des damals erst zehnjahrigen Dancehall-Deejays Beenie Man.
Lee starb am 6. Oktober 2020 in seiner Geburtsstadt Kingston im Alter von 79 Jahren an Herzversagen.
Familie Bunny Lee fand durch die Beziehung zu Yvonne McCloud ins Musikgeschaft, denn sie war die Schwester des Ska- und Rocksteady-Sangers Derrick Morgan.
Bunnys Bruder Don Tony Lee war ebenfalls im Musikgeschaft aktiv. Sein Titel Regay Time von 1968 gehort neben Do the Reggay von The Maytals zu den ersten Songs, die den neuen Musikstil „Reggae“ im Namen tragen.
Lee war zweimal verheiratet, zuerst mit Marva und dann mit Annette Wong-Lee, und soll rund 35 Kinder gezeugt haben.
Ehrungen In den Jahren 1969 bis 1972 wurde Bunny „Striker“ Lee dreimal hintereinander als „Jamaica’s Top Producer“ ausgezeichnet.
Im Oktober 2008 bekam Lee vom Staat Jamaika fur seine 40-jahrigen Verdienste um die jamaikanische Musik den Order of Distinction im Offiziersrang, einen Ehrenorden, verliehen.
Produktionen (Auswahl) = Singles =
1967: Music Field von Roy Shirley
1968: Regay Time von Don T. Lee
1968: Watch This Sound von Slim Smith
1968: Bangarang von Lester Sterling & Stranger Cole (Pama Records)
1969: Wet Dream von Max Romeo (Unity)
1969: 1000 Tons of Megaton von Roland Alphonso with The Bunny Lee All Stars (Pama)
1970: Mr. Chatterbox von Bob Marley & The Wailers (Gorgon Music)
1971: Cherry Oh Baby von Eric Donaldson mit Inner Circle
1972: Stick By Me von John Holt
= Alben =
1971: Better Must Come von Delroy Wilson (Dynamic Sounds)
1971: Eric Donaldson von Eric Donaldson (Dynamic Sounds)
1974: King of the Track von Dennis Alcapone (Magnet)
1975: Dub From the Roots von King Tubby (Total Sounds)
1975: King Tubby Presents The Roots of Dub (Total Sounds)
1975: Brass Rockers – Bunny Lee & King Tubby Present Tommy McCook and The Aggrovators (Total Sounds)
1983: The Invincible Beany Man – The 10 Year Old D.J. Wonder von Beenie Man
2015: Bunny Lee’s Kingston Flying Cymbals (Dubbing with the Flying Cymbals Sound 1974–1979) (Jamaican Recordings)
Filmografie 1982: Deep Roots, Dokumentarfilm des britischen TV-Senders Channel 4.
2012: I Am the Gorgon: Bunny ‘Striker’ Lee and the Roots of Reggae, Regie: Diggory Kenrick, Dokumentarfilm.
Literatur Noel Hawks & Jah Floyd: Reggae Going International 1967–1976. The Bunny ‘Striker’ Lee Story. Jamaican Recordings Publishing, 2012, ISBN 978-0956999108.
Weblinks Bunny Lee bei AllMusic (englisch)
Bunny Lee bei Discogs
Bunny Lee bei IMDb
Bunny Lee bei Trojan Records
Bunny Lee bei Bandcamp
Jackpot Records bei Discogs
Nachrufe
Bunny ‘Striker’ Lee 1941–2020, The Wire vom Oktober 2020 (englisch)
David Katz: Bunny Lee obituary, 9. Oktober 2020 (englisch)
Daniel Kreps: Bunny Lee, Influential Reggae Producer, Dead at 79, 7. Oktober 2020 (englisch)
Musikbeispiele
Don T. Lee: Regay Time (Official Audio) auf YouTube
The Bunny Lee Allstars: Ivan Itler the Conqueror auf YouTube
Bob Marley & The Wailers: Mr. Chatterbox (Official Lyric Video) auf YouTube
Eric Donaldson: Cherry Oh Baby auf YouTube
Einzelnachweise
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Bunny „Striker“ Lee, OD (* 23. August 1941 in Kingston als Edward O’Sullivan Lee; † 6. Oktober 2020 ebenda) war ein einflussreicher und produktiver jamaikanischer Musikproduzent. Er hat maßgeblich zur Entwicklung von Reggae, Dub und Dancehall beigetragen. Lee machte Aufnahmen mit Lee Perry, Bob Marley, den Hippy Boys, Roland Alphonso, Dennis Alcapone, King Tubby, Tommy McCook und Beenie Man. Zu seinen bekanntesten und erfolgreichsten Produktionen gehoren Max Romeos Wet Dream, Bangarang von Stranger Cole und Lester Sterling, Better Must Come von Delroy Wilson und Cherry Oh Baby von Eric Donaldson. Sein Markenzeichen war eine Kapitansmutze.
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Die Kirche Zobigker – seit 2007 Fahrradkirche Zobigker – ist das evangelische Gotteshaus in Zobigker, einem Ortsteil von Markkleeberg, im Landkreis Leipzig in Sachsen. Das Kirchengebaude, dessen Gemeinde zur Martin-Luther-Kirchgemeinde Markkleeberg-West gehort, wird seit 2006 wiederaufgebaut. Sie befindet sich an der Via Imperii und am Lutherweg Sachsen.
Geschichte Die genaue Entstehungszeit des ursprunglichen Gotteshauses ist nicht bekannt. Im Jahr 1724 veranlasste der Rittergutsbesitzer von Zobigker, der sachsische Oberpostmeister Johann Jacob Kees der Jungere, die Erneuerung der alten Kirche von Zobigker im Barockstil. Eine weitere Renovierung fand 1883 unter Leitung des Kirchenbaumeisters Hugo Altendorff statt.
Das Sakralgebaude brannte am 17. Mai 1942 infolge eines Schwelbrandes im Orgelmotor (Geblase-Motor) nieder. Nach Kriegsende und uber Jahrzehnte blieb das Bauwerk als Brandruine stehen, weil die Politik der DDR Kirchenbauten nicht priorisierte und Baumaterialien fur Industriebauten und Wohnhauser benotigt wurden. Erschwerend kam die drohende Abbaggerung von Zobigker wegen des nahenden Braunkohle-Tagebaus Cospuden hinzu.
2006, also etliche Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, starteten Mitglieder der Kirchgemeinde Zobigker auf dem Gelande um die zugewucherte Ruine einen Arbeitseinsatz mit dem Ziel, das Gotteshaus als Fahrradkirche in der Art einer Radwegekirche nutzen zu konnen. Am Ostermontag 2007 wurde der erste Radfahrer-Gottesdienst am Kirchengebaude gefeiert,
Im Jahr 2012 folgte – 70 Jahre nach dem Kirchenbrand – erstmals wieder ein Abendmahlsgottesdienst, diesen hielt der damalige Bischof Jochen Bohl. Nach weiteren Enttrummerungsaktionen gab es 2015 den ersten Gottesdienst im Inneren des niedergebrannten Sakralbaus.
Bauwerk Das Bauwerk ist eine Saalkirche mit Chorturm und eingezogenem Ostchor. Am Baukorper, einem an der Außenseite verputzten Ziegelbau, ist am Turm der Ansatz einer Tonnenwolbung erkennbar.
Erbaut wurde die Kirche im 13. oder 14. Jahrhundert, Umbauten gab es im 18. Jahrhundert, im 19. Jahrhundert und im fruhen 21. Jahrhundert. Folgende Jahreszahlen sind uberliefert: 1726: Erneuerung, 1883: Renovierung, 2006: Neuweihe, 2009: Sicherung, 2014 bis 2020: Sanierungsmaßnahmen sowie Neubau Dachstuhl. Der Sakralbau weist (bzw. wies) Merkmale von Romanik, Barock, Historismus und Moderne auf.
Um nach Jahrzehnten der Verwitterung und des Verfalls die Kirchenruine wieder fur Veranstaltungen nutzen zu konnen, wurde von 2014 bis 2020 die Verkehrssicherheit wiederhergestellt: Es erfolgten Sanierungsmaßnahmen an der einsturzgefahrdeten Bestandsmauer und am Turmstumpf, die Erneuerung des Ringankers, Außenputzarbeiten mit Kalkputz und gesiebtem Quarzsand aus der Grube Großschkorlopp und die Sicherung der historischen Putze aus dem 18. Jahrhundert im ziegelsichtig verbliebenen Innenraum.
Im neu errichteten Sudanbau gibt es eine behindertengerechte Toilettenanlage, im Ostanbau einen Lager- und Medienraum. Im Kircheninneren wurden die Bodenbelage erneuert, und neu eingelassene Fundamente tragen den Dachstuhl fur das lichtdurchlassige Membrandach.
Am 13. Mai 2024 wurden per Schwerlastkran die beiden je zwolf Tonnen schweren Turmelemente aufgesetzt und mit dem Betonanker verbunden. Damit gilt der Wiederaufbau nach 18 Jahren als weitgehend abgeschlossen. Die Gesamtkosten lagen laut Forderverein bei einem „mittleren sechsstelligen Betrag“, die auch dank zahlreicher Helfer, Spender und Sponsoren zusammengetragen werden konnten.
Projekt Fahrradkirche Zobigker Im Oktober 2006 startete die Martin-Luther-Kirchgemeinde Markkleeberg-West ihr Projekt Fahrradkirche Zobigker entsteht aus einer Ruine. Das Ziel ist, die einstige Dorfkirche Zobigker mit ihrem Außengelande zu beleben – als Ort der Besinnung, der Begegnung und der Kommunikation fur Markkleeberger, fur Besucher aus dem Umland und fur Touristen –, unabhangig von sozialen Schichten und Herkunft.
Das Kirchengrundstuck In der Nahe des Hafens Zobigker liegt im Naherholungsgebiet Leipziger Neuseenland, das ein umfangreiches und modernes Radwegenetz hat. Der Radweg Neuseenlandroute ist rund 100 Kilometer lang, verlauft am Ostufer des Cospudener Sees und wird sowohl von Einheimischen als auch von Tages- und Wochenendausfluglern genutzt. Außerdem fuhrt der okumenische Pilgerweg Via Imperii dort entlang.
Die Fahrradkirche bietet die Gelegenheit, abseits der Touristenstrome zu Besinnung zu finden sowie besondere Veranstaltungen zu erleben. Das Fahrrad soll dabei auch als Symbol zur Bewahrung der Schopfung verstanden werden. Ziel ist, die Fahrradkirche Zobigker nach Ende des Wiederaufbaus als verlasslich geoffnete Kirche zu verankern – unter dem Leitsatz „Wen durstet, der komme“ (Offenbarung 22,17). Neben der Vermittlung von Geschichte und Kultur sollen christliche Werte erlebbar und auch Nichtchristen der Zugang zur Kirche, Gott und zueinander angeboten werden.
Forderverein Der Verein der Freunde und Forderer der Fahrradkirche Zobigker e. V. grundete sich am 9. November 2010. Ziel ist das Engagement fur die Erhaltung und Sanierung der einstigen Dorfkirche und die Ermoglichung ihrer dauerhaften Nutzung. Fur das Projekt erhielt der Forderverein im Jahr 2017 den Sachsischen Burgerpreis.
Gelaut Die Kirche Zobigker erhielt 1785 ein neu gegossenes Gelaut aus drei Bronze-Kirchenglocken in G-Dur der Gebr. Ulrich, die damals in Laucha an der Unstrut ansassig war.
Im Ersten Weltkrieg blieben sie aufgrund ihrer Eingruppierung in die Gruppe B 3 Hohe Einbaukosten von der Beschlagnahme als Metallspende des deutschen Volkes verschont. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie in die Gruppe B als schutzenswerte Glocken vorerst von der Einschmelzung verschont. Spater mussten die Glocken 1 und 2 trotzdem abgeliefert werden, die Glocke 1 blieb verschollen. Die Glocke 2 (die mittlere) wurde nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Glockenfriedhof Hamburg aufgefunden und kehrte nach Zobigker zuruck. Glocke 3 zersprang beim Brand in viele Bruchstucke.
Die mittlere Glocke mit dem Schlagton h' ist erhalten: Sie wiegt 300 Kilogramm und tragt die Aufschrift GLORIA IN EXCELSIS DEO (= Ehre sei Gott in der Hohe), ihr unterer Durchmesser betragt 791 Millimeter.
Am 13. September 2020 konnte sie dank des Mitmachfonds Sachsen in das Gotteshaus zuruckkehren, wurde dort in den neu entstehenden Kirchturm auf der ersten Turmebene in den neuen Glockenstuhl eingehangt, neu geweiht und kann gelautet werden.
Verschiedenes Der Wiederaufbau der Kirche Zobigker wurde mit 90.000 Euro aus dem einstigen Vermogen von Parteien und Massenorganisationen der DDR gefordert.
Sanierung und Sicherung des Sakralbaus wurden ab 2012 mehrfach von archaologischen Untersuchungen begleitet. Gefunden wurden Spuren moglicher Vorgangerbauten, Grufte sowie mehrere Korpergraber des ehemaligen Friedhofes. Auch konnten Siedlungsspuren aus vorgeschichtlicher Zeit erfasst werden.
Das Pfarrerbuch Sachsen verzeichnet Pfarrer an der Kirche Zobigker seit 1539.
Literatur Heft 16 „Amtshauptmannschaft Leipzig“, Beschreibende Darstellung der alteren Bau- und Kunstdenkmaler im Konigreich Sachsen, Dresden 1894, S. 142f
Lutz Heydick: Landkreis Nordsachsen Historischer Fuhrer. Beucha / Markkleeberg 2016, ISBN 978-3-86729-171-2.
Weblinks Flyer Fahrradkirche Zobigker, PDF
Geschichte
Fahrradkirche Zobigker (bei Leipzig) auf architektur-blicklicht.de
Fahrradkirche Zobigker – Kirchenruine Zobigker wird zur Fahrradkirche auf markkleeberg.de, abgerufen am 3. Juni 2024
Verein der Freunde und Forderer der Fahrradkirche Zobigker e.V.
Archaologie in der Dorfkirche von Zobigker (Lk. Leipzig)
Zobigker Fahrradkirche hat wieder einen Turm, Leipziger Volkszeitung, Onlineportal, 15. Mai 2024
Einzelnachweise
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Die Kirche Zobigker – seit 2007 Fahrradkirche Zobigker – ist das evangelische Gotteshaus in Zobigker, einem Ortsteil von Markkleeberg, im Landkreis Leipzig in Sachsen. Das Kirchengebaude, dessen Gemeinde zur Martin-Luther-Kirchgemeinde Markkleeberg-West gehort, wird seit 2006 wiederaufgebaut. Sie befindet sich an der Via Imperii und am Lutherweg Sachsen.
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Northern Lights (englisch fur Polarlichter) ist eine tragikomische Fernsehserie von Autor und Schauspieler Stephen Jones aus dem Jahr 2023. Jones adaptierte fur die irisch-belgische Co-Produktion sein eigenes Theaterstuck und spielte auch eine der beiden Hauptrollen.
Handlung An einem verregneten Abend in Dublin sieht Lloyd von seinem Wohnzimmerfenster aus eine junge Frau am Gelander der Grattan Bridge stehen. Nach kurzem Zogern geht er zu ihr und fragt sie, ob alles in Ordnung sei. Nach einem kurzen Gesprach kommt sie mit in seine Wohnung, um sich dort aufzuwarmen. Die Frau, Aine, erklart ihr Verhalten damit, dass ihr Freund Sean sich durch einen Sprung von dieser Brucke das Leben genommen habe. Lloyd erzahlt, dass er gesehen habe, wie es passierte.
Aine und Lloyd verbringen einige Tage miteinander. Aine ist Friseurin, mochte aber gerne Kinderbuchautorin werden, wozu Lloyd sie ermutigt. Lloyd arbeitet im Vertrieb und ist zufrieden mit seinem Job. Seine aus Belgien stammende Freundin Denise wandert auf dem Jakobsweg und lernt dort Bill und Karen kennen. Sie hat offenbar einen Verlust zu verkraften, denn sie reagiert ungehalten auf Aussagen von Karen, dass alles aus einem Grund passiere und der Tod jeden zum richtigen Zeitpunkt ereile.
Denise und Lloyd lebten zum Zeitpunkt ihrer Abreise getrennt, was Lloyd Aine aber erst erzahlt, nachdem sie ihn gekusst hat. Sean litt unter Panikattacken, aber dennoch gibt Aine sich die Schuld an seinem Tod. Auch ihre Mutter Sandra und Seans Mutter Pauline haben Aine in unterschiedlichen Situationen diesen Vorwurf gemacht. Lloyd sagt, dass Sean ihm erzahlt habe, dass er ihr einen Heiratsantrag machen wollte. Tatsachlich hatte Sean dies Denise erzahlt, die ihn bereits einige Tage zuvor auf der Brucke getroffen und sich Sorgen um ihn gemacht hatte.
Denise trifft ihre Mutter Julia, die ihr nachgereist ist. Julia sagt zu Denise, dass Lloyd keine Schuld an dem trage, was geschehen ist und Denise die Beziehung zu ihm nicht einfach wegwerfen sollte. Aine erfahrt, dass Lloyds und Denises Tochter Saoirse im Alter von knapp vier Monaten gestorben ist. Lloyd erzahlt Aine außerdem die Wahrheit uber den Abend auf der Brucke, dass er Sean zwar angesprochen hat, aber einfach weitergegangen ist, als dieser kaum auf ihn reagierte. Aine sturmt wutend davon. Sie versohnt sich mit ihrer Mutter und Pauline, die ihre Vorwurfe zurucknehmen.
Als Denise nach Dublin zuruckkehrt, erzahlt Lloyd von seinen Treffen mit Aine und davon, sie gekusst zu haben. Denise reagiert sehr aufgebracht, erklart aber spater, dass es nicht der Kuss war, der sie so verletzt habe, sondern, dass Lloyd mit Aine uber Saoirses Tod geredet hat, aber nie mit Denise. Lloyd und Denise wagen mit ihrer Beziehung einen Neuanfang. Auch Aine verzeiht Lloyd: Er habe genauso wenig Schuld an Seans Tod wie irgendjemand anders.
Besetzung und Synchronisation Die Synchronisation wurde von der Deutschen Synchron & Medienproduktion durchgefuhrt, Kathrin Neusser verfasste das Dialogbuch und fuhrte Regie.
Entstehung Das der Serie zugrundeliegende Theaterstuck von Stephen Jones ist ein Kammerspiel, das ausschließlich aus den Gesprachen zwischen Lloyd und Aine in Lloyds Wohnung besteht und 2018 im Upstairs Theatre uber einem Pub in Dublin aufgefuhrt wurde. Jones spielte selbst die Hauptrolle an der Seite von Seana Kerslake. Ailish McElmeel, die Co-Grunderin der Produktionsfirma Deadpan Pictures, schlug Jones vor, eine Serie aus dem Stuck zu machen.
Die Adaption ist Jones’ Debut als Drehbuchautor. Er erweiterte die Handlung um zusatzliche Figuren und Schauplatze, die vorwiegend in Ruckblenden in die Rahmenhandlung eingebunden werden. In der Serie spielte Jones erneut Lloyd, die weibliche Hauptrolle ubernahm Elva Trill, die das Drehbuch als das beste, das sie je gelesen habe, bezeichnete. Die Schauspieler hatten nicht viel Zeit fur Proben. Die Dreharbeiten fanden im September 2022 statt und dauerten insgesamt zehn Wochen. Jones, der einmal in derselben Straße wie Lloyd gewohnt hatte, bezeichnete den Dreh- und Spielort Dublin als eine der Hauptfiguren. Die Co-Produktion mit der belgischen Potemkino wurde u. a. von Lionsgate, TG4 und ZDFneo finanziert und vertrieben.
Im Fruhjahr 2024 befand sich bereits die zweite Staffel der Serie in der Entwicklung.
Veroffentlichung Die erste Staffel der Serie feierte am 1. November 2023 im Lighthouse Cinema in Dublin Premiere und wurde ab 14. November 2023 in wochentlichem Turnus auf TG4 ausgestrahlt. Die deutsche Erstausstrahlung aller Folgen erfolgte in der Nacht vom 19. Marz auf den 20. Marz 2024 auf ZDFneo und in der ZDF Mediathek. In Großbritannien wurde Northern Lights am 20. Mai 2024 auf MGM+ veroffentlicht, in Nordamerika war die Serie ab 26. Juni 2024 beim Streaminganbieter BritBox zu sehen.
Episodenliste = 1. Auf der Brucke =
An einem verregneten Abend in Dublin bekommt Lloyd von seiner Freundin Denise die Nachricht „Neuanfange kommen immer nur mit einem Ende“. Er schreibt zuruck, was das bedeuten solle, bekommt aber keine Antwort. Er besucht ein Konzert seines Freundes Buz, aber als dieser ihm ein Lied widmet, in dem es offenbar um den Tod eines geliebten Menschen geht, verlasst er aufgewuhlt den Pub. Auf einer Brucke in nachster Nahe zu seiner Wohnung sieht Lloyd eine junge Frau stehen. Als er zu Hause angekommen ist, beobachtet er sie von seinem Fenster aus und beschließt schließlich, zu ihr zu gehen und sie anzusprechen, ob alles in Ordnung sei. Nach einem kurzen Gesprach kommt sie, Aine, mit zu ihm, um sich dort aufzuwarmen.
Denise wandert auf dem Jakobsweg und hat dort Karen und Bill kennengelernt. In Ruckblenden ist zu sehen, dass sie Lloyd in einem Karaoke-Klub kennengelernt und ihm direkt zu Beginn deutlich gemacht hat, keine Kinder zu wollen. Als sie schließlich nach Spanien gegangen ist, lebten Lloyd und sie getrennt.
Aine war nach einem Streit mit ihrer Mutter Sandra aus der gemeinsamen Wohnung gesturmt, bevor sie an diesem Abend zur Brucke kam. Lloyd erzahlt ihr von seinem Lieblingsbuch, Der Fanger im Roggen. Er kann sie uberzeugen, auf dem Sofa zu ubernachten. Er lasst Buzz nicht rein, als dieser an der Tur klingelt, sondern behauptet gegenuber Aine, dass es ein Klingelstreich sei. Sie erzahlt ihm, dass ihr Freund Sean sich vor drei Monaten von der Brucke gesturzt habe. Lloyd sagt ihr, dass er es gesehen habe.
= 2. Der Morgen danach =
Lloyd und Aine fruhstucken zusammen und unterhalten sich auf einem gemeinsamen Spaziergang. Aine ist Frisorin, ware aber lieber Kinderbuchautorin. Sie erzahlt Lloyd von ihrer Idee eines Buchs uber eine Termite, die Schreiner werden mochte. Lloyd ermutigt sie, dieses Ziel zu verfolgen. Er selbst ist zufrieden mit seinem Job, er ist Teamleiter im Vertrieb.
In Ruckblenden wird erzahlt, dass Sean schon langer an Panikattacken litt. Er wollte sein Leben andern, um gesund zu werden. Eine Woche vor seinem Tod uberraschte er Aine auf der Arbeit: Er hatte einen Island-Urlaub gebucht, um die Nordlichter zu sehen. Sie reagierte abweisend, weil er „nicht er selbst“ gewesen sei.
In Spanien streitet sich Denise mit Karen, als diese sagt, dass jedes Leben zum richtigen Zeitpunkt ende. Sie wandert alleine weiter.
In einer Ruckblende ist zu sehen, dass Sean bereits an einem anderen Tag vor seinem Selbstmord auf der Brucke stand und Denise ihn ansprach. Lloyd sah sie von seinem Fenster aus und reagierte eifersuchtig und mit Unverstandnis, weil er auf ein klarendes Gesprach mit ihr gewartet hatte. Denise sagte ihm, sie benotige weiter mehr Zeit, liebe ihn aber noch. Spater ist zu sehen, dass Lloyd Sean am Tag seines Selbstmords zwar ansprach, aber einfach weiterging, als dieser nicht richtig auf ihn reagierte. Wenige Sekunden spater sprang Sean ins Wasser.
Als Aine Lloyd fragt, ob er sie in einen Pub begleiten mochte, lehnt dieser ab.
= 3. Tom Jones =
In einer Ruckblende ist zu sehen, dass es Nr. 1 auf Seans „Fuck-it-List“ (Bucket List) war, einmal die Nordlichter zu sehen. Bei seiner Trauerfeier gab Seans Mutter Pauline Aine Schuld an seinem Tod.
Lloyd trifft Aine im Pub und erzahlt, wie Denise und er bei einem Karaoke-Wettbewerb zusammengekommen sind. In Spanien wird Denise von einem Hund gejagt, verbarrikadiert sich in einem Schuppen und verletzt sich am Knochel. Sie erreicht Lloyd telefonisch im Pub und sagt, dass sie froh sei, seine Stimme zu horen. Schließlich wird sie befreit. Uberraschend trifft sie auf ihre Mutter Julia.
Lloyd erinnert sich an den Tag, an dem Denise die Trennung wollte. Sie warf Lloyd vor, dass er sich verhalte, „als ware nichts passiert“. Er erzahlt Aine aber nicht davon.
Aine verbringt den Abend wieder bei Lloyd.
= 4. Gemeinsam einsam =
Aine und Lloyd singen zusammen Karaoke. Lloyd erinnert sich daran, wie er mit Denise zusammengezogen ist. Julia hatte ihnen Geld fur das Haus geliehen und Lloyd gesagt, er solle Denise nicht verletzten und ihr auch dann beistehen, wenn sie behauptet, keine Hilfe zu brauchen. Bei der Einweihungsfeier erfahrt Julia erstmals, dass Denise keine Kinder will. Lloyd ist das Thema offensichtlich unangenehm.
Lloyd erwahnt gegenuber Aine, dass er gerne gerahmte inspirierende Zitate in der Wohnung hangen hat. Aine gibt sich die Schuld an Seans Tod, weil sie oft unsensibel war und Spruche uber seine psychischen Probleme gemacht hat. Als Lloyd ihr widerspricht, kusst sie ihn. Nach kurzer Zeit verlasst Lloyd fluchtartig das Zimmer.
Er erinnert sich an ein Gesprach mit Denise, in dem er ihr eroffnete, dass er doch einen Kinderwunsch habe und unehrlich zu ihr war. Sie ist wutend, sagt aber auch, dass es ihr altes Ich gewesen sei, das diese Entscheidung getroffen habe.
Auf dem Jakobsweg sagt Julia zu Denise, dass es Lloyd schlecht gehe, er nichts fur die Situation konne und sie das zwischen ihnen nicht wegwerfen sollte.
In Dublin versucht Aine, Lloyd zu beruhigen, es sei nichts passiert. Als sie Denise erwahnt, sagt er, dass er nicht sicher sei, ob sie noch ein Paar sind.
Als Denise schwanger geworden war, versprach Lloyd ihr, dass sie das zusammen schaffen werden, „egal, was passiert“. In der Gegenwart schaut sich Denise in Spanien im Bett ein Ultraschallbild an.
= 5. Polarlichter =
Denise war wahrend ihrer Schwangerschaft nach eigener Aussage „so glucklich wie noch nie“. Spater erzahlte sie Lloyd, dass sie Sean angesprochen habe, weil sie gut darin geworden sei, Menschen zu erkennen, die sich so schlecht fuhlen wie sie.
Lloyd will fur Aine einen Urlaub in Island buchen. Sie reagiert wutend, sagt, dass das nichts andern wurde. Lloyd erzahlt ihr, dass Sean gesagt habe, dass er ihr in Island einen Antrag machen wollte, aber Sorge hatte, dass es sie zu sehr unter Druck setzen wurde. Lloyd verschweigt, dass nicht er, sondern Denise das Gesprach gefuhrt hat und Sean ermutigte.
Aine findet ein Familienfoto mit einem Baby. Lloyd erzahlt ihr, dass seine Tochter, Saoirse, im Alter von vier Monaten im Schlaf gestorben sei. Er erzahlt Aine die Wahrheit, dass er nie richtig mit Sean geredet hat und weitergegangen ist, statt ihm zu helfen. Aine reagiert sehr aufgebracht wegen Lloyds Unehrlichkeit und entscheidet, zu ihren Eltern zuruckzukehren.
= 6. Neuanfange =
Aine sohnt sich mit Sandra Pauline aus. Letztere sagt ihr, dass sie leben und, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, eine neue Liebe finden solle. Aine findet in Seans Sachen den Verlobungsring und eine Ausgabe von Der Fanger im Roggen.
Lloyd will einen Schlussstrich ziehen und packt im Haus, gegen den Rat von Baz, seine Sachen. Denise kehrt uberraschend zuruck. Er sagt ihr als allererstes, dass er jemanden kennengelernt und gekusst habe. Sie streiten, er wirft ihr vor, ihn rausgeschmissen zu haben.
An einem anderen Tag treffen Lloyd und Denise sich zufallig am Grab ihrer Tochter. Sie wirft ihm vor, nie uber den Tod von Saoirse geredet zu haben. Lloyd erzahlt Denise, wie er Aine kennen gelernt hat und dass er ihr auch von Saoirse erzahlt hat. Denise merkt an, dass Lloyd ihr gegenuber gerade zum ersten Mal Saoirses Namen genannt hat, seit sie gestorben ist.
Lloyd gibt beim Frisor ein Buch fur Aine ab, ein Ratgeber fur angehende Kinderbuchautoren. Sie besucht ihn daraufhin und sagt, dass er genauso wenig Schuld an Seans Tod habe wie sie oder seine Mutter. Sie schenkt ihm eine gerahmte Seite aus Der Fanger im Roggen.
Aine hangt an der Brucke ein Schild auf, das Selbstmordgefahrdete auffordert, sich Hilfe zu holen.
An Saoirses Geburtstag feiern Lloyd und Denise mit ihren Freunden, die die dazu auffordern, sich nicht zu trennen. Denise sagt, sie habe es nicht ausgehalten, die Person, die sie mehr liebt als alles auf der Welt, hilflos leiden zu sehen. Baz singt das Lied, das er fur Saoirse geschrieben hat.
Spater erklart Denise Lloyd, dass der Kuss sie nicht so sehr verletzt habe wie die Tatsache, dass Lloyd mit Aine uber Saoirse sprechen konnte, aber nicht mit ihr. Sie entscheiden, mit ihrer Beziehung einen Neuanfang zu wagen.
Rezeption = Kritiken =
Stephen Porzio nannte Northern Lights zum Anlass der Veroffentlichung in Großbritannien „eine der besten irischen Serien der letzten Jahre“, die vorwiegend wegen ihrer „emotionalen Geschichte, authentischen Dialoge und kraftvollen Darstellungen“ gelobt worden sei.
Auch die deutschen Kritiken fielen allseitig positiv aus, so wurde Northern Lights unter anderem als „beruhrend schon“ und „vollstandig gelungen“ bezeichnet. Es sei eine Serie, „die sich als eine Art Mosaik aus Ruckblenden und Erzahlgegenwart entfaltet und jenseits typischer Romantik-Formeln den Prozess des Kennenlernens zweier seelisch belasteter Menschen hautnah erfahrbar“ mache. Sie handle von „Sprachlosigkeit, die Menschen nach schlimmen Erlebnissen uberfallt und sie sogar von jenen trennt, die weiterhin da sind“ und sei emotional, ohne dass man ihr „Gefuhlsduselei“ vorwerfen konne.
Das Drehbuch sei „meisterhaft geschrieben“ und Northern Lights uberzeuge mit der „Sensibilitat, mit der Themen wie Selbstmord, Schuldgefuhle und Verlustangste angegangen werden.“ Hervorgehoben wurden auch die „lebensnah-kantigen Figurenzeichnungen“ und die „exzellenten Schauspieler“: „Stephen Jones und Elva Trill spielen grandios und harmonieren ohne Wenn und Aber miteinander, obwohl ihre Figuren so unterschiedlich angelegt sind.“
= Auszeichnungen =
Irish Film & Television Awards
2024: Nominierung als beste Drama-Serie
2024: Nominierung fur das beste Drehbuch einer Drama-Serie fur Stephen Jones
2024: Nominierung als beste Hauptdarstellerin fur Elva Trill
2024: Nominierung als beste Regie in einer Drama-Serie fur Tom Hall
Einzelnachweise Weblinks Northern Lights bei IMDb
Offiziell Website bei ZDFneo
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Northern Lights (englisch fur Polarlichter) ist eine tragikomische Fernsehserie von Autor und Schauspieler Stephen Jones aus dem Jahr 2023. Jones adaptierte fur die irisch-belgische Co-Produktion sein eigenes Theaterstuck und spielte auch eine der beiden Hauptrollen.
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Die Rampe von Laffrey (franzosisch Rampe de Laffrey), die auch Abfahrt von Laffrey oder Cote de Laffrey genannt wird, ist ein steiler Abschnitt der Route nationale 85 (RN 85), die Gap mit Grenoble verbindet und ein Teil der Route Napoleon ist. Das Steilstuck verlauft bergab zwischen den Gemeinden Laffrey und Vizille im Departement Isere, etwa 15 km sudostlich von Grenoble. Auf dem 6 km langen Steilstuck mit bis zu 12 % Gefalle ereigneten sich zahlreiche Unfalle von Reisebussen mit vielen Toten. Auf dem Ruckweg vom Marienheiligtum Notre-Dame de La Salette starben 1946 achtzehn Pilger, 1973 dreiundvierzig, 1975 neunundzwanzig und 2007 sechsundzwanzig. Diese Unfalle zahlen zu den Verkehrsunfallen mit den meisten Toten in Frankreich. Die Straße wurde mehrfach bei den Radrennen Tour de France und Criterium du Dauphine befahren.
Lage Die Abfahrt der Rampe von Laffrey beginnt im Zentrum des gleichnamigen Dorfes auf einer Hohe von 910 m am nordlichen Rand des Plateaus von Matheysine. Sie fuhrt dann abwarts entlang des Nordosthangs des Montagne du Conest. Sie schneidet das Gemeindegebiet von Saint-Pierre-de-Mesage, durchquert das Gebiet von Notre-Dame-de-Mesage und endet im Weiler Grand-Pont, der zur Gemeinde Notre-Dame-de-Mesage gehort. Grand-Pont liegt auf einer Hohe von 300 m, kurz vor der Brucke, die die Romanche uberquert und den Eingang zur Stadt Vizille markiert. Die Abfahrt uberwindet also einen Hohenunterschied von 610 m auf einem Straßenabschnitt von 6,5 km Lange, der auf seinem oberen Teil nur leicht kurvig ist und relativ gerade auf seinem unteren Teil. Das Gefalle im unteren Teil betragt durchschnittlich 12 % mit einigen kurzen Abschnitten mit 16 % und 18 %. Die Abfahrt endet mit einer fast rechtwinkeligen Kurve von 70° an der Brucke uber die Romanche.
Unfalle auf der Abfahrt bis 1975 In den letzten Jahrzehnten kam es auf der Abfahrt von Laffrey zu mehreren Unfallen, an denen meist Reisebusse beteiligt waren, deren Bremsen versagten. Mehrere Fahrzeuge fuhren mit Geschwindigkeiten von uber 100 km/h bergab und kamen in der scharfen Kurve vor der Brucke von der Fahrbahn ab. Sie sturzten mit hoher Geschwindigkeit auf die tiefer gelegenen Grundstucke. Haufig waren dabei Pilger auf dem Ruckweg vom Marienheiligtum Notre-Dame de La Salette betroffen, dessen Hauptzufahrtstraße aus Richtung Norden uber die Rampe von Laffrey fuhrt.
1946: Am 25. August sturzte ein Reisebus mit Pilgern aus der franzosischen Region naturelle „Beaujolais“ in die Schlucht der Romanche. 18 Menschen kamen bei dem Unfall ums Leben. Eine Stele erinnert an der Abzweigung nach Saint-Pierre-de-Mesage an diesen Unfall.
1956: Ein niederlandischer Reisebus verungluckte an derselben Stelle, wobei sieben Menschen ums Leben kamen.
1968: Ein Lastkraftwagen kam von der Straße ab und sturzte in die Tiefe; beide Insassen wurden getotet.
1970: Am 7. September fuhr ein Reisebus mit Pilgern aus dem Departement Pas-de-Calais mit hoher Geschwindigkeit gegen mehrere Mauern, bevor er auf dem Seitenstreifen zum Stehen kam. Funf Fahrgaste wurden getotet.
1973: Am 18. Juli verpasste ein Reisebus mit belgischen Pilgern aus der Region Braine-le-Comte, Soignies und Tubize die Kurve am Ende der Abfahrt wegen versagender Bremsen und sturzte in die Tiefe. 43 Menschen kamen ums Leben. Der damalige Burgermeister von Laffrey kritisierte die Straße als besonders gefahrlich und verwies auf die mehr als 100 Todesfalle in den letzten 25 Jahren. Eine Stele wurde an der Brucke errichtet, die an den Unfall von 1973 erinnert.
1974: Ein Lastkraftwagen fuhr ungebremst auf einen Pkw; vier Menschen starben.
1975: Am 2. April erreichte ein Reisebus mit Pilgern aus Sully-sur-Loire praktisch ungebremst das Ende der Abfahrt, sturzte mit einer geschatzten Geschwindigkeit von 120 km/h von der Brucke und zerschellte in einem tiefer gelegenen Garten. 29 Menschen kamen ums Leben. Nach diesem Unfall wurde in Frankreich die Kontrolle der elektronischen Bremsanlagen verscharft. Die jahrliche technische Kontrolle von Lastkraftwagen wurde obligatorisch.
Unfall von 2007 Der letzte schwere Unfall ereignete sich am 22. Juli 2007, als ein Reisebus mit polnischen Pilgern am Ende der Abfahrt verungluckte. Es gab 27 Tote und 23 Verletzte. Wie bei den beiden vorigen Unfallen sturzte der Bus fast ungebremst in die Garten hinter der Kurve vor der Brucke uber die Romanche und fing sofort Feuer. Das Ungluck loste in Frankreich und Polen große Betroffenheit aus. Premierminister Francois Fillon und Jean-Louis Borloo, Minister fur Okologie, Energie und nachhaltige Entwicklung, der auch fur den Verkehr zustandig war, besuchten den Ort. Polens Staatsprasident Lech Kaczynski wurde vom franzosischen Staatsprasidenten Nicolas Sarkozy am Flughafen Grenoble empfangen; sie besuchten die Opfer in verschiedenen Krankenhausern Grenobles.
Der Reisebus war am 10. Juli mit 47 Pilgern aus den Stadten Stargard Szczecinski und Swinoujscie (Nordwestpolen) in Polen aufgebrochen, um eine Rundreise zu drei Marienheiligtumern zu unternehmen, die von Fatima, uber Lourdes nach La Salette im Departement Isere fuhrte. Der Bus war noch mit einer Begleiterin und zwei Fahrern besetzt, die auch aus Polen stammten. Die Pilger hatten die Ziele ihrer Reise erreicht und waren auf der Ruckreise nach Polen.
Der verungluckte Reisebus der Marke Scania war im Juli 2000 in Betrieb genommen worden. Laut Reiseveranstalter (Orlando Travel) hatte er drei Wochen vor dem Unfall ohne Beanstandung eine technische Kontrolle in Deutschland absolviert. Neben den beiden ublichen Bremssystemen, Scheiben- und Motorbremse, war der Bus mit einem hydraulischen Retarder ausgestattet. Hierbei handelt es sich um eine verschleißfreie Dauerbremse, die vorwiegend in Lastkraftwagen und Omnibussen eingesetzt wird, um das Fahrzeug bei steilen Abfahrten zu verlangsamen und dadurch das Bremssystem zu entlasten.
Folgende Punkte konnten zu dem Ungluck beigetragen haben:
Ohne Genehmigung der Prafektur hatte der Busfahrer die fur Lastkraftwagen und Reisebusse gesperrte Abfahrt von Laffrey nicht befahren durfen. Die ersten Befragungen der Uberlebenden ergaben, dass der Busfahrer bewusst diese Route gewahlt hatte, weil sie laut seinem Navigationssystem kurzer war als die offizielle Strecke fur Reisebusse. Der Fahrer fuhr dann an mehr als 14 aufeinanderfolgenden Schildern vorbei, die auf das Verbot der Abfahrt von Laffrey fur Reisebusse hinwiesen.
Laut Gerichtsgutachten waren das Bremssystem sowie Bremsscheiben und Bremsbelage in schlechtem Zustand und der Retarder konnte durch fehlende 1,5 Liter Hydraulikol in seiner Funktion beeintrachtigt gewesen sein.
Laut Motorradfahrern, die hinter dem Bus bergab fuhren, leuchteten die Bremslichter des Busses haufig auf. Es ist daher anzunehmen, dass der Bus seine Bremsen stark beanspruchte, was zu einer Uberhitzung und damit zu einem Verlust der Bremswirkung gefuhrt haben konnte. Die Motorradfahrer berichteten auch, dass sie Funken unter dem Bus gesehen hatten, was eine Uberhitzung der Bremsen bestatigen konnte.
Laut Aussage einer Uberlebenden warnte der Busfahrer die Fahrgaste auf der Abfahrt mit dem Ruf: „Halten Sie sich an den Sitzen fest, die Bremsen haben versagt!“ Sie berichtete auch, dass „etwas im vorderen Teil des Busses knackte“, kurz bevor der Fahrer schrie.
Der Bericht des Bureau d’Enquetes sur les Accidents de Transport Terrestre (BEA-TT) wurde im Marz 2009 veroffentlicht. Das BEA-TT kam zu dem Schluss, dass die beiden unmittelbaren Ursachen des Unfalls der schlechte Zustand des Bremssystems des Reisebusses sowie das unangemessene Verhalten des Fahrers waren, der mit uberhohter Geschwindigkeit eine fur Reisebusse verbotene Abfahrt benutzte.
Drei weitere Faktoren konnten bei diesem Unfall eine Rolle gespielt bzw. seine Schwere beeinflusst haben:
Das Fahrzeug verfugte nicht uber eine ausreichende Warnung vor Fehlfunktionen der Bremsscheiben und des Retarders. Diese hatte es dem Fahrer ermoglicht, das Fahrzeug vor dem Totalausfall des Bremssystems anzuhalten.
Der Bus hatte nur ein Navigationssystem fur Pkw und nicht eines fur Lkw. Dem verwendeten Navigationssystem fehlte also die notwendige Kartengrundlage mit den Einschrankungen fur Lastkraftwagen und es schlug infolgedessen die fur Pkw kurzeste Route uber die Rampe von Laffrey vor. Der polnische Fahrer, der in einem fur ihn fremden Land und einer fremden Region unterwegs war, vertraute blind den Angaben des Gerats und ubersah die Verkehrsschilder, die uber die Sperrung der Straße fur Reisebusse informierten.
Die Abfahrt ist mit keiner Notfalleinrichtung ausgestattet, die die Schwere des Unfalls hatte mindern konnen.
Konsequenzen aus dem Unfall von 2007 Nach der Analyse der Unfallursachen und der begleitenden Faktoren gab das BEA-TT mehrere Empfehlungen heraus. Schon am 25. Juli 2007 kundigte der franzosische Premierminister Francois Fillon auf einer Pressekonferenz eine Reihe von Maßnahmen und Vorrichtungen an.
Bald nach dem Unfall wurden Warnleuchten an den Verbots- und Umleitungsschildern fur den nicht zugelassenen Schwerlastverkehr angebracht. Weiter wurde vor Beginn der Abfahrt eine provisorische Hohenlimitierung mit breiten Plastikbandern angebracht. Am 17. Juli 2008 wurden 800 Meter vom Beginn der Abfahrt entfernt 2,60 m hohe, feste Portale montiert, die die Durchfahrt von Reisebussen und Lastkraftwagen verhindern. Fur die lokale Versorgung wurde eine Schranke mit Magnetkarte fur Busse und Lkw installiert, die die Abfahrt nutzen durfen.
Fahrer schwerer Fahrzeuge sollen fur den Verkehr auf Straßenabschnitten mit starkem Gefalle besser geschult werden.
Warnungen bei Fehlfunktionen des Bremssystems sollen eingefuhrt werden.
Navigationssysteme, die speziell fur den Schwerlastverkehr bestimmt sind oder fur den Lkw-Verkehr konfigurierbar sind, sollen eingefuhrt werden, wobei diese mit einer Straßenkartenbasis mit Verkehrsbeschrankungen fur den Schwerlastverkehr ausgerustet sein mussen.
Rettungsstrukturen wie z. B. Leitmauern wurden an der Abfahrt und deren Ende eingerichtet.
Daruber hinaus erinnert der Bericht an die Notwendigkeit, den Punktefuhrerschein in die europaischen Uberlegungen zur grenzuberschreitenden Anwendung von Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen einzubeziehen und alle europaischen Fahrer in der routinemaßigen Instandhaltung von Reisebussen zu schulen.
Am 8. Oktober 2007 wurden 32 Personen, die an der Rettung beteiligt waren, vom polnischen Prasidenten Lech Kaczynski in Anwesenheit des franzosischen Premierministers Francois Fillon mit dem Verdienstorden der Republik Polen ausgezeichnet.
Rennveranstaltungen = Tour de France =
Die Rampe von Laffrey wurde im Rahmen der Tour de France 21 Mal befahren. Sie wurde als „Berg“ 1. oder 2. Kategorie klassifiziert. Folgende Fahrer waren als Erster am Ende des Anstiegs:
In den Jahren 1913, 1914 und 1919, 1920, 1921 sowie 1928 bis 1932 wurde die Runde der Tour de France gegen den Uhrzeigersinn gefahren. In diesen Jahren wurde von Nizza bzw. Gap kommend vom Plateau von Matheysine uber die Rampe von Laffrey nach Vizille abgefahren. Im Jahr 1989 wurde Laffrey von Sechilienne aus uber die D113 erreicht (18. Etappe: Bourg-d’Oisans – Villard-de-Lans (Cote 2000)). Anschließend wurde uber die Rampe von Laffrey nach Vizille abgefahren.
= Criterium du Dauphine =
Im Rahmen des Radrennens Criterium du Dauphine wurde die Rampe von Laffrey mehrfach befahren.
= Motorsport =
Auf der Rampe von Laffrey fanden von 1901 bis 1952 Bergrennen fur Automobile und von 1901 bis 1964 fur Motorrader statt.
Weblinks Marie-Charlotte Perrier: Accident de car en Isere : l’histoire tragique de la route Napoleon, une nationale redoutable pour les autocars. In: francetvinfo.fr. 5. Marz 2023; abgerufen am 2. Juli 2024 (franzosisch, Bericht mit Bildern der Unfalle).
Einzelnachweise
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Die Rampe von Laffrey (franzosisch Rampe de Laffrey), die auch Abfahrt von Laffrey oder Cote de Laffrey genannt wird, ist ein steiler Abschnitt der Route nationale 85 (RN 85), die Gap mit Grenoble verbindet und ein Teil der Route Napoleon ist. Das Steilstuck verlauft bergab zwischen den Gemeinden Laffrey und Vizille im Departement Isere, etwa 15 km sudostlich von Grenoble. Auf dem 6 km langen Steilstuck mit bis zu 12 % Gefalle ereigneten sich zahlreiche Unfalle von Reisebussen mit vielen Toten. Auf dem Ruckweg vom Marienheiligtum Notre-Dame de La Salette starben 1946 achtzehn Pilger, 1973 dreiundvierzig, 1975 neunundzwanzig und 2007 sechsundzwanzig. Diese Unfalle zahlen zu den Verkehrsunfallen mit den meisten Toten in Frankreich. Die Straße wurde mehrfach bei den Radrennen Tour de France und Criterium du Dauphine befahren.
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c-804
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Heinz Mehlan (geb. am 4. Dezember 1926 in Berlin; gest. am 12. September 1987 ebenda) war ein deutscher Architekt. Gemeinsam mit Architekten wie Hermann Henselmann, Gunter Stahn, Manfred Prasser und Heinz Graffunder pragte er in den 1960er und 1970er Jahren die Architektur Ostberlins.
Mehlan war sowohl an der Rekonstruktion und dem Wiederaufbau bedeutender Berliner Baudenkmaler wie auch an prominenten modernistischen Neubauten Ostberlins beteiligt.
Leben und Wirken Mehlan wurde als Sohn eines Schuhmachers geboren. Im Zweiten Weltkrieg leistete er Arbeits- und Kriegsdienst, 1946 begann er eine Tatigkeit als Maurer, die er wegen eines Arbeitsunfalls jedoch aufgeben musste. Von 1948 bis 1951 besuchte er die Vereinigten Bauschulen von Groß-Berlin, die er als Bauingenieur abschloss. Dem folgte von 1952 bis 1959 ein Abendstudium der Architektur an der Technischen Universitat Berlin.
Bereits ab 1951 war er daneben im VEB Entwurfsburo Hochbau I und beim VEB Hochbauprojektierung I berufstatig in der Bauprojektierung und -realisierung, unter anderem baute er 1951/52 Ledigenheime in Berlin-Johannisthal. Als Gruppenleiter zeichnete er ab 1954 verantwortlich fur den Bau von Wohnhausern in Berlin-Buch (1954/55, Robellweg), Prenzlauer Berg (1956/57, Schonhauser Allee) und Pankow (mit Laden, 1958–1960), des Kesselhauses des Krankenhauses Berlin-Kaulsdorf und die Berufsschule in der Gudvanger Strasse im Prenzlauer Berg. Von 1959 bis 1961 projektierte und realisierte er den Bau von acht Schwesternheimen in Berlin und entwarf mit Gertraude Lehmann 1961/62 zwei Kinderkrippen fur die Neubaugebiete um den Strausberger Platz (Weydemeyerstraße, Neue Blumenstraße).
1956 erhielt er seinen ersten bedeutenden Auftrag, die Rekonstruktion und den Umbau der schwer kriegszerstorten Neuen Wache, die 1961 als Mahnmal fur die Opfer des Faschismus und Militarismus wieder eroffnet wurde. Dem folgten Rekonstruktion und Umbau des Alten Marstalls im Verbund mit seinem Neubau der Berliner Stadtbibliothek in der Breiten Straße von 1961 bis 1966 sowie die des benachbarten Ribbeck-Hauses von 1964 bis 1966 als Sitz des Bunds der Architekten. Von 1963 bis 1964 war er auch fur die Neugestaltung der Straße Unter den Linden verantwortlich.
Von 1961 bis 1976 arbeitete Mehlan fur das VEB Wohnungsbaukombinat Berlin, zuerst als Abteilungsleiter und seit 1968 als Hauptabteilungsleiter. Gemeinsam mit Harry Reichert traf er die Vorplanungen fur das Staatsratsgebaude und erbaute die Zentrale Betriebsgaststatte (1964–1965, heute Hofbrauhaus) sowie mit Peter Skujin und Emil Leibold das diesem vorgelagerte Haus der Elektroindustrie (1965–1967). Von 1968 bis 1970 fuhrte er den Bau des von Hermann Henselmann entworfenen Platzes der Vereinten Nationen (damals Leninplatz) aus. Das von ihm geleitete Kollektiv entwarf des Weiteren die Wohngebiete an der Frankfurter Allee in Lichtenberg-Sud (1969–71) und an der Straße der Pariser Kommune in Berlin-Friedrichshain (1970–73), bei der erstmals der Wohnbautyp P2 angewandt wurde. Im Wohnkomplex Leninallee/Ho-Chi-Minh-Straße in Berlin-Lichtenberg realisierte er 1973/1974 erstmals eine elfgeschossige Ausfuhrung des Wohnbautyps WBS 70-11.
Mit seiner Neugestaltung des Ratskellers im Roten Rathaus befasste sich Mehlan seit den 1970er Jahren dann wieder mit der Rekonstruktion historischer Bauten. Ab 1977 war er als Bereichsleiter Historische Bauten und Stellvertreter des Chefarchitekten fur historische Bauten im Buro fur Stadtebau des Berliner Magistrats tatig und entwarf Studien zur Rekonstruktion der Bolschestraße in Berlin-Friedrichshagen und der Sophienstraße in Berlin-Mitte. Er war eng beteiligt am Aufbau des Nikolaiviertels mit seiner Verbindung aus historisierenden und modernen Elementen, fur das er Studien zu Burgerhausern entwarf und auch mehrere Gebaude gestaltete.
Mehlan, laut Bruno Flierl ein „stiller Mann“, erkrankte 1984 schwer und zog sich aus dem Berufsleben zuruck. Er starb am 12. September 1987 in Berlin.
Rezeption In der DDR wurde Heinz Mehlan mit der Schinkel-Plakette des ΒDA 1963, dem Goethepreis der Stadt Berlin 1972, dem Architekturpreis der DDR 1987 und der Medaille „Erbauer des Stadtzentrums“ der Hauptstadt Berlin ausgezeichnet.
Mehlans Rekonstruktion der Neuen Wache wurde im Zuge der deutschen Wiedervereinigung durch eine Rekonstruktion der Vorgangerfassung von 1931 getilgt, das Schicksal des ehemaligen Hauses der Elektroindustrie ist bis in die Gegenwart noch nicht entschieden. Sein Neubau der Stadtbibliothek hingegen wurde vielseitig gewurdigt, Bruno Flierl bewertete ihn als „ein ganz einfaches, selbstverstandliches, ein sehr schones Gebaude“ und hob seine Verbindung mit den beiden ihn umgebenden Altbauten hervor, Dieter Hoffmann-Axthelm lobte es als „extremer Glucksfall, gut eingepaßt, durchsichtig, luftig, angenehm, ohne gezwungene Archaismen und Modernismen“ und nannte es asthetisch „von keinem Zweifel geplagt“. Das Gebaude wurde inzwischen unter Denkmalschutz gestellt.
Einzelnachweise
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Heinz Mehlan (geb. am 4. Dezember 1926 in Berlin; gest. am 12. September 1987 ebenda) war ein deutscher Architekt. Gemeinsam mit Architekten wie Hermann Henselmann, Gunter Stahn, Manfred Prasser und Heinz Graffunder pragte er in den 1960er und 1970er Jahren die Architektur Ostberlins.
Mehlan war sowohl an der Rekonstruktion und dem Wiederaufbau bedeutender Berliner Baudenkmaler wie auch an prominenten modernistischen Neubauten Ostberlins beteiligt.
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c-805
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Das Denkmal fur Heinrich den Seefahrer in der osttimoresischen Hauptstadt Dili wurde am 13. November 1960 zum 500. Todestag von Heinrich dem Seefahrer vor dem damaligen Gouverneurspalast, dem heutigen Regierungspalast Osttimors, aufgestellt.
Geschichte Das Denkmal symbolisierte die Herrschaft der Kolonialmacht uber Portugiesisch-Timor. Der Standort ist der Form des Praca do Comercio in Lissabon nachgeahmt, mit dem Denkmal als zentralem Element. Im selben Jahr hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Bewohner der portugiesischen Uberseeprovinzen als „koloniale Staatsburger“ („colonial subjects“) definiert und Portugal das Recht bestritten, uber deren Identitat zu bestimmen. Der australische Menschenrechtsanwalt Pat Walsh nannte das Denkmal die Art des portugiesischen Diktators Salazar, den Vereinten Nationen zu sagen: „Va embora!“ (deutsch Haut ab!), und den Timoresen „Wir sind hier, um zu bleiben“. Ahnliche Denkmaler wurden auch in anderen Teilen des Kolonialreiches errichtet.
Bei der Anlage des neuen Wasserbeckens am Denkmal wurde zwischen Juni und Juli 2012 ein Massengrab mit mindestens 72 Leichen entdeckt. Es war unklar, ob es Opfer der indonesischen Invasion (1975–1979) und der folgenden Hinrichtungen am Toko-Lay-Gebaude oder schon im Zweiten Weltkrieg Umgekommene waren. Da die Toten relativ groß waren, vermutete man, dass es sich bei den Opfern um Angehorige der chinesischen Minderheit handelt.
Wahrend der indonesischen Besatzungszeit (1975–1999) wurde das Denkmal nicht zerstort, auch wenn sich die Besatzer als Befreier Osttimors von der kolonialen Herrschaft verstanden. Walsh nimmt an, dass Portugal nicht verargert werden sollte, das zeitweise bei seiner Unterstutzung fur einen unabhangigen Staat Osttimor schwankte. Der Historiker Geoffrey Gunn deutet Veroffentlichungen der indonesischen Provinzregierung aber so, dass die Indonesier falschlicherweise davon ausgingen, das Denkmal sei lediglich einem portugiesischen Kolonialbeamten gewidmet. Tatsachlich gibt es in Dili solche Denkmaler fur Artur do Canto Resende und Manuel Jesus Pires, aber auch das Denkmal fur die Opfer der japanischen Besetzung Timors und die Fonte dos Namorados uberstanden die Besatzung.
Aussehen Das Denkmal besteht aus einer Saule aus portugiesischem Kalkstein. In seiner Form soll es zum einen an einen Padrao (die Steinsaulen, mit denen Portugal seinen Besitzanspruch an entdeckten Landern markierte) und an das Segel einer Karavelle erinnern. Es ist angelehnt an den Padrao dos Descobrimentos, das monumentale Pendant zum hiesigen Denkmal im Lissaboner Stadtteil Belem.
Gekront ist die Saule von einem Kreuz des Christusordens, mit dem die Segel der portugiesischen Seefahrer geschmuckt waren. Darunter befindet sich in der Front das Wappen von Heinrich dem Seefahrer, auf der linken Seite eine Windrose und ein Sextant, auf der rechten zwei Karavellen vor einer Kuste mit Palmen. Vorne stehen die Jahreszahlen 1460 und 1960, links „V Centenario da Morte do Infante D. Henrique“ (deutsch 500. Jahrestag des Todes von Prinz D. Heinrich) und rechts die Inschrift „Por Mares Nunca Dantes Navegados“ (deutsch Auf nie zuvor befahrenen Meeren), ein Zitat aus den Lusiaden, dem Nationalepos Portugals von Luis de Camoes.
Ursprunglich war der Platz vor dem Palast frei zuganglich. 2012 wurde ein runder Springbrunnen mit zehn Fontanen um das Denkmal angelegt. Am Rand befinden sich acht kleine Wasserspeier in Form von Krokodilkopfen, dem Nationaltier Osttimors. Das Gelande wurde eingezaunt und am 20. Mai 2018 als Praca da Proclamacao da Independencia (deutsch Platz der Proklamation der Unabhangigkeit) neu eingeweiht. Die Einbindung des portugiesischen Denkmals in den Platz, der an die Ausrufung der Unabhangigkeit von Osttimor 1975 erinnert, wird als bewusste Entscheidung der Regierung Osttimors interpretiert, das portugiesische Kolonialerbe als Teil der nationalen Identitat des Landes zu betrachten.
Weblinks Einzelnachweise
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Das Denkmal fur Heinrich den Seefahrer in der osttimoresischen Hauptstadt Dili wurde am 13. November 1960 zum 500. Todestag von Heinrich dem Seefahrer vor dem damaligen Gouverneurspalast, dem heutigen Regierungspalast Osttimors, aufgestellt.
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Kholoud Waleed (arabisch خلود وليد, DMG Hulud Walid; geb. 1984 in Darayya) ist eine syrische Journalistin und Mitgrunderin der unabhangigen Untergrundzeitung Enab Baladi. Fur ihre Reportagen uber den Burgerkrieg in Syrien wurde sie 2015 mit dem Anna-Politkowskaja-Preis ausgezeichnet.
Leben Kholoud Waleed, die zu ihrem Schutz ein Pseudonym verwendet, wuchs im Damaszener Vorort Darayya als Tochter einer Lehrerin und eines Kalligrafen auf. Ihre liberalen Eltern unterstutzten ihren Wunsch, zu studieren und zu arbeiten – sie erwarb an der Universitat Damaskus einen Abschluss in englischer Literatur und wurde Grundschullehrerin, gab diesen Beruf aber zu Beginn des Arabischen Fruhlings Anfang 2011 auf.
Sie nahm an den gewaltlosen Protesten gegen die Diktatur Baschar al-Assads teil und schloss sich mit ihren Freundinnen zu einer Gruppe junger Demokratie- und Menschenrechtsaktivistinnen zusammen, die selbst Demonstrationen organisierte. Ende 2011 grundeten sie die in Anspielung auf die Weinstocke der Garten von Darayya benannte Untergrundzeitung Enab Baladi (zu Deutsch: „Trauben meines Landes“), um unabhangig uber den Burgerkrieg zu berichten. Ihre erste Ausgabe erschien im Januar 2012. Die Zeitung, deren Mitarbeiter 2015 zu mehr als der Halfte Frauen waren, informiert die zeitweise vom Internet abgetrennte syrische Bevolkerung und die internationale Gemeinschaft uber die Kriegsverbrechen aller Parteien. Indes unterlagen alle offiziellen Medien des Landes staatlicher Zensur, wahrend die auslandische Presse bereits zum Zeitpunkt der Grundung von Enab Baladi weitgehend aus dem Land verbannt worden war. Die Zeitung gehorte 2016 zu den bekanntesten unabhangigen Zeitungen Syriens und wird hauptsachlich online verbreitet. Die wochentliche Auflage des in der Turkei gedruckten Blatts betrug im Marz 2016 etwa 7000 Exemplare, wovon 2000 nach Syrien geschmuggelt wurden.
Im August 2012 musste Waleed vor dem Massaker von Darayya, bei dem Regierungstruppen uber 700 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, ermordeten, mit ihrer Familie aufs Land fliehen. Sobald die Gewalt nachließ, dokumentierte sie mit weiteren Enab-Baladi-Mitarbeitern das Ausmaß des Verbrechens: Sie berichteten unter anderem von Massengrabern und familiaren Femiziden an Vergewaltigungsopfern.
Waleeds jungerer Bruder Mohammed (geb. 1988/89), der fur das Syrische Rote Kreuz arbeitete, wurde 2012 vom Regime entfuhrt und wird seitdem vermisst (siehe Verschwindenlassen).
Infolge der Inhaftierung einer der Arbeit fur Enab Baladi verdachtigten Kollegin und Beschlagnahmung ihres Mobiltelefons durch die syrische Polizei musste Waleed das Land verlassen, da ihre Kontaktinformationen auf dem Gerat gespeichert waren. Ihre Flucht fuhrte sie uber den Libanon, Agypten und Jordanien in die Turkei. Im Mai 2015 lebte sie mit anderen Mitarbeitern der Untergrundzeitung in Gaziantep; von den 24 Grundungsmitgliedern waren drei getotet, acht inhaftiert und gefoltert sowie zwolf zur Flucht gezwungen worden.
Am 7. Oktober 2015 wurde ihr von der NGO Reach All Women in War der Anna-Politkowskaja-Preis zuerkannt. In der Begrundung heißt es: „[Waleed] berichtet der Welt und den Menschen in Syrien mutig uber die Graueltaten des Konflikts, trotz der Gefahren, denen sie und ihre Kollegen jeden Tag ausgesetzt sind“.
Im Marz 2016 berichtete Enab Baladi, Waleed sei bei der Einreise in die Turkei am Flughafen Istanbul-Ataturk aufgrund nicht naher bezeichneter Probleme mit ihren Papieren festgenommen worden. Ihr drohe die Abschiebung nach Syrien.
In ihrem bislang letzten Interview im November 2018 erlauterte Waleed, die zu diesem Zeitpunkt per Stipendium an der SOAS University of London studierte, gegenuber The Hindu nahere Hintergrunde uber die Entstehung von Enab Baladi. Sie habe nicht nur der vollstandig vom Regime kontrollierten Presse ihres Landes etwas entgegensetzen wollen, sondern sei auch mit der internationalen Berichterstattung uber den Krieg unzufrieden gewesen. Westliche Medien hatten sich kaum fur die Situation der syrischen Zivilbevolkerung, sondern hauptsachlich fur Haiʾat Tahrir asch-Scham interessiert. Zudem sei Assad vereinzelt als „großartig und zivilisiert“, seine Gegner hingegen als „Fanatiker“ dargestellt worden. Nur wenige auslandische Journalisten hatten wahrheitsgemaß berichtet, etwa Marie Colvin, die deswegen wie Jamal Khashoggi ermordet worden sei. Zum Zeitpunkt des Gesprachs war Waleed nach eigenen Angaben immer noch an der Produktion von Enab Baladi beteiligt. Da sowohl ihre Aufenthaltsgenehmigung in der Turkei als auch ihr syrischer Pass abgelaufen seien, hoffe sie darauf, im Vereinigten Konigreich Asyl zu erhalten.
Weblinks Reach All Women in War: ‘Grapes of My Country’ – Kholoud Waleed and Enab Baladi auf YouTube, 8. Oktober 2015 (englisch; Laufzeit: 7 Min.).
Scott Greenstone: The Apricot Tree: Kholoud Waleed Tells Stories to Make Sense of the Syrian Civil War. Interview. University of Oregon-UNESCO Crossings Institute, 5. September 2016; abgerufen am 8. Mai 2024.
Einzelnachweise
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Kholoud Waleed (arabisch خلود وليد, DMG Hulud Walid; geb. 1984 in Darayya) ist eine syrische Journalistin und Mitgrunderin der unabhangigen Untergrundzeitung Enab Baladi. Fur ihre Reportagen uber den Burgerkrieg in Syrien wurde sie 2015 mit dem Anna-Politkowskaja-Preis ausgezeichnet.
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c-807
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Der Knabe mit Flote auch Junge mit Federhut und Flote oder Singender Knabe mit Flote (niederlandisch Zingende Jongen met fluit) ist ein um 1627 entstandenes Gemalde von Frans Hals. Das in Ol auf Leinwand gemalte Bild hat nach spateren Uberarbeitungen heute eine Hohe von 62 cm und eine Breite von 55,2 cm. Ursprunglich war das Gemalde großer, wurde jedoch im Laufe der Zeit umgearbeitet. Es zeigt das genreartige Motiv eines als Musiker kostumierten Jungen, der eine Flote in der Hand halt. Das Werk kann als allegorische Darstellung des Gehors und als Vanitassymbol interpretiert werden. Seit 1874 ist das Gemalde Teil der Sammlung der Gemaldegalerie in Berlin.
Beschreibung Das Gemalde zeigt einen Knaben als Halbfigur im Hochformat. Die Identitat des Dargestellten ist nicht bekannt, vermutet wird eines der Kinder des Malers, deren Musikalitat uberliefert ist. Das Motiv ist als Dreieckskomposition angelegt, bei der die Kopfspitze und die unteren Bildecken die Bezugspunkte ergeben. Vor nahezu monochrom hellgrauem Hintergrund bleibt die ortliche Situation undefiniert. Der Kopf des Dargestellten ist zur rechten Schulter gedreht und leicht zur Seite geneigt. Die gesenkten Augen richten den Blick nach unten. Wohin der Junge schaut, bleibt dabei unklar. Das leicht wellige, schulterlange Haar, das frei uber die Stirn und das Ohr fallt, die geroteten Wangen und Nasenspitze sowie die vollen roten Lippen unterstreichen die jugendliche Erscheinung und Vitalitat des Dargestellten. Der geoffnete Mund mit den weißen Zahne wurde unterschiedlich gedeutet. Neben der Erklarung, der Junge habe soeben seine Darbietung beendet, gibt es die Vermutung, er zeige sein „ungehemmtes Lachen“.
Vor der Brust halt er mit den leicht gekrummten Fingern der rechten Hand eine braune Blockflote. Dabei bedecken die mittleren Finger die oberen Locher des Musikinstrumentes. Hierdurch kann der Eindruck entstehen, „als hatte er sein Spiel kurz unterbrochen.“ Die linke Hand ist bei angewinkeltem Arm nach oben gestreckt, wobei die offene Innenflache nach vorn zeigt und die Finger ausgestreckt sind. Diese Geste der offenen Hand und der nach unten gerichtete Blick des in sich versunkenen Musikers erwecken den Eindruck, als wurde er „dem Echo von verklingender Musik lauschen“.
Ungewohnlich ist das „Theaterkostum“, das „ganz gewiß keine ubliche Tracht fur Haarlemer Knaben um 1620“ darstellt, sondern ihn als Musiker kennzeichnet, wie der Kunsthistoriker Seymour Slive feststellt. Hierzu gehort ein rotlicher Mantel, ein graubraunes Wams und darunter ein weißes Hemd, das am Kragen und Armel hervorschaut. Neben diesen eher schlichten Bekleidungsstucken tragt der Junge eine auffallige Kopfbedeckung. An einem auf der rechten Kopfhalfte schrag platzierten Barett ist eine „uppige weißblaue Feder“ befestigt, die schwungvoll uber den Kopf reicht und sich leuchtend „von den umgebenden Farbwerten absetzt“. Die gesamte Figur wird vom vollen Tageslicht umspielt, ein Schatten erscheint am rechten unteren Bildrand. Dort, neben der erhobenen Hand, ist das Bild mit dem verbundenen Monogramm „FH“ signiert.
Verschiedene Autoren haben die Spontanitat und die Lebendigkeit der Darstellung hervorgehoben. Hierzu tragt der „fur Hals typische, lockere Farbauftrag“ bei, der „akzentuiert mit kurzen, temperamentvollen Pinselzugen gesetzt ist“, wie die Kunsthistorikerin Katja Kleinert feststellte. Der Frans-Hals-Wiederentdecker Theophile Thore urteilte, der Kunstler wurde wie ein Fechter malen und seinen Pinsel wie ein Florett einsetzen. Hinzu kommt der ungewohnte Bildausschnitt und eine von Hals gezielt gesetzte Blickfuhrung. So wird der Blick des Betrachters beispielsweise diagonal von der rechten Hand uber die schrag gehaltene Flote zur offenen linken Hand gelenkt. Zudem hebt die Lichtfuhrung das Gesicht hell hervor und zeichnet den Schwung der Feder nach. Insgesamt besticht das Gemalde durch „die naturlich Frohlichkeit des Musikanten“ und „die Ungezwungenheit seiner Haltung“ wie Seymour Slive anmerkte. Der Knabe scheint voll von „Lebensfreude und Begeisterung“ dem „Klang verhallender Musik zu lauschen“, stellte Katja Kleinert fest. Anlasslich der Ausstellung des Bildes 2018 stellte ein Autorenteam fest: „Das Bild ist ein Meisterwerk der suggerierten Naturlichkeit und Ungezwungenheit.“
Uberarbeitungen Die heutige Fassung des Gemaldes entspricht nicht mehr ganz dem von Frans Hals geschaffenen Werk. Das ursprunglich etwa 6 cm hohere Gemalde ist spater von einem unbekannten Maler verandert worden. In dieser uberarbeiteten Fassung gelangte das Bild Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Kunstmarkt und wurde entsprechend dokumentiert. Der Grund fur die Veranderung des Bildes ist nicht bekannt, moglicherweise sollte so eine Beschadigung am unteren Bildrand und an der unteren linken Bildecke behoben werden.
Anlasslich der Untersuchung des Gemalde 1959/1960 in der Berliner Gemaldegalerie entdeckte der Restaurator Hans Bohm wesentliche Veranderungen an der Leinwand, die sicher nicht von Frans Hals stammten. Er stellte fest, dass am unteren Bildrand ein Leinwandstreifen hinzugefugt wurde. Diese Erganzung zeigt ein aufgeschlagenes Liederbuch und den unteren Teil der Flote. Hierdurch ergab sich eine inhaltliche Diskrepanz, da der Knabe nicht auf des Liederbuch vor ihm, sondern daran vorbei schaute. Diese Bilderganzung wird seit der Restaurierung vom Bildrahmen verdeckt. Bei der Restaurierung wurden zudem die von fremder Hand spater hinzugefugten und weit ins Bild ragenden Ubermalungen entfernt. Dies betraf vor allem den Bereich von Wams und Armel. Der Kunsthistoriker Claus Grimm bemangelte, dass durch die Restaurierung der verkurzte Oberarm hinter der ausgestreckten Hand zerstort wurde und das Bild dadurch an dieser Stelle unverstandlich sei.
Nach der Restaurierung und der Abdeckung des unteren Bildstreifens gingen verschiedene Kunsthistoriker zunachst davon aus, das Gemalde sei ursprunglich entsprechend kleiner gewesen und hatte nahezu quadratische Abmessungen gehabt. Die Auswertung der Rontgenaufnahme des Gemaldes hat jedoch ergeben, dass die Fadenfolge der unteren Anstuckelung bei einer Drehung um 180 Grad fadengenau zur Struktur der Leinwand am oberen Bildrand passt, folglich der Leinwandstreifen vorher dort abgeschnitten und dann am unteren Bildrand angefugt wurde. Zudem entsprechen die Farbschichtfolgen der Anstuckelung vor der Ubermalung jenen vom oberen Gemaldeteil. Die ursprunglichen Maße des Gemaldes betrugen vermutlich 70 × 57 cm. Das Gemalde wirkte dadurch deutlicher als Hochformat, in dem der Knabe nur zwei Drittel der Flache einnahm. Katja Kleinert hob hervor, dass durch den „raumlich großeren Kontext“ der Maler „seinem Bild dem Aspekt des Klanges und der Resonanz im wahrsten Sinne des Wortes großzugig Raum gewahrte.“
Vorbilder Frans Hals griff bei seinen Genrebildern der 1620er Jahre wiederholt auf Werke der so genannten Utrechter Caravaggisten zuruck. Die in Utrecht aktiven Maler, darunter Hendrick ter Brugghen, Gerrit van Honthorst, Dirck van Baburen und Abraham Bloemaert, arbeiteten im Stil des italienischen Malers Caravaggio und ubernahmen dessen naturalistische Bildgestaltung und Lichtfuhrung. Diese Maler waren teilweise zuvor nach Italien gereist und hatten dort dessen Werke im Original studiert. Danach ubertrugen sie die neuen Bildideen auf ihre eigenen Werke. Verschiedene Kunsthistoriker gehen davon aus, dass Frans Hals die Arbeiten seiner zeitgenossischen Malerkollegen kannte, zumal Utrecht nur rund 50 Kilometer von seinem Wohnort Haarlem entfernt ist. Hals hatte sich bereits in seinen fruheren Werken an den Vorbildern aus Utrecht orientiert. So erprobte er die Lichtfuhrung, wie sie im Bild Knabe mit Flote angewandt wurde, bereits 1624 in seinem Gemalde Der lachende Kavalier und auch beim um 1624–1626 entstandenen Bild Lautenspieler mit Weinglas in der Hand.
Die Darstellungen von kostumierten Sangern, Musikern und Schauspielern als lebensgroße Brust- oder Halbfigurenkompositionen sind ein wiederkehrendes Motiv in der niederlandischen Malerei des 17. Jahrhunderts. Auch bei den Malern aus Utrecht finden sich solche Arbeiten, die wiederum das Werk von Hals beeinflussten. Beispielsweise ist die auffallig erhobene linke Hand im Gemalde Knabe mit Flote bereits 1622 nahezu gleich als rechte Hand im Gemalde Singender junger Mann von Dirck van Baburen zu sehen. Solche wirkungsvoll in Szene gesetzte ausdrucksstarke Hande hatte fruher bereits Caravaggio in seinem Abendmahl in Emmaus inszeniert.
Das Bild Knabe mit Flote von Frans Hals ist motivisch besonders eng verwandt mit dem 1621 entstandenen Gemalde Blockflote spielender Knabe von Hendrick ter Brugghen, wobei Frans Hals den Moment des Innehaltens zeigt und ter Brugghen das eigentliche Spiel darstellt. Vom selben Maler gibt es zudem ein Motiv Singender Knabe, das vermutlich im selben Jahr wie der Knabe mit Flote von Hals entstand. Ter Brugghens Singender Knabe weist ebenfalls die markant erhobene Hand auf, moglicherweise ein Hinweis, dass er mit ihr den Takt der Musik schlagt. Ob bei Barburen, ter Brugghen oder bei Hals, die singenden und musizierenden jungen Manner tragen alle eine theaterhafte Kostumierung mit Federschmuck an der Kopfbedeckung.
Flotenspiel als Allegorie des Gehors und Vanitassymbol Auch wenn das Gemalde Knabe mit Flote portrathaft mit individuellen Gesichtszugen erscheint, ist es nicht als Personenbildnis konzipiert. Im 17. Jahrhundert war es nicht ublich, „einfache Leute zu portratieren“, so der Franz-Hals-Experte Claus Grimm. Stattdessen diente die Darstellung von Volkstypen dem Erkenntnisgewinn und sollte dem Betrachter den Spiegel vorhalten. Bilder, die Lebensgenusse wie das Rauchen und das Trinken oder aber das Horen von Musik zeigen, sollten zum Nachdenken anregen. Dem genrehaften Sujet des Knaben mit der Flote liegt daher wahrscheinlich eine allegorische Bedeutung zugrunde und es kann als Vanitasbild gesehen werden.
Die Flote lasst sich ikonografisch auf den antiken Marsyasmythos zuruckzufuhren und kann bei allegorischen Darstellungen als Attribut des Gehors gelten. Motive des Themenkreises der funf Sinne erfreuten sich zur Zeit von Frans Hals einer gewissen Beliebtheit. Dargestellt wurden sie haufig mit weiblichen Figuren, aber auch szenische Motive sind bekannt. So gibt es von Hendrick Goltzius sowohl eine allegorische Darstellung des Gehors als Lautenspielerin wie auch als musizierendes Paar. Von Dirck Hals, einem Bruder von Frans Hals, stammt die auf 1636 datierte Reihe mit den funf Sinnen, die von Jungen und Madchen als Halbfigur verkorpert werden. Der Knabe mit der Flote von Frans Hals muss jedoch nicht zwingend zu einer Reihe von Gemalden mit allen funf Sinnen gehort haben, da auch kleinere Gruppen oder einzelne Darstellungen von Sinnen ublich waren. Es gibt zwar in einem Amsterdamer Inventar von 1654 eine Beschreibung von funf Sinnen von Frans Hals, jedoch ist nicht gesichert, ob der Knabe mit Flote dazu gehorte oder ob es sich tatsachlich um eine Werkgruppe des Malers handelte. Erhalten sind hingegen zwei Gemalde von Frans Hals im Staatlichen Museum Schwerin, die einen Knaben mit Flote und einen Knaben mit Weinglas zeigen und das Gehor und den Geschmack symbolisieren.
Die Verbindung von Gesang und dem Spiel eines Musikinstrumentes findet sich bei Hals im Bild Die singenden Knaben, das um 1623 bis 1627 entstanden ist. Hier ist zudem eine erhobene Hand zu sehen, wie sie ahnlich im Bild Knabe mit Flote erscheint. Weiterhin findet sich die Laute bei Hals im bekannten Motiv des Lautenspielers, der etwa um 1623/1624 gemalt wurde. Musikinstrumente wie die Laute oder die Flote erscheinen auch in verschiedenen niederlandischen Stillleben als „Symbole fur Lebensfreude und Sinngenuss“. Im Gemalde Knabe mit Flote ist die gerade verklungene Musik ein moralischer Hinweis auf die Verganglichkeit. Es ist „eine Art visueller Mahnung, sich nicht vollig dem Genuss hinzugeben.“
Provenienz Die fruhe Herkunft des Gemaldes ist unbekannt. Ein erster dokumentierter Verkauf des Bildes fand 1817 statt, als es mit der Sammlung Bernardus Ocke, Landesdekan des Rijnlands und Pfarrer der Heilige Lodewijkkerk, am 21./22. April mit der Nr. 45 in der Kunsthandlung V. Leen/De Lelie in Leiden versteigert wurde. Das Bild gelangte dabei fur 78 Gulden in die Sammlung Van Goetem. Danach befand sich das Werk in der Sammlung von Pieter Ernst Hendrik Praetorius in Amsterdam, der als Maler und zudem als Vorsitzender des Beirates des Amsterdamer Rijksmuseums wirkte. Ein nachster Verkauf erfolgte am 16./17. Dezember 1856 in einer Auktion bei Roos/De Vries/Engelberts in Amsterdam, wo es als Nr. 19 aufgefuhrt war. Fur 61 Gulden gelangte das Gemalde hierbei in die Sammlung des Bankiers Barthold Suermondt aus Aachen. 1874 erwarben die Berliner Koniglichen Museen bedeutende Teile der Sammlung Suermondt einschließlich der Gemalde Knabe mit Flote und Malle Babbe von Frans Hals. Fur den Knaben mit Flote war im Vertrag ein Wert von 1300 Taler angesetzt. Der Ankauf dieser Frans-Hals-Gemalde ist bemerkenswert, da Museumsdirektor Wilhelm von Bode bereits 1871 in seiner Dissertation uber den Maler angemerkt hatte, dieser sei bereits gut in Berlin vertreten. Der Knabe mit Flote wurde zunachst im Alten Museum gezeigt und kam 1904 in das neu eroffnete Kaiser-Friedrich-Museum. Nach der Auslagerung der Museumsbestande im Zweiten Weltkrieg gelangte das Gemalde zunachst nach Westdeutschland. Seit den 1950er Jahren zeigte es die neu gegrundete Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der Gemaldegalerie in Berlin-Dahlem. Seit 1998 wird es am neuen Standort des Museums im Kulturforum ausgestellt. Die heutige Gemaldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin fuhrt das Gemalde mit der Inventarnummer 801A.
Ausstellungen 1873. Exposition de tableaux et dessins d’anciens maitres, Nr. 16, Societe neerlandaise de bienfaisance, Brussel.
1873: Exposition de tableaux et dessins d’anciens maitres, Nr. 76, Musee Royal, Brussel.
1948–1949: Paintings from the Berlin Museums. Ausstellungstournee National Gallery of Art in Washington D. C., Metropolitan Museum of Art in New York, Philadelphia Museum of Art, Museum of Fine Arts, Boston, Art Institute of Chicago, Detroit Institute of Arts, Cleveland Museum of Art, Minneapolis Institute of Arts, M. H. de Young Memorial Museum in San Francisco, Los Angeles County Museum of Art, Saint Louis Art Museum, Carnegie Institute in Pittsburgh und Toledo Museum of Art in Toledo, Ohio.
1950: 120 beroemde schilderijen uit het Kaiser-Friedrich Museum in Berlijn, Rijksmuseum Amsterdam.
1984: Masters of Seventeenth-Century-Dutch-Masters, Wanderausstellung Philadelphia Museum of Art, Royal Academy of Arts in London und Gemaldegalerie Berlin (dort Von Frans Hals bis Vermeer: Meisterwerke hollandischer Genremalerei.)
2024: Frans Hals. Wanderausstellung National Gallery London, Rijksmuseum Amsterdam und Gemaldegalerie Berlin.
Literatur Peter van den Brink, Wibke Vera Birth (Hrsg.): Gestatten, Suermondt! Sammler, Kenner, Kunstmazen. Ausstellungskatalog Suermondt-Ludwig-Museum Aachen. Belser, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-7630-2810-8.
Gemaldegalerie (Berlin, West): Katalog der ausgestellten Gemalde des 13.–18. Jahrhunderts. Gemaldegalerie Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1975, ISBN 3-7861-6196-8.
Claus Grimm: Frans Hals. Das Gesamtwerk. Belser, Zurich/Stuttgart 1989.
Claus Grimm: Frans Hals and his workshop. Nederlands Instituut voor Kunstgeschiedenis, RKD Studies, Den Haag 2023–2024, ISBN 978-90-719-2917-5.
Arnold Houbraken: Grosse Schouburgh der niederlandischen Maler und Malerinnen. Deutsche Ausgabe. Braumuller, Wien 1880.
Seymour Slive (Hrsg.): Frans Hals. Ausstellungskatalog. Prestel, Munchen 1989, ISBN 3-7913-1030-5.
Tilmann von Stockhausen: Gemaldegalerie Berlin: die Geschichte ihrer Erwerbungspolitik 1830–1904. Staatliche Museen zu Berlin und Nicolai, Berlin 2000, ISBN 3-87584-769-5.
Christiane Stukenbrock: Frans Hals: frohliche Kinder, Musikanten und Zecher: eine Studie zu ausgewahlten Motivgruppen und deren Rezeptionsgeschichte (= Europaische Hochschulschriften. Reihe 28, Kunstgeschichte, Band 16). Peter Lang, Frankfurt am Main 1993, ISBN 3-631-45780-4.
Theophile Thore: Galerie Suermondt a Aix-la-Chapelle. Claassen, Brussel/Ostende 1860.
Wilhelm Reinhold Valentiner (Hrsg.): Frans Hals, des Meisters Gemalde. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1921.
Jaap van der Veen, Friso Lammertse, Bart Cornelis, Erik Eising, Dagmar Hirschfelder: Frans Hals, Meister des Augenblicks. Ausstellungskatalog Gemaldegalerie Berlin. Hatje Cantz, Berlin 2024, ISBN 3-7757-5749-X.
Weblinks Eintrag zum Gemalde Knabe mit Flote auf der Website der Staatlichen Museen zu Berlin
Eintrag zum Gemalde Zingende Jongen met fluit auf der Website des RKD — Nederlands Instituut voor Kunstgeschiedenis
Einzelnachweise
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Der Knabe mit Flote auch Junge mit Federhut und Flote oder Singender Knabe mit Flote (niederlandisch Zingende Jongen met fluit) ist ein um 1627 entstandenes Gemalde von Frans Hals. Das in Ol auf Leinwand gemalte Bild hat nach spateren Uberarbeitungen heute eine Hohe von 62 cm und eine Breite von 55,2 cm. Ursprunglich war das Gemalde großer, wurde jedoch im Laufe der Zeit umgearbeitet. Es zeigt das genreartige Motiv eines als Musiker kostumierten Jungen, der eine Flote in der Hand halt. Das Werk kann als allegorische Darstellung des Gehors und als Vanitassymbol interpretiert werden. Seit 1874 ist das Gemalde Teil der Sammlung der Gemaldegalerie in Berlin.
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c-808
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Madchenkolonialliteratur, auch Madchenkolonialroman, ist eine Gattung der deutschsprachigen Madchenliteratur und der Kolonialliteratur, die das Ziel hatte, Madchen und Frauen fur den Kolonialismus anzuwerben. Sie kam Anfang des 20. Jahrhunderts gegen Ende der deutschen Kolonialmacht auf und war eng verknupft mit dem Aufkommen des imperialistischen Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft. Typische Protagonistinnen waren weiße heranwachsende Frauen, die durch das Erlernen von Waffengewalt und Jagd sowie durch besondere Tapferkeit aus traditionellen Geschlechterrollen ausbrechen, sich am Ende aber wieder in diese Rollen einfugen, um zum Erfolg des Kolonialprojekts beizutragen. Schwarze und indigene Menschen wurden, wie in Kolonialpropaganda ublich, stark rassistisch dargestellt.
Geschichte = Kontext und Vorgeschichte =
Reisen und Erkundung des Fremden fanden im spaten 19. Jahrhundert als Themen Einzug in die deutschsprachige Madchenliteratur. Die Germanistin Silke Kirch nennt Brigitte Augustis Romanserie Am fremden Herd, veroffentlicht zwischen 1886 und 1894, als Vorreiter der Reiseromane fur Madchen. Madchenromane uber Reisen etwa in andere europaische Lander oder in die Vereinigten Staaten waren erfolgreich und wurden mehrmals neu aufgelegt.
Die Madchenkolonialliteratur kam im Deutschen Kaiserreich im Zuge des deutschen Kolonialismus auf. Propaganda fur den Kolonialismus war staatlich gewunscht und Jugendliteratur mit kolonialen Kontexten sowie zur Rechtfertigung der deutschen Kolonialbestrebungen wie Gustav Frenssens Peter Moors Fahrt nach Sudwest (1904) war popular. Wahrend Kolonialliteratur fur Jungen schon in den 1880er Jahren aufkam, erschien Kolonialliteratur fur Madchen erst relativ spat, nach dem Volkermord an den Herero und Nama (bis 1908), als Rassentrennung in den Kolonien strikter wurde. Die Deutsche Kolonialgesellschaft wie auch der ihr zugehorige Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft motivierten im Zuge der so genannten „Mischehendebatte“ aus Angst vor Mischehen zwischen weißen deutschen Mannern und Schwarzen Frauen junge, ledige weiße deutsche Frauen dazu, in die Kolonien auszuwandern, vor allem nach Deutsch-Sudwestafrika. Ab seinem Bestehen im Jahr 1907 gab der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft etwa eine Zeitschrift heraus, um deutsche Frauen fur die Kolonien anzuwerben.
Wahrend manche Frauenrechtlerinnen im Deutschen Reich die Gewalt in den Kolonien kritisierten, waren Teile der burgerlichen Frauenbewegung dem Kolonialprojekt verbunden. Manche Frauenrechtlerinnen wie Minna Cauer, die dem so genannten „radikalen“ Flugel der burgerlichen Frauenbewegung angehorte, forderten die Gleichstellung von weißen Frauen und weißen Mannern in den Kolonien und hofften auf eine Ruckwirkung hin zu mehr Frauenrechten im Deutschen Reich.
= Entstehung und Entwicklung =
Zu den wichtigsten Autorinnen der Madchenkolonialliteratur bis in die 1920er Jahre zahlen Kathe van Beeker, Henny Koch, Elise Bake, Valerie Hodann sowie Clara Brockmann, die im Gegensatz zu den anderen Autorinnen selbst Siedlerin in Deutsch-Sudwestafrika war. Viele Autorinnen waren Mitglieder im Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft oder standen diesem zumindest nahe. Romane spielten hier vor allem in Deutsch-Sudwestafrika vor dem Hintergrund von Krieg und Konflikt mit den indigenen Volkern der Herero und Nama.
In der Zeit des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 wurden viele Werke der Madchenkolonialliteratur im Zuge der nationalsozialistischen Kolonialpropaganda neu aufgelegt und neue Werke verfasst, die die Narrative und Themen der Madchenkolonialliteratur in neue Kontexte setzten. In den nationalsozialistischen Madchenkolonialromanen kampften die Protagonistinnen nicht mehr gegen Indigene, sondern leisteten beispielsweise passiven Widerstand gegen die neue britische Kolonialmacht im ehemaligen Deutsch-Ostafrika zum Erhalt des „Deutschtums“. Else Steup schrieb mehrere Bucher mit dem Madchen Wiete als Hauptfigur, die die Koloniale Frauenschule Rendsburg besucht und anschließend in den ehemaligen Kolonien lebt, z. B. Wiete will nach Afrika (1936) und Wiete erlebt Afrika (1938). Minni Grosch veroffentlichte 1934 den Roman Grenzlandjugend, der die rassistische Kampagne der „Schwarzen Schmach am Rhein“ mit typischen Stilmitteln der Madchenkolonialliteratur verarbeitete, obwohl er im Rheinland spielt und nicht in den ehemaligen deutschen Kolonien.
Charakterisierung Der Literaturwissenschaftler Joseph Kebe-Nguema beschreibt die Gattung in der deutschsprachigen Literatur als eine Vermischung von Backfischroman und Kolonialliteratur. Werke der Madchenkolonialliteratur wollten Madchen und Frauen fur den Kolonialismus anwerben. Hauptfiguren sind weiße heranwachsende Frauen, die meist aus familiaren Grunden in den Kolonien sind.
= Bruch mit Rollenbildern =
Traditionelle Rollenbilder fur Madchen werden in der Madchenkolonialliteratur oft gebrochen. Silke Kirch analysiert, die Madchenkolonialliteratur habe sich thematisch auf emanzipatorische Forderungen der Frauenbewegung bezogen und sich damit explizit von anderen Stromungen der Backfischliteratur abgegrenzt.
Kebe-Nguema spricht von einer „Genderhybriditat“. In Die Vollrads in Sudwest: Eine Erzahlung fur junge Madchen (1916) von Henny Koch erhalt die weibliche Hauptfigur einen mannlichen Spitznamen, weil der Vater sich bei ihrer Geburt einen Sohn gewunscht habe. Ungewohnlich fur die Darstellung von Frauen in anderer Kolonialliteratur, lernen die Protagonistinnen in der Madchenkolonialliteratur oft, mit Waffen umzugehen. Kathe van Beeker beschreibt in Heddas Lehrzeit in Sudwest: Erzahlung fur Madchen (1909), wie die Protagonistin in Deutsch-Sudwestafrika das Jagen und Waffentragen erlernt. Die Hauptfigur von Elise Bakes Schwere Zeiten: Schicksale eines deutschen Madchens in Sudwestafrika (1913) hat die Aufgabe, ihre Familie bei Abwesenheit von mannlichen Familienmitgliedern zu verteidigen, und erschießt wahrend des Volkermords an den Herero einen Herero. Sie wird deshalb von ihrem Onkel als „tapferer, kleiner Kerl“ bezeichnet.
Protagonistinnen werden als tapfer dargestellt. Sie mussten sich nicht nur gegen die Gefahr von indigenen Mannern in den Kolonien wehren, sondern sich das Schießen selbst beibringen, um mit den deutschen Mannern mithalten zu konnen.
= Darstellung von indigenen Menschen =
Indigene Menschen werden als kindlich, faul und gewalttatig dargestellt, um die kolonialen Machtstrukturen zu rechtfertigen, und sollten von der Zivilisierungsarbeit weißer Siedler profitieren. Clara Brockmann, die selbst Siedlerin in Deutsch-Sudwestafrika war, etwa schreibt, Schwarze Menschen „brauchen Strenge und verlangen Autoritat“ und die Herero seien ein „schmutziges zerlumptes Volk“. Henny Koch rechtfertigt in ihren Buchern Gewalt an und Ausrottung von indigenen Menschen. Weiße Frauen arbeiten etwa bei Kathe van Beeker Missionaren zu und erfullen somit eine Bindefunktion zwischen Indigenen und mannlichen Kolonialherren. Schwarze und indigene Menschen werden teilweise auch entmenschlicht und als Tiere oder Bestien geschildert.
Schwarze Frauen werden als besonders unterdruckt durch Schwarze Manner dargestellt und hatten im Gegensatz zu den emanzipierten weißen Protagonistinnen keine Frauenbewegung. Kebe-Nguema schreibt: „Dies ignoriert die Tatsache, dass seit jeher verschiedene Nationen in Sudwestafrika lebten, die sich nicht nur außerlich und sprachlich voneinander unterschieden, sondern auch kulturell. Die Nation der Ovambo ist z. B. matriarchal organisiert.“ Zusammenhalt zwischen Frauen unabhangig von Rassifizierung findet nicht statt; Solidaritat wird vor allem national und „rassisch“ gedacht. Clara Brockmann bezeichnet in ihrem Buch Briefe eines deutschen Madchens aus Sudwest Schwarze Frauen durchgehend als „Weiber“, wahrend weiße Frauen als „Frauen“ bezeichnet werden.
Liebesbeziehungen, wenn sie thematisiert werden, finden nur zwischen Menschen mit gleicher Rassifizierung statt.
= Einfugung in Rollenbilder =
Protagonistinnen scheitern in der Madchenkolonialliteratur oft an der Verteidigung der Familie mit Waffen oder brechen, etwa bei Henny Koch, in Tranen aus, sobald sie erfolgreich waren. Andere weibliche Figuren wie Schwestern oder Freundinnen der Protagonistinnen fugen sich von Beginn den an sie erwarteten Geschlechterrollen.
Nach Ende des Konflikts im Roman fugen sich die weiblichen Hauptfiguren oft herkommlichen Rollenbildern und heiraten, wie in der Backfischliteratur ublich. Die Protagonistin von Henny Kochs Die Vollrads in Sudwest etwa heiratet am Ende einen adligen Offizier der Schutztruppe. Die Einfugung der Figuren in traditionelle Muster als Hausfrauen stellt dabei auch eine wichtige politische Identitat dar, da Frauen in den Kolonien zum Erfolg der deutschen Nation beitrugen.
Sexualitat ist ublicherweise ein Tabuthema in der Madchenkolonialliteratur. Die Jungfraulichkeit der weißen Protagonistinnen solle, so Kebe-Nguema, widerspiegeln, dass sie im Gegensatz zu schmutzigen schwarzen Menschen auch charakterlich rein seien.
Einzelnachweise
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Madchenkolonialliteratur, auch Madchenkolonialroman, ist eine Gattung der deutschsprachigen Madchenliteratur und der Kolonialliteratur, die das Ziel hatte, Madchen und Frauen fur den Kolonialismus anzuwerben. Sie kam Anfang des 20. Jahrhunderts gegen Ende der deutschen Kolonialmacht auf und war eng verknupft mit dem Aufkommen des imperialistischen Frauenbundes der Deutschen Kolonialgesellschaft. Typische Protagonistinnen waren weiße heranwachsende Frauen, die durch das Erlernen von Waffengewalt und Jagd sowie durch besondere Tapferkeit aus traditionellen Geschlechterrollen ausbrechen, sich am Ende aber wieder in diese Rollen einfugen, um zum Erfolg des Kolonialprojekts beizutragen. Schwarze und indigene Menschen wurden, wie in Kolonialpropaganda ublich, stark rassistisch dargestellt.
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c-809
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Irina Fjodorowna Sebrowa (russisch Ирина Фёдоровна Себрова; 12. Dezemberjul. / 25. Dezember 1914greg. – 5. April 2000) war eine sowjetische Bomberpilotin im 588. Nachtbombenfliegerregiment (Nachthexen) im Deutsch-Sowjetischen Krieg. Bis zum Kriegsende flog sie uber 1000 Einsatze, vermutlich mehr als jede andere Pilotin weltweit.
Leben = Kindheit und Jugend =
Irina Sebrowa wurde am 12. Dezemberjul. / 25. Dezember 1914greg. in armen Verhaltnissen im Dorf Tetjakowka (20 km ostlich von Nowomoskowsk) im Gouvernement Tula geboren. Nach funf Jahren Schule ubersiedelte sie 1927 nach Moskau und schloss dort 1933 die Berufsschule als Schlosserin ab. Von 1933 bis 1939 arbeitete sie als Mechanikerin fur die Reparatur von Nahmaschinen und spater als Schichtleiterin einer Moskauer Kartonagenfabrik.
Als in der Kartonagenfabrik auf eigene Kosten ein Flugzeug angeschafft wurde, schickte der ortliche Fliegerklub Ausbildungsgutscheine fur Komsomol-Mitglieder. Irina war eine von drei Teilnehmerinnen, die zur Flugausbildung geschickt wurden.
1939 absolvierte sie ihre Flugausbildung zuerst in Moskau und 1940 in Cherson bei der OSSOAWIACHIM. Von 1940 bis 1941 arbeitete sie als Fluglehrerin im Chodynkafeld.
= Zweiter Weltkrieg =
Sebrowa trat im Oktober 1941 in Moskau in den Militardienst ein. Ihre siebenmonatige Ausbildung als Bomberpilotin fand im Hinterland an der Wolga statt. Schon wahrend der Ausbildung wurde sie im Februar 1942 dem 588. Nachtbombenfliegerregiment zugeteilt. Wahrend der Ausbildung erlebte sie zwei schwere Unfalle mit, bei denen vier ihrer Kameradinnen ums Leben kamen. Sebrowa und ihre Navigatorin Rufina Gaschewa blieben unverletzt, als sie wahrend eines Trainingsfluges in der Nacht des 9. Marz 1942 in der Nahe ihres Flugfeldes bei schlechten Wetterbedingungen absturzten. Irina gelang es, die schwierige Zeit danach mental zu uberstehen und Selbstvertrauen zu behalten, um letztlich ihre Ausbildung abzuschließen.
Ab Mai 1942 flog sie ihre ersten Front-Einsatze mit einer Polikarpow Po-2, die von den Deutschen wegen der eigentumlichen Motorengerausche als Nahmaschine bezeichnet wurde. Das Flugzeug hatte die Heck-Nummer 13. Die ihr angebotene Anderung schlug Sebrowa aus und sagte, dass das Flugzeug sie nicht im Stich lassen werde.
Ab dem Sommer 1942 wurde sie mit der zuruckfallenden Front in die Donbass-Region und spater in den Kaukasus versetzt. Im Sunscha-Tal und am Terek, umgeben von Gebirgsketten, war sie etwa ein halbes Jahr stationiert. Die Fluge dort gestalteten sich infolge der dichten deutschen Flugabwehrstellungen sowie der sich schnell andernden Wetterbedingungen mit dichtem Nebel außerst schwierig. Im Nordkaukasus absolvierte Irina Sebrowa uber 250 Kampfeinsatze, dabei bombardierte sie Brucken, Eisenbahnzuge und feindliche Fahrzeuge sowie ein Treibstofflager bei Malgobek. Ende 1942 erhielt sie ihre erste Auszeichnung – den Rotbannerorden.
Am Ende der Einsatzfahigkeit ihres Flugmotors wurde ihr Flugzeug gemeinsam mit Sebrowa, ihrer Navigatorin und ihrer Mechanikerin in die Feld-Luftfahrt-Werkstatten (russ. „polewyje awiazionnyje masterskije“ (PAM)) in Xacmaz uberstellt. Dort lernte sie ihren spateren Ehemann kennen.
Nach der Niederlage in der Schlacht von Stalingrad im Februar 1943 begannen sich die deutschen Truppen aus dem Kaukasus zuruckzuziehen. Sebrowa unterstutzte den Vorstoß der sowjetischen Truppen, um die Deutschen am Kuban-Bruckenkopf zuruckzudrangen. Im Juli 1943 wurde Sebrowa Mitglied der KPdSU. Nach dem Durchbruch des Kuban-Bruckenkopfs wurde das Regiment in einem kleinen Fischerdorf in der Nahe von Temrjuk stationiert und flog von dort aus von Oktober 1943 bis April 1944 Einsatze auf die Krim.
Im Februar 1945 wurde Oberleutnant Irina Fjodorowna Sebrowa fur „die vorbildliche Erfullung der Kampfeinsatze, den Mut, die Tapferkeit und die Heldentaten im Kampf gegen die deutschen faschistischen Eindringlinge“ durch Erlass des Prasidiums des Obersten Sowjets der UdSSR mit dem Leninorden sowie als Held der Sowjetunion (mit der Medaille Goldener Stern, Nr. 4856) ausgezeichnet. Zum Zeitpunkt der Antragstellung gegen Ende 1944 hatte sie 792 Einsatze absolviert.
Am 26. Februar 1945 und 14. Marz 1945 wurde die Anzahl ihrer Einsatze in einem Kurzportrat sowie auf der Titelseite der Komsomolskaja Prawda mit 825 angegeben. Bei der Verleihung ihres dritten Rotbannerordens im Juni 1945 waren 1000 Einsatze im Antrag genannt. Die Gesamtzahl ihrer Einsatze wird je nach Quelle mit 1004 bis 1008 Einsatzen angegeben.
= Nach dem Krieg =
Nach 1945 war Sebrowa noch bis zur Auflosung ihrer Einheit im aktiven Dienst und wurde danach in den Reservedienst versetzt. Sie heiratete den Techniker Alexander Pawlowitsch Chomenko (26. Januarjul. / 8. Februar 1914greg. – 11. Mai 1997) und gebar 1947 ihre gemeinsame Tochter Galina. 1948 schied sie aus dem Militardienst aus. Von 1961 bis 1967 arbeitete sie in den experimentellen Produktionswerkstatten des staatlichen Luftfahrtinstituts in Moskau (MAI). Sebrowa starb am 5. April 2000 und wurde auf dem Friedhof Rakitki etwa 20 km sudwestlich von Moskau beigesetzt.
Auszeichnungen (Auswahl) Rotbannerorden am 19. Oktober 1942, 26. April 1944 und 15. Juni 1945
Leninorden am 23. Februar 1945
Held der Sowjetunion (mit goldenem Stern) am 23. Februar 1945
Medaille „Fur die Verteidigung des Kaukasus“
Orden des Vaterlandischen Krieges
Orden des Roten Sterns
Sonstiges Die Uliza Sebrowoi (russ. Sebrowa-Straße) im Stadtkreis Nowomoskowsk im Dorf Gremjatschee, wenige km nordlich ihres Geburtsorts, wurde nach ihr benannt.
Literatur Andrey Simonov + Svetlana Chudinova, (2017). Женщины – Герои Советского Союза и России [Women – Heroes of the Soviet Union and Russia]. ISBN 978-5-99096-070-1
Weblinks Biographie und Erzahlungen auf Rote Falken unseres Mutterlandes (russisch)
Einzelnachweise
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Irina Fjodorowna Sebrowa (russisch Ирина Фёдоровна Себрова; 12. Dezemberjul. / 25. Dezember 1914greg. – 5. April 2000) war eine sowjetische Bomberpilotin im 588. Nachtbombenfliegerregiment (Nachthexen) im Deutsch-Sowjetischen Krieg. Bis zum Kriegsende flog sie uber 1000 Einsatze, vermutlich mehr als jede andere Pilotin weltweit.
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Andreas Christian Hartwig Louis Ernst (* 11. Mai 1861 in Glucksburg (damals danisch); † 12. Juni 1929 in Glatz), war ein deutscher Maurermeister und Bauunternehmer. Viele seiner Architekturentwurfe pragen noch heute das Stadtbild von Glatz (seit 1945 Kłodzko); einige davon stehen unter Denkmalschutz.
Leben Andreas Ernst, Sohn des im damals danischen Glucksburg lebenden Maurermeisters Wilhelm Theodor Heinrich Ernst (1828–1902) und dessen Ehefrau Anna Caroline Adolphine Ernst geborene Hartmann (1837–1912), hatte eine Schwester und sechs Bruder. Er kam um 1887 nach Glatz und grundete 1891 ein eigenes Baugeschaft. Aus seiner interkonfessionellen Ehe mit der katholischen Martha (geborene Krause) gingen vier Tochter hervor:
1894: Elsa
1897: Ruth (Kathe Anna Ottile), verheiratet mit (Karl) Hans Boehmer
1899: Kathe (Augusta Margarethe), verheiratet mit Karl (Fritz) Krietsch
1900: Magda (Maria Auguste)
Seit 1894 wohnte die Familie in einem von Andreas Ernst entworfenen Wohnhaus am Malzplan (Połabska 1). Spater zog man in die 1900 fertiggestellte Villa Wiesenstraße 6 (ul. Grunwaldzka 4–6), die heute unter Denkmalschutz steht. Gleichzeitig entstand auf seinem 27 Morgen (rund 7 ha) großen Gartengrundstuck Lindenhof ein großes Haus (ul. Walecznych 14).
1899 wurde Ernst Mitglied der Glatzer und Frankensteiner Innung der Maurer- und Zimmermeister. Seit 1904 bis zu seinem Lebensende war er deren Vorsitzender. Ernst erwarb mehrere Baugrundstucke in Glatz, insbesondere Am Malzplan (Połabska), an der Wiesenstraße (Grunwaldzka), an der Zimmerstraße (Łuzycka), an der Herrenstraße (Lutycka), an der Neulandstraße (Stanisława Wyspianskiego), an der Angerstraße (Piastowska), am Lindenweg (ul. Walecznych) sowie am Birkenweg (ul. Willowa).
1904 kam zum Hauptsitz in Glatz noch eine Zweigstelle in Altheide dazu. Noch bevor Friedrich Brinkmann als Architekt in Altheide angestellt wurde, entwarf und baute Andreas Ernst im Auftrag des Brauerei-Besitzers Georg Haase, der in diesem Jahr auch Eigentumer von Altheide wurde, zunachst das Neue Kurhaus (umgebaut und heute Sanatorium Wielka Pieniawa) und erhielt im Anschluss Auftrage fur 29 Villen, von denen mindestens 25 noch existieren (im Klammern: heutige Hausnummern):
Debowa: Erna (14),
Kamienna: Elisabeth (1), Charitas (8),
Kryniczna: Edelweiß (1), Volkelhaus (2), Rheingold (3),
Kłodzka: Erlkonig (6),
J. Matuszewskiego: Klose (1) (neuer Name Villa Erika, heute Mała Pieniawa), Victoria (4), Diana (6), Walhalla (8),
Parkowa: Anne-Liese (9), Haus Fundner (11), Hedwig (13), Clara (17), Glatzer Rose (21), Lessing (23),
Piastowska: Charlotte (1), Eichendorf (4), Lohengrin (6), Haus Haunrex (17), Mein Eigen (18), sowie
Zdrojowa: Germania (23), Libelle (25), Grille (27), letztere drei auf eigenen Grundstucken.
Weitere Villen existieren vermutlich nicht mehr. Die Namen der Bauherren Balzer, Lehmann, Margareta und Dr. Rother konnten bisher nicht zugeordnet werden. Außerdem errichtete das Bauunternehmen Ernst auch Gebaude nach Entwurfen anderer Architekten, u. a. Maria-Himmelfahrt-Kirche in Altheide des Architekten Ludwig Schneider und das Helenenbad mit Trinkhalle, Wandelhalle, Kaffeehaus und Kurhaus.
Ernst starb im Alter von 68 Jahren unerwartet auf seinem Gartengrundstuck an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Ursprunglich war fur 1929 eine große Feier zum 25. Jahrestag seiner Wahl zum Innungsprasidenten geplant. Beigesetzt wurde Ernst in der von ihm entworfenen Gruft am Rande seines Gartengrundstucks. Sein 16 Jahre jungerer Bruder, der Maurermeister Adolf (Heinrich Andreas) Ernst (* 2. Februar 1878 in Gluckstadt), der schon seit 1908 mit ihm zusammen gearbeitet hatte, ubernahm die Geschafte, zunachst unter dem vormaligen Firmennamen A. Ernst. Adolf Ernst bewohnte zu dieser Zeit die kleine Villa Bergblick 5 (ul. Sienkiewicza 5; bis 1945 Zimmerstraße / ul. Łuzycka 9). Nach der Auszahlung der gesetzlichen Erben im Jahr 1932 anderte er den Firmennamen in Adolf Ernst, Maurermeister. Baugeschaft fur Hoch- und Tiefbau, Eisenbeton.
Ehrungen Nach seinem Tod wurde in Glatz die Andreas-Ernst-Straße (Kwiatowa) nach ihm benannt. Anlasslich des 90. Todestages wurde 2019 im Muzeum Ziemi Kłodzkiej eine große Ausstellung uber Andreas Ernst und seine Baufirma gezeigt.
Bauwerke in Glatz (Auswahl) Allein in Glatz hat Andreas Ernst in 38 Jahren uber 90 Gebaude geplant und gebaut, von denen viele noch heute existieren. Mindestens funf davon stehen aktuell auf der Denkmalliste (Stand 2022).
Literatur Joanna Jakubowicz: Andreas Ernst (1861–1929): kłodzki architekt/ein Glatzer Architekt. Muzeum Ziemi Kłodzkiej, Kłodzko 2019, ISBN 978-83-950160-2-8
100 Jahre Bad Altheide. Sonderbeilage der Schlesischen Zeitung, Breslau den 12. Juni 1928. S. 1–8. Digitalisat
Weblinks Einzelnachweise
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Andreas Christian Hartwig Louis Ernst (* 11. Mai 1861 in Glucksburg (damals danisch); † 12. Juni 1929 in Glatz), war ein deutscher Maurermeister und Bauunternehmer. Viele seiner Architekturentwurfe pragen noch heute das Stadtbild von Glatz (seit 1945 Kłodzko); einige davon stehen unter Denkmalschutz.
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Sept en gueule (franzosisch etwa Sieben im Mund) ist eine Sorte der Birne (Pyrus communis). Die Sorte wurde 2009 zur Schweizer Obstsorte des Jahres gewahlt. Sie wird auch Poire de Chio, Kleine Muskatellerbirne bzw. Kleine Muskateller oder Sieben ins Maul, Sieben ein Maul voll oder ahnlich genannt.
Geschichte Die sehr alte Sorte stammt aus Frankreich, wo sie bereits 1530 durch Charles Estienne erwahnt wurde. Von dort kam sie auch in die Schweiz und in das damals zum Haus Wurttemberg gehorige Montbeliard. Im Elsass wurde sie insbesondere um Guebwiller angebaut. Moglicherweise ist sie jedoch bedeutend alter, moglicherweise ist sie eine der ersten Sorten Birnensorten, die fur den Frischverzehr geeignet waren. Einige Autoren vermuten gar, dass die Sorte bis in das erste Jahrhundert nach Christus zuruckgeht. Nach Deutschland wurde sie spatestens im 18. Jahrhundert eingefuhrt. Unter anderem wurde sie 1794 von Johann Volkmar Sickler beschrieben und um dieselbe Zeit vom wurttembergischen Hofgartner Johann Kaspar Schiller vermehrt.
Bei gezielter Nachsuche in den 1980er und 1990er Jahren in der Schweiz konnten nur noch zwei Altbaume bei Lausanne und Yverdon gefunden werden.
Beschreibung Die Sept en gueule ist eine anspruchslose, stark wachsende Birnensorte, die große, landschaftspragende Baume bildet. Die Sorte gilt als sehr ertragreich. Sie ist auch fur den Spalieranbau geeignet.
Die etwa kirschgroßen, kreiselformigen Fruchte reifen sehr fruh bereits Ende Juni/Anfang Juli. Sie stehen meist in kleinen Buscheln zusammen. Ihre Grundfarbung ist hellgrun mit einer Rosafarbung auf der Sonnenseite. Die Birnen werden schnell teigig. Ihr Fruchtfleisch ist weißgelblich und raukornig, jedoch sehr suß.
Verwendung Die Sept en gueule wird vor allem zum Frischverzehr, zum Dorren und Einmachen und als Brennbirne genutzt.
Literatur Erika Schermaul: Paradiesapfel und Pastorenbirne. Bilder und Geschichten von Alten Obstsorten. 2. Auflage. Jan Thorbecke Verlag, 2005, ISBN 3-7995-3511-X, S. 69.
Weblinks Schweizer Obstsorte des Jahres 2009. (PDF) FRUCTUS – Die Vereinigung zur Forderung alter Obstsorten, abgerufen am 5. August 2024.
Sept en Gueule. ProSpecieRara, abgerufen am 5. August 2024.
F. Christnacher: Les varietes de fruits liees a Bollwiller et a la famille Baumann. In: Arboweb: L'arboriculture sur le Net. Abgerufen am 5. September 2024 (franzosisch).
Einzelnachweise
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Sept en gueule (franzosisch etwa Sieben im Mund) ist eine Sorte der Birne (Pyrus communis). Die Sorte wurde 2009 zur Schweizer Obstsorte des Jahres gewahlt. Sie wird auch Poire de Chio, Kleine Muskatellerbirne bzw. Kleine Muskateller oder Sieben ins Maul, Sieben ein Maul voll oder ahnlich genannt.
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Demokratischer Widerstand ist eine deutsche Wochenzeitung. Sie erscheint seit 2020 und wird der Querdenker-Bewegung zugerechnet. Nach Auffassung des Bundesvorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbandes entspricht die Zeitschrift nicht journalistischen Standards und bewegt sich in der Nahe von Verschworungsideologien.
Geschichte Die Zeitung Demokratischer Widerstand wurde im April 2020 von dem Dramaturgen Anselm Lenz gegrundet und zunachst auf den sogenannten Hygienedemos verteilt. Viele Teilnehmer waren der Meinung, sie mussten die Demokratie gegen jene verteidigen, die sich zwar Demokraten nannten, die COVID-19-Pandemie jedoch als Vorwand nutzen wurden, um den Menschen ihre grundlegendsten verfassungsmaßigen Rechte zu entziehen. Mit dem Namensbestandteil Widerstand bezieht sie sich auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. In der ersten Ausgabe, die nach Angaben der Herausgeber in einer Auflage von uber 100.000 Stuck erschien, druckte der Demokratische Widerstand eine deutsche Ubersetzung des Aufsatzes L’invenzione di un’epidemia („Die Erfindung einer Pandemie“) des italienischen Philosophen Giorgio Agamben.
Als Redaktionsadresse hatte Lenz im Impressum zunachst die Volksbuhne am Rosa-Luxemburg-Platz angegeben, vor der die Demonstrationen zunachst stattfanden. Das Theater distanzierte sich im April 2020 davon.
Die Zeitung druckt seit Beginn ihres Erscheinens auf der letzten Seite jeder Ausgabe den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes ab. Seit dem 17. Oktober 2020 findet sich dort außerdem der Text von Art. 146, wonach das Grundgesetz seine Gultigkeit an dem Tage verliert, „an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“. Dies sieht der Historiker Malte Thießen im Zusammenhang mit dem ebenfalls abgedruckten Art. 20 (Widerstandsrecht) als Ergebnis eines Radikalisierungsprozesses: In der Reichsburgerbewegung werde Art. 146 als Beleg dafur angefuhrt, dass die Bundesrepublik Deutschland als souveraner Staat nicht oder nur vorlaufig existiere und das Grundgesetz durch eine neue Verfassung ersetzt werden musse.
Im April 2022 erging ein Strafbefehl wegen ubler Nachrede gegen Lenz, weil auf einer Titelseite des Demokratischen Widerstands behauptet worden war, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sei kokainsuchtig, obwohl dafur kein Nachweis bestand.
Im August 2024 erlangte die Zeitschrift erneut große Aufmerksamkeit, als sie auf ihrer Website die jungste Ausgabe der kurz zuvor verbotenen rechtsextremen Zeitschrift Compact unter dem Titel Nancy (eine Anspielung auf Bundesinnenministerin Nancy Faeser) als kostenpflichtigen Download anbot.
Inhalte Hauptthema des Demokratischen Widerstands war zunachst die COVID-19-Pandemie. Die meisten Autoren leugneten nicht die Existenz des Virus, aber seine besondere Gefahrlichkeit und die Existenz einer Pandemie und der damit begrundeten Legitimitat der Maßnahmen, die von der Regierung verhangt wurden. Die Germanistin Nina Pilz untersuchte dieses Narrativ und arbeitete dabei unter anderem folgende Topoi heraus, die fur die Argumentation des Demokratischen Widerstands typisch seien:
Kritik an einer Elite, deren Tun in populistischer Weise den angeblichen Interessen eines als homogen dargestellten Volks entgegengestellt wurde;
Verschworungstheorien, wie etwa die, dass Bill Gates oder andere machtige Akteure die Krise lediglich inszeniert hatten, um davon zu profitieren (Cui bono); in Wahrheit sei das Virus nicht besonders gefahrlich, vielmehr wurden fuhrende Politiker sowie regierungsnahe Wissenschaftler und Medien absichtlich und interessegeleitet Panik und Angst in der Bevolkerung erzeugen;
die Behauptung, mit den Coronamaßnahmen werde eine Diktatur errichtet, in der alle, die anderer Meinung seien, „bei Strafe der offentlichen Erniedrigung und Existenzvernichtung durch den Mainstream“ (Dirk Pohlmann) zum Schweigen gebracht wurden.
Uber die Impfungen gegen das Corona-Virus verbreitete die Zeitschrift wiederholt Fehlbehauptungen: Im November 2021 schrieb etwa der ehemalige Fußballer Thomas Berthold als Sportchef des Demokratischen Widerstands, die COVID-19-Impfstoffe wurden Gene loschen, die fur die DNA-Reparatur zustandig seien. An anderer Stelle war in Bezug auf die Impfungen von Tausenden Impftoten die Rede, von einem „Terrorregime“ und einem „Spritzengenozid“.
Anfangs sei diese populistische Herrschaftskritik mit der Hoffnung auf eine, wie die Germanistin Carolin Amlinger schreibt, „chiliastische Wendezeit“ verknupft worden, in der ein plebiszitarer Demos sich gegen Eliten und angeblich gleichgeschaltete Medien richten und ein Ende des Neoliberalismus herbeifuhren wurde. Nach dem Sturm auf den Reichstag am 29. August 2020 sei die Querdenker-Bewegung von den Mainstreammedien rechts eingeordnet worden, dies habe zu einer positiven Gegenidentifikation gefuhrt: Nun habe die Einheit der Bewegung im Vordergrund gestanden; Hermann Ploppa habe in der Zeitschrift nicht die rechtsradikalen Mitdemonstranten, deren Anwesenheit dem Selbstverstandnis der Zeitschrift als liberal widersprach, als „Neofaschisten“ etikettiert, sondern Personen in Politik und Leitmedien. Amlinger sieht seitdem auch antisemitische Vorurteile im Demokratischen Widerstand, so etwa in der 2020 von Ullrich Mies getatigten Außerung, eine „transnational operierende Oligarchenkaste“ habe die „Herrschaft in den westlichen ‚Demokratien‘ ubernommen“. Als Zielsetzung der von ihm angenommenen „transnationalen ‚Eliten‘-Faschisten“ gab Mies die „New World Order“ an. Die Abwehr von Forderungen, sich von rechtsextremen und verschworungstheoretischen Positionen zu distanzieren, wuchs laut Amlinger im Demokratischen Widerstand, je deutlicher diese auf den Hygienedemos geaußert wurden: Zu Beginn sprach sich die Zeitschrift noch explizit gegen Holocaustleugner aus, spater wurden sie als Inszenierung staatlicher Macht, in der Absicht, die Bewegung zu schwachen, bagatellisiert.
Die privilegierte Erkenntnisposition, die sich Redaktion und Autoren des Demokratischen Widerstands nach Auffassung von Amlinger zumessen, beschrieben sie regelmaßig mit der Trope des „Erwachens“, einer krisenhaften Erfahrung, die eine Neupositionierung anleitet und Amlinger an die „narrative Struktur religioser Konversionserzahlungen“ erinnert.
Seit Februar 2022 thematisiert der Demokratische Widerstand zunehmend auch den Krieg in der Ukraine und zeigt sich dabei als NATO-kritisch und russlandfreundlich. Lenz schrieb in der Ausgabe vom 5. Marz 2022: „Auf die innere Formierung der Gesellschaften mit der Fake-Seuche folgt die militarische Fixierung auf einen außeren Feind“ und setzte ein großes Z auf die Titelseite, das russische Symbol der Kriegsbefurworter.
Herausgeber Herausgeber des Demokratischen Widerstands sind Anselm Lenz und Hendrik Sodenkamp. Zunachst wurde auch Batseba N’Diaye als dritte Herausgeberin genannt, die aber nach Angaben der taz nicht existiert. Wiederholt gab die Zeitung auch Personen als Herausgeber an, die davon nichts wussten und sich distanzierten, so etwa Giorgio Agamben, Sahra Wagenknecht oder den Pink-Floyd-Musiker Roger Waters. Von Marz bis April 2023 firmierte der Munchner Professor fur Kommunikationswissenschaften Michael Meyen als Mitherausgeber, was ihm ein Disziplinarverfahren wegen moglicher beamtenrechtlicher Verfehlungen eintrug.
Preisverleihungen Der Tragerverein der Zeitschrift verleiht regelmaßig einen „Preis der Republik fur Aufklarung, Courage, freie Debatte, Grundgesetz und Demokratie“. So geehrt wurden unter anderem Sucharit Bhakdi, seine Frau Karina Reiß, der Arzt Walter Weber und Ken Jebsen.
Rezeption Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Frank Uberall, erklarte Ende August 2020, die Zeitschrift genuge nicht journalistischen Standards und bewege sich in gefahrlicher Nahe zu Verschworungsideologien. 2021 ordnete der gegenuber den Maßnahmen anlasslich der COVID-19-Pandemie kritische italienische Intellektuelle Giorgio Agamben die Zeitschrift als „linksradikal“ ein, doch werde sie von den Medien attackiert, weil sie zu Recht gegen Grundrechtseinschrankungen protestiere, eine Sorge, die auch von Rechtsextremen geteilt werde. Die taz nannte die Zeitschrift 2023 das „Zentralorgan der radikalen Szene aus Querdenkern und Coronaleugnern“. Der Verfassungsschutz Berlin ordnet die Aktivitaten der Zeitschrift und der hinter ihr stehenden Kommunikationsstelle in seinem Verfassungsschutzbericht 2023 als verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates ein. In der entsprechenden Szene sei Demokratischer Widerstand tonangebend. Es handle sich um eine „verschworungsideologische Veroffentlichung“, die „wesentlich zur Verbreitung verfassungsfeindlicher Verschworungserzahlungen“ beitrage, „durch die sie gezielt versucht, Menschen zu radikalisieren“.
Literatur Nina Pilz: „The Invention of a Pandemic“ – Conspiracist Argumentation in the German Alternative Newspaper Demokratischer Widerstand. In: Michael Butter, Katerina Hatzikidi, Constanze Jeitler, Giacomo Loperfido, Lili Turza (Hrsg.): Populism and Conspiracy Theory. Case Studies and Theoretical Perspectives. Routledge, London / New York 2025, ISBN 978-1-03-275482-6, S. 154–180 (online).
Weblinks Literatur von und uber Demokratischer Widerstand im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Website der Zeitschrift
Einzelnachweise
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Demokratischer Widerstand ist eine deutsche Wochenzeitung. Sie erscheint seit 2020 und wird der Querdenker-Bewegung zugerechnet. Nach Auffassung des Bundesvorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbandes entspricht die Zeitschrift nicht journalistischen Standards und bewegt sich in der Nahe von Verschworungsideologien.
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Leopoldine Cecile Marie-Pierre Catherine Hugo (* 28. August 1824 in Paris; † 4. September 1843 in Villequier) war die alteste Tochter des Romanciers, Dichters und Dramatikers Victor Hugo und der Adele Foucher.
Leben Leopoldine wurde in Paris als zweites von funf Kindern und alteste Tochter von Victor Hugo und Adele Foucher geboren. Sie wurde nach ihrem Großvater vaterlicherseits, Joseph Leopold Sigisbert Hugo, sowie nach ihrem Bruder Leopold benannt, der nur wenige Monate gelebt hatte. Ihr Vater nannte sie Didine oder Didi. Leopoldine wuchs als glaubige Katholikin auf. Ihre Erstkommunion im September 1836 war ein großes Ereignis. Theophile Gautier, Alexandre Dumas und Mitglieder der Familie Hugo nahmen an der Messe teil. Auguste de Chatillon hatte in der Vorbereitungszeit an ihrem elften Geburtstag ein Portrat von ihr gemalt.
Leopoldine hatte viele Bewunderer, darunter ihren spateren Ehemann Charles Vacquerie, der Sohn eines wohlhabenden Reeders, den sie als 14-Jahrige wahrend eines Urlaubs mit ihrer Familie in Villequier kennenlernte. Dort verliebten sich die 14-jahrige Leopoldine und der 21-jahrige Charles ineinander, aber Victor Hugo, der sehr an seiner Tochter hing, hielt sie fur zu jung fur eine Heirat.
Nach funfjahrigem Warten heiratete Charles Vacquerie Leopoldine Hugo am 15. Februar 1843 in der Kirche Saint-Paul in Paris. Doch nur wenige Monate spater ertranken beide auf tragische Weise, als ihr Boot am 4. September 1843 in Villequier auf der Seine kenterte. Die neunzehnjahrige schwangere Frau starb, als ihre schweren Rocke sie in die Tiefe zogen, wahrend ihr Mann bei dem Versuch, sie zu retten, ums Leben kam.
Der fruhe und tragische Tod seiner Tochter, seines ungeborenen Enkelkindes und seines Schwiegersohns hatte großen Einfluss auf das Werk und die Personlichkeit Victor Hugos. Dies spiegelt sich in mehreren seiner Werke wider, insbesondere in A celle qui est restee en France (An die, die in Frankreich geblieben ist), das Victor Hugo im Exil schrieb. Der Autor publizierte aufgrund des Unfalltodes seiner Tochter Leopoldine zunachst von 1843 an nichts mehr. Erst ab 1852, nach dem Staatsstreich von Louis-Napoleon Bonaparte, griff er wieder zur Feder und veroffentlichte Napoleon le Petit (1852) und Les Chatiments.
Leopoldine, ihr Ehemann Charles, ihre Mutter Adele und eine Schwester sind auf dem Friedhof in Villequier begraben. Leopoldine Hugo liegt im selben Sarg wie Charles Vacquerie.
Musee Victor-Hugo in Villequier Das Museum befindet sich im Haus der Familie Vacquerie aus der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts in Villequier. 1951 kaufte der Generalrat des Departements Seine-Maritime das Haus und den Garten von den Nachkommen der Familie Vacquerie, wahrend die Nebengebaude, die im Zweiten Weltkrieg zerstort worden waren, in den Besitz der Gemeinde Villequier ubergingen. Seit 1959 ist das Haus ein Museum. Dank der Schenkungen der Erben der Familie kann das Museum das Leben der Mitglieder der Familien Hugo und Vacquerie nachzeichnen.
Literatur Charles Constans: Leopoldine Hugo. Beziers, Imprimerie T. Rodriguez, 1931
Pierre Georgel: Leopoldine Hugo, une jeune fille romantique. Villequier, Musee Victor-Hugo, 1967
Pierre Georgel: L’album de Leopoldine Hugo au Musee Victor Hugo a Villequier. In: Revue des Societes savantes de Haute-Normandie, 1967, Nr. 46
Pierre Georgel ( ed.): Correspondance de Leopoldine Hugo. Paris, Klincksieck, coll. « Bibliotheque du xixe siecle » (no 3), 1976, 506 p. ISBN 2-252-01661-2.
Henri Gourdin: Leopoldine – l’enfant-muse de Victor Hugo. Paris, Presses de la Renaissance, 2007, 286 p. ISBN 978-2-7509-0281-0.
Thierry Consigny: Leopoldine. Paris, Bernard Grasset, 2022, 187 p. ISBN 978-2-246-83116-7.
Weblinks Biografie (franzosisch)
Musee Victor-Hugo (Villequier)
Einzelnachweise
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Leopoldine Cecile Marie-Pierre Catherine Hugo (* 28. August 1824 in Paris; † 4. September 1843 in Villequier) war die alteste Tochter des Romanciers, Dichters und Dramatikers Victor Hugo und der Adele Foucher.
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Das National Paralympic Committee of Rwanda, kurz NPC Rwanda, ist das Nationale Paralympische Komitee Ruandas. Prasident des Komitees ist seit Marz 2017 Jean-Baptiste Murema.
Geschichte Ruanda gab sein Debut bei den Paralympischen Sommerspielen 2000 in Sydney mit dem Schwimmer und Kriegsversehrten Cesar Rwagasana. Das Nationale Olympische Komitee Ruandas wurde am 1. November 2001 von dem Tutsi Dominique Bizimana gegrundet, der seinen linken Unterschenkel ebenfalls wahrend des Volkermords von 1994 verloren hatte. Im Volkermord wurden von der Bevolkerungsmehrheit der Hutu innerhalb von drei Monaten etwa 800.000 bis eine Million Menschen, vorwiegend Tutsi, getotet. Auf der Suche nach Sponsoren arbeitete Bizimana jedoch mit dem Hutu Jean Rukundo zusammen, der selbst durch eine Landmine ein Bein verlor – eine Kooperation, die die Wiederannaherung und Versohnungspolitik nach dem Volkermord widerspiegelt. Moglich wurde die Grundung des NPC Rwanda schließlich insbesondere durch Finanzmittel von Rheinland-Pfalz, das seit 1982 eine Partnerschaft mit Ruanda fuhrt. Das Komitee betreute zunachst nur Menschen mit korperlichen Behinderungen, spater wurden auch Sehbehinderte und geistig Behinderte einbezogen. Die erste und nach Stand der Paralympischen Spiele 2024 einzige Medaille Ruandas gewann 2004 Jean de Dieu Nkundabera im 800-Meter-Lauf der Startklasse T46. 2006 fand in Kigali die erste Sitzball-Weltmeisterschaft statt, an der neben Ruanda Mannschaften aus Burundi, Uganda, Deutschland und der Schweiz teilnahmen. 2012 qualifizierte sich erstmals eine Sitzvolleyball-Mannschaft aus Ruanda fur die Paralympics, in der sich auch Bizimana, Rukundo und andere Kriegsversehrte befanden. Daraufhin wurde auch eine Frauenmannschaft gebildet, die sich im Gegensatz zu den Mannern fur die Paralympics 2016, 2020 und 2024 qualifizieren konnte. Sowohl die Manner- als auch die Frauennationalmannschaft hatten sich jeweils als erste Sitzvolleyballmannschaften aus Subsahara-Afrika fur die Paralympischen Spiele qualifiziert. 2023 nahm Ruanda an den ersten Para-Afrikaspielen teil. Es schickte eine Mannschaft, die im Amputiertenfußball antrat.
Nach dem Zensus von 2022 des National Institute of Statistics of Rwanda leben in Ruanda 391.775 Menschen mit Behinderung (174.949 Manner und 216.826 Frauen), die 3,4 % der Gesamtbevolkerung ausmachen. 31 % dieser sind sehbehindert, 24 % korperlich und 14 % geistig behindert.
Organisation Das NPC Rwanda ist Mitglied des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), des Afrikanischen Paralympischen Komitees, der World ParaVolley und Grundungsmitglied der National Union of Disability Organizations in Rwanda (NUDOR, deutsch „Nationale Union der Behindertenorganisationen in Ruanda“).
= Vorstand =
= Mitglieder =
Zum Zeitpunkt der Grundung des Nationalen Paralympischen Komitees Ruandas zahlte dieses lediglich drei Mitgliedsvereine. Stand 2024 sind es uber 30, darunter vier nationale Sportverbande und 30 Paralympische Komitees auf Distriktebene.
Zu den praktizierten Sportarten zahlen:
Amputiertenfußball
Bankdrucken
Boccia
Goalball
Leichtathletik
Rollstuhlbasketball
Sitzball
Sitzvolleyball
Medaillenspiegel = Paralympische Sommerspiele =
= Para-Afrikaspiele =
Siehe auch Comite National Olympique et Sportif du Rwanda
Special Olympics Ruanda
Weblinks Welcome to National Paralympic Committee of Rwanda. In: npcrwanda.org. Abgerufen am 1. August 2024 (englisch).
Rwanda at the Paralympic Games. In: db.ipc-services.org. Abgerufen am 10. August 2024 (englisch).
Latest stories from Rwanda. In: paralympic.org. Abgerufen am 1. August 2024 (englisch).
Einzelnachweise
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Das National Paralympic Committee of Rwanda, kurz NPC Rwanda, ist das Nationale Paralympische Komitee Ruandas. Prasident des Komitees ist seit Marz 2017 Jean-Baptiste Murema.
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c-815
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Das Kurbad Jungborn – Kasseler Bademuseum ist ein an der Fulda gelegenes ehemaliges Flussschwimmbad, heute ein Bademuseum, Kultur- und Veranstaltungsort sowie Cafe an der Drahtbrucke im Kasseler Stadtteil Unterneustadt in Nordhessen.
Geschichte Um 1880 war „Sinning’s Badeanstalt“ eines von mehreren Flussschwimmbadern an der Fulda und eines der ersten in Kassel, die ein Damenbad anboten. Auf zwei nach Mannern und Frauen getrennten Pontons standen die Badekabinen. Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts wurde eine Warmbadeanstalt mit Wannen-, Dampf- und anderen Badern zur Korperreinigung erganzt. Mit einem großen Holz- und Holzbrikett-befeuerten Ofen wurde Fuldawasser erhitzt und im Turm des Gebaudes fur die Dusch- und Wannenbader gespeichert. Die Badeanstalt verfugte uber acht Badekabinen mit Terrazzoboden, Wassertanks zur Versorgung des Badebetriebs, einen eigenen Brunnen im Gebaude und einen Turm mit Schornstein. Unter der Losung „Jedem Deutschen einmal in der Woche ein Bad“ nahm die Badekultur vor uber 100 Jahren ihren Anfang. Da es zu dieser Zeit in der Unterneustadt und in der Altstadt keine Badezimmer gab, waren die Kabinen mit Wannenbadern im Inneren des Badehauses beliebt. Allerdings waren sie kostspielig. 50 Pfennig kosteten dreißig Minuten in einer Badekabine, ein Glas Bier 15 Pfennig.
Mit der Einrichtung von offentlichen Volksbadern wurden viele private Badeanstalten nach und nach wieder geschlossen. Nachdem die Stadt Kassel das Auebad eroffnet hatte, wurde „Sinning’s Badeanstalt“ 1923 aufgegeben und das Gebaude von dem medizinischen Bademeister Hellmut Ulbricht ubernommen, der eine medizinische Badeanstalt mit unterschiedlichen Anwendungen einrichtete, die als „Kurbad Jungborn“ bis 1998 bestand. Der Betrieb wurde nur durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen, in dem das Gebaude beschadigt und wieder hergerichtet wurde. Es ist das einzige noch bestehende Gebaude auf der Ufermauer, das die Uberflutung flussnaher Stadtteile und der Karlsaue infolge der Bombardierung der etwa 30 km entfernten Edertalsperre im Rahmen der Operation Chastise am 17. Mai 1943 uberstand. Ab 1998 stand das Gebaude leer und verfiel.
Heutige Nutzung 2004 grundete sich der „Forderverein Kurbad Jungborn“, der 2005 das Gebaude Sternstraße 20 von der Stadt Kassel in Erbpacht ubernahm und sich zur Sanierung verpflichtete. Ab 2006 wurden die Schaden beseitigt, unter anderem Risse in den Außenwanden, verrottete Fensterrahmen und Schimmel in den Raumen. Die Mauern wurden neu verfugt, das marode Dach und die Deckenbalken mussten komplett ersetzt werden, die Holzfenster wurden in Absprache mit der Denkmalbehorde ausgewechselt, der Boden angeglichen und aufgearbeitet, eine Treppe in das Obergeschoss und neue Toiletten eingebaut und ein eigener Eingang fur das Museum geschaffen. Zwei der Badekabinen mit Terrazzoboden wurden wieder hergerichtet, eine im Stil der 1930er-Jahre mit Bidet und Badeofen. 2011 wurde die Sanierung abgeschlossen. Die Instandsetzungskosten zwischen 2006 und 2011 betrugen 260.000 Euro.
Das Kurbad Jungborn aus der Anfangszeit der neuzeitlichen Badekultur in Kassel ist das letzte noch bestehende Flussschwimmbad in Kassel und steht als Kulturdenkmal unter Denkmalschutz. Seit 2008 nimmt das Kurbad Jungborn an der Museumsnacht teil, seit 2009 gibt es regelmaßige Ausstellungen. Das Museum zur Geschichte des Flussbadens in Kassel wurde im August 2011 eroffnet.
Auf dem Gelande befinden sich neben dem Museum ein Vereinsraum eines Wassersportvereins und ein Cafe mit Außenbereich. Nachdem der Forderverein Kulturdenkmal 2014 neue Pachter fur das Cafe gesucht hatte, wurde es im Mai 2015 durch ein funfkopfiges Betreiberkollektiv als „Kollektiv-Cafe“ wiedereroffnet. Im Innenraum wurde außerdem eine Buhne fur Lesungen, Konzerte und Kulturveranstaltungen eingerichtet.
= Museum =
Das Museum ist in vier Abteilungen gegliedert. Wegen des begrenzten Raumes werden zusatzlich zu der Dauerausstellung wechselnde Ausstellungen zu einzelnen kulturhistorischen Aspekten rund um die Badekultur gezeigt.
Neben der Dokumentation der Geschichte des Gebaudes von der ehemaligen Flussbadeanstalt bis zu seiner Wiederentdeckung und Sanierung und der Architektur des Kurbads mit den technischen Einrichtungen und alten Badekabinen werden Zeugnisse der Badekultur ausgestellt: Zinkbadewannen in verschiedenen Formen und Großen, ein holzerner Badezuber auf Radern, alte Wasserhahne und Handgriffe aus Porzellan fur die Toilettenspulung aus der Zeit von 1850 bis 1950, eine transportable beheizbare Sitzbadewanne aus den 1880er-Jahren, Wellenbadeschaukeln von Carl Dittmann, ein holzerner Badestuhl, der mit in der Kuche erhitztem Wasser gefullt wurde, und ein Badezimmer aus den 1930er-Jahren. Außerdem wird eine Sammlung von Miniaturbadewannen gezeigt, die Installateure als Farb- und Modellmuster zur Ansicht zu ihren Kunden mitnehmen konnten.
Daneben informiert die Ausstellung uber die Geschichte der Badekultur in Kassel. Dazu gehoren die Entstehung, Entwicklung und das Verschwinden der Kasseler Flussbadeanstalten, das stadtische Auebad, die 1940 zerstorte „Kasseler Badebrucke“, die verschiedenen Badtypen sowie die Hallen- und Freibader in Kassel. Der Schwerpunkt der Prasentation liegt auf der Darstellung der Fluss‐ und privaten Reinigungsbader. Fotos zeigen Volksbader in Kassel, den Schaufelraddampfer Elsa sowie Badeschiffe auf der Fulda.
Weblinks Website Kurbad Jungborn
Einzelnachweise
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Das Kurbad Jungborn – Kasseler Bademuseum ist ein an der Fulda gelegenes ehemaliges Flussschwimmbad, heute ein Bademuseum, Kultur- und Veranstaltungsort sowie Cafe an der Drahtbrucke im Kasseler Stadtteil Unterneustadt in Nordhessen.
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c-816
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William Cotton (* 1819 in Seagrave, Leicestershire; † 13. Januar 1887 in Loughborough) war ein britischer Strumpfmaschinenproduzent und Erfinder der Flachkulierwirkmaschine, die auch „Cottonmaschine“ genannt wird.
Leben Mit 15 Jahren verließ Cotton seinen Geburtsort und lebte mit seiner Mutter Betsey und seinen Geschwistern Charles, Ann und Betsey in der King Street in Loughborough. Cotton wurde zunachst Lehrling bei einem Strumpfwirker namens B. Abbot. Dort lernte Cotton wahrscheinlich die Arbeit mit dem Handkulierstuhl nach William Lee kennen. Danach trat Cotton bei den Strumpffabrikanten Cartwright und Warner in Loughborough eine Stelle als Strumpfwirker an. Cartwright und Warner betrieben auch bereits einige Dampfmaschinen und so experimentierte Cotton zusammen mit seinem Kollegen William Cross und unterstutzt von seinen Arbeitgebern an einer dampfbetriebenen Kulierwirkmaschine. Um 1845 verließ Cotton das Unternehmen und meldete 1846 seine Maschine als Patent an.
Cotton wurde Teilhaber in mehreren Unternehmen, mit denen er Kettenwirkware herstellte. Die Einnahmen ermoglichten es ihm, seine Kulierwirkmaschine und andere Erfindungen weiterzuentwickeln. 1853 eroffnete in Loughborough die Fabrik Cotton and Smith, die von Cotton erfundene Maschinen nutzte. Wahrend dieser Zeit erhielt er 1855 ein weiteres Patent, diesmal fur eine automatische Minderung und Zunahme von Maschen wahrend der Produktion – ein Vorgang, der zukunftig als full-fashioned oder fully-fashioned bezeichnet wurde.
1864 wurde Cottons Tochter Ellen (1864–1892) geboren und drei Jahre spater seine Tochter Ada (1867–1923), die Cotton zusammen mit Harriett Bennett (1839–1869) hatte. Die beiden nah beieinander lebenden Eltern waren nicht verheiratet und auf den Geburtsurkunden wurde kein Vater eingetragen. Nach dem fruhen Tod der Mutter lebten die Kinder bei Cotton.
Cotton experimentierte weiterhin auf der Basis des Handkulierwirkstuhls von Lee, und 1863 und 1864 erhielt er die entscheidenden Patente auf seine Idee, die Fontur (der Kopf, wo die Nadeln sitzen) von Lees Handkulierstuhl um 90 Grad in die Vertikale zu drehen, so dass die Fontur nicht mehr von der Mindereinrichtung verdeckt wird und das Warenstuck sichtbar horizontal liegt. Diese Neuerung wurde in Großbritannien als Cotton’s Patent, in Deutschland als „Cottonmaschine“ bekannt, was zukunftig alle Maschinen dieser Bauweise bezeichnen sollte. In Kombination mit seinem fruheren Patent wurde es nun moglich, vollkonfektionierte (fully-fashioned) Kleidungsstucke aus Strick maschinell herzustellen.
Die Nottingham Manufacturing Company erkannte das Potenzial von Cottons Erfindung und sicherte sich die britischen Rechte an seinem Patent von 1864. Auch I & R Morley sollte mit Cottonmaschinen beliefert werden. Fur das europaische Festland erwarb der Maschinenfabrikant Hermann Starker die Lizenzrechte und machte damit Chemnitz zu einem Zentrum der Cottonmaschinenproduktion: Um 1900 teilten sich funf Maschinenfabriken aus Chemnitz und Umgebung 75 Prozent der Weltproduktion an Cottonmaschinen: Hermann Starker, Schubert & Salzer, G. Hilscher, Kalio (Karl Lieberknecht) und die Maschinenfabrik Einsiedel.
William Cotton arbeitete unterdessen mit der Maschinenfabrik Attenborough & Blackburn Ltd. weiter an seiner Erfindung. 1868 erhielten sie ein gemeinsames Patent fur eine Konfektionierungsvorrichtung. In den 1870er Jahren grundete Cotton eine eigene Maschinenfabrik am Pinfold Gate in Loughborough, in der 200 Manner 100 Maschinen pro Jahr fertigten, die ursprunglichen Cotton’s Patents. Erster Kunde wurde die Strumpffabrik Atkins Bros.
Cotton verstarb unverheiratet 1887 an chronischer Hepatitis. Sein Unternehmen produzierte noch bis in die 1990er Jahre. Sein Vermogen vermachte er seinen beiden Tochtern und ermoglichte ihnen dadurch ein selbststandiges Leben. Beide starben ohne Nachkommen.
= Patente von William Cotton =
Patent Nr. 11255 vom 22. Juni 1846: Wirkmaschine
Patent Nr. 2309 vom 16. Oktober 1855: Herstellung von Maschenware
Patent Nr. 1660 vom 11. Januar 1860: Apparat zur Verbindung oder Zusammenfuhrung von Maschenware
Patent Nr. 1901 vom 1. August 1863: Verbesserungen der Herstellung von Maschenware und der dafur verwendeten Maschinen und Apparate
Patent Nr. 3123 vom 16. Dezember 1864: Maschine oder Apparat fur die Herstellung von Maschenware
Patent Nr. 3280 vom 16. Dezember 1868: Apparat fur die Herstellung von Maschenware
Patent Nr. 1105 vom 14. April 1870: Verbesserungen in der Herstellung von Maschen- und Wirkware und der dafur verwendeten Maschinen und Apparate
Cotton’s Patent: Die Cottonmaschine Die Cottonmaschine, wie sie ab den 1870er Jahren von William Cotton produziert wurde, war mit vier Fonturen ausgestattet, konnte also vier Warenstucke gleichzeitig herstellen. Spatere Maschinen seiner Produktion waren mit sechs, acht und 16 Fonturen ausgestattet. Die Maschine diente zur Herstellung von Einfadenwirkware, auch Kulierwirkware genannt (im Gegensatz zu Kettenwirkware). Sie hatte eine senkrechte Nadelbarre und einen Kraftantrieb.
Nach dem Erloschen der Patente von William Cotton 1888 bauten zahlreiche Produzenten Maschinen nach Cottons Prinzip. Besonders erfolgreich war die Firma G. Hilscher in Chemnitz, die bereits 1888 eine eigene, sechsfonturige Cottonmaschine „System Hilscher“ auf den Markt brachte. Hilscher und andere Produzenten entwickelten im 20. Jahrhundert Cottonmaschinen mit bis zu 36 Fonturen. Das hatte weitreichende Bedeutung fur die Textilindustrie, vergroßerte sich doch die Menge der Warenstucke – neben Strumpfen auch Unterwasche, Mutzen, Hosen und alle anderen Arten von gewirkten Kleidungsstucken – um ein Vielfaches. Vor allem wurden auf Cottonmaschinen aber Damenstrumpfe hergestellt, zunachst aus Baumwolle und Seide, spater dann auch aus Kunstseide und Nylon bzw. Perlon.
Die Cottonmaschine wurde kontinuierlich weiterentwickelt. 1874 wurde es durch die Anwendung mehrerer Fadenfuhrer moglich, mit der Cottonmaschine verschiedene Farben in Form von Ringelmuster und Wirkmuster in Form von Pressmustern herzustellen. 1876 konnten Petinetmuster eingewirkt werden, wie sie bislang nur auf Paget-Maschinen moglich waren. 1880 wurde der Schottenapparat erfunden, dessen aufplattierte Streifen zusammen mit dem Ringelmuster das Schottenmuster ergaben. Um 1900 wurde die Cottonmaschine mit der Jacquardeinrichtung kombiniert, so dass mehrfarbige Muster eingewebt werden konnten. 1925 erfand die Firma Hilscher die sogenannte Flach-Rander-Maschine, mit der gerippt-gemusterte Warenstucke moglich wurden.
Die Cottonmaschine blieb bis Ende der 1950er Jahre die wichtigste Maschine zur Herstellung von Feinstrumpfen mit Naht. 1952 kamen vollautomatische Rundstrickmaschinen auf, die nahtlose Feinstrumpfe herstellen konnten und Cottonmaschinen in der Produktion ablosten.
Siehe auch Geschichte der Strumpfwirkmaschine
Weblinks Zur Geschichte des mechanischen Flachwirkstuhls. In: deutsches-strumpfmuseum.de. Archiviert vom Original am 10. Marz 2016; abgerufen am 27. August 2024.
Lance Day, Ian McNeil: Cotton, William. In: en-academic.com. 2005; abgerufen am 27. August 2024 (englisch).
Einzelnachweise
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William Cotton (* 1819 in Seagrave, Leicestershire; † 13. Januar 1887 in Loughborough) war ein britischer Strumpfmaschinenproduzent und Erfinder der Flachkulierwirkmaschine, die auch „Cottonmaschine“ genannt wird.
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c-817
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Ruben Um Nyobe (* 10. April 1913 in Song Mpeck, Nyong-et-Kelle; † 13. September 1958 in der Nahe von Boumyebel in Nyong-et-Kelle) war ein antikolonialistischer Politiker und Gewerkschafter aus Kamerun. Am 13. September 1958 wurde er von Angehorigen der franzosischen Streitkrafte ermordet. Trotz seines fruhen Todes gilt er als einer der herausragenden Politiker Afrikas. Viele Jahre war er vergessen, weil seine Schriften und die Nennung seines Namens bis in die 1990er Jahre in Kamerun verboten waren.
Biographie = Jugend, Ausbildung und fruhe politische Arbeit =
Um Nyobe wurde in Song Mpeck, einem Bauerndorf in der heutigen Stadtgemeinde Boumnyebel im Suden Kameruns, als Angehoriger der Bassa geboren. Zu dieser Zeit stand Kamerun unter deutscher Kolonialherrschaft. Durch den Versailler Vertrag von 1919 ging das Land offiziell in den Besitz des Volkerbundes uber, der wiederum die Mandate zur Verwaltung an Großbritannien und Frankreich gab. Es kam zur Aufteilung des Landes, bei der Frankreich vier Funftel erhielt; Um Nyobe stammte aus dem Teil, der von Frankreich verwaltet wurde.
Der Vater von Um Nyobe war Priester eines animistischen Glaubens. Der Sohn besuchte Schulen von presbyterianischen Missionaren in Franzosisch-Kamerun und lernte Franzosisch; zudem beherrschte er weitere Sprachen wie Bassa, Duala und Bulu. Nach seiner christlichen Taufe im Jahr 1921 nahm Um Nyobe den Vornamen „Ruben“ an. 1929 machte er einen Schulabschluss in Eseka und begann dort 1931 eine Ausbildung zum Grundschullehrer. Im letzten Jahr seines Studiums wurde er relegiert, weil er sich zu kritisch gegenuber der Obrigkeit zeigte. Spater erwarb er sein Lehrerdiplom dennoch.
Nach einigen Jahren der Tatigkeit als Lehrer trat Um Nyobe 1935 in den kolonialen Staatsdienst ein, studierte aber weiter und erwarb 1939 einen Bachelor fur die Sekundarschulbildung. Anschließend wurde er als Gerichtsschreiber an den Gerichtshof von Edea versetzt. Dort entwickelte er Interesse fur Volkerrecht und erkannte die Ungerechtigkeit des Kolonialismus.
Ab Ende der 1930er Jahre engagierte sich Um Nyobe in der Jeunesse camerounaise Francaise (JeuCaFra), einer Organisation, die von der franzosischen Regierung gegrundet worden war, um der Nazi-Propaganda entgegenzuwirken. Als die Franzosen ihre Versprechen auf mehr Freiheiten fur die Kameruner nicht hielten, loste sich diese Organisation auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg schloss er sich dem Cercle d’etudes Marxistes an, einer kamerunischen nationalistischen Gruppe, deren Ziel es war, gegen „Nazismus, Rassismus und Kolonialismus“ zu kampfen. Grunder der Gruppe war der franzosische Lehrer und Gewerkschafter Gaston Donnat. Um Nyobe sagte hierzu: „Es war das erste Mal, dass ich mich mit einem weißen Mann an einen Tisch setzte: Ich betrachte dies als ein großes Ereignis in Kamerun. Ich werde es nicht vergessen.“ Diese Gruppe wurde zur Keimzelle der Partei Union des populations du Cameroun (UPC).
Um Nyobe hatte zwei Frauen, Marie und Marthe 1957 wurde er Vater eines Sohnes namens Daniel, und er hatte drei Tochter. 2018 berichtete seine Tochter Hermine, dass sie in ihrer Kindheit wegen ihres Vaters stigmatisiert wurde, und ihrem Sohn, der wie sein Großvater heißt, die Aufnahme in eine Schule in Yaounde verweigert worden sei.
= Gewerkschaftliches Engagement =
1944 wurde in Douala mit der Unterstutzung des franzosischen Gewerkschaftsbundes Confederation generale du travail (CGT) der erste kamerunische Gewerkschaftsverband Union des syndicats confederes du Cameroun (USCC) gegrundet. Die USCC setzte sich fur die Wiedervereinigung des Landes, seine Unabhangigkeit und fur soziale Gerechtigkeit ein.
Als im September 1945 die Eisenbahner und Hilfsarbeiter in Douala einem Aufruf der USCC folgend spontan streikten, bewaffneten sich die sogenannten „Kampfsiedler“ der Association des Colons du Cameroun mit Waffen aus dem nur schwach bewachten Arsenal der dortigen Garnison und veranstalteten eine Treibjagd auf die Streikenden und schließlich auf Afrikaner im Allgemeinen. Nach Angaben der Kolonialbehorden gab es offiziell acht Tote und 20 Verletzte. Diese Zahlen sind allerdings umstritten: Eine Untersuchung aus dem Jahr 2017 spricht von mindestens 400 Toten.
Die darauf folgenden Repressionen gegen die USCC und ihre Fuhrer fuhrten unter anderem dazu, dass Um Nyobe 1947 neuer Generalsekretar der USCC wurde. Er stritt fur bessere Bedingungen fur die kamerunischen Arbeiter und machte das Kolonialsystem fur ihre schlechte soziale Lage und schlechte Arbeitsbedingungen verantwortlich. Er war uberzeugt, dass nur die politische Unabhangigkeit seiner Nation die Lage der Arbeiter verbessern konne. Es gelang ihm, verschiedene ethnische Gruppen zu vereinen, die sich dem Widerstand gegen die Franzosen anschlossen.
= Unabhangigkeitskampf =
Im September 1946 wohnte Um Nyobe als Vertreter der USCC dem ersten Parteikongress der Rassemblement Democratique Africain (RDA) in Bamako im heutigen Mali bei. Zuruck in Kamerun setzte er sich fur die Grundung einer kamerunischen Partei ein. 1948 wurde in Douala die UPC gegrundet, die bald zu einer der wichtigsten nationalistischen politischen Parteien in Afrika sudlich der Sahara wurde; ihre Anhanger werden upecistes genannt. Um Nyobe wurde ihr Generalsekretar – dafur gab er sein Amt in der Gewerkschaft auf – und unbestrittener Fuhrer des kamerunischen Nationalismus. Er wurde „Mpodol“ („Der fur die Seinen spricht“ in der Bassa-Sprache) genannt.
1952, 1953 und 1954 reiste Um Nyobe nach New York, um vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu sprechen. Die franzosischen Behorden versuchten vergeblich zu verhindern, dass er dafur Einreisevisa erhielt. Er prangerte die franzosische Kolonialherrschaft in Kamerun an und forderte die sofortige Wiedervereinigung des franzosischen und des britischen Landesteils sowie einen festen Termin fur die Unabhangigkeit und eine kamerunische gesetzgebende Versammlung. In der Folge stand er unter strenger Beobachtung der franzosischen Behorden.
1955 wurde mit Roland Pre ein neuer Hochkommissar in Kamerun eingesetzt. Er zeigte sich entschlossen, die UPC unter Um Nyobe zu zerschlagen, insbesondere da Frankreich sowohl in Algerien wie auch in Vietnam in weitere große Konflikte verwickelt war. In der Osterzeit 1955 veroffentlichten die katholischen Bischofe Kameruns einen Hirtenbrief: Darin wurden die Christen vor den Zielen der UPC gewarnt, nicht wegen ihrer Forderung nach Unabhangigkeit, sondern wegen des „Geistes, der sie beseelt“ („en raison non pas de la cause de l’independance qu’il defend, mais de l’esprit qui l’anime“) – mit diesem „Geist“ konnte nach der Niederlage der Franzosen in der Schlacht um Đien Bien Phu gegen die Viet Minh der Kommunismus gemeint gewesen sein.
Initiator dieser Kampagne war der franzosische Arzt Louis Paul Ajoulat, Fuhrer des Bloc Democratique Camerounais (BDC), einer katholisch gepragten Partei, die gegen die Unabhangigkeit war. Nach der Veroffentlichung des Hirtenbriefs kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Anhangern der UPC und der BDC. In einigen Orten wurden Missionare angegriffen und kirchliches Eigentum verwustet. Die Unruhen griffen auf ganz Sudkamerun uber, insbesondere auf Douala. Am 26. Mai ließ Gouverneur Roland Pre, der im Kongo stationierte franzosische Streitkrafte herbeigeholt hatte, den Aufstand in Douala niederschlagen. Es gab Dutzende Tote und Verletzte, und rund 700 Anhanger der UPC wurden offiziell verhaftet. Am 13. Juli 1955 wurden die UPC und alle ihre Nebenorganisationen verboten.
= Tod =
Um Nyobe, der bis dahin Militaraktionen der UPC abgelehnt und auf Verhandlungen gesetzt hatte, ging in den Untergrund („maquis“) und versteckte sich in einem Wald in seiner Heimatregion. Laut dem kamerunischen Historiker Jacob Tatsitsa verrieten Weggefahrten von Um Nyobe seinen Aufenthaltsort nach Verhaftung und Folter. Er sei dann wie sein Freund Pierre Yem Mback (ein angeheirateter Onkel von Achille Mbembe) in der Nahe der Stadt Boumnyebel von Hilfstruppen unter dem Kommando eines franzosischen Offiziers erschossen worden. Ruben Um Nyobe wurde 45 Jahre alt.
Seine Leiche wurde geschandet und in Boumyebel zur Schau gestellt. „‚Der Gott, der sich geirrt hat‘ ist tot“, verkundete ein Flugblatt, das in Tausenden von Exemplaren in Umlauf gebracht wurde. Der Leichnam von Ruben Um Nyobe wurde in einen Betonblock eingeschlossen, um die Durchfuhrung traditioneller Riten zu verhindern. Er wurde auf dem evangelischen Friedhof von Ereka bestattet, wo sein Grab weiterhin besucht werden kann.
Die franzosischen Behorden vernichteten die meisten seiner Schriften, und den Einwohnern Kameruns war es verboten, seinen Namen in der Offentlichkeit zu nennen. Dieses Verbot galt bis 1991.
Nach Um Nyobes Tod = Ereignisse in Kamerun =
Nachdem man Um Nyobe und die UPC „losgeworden“ war, wurde Franzosisch-Kamerun zum 1. Januar 1960 offiziell unabhangig von Frankreich, der Historiker Thomas Deltombe nennt dies eine „Scheinunabhangigkeit“. Ahmadou Ahidjo, ein Protege Frankreichs, wurde nach massivem Wahlbetrug erster Prasident der Republik Kamerun und errichtete eine blutige Diktatur. Die UPC startete einen bewaffneten Aufstand, der mit Hilfe franzosischer Militarberater niedergeschlagen wurde. Laut dem Buch Kamerun! Une guerre cachee aux origines de la Francafrique waren es franzosische Offiziere, die „den heimlichen Krieg“ der neuen kamerunischen Armee gegen die Aufstandischen leiteten. Es kam zu Folter, Zwangsumsiedlungen und Hinrichtungen. Laut einem vertraulichen Bericht der britischen Botschaft von Mitte der 1960er Jahre forderte dieser Krieg in Kamerun von 1956 bis 1964 zwischen 60.000 und 76.000 zivile Opfer. Auf einer Konferenz im Jahr 1962 behauptete ein Journalist von Le Monde, dass seit 1959 allein in der Region Bamileke 120.000 Menschen getotet worden seien. „Doch selbst in Frankreich, […], weiß man davon fast gar nichts“, habe er hinzugefugt; tatsachlich berichteten weder Le Monde noch andere franzosische Zeitungen uber diesen Konflikt.
Nationalistische Fuhrer wurden in Kamerun sowie im Exil umgebracht. Felix Moumie, Nachfolger von Um Nyobe als Generalsekretar der UPC, wurde 1960 in Genf mit Thallium vergiftet, mutmaßlich von einem franzosischen Geheimdienst. Ein weiterer Weggefahrte, der Okonom Ossende Afana, wurde 1966 nahe der Grenze zum Kongo von Militarkraften erschossen. Ernest Ouandie kehrte ins Land zuruck, um den Aufstand zu koordinieren, und wurde wegen eines vermeintlich geplanten Staatsstreiches 1970 verhaftet, vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt, so auch 1971 Albert Ndongmo, Bischof von Nkongsamba. Ouandie wurde am 15. Januar 1971 hingerichtet. Ndongmos Todesstrafe wurde in eine Freiheitsstrafe umgewandelt; nach funf Jahren wurde er nach einer Abmachung mit dem Vatikan kurz vor Wahlen mit der Auflage freigelassen, sein Heimatland zu verlassen. Er starb 1992 in Quebec. Abel Kingue, der letzte noch Lebende aus der Riege der UPC-Fuhrung, starb nach jahrelanger Verfolgung 1964 in Kairo eines naturlichen Todes.
Noch 2009 bezeichnete der franzosische Premierminister Francois Fillon Berichte uber die Beteiligung der franzosischen Armee an der Ermordung von UPC-Angehorigen in Kamerun – obwohl gut dokumentiert – als „Erfindung“, und 2015 nannte Staatsprasident Francois Hollande diese Ereignisse „tragische Episoden“.
= Nachruhm =
1972 erschien das Werk Main basse sur le Cameroun: Autopsie d’une decolonisation des Kameruners Mongo Beti, der in Frankreich lebte und dessen Text zensiert wurde. 1974 schrieb der afro-amerikanische Politikwissenschaftler Richard A. Joseph den Aufsatz Ruben um Nyobe and the 'Kamerun' Rebellion fur die Zeitschrift African Studies, in dem er Um Nyobe als „undoubtly one of the most brilliant thinker and organizer […] after the Second World War in Africa“ („unzweifelhat einer der brillantesten Denker und Anfuhrer […] nach dem Zweiten Weltkrieg in Afrika“) beschrieb.
Erst ab den 1990er Jahren wurden weitere wissenschaftliche und belletristische Werke veroffentlicht, die sich mit Ruben Um Nyobe, der UPC und dem Unabhangigkeitskampf Kameruns beschaftigen. Unter den Autoren befinden sich etwa der kamerunische Historiker Achille Mbembe, der Autor und Aktivist Enoh Meyomesse und der Schriftsteller Patrice Nganang.
Am 22. Juni 2007 wurde in Eseka ein Standbild von Um Nyobe eingeweiht. Das Denkmal, das aus privater Initiative entstand, stellt seine Ankunft am Bahnhof von Eseka im Jahr 1952 dar, als er von einem Besuch der UN zuruckkehrte. 2022 wurde zur Erinnerung an Um Nyobe ein weiteres Denkmal – dessen Asthetik kritisiert wird – in Boumnyebel enthullt. Zu dieser Einweihung war der franzosische Botschafter geladen, was fur Emporung sorgte.
In Douala wurde eine abgelegene Straße nach Um Nyobe benannt. Ein Beschluss des Gemeinderats von Eseka, den dortigen Platz nach Um Nyobe zu benennen, wurde 2023 vom zustandigen Verwaltungsbeamten unter Anfuhrung von formalen Grunden abgelehnt.
2019 veroffentlichte der kamerunische Sanger Blick Bassy sein Album 1958 in Gedenken an Um Nyobe.
Thomas Deltombe, Mitautor des Buches Kamerun!, bescheinigt Ruben Um Nyobe eine „fast mythische Aura“. Er sei eine Schlusselfigur im Kampf um die Unabhangigkeit Kameruns gewesen, ein Denker, ein hervorragender Organisator und ein Versohner von absoluter Integritat. Er habe den großen Respekt seiner Landsleute genossen, und seine Qualitaten seien selbst in den vertraulichen Berichten der franzosischen Kolonialverwaltung und der Polizei anerkannt worden.
Publikationen Les vraies solutions pour une detente politique et morale au Kamerun. Inter-Compos Montmartre, Paris 1957 (franzosisch).
La pensee de Um Nyobe : l’UPC veut travailler dans la legalite democratique. Bureau national provisoire de l’UPC, Yaounde 1961 (franzosisch).
Ecrits sous maquis. Editions L’Harmattan, 2004, ISBN 978-2-85802-922-8 (franzosisch).
Cetim (Hrsg.): Ruben Um Nyobe: Recueil de textes introduit par Said Bouamama. 2017, ISBN 978-2-88053-129-4 (franzosisch).
Literatur (Auswahl) Mongo Beti: Main basse sur le Cameroun: autopsie d’une decolonisation. Maspero, Paris 1972 (franzosisch).
Achille Mbembe: La naissance du maquis dans le Sud-Cameroun, 1920–1960: histoire des usages de la raison en colonie. Karthala, Paris 1996, ISBN 978-3-949554-07-0 (franzosisch).
Patrice Nganang: Zeit der Pflaumen. Peter Hammer, 2014, ISBN 978-3-7795-0501-3. (Roman)
Enyo Meyomesse: Le carnet politique de Ruben Um Nyobe. CreateSpace Independent Publishing Platform, 2016, ISBN 978-1-5352-4470-1 (franzosisch).
Thomas Deltombe/Manuel Domergue/Jacob Tatsitsa: Kamerun! La guerre cachee de la France en Afrique noire (1968–1971). La Decouverte, 2019, ISBN 978-2-7071-5913-7 (franzosisch).
Modeste Mba Talla: Remember Um Nyobe: Resistance-nationalisme et memoire. Langaa RPCIG, 2021, ISBN 978-9956-552-51-1 (franzosisch).
Max Lobe: Vertraulichkeiten. Akono, Leipzig 2022, ISBN 978-3-949554-07-0. (Roman)
Mohamed Fomagha: Ruben Um Nyobe : Le heros oublie de l’histoire du Cameroun. 2024, ISBN 979-83-2859499-8 (franzosisch).
Gaston Kelman: L’Immortel de Boumnyebel, Dialogue d’outre vie. ed. Proximite, Yaounde 2024 (franzosisch).
Weblinks Einzelnachweise
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Ruben Um Nyobe (* 10. April 1913 in Song Mpeck, Nyong-et-Kelle; † 13. September 1958 in der Nahe von Boumyebel in Nyong-et-Kelle) war ein antikolonialistischer Politiker und Gewerkschafter aus Kamerun. Am 13. September 1958 wurde er von Angehorigen der franzosischen Streitkrafte ermordet. Trotz seines fruhen Todes gilt er als einer der herausragenden Politiker Afrikas. Viele Jahre war er vergessen, weil seine Schriften und die Nennung seines Namens bis in die 1990er Jahre in Kamerun verboten waren.
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Scorylo oder Scorylus war ein Anfuhrer der Daker, der im 1. Jahrhundert v. Chr. oder (wahrscheinlicher) im 1. Jahrhundert n. Chr. lebte. Wie viel sich uber ihn und seine Machtposition rekonstruieren lasst, ist in der Altertumswissenschaft umstritten. Die national gepragte Geschichtsforschung hat verschiedene Einzelinformationen in den antiken Quellen zu dem rekonstruierten Bild eines machtigen dakischen Konigs kombiniert. Als solcher habe Scorylo an der Spitze aller Daker gegen die Romer gekampft und sei Vater des beruhmten letzten Dakerkonigs Decebalus gewesen. Allerdings ist sehr unsicher, wie zuverlassig diese Quellen sind und ob sie sich uberhaupt alle auf die gleiche Person beziehen. Entsprechend kritisch sieht die neuere Forschung solche Rekonstruktionsversuche. Genauso gut konnte es mehrere unterschiedliche Daker gegeben haben, auf die die einzelnen heute bekannten Quellenzeugnisse zuruckgehen und von denen nur einer ein Feldherr oder Anfuhrer mit dem Namen Scorylo war.
Erwahnung bei Frontinus Die einzige antike Quelle, die Scorylo eindeutig erwahnt, sind die Strategemata des romischen Senators Sextus Iulius Frontinus (ca. 35–103 n. Chr.). Bei diesem Werk handelt es sich um eine Sammlung von Kriegstaktiken und -listen. Frontinus bezeichnet Scorylo darin als „Anfuhrer“ oder „Feldherr“ (lateinisch dux) der Daker. Er gibt eine Episode wieder, in der eine Gruppe von Dakern einen Angriff auf das Romische Reich plante, das gerade durch einen Burgerkrieg geschwacht war. In dieser Situation soll Scorylo befurchtet haben, dass gerade der dakische Angriff die Romer dazu bewegen konnte, ihre inneren Streitigkeiten beizulegen – ein Gedanke, der in der modernen Forschung als kluge Einschatzung der außenpolitischen Situation bewertet wird.
Der Verweis auf die politischen Konflikte in Rom bietet einen Ansatzpunkt zur Datierung des Geschehens und damit der Lebenszeit Scorylos. Als Kandidat fur die erwahnte politische Auseinandersetzung auf romischer Seite wird einerseits der Ptolemaische Krieg (32–30 v. Chr.), andererseits das Vierkaiserjahr nach dem Tod Neros (69 n. Chr.) diskutiert – zweitere Option gilt tendenziell als wahrscheinlicher. Allerdings kursieren auch noch deutlich konkretere Hypothesen zum Hintergrund und der Lebenszeit Scorylos. Vielfach versuchte man namlich in der fruheren Forschung, aufgrund der verstreuten antiken Hinweise auf dakische Anfuhrer eine durchlaufende Konigsliste zu rekonstruieren, um die lange Tradition eines starken „rumanischen“ Nationalstaats zu beweisen. Daher hat man die einzelnen belegten Hauptlinge und Konige in eine chronologische Reihung zu bringen versucht und als aufeinander nachfolgende Angehorige einer dakischen Konigsdynastie rekonstruiert. Daraus resultierend kursieren zu Scorylo teilweise recht prazise Regierungsdaten. All dies wird in der neueren Wissenschaft jedoch kritisch gesehen, nicht nur, weil sich die meisten dieser Personen ahnlich schwer datieren lassen wie Scorylo, sondern auch, weil es in der Zeit zwischen Burebista († um 44 v. Chr.) und Decebalus (Konig ab etwa 85 n. Chr.) vermutlich ohnehin kein geeinigtes dakisches Reich, sondern verschiedene voneinander unabhangige Stamme gab.
Gleichsetzung mit Coryllus oder Cotiso Eine deutlich spatere Quelle zu den Dakern und den mit ihnen eng verwandten Geten sind die Getica des romisch-gotischen Gelehrten Jordanes aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. Jordanes beschreibt eine Abfolge von getisch-dakischen Konigen aus den beiden Jahrhunderten um Christi Geburt. Dabei erwahnt er einen Coryllus als Nachfolger des Priesterkonigs Deceneus. Dieser Deceneus wird auch bei Strabon (63 v. Chr.–23 n. Chr.) erwahnt und muss demzufolge noch im 1. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben. Nach dem Tod des Deceneus sei nun ein gewisser Coryllus zum Herrscher aufgestiegen und habe 40 Jahre uber die Geter bzw. Daker geherrscht. Neben der Form „Coryllus“ finden sich in den mittelalterlichen Manuskripten, in denen die Getica uberliefert sind, auch die Schreibweisen „Chorilus“ und „Corillius“. Bei dem Versuch, eine kontinuierliche dakische Konigsliste zu rekonstruieren, wurde dieser getische Herrscher in der Forschung wiederholt mit dem bei Frontinus genannten Scorylo gleichgesetzt – die Schreibweise des Namens habe sich uber die Jahrhunderte beim wiederholten Abschreiben verandert. Dieser Zusammenhang ist jedoch nicht zu beweisen und gilt mittlerweile auch als wenig wahrscheinlich, nicht zuletzt da die Angaben des Jordanes uber diese Epoche allgemein sehr unzuverlassig sind.
Auch mit einem anderen bei Jordanes erwahnten dakischen Konig, Cotiso, wurde Scorylo teilweise gleichgesetzt, aber auch dies gilt mittlerweile als unplausibel.
Inschrift auf einem Stempelabdruck Ein zeitgenossischer Beleg fur den Namen „Scorilo“ ist ein Stempelabdruck auf einem Keramikgefaß, das in dem dakischen Hauptort Sarmizegetusa Regia gefunden wurde. In den Ton dieses Behaltnisses wurden zwei Stempel eingedruckt, die jeweils in einer Kartusche einen kurzen Text in lateinischer Schrift, aber linkslaufiger Schreibrichtung enthielten. Der eine Stempelabdruck lautet „Decebalus“, der andere „per Scorilo“.
Verschiedene Forscher haben spekuliert, dass mit Decebalus der – aus diversen Quellen gut belegte – letzte dakische Konig Decebalus gemeint sein konnte. Der Name Scorilo dagegen bezeichne den von Frontinus (und gegebenenfalls Jordanes) bekannten dakischen Anfuhrer Scorylo und „per“ konne ein unbekanntes dakisches Wort fur „Sohn des“ sein, das mit dem lateinischen puer („Kind“) verwandt ist. „Decebalus per Scorilo“ hieße dann ubersetzt „Decebalus, Sohn des Scorylo“. Allerdings ist ein solches dakisches Wort fur „Sohn“ oder „Kind“ nirgends belegt, wahrend im Lateinischen „per“ eine sehr gebrauchliche Vokabel mit der Bedeutung „durch“ oder „uber“ ist. Auch die Deutung der beiden Personennamen als Konige ist keineswegs gesichert. Angesichts der lateinischen Bedeutung von „per“ konnten die beiden Stempel zusammengenommen auch etwas wie „Decebalus, (hergestellt) von Scorilo“ oder „Decebalus, (hergestellt) fur Scorilo“ bedeuten. Die beiden genannten Personen waren dann beispielsweise der herstellende Handwerker, der Besitzer der Werkstatt und/oder der Auftraggeber des Gefaßes.
Aufgrund der Interpretation als Vater des Decebalus wird Scorylo teilweise auch als der Konig betrachtet, unter dem die Daker nach langerer Zersplitterung wieder zu einem vereinigten Staatswesen zuruckgefunden hatten. Da zur Begrundung dieser Theorie all die genannten antiken Quellenzeugnisse benotigt werden, deren Zuverlassigkeit und inhaltliche Aussage sehr zweifelhaft sind, ist diese Einordnung jedoch nicht allgemein anerkannt.
Literatur Kai Brodersen: Dacia Felix. Das antike Rumanien im Brennpunkt der Kulturen. wbg Philipp von Zabern, Darmstadt 2020, ISBN 978-3-8053-5059-4, besonders S. 94–95.
Cicerone Poghirc: Autour de Decebalus per Scorilo (IDR, III 3, nr. 272). In: Alexandre Fol (Redaktion): Studia in honorem Georgii Mihailov. Universitat Sofia, Sofia 1995, S. 365–370.
Ion I. Russu: Die griechische und lateinische Schrift im vorromischen Dakien (Konig Thiamarcos, Decebalus und Scorilo). In: Dionisie M. Pippidi, Emilan Popescu (Hrsg.): Epigraphica. Travaux dedies au VIIe Congres d’epigraphie grecque et latine (Constantza, 9–15 septembre 1977). Editura Academiei Republicii Socialiste Romania, Bukarest 1977, S. 33–50.
Einzelnachweise
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Scorylo oder Scorylus war ein Anfuhrer der Daker, der im 1. Jahrhundert v. Chr. oder (wahrscheinlicher) im 1. Jahrhundert n. Chr. lebte. Wie viel sich uber ihn und seine Machtposition rekonstruieren lasst, ist in der Altertumswissenschaft umstritten. Die national gepragte Geschichtsforschung hat verschiedene Einzelinformationen in den antiken Quellen zu dem rekonstruierten Bild eines machtigen dakischen Konigs kombiniert. Als solcher habe Scorylo an der Spitze aller Daker gegen die Romer gekampft und sei Vater des beruhmten letzten Dakerkonigs Decebalus gewesen. Allerdings ist sehr unsicher, wie zuverlassig diese Quellen sind und ob sie sich uberhaupt alle auf die gleiche Person beziehen. Entsprechend kritisch sieht die neuere Forschung solche Rekonstruktionsversuche. Genauso gut konnte es mehrere unterschiedliche Daker gegeben haben, auf die die einzelnen heute bekannten Quellenzeugnisse zuruckgehen und von denen nur einer ein Feldherr oder Anfuhrer mit dem Namen Scorylo war.
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c-819
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Ramli (arabisch رملي, DMG ramli ‚auf Sand‘) ist eine weltweit einzigartige Form der Feldwirtschaft, die am Rand der Lagune von Ghar el-Melh in Tunesien betrieben wird.
Beschreibung Die Ramli-Felder wurden auf flachen, teilweise kunstlich aufgeschutteten Sandbanken angelegt. Sie kommen praktisch ohne kunstliche Bewasserungssysteme aus – es handelt sich also um eine besondere Form des Regenfeldbaus. Das Regenwasser versickert zunachst im porosen Untergrund, bis es das tiefer liegende, vom Meer her eingedrungene Salzwasser erreicht. Aufgrund der geringeren Dichte des Sußwassers schwimmt es auf dem Salzwasser, ohne sich mit ihm zu vermischen, und wird so gespeichert. Bei Flut dringt Meerwasser in die Lagune ein, der Flussigkeitsspiegel des Salzwassers unter den Feldern steigt an und druckt das aufliegende Sußwasser mit nach oben, so dass die Wurzeln der Pflanzen es erreichen konnen, bei Ebbe sinkt mit dem Salzwasser auch das Sußwasser wieder ab. Die Gezeiten des Meeres sorgen also zwei Mal am Tag fur die Bewasserung der Pflanzen mit Sußwasser. Auf diese Weise konnen auf den Feldern das ganze Jahr uber ohne kunstliche Bewasserung Pflanzen wachsen, auch in der Trockenperiode.
Die Bewirtschaftung der Ramli-Felder erfordert eine standige Gratwanderung. Die Bauern mussen den Grundwasserspiegel beobachten und dafur sorgen, dass die Oberflache ihrer Felder immer im richtigen Abstand zu diesem bleibt. Liegen die Felder zu tief, gelangt Salzwasser an die Wurzeln und die Pflanzen gehen ein. Liegen die Felder jedoch zu hoch, konnen die Wurzeln auch das Sußwasser nicht mehr erreichen und die Pflanzen vertrocknen. Als ideal gilt eine Sandschicht mit einer Dicke von 40 Zentimetern. Der Tidenhub in der Lagune betragt zwischen 20 und 30 Zentimeter.
Um die Pflanzen vor dem vor allem aus westlicher Richtung wehenden Wind zu schutzen, sind die Felder in etwa vier Meter breite Streifen eingeteilt, die annahernd in Nord-Sud-Richtung verlaufen und durch einfache Zaune aus Schilf voneinander getrennt sind.
Produziert wird in erster Linie fur den lokalen Markt, insbesondere Kartoffeln, Gartenbohnen und Zwiebeln. In kleinerem Maßstab (hauptsachlich fur den Eigenbedarf) werden auch Spanischer Pfeffer, Ackerbohnen und Kurbisse angebaut, ebenso Tomaten, Knoblauch, Melonen und Zucchini sowie Feigen. Zwar werden im Wesentlichen gangige Sorten angebaut, die Bauern legen aber auch großen Wert auf die Erhaltung lokaler Varietaten.
Gedungt wird vorwiegend mit Mist.
Das Gebiet mit den Ramli-Feldern erstreckt sich entlang des Uferstreifens in der nordlichen Halfte der Lagune von Ghar el-Melh sowie uber die angrenzende Lagune von Sidi Ali el-Mekki. Dabei werden die Felder in vier Gruppen aufgeteilt: Diejenigen auf der Nehrung zwischen den beiden Lagunen werden edhrii genannt, die Felder auf der Nehrung zwischen der Lagune von Sidi Ali el-Mekki und dem Meer el Hay. Innerhalb der Lagune von Sidi Ali el-Mekki befinden sich auch zahlreiche kleine Inseln mit Feldern, genannt Guettayas. Die Felder entlang der Kustenlinie in der nordlichen Halfte der Lagune von Ghar el-Melh werden mlellah genannt. Letztere befinden sich auf urbar gemachtem Sumpfland und besitzen daher Entwasserungsgraben, um uberschussiges Wasser in die Lagune zu leiten. Die passive Bewasserung der Pflanzen nach dem Ramli-System geschieht jedoch nach dem gleichen Prinzip wie bei den anderen Feldern.
Geschichte Die Ramli-Landwirtschaft wurde vermutlich im 17. Jahrhundert von judischen und muslimischen Siedlern begrundet, die aufgrund der Reconquista aus Andalusien geflohen waren.
2007 wurden die Lagune von Ghar el-Melh und das angrenzende Delta des Flusses Medjerda in die Liste der Ramsar-Statten aufgenommen und damit als Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung, insbesondere als Lebensraum fur Wasser- und Watvogel anerkannt.
2020 wurde das Ramli-Landwirtschaftssystem in die Liste der Globally Important Agricultural Heritage Systems (GIAHS) der FAO aufgenommen. Im Juni 2024 brachte die tunesische Post eine Serie von drei Briefmarken heraus, die die drei tunesischen GIAHS-Statten zeigen. Auf der Marke mit dem hochsten Nennwert von 3 Tunesischen Dinar sind die Ramli-Felder von Ghar el-Melh dargestellt.
Gefahrdung durch den Klimawandel Durch den Klimawandel ist die Ramli-Feldwirtschaft heute stark bedroht. Seit Ende der 2010er Jahre haben sich sowohl die Dauer der Regenperiode als auch die Niederschlagsmengen deutlich verringert. Die Ernteertrage sind bereits spurbar zuruckgegangen. Mit dem steigenden Meeresspiegel wird sich auch die Oberflache des Salzwassers im Untergrund heben. Projektionen gehen davon aus, dass Ghar el-Melh bis zum Ende des 21. Jahrhunderts komplett uberschwemmt sein wird.
Statistisches Die Landwirtschaftsbetriebe von Ghar el-Melh sind relativ klein – etwa 81 % haben eine Anbauflache von weniger als 5 ha. Insgesamt bedecken die Felder eine Flache von 200 ha.
Die folgende Tabelle zeigt die durchschnittlichen Feldgroßen und Ertrage der wichtigsten Feldfruchte sowie zum Vergleich die Ertrage in Deutschland im Jahr 2022:
Weblinks Ramli agricultural system in the lagoons of Ghar El Melh, Tunisia auf der Webprasenz des GIAHS-Programms der FAO
Sarah Mersch: Auf Sand: Wie das Mittelmeer in Tunesiens einzigartigem Agrarsystem Ramli die Bewasserung sichert auf riffreporter.de
Bob Koigi: The ancient farming technique navigating climate change auf fairplanet.org
Einzelnachweise Anmerkungen
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Ramli (arabisch رملي, DMG ramli ‚auf Sand‘) ist eine weltweit einzigartige Form der Feldwirtschaft, die am Rand der Lagune von Ghar el-Melh in Tunesien betrieben wird.
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c-820
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Die Villa am Tonniesberg, bekannt als FKK-Villa, ist ein denkmalgeschutztes Gebaude auf dem Tonniesberg im Stadtteil Ricklingen in Hannover. Die 1923 von einem Fabrikanten errichtete Villa wurde seither unterschiedlich genutzt.
Lage und Beschreibung Die Villa befindet sich heute in isolierter Lage am Ende einer Sackgasse. Zur Zeit der Erbauung lag sie umgeben von Feldern an der Hamelner Chaussee, die wenige Meter nordlich auf aufeinanderfolgenden Brucken die Gleise des Bahnbetriebswerks, des Rangierbahnhofs und des Bahnhofs Hannover-Linden uberquerte. Durch den Ausbau der Bornumer Straße und den Abriss der Brucken in den 1960er Jahren geriet das Gebaude in eine abgelegene Verkehrssituation.
Es ist ein zweigeschossiger Backsteinbau mit Steingussdekor als Fassadenschmuck. Ein Risalit mit flankierenden Halbsaulen in Kolossalordnung bildet den monumentalen Haupteingang zur Straßenseite. Auf der Sudseite sind an den Ecken zwei Rundturme mit Kuppeldach in das Gebaude integriert. Zwischen den Turmen befindet sich ein Vorbau in der Art eines Altans mit einem Balkon. Er ist durch zwei Bogen geoffnet, in deren Mitte eine Skulptur des Merkur angebracht ist.
Das Niedersachsische Landesamt fur Denkmalpflege bezeichnet das Gebaude als ungewohnlichen Villenbau. An seiner Erhaltung besteht aufgrund des geschichtlichen Zeugnis- und Schauwertes sowie der stadtebaulichen Bedeutung ein offentliches Interesse.
Geschichte Der Fabrikant August Lutterberg erbaute die Villa mit 38 Raumen als Wohnhaus fur sich und seine Familie. Die Baukosten lagen bei 850.000 Reichsmark. Lutterberg war der Besitzer der „Hannoverschen Faßfabrik“. Als sein Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, verkaufte Lutterberg die Villa 1943 an die Deutsche Edelstahl AG. Spater wurde sie von der Hanomag erworben, die sie zu Wohn- und Burozwecken vermietete. Unter anderem nutzte die Hastra das Gebaude. Beim Eisenbahnunfall von Linden am 22. Juni 1969 wurde die Villa schwer beschadigt, als ein in Brand geratener Guterwagen mit militarischer Munition im 150 Meter entfernten Bahnhof Hannover-Linden explodierte. Durch die Druckwelle wurden Fenster und Turen herausgerissen und ein Dach abgedeckt.
1973 erwarb ein Bauunternehmer das Gebaude und quartierte in ihm bis zu 80 Gastarbeiter unter unwurdigen Bedingungen ein. Nach behordlicher Beendigung des Zustands stand die Villa leer und zog Obdachlose an. Das fuhrte in der Mitte der 1970er Jahre zu einer weiteren schweren Gebaudeschadigung, als eine Zigarette einen Dachstuhlbrand verursachte. 1979 erwarben zwei hannoversche Kaufleute die Villa fur 200.000 DM und stellten sie fur 7000 DM Monatsmiete dem Porno-Produzenten Hans Moser zur Verfugung, der mit seiner damaligen Ehefrau Teresa Orlowski in der Villa ein Studio fur Pornofilme einrichtete. Das Projekt scheiterte jedoch. 1984 wurde die Villa fur 1,3 Millionen Mark an einen Schweizer verkauft; im selben Jahr eroffnete darin ein Bordell, das wegen des Aufkommens von HIV-Infektionen und daraus folgenden AIDS-Pandemie in den 1980er Jahren schloss. Anfang der 1990er Jahre mietete die Stadt Hannover die Villa und brachte darin Obdachlose, Asylbewerber und Suchtkranke unter. Wegen der unzumutbaren Wohnbedingungen gab man die Unterkunft 1993 auf.
Nach Leerstand kam es 2003 zu einem erneuten Verkauf. Der neue Besitzer ließ die Villa fur 300.000 Euro renovieren und richtete in ihr unter der Bezeichnung „FKK-Villa“ ein Edelbordell mit uber einem Dutzend Prostituierten sowie Pools, Sauna und Bar ein. Auch wurde das Gelande der Villa von den Hells Angels wiederholt fur Veranstaltungen genutzt, so 2008 ein mehrtagiges Europatreffen sowie 2019 mit Frank Hanebuth und 1000 Rockern eine Feier zum 20-jahrigen Bestehen des Hannover-Chapters. Wegen der COVID-19-Pandemie schloss die FKK-Villa 2020 fur die offiziellen Gaste. Seither ist sie offenbar ein Treffpunkt von Rockern.
2024 meldeten Medien eine polizeiliche Durchsuchung unter Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos und die Festnahme eines in der Villa wohnhaften Mannes im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen Brandstiftung und versuchten Mordes in Peine. 2024 berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung, dass ein Lkw-Handler die Villa bezogen hatte und 2025, dass die Villa der Ehefrau von Frank Hanebuth gehort.
Siehe auch Liste der Baudenkmale in Ricklingen
Weblinks Finn Bachmann: „Villa Lust“, Pornoset und Rocker-Treff: Hannovers „FKK-Villa“ hat eine bewegte Geschichte in Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 22. Juli 2024
Jochen Winkler: Die wechselvolle Geschichte der Villa am Tonniesberg bei punkt-linden.de
Einzelnachweise
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Die Villa am Tonniesberg, bekannt als FKK-Villa, ist ein denkmalgeschutztes Gebaude auf dem Tonniesberg im Stadtteil Ricklingen in Hannover. Die 1923 von einem Fabrikanten errichtete Villa wurde seither unterschiedlich genutzt.
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c-822
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Tan Lip Seng (geb. 26. Juli 1942 in Singapur) ist ein singapurischer Fotograf. Bekannt wurde er vor allem durch seine semi-abstrakten Montagen der 1960er und 1970er Jahre von Fotografien von Arbeitern und Arbeiterinnen mit Flachen aus starken Farben.
Leben Tan wurde am 26. Juli 1942 als Sohn eines Fruchthandlers geboren. 1954 begann er zu fotografieren, wurde Mitglied in der Photographic Society of Singapore und lernte dort das Fotografieren. Er beabsichtigte in der Folge auch, die Fotografie zum Beruf zu machen. Sein Vater widersprach dem jedoch, da er fur Tan eine medizinische Karriere vorsah. 1964 ergriff Tan als Kompromiss daher den Beruf eines medizinischen Fotografen.
Er ist verheiratet mit Lai Cheng und hat zwei Kinder, Eng Kien und Eng Loy.
Wirken Wahrend Tan in den 1950er und fruhen 1960er Jahren noch mit Schwarzweißfotografie arbeitete, experimentierte er in den spaten 1960er Jahren zunehmend mit der Farbfotografie und entwickelte dabei ein eigenes Verfahren. Zum Einsatz kamen dabei spezielle Filme wie Kodalith (ein Schwarzweißfilm, der starke Kontraste bis hin zu reinem Schwarzweiß erzeugte) und Diazochromfilm (ein jeweils nur einfarbiger Film, der in verschiedenen Farben erhaltlich war) und den er durch Kodalithpositive belichtete. Die so angefertigten Dias montierte er in mehreren Schichten in einem Rahmen. Im Zuge dessen reduzierte er das Bild, entfernte Hintergrunde und zahlreiche Details durch Maskierungen beim Belichten, farbte das Material mit Tonern, stellte Bildelemente frei und ersetzte die gewonnenen Flachen durch starke Farben wie Schwarz, Rot, Violett und Blau. Die grafischen bis abstrakten Resultate wurden zeitgenossisch nicht abgezogen, sondern kursierten als Dias und wurden projiziert betrachtet.
Sowohl seine Schwarzweiss- wie Farbfotografien thematisierten die Aufbauarbeiten des jungen Staats Singapur. Die Motive der Dias stellten Arbeiterinnen und Arbeiter wie z. B. Samsui-Frauen oder Bauarbeiter dar, mit nur wenigen verbliebenen sonstigen Bildelementen und durch die Farbflachen weitgehend ohne Kontext und raumliche Tiefe. Dabei basierten die Ausgangsfotografien nicht auf dokumentarischen Aufnahmen, sondern waren teils gestellt. Dieses Verstandnis von „Wahrheit“ entstammte dem in Singapur seinerzeit noch fortwirkenden Piktorialismus, dem sich Tan ausdrucklich zugehorig definiert.
Ab 1979 wurde Tan regelmaßig international als Dozent fur fotografische Workshops und Vortrage eingeladen und wandte sich im Zuge dessen der Reisefotografie zu.
Rezeption In den 1950er bis 1970er Jahren wurde Fotografie in Sudostasien nicht wie in Europa und Amerika in einem kunstlerischen Netzwerk aus Galerien und Museen kultiviert, sondern im Kontext fotografischer Gesellschaften, in denen Ausbildung und Rezeption stattfanden. Daher vernetzten sich singapurische Fotografen sowohl national wie international vorzugsweise mit fotografischen Gesellschaften.
Tan war seit den 1950er Jahren Mitglied in der einflussreichen Photographic Society of Singapore und stellte dort auch 1961 erstmals aus. Im Lauf der 1960er Jahre wurden seine Arbeiten auch international von großen fotografischen Gesellschaften ausgestellt und teils pramiert. Seit 1969 wurde er wiederholt durch die Photographic Society of America ausgezeichnet, 1970 erhielt Tan fur seine Farbarbeiten die Fellowship der Royal Photographic Society und 1972 die Excellence FIAP der Federation Internationale de l’Art Photographique. Insgesamt hat Tan an uber 6000 Ausstellungen fotografischer Gesellschaften teilgenommen und dort uber 1000 Auszeichnungen erhalten.
1985 wurde Tan mit der singapurischen Cultural Medallion ausgezeichnet. Mehrere seiner Werke wurden in die Sammlung der National Gallery Singapore aufgenommen, 2017 wurden dort Prints seiner Dias erstellt.
Literatur Tan Lip Seng: Light & Shadow: Tan Lip Seng’s 50 Years Of Photography 1959–2009. Art Retreat, Singapur 2009 (englisch).
Charmaine Toh: History and Imagination: Modern Photography from Singapore. National Gallery of Singapore, 2021, ISBN 978-981-18-0631-5 (englisch).
Weblinks Stories In Light: Four Modern Photographers In Singapore Virtuelle Ausstellung der National Gallery Singapore, 2021 (Lee Sow Lim, Lee Lim, Lim Kwong Ling und Tan Lip Seng), Online
Einzelnachweise
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Tan Lip Seng (geb. 26. Juli 1942 in Singapur) ist ein singapurischer Fotograf. Bekannt wurde er vor allem durch seine semi-abstrakten Montagen der 1960er und 1970er Jahre von Fotografien von Arbeitern und Arbeiterinnen mit Flachen aus starken Farben.
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c-823
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c-824
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Die Großplastik Der Klammer-Woelki (auch Zappel-Woelki) zahlt zu den Hauptwerken des Kunstlers Jacques Tilly. Sie stammt aus dem Jahr 2023 mit Vorarbeiten aus dem Jahr 2020 und steht im thematischen Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen in der romisch-katholischen Kirche. Seit 2024 hat die Plastik ihren Standort im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.
Plastik Die Plastik hat eine Lange von 5,0 m, eine Breite von 1,0 m und eine Hohe von 2,7 m. Sie besteht aus Pappmaschee und zeigt den Kolner Kardinal Rainer Maria Woelki, wie er sich krampfhaft an einen Turm des Kolner Doms klammert. Symbolhaft steht dies fur das Festhalten an seinem Amt als Erzbischof von Koln. Der Dom droht auseinanderzubrechen, weil an Woelki der Missbrauchsskandal in Person des Teufels zerrt. Die Symbolik geht auf ein Papstzitat zuruck, das die Ursache fur den sexuellen Missbrauch von Klerikern an Kindern und Jugendlichen im Teufel sah. Papst Franziskus hatte am 24. Februar 2019 in einer Rede in Rom erklart, Geistliche, die Kinder missbrauchten, machten sich zu Werkzeugen des Teufels: „In den Missbrauchen sehen wir die Hand des Bosen, das nicht einmal die Unschuld der Kinder verschont.“
Das Original ist im Besitz des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.
Geschichte Im Jahr 2020 veroffentlichte Tilly einen Entwurf der Plastik als Karikatur in der hpd-Reihe „Spott sei Dank“. Im Dusseldorfer Rosenmontagszug 2023 wurde die Plastik erstmals auf einem Karnevalswagen offentlich gezeigt. Anschließend wurde sie von der Giordano-Bruno-Stiftung erworben und in einer Kunstaktion im Juli 2023 in Koln auf der Domplatte eingesetzt, um mit Betroffenen des Missbrauchs gegen das Verhalten des Kardinals zu demonstrieren. Die Aktion erfuhr ein breites Medienecho. Die Rheinische Post veroffentlichte 18 Bilder, die den Bau und den Einsatz der Plastik zeigen.
Im August 2024 wurde die Plastik in das Haus der Geschichte aufgenommen. Dies sei eine Ehre fur den Dusseldorfer Karneval und seinen Wagenbaumeister, so die Rheinische Post. Manfred Wichmann, Sammlungsdirektor der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, sagte: „Nun haben wir ein Exponat, mit dem wir die Dimension des Missbrauchskandals sehr aussagekraftig darstellen konnen.“
Einzelnachweise
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Die Großplastik Der Klammer-Woelki (auch Zappel-Woelki) zahlt zu den Hauptwerken des Kunstlers Jacques Tilly. Sie stammt aus dem Jahr 2023 mit Vorarbeiten aus dem Jahr 2020 und steht im thematischen Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen in der romisch-katholischen Kirche. Seit 2024 hat die Plastik ihren Standort im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.
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c-825
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Limnopilos naiyanetri (in der Aquaristik auch Mikrokrabbe oder Microkrabbe genannt) ist eine in Thailand beheimatete und – zumindest im Erwachsenenstadium – in Sußwasser lebende, aquatische Krabbenart der Gattung Limnopilos aus der Familie der Falschen Spinnenkrabben (Hymenosomatidae). Die Spezies wurde 1991 erstmals beschrieben und ist nach dem thailandischen Karzinologen Phaibul Naiyanetr benannt. Sie ist der erste beschriebene und bekannteste Vertreter der Gattung Limnopilos.
Die Spezies ist moglicherweise die kleinste Sußwasserkrabbenart.
Etymologie Christina Chuang und Peter Ng benannten die Art zu Ehren von Professor Phaibul Naiyanetr von der
Abteilung fur Biologie der Chulalongkorn-Universitat (Bangkok, Thailand), der viele Beitrage zur thailandischen Karzinologie leistete. Zudem half Naiyanetr dem zweiten Autor bei vielen Gelegenheiten und stellte den zoologischen Autoren die zur Erstbeschreibung notigen Exemplare zur Verfugung. Der Gattungsname Limnopilos ist eine willkurliche Kombination mit einem vagen Hinweis darauf, dass die Tiere dieser Gattung im Sußwasser leben und behaart sind.
Merkmale Der Carapax (Ruckenpanzer) der Krabbe ist flach und wird bei ausgewachsenen Tieren etwa 1 cm breit. Die Beine sind im Verhaltnis zum Korper sehr lang und dunn. Die Scheren dagegen sind klein. Erwachsene Tiere erreichen eine Beinspannweite von ca. 3 cm. Der gesamte Korper und besonders die Scheren sind mit feinen Haaren bedeckt. Die Farbe der Spezies variiert zwischen Grau und Beige.
Verbreitung und Lebensraum Die Krabbenart ist bisher nur im Mae Nam Tha Chin in Thailand nachgewiesen. Die Adulti leben dort ausschließlich in Sußwasser in Bereichen, in denen der Fluss langsam fließt.
Die International Union for Conservation of Nature (IUCN) hat die Spezies bisher nicht kategorisiert; die bisher bekannten Lebensraume der Krabbe sind jedoch durch Umweltverschmutzung gefahrdet.
Lebensweise Die Tiere sind hauptsachlich nachtaktiv und bewohnen Wurzeln von Schwimmpflanzen (z. B. Wasserhyazinthen) oder feinblattrige Wasserpflanzen. Sie sind Allesfresser und leben rein aquatisch. In der Wasserstromung des Flusses fangen die Tiere Mikroorganismen und Detritus und entnehmen fur sich die darin verwertbaren Partikel. Die Haare an den Scheren dienen vermutlich diesem Zweck. Auch Algen und kleine Schnecken werden von den Krabben gefressen. Sie sind sozial, also nicht territorial und daher auch nicht aggressiv, weswegen sie sich sehr friedlich untereinander verhalten. Jedoch sind die Tiere rauberisch und konnen den eigenen Nachwuchs fressen. Die Spezies gehort moglicherweise zu den wenigen Krabbenarten, die ihren gesamten Lebenszyklus in Sußwasser verbringen; ob jedoch die Larven Salz- oder Brackwasser zum Uberleben brauchen, ist nicht vollstandig erforscht.
Haltung im Aquarium L. naiyanetri ist in der Aquaristik seit 2008 zu finden. Wegen ihrer verhaltnismaßig kleinen Große und ihrer friedlichen Natur vertragen sie sich mit anderen Tieren, z. B. Zwerggarnelen, mit denen sie auch ahnliche Haltungsbedurfnisse haben. Eine Zucht in Gefangenschaft ist bisher noch nie gelungen. Von Weibchen freigesetzte Larven blieben bislang nicht lange im Aquarium am Leben, sie uberdauerten keine drei Wochen.
Einzelnachweise
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Limnopilos naiyanetri (in der Aquaristik auch Mikrokrabbe oder Microkrabbe genannt) ist eine in Thailand beheimatete und – zumindest im Erwachsenenstadium – in Sußwasser lebende, aquatische Krabbenart der Gattung Limnopilos aus der Familie der Falschen Spinnenkrabben (Hymenosomatidae). Die Spezies wurde 1991 erstmals beschrieben und ist nach dem thailandischen Karzinologen Phaibul Naiyanetr benannt. Sie ist der erste beschriebene und bekannteste Vertreter der Gattung Limnopilos.
Die Spezies ist moglicherweise die kleinste Sußwasserkrabbenart.
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c-826
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Die Hundesprechschule Asra, auch Tiersprechschule Asra, war eine von 1930 bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bestehende private Hundeschule in Leutenberg in Thuringen. Die Grunderin Margarethe Schmidt brachte ihren Hunden eine Reihe von Kunststucken bei, darunter auch Sprachaußerungen, und ließ sie damit offentlich auftreten. Die Erwahnung der Schule in einem 2011 in Großbritannien erschienenen popularen Sachbuch fuhrte dazu, dass sie kurzfristig großere Beachtung in der (vor allem englischsprachigen) Presse und im Internet fand. Dabei wurde sie in sensationalistisch ubersteigerter Weise als Projekt der nationalsozialistischen Kriegfuhrung dargestellt. Fur eine tatsachliche Verbindung zu nationalsozialistischen Stellen fehlt jeder Nachweis.
Geschichte Die „Hundesprechschule Asra“ wurde ab 1930 von Margarethe Schmidt, Tochter des Besitzers der Leutenberger Papiermuhle, in der Villa Viola ⊙ betrieben, die sie mit ihrer Mutter und ihren Hunden bewohnte. Benannt war sie nach der angeblich besonders talentierten Deutschen Dogge Asra, deren funf Welpen und ein spater zugelaufener Terrier die „Schulerschaft“ bildeten.
Max Muller, Direktor des stadtischen Veterinarwesens in Munchen und Honorarprofessor an der tierarztlichen Fakultat der Ludwig-Maximilians-Universitat, besuchte 1942 Schmidts Hundesprechschule und verfasste daruber einen Artikel in den Tierarztlichen Mitteilungen. Muller war als „einer der großten Verfechter der ‚klopfsprechenden‘ Tiere wahrend der 1930er Jahre“ fest davon uberzeugt, dass Hunde zu selbststandigem Denken fahig seien. In seinem Aufsatz berichtet Muller, dass die Hunde eine Reihe von Worten lautlich wiedergeben und sinngemaß anwenden konnten, dabei jedoch durch die Natur ihrer Sprechwerkzeuge eingeschrankt seien; ferner konnten sie durch wiederholtes Bellen bzw. Betatigen einer elektrischen Klingel Rechenaufgaben losen, das Datum angeben und Worter ablesen. Daruber hinaus erwahnt er, dass Margarethe Schmidt Adolf Hitler angeboten habe, „sich mit ihren Hunden fur die Zwecke der Wehrmachtsbetreuung zur Verfugung zu stellen“, und von der Kanzlei des Fuhrers eine zustimmende Antwort erhalten habe, und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass „die Angehorigen der Wehrmacht [der] erteilten Weisung des Fuhrers zufolge Gelegenheit haben [werden], sich vom selbstandigen Denken dieser Tiere und ihrer direkten und indirekten Sprechfahigkeit im Rahmen der KdF-Wehrmachtsbetreuung uberzeugen [zu] konnen.“ Es gibt jedoch keine Nachweise, dass Schmidt mit ihren Hunden tatsachlich im Rahmen der Truppenbetreuung auftrat.
Die angeblichen Fahigkeiten der Hunde wurden von Schmidt in Leutenberg und Umgebung regelmaßig offentlich vorgefuhrt. In einem gedruckten Prospekt hieß es, „daß die Tiere nicht nur addieren, subtrahieren, multiplizieren, dividieren, sondern auch die Uhrzeiten wissen […]. Sie lesen, […] beurteilen Farben, charakterisieren Anwesende genau.“ Ein Dreizehnjahriger, der sich im Rahmen der Kinderlandverschickung in Leutenberg aufhielt, schrieb in einem Brief vom November 1944 uber die Hundeschau, die Hunde hatten „sprechen und rechnen und denken konnen“ und sich durch wiederholtes Betatigen einer Glocke geaußert; es sei „kein Quatsch“ gewesen. Ein anderer Zeitzeuge nannte hingegen die Vorfuhrung, die er als Kind im Winter 1945/46 sah, „eindeutig Schwindel“. Eine weitere Zeitzeugin, die als Jugendliche in den 40er Jahren haufig in der Villa Viola zu Besuch war und die Vorfuhrungen mehrmals sah, sprach von „Kunststucken“: Die Hunde hatten weder sprechen („ein langgezogenes Maaamma war das Einzige, das man halbwegs verstehen konnte“) noch rechnen konnen; es habe sich vielmehr um einen „Trick“ gehandelt, bei dem die Hunde so lange an einem Klotz mit einer Klingel kratzten, bis die gewunschte Zahl erreicht war und sie eine Belohnung erhielten. Margarethe Schmidt und ihre Mutter hatten in diesen Jahren kein anderes Einkommen gehabt als das aus der Hundeschau. In einer Postkarte vom 3. Mai 1943 klagte Schmidt, dass sie kein Futter mehr fur ihre Hunde erhalte, weil es sich weder um eine Zucht noch um eine „wissenschaftlich beachtliche Dressur“ handele; dabei seien „Hunde, die tanzen, die Bitte-Bitte machen und ‚Mama‘ sagen“, doch eine wissenschaftliche Leistung. Auf der Vorderseite dieser Ansichtskarte sind die Tiere mit der Unterschrift „Sechs aufmerksame Artisten“ abgebildet.
Nach Bekanntwerden der Presseberichte im Jahr 2011 wurde von Zeitzeugen, darunter Margarethe Schmidts Neffe, vehement bestritten, dass Schmidt Verbindungen zum Nationalsozialismus gehabt hatte. Ortliche Zeitzeugen beschrieben die unverheiratete „Hunde-Grete“ oder „Hunde-Schmidten“ als „ein bisschen spleenig“ oder als „Artistin […] ein schrager Vogel“. Als nach Kriegsende Fluchtlinge in der Villa einquartiert wurden, loste Schmidt die Schule auf und zog nach West-Berlin, wo sie nach Auskunft ihres Neffen Ende der 1950er oder Anfang der 1960er Jahre starb. Uber den Verbleib der Hunde ist nichts bekannt.
Rezeption In ihrer 2008 erschienenen Dissertation Die „Neue Tierpsychologie“ und ihre wissenschaftlichen Vertreter (von 1900 bis 1945) erwahnt Britt von den Berg unter Berufung auf Mullers Aufsatz von 1943 die Hundesprechschule Asra als „Kuriositat“ und stellt sie in den Zusammenhang des großen Interesses an sprechenden, rechnenden oder denkenden Tieren und an Tierpsychologie allgemein, das in Deutschland in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts bestand und ursprunglich durch den Fall des „Klugen Hans“ ausgelost worden war.
Anfang 2011 veroffentlichte der schwedisch-britische Autor Jan Bondeson das Buch Amazing Dogs: A Cabinet of Canine Curiosities. Im Kapitel Some Canine Intellectuals erwahnt er, gestutzt auf von den Bergs Dissertation, kurz die Hundesprechschule Asra. Bondeson vermischt dabei Mullers Bericht mit anderen Berichten uber „sprechende Hunde“ aus der Nazizeit und missversteht Mullers Hinweis auf die Truppenbetreuung, den er wie folgt wiedergibt: „Laut Muller hatten Vertreter der Wehrmacht vom ‚Fuhrer‘ Anweisungen erhalten, sich von der Nutzlichkeit dieser ausgebildeten Hunde im Fronteinsatz zu uberzeugen.“ Zudem stellt er die rhetorische Frage, wie solche bizarren Projekte hatten stattfinden konnen, wenn nicht mit Unterstutzung durch das Naziregime, und schließt mit der Frage ab, ob die Nazis versucht hatten, „eine Rasse superintelligenter Sturmtruppenhunde zu entwickeln“, die mit ihren menschlichen Herrchen kommunizieren konnten.
Uber diese durch nichts belegten Spekulationen berichtete nach Erscheinen von Bondesons Buch der britische Daily Telegraph am 24. Mai 2011. In diesem Artikel wird nicht nur die Hundesprechschule Asra mit anderen „sprechenden Hunden“ in Verbindung gebracht, die Bondeson in seinem Buch beschrieb, sondern auch behauptet, „die Nazis“ hatten eine „Armee von sprechenden Hunden“ aufbauen wollen. Bondeson selbst außerte gegenuber dem Daily Telegraph, die Hunde seien vom Buro des Reichsfuhrers SS beschafft worden und er vermute, dass sie SS-Offiziere bei der Bewachung von Konzentrationslagern entlasten sollten; allerdings seien diese Plane nicht zur Reife gelangt. Auch der Suddeutschen Zeitung erklarte Bondeson, dass Hitler fuhrenden SS-Leuten empfohlen habe, sich die Sprechschule anzuschauen und herauszufinden, ob man die Kommunikationstechniken fur den Krieg nutzen konne.
In den Folgetagen wurde diese Meldung von anderen Presseorganen aufgegriffen und weiterverbreitet, vor allem in der englischsprachigen Welt. Dabei kam es nach dem Prinzip der „Stillen Post“ zu weiteren Entstellungen und Falschmeldungen: In der Hundesprechschule seien die Tiere von „Veterinaren und Tierpsychologen“ trainiert worden; Hitler selbst habe die Schule in der Nahe von Hannover gegrundet; die Nazis hatten eine Truppe selbstandig denkender Kriegshunde aufbauen wollen, die Aufgaben wie Bewachung, Aufklarung und verdeckte Uberwachung ubernehmen sollten, und zu diesem Zweck seien Nazi-Beamte ausgeschickt worden, um intelligente Hunde fur die Schule zu rekrutieren.
Angesichts des Pressewirbels ruderte Bondeson in einem Interview mit der BBC am 28. Mai 2011 zuruck und beklagte, dass seine Arbeit durch die Presse „trivialisiert“ worden sei. In den 1930er Jahren habe es zwar eine wachsende Zahl von tierpsychologischen Schulen gegeben, die von den Nazis, besonders Hitler, gefordert und im Hinblick auf mogliche militarische Verwendung gepruft worden seien. „Aber das ist eine Million Meilen weit entfernt von den taglich wilder werdenden Behauptungen der Presse, dass die Nazis uber eine Legion von sprechenden Hunden mit MGs verfugten, die kurz davor standen, auf die Alliierten losgelassen zu werden.“
Wahrend der Presse-Hype kurzlebig war, hat der Mythos von den „sprechenden Hunden der Nazis“ im Internet uberlebt: Auf einer russischsprachigen Website aus der Ukraine war noch 2019 zu lesen, in der Schule hatten Fachleute versucht, den Tieren Sinn fur Poesie und schone Literatur zu vermitteln, es habe Experimente zur telepathischen Hund-Mensch-Kommunikation gegeben, und Eva Brauns Terrier habe dort Fremdsprachen gelernt. Adolf Hitler habe die Schule gefordert, weil er uberzeugt gewesen sei, dass wissenschaftlich ausgebildete Hunde die Welt erobern konnten.
Literatur Britt von den Berg: Die „Neue Tierpsychologie“ und ihre wissenschaftlichen Vertreter (von 1900 bis 1945). Tenea Verlag, Bristol/Berlin 2008 (zugleich veterinarmedizinische Dissertation, Tierarztliche Hochschule Hannover 2008), ISBN 978-3-86504-258-3 (Digitalisat, PDF, 8,1 MB) (mit Foto von Schmidt und ihren Hunden auf S. 124)
Jan Bondeson: Amazing Dogs. A Cabinet of Canine Curiosities. Amberley, Stroud 2011, ISBN 978-1-84868-946-6
Weblinks Bildpostkarte: Schuler der Tier-Sprech-Schule ASRA v. der Huenenburg
Einzelnachweise
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Die Hundesprechschule Asra, auch Tiersprechschule Asra, war eine von 1930 bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bestehende private Hundeschule in Leutenberg in Thuringen. Die Grunderin Margarethe Schmidt brachte ihren Hunden eine Reihe von Kunststucken bei, darunter auch Sprachaußerungen, und ließ sie damit offentlich auftreten. Die Erwahnung der Schule in einem 2011 in Großbritannien erschienenen popularen Sachbuch fuhrte dazu, dass sie kurzfristig großere Beachtung in der (vor allem englischsprachigen) Presse und im Internet fand. Dabei wurde sie in sensationalistisch ubersteigerter Weise als Projekt der nationalsozialistischen Kriegfuhrung dargestellt. Fur eine tatsachliche Verbindung zu nationalsozialistischen Stellen fehlt jeder Nachweis.
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Ebert und Noske in der Sommerfrische war das Titelfoto der Berliner Illustrirten Zeitung am 21. August 1919. Es zeigte den neuen Reichsprasidenten Friedrich Ebert (SPD) und Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) in Badehosen in der Ostsee. Das Foto wurde ofter zur Diffamierung der beiden benutzt.
Vorgeschichte Friedrich Ebert, von November 1918 bis Februar 1919 deutscher Reichskanzler und anschließend erster Reichsprasident der Weimarer Republik, spielte eine zentrale Rolle in der Grundungsphase des neuen Staates. Mit Unterstutzung verschiedener politischer Krafte, einschließlich monarchistischer Politiker und der Obersten Heeresleitung (OHL), wirkte er maßgeblich an der Eindammung der Novemberrevolution und der schrittweisen Auflosung der Arbeiter- und Soldatenrate in mehreren deutschen Stadten mit.
Im Januar 1919 ließ er unter Leitung des Reichswehrministers Gustav Noske den sozialistischen Spartakusaufstand in Berlin gewaltsam niederschlagen. Im Februar wahlte ihn die Nationalversammlung zum ersten deutschen Reichsprasidenten.
Friedrich Ebert akzeptierte auch den Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919, der dem Deutschen Reich Gebietsverluste und erhebliche Einschrankungen brachte, was ihn in weiten Teilen der nationalistisch gesinnten Bevolkerung zusatzlich unbeliebt machte.
Entstehung und Veroffentlichung des Fotos Vor diesem Hintergrund politischer Spannungen unternahm der neue Reichsprasident im Sommer 1919 eine Reise durch das Land, um sich bei der Bevolkerung bekannter zu machen.
Am 17. Juli weilte er in Hamburg und anschließend in Haffkrug in der Lubecker Bucht, wo er ein Kindererholungsheim der Hamburger Konsumgenossenschaft Produktion besuchte, anwesend war auch Henry Everling. Anschließend gingen er und weitere Personen an den Strand und badeten in der Ostsee. Der lokale Fotograf Wilhelm Steffen, der auch schon im Kinderheim Aufnahmen gemacht hatte, bat die Herren, sich zu einem Gruppenfoto aufzustellen. Er machte die Zusage, es nicht zu veroffentlichen.
Am 9. August erschien das Foto dennoch in der konservativen Deutschen Tageszeitung auf einer der hinteren Seiten. Dazu waren verschiedene Behauptungen angegeben, wie, Friedrich Ebert habe die Veroffentlichung selbst veranlasst, um sich besser zu prasentieren, die mit diesem, teilweise bewusst falschen Text versehen waren:
Diese Veroffentlichung hatte aber keine nennenswerten Konsequenzen.
Am 21. August brachte die auflagenstarke linksliberale Berliner Illustrirte Zeitung einen Ausschnitt des Fotos auf ihrer Titelseite, der nur Friedrich Ebert, Gustav Noske und den verdeckt sichtbaren Josef Riege zeigte. Die Veroffentlichung der Zeitung wurde vom eigentlichen Termin (Sonntag, den 24. August) auf diesen Donnerstag vorverlegt, an dem Ebert in Weimar zum Reichsprasidenten vereidigt wurde. Sie war offenbar als humorvolle Erganzung zu diesem bedeutenden Ereignis gedacht.
Reaktionen Die Veroffentlichung des Fotos loste eine Welle von Reaktionen aus, die von politischen Stellungnahmen bis hin zu satirischen Darstellungen reichten.
Die SPD-Zeitung Vorwarts erklarte nach dem Erscheinen, das Foto sei „in unberechtigter Weise […] in die Offentlichkeit gebracht worden“, worauf Chefredakteur Kurt Korff und der Leiter des Ullstein Verlages Georg Bernhard sich entschuldigten und von einem Versehen sprachen.
= Fotomontagen und Karikaturen =
Es erschienen in den nachsten Wochen mehrere Fotomontagen und Karikaturen dazu:
Die rechtskonservative Deutsche Tageszeitung brachte eine Postkarte heraus, auf der uber dem Foto ein wurdevolles Portrat von Kaiser Wilhelm II. und darunter eines von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg hinzugefugt war, mit der Unterschrift Einst und Jetzt.
Die Satirezeitschrift Kladderadatsch veroffentlichte eine karikierte Fassung der Nationalhymne Heil dir im Siegerkranz: „Heil dir am Badestrand / Herrscher im Vaterland / Heil, Ebert, dir! / Du hast die Badebux, / sonst hast du weiter nix / als deines Leibes Zier. / Heil, Ebert, dir!“
In einer Karikatur der KPD-Zeitschrift Die Pleite standen beide Politiker in einem Meer aus Blut und Leichen, bezogen auf die vielen Toten der Niederschlagung des Januaraufstandes in Berlin.
Das Magazin Satyr brachte eine herabwurdigende Karikatur, die Ebert als Eber und Noske als Affen darstellte.
Friedrich Ebert ging gegen einige dieser als diffamierend empfundenen Darstellungen gerichtlich vor, um sein Ansehen als Reichsprasident zu schutzen. Zu der Postkarte mit der Fotomontage erklarte das Gericht, dass die Verbreitung unrechtmaßig geschehen sei, verurteilte die Verantwortlichen aber nicht. Satyr wurde freigesprochen: Eine solche Karikatur sei zwar wurdelos, aber erlaubt. Daraufhin veroffentlichte sie gleich die nachste Karikatur, in der Ebert eine Ohrfeige erhalt. Bei offentlichen Auftritten des Reichsprasidenten wurde in den Folgejahren von dessen Kritikern ofter auch eine rote Badehose gezeigt oder auf einen Mast gehangt.
= Offentliche Wahrnehmung =
Uber die allgemeine Wirkung des Fotos in der Bevolkerung gibt es sonst nur wenige Berichte. Die korperliche Darstellung der beiden entsprach nicht dem damaligen Schonheitsideal. Viele fanden es vulgar und skandalos, dass Ebert und Noske nur eine kurze Hose und keinen ganzteiligen Badeanzug trugen, wie es zu dieser Zeit fur hochrangige Herren noch ublich war.
Der Schriftsteller Joseph Roth bewertete 1923: „Ebert in Badehose wurde das wirkungsvollste, weil pobelhafteste Argument gegen die Republik“.
Das Erscheinen des Badehosen-Fotos war ein fruhes Beispiel dafur, wie mediale Veroffentlichungen das Ansehen von Politikern und anderen Prominenten beeinflussen konnen.
Siehe auch Fotojournalismus
Literatur Walter Muhlhausen: Im Visier der Fotografen. Reichsprasident Friedrich Ebert im Bild. Heidelberg 2009
Walter Muhlhausen: Die Weimarer Republik entbloßt. Das Badehosen-Foto von Friedrich Ebert und Gustav Noske. In: Gerhard Paul (Hrsg.): Das Jahrhundert der Bilder. Band 1: 1900–1949. Bundeszentrale fur politische Bildung, Bonn 2009, S. 236–243
Niels Albrecht: Die Macht einer Verleumdungskampagne. Antidemokratische Agitationen der Presse und Justiz gegen die Weimarer Republik und ihren ersten Reichsprasidenten Friedrich Ebert vom „Badebild“ bis zum Magdeburger Prozeß. Dissertation. Bremen 2002, besonders S. 45–88 (PDF, 3,7 MB)
Ulli Kulke: Wie zwei Badehosen zur Staatsaffare wurden. In: Berliner Morgenpost vom 18. Juni 2017, auch 25. August 2019 Text, mit einigen Hintergrundinformationen
Weblinks Bild der Woche. 7.–14. Februar 2000 Museen Koln, Medienpolitik, mit einigen Informationen
Einzelnachweise
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Ebert und Noske in der Sommerfrische war das Titelfoto der Berliner Illustrirten Zeitung am 21. August 1919. Es zeigte den neuen Reichsprasidenten Friedrich Ebert (SPD) und Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) in Badehosen in der Ostsee. Das Foto wurde ofter zur Diffamierung der beiden benutzt.
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Traumanalyse (Originaltitel: Phantasms) ist die sechste Folge der siebenten Staffel der US-amerikanischen Science-Fiction-Fernsehserie Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert. Sie wurde in den Vereinigten Staaten uber Syndication vermarktet und erstmals am 25. Oktober 1993 auf verschiedenen Fernsehsendern ausgestrahlt. In Deutschland war sie zum ersten Mal am 30. Juni 1994 in einer synchronisierten Fassung auf Sat.1 zu sehen.
Handlung Im Jahr 2370 bei Sternzeit 47225.7 hat der zweite Offizier der Enterprise, der Android Data, einen seltsamen Traum: Er lauft durch die Gange des Schiffs und trifft auf den Chefingenieur Geordi La Forge, der ihn informiert, dass sie eine Plasmaleitung fur den neuen Warpkern der Enterprise verlegen mussen. Als er weiterlauft, begegnet er drei Arbeitern, die auf eine Plasmaleitung einhammern. Er will sie davon abhalten, doch als er seinen Mund offnet, ertont daraus ein schrilles Gerausch, das den Arbeitern Schmerzen verursacht. Sie werden wutend und zerlegen Data, der daraufhin erwacht.
Die Enterprise verlasst Sternenbasis 84, wo tatsachlich ein neuer Warpkern installiert wurde. Ihr nachstes Ziel ist Sternenbasis 219, wo Captain Picard zum jahrlichen Bankett der Admirale der Sternenflotte eingeladen ist. Da er sich die letzten sechs Jahre stets davor gedruckt hat, wird dieses Mal auf seine Teilnahme umso mehr Wert gelegt. Data trifft mit La Forge und dessen Team die letzten Vorbereitungen zum ersten Einsatz des neuen Antriebs. Sein Traum lasst ihn aber nicht los und er hat ein starkes Verlangen, ihn zu analysieren. La Forge hat derweil seine eigenen Probleme, denn Fahnrich Tyler ist furchtbar in ihn verliebt, was er aber nicht erwidert. Als die Arbeiten abgeschlossen sind, wird der Warp-Antrieb aktiviert, doch es kommt zu einer unerklarlichen Fehlfunktion und die Neueinstellung der Systeme beansprucht mehrere Stunden.
Data begibt sich erneut zu Bett und hat einen weiteren Traum. Dieses Mal befindet er sich in der Bar „Zehn Vorne“ und begegnet dort mehreren Besatzungsmitgliedern. Sicherheitschef Worf genießt ein Stuck Kuchen, das er als „zellularen Peptide-Kuchen“ (mit Pfefferminz-Uberzug) bezeichnet. Schiffsarztin Beverly Crusher schlurft mit einem Strohhalm Flussigkeit aus dem Kopf des ersten Offiziers Will Riker. Der ist von einem seltsamen Klingeln genervt und fordert Data auf, „ranzugehen“. Um einen Tisch stehen die drei Arbeiter. Sie geben Data ein gezacktes Messer und er erkennt, dass Schiffsberaterin Deanna Troi auf dem Tisch liegt. Sie ist der Kuchen und aus ihrer linken Schulter hat Worf sein Stuck herausgeschnitten. Obwohl sie ihn anfleht, sie nicht zu verletzten, verspurt Data den unbandigen Wunsch, aus ihrer rechten Schulter ein weiteres Stuck herauszuschneiden. Er erwacht und sieht La Forge, Worf und Troi neben seinem Bett stehen. Offenbar hat er verschlafen, was fur ihn als Androiden aber eigentlich unmoglich ist.
Eine Untersuchung ergibt nichts Ungewohnliches und La Forge vermutet, dass es vielleicht von Datas neuentdecktem Traumprogramm beabsichtigt ist, dass er hin und wieder verschlaft. Da ihm seine ungewohnlichen Traume keine Ruhe lassen, begibt sich Data auf das Holodeck und konsultiert eine Simulation des Psychoanalytikers Sigmund Freud. Der kann ihm aber auch nicht weiterhelfen. Schließlich setzt Data die Arbeit am Warp-Kern fort. La Forge bittet ihn, ein Werkzeug zu untersuchen, das exakt so aussieht wie das Messer in seinem Traum. Plotzlich sieht er eine Art Mund an La Forges Nacken. Wieder ist ein Klingeln zu horen und Riker (mit einem Strohhalm im Kopf) fordert ihn erneut auf, „ranzugehen“. Data merkt, dass das Klingeln aus seinem Bauch kommt. Darin findet er ein altes Telefon vor. Als er den Horer abnimmt, verlangt die Stimme von Sigmund Freud, er musse sie alle toten, bevor es zu spat ist. La Forge reißt ihn aus dieser Illusion und Data wird klar, dass er nun auch Tagtraume hat.
Data sucht die professionelle Hilfe von Troi und sie schlagt vor, wochentliche Sitzungen mit ihm abzuhalten. Dann begibt er sich wieder in den Maschinenraum. Captain Picard wurde von Admiral Nakamura noch einmal daran erinnert, dass er zum Bankett erwartet wird. Er uberwacht die Arbeiten am Antrieb daher personlich, stort dort aber eher den Arbeitsablauf. Tyler findet schließlich eine Aufgabe fur ihn, doch durch seine Anwesenheit ist La Forge zunachst so abgelenkt, dass er nicht bemerkt, dass Data verschwunden ist und das messerformige Werkzeug mit sich genommen hat. Im Turbolift uberrascht Data Troi und sticht auf ihre rechte Schulter ein. Riker und Worf treffen kurz darauf auf die beiden. Troi wird medizinisch versorgt. Data wird vorlaufig vom Dienst freigestellt und in seinem Quartier eingesperrt. Er erklart seine Tat damit, dass er auf Trois rechter Schulter einen Mund gesehen hat. Auf der Krankenstation macht Dr. Crusher eine seltsame Entdeckung: Da Trois Wunde nicht so verheilt wie erwartet, untersucht sie sie mit einem Interphasenscanner und stellt fest, dass sich dort ein unbekannter Organismus festgesetzt hat, der fur das Auge und auch fur andere Scanner unsichtbar ist. Sie findet heraus, dass auch die anderen Besatzungsmitglieder betroffen sind. Die Organismen ernahren sich von den Peptiden und den Zellen ihrer Opfer und wenn kein Weg gefunden wird, die Wesen wieder loszuwerden, wird die Besatzung sterben.
Da die Wesen stets an den Korperstellen entdeckt wurden, an denen Data in seinen Traumen Munder und Strohhalme gesehen hat, vermuten Picard und La Forge einen Zusammenhang. Sie wollen mehr uber seine Traume erfahren und verbinden Data daher mit dem Holodeck, um seinen nachsten Traum mitzuerleben. Dort finden sie sich im „Zehn Vorne“ wieder, wo ihnen Data ein Stuck Kuchen anbietet. Riker ist wieder vom Klingeln des Telefons in Datas Bauch genervt und als Picard den Anruf annimmt, verlangt Sigmund Freud, dass er alle toten soll. Plotzlich verandert sich die Umgebung. Picard und La Forge stehen in Freuds Praxis. Er versucht, ihnen die ganze Situation zu erklaren, doch da treten die drei Arbeiter ein und erschießen ihn. Anschließend reißen sie die Wand auf und hammern auf eine Plasmaleitung ein. La Forge erkennt sie als die Leitung, an der er kurzlich gemeinsam mit Data gearbeitet hat. Als die Arbeiter auf La Forge und Picard losgehen wollen, stellt sich Data vor sie und stoßt erneut ein schrilles Gerausch aus.
Data erwacht und ist sich nun uber alles im Klaren. Sein positronisches Gehirn hat hochfrequente Signaturen der Organismen wahrgenommen und dies in seinem Traumprogramm verarbeitet. Die Arbeiter wurden als Sinnbild fur die Organismen erzeugt, Freuds Anrufe als Warnung vor ihrer Gefahrlichkeit und das schrille Gerausch als ein Weg, um die Wesen zu vernichten. Das gesamte Schiff wird daraufhin einem hochfrequenten interphasischen Impuls ausgesetzt, wodurch die Organismen schließlich verschwinden. La Forge macht die Plasmaleitung als Ursprung der Organismen ausfindig. Sie wurde mit einem interphasischen Fusionsprozess hergestellt, was offenbar die fremden Wesen anzog. Sie blieben zunachst einige Zeit inaktiv und wurden erst durch den Einbau des neuen Warp-Antriebs geweckt, was auch dessen Fehlfunktionen erklart. Um den Antrieb wieder einsatzfahig zu machen, muss La Forge die Plasmaleitung ersetzen, was nochmals mehrere Stunden dauern wird. Picard meint, La Forge soll sich die Zeit nehmen, die er braucht, auch wenn er dafur leider schon wieder das Admirals-Bankett verpassen wird.
Troi besucht Data in seinem Quartier, wo er sich fur seinen Angriff entschuldigen will. Troi ist sich bewusst, dass dies keine absichtliche Tat war. Dennoch findet sie, dass er eine kleine Retourkutsche verdient hat, und ladt ihn daher dazu ein, gemeinsam mit ihr einen Kuchen in Data-Form zu verspeisen.
Besonderheiten = Verbindungen zu anderen Star-Trek-Produktionen =
Traumanalyse knupft an die Folge 6.16 (Der Moment der Erkenntnis, Teil I) von Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert an, in der Data entdeckt, dass er die Fahigkeit zum Traumen hat.
Einige Elemente aus dieser Folge wurden in spateren Star-Trek-Produktionen wieder aufgegriffen:
In der unmittelbar folgenden Episode 7.07 (Ort der Finsternis) von Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert redet Data mit Troi noch einmal uber seine Erfahrungen mit Traumdeutung.
In Folge 1.06 (Diplomatischer Schrott) der animierten Serie Star Trek: Lower Decks aus dem Jahr 2020 wird das Sigmund-Freud-Hologramm erwahnt.
= Besonderheiten der deutschen Synchronfassung =
In der deutschen Synchronfassung bleibt unverstandlich, wie das gezackte Messer aus Datas Traum plotzlich in der Realitat auftauchen kann. Im englischen Original wird es von La Forge in der Realitat als „brace coil“ bezeichnet. Es handelt sich demnach um eine Art Werkzeug, das lediglich eine optische Ahnlichkeit mit einem Messer aufweist. In der deutschen Synchronfassung redet La Forge allerdings sinnentstellend von einem gezackten Messer.
= Sonstiges =
Fur die Ausstrahlung im Vereinigten Konigreich wurde die Folge von der BBC leicht geschnitten. In der Szene, in der Data Troi im Turbolift mit dem Messer angreift, wurde der Moment des Zustechens entfernt.
Produktion = Darsteller =
Clyde Kusatsu hat hier seinen zweiten von drei Auftritten als Admiral Nakamura. Er hatte die Figur erstmals in Folge 2.09 (Wem gehort Data?) gespielt.
= Requisiten und Kulissen =
In dieser Folge wurden mehrere Requisiten wiederverwendet, die eine wichtige Rolle in fruheren Folgen spielten, in denen Data im Mittelpunkt stand. Hierzu gehoren sein abgetrennter Kopf aus der Doppelfolge 5.26/6.01 (Gefahr aus dem 19. Jahrhundert), sein Sherlock-Holmes-Kostum aus Folge 2.03 (Sherlock Data Holmes) und das Geschenk seiner Freundin Jenna aus Folge 4.25 (Datas erste Liebe).
Der modifizierte Warp-Antrieb ist in Folge 7.11 (Parallelen) noch einmal als Warp-Antrieb einer alternativen Enterprise zu sehen.
Rezeption Scott Thill bewertete Traumanalyse 2012 auf wired.com als eine der besten Folgen von Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert.
Keith DeCandido bewertete Traumanalyse 2013 auf tor.com als eine leicht unterdurchschnittliche Folge von Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert. Er fand, dass die Geschichte eigentlich ein enormes Potenzial habe, aber von Patrick Stewart viel zu leblos inszeniert wurde. Die Folge hat fur DeCandido einige lustige Momente, die aber nichts mit der Haupthandlung zu tun haben. Die Verwendung einer stark klischeehaften Version von Sigmund Freud fand er eher dumm und unnotig. Ebenso storte ihn, dass Troi zu wenig Raum bekommt, um ihre Fahigkeiten als Psychologin auszuspielen.
Aaron Couch und Graeme McMillan erstellten 2016 anlasslich des 50-jahrigen Jubilaums von Star Trek in Zusammenarbeit mit verschiedenen Beteiligten aus dem Franchise fur den Hollywood Reporter eine Liste der 100 besten bis dahin ausgestrahlten Folgen. Traumanalyse wurde hierbei auf Platz 83 gewahlt.
Aaron Couch und Graeme McMillan erstellten 2016 fur den Hollywood Reporter eine Liste der 25 besten Folgen von Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert. Traumanalyse landete dabei auf Platz 23.
Guy Desmarais fuhrte Traumanalyse 2018 auf thegamer.com in einer Liste der 25 gruseligsten Star-Trek-Folgen auf Platz 24.
Kayleena Pierce-Bohen fuhrte Traumanalyse 2019 auf screenrant.com in einer Liste der zehn lustigsten Folgen von Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert auf Platz 4.
Kevin Wong zahlte Traumanalyse 2020 auf der Website gamespot.com zu den elf absonderlichsten Momenten von Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert.
Juliette Harrisson fuhrte Traumanalyse 2020 auf der Website Den of Geek in einer Liste der gruseligsten Star-Trek-Episoden auf Platz 16.
Weblinks Traumanalyse bei IMDb
Traumanalyse bei Fernsehserien.de
Traumanalyse im Star-Trek-Wiki Memory Alpha
Traumanalyse in der Deutschen Synchronkartei
Traumanalyse beim Deutschen StarTrek-Index
Phantasms Transkript auf chakoteya.net (englisch)
Phantasms Transkript auf st-minutiae.com (englisch)
Phantasms auf trekcore.com (englisch)
Phantasms auf ex-astris-scientia.org (englisch)
Einzelnachweise
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Traumanalyse (Originaltitel: Phantasms) ist die sechste Folge der siebenten Staffel der US-amerikanischen Science-Fiction-Fernsehserie Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert. Sie wurde in den Vereinigten Staaten uber Syndication vermarktet und erstmals am 25. Oktober 1993 auf verschiedenen Fernsehsendern ausgestrahlt. In Deutschland war sie zum ersten Mal am 30. Juni 1994 in einer synchronisierten Fassung auf Sat.1 zu sehen.
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Stephanie Jutta Schwabe (* 1. Januar 1957 in Flensburg) ist eine Geomikrobiologin, Geologin, Umweltjuristin und Hohlentaucherin, die durch ihre wissenschaftliche Forschungstatigkeit auf den Bahamas international bekannt wurde.
Fruhe Jahre Stephanie Schwabe wurde 1957 als Tochter des Zahnarztes Christian Schwabe in Schleswig-Holstein geboren. Als Stephanie Schwabe ein Kleinkind war, wanderten ihre Eltern nach Iowa aus, wo ihr Vater in Mikrobiologie promoviert wurde. Spater war er Professor an der Harvard University in Boston und an der Medical University of South Carolina. Als Teenager zog sie mit ihrer Familie nach Charleston und besuchte dort das College. Da sie entgegen dem Wunsch ihrer Eltern nicht Medizin studieren wollte, wurde sie von den Eltern nicht finanziell unterstutzt, verließ das College ohne Abschluss und arbeitete anschließend als tiermedizinische Angestellte.
Karriere Im Alter von 29 Jahren schrieb Schwabe sich fur ein Studium am College of Charleston ein. In dieser Zeit begann sie auch mit dem Tauchen. Im Jahr 1990 machte sie ihren Bachelor in Geologie, zwei Jahre spater folgte der Master an der Mississippi State University, wo sie erstmals mit Hohlenforschung auf den Bahamas in Kontakt kam. Wahrend ihres Masterstudiums lernte sie bei einer Konferenz ihren spateren Ehemann, den britischen Hohlentaucher und -forscher (Robert John) „Rob“ Palmer, kennen. Im Anschluss an ihr Masterstudium ging sie nach Großbritannien und wurde 1999 an der University of Bristol promoviert. Fur ihre Promotion forschte sie uber Hohlen in Karbonatplattformen im Gebiet der Bahamas. 2003 erhielt sie an der University of Queensland den Juris Doctor, wobei ihre Schwerpunkte auf internationalem Umweltrecht, Tierrecht und Seerecht lagen.
Nachdem ihr Ehemann 1997 bei einem Freizeittauchgang im Roten Meer bei Hurghada gestorben war, benannte Schwabe eine mit ihm gemeinsam gegrundete Non-Profit-Organisation zur Finanzierung der wissenschaftlichen Erforschung von Blue Holes und ihrer spezifischen Umwelt in „Rob Palmer Blue Holes Foundation“ um. Zu den Zielen der von Schwabe geleiteten Stiftung gehoren auch die Information uber die Hohlen sowie ihre Erhaltung und ihr Schutz. Außerdem engagiert sich Schwabe fur den Schutz von Unterwasserhohlensystemen und Gebieten auf Grand Bahama.
Zwischen 2003 und 2007 war sie außerplanmaßige Professorin am College of Charleston, 2007 bis 2008 Gastprofessorin an der University of San Diego.
= Forschung =
Seit ihrem Masterstudium lag ihr Forschungsschwerpunkt auf der Erforschung von Hohlensystemen auf den Bahamas. 1992 absolvierte Schwabe ihren ersten Hohlentauchgang. Ab ihrem Promotionsstudium war die Erforschung von Blue Holes auf den Bahamas ihr hauptsachliches Interessensgebiet, da sie vermutete, hier bessere Informationen zur Entstehung der Hohlen dieses Gebiets zusammentragen zu konnen als in den oberirdischen Hohlen. So stellte sie die These auf, dass die Entstehung dieser Unterwasserhohlen das Resultat biochemischer Prozesse von Bakterien sei.
Eine ihrer großten Entdeckungen machte Stephanie Schwabe, als sie um die Jahrtausendwende in einem „Black Hole“ auf der Insel South Andros tauchte. Vorher wurde vermutet, dass die Hohle aufgrund ihrer großen Tiefe schwarz erschien. In einer Tiefe von ungefahr 15 Metern kam Schwabe in den Bereich, der wie der Grund der Hohle wirkte, sich aber als eine blickdichte Schicht mit Purpurbakterien herausstellte, unter der sich eine weitere, 30 Meter tiefe Schicht mit sauerstoffarmem Wasser befand. Das Wasser unter der Bakterienschicht war wiederum klar. Auffallig war außerdem die Temperatur: Die Bakterien erhitzten das Wasser in diesem Bereich auf 37 °C. Ihrem verstorbenen Ehemann Rob Palmer zu Ehren nannte sie das von ihr entdeckte Bakterium Allochromatium palmeri.
Auszeichnungen Schwabe ist Fellow der Royal Geographical Society in London. Aufgrund ihrer Entdeckung des neuen Okosystems in den „Black Holes“ auf den Bahamas erhielt sie ein Stipendium der NASA fur Exobiologie.
Im Jahr 2004 wurde sie von der gemeinnutzigen Organisation Wings Worldquest mit einem Women of Discovery Award in der Kategorie „Courage“ geehrt und in dem Buch Women of Discovery: A Celebration of Intrepid Women Who Explored the World vorgestellt.
Diver International zahlte Schwabe zu den 40 besten Tauchern weltweit.
Dritter-Mann-Phanomen Schwabe erklarte, in einer gefahrlichen Situation das Dritter-Mann-Phanomen erlebt zu haben. Als sie bei einem Tauchgang in einer Hohle Bodenproben sammelte, verlor sie den Sichtkontakt zu ihrem Tauchseil, das ihrer Orientierung im komplexen Tunnelsystem diente. Sie konnte das Seil nicht finden und verfiel in Panik, da ihr Atemgas zur Neige ging. Auf einmal spurte sie die Gegenwart einer anderen Person; die Stimme ihres wenige Monate zuvor verstorbenen Ehemannes wies sie an, sich zu beruhigen. Kurz danach fand sie das Seil wieder, und das Gefuhl der Gegenwart ihres Mannes verschwand.
Veroffentlichungen (Auswahl) Beitrage in Fachmagazinen:
The petrology of Bahamian Pleistocene eolianites and phreatic dissolution caves: implications for late quaternary island development. Mississippi State University, 1992 (englisch, Dissertation).
Biogeochemical investigation of caves within Bahamian carbonate platforms. University of Bristol, 1999, OCLC 53556871 (englisch, Dissertation).
Blue Holes of the Bahamas: A Silent Death. In: Immersed, 2001, Bd. 6, Nr. 2.
mit Rodney Andrew Herbert: Black Holes of the Bahamas: What they are and why they are black. In: Quaternary International, Bd. 121, Elsevier, Genf 2004, S. 3–11, OCLC 1052744880. (online (englisch)).
mit James L. Carew: Blue Holes: An Inappropriate Moniker for Scientific Discussion of Water-Filled Caves in the Bahamas. In: Proceedings of the 12th Symposium on the Geology of the Bahamas and other Carbonate Regions June 3–7, 2004. Hrsg.: R. Laurence Davis und Douglas W. Gamble, Gerace Research Center, San Salvador (Bahamas 2006) (Vortragstext online, englisch).
Sachbuch:
Stephanie Jutta Schwabe: Living in Darkness. A Woman’s Scientific and Exploratory Adventures Into the Underwater Caves of the Bahamas. Hrsg.: National Speleological Society. Huntsville, AL 2009, ISBN 978-1-879961-32-6 (englisch).
Einzelnachweise
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Stephanie Jutta Schwabe (* 1. Januar 1957 in Flensburg) ist eine Geomikrobiologin, Geologin, Umweltjuristin und Hohlentaucherin, die durch ihre wissenschaftliche Forschungstatigkeit auf den Bahamas international bekannt wurde.
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Peter Anton von Arnim (* 12. August 1937 Gut Zernikow, Kreis Ruppin; † 19. August 2009 in Gransee, Landkreis Oberhavel) war ein deutscher Privatgelehrter, Islamwissenschaftler und Ubersetzer; er war ein Ururenkel von Bettina und Achim von Arnim.
Leben Peter Anton von Arnim, von seinen Freunden PAvA genannt, wurde als viertes von sechs Kindern des Friedmund Ernst Freiherr von Arnim (1897–1946) und seiner Frau Clara geboren und verlebte seine fruhe Kindheit in Zernikow. Er gehort der siebten Generation der Linie Friedmund von Arnim an; Bettina und Achim von Arnim waren seine Alteltern. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verließ die Mutter mit ihrer Tochter Bettina und den funf Sohnen ihre Heimat und fluchtete in den Westen. Der Vater wurde, obwohl er kein Soldat und der Krieg bereits offiziell beendet war, 1945 in die Sowjetunion deportiert, wo er am 13. Januar 1946 in einem Kriegsgefangenenlager in Tula starb. Gut Zernikow und Schloss Wiepersdorf wurden entschadigungslos enteignet, und die Familie floh in die Bundesrepublik Deutschland in die Nahe von Heilbronn. Die Mutter baute 1947/48 in Kupfer bei Schwabisch Hall ein Siedlungshaus und arbeitete dort in ihrem erlernten Beruf als Physiotherapeutin. Nach dem Abitur 1956 begann Peter Anton von Arnim ein Studium der Literatur in Tubingen, das er jedoch „zum Leidwesen seiner adeligen Verwandtschaft“ abbrach; die Grunde fur den Abbruch sind bisher unbekannt. Zwischenzeitlich war er Mitglied des SDS.
Er begann in einer Buchhandlung in Frankfurt a. M. zu arbeiten und betreute dort die Institute der Universitat. Um 1977 lernte er den Frankfurter Tatowierer Horst Streckenbach kennen und begleitete ihn auf mehreren Reisen, u. a. zusammen mit Manfred Kohrs zur Fifth World Tattoo Convention des North American Tattoo Club 1978 in Sacramento. Er arbeitete auch als Hochzeitsfotograf, spater im Sudan mit eigenem Studio.
= Im Sudan =
Peter Anton von Arnim ubersiedelte 1980 in den Sudan. Ab 1983 dokumentierte er mit Fotoserien das UNICEF-Projekt Wasser fur den Sudan. Er unterstutzte den Aufbau eines Hilfsprojekts mit dem Namen „Association for Amputees“, das wahrend der Unruhen im Lande verstummelte Menschen mit Prothesen versorgte. In Omdurman wurde „in den Raumen des deutschen Photographen Peter von Arnim ihr provisorisches Hauptquartier eingerichtet“. Fundamentalisten denunzierten ihn, und er kam kurzfristig in Haft. Ende 1987 entzog er sich einer Ausweisung und verließ das Land.
= Zernikow =
Nach der friedlichen Revolution in der DDR kehrte er in seine Heimat nach Zernikow zuruck. In den 1990er Jahren hielt von Arnim Vortrage fur verschiedene Institutionen wie z. B. fur die Internationale Arnim-Gesellschaft, den Freundeskreis Schloss Wiepersdorf und die Initiative Zernikow, die sein jungster Bruder Wolf Hermann von Arnim finanziell unterstutzte. Erneut engagierte er sich fur Afrika, diesmal fur Germanistikstudenten im Senegal. Peter Anton von Arnim interessierte sich auch fur islamische Themenkreise wie Goethes Verhaltnis zum Islam und arbeitete mit seiner Islamforschung eng mit Katharina Mommsen zusammen. Gemeinsam verfassten sie das Buch Goethe und der Islam.
= Spate Jahre =
Im Jahr 2004 erlitt Peter Anton von Arnim einen Schlaganfall. Es folgten langere Krankenhausaufenthalte, mehrere Operationen und dann ein Leben im Rollstuhl. 2007 fasste er den Entschluss, in den Senegal auszuwandern. Er ließ seine Bucher verschiffen und brach im August 2007 auf. Auf dem Flug bekam er eine Thrombose und musste die Reise abbrechen. Zunachst kam er in das Krankenhaus Gransee und nach jahrelangen Behandlungen in verschiedenen Krankenhausern des Berliner Umfeldes in die Seniorenresidenz Gransee, wo er am 19. August 2009 starb. Am 27. August 2009 wurde Peter Anton von Arnim auf dem Friedhof von Zernikow beerdigt.
Auszeichnungen Im Dezember 2008 wurde Peter Anton von Arnim der Forschungspreis der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft verliehen. Die Ubergabe des Preises erfolgte nicht wie ublich in der Humboldt-Bibliothek, sondern aufgrund seines Gesundheitszustandes in Gransee.
Bibliografie (Auswahl) = Monografien =
Peter-Anton von Arnim: Der Nachlass des Dichterpaars Achim und Bettina von Arnim. Kulturbericht 2/99 des Arbeitskreises selbstandiger Kultur-Institute e. V. (ASKI)
Katharina Mommsen: Goethe und der Islam. Hrsg. und mit einem Nachw. vers. von Peter Anton von Arnim. Insel-Taschenbuch, Frankfurt am Main 2001, ISBN 978-3-458-34350-9.
Clara von Arnim, Peter-Anton von Arnim: Der grune Baum des Lebens. Lebensstationen einer markischen Gutsfrau in unserem Jahrhundert, Scherz Verlag, Bern-Munchen-Wien 1989, ISBN 3-502-18011-3.
Der Nachlass des Dichterpaars Achim und Bettina von Arnim. Zur Maecenas-Ehrung von Clara von Arnim. Arbeitskreis selbstandiger Kultur-Institute e.V., Bonn 1999
Mit Clara von Arnim: Zur Erinnerung an Friedmund Ernst Freiherr von Arnim 1897-1946. Aus Anlass seines 100. Geburtstages Buch: Zur Erinnerung an Friedmund Ernst Freiherr von Arnim 1897-1946.
Bettine und Goethe. In: Andreas und Paul Remmel (Hrsg.): Goethe-Blatter. Band IV 1. Auflage, S. 105ff. Bernstein Verlag 2008, ISBN 978-3-9809762-4-4.
= Ubersetzungen (Auswahl) =
West-ostlicher Divan; J. W. Goethe. The West-east Divan: Poems, with “Notes and Essays”: Goethe’s Intercultural Dialogues. Ubersetzung, Einfuhrung und Anmerkungen von ; Ubersetzung der „Noten und Abhandlungen“ in Zusammenarbeit mit Peter Anton von Arnim. Albany, New York: State University of New York Press, 2010.
Frantz Fanon: L’an V de la revolution Algerienne. Maspero, Paris 1959. (neu herausgegeben unter dem Titel Sociologie d’une revolution. Maspero, Paris 1968). Deutsch (Neuausgabe): Aspekte der algerischen Revolution (= st. Bd. 337). Ubersetzt von Peter-Anton von Arnim, mit einem Nachwort von Armin Scheil. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1969.
Henri Lefebvre: Sociologie de Marx. PUF, Paris 1974 (Nachdr. d. EA Paris 1966). Deutsch (Neuausgabe) Soziologie nach Marx. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972 (ubersetzt von Beate Rehschuh und Peter Anton von Arnim).
Rezeption Im Jahr 2014 verfassten Horst Stukenberg und Mouhamadou Moustapha Sow das Werk Peter Anton von Arnim – ein biographisches Lesebuch. Sow lernte Peter Anton von Arnim 1983 uber das UNICEF- und Pfadfinder-Projekt „Wasser fur den Sudan“ kennen und wurde spater zu einem engen und vertrauten Freund der Familie von Arnim. Mit dem Buch wollten die Herausgeber „dazu beitragen, Peter Anton von Arnim noch einmal zu Wort kommen zu lassen und seiner zu gedenken“ (S. 7). Auf S. 157 erfahrt man aus einem Brief von Horst Stukenberg an Abdoulaya (den Adoptivsohn von Peter-Anton von Arnim), dass das Buch „PAvA zu Ehren“ herausgegeben werden und dem jungeren Bruder Wolf Herman von Arnim (* 31. August 1942 Gut Zernikow/Oberhavel; † 1. Dezember 2013 Eugisheim/Elsaß) zum 70. Geburtstag geschenkt werden soll.
Siehe auch Literatur Horst Stukenberg, Mouhamadou Moustapha Sow (Hrsg.): Peter Anton von Arnim – ein biographisches Lesebuch. Roderer Verlag, Regensburg 2014, ISBN 978-3-89783-791-1.
Neue Zeitung fur Einsiedler, Mitteilungen der Internationalen Arnim-Gesellschaft, Jahrgang 8/9 (2008/2009), Herausgegeben von Walter Pape, Koln 2010.
Roswitha Burwick, Heinz Hartl: Frische Jugend, reich an Hoffen. Der junge Arnim: Zernikower Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft, (Max Niemeyer Verlag, Berlin/Boston 2015) De Gruyter 2001, ISBN 978-3-484-10820-2.
Peter-Anton von Arnim: Apartheidsstaat Sudan und die Rolle der Scharia-Gesetzgebung seit Numeiri. In: Pogrom Nr. 178, Zeitschrift fur bedrohte Volker, Gottingen 1994, S. 20–23.
Margo DeMello: Inked: Tattoos and Body Art Around the World. ABC-CLIO, 2014, ISBN 978-1-61069-076-8
Weblinks Literatur von und uber Peter Anton von Arnim im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
von Arnim, Peter Anton - Publikationen bei de Gruyter
Arnim, Peter Anton von auf deutsche-biographie.de
Einzelnachweise
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Peter Anton von Arnim (* 12. August 1937 Gut Zernikow, Kreis Ruppin; † 19. August 2009 in Gransee, Landkreis Oberhavel) war ein deutscher Privatgelehrter, Islamwissenschaftler und Ubersetzer; er war ein Ururenkel von Bettina und Achim von Arnim.
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Rockers ist ein jamaikanischer Spielfilm von Theodoros Bafaloukos aus dem Jahr 1978. In dem Film, der halbdokumentarischen Charakter hat, sind mehrere bekannte Reggae-Musiker zu sehen, darunter Leroy Wallace in der Hauptrolle und Tommy McCook, Gregory Isaacs, Big Youth, Burning Spear, Robbie Shakespeare sowie die Musikproduzenten Jack Ruby und Joe Gibbs in Nebenrollen. Rockers feierte seine Premiere auf dem San Francisco International Film Festival 1978.
Handlung Horsemouth, ein arbeitsloser Schlagzeuger und bekennender Rasta, lebt mit seiner Frau Madgie und drei Kindern im Ghetto von Kingston. Mit dem Verkauf und Vertrieb von Single-Schallplatten will er etwas dazuverdienen. Er leiht sich Geld fur ein Motorrad, um damit die Platten zu den Laden und Soundsystemen auf der Insel zu bringen. Auf der Hausparty des Musikproduzenten Jack Ruby wird ihm das Motorrad gestohlen. Die Spuren fuhren zur Inselmafia, die das Diebesgut in einem Lagerhaus abstellt. Horsemouth holt sich mit der Hilfe seiner Gefahrten das Motorrad zuruck. Daraufhin schlagt die Inselmafia ihn zusammen. Der Rasta-Eremit Ashley „Higher“ Harris pflegt ihn gesund und stahlt seinen Willen. Selbstbewusst raumen Horsemouth und Gefahrten das Warenlager der Mafia leer und verschenken den Inhalt in einer Robin-Hood-Geste an die Bewohner des Ghettos.
Produktion Regisseur war der griechische Dokumentarfilmer Theodoros „Ted“ Bafaloukos. Wahrend eines Auftritts der Burning-Spear-Band in Deutschland 1976 traf Bafaloukos auf Horsemouth und Richard Hall und machte sich mit den Musikern bekannt. Bafaloukos kam mit seinem Filmteam 1977 nach Jamaika, um einen Dokumentarfilm uber die Reggae-Kultur zu machen. Rockers entwickelte sich jedoch zu einem abendfullenden Spielfilm mit durchgehender Handlung. Mit einem Budget von 500.000 JA$ (etwa 10.000 US-Dollar) wurde der Film in zwei Monaten abgedreht. Drehorte waren Ocho Rios und Kingston.
Der Kinofilm wurde zum Kultfilm, weil er die aufbluhende Reggae-Kultur Mitte der 1970er Jahre in ihrem Milieu zeigt. Der Film prasentiert authentische Charaktere durch Kleidung, Wohnumfeld, Tanzstile, Gebrauche, Tatigkeiten und Eigenarten, wie beispielsweise das Sprechen auf Patwa, der ans Englische angelehnten Kreolsprache Jamaikas. Viele zeitgenossische Musiker treten als sie selbst auf: Tommy McCook, Richard Hall, Inner Circle mit Jacob Miller und Kiddus I. In der Eroffnungsszene ist eine Nyabinghi-Session zu sehen, bei der Ras Michael & The Sons of Negus gemeinsam mit den Abyssinians deren Song Satta Massagana spielen. Der Rasta-Eremit Ashley „Higher“ Harris richtet einige Worte direkt an die Zuschauer. Die Musikproduzenten Jack Ruby und Joe Gibbs werden bei ihrer Arbeit gezeigt. Der Schlagzeuger Leroy „Horsemouth“ Wallace ist zu sehen, wie er mit seiner Ehefrau und seinen drei Kindern in seinem wirklichen Zuhause lebt. Horsemouth raucht mit Burning Spear einen Ganja-Spliff.
Rockers feierte seine Premiere auf dem San Francisco International Film Festival 1978 und kam 1980 in die US-Kinos.
Rezeption Der Filmdienst bezeichnet Rockers als „eine betont naive Sozialparabel, deren Botschaft dem europaischen Zuschauer zu simpel erscheinen mag, die aber Musikfreunden einen erhellenden Blick auf die ethnischen und sozialen Wurzeln einer musikalischen Gattung gewahrt.“
Mick Sleeper von der Seite Imagesjournal findet, von den drei jamaikanischen Kultfilmen The Harder They Come (1972), Rockers (1978) und Countryman (1982) „ist Rockers mit seiner klaren, farbenfrohen Kinematografie und einem dynamischen Soundtrack vielleicht der anmutigste. Mit seinen ungestumen Dialogen, einer großartigen Besetzung und einer wunderbaren Geschichte ist Rockers ein wahres Sehvergnugen.“
Soundtrack Ein Jahr nach der Filmpremiere erschien auf Island Records ein Soundtrack-Album, das 1990 auch auf Compact Disc und 2009 als digitales Album zum Streamen veroffentlicht wurde. Die im Film verwendeten Stucke Dread Lion von den Upsetters und Stumbling Block von Dillinger sind nicht auf dem regularen Soundtrack-Album enthalten.
Seite 1
Inner Circle: We ‘A’ Rockers (Ian Lewis, Bernard Harvey)
The Maytones: Money Worries (Wilson)
Junior Murvin: Police & Thieves (Junior Murvin, Lee Perry)
The Heptones: Book of Rules (Barry Llewellyn, Harry Johnson)
Peter Tosh: Stepping Razor (Joe Higgs)
Jacob Miller: Tenement Yard (Jacob Miller, Roger Lewis)
Junior Byles: Fade Away (Earl „Chinna“ Smith)
Seite 2
Bunny Wailer: Rockers (Neville Livingstone)
Gregory Isaacs: Slave Master (Gregory Isaacs)
Rockers All Stars: Man in the Street (Coxsone Dodd)
Kiddus I: Graduation in Zion (Frank Dowding)
Burning Spear: Jah No Dead (Winston Rodney)
Third World: Satta Massagana (L. Manning, D. Manning, B. Collins)
Justin Hines & the Dominoes: Natty Take Over (Justin Hines, Michael Roper)
Literatur Goldsmith, Willson, Fonseca: The Encyclopedia of Musicians and Bands on Film, Rowman & Littlefield, 2016, S. 247–249.
Weblinks Rockers The Movie (englisch)
Rockers bei IMDb
Rockers bei Discogs
Rockers – 25th Anniversary Edition bei dvdtalk.com (englisch)
Rockers: The Mafia vs. Jamaican Musicians auf YouTube
Trailer: Rockers (1978) auf YouTube
Einzelnachweise
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Rockers ist ein jamaikanischer Spielfilm von Theodoros Bafaloukos aus dem Jahr 1978. In dem Film, der halbdokumentarischen Charakter hat, sind mehrere bekannte Reggae-Musiker zu sehen, darunter Leroy Wallace in der Hauptrolle und Tommy McCook, Gregory Isaacs, Big Youth, Burning Spear, Robbie Shakespeare sowie die Musikproduzenten Jack Ruby und Joe Gibbs in Nebenrollen. Rockers feierte seine Premiere auf dem San Francisco International Film Festival 1978.
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Der Reisebericht Der bittere Weg von Ella Maillart erschien 1947 in englischer Sprache unter dem Titel The cruel way. Die deutsche Ubersetzung wurde 1948 unter dem Titel Auf abenteuerlicher Fahrt durch Iran und Afghanistan veroffentlicht. Das in zahlreiche weitere Sprachen ubersetzte Buch beschreibt die sechsmonatige gemeinsame Autoreise der Schweizerinnen Ella Maillart und Annemarie Schwarzenbach im Jahr 1939 von der Schweiz uber die Turkei und Iran bis Afghanistan. Der Bericht ist als doppelte Reise angelegt. Neben der außeren Reise behandelt er die innere Reise, die sich um Schwarzenbachs Morphiumsucht und Maillarts Selbstfindung dreht. Obwohl beim Erscheinen zunachst erfolgreich, wurde das Buch uber mehrere Jahrzehnte wenig beachtet, bevor es Mitte der 1980er Jahre im Zuge der Wiederentdeckung Schwarzenbachs zu einem Bestseller wurde. Das Buch gilt als Klassiker der Reiseberichte mit ethnographischem Anspruch im 20. Jahrhundert.
Inhalt Der bittere Weg beschreibt in dreißig Kapiteln die sechsmonatige gemeinsame Autoreise von Ella Maillart und „Christina“ von der Schweiz bis Afghanistan kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die Reise beginnt am 6. Juni 1939 in Genf und fuhrt die beiden Frauen uber 7782 Kilometer uber Italien, Jugoslawien, Sofia, Istanbul und Teheran nach Kabul. Christina (ein Pseudonym fur die Fotografin und Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach) ist drogensuchtig und psychisch labil. Der Reisebericht wechselt zwischen der Beschreibung von Begegnungen mit Menschen und Orten und Uberlegungen uber die gequalte Christina und Maillarts (Un-)Fahigkeit, ihr zu helfen. So ist Maillarts Buch eine „tiefgrundige Seelenanalyse der sie faszinierenden und beunruhigenden Gefahrtin“.
Maillarts Reisebericht behandelt viele Aspekte Afghanistans: das politische Umfeld, die Geschichte, die Religion, bedeutende historische Personlichkeiten, den Sufismus, die Kultur, Dichter wie Rumi, Dschami und Khaje Abdullah Ansari, die Architektur, die Modernisierung, die Industrialisierung, die Nomaden und die kolonialen Ambitionen Russlands in Afghanistan. Daruber hinaus werden heilige Statten, Heiligtumer, Pilger, Volksglauben, Basare, Frauen, Bildung und die Spannung zwischen der traditionellen Lebensweise und der aufkommenden modernen Welt beschrieben. Maillart zitiert ausfuhrlich aus afghanischen historischen, literarischen und religiosen Quellen sowie aus englischsprachiger Afghanistan-Literatur.
Das Buch ist Christina gewidmet. Dem Text sind Zitate der Heiligen Theresia von Jesu, Henry David Thoreaus und George William Russells als Mottos vorangestellt. Das Buch enthalt 73 Fotos, welche die Autorin aufgenommen hatte; ein Teil davon entstand schon auf ihrer fruheren, 1937 unternommenen Afghanistan-Reise. Dazu gibt es zwei Karten, welche die Reiseroute von Istanbul nach Kabul und innerhalb Afghanistans darstellen, sowie einen Index.
Die Karten verzeichnen ab der Turkei die folgenden Reisestationen: Istanbul – Sinope – Samsun – Kerasun – Trapezunt – Erserum – Bajazet – Grenzubergang nach Iran – Maku – Choi – Tabris – Sultanieh – Kaswin – Teheran – Babol – Gurgan (mit Gonbad-e Qabus) – Schahrud – Meschhed – Turbet-i-Scheich-Dschamil – Karez – Grenzubergang nach Afghanistan – Herat – Karokh – Kala-Nau – Bala-Murghab – Maimeneh – Daolatabad – Andchoi – Schirbichan – Akcha – Balch – Mazar-i-Scherif – Taschkurgan – Haibak – Pol-i-Khumri – Garbend – Charikar – Kabul – Dschalalabad – Peschawar.
Entstehungsgeschichte Ella Maillart verwendete im gesamten Buch auf Verlangen von Schwarzenbachs Mutter, Renee Schwarzenbach, das Pseudonym „Christina“ fur Annemarie Schwarzenbach. Die beiden Frauen lernten sich im September 1938 durch gemeinsame Freunde kennen. Maillart hatte zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Reisen nach Asien unternommen. 1932 hatte sie ihren ersten Bericht uber eine Reise durch Russland veroffentlicht. 1934 war sie im Auftrag einer franzosischen Zeitung durch die von Japan besetzte Mandschurei gereist. Im Jahr darauf hatte sie zusammen mit dem Times-Korrespondenten Peter Fleming eine achtmonatige Reise von Peking aus durch China entlang der alten Seidenstraße nach Kaschmir unternommen. Sie war auch schon mit dem Autobus durch Afghanistan gefahren.
Annemarie Schwarzenbach, die ihr androgynes Außeres betonte und in der Regel Mannerkleidung trug, hatte ebenfalls schon etliche Reisen unternommen, darunter nach Spanien, in die USA und nach Persien. Viele ihrer Reportagen waren in angesehenen europaischen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Kurz nach der ersten Begegnung las Schwarzenbach Maillarts neuestes Reisebuch, Verbotene Reise, uber die gemeinsame China-Reise mit Fleming. Sie veroffentlichte daruber eine wohlwollende Rezension in der Monatszeitschrift Annabelle. Schwarzenbach kampfte zu diesem Zeitpunkt schon seit mehreren Jahren mit ihrer Drogensucht. Im Winter 1938/39 unterzog sie sich einer viermonatigen Entziehungskur in Yverdon. Dort besuchte Maillart sie im Dezember 1938, wo Schwarzenbach ihr ihren Kampf mit der Morphiumsucht und den betreuenden Arzten schilderte. Die beiden Frauen entdeckten, dass sie beide „sich nichts sehnlicher wunschen, als den Sinn des Lebens zu finden, und daß sie bereit sind, dafur jedes Risiko einzugehen“.
Bei einem ihrer spateren Besuche erwahnte Schwarzenbach das neue Auto, das sie demnachst von ihrem Vater geschenkt bekommen wurde. Wie im Bericht der gemeinsamen Reise geschildert, loste dies bei Maillart die spontane Idee zur Reise nach Afghanistan bis nach Kafiristan aus. Die beiden Frauen planten, ihre Expedition durch Reiseberichte und Fotografien zu finanzieren. Ihre Motivation fur die Reise war vielschichtig. Maillart wollte einerseits der in Europa herrschenden Ratlosigkeit entkommen und Selbstbeherrschung gewinnen, andererseits ihre Freundin vor den Drogen retten. Außerdem plante Maillart, ein Jahr in einem Dorf in Kafiristan mit ethnologischen Studien zu verbringen, um so als Ethnologin anerkannt zu werden. Ihrer Meinung nach hatte das Land seine Ursprunglichkeit noch weitgehend bewahrt, so dass die Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens erkannt werden konnten.
Schwarzenbach entschied sich beim Wagen fur einen Ford Modell 18 in Roadster-Ausfuhrung. Das Fahrzeug wurde mit einer Spezialausstattung fur Berge und Wusten ausgerustet. Im Juni 1939 stellten die Frauen in Genf die Ausrustung fur die Reise zusammen. Dazu gehorten auch Schreibmaschinen und ein Koffer mit Filmen fur funf Kameras, die sie bei der Reise mitnahmen. Am 6. Juni 1939 brachen die beiden Frauen von Genf aus auf. Vor der Abfahrt hatten sie eine Arbeitsteilung vereinbart. Der Wagen war Schwarzenbachs Domane, weshalb sie auch den großten Teil der Strecke am Steuer saß. Sie besorgte auch die Karten und alle notwendigen Papiere und Genehmigungen. Dabei half ihr der Diplomatenpass, den sie dank ihrer Ehe mit dem franzosischen Diplomaten Claude Clarac besaß. Zudem sollte sie den großten Teil der Fotos machen, die im Anschluss gemeinsam von ihr und Maillart als Illustrierung ihrer Reportagen verwendet werden sollten. Dazu kam es spater allerdings nicht, weshalb Der bittere Weg nur Fotos von Maillart enthalt. Maillarts Aufgabe waren die Aufnahmen mit der Filmkamera.
Die beiden Schweizerinnen harmonierten nicht wahrend der Reise. Technische und personliche Schwierigkeiten uberlagerten sich. Brigitta Kaufmann fasste es so zusammen: „Ella Maillarts lebensbejahende Art rieb sich an Schwarzenbachs ‚Lass mich leiden!‘“. Allerdings wies Jessa Crispin 2013 darauf hin, dass die Leistungen und der Pragmatismus Maillarts nur verdeckten, dass sie von der gleichen Sehnsucht, dem gleichen Bewusstsein einer Leere im Zentrum ihres Lebens geplagt war wie ihre Reisegefahrtin. Fur die Fahrt von Herat nach Kabul entschieden sich Maillart und Schwarzenbach fur die eben erst eroffnete, auf weiten Strecken aber noch unvollendete Nordroute uber Mazar-i-Scharif. Die neue Straße war mit Ausnahme weniger Lastwagen noch kaum befahren. Ende August 1939 erreichten sie Kabul. Schwarzenbach war bereits in Sofia ruckfallig geworden, hatte sich Drogen besorgt und genommen, was Maillart direkt gemerkt hatte. Als es trotz ihrer „verstandnisvoll-distanzierten Strenge“ zu einem weiteren Ruckfall kam, hatte sie beschlossen, sich in Kabul von Schwarzenbach zu trennen.
Die beiden Frauen hielten sich in Kabul auf, als am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg begann. Danach ertrug Schwarzenbach es nur noch schwer, „am Ende der Welt zur Untatigkeit gezwungen zu sein“. Wegen des Kriegs konnte Maillart als Auslanderin keine Genehmigung fur einen Aufenthalt in Kafiristan erhalten. Deswegen reiste sie allein nach Indien weiter. Schwarzenbach dagegen zog von Kabul aus zu dem Archaologenpaar Ria und Joseph Hackin, das sich bei einer Ausgrabung in Afghanisch-Turkestan an der Grenze zur Sowjetunion aufhielt. Dort unterzog sie sich einem kalten Entzug. Zum Jahreswechsel 1939/40 fuhr Schwarzenbach mit dem Ford allein uber den Khyber-Pass nach Indien, wo sie im zentral-indischen Mandu ein letztes Mal Maillart traf. Anfang Januar 1940 fuhr sie ab Bombay mit dem Schiff nach Genua zuruck, wobei sie das Auto mitnahm. Brieflich blieben die Frauen bis zum Tod Schwarzenbachs 1942 in freundschaftlichem Kontakt.
Annemarie Schwarzenbach konnte mehr als funfzig Feuilleton-Artikel, Aufsatze und Fotoreportagen uber die gemeinsame Reise veroffentlichen, die in Teilen in zwei Editionen 2000 und 2010 herausgegeben wurden. Maillart dagegen wertete die Reise erst deutlich spater publizistisch aus. Laut Roger Perret lag das auch an Schwarzenbachs fruhem Tod, weshalb sie deren Dokumente, die fur ihren Bericht wichtig waren, erst mit großer Verspatung erhielt. Sie verbrachte die Zeit des Zweiten Weltkriegs im Suden von Madras. Von dort aus unternahm sie kurze Reisen nach Tibet und Nepal. Aus den Filmaufnahmen, die sie wahrend der Afghanistan-Reise gemacht hatte, machte sie den Dokumentarfilm Nomades afghanes. In den Jahren 1943 bis 1945 schrieb sie in Indien The cruel way in englischer Sprache und ließ sich dabei von Robert Byrons kurz vorher erschienenem Reisebericht The Road to Oxiana (1937) inspirieren.
Als Renee Schwarzenbach von der anstehenden Veroffentlichung erfuhr, verlangte sie von Maillart, dass der Familie der Bericht zur Prufung vorgelegt werde. Daraufhin forderte sie von Maillart mehrere „Richtigstellungen“ ein. Insbesondere musste sie alle Passagen streichen, welche die schwierige Beziehung Annemarie Schwarzenbachs zu ihrer Mutter andeuteten. Außerdem verlangte die Familie, dass im Buch fur Annemarie Schwarzenbach das Pseudonym Christina verwendet wurde und statt ihres echten Wohnorts (Sils) Silvaplana angegeben wurde.
Das Reisebuch erschien erstmals 1947 im Verlag Heinemann in London unter dem Titel The cruel way, was auf das angespannte Verhaltnis zu Schwarzenbach anspielen soll. Fast 50 Jahre spater bezeichnete Maillart den Titel als „viel zu dramatisch“. Die Autorin ubersetzte den Reisebericht 1947 bis 1948 selbst ins Franzosische und veroffentlichte ihn 1952 im Verlag Jeheber in Genf als La voie cruelle. Die deutsche Erstausgabe erfolgte schon 1948 unter dem Titel Auf abenteuerlicher Fahrt durch Iran und Afghanistan (ubersetzt von Carl Bach). In den folgenden Jahren erschien das Buch noch in etlichen weiteren Sprachen, darunter Spanisch, Schwedisch und Niederlandisch.
Wirkungsgeschichte = Wiederentdeckung ab den 1980er Jahren =
Trotz des großen Erfolgs von The cruel way wurde das Buch mehrere Jahrzehnte lang nicht erneut aufgelegt. Der Reisebericht wie auch Ella Maillart wurden wenig beachtet. Generell wurden Maillarts Reisebucher lange Zeit literaturwissenschaftlich kaum aufgearbeitet. Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Sara Steinert Borella fuhrte dies auf drei Faktoren zuruck: weil sie Schweizerin war, weil es sich um Reiseberichte handelte und weil sie eine Frau war.
Die Wiederentdeckung des Werks begann 1986 mit der Neuausgabe bei Virago Press in London. Mary Russell schrieb in der Einfuhrung dazu:
Die Wiederentdeckung Schwarzenbachs ab 1987 machte diese Neuauflage des Reiseberichts zu einem Bestseller, nachdem in der franzosischen Neuauflage enthullt worden war, dass sich hinter „Christina“ Annemarie Schwarzenbach verbarg. Dazu kam, dass Reiseberichte in Mode kamen. In Frankreich widmete Bernard Pivot 1989 eine ganze Ausgabe der Literatursendung Apostrophes Maillart und dem Buch La voie cruelle. Nach der Sendung war Maillart, so ihr Verleger Bertil Galland, eine der beruhmtesten Schweizer Personen in Frankreich. Danach entstanden zahlreiche Publikationen, Theaterstucke, Ausstellungen sowie ein Spielfilm uber die Reise der beiden Frauen (Die Reise nach Kafiristan (2001)). 2015 erschien der Dokumentarfilm Ella Maillart: Double Journey von Mariann Lewinsky und Antonio Bigini, der viele Farbaufnahmen aus Maillarts Film Nomades afghanes von 1939/40 wiederverwendete. 1988 erschien eine neue deutsche Ausgabe von The Cruel Way, deren neuen Titel Fluchtige Idylle Maillart als lacherlich bezeichnete. Inzwischen gilt das Buch als ein Klassiker der Reiseberichte mit ethnographischem Anspruch im 20. Jahrhundert. 2023 wurde es erstmals in persischer Sprache veroffentlicht.
2022 gab der Verlag Payot in Maillarts Nachlass gefundene Texte aus den Jahren 1937 bis 1969 unter dem Titel Ma philosophie du voyage heraus, die nur zum Teil bereits veroffentlicht worden waren. Der umfangreichste Text darin ist Route a l’est, den Maillart 1939 verfasst hatte und nicht veroffentlichte. Route a l’est soll eine kurzere Fassung von The cruel way sein.
Alexis Schwarzenbach, der eine Biografie uber seine Großtante verfasst hat, fuhrte die anhaltende Faszination fur die Afghanistanreise von Maillart und Schwarzenbach darauf zuruck, dass das Ziel aufgrund der politischen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten noch exotischer und abenteuerlicher anmutet als in den 1940er Jahren.
= Kritik =
Hella Leißner schrieb uber Maillarts Bucher in der Zeit: „Ella Maillart behauptet von sich, sie konne nicht schreiben, doch lesen sich ihre Reiseberichte spannend wie Abenteuerromane. Akribisch notiert sie alles, was sie sieht und erlebt. Sie selbst tritt dabei in den Hintergrund, ihre Gefuhle schildert sie nur selten. Einfuhlsam, ohne Vorurteile und westliche Arroganz, doch durchaus kritisch schildert sie die Menschen, die ihr begegnen. Ihre Neugier auf alles Unbekannte ist unerschopflich, ihr Fernweh nicht zu stillen.“
Thierry Clermont charakterisierte im Figaro Maillarts Schreibstil mit:
Die Literaturwissenschaftlerin Kerstin Schlieker konstatierte, dass sich The cruel way signifikant von anderen Texten Maillarts unterscheidet. Wahrend ihr Stil sonst sachlich-deskriptiv sei, sei der Bericht von der Reise nach Afghanistan von Stimmungsaußerungen und Reflexionen durchsetzt, die „zum Teil retrospektiv das Ende der Reise und den spateren Tod Schwarzenbachs vorwegnehmen und den Reiseablauf kommentieren.“ Nicht der Blick auf die Fremde bestimme die Reise und den Bericht, sondern der Zweck, „Christina“ beizustehen, ihre Drogensucht zu uberwinden und sich selbst zu finden. Fiona Mozley betonte, dass in The cruel way spurbar sei, dass Maillart aus der Ruckschau, mit dem Wissen von Schwarzenbachs Tod im Jahr 1942, schrieb. Ihr Text sei von Gespenstern und Trauerritualen uberschattet. Maillart berichtete von haufigen Besuchen von Grabern, christlichen Statten verschiedener Konfessionen und islamischen Heiligtumern. Diese Traurigkeit finde sich dagegen nicht in den Texten, die Schwarzenbach uber die Reise verfasst hat. Roger Perret wies darauf hin, dass das Buch eindrucklich beschreibe, „wie ihr die vom eigenen und fremden Leid besessene Annemarie Schwarzenbach den Zauber des Reisens vermasselte.“ Maillart habe sich auf der Reise „den inneren Erkundungen, die an keinen Ort und keine Umstande gebunden sind“ zugewendet und „konsequenterweise den Sinn des Reisens selbst in Frage“ gestellt. Im Anschluss habe sie in Indien „sitzend und meditierend“ versucht, „die Weite des Horizontes in sich selbst zu erschaffen, um dadurch zu einem neuen, tieferen Verstandnis des Menschseins wie des Mitmenschens zu gelangen.“
Sara Steinert Borella beschrieb The cruel way als literarischen Wendepunkt fur die Autorin. Deren Blickwinkel richtete sich nun, anders als in ihren fruheren Werken, nicht langer auf die außere Reise, sondern auf die innere. Die beschriebene Reise stelle wortlich und metaphorisch eine Reise des Wandels und Ubergangs dar. Maureen Mulligan konstatierte, dass Maillart eine der ersten Reiseschriftstellerinnen war, die diesen Blickwinkel in ihren Berichten einnahmen. Neu sei damals gewesen, dass Maillart sich im Osten selbst finden wollte.
Die Kritik hat unterschiedlich bewertet, wie Maillarts Blick auf die bereisten Lander und deren Darstellung einzuordnen ist. Mulligan befand, dass Maillart das Konzept westlicher Uberlegenheit nicht teilte. Sie wollte von den Menschen lernen, deren Land sie bereiste. Schliekers Einschatzung war dagegen, dass Maillart wie schon in ihren fruheren Reiseberichten „Morgenlander“ und „Abendlander“ zugunsten der Orientalen einander gegenubergestellt habe. Ihre Vergleiche seien aber eher oberflachlich gewesen. Maillart sei es um die Beschworung des „unverdorbenen“ Orientalen gegangen, der fur sie ein positives Gegenbild des Europaers darstellte. Negative Aspekte wie religioser Fanatismus und die Unterdruckung des weiblichen Geschlechts wurden ausgeblendet. Wenn Maillart den Orient kritisierte, dann hatten sich die Kritikpunkte in der Regel auf Momente der Entwicklung nach europaischem Vorbild bezogen, wie die fortschreitende Industrialisierung oder die Verdrangung des Nomandentums. So bedauerte Maillart im Laufe der Reise, dass Afghanistan seinen Reiz der Ursprunglichkeit bereits verloren habe.
William Maley kritisierte, dass in Maillarts Bericht vor allem Orte wie Graber, Schreine und archaologische Statten beschrieben wurden, wenn es um Afghanistan gehe. Ihre Darstellung Afghanistans sei stereotyp, was er darauf zuruckfuhrte, dass die Beziehung zwischen den beiden Frauen das eigentliche Zentrum des Buches sei. Ahmad Gholi befand dagegen, dass Maillart in Bitterer Weg die binare Unterscheidung zwischen West und Ost uberwinde. Dies zeige sich in ihrer fruchtbaren Auseinandersetzung mit der Esskultur Afghanistans, in der positiven Bewertung der Verwendung von Henna durch ihre muslimischen Mitreisenden und darin, wie sie das Bild der Gewalt, das Afghanistan seit dem Ersten Anglo-Afghanischen Krieg im neunzehnten Jahrhundert anhaftete, entlarvte. In diesen drei Aspekten vergleiche sich ihr Buch positiv mit den Reiseberichten V. S. Naipauls, Hermann Vamberys und Eric Newbys.
Brigitta Kaufmann vermerkte, dass trotz ihrer ursprunglichen Intention, auch afghanische Frauen kennenzulernen, die beiden Schweizerinnen nur eine solche Begegnung erreichen konnten. Alle anderen Frauen beschrieb Maillart als „vermummte“ Gestalten in Tschador, die wie „gackernde Huhner“ zur Seite sprangen, wenn sie von Autos erschreckt wurden. Kaufmann erstaunte es, wie wenig Maillart in ihrem Bericht auf die Situation der Frauen einging. Stellenweise ziehe sie sogar die Rolle der orientalischen Frauen ins Lacherliche und behandle sie mit einer gewissen Herablassung. Kaufmann erklarte sich das mit Maillarts Grundsatz, sich nie wieder politisch zu außern, wozu fur sie auch Frauenpolitik gehorte. Auch Roger Perret hob hervor, dass Maillart von „einer fast naiven Bewunderung der Mannerwelt Afghanistans erfullt ist, dabei aber die Rolle der Frau in diesem Land wenig reflektiert“.
Wahrend der Reise und im Reisebericht drehte sich fur die beiden Reisenden viel um das Fahrzeug, mit dem sie sich vorwartsbewegten, wie Kaufmann zudem festhielt. Es hat einen zentralen Platz in ihren Reisebeschreibungen, Briefen und auch auf den Fotos. Maillart bezeichnete das Fahrzeug spater als „die Heldin der Reise“. Der Ford machte ihnen aber immer wieder Schwierigkeiten. So lag das Chassis des Wagens viel zu tief, weshalb er auf den schlechten Straßen der Reiseroute immer wieder am Boden schleifte. Doch erlaubte der Ford ihnen auch, ihre Route frei zu wahlen. So wurde der Wagen fur sie zum Symbol fur Selbstbestimmung und Mobilitat.
Ausgaben (Auswahl) = Englisch =
The cruel way. William Heinemann, London 1947.
The cruel way. With a new introduction by Mary Russell. Virago, London 1986, ISBN 0-86068-751-1.
= Deutsch =
Auf abenteuerlicher Fahrt durch Iran und Afghanistan. Orell Fussli Verlag, Zurich 1948 (englisch: The cruel way. Ubersetzt von Carl Bach).
Fluchtige Idylle. Zwei Frauen unterwegs in Afghanistan. Mit einem Nachwort uber Annemarie Schwarzenbach von Roger Perret. Uberarbeitete Auflage. efef-Verlag, Bern 1988 (englisch: The cruel way. Ubersetzt von Carl Bach).
Fluchtige Idylle. Zwei Frauen unterwegs in Afghanistan. Mit einem Nachwort uber Annemarie Schwarzenbach von Roger Perret. Heyne, Munchen 1995, ISBN 3-453-08761-5 (englisch: The cruel way. Ubersetzt von Carl Bach).
Der bittere Weg. Mit Annemarie Schwarzenbach unterwegs nach Afghanistan. Mit einem Nachwort von Brigitte Kaufmann. Lenos, Basel 2001, ISBN 978-3-85787-819-0 (englisch: The cruel way. Ubersetzt von Carl Bach).
= Franzosisch =
La voie cruelle. Deux femmes, une Ford vers l’Afghanistan (= Petite Bibliotheque Payot / Voyageurs. Band 51). Payot, Paris 1991, ISBN 2-228-88364-6.
= Niederlandisch =
Zo wees dan een Columbus. Met een Ford door de woestijn. Republiek der Letteren, Amsterdam 1950 (englisch: The cruel way. Ubersetzt von Walter IJzerdraat).
Literatur Mary Russell: Introduction. In: Ella K. Maillart (Hrsg.): The cruel way. Virago, London 1986, ISBN 0-86068-751-1, S. xiii-xvii.
Frederic Vitoux: Preface. In: Ella Maillart (Hrsg.): La voie cruelle. Deux femmes, une Ford vers l’Afghanistan (= Petite Bibliotheque Payot / Voyageurs. Band 51). Payot, Paris 1991, ISBN 2-228-88364-6, S. 11–20.
Brigitte Kaufmann: Nachwort. In: Ella Maillart (Hrsg.): Der bittere Weg. Mit Annemarie Schwarzenbach unterwegs nach Afghanistan. Lenos, Basel 2001, ISBN 3-453-08761-5, S. 253–273.
Sara Steinert Borella: Re-Discovering the Travel Narratives of Ella Maillart. In: Women in French Studies. Band 9, Nr. 1, 2001, ISSN 2166-5486, S. 123–137, doi:10.1353/wfs.2001.0030.
Roger Perret: „Das Staunen, die Abnutzung und das Lied der Reise“. In: Roger Perret (Hrsg.): Unsterbliches Blau: Reisen nach Afghanistan = Bleu immortel: voyages en Afghanistan. Scheidegger & Spiess, Editions Zoe, Zurich 2003, ISBN 3-85881-148-3, S. 225–231.
Kerstin Schlieker: Frauenreisen in den Orient zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Weibliche Strategien der Erfahrung und textuellen Vermittlung kultureller Fremde. WiKu-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-936749-85-X, S. 133–140.
Sara Steinert Borella: Driving in a Ford: Two women across Afghanistan. In: The travel narratives of Ella Maillart. (En)gendering the quest (= Travel writing across the disciplines. Band 12). Peter Lang, New York 2006, ISBN 0-8204-6388-4, S. 87–111.
Jessa Crispin: Foreword. In: Ella Maillart (Hrsg.): The cruel way. Switzerland to Afghanistan in a Ford, 1939. The University of Chicago Press, Chicago 2013, ISBN 978-0-226-03304-4, S. ix-xii.
Sara Steinert Borella: Humanitarian Ideals between the Wars: (Re)Constructing Switzerland through Travel Writing. In: Journeys. Band 16, Nr. 1, 1. Januar 2015, ISSN 1465-2609, S. 119–135, doi:10.3167/jys.2015.160107.
Fiona Mozley: Introduction. In: Ella K. Maillart (Hrsg.): The cruel way. Switzerland to Afghanistan in a Ford. 1939. John Murray, London 2021, ISBN 978-1-5293-7978-5, S. ix-xv.
Ahmad Gholi: Counter-Orientalism in Ella Maillart’s The Cruel Way. In: International Journal of Arabic-English Studies. Band 23, Nr. 1, 10. Januar 2023, ISSN 1680-0982, S. 237–256, doi:10.33806/ijaes2000.23.1.13.
Weblinks Rezensionsnotizen zu Der bittere Weg bei Perlentaucher
Einzelnachweise
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Der Reisebericht Der bittere Weg von Ella Maillart erschien 1947 in englischer Sprache unter dem Titel The cruel way. Die deutsche Ubersetzung wurde 1948 unter dem Titel Auf abenteuerlicher Fahrt durch Iran und Afghanistan veroffentlicht. Das in zahlreiche weitere Sprachen ubersetzte Buch beschreibt die sechsmonatige gemeinsame Autoreise der Schweizerinnen Ella Maillart und Annemarie Schwarzenbach im Jahr 1939 von der Schweiz uber die Turkei und Iran bis Afghanistan. Der Bericht ist als doppelte Reise angelegt. Neben der außeren Reise behandelt er die innere Reise, die sich um Schwarzenbachs Morphiumsucht und Maillarts Selbstfindung dreht. Obwohl beim Erscheinen zunachst erfolgreich, wurde das Buch uber mehrere Jahrzehnte wenig beachtet, bevor es Mitte der 1980er Jahre im Zuge der Wiederentdeckung Schwarzenbachs zu einem Bestseller wurde. Das Buch gilt als Klassiker der Reiseberichte mit ethnographischem Anspruch im 20. Jahrhundert.
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c-834
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Als Herrschereinladung (invitatio) bezeichnet man die Herbeiholung oder das Herbeirufen eines neuen Machthabers entweder bei einer Thronvakanz oder als Usurpator zur Absetzung eines regierenden Herrschers. Dieses Mittel zur Konigserhebung wurde zum einen vielfach in Dynastien oder Gebieten genutzt, in denen sich noch keine konkrete Nachfolgeregelung eines Machthabers gefestigt hatte. Zum anderen nutzten Adelige die Einladung an einen alternativen Herrscher, um damit ihre Kritik am noch lebenden eigenen Machthaber zu verdeutlichen.
Geschichte Dieses Instrument der Herrschaftseinsetzung scheint seinen Ursprung bei den germanisch gepragten Stammen in der Spatantike zu haben. So berichtet beispielsweise Prokopios von Caesarea von einer Einladung der Heruler an einen im Norden lebenden Stammesgenossen, um ihn zum Machthaber zu ernennen und damit das Aussterben ihres Herrschergeschlechts (stirps regia) zu verhindern. Verbreitung fand es hauptsachlich in den aus der Volkerwanderung hervorgegangenen germanisch gepragten Konigreichen des Mittelalters. In Zentral- und Westeuropa lasst es sich vor allem im Fruhmittelalter (Frankisches Reich) fassen; in einigen skandinavischen Monarchien hielt es sich sogar bis in das 15. Jahrhundert. Im Laufe des Mittelalters verlor die Herrschereinladung jedoch zunehmend an Bedeutung aufgrund von festgelegten Nachfolgeregelungen der Dynastien sowie eines Wandels im adeligen Bewusstsein. Anstelle der invitatio trat nun die Konigswahl vermehrt in den Vordergrund.
In den zeitgenossischen Quellen wird oftmals das Nomen invitatio verwendet. Einige Historiographen nutzen jedoch auch andere Worter wie vocare, conventus oder venire. In manchen Quellen lasst sich eine Herrschereinladung zusatzlich durch bestimmte Kriterien erkennen. Dazu zahlen die Unzufriedenheit mit dem aktuellen Machthaber und ein Zusammenschluss von weltlichen und geistlichen Großen, um einen potentiellen neuen Herrscher zur Ubernahme des Reiches einzuladen.
Ablauf einer Herrschereinladung Herrschereinladungen lassen sich in Briefen, historiographischen und hagiographischen Quellen finden. Ausloser fur eine solche invitatio war zumeist Unzufriedenheit mit dem amtierenden Machthaber. Laut den Quellen resultierte die Unzufriedenheit aus der Regierungsunfahigkeit oder der Tyrannei des Herrschers. Die invitatio erfolgte im Geheimen, um den vom Umsturz bedrohten Machthaber nicht zu warnen. Bei einer Thronvakanz nutzten einige Adelige ebenfalls das Mittel der Herrschereinladung, um so ihren Wunschkandidaten zur Herrschaft zu verhelfen. Eine Gruppe, in der Regel bestehend aus geistlicher sowie weltlicher Oberschicht, schloss sich zusammen und ließ durch Boten einen alternativen Herrscher zur Machtubernahme einladen. Man versicherte diesem zahlreiche Unterstutzer. Der eingeladene Herrscher musste haufig im Gegenzug Versprechungen gegenuber den Einladern abgeben. Andererseits konnte sich ebenfalls der eigentliche Machthaber mit Versprechungen darum bemuhen, die illoyalen Gefolgsleute wieder auf seine Seite zu ziehen.
Beispiele aus dem Fruhmittelalter Fur das fruhe Mittelalter lassen sich vor allem zur Zeit der Merowinger, Karolinger und noch vereinzelt bei den ottonischen Herrschern invitationes finden. Der langsame Wandel, fort von der invitatio und hin zur Konigswahl, lasst sich mit einem gesteigerten Selbstbewusstsein des Adels sowie der verstarkten konsensualen Herrschaftsausubung erklaren.
Innerhalb der merowingischen Quellen finden sich zahlreiche Beispiele fur die Herrschaftseinladung. Gregor von Tours berichtet beispielsweise von dem Usurpator Gundowald, der von einigen Großen eingeladen wurde, gewisse Gebiete von Guntram I. einzunehmen. Chlodwig I. dagegen uberlistete bisher loyale Gefolgsleute Ragnachars und ermutigte sie, ihn als neuen Herrscher einzuladen, um somit ihren aktuellen Machthaber zu sturzen. Nach Konrad Bund handelte es sich bei diesen Einladungsakten um ein Gewohnheitsrecht, was allerdings mit dem Gehorsams- und Treueanspruch in Konflikt geriet. Eine invitatio erhielten zur merowingischen Zeit nur Personen, die mit der Herrscherfamilie verwandt waren oder dies behaupteten. Zudem spielte es eine Rolle, inwieweit sie uber Vermogen verfugten. Ab dem Jahr 613 lassen sich bis 830 im frankischen Raum keine invitationes mehr finden. Ein Grund dafur konnte die gesteigerte Macht der Großen, allen voran der Hausmeier, sein.
Die karolingischen Quellen erwahnen ebenfalls zahlreiche Beispiele fur invitationes. So wird beispielsweise der Thronsturz des ostfrankischen Konigs Karl III. mit einer vorher erfolgten Einladung an Arnolf von Karnten begrundet. Ludwig der Deutsche wurde mehrere Male in das Reich seines Bruders, Karls des Kahlen, eingeladen, um diesen zu sturzen. Haufiger werden die invitationes nun zusammen mit einer Begrundung erwahnt. So wird dem aktuellen Machthaber entweder Regierungsunfahigkeit aufgrund von Krankheit vorgeworfen oder ein tyrannischer Regierungsstil. Anders als bei den Merowingern erhielten ab dem Ende des 9. Jahrhunderts nun auch Personen eine invitatio, die bisher nicht in direkter Linie mit dem Herrschaftshaus verwandt waren, wie zum Beispiel Wido von Spoleto.
Zur Zeit der ottonischen Herrscher lassen sich innerhalb der zeitgenossischen Quellen nur noch wenige invitationes finden. Als Begrundung dient oftmals der konsensuale Regierungsstil der Ottonen sowie das Erstarken des Adels. Hauptsachlich sind es Einladungen von italienischen Großen, die um Beistand bitten. Beispielsweise wurde Otto I. zweimal eingeladen, um die Bevolkerung von der tyrannischen Herrschaft Berengars II. und dessen Sohn zu befreien.
Fur die fruhmittelalterlichen skandinavischen Herrscher lasst sich als Beispiel die Einladung an Hakon I. nennen. Dieser wurde aus England nach Norwegen eingeladen, um seinem Halbbruder Erik I. die Macht zu entreißen. Als Begrundung diente erneut der tyrannische Regierungsstil Eriks I.
Literatur Konrad Bund: Thronsturz und Herrscherabsetzung im Fruhmittelalter (= Bonner historische Forschungen. Band 44). Rohrscheid, Bonn 1979, ISBN 3-7928-0417-4.
Erich Hoffmann: Die Einladung des Konigs bei den skandinavischen Volkern im Mittelalter. In: Mediaeval Scandinavia. Band 8 (1975), S. 100–139.
Reinhard Schneider: Konigswahl und Konigserhebung im Fruhmittelalter. Untersuchungen zur Herrschaftsnachfolge bei den Langobarden und Merowingern (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters. Band 3). Hiersemann, Stuttgart 1972, ISBN 3-7772-7203-5.
Patricia Tesch-Mertens: Invitatio sine electio? Die Einladung zum Herrschen im Fruhmittelalter. Dissertation, Ruhr-Universitat Bochum 2023, DOI:10.13154/294-11072.
Einzelnachweise
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Als Herrschereinladung (invitatio) bezeichnet man die Herbeiholung oder das Herbeirufen eines neuen Machthabers entweder bei einer Thronvakanz oder als Usurpator zur Absetzung eines regierenden Herrschers. Dieses Mittel zur Konigserhebung wurde zum einen vielfach in Dynastien oder Gebieten genutzt, in denen sich noch keine konkrete Nachfolgeregelung eines Machthabers gefestigt hatte. Zum anderen nutzten Adelige die Einladung an einen alternativen Herrscher, um damit ihre Kritik am noch lebenden eigenen Machthaber zu verdeutlichen.
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Das Pissoir auf dem Conrad-Wilhelm-Hase-Platz ist eine offentliche Herrentoilette, die im Stadtteil Nordstadt in Hannover auf dem Conrad-Wilhelm-Hase-Platz an der Christuskirche steht.
Beschreibung und Geschichte Die WC-Anlage ist ein achteckiger Pavillon aus genieteten und zum Teil gelochten Blechplatten, die zwischen kannelierten Saulen aus Gusseisen montiert sind. Vor dem Eingang besteht eine dreiteilige Schamwand in ahnlicher Bauweise. Nach oben abgeschlossen ist das Pissoir von einem flachen Zeltdach mit einem laternenartigen Aufsatz zur Entluftung. Ein baugleiches Toilettenhauschen ist das Pissoir an der Hildesheimer Straße im hannoverschen Stadtteil Wulfel. Beide Bauten stehen unter Denkmalschutz. Im Aufbau ahnelt der Typ des Toilettenhauschens dem in Berlin aufgestellten „Cafe Achteck“, das bereits 1878 entworfen wurde.
Das Pissoir wurde um 1900 am Bahnhof Hannover-Hainholz an der Schulenburger Landstraße aufgestellt. Nachdem der Bahnhof 1998 zugunsten des zur Expo 2000 errichteten Bahnhofs Hannover-Nordstadt schloss, wurde es 2002 abgebaut und an den heutigen Standort neben der Christuskirche versetzt. Laut dem Niedersachsischen Landesamt fur Denkmalpflege besteht an der Erhaltung des Bauwerks wegen des technik-, kultur- und stadtgeschichtlichen Zeugnis- und Schauwertes ein offentliches Interesse. Es gehort in Hannover zu den altesten erhaltenen Zeugnissen von Bedurfnisanstalten, deren Bau als Maßnahme zur Hygiene in der durch Industrialisierung sprunghaft gewachsenen Bevolkerung erforderlich war.
Siehe auch Liste der Baudenkmale in Hannover-Nord
Weblinks Pissoir im Denkmalatlas Niedersachsen
Robin Beck: Ein 120 Jahre altes Pissoir unter Denkmalschutz in Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 2. Dezember 2023
Einzelnachweise
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Das Pissoir auf dem Conrad-Wilhelm-Hase-Platz ist eine offentliche Herrentoilette, die im Stadtteil Nordstadt in Hannover auf dem Conrad-Wilhelm-Hase-Platz an der Christuskirche steht.
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Die Angst vor den anderen. Ein Essay uber Migration und Panikmache (Originaltitel Strangers at Our Door) ist ein Buch des polnisch-britischen Soziologen und Philosophen Zygmunt Bauman aus dem Jahr 2016. Auf dem Hohepunkt der Zuwanderungswelle beschreibt es die Herausforderungen fur die betroffenen Nationen und Gesellschaften. Gleichzeitig ist es ein Pladoyer fur Gelassenheit und Empathie. Bauman zeigt seine Verwunderung uber die Hysterie und die Prasenz dieses Themas in den Medien. Die deutsche Ubersetzung stammt von Michael Bischoff.
Inhalt Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel ohne Einleitung oder weitere Vorbemerkung. Jedes Kapitel ist in sich abgeschlossen, doch gibt es eine Verbindungslinie, die von seiner Hauptthese gestutzt wird, die Fluchtlingskrise wurde uns eingeredet und sei so nicht existent. Zwar seien die Fluchtlinge „ungebetene Gaste, die […] an unsere Tur klopf[t]en“, doch seien die Fremden kein Grund, Angst zu haben – und sie selbst hatten allen Grund zur Besorgnis. Die Wurzel dieser Furcht liege in uns selbst.
Das erste Kapitel, Migrationspanik – wie man sie nutzt (und missbraucht), ist ein Zustandsbericht mit kurzer Reflexion der Beweggrunde und den kulturellen, politischen, sozialen und finanziellen Unterschieden zwischen Heimat- und moglichem Zielland. Auch die Grunde fur die Fluchten werden beleuchtet. Bei diesen Unterschieden wurde schnell klar, dass sich die Fluchtlinge fremd fuhlten und als fremd angesehen wurden. Bauman zitiert Papst Franziskus, der 2013 sagte: „Die heutige Gesellschaft lebt in einer Kultur des Wohlstands, die uns zwingt, nur an uns selbst zu denken, und so werden wir anderen gegenuber gleichgultig“. Weiterhin beschreibt er einen „außergewohnlichen Grund“ fur das Misstrauen gegenuber Fremden, es sei das „im Entstehen begriffene Prekariat: Menschen, die Angst haben, ihre geschatzten und beneidenswerten Errungenschaften, Besitzstande und sozialen Positionen zu verlieren, […] die in Verzweiflung versunken sind, weil sie all das bereits verloren haben oder gar nicht erst die Chance hatten, diesen Status uberhaupt zu erreichen.“
Im zweiten Kapitel Frei flottierende Unsicherheit auf der Suche nach einem Anker beschreibt Bauman Situationen, in denen aufgrund eines zuvor ausgerufenen Ausnahmezustands Polizeiliches Handeln angezeigt erscheint, auch ohne dass zuvor zivilrechtliche Mittel eingelegt worden waren. Der Autor beruft sich vor allem auf Beispiele aus Frankreich, und er vermutet in diesen Maßnahmen eine Unterstutzung fur das politische Handeln fur die Regierung, die damit ihre Fahigkeit unter Beweis stellen kann, ihre Versprechen einzulosen und damit die Sorgen der Burger zu lindern. In Wirklichkeit wurde aber gerade das Gegenteil erreicht: Mit der „bekannten Aussage“ des ungarischen Premierministers, alle „Terroristen seien Migranten“, missbrauche die Regierung die Fluchtlinge, die um ihre Zukunft bangten. Tatsachlich waren die Politiker mit dieser Rhetorik vielfach erfolgreich und sie wurden ihr Ziel erreichen.
Wichtig ist es fur Bauman, auf die Stigmatisierung der Menschen aufmerksam zu machen. Ferner widmet er sich daher den moglichen Auswirkungen, die damit verbunden sein konnen. Erstens konne es durch den schmerzhaften Schlag des stigmatisierten Menschen zu Minderwertigkeitsgefuhlen, „Selbstverbergung und Selbstverleugnung“ (suffering and humiliation) kommen, zweitens konne dadurch Rache ausgelost werden und drittens kame ein Gefuhl der Ungerechtigkeit auf, das zu Entfremdung von der Mehrheitsgesellschaft fuhre und womit diese als unmenschlich wahrgenommen werde.
Auch kommen Pierre-Nicolas Baussand, der bereits 1998 die Studie Jordanie: L’utilisation de l’immigration pour stabiliser une economie postrentiere en crise vorgelegt hatte, und Jean-Claude Juncker zu Wort, die den Zustand attestieren, die „soziale Ausgrenzung [sei] der ‚Hauptfehler‘ (key flaw) fur die Radikalisierung junger Muslime in der Europaischen Union. Diejenigen, die Terroranschlage organisieren und begehen, sind dieselben Menschen, vor denen die Fluchtlinge zuvor geflohen sind.“ Die starksten Waffen, die der Westen einsetzen konne, um die Radikalisierung auszurotten, sei soziale Investition, Eingliederung und Integration.
Im dritten Kapitel ist der Autor Auf den Spuren starker Manner (oder starker Frauen) in der Politik und den verantwortlichen Regierungen. Sie seien ein wichtiger Garant fur die zuvor beschriebenen Umsetzung, so Baumans Tenor. Dabei geht er auch auf die Beziehungen zwischen Politik und Zivilgesellschaft ein, indem er unterstreicht, wie wichtig die Teilhabe des Durchschnittsburgers sei. Er stellt die Frage, inwieweit sich die Bevolkerung uberhaupt fur politische Themen interessiere, wann sie eine Situation als bedrohlich empfinde und ab wann sie geschutzt werden wolle. Bauman sieht es als „unverzeihliche Sunde der Demokratie“, wenn eine wachsende Zahl angeblicher Wohltater Unfahigkeit bei den Regierungen auslose, die an sie gestellten Erwartungen zu erfullen und dies mit „nichts anderes tun zu konnen“ quittiere.
Das vierte Kapitel Zusammen und dicht gedrangt ist ein Ruckblick in die Geschichte. Bauman beschreibt darin, wie unsere Vorfahren kaum mit anderen Kulturen in Beruhrung gekommen seinen, diese somit nicht kannten und es ihnen dadurch moglich wurde, ihr eigenes Weltbild und ihre Kultur zu bilden. Er betont, wie wichtig es sei, sich gegenseitig anzuerkennen, um das gemeinsame Uberleben zu sichern. Das Kapitel funf Lastig, storend, unerwunscht – und deshalb abzuweisen ist ganz der Politik Ungarns gewidmet. Gyorgy Konrad, einst Liberaler und Regierungskritiker wahrend des Kommunismus und von der New York Times (NYT) als Veteran der Kampfe gegen die Diktatur in der kommunistischen Ara beschrieben, ließ weder politisch noch personlich ein gutes Haar an Viktor Orban, doch in Sachen Immigranten „musse er leider eingestehen, dass Orban recht [habe]“. Auch wies die NYT darauf hin, dass die Regierungschefs Mitte Dezember 2015 begannen, sich Orbans Politik anzunahern, indem sie eingestanden hatten, mit dem Migrationsproblem wieder die Oberhand zu gewinnen, indem sie die Kontrolle uber „Außengrenzen des Kontinents“ wiedergewinnen wollten. Besondere Wertschatzung erfahrt der franzosische Ethnologe und Anthropologe Michel Agier (* 1953), der kenntnisreich feststelle, dass die „Festlegung zweier großer Weltteile“ Ziel der derzeitigen Migrationspolitik sei.
Im Kapitel sechs Anthropologische und zeitbedingte Wurzeln des Hasses geht der Autor weit in die Vergangenheit zuruck, um den Ursachen des Hasses auf die Einwanderer auf den Grund zu gehen. Von Platon kommt er auf Hannah Arendt und Immanuel Kant, die beide glaubten, es gebe ein moralisches Bewusstsein, das Gut und Bose unterscheiden konne, und dass dies allen Menschen innewohne. Mit dem Unterschied zwischen Denken und Handeln, mit der Erkenntnis im Unterschied zwischen Individuum und offentlicher Gesellschaft sei jeder einzelne konfrontiert. Schlussel dafur sei der Glauben, „ein vollkommenes, unerschutterliches Vertrauen und Selbstvertrauen, das unbezwingbar Gegenbeweise und -Argumente negiere, wahrend das Wissen sich dem kritischen Test der Empirie zu unterziehen“ habe.
Gesprache und der Meinungsaustausch seien nach Hans-Georg Gadamer, nach Baumans Einschatzungen einer der großten Philosophen des vergangenen Jahrhunderts, der Weg zu Verstandnis und Konsens, da „alle Verstandnisse so etwas wie eine gemeinsame Sprache beinhalten, obwohl es sich um eine gemeinsame Sprache handelt, die nur wahrend des Prozesses des Verstehens selbst geschaffen wird.“ Die Essenz von Gadamers Philosophie sei die Schaffung eines gemeinsamen Rahmens, des Gesprachs. Darin enthalten sei der Austausch von Meinungen und das Schaffen von Dialogen: „Das Gesprach und die Verstandigung setz[t]en einen Konsens daruber voraus, dass alle Verstandigungen so etwas wie eine gemeinsame Sprache (common language) beinhalten, auch wenn es sich um eine gemeinsame Sprache handl[e], die erst im Prozess der Verstandigung selbst entsteh[e]“.
Zum Schluss seines Werkes weist Bauman auf Anthony Appiah hin, der in seinem Buch Der Kosmopolit. Philosophie des Weltburgertums aufzeigt, dass wir uns auf Gesprache mit Menschen unterschiedlicher Lebensweisen konzentrieren sollten. Demnach versteht Bauman die Fluchtlingskrise als Chance, auf die unvermeidlich weiter wachsende Weltbevolkerung in zwei Weisen reagieren zu konnen, in dem Gefuhl des Genusses oder der Qual.
Bewertung Sein Essay ist reich bequellt und an die breite Offentlichkeit gerichtet. Er beleuchtet die Ursachen der Migrationskrise, warum dieses Phanomen zum Problem geworden ist, welche Rolle die Medien spielen und warum Menschen ein so großes Misstrauen, Angst oder auch Ablehnung den anderen gegenuber haben. Nach Meinung der Philosophin Nikola Medova (* 1990) an der Palacky-Universitat Olmutz hat es einen optimistischen Grundton. Strukturelle Veranderungen sind nach ihrer Ansicht unvermeidbar und haben auch positive Auswirkungen, auf die wir uns konzentrieren sollten, anstatt auf die negative Seite zu fokussieren.
Der britische Soziologe Matt Dawson (* 1983) weist darauf hin, dass eine Vielzahl von Veroffentlichungen von und uber Bauman nach seinem Tod erschienen sind. Offensichtlich sei „Baumans Hinterland“ noch nicht ausreichend aufgearbeitet. Er bewertet dieses Spatwerk in der Ruckschau zu Baumanns fruherem, umfassenden Œuvre und sieht Die Angst vor den anderen des geburtigen Polen als logische, spate Reflexion der Moderne zum Holocaust. Dawson nennt einige weitere Rezensenten, die Bauman ein „umfassendes Interesse am Utopismus“ attestieren.
Die Medienwissenschaftlerin Jytte Holmqvist (* 1973) stellt in ihrer Rezension Bauman als Kritiker Sozialer Medien und Kunstlicher Intelligenz vor. Sie zitiert Bauman mit „Soziale Medien lehren uns nicht, Dialog zu fuhren, weil es so einfach ist, Kontroversen aus dem Weg zu gehen. […] Die meisten Menschen nutzen soziale Medien nicht, um sich zu vereinen, nicht, um ihren Horizont zu erweitern, sondern im Gegenteil, um sich eine Komfortzone zu schaffen, in der die einzigen Gerausche, die sie horen, das Echo ihrer eigenen Stimme sind […].“ Sie erinnert daran, wie unermudlich Bauman bis zum Schluss im In- und Ausland Reden, Konferenzen und Diskussionen bestritten hat, um uns seine Beobachtungen zum Zustand unserer Gesellschaften mitzuteilen, so, wie er es auch mit seinen letzten Werken versucht hat. Nach Meinung Homqvists kritisiert Bauman die Zustande in den USA, wenn er vom „Bau von Mauern [schreibt], um Migranten vor ‚unserem eigenen Hinterhof‘ aufzuhalten“. Er empfinde diese Politik als „lacherlich“. Bauman nenne hier Beispiele, um mit metaphorischer Kraft den Mitmenschen Angst einzufloßen, die „Risse und Missverstandnisse“ in der Gesellschaft entstehen ließen, anstatt auf „Verstandnis und Empathie“ zu bauen.
Einzelnachweise
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Die Angst vor den anderen. Ein Essay uber Migration und Panikmache (Originaltitel Strangers at Our Door) ist ein Buch des polnisch-britischen Soziologen und Philosophen Zygmunt Bauman aus dem Jahr 2016. Auf dem Hohepunkt der Zuwanderungswelle beschreibt es die Herausforderungen fur die betroffenen Nationen und Gesellschaften. Gleichzeitig ist es ein Pladoyer fur Gelassenheit und Empathie. Bauman zeigt seine Verwunderung uber die Hysterie und die Prasenz dieses Themas in den Medien. Die deutsche Ubersetzung stammt von Michael Bischoff.
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Das Pontermannel (auch Bondermummel) war ein Wahrzeichen der Stadt Leipzig, dessen Kenntnis wandernden Gesellen als Nachweis diente, in der Stadt gewesen zu sein. Sein Name ruhrte von der lateinischen Uberschrift „Poenitere“ = „Bereue“ her, die auf seine eigentliche Bestimmung hinwies, zum Tode verurteilte Delinquenten zur Reue zu bewegen.
Beschreibung Johannes Praetorius (1630–1680) beschrieb 1667 das Pontermannel als ein nicht mehr vorhandenes Steinrelief, auf dem sich ein Mannchen in einem Trauersack am Kopf kratzte, als bereue es etwas oder als sei ihm etwas missgluckt.
Anders ist das Bild (nebenstehend) 1858 bei Wilhelm Schafer (1807–1869). Hier wird eine zum Tode durch das Sacken vorbereitete Person dargestellt, der die Hande uberkreuz zusammengebunden sind, wahrend den unteren Teil des Korpers ein Sack fest umschließt.
Einig ist man sich uber den Standort des Bildes. Es war an einem kleinen Gebaude neben dem Schuldturm am Grimmaischen Tor angebracht, in dem zuletzt Feuerleitern aufbewahrt wurden. Das Gebaude grenzte an das Gelande des Dominikanerklosters St. Pauli Leipzig und war moglicherweise zuvor eine kleine Kapelle. 1637 wurde es abgerissen und das Bild des Pontermannels, das nach der Ansicht Wilhelm Schafers aus dem 14./15. Jahrhundert gestammt haben konnte, verschwand.
Bedeutung Leipzig besaß bis in die Fruhe Neuzeit mehrere Richtstatten. Zu mindestens dreien von ihnen fuhrte der Weg durch das Grimmaische Tor. Am heutigen Rabensteinplatz fand die Enthauptung mit dem Schwert statt, die vorwiegend hohergestellten Personen zustand. Am heutigen Gerichtsweg standen die Galgen. Das als Sacken bezeichnete Ertranken in einem Sack wurde in Leipzig unter anderem in der Katz, einem Tumpel an der Außenseite des Grimmaischen Tores, vorgenommen, der noch auf einem Stadtplan von 1749 verzeichnet ist. Sacken war die Strafe fur besonders schwere Verbrechen. Es wurde in Sachsen 1761 vom Radern abgelost.
Das Pontermannel war fur den Delinquenten der letzte offentliche Hinweis in der Stadt, innerlich zur Reue zu finden. Bis zur Reformation ubernahm am Pontermannel ein Dominikanermonch unter religiosem Zuspruch die Begleitung des Verurteilten auf seinem letzten Weg.
Die Annahme, das Pontermannel sei ein Spottbild fur die dem Schuldturm zugefuhrten Geldschuldner gewesen, lehnte Schafer ab.
Trivia Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hielt sich in Leipzig fur einen traurigen Gesichtsausdruck der Spruch „Du machst ein Gesicht wie’s Pontermannel“.
Literatur Peter Schwarz: Das tausendjahrige Leipzig. Von den Anfangen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. 1. Auflage. Band 1. Pro Leipzig, Leipzig 2014, ISBN 978-3-945027-04-2, S. 152.
Stadtewahrzeichen. In: Illustrirte Zeitung, Nr. 705, 3. Januar 1857, S. 16 (Digitalisat)
Weblinks Ursula Drechsel.: Die Wahrzeichen von Leipzig. In: Leipzig-Lese. Abgerufen am 20. Juli 2024
Einzelnachweise
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Das Pontermannel (auch Bondermummel) war ein Wahrzeichen der Stadt Leipzig, dessen Kenntnis wandernden Gesellen als Nachweis diente, in der Stadt gewesen zu sein. Sein Name ruhrte von der lateinischen Uberschrift „Poenitere“ = „Bereue“ her, die auf seine eigentliche Bestimmung hinwies, zum Tode verurteilte Delinquenten zur Reue zu bewegen.
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{
"url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Pöntermännel"
}
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c-838
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Sealioning (auch sea-lioning und sea lioning, auf Deutsch etwa: Verhalten von Seelowen, Verhalten wie ein Seelowe) ist ein von dem englischen Wort fur Seelowen abgeleitetes Verb, das im Netzjargon ein als lastig oder Schikane empfundenes Verhalten von sogenannten Trollen bezeichnet. Dabei werden Diskussionsteilnehmer unter dem Schutz von Anonymitat, unklarer Identitat und Motivation unermudlich mit Fragen behelligt oder zur Beibringung von Belegen oder Beweisen zu Sachverhalten aufgefordert, die nur am Rande von Bedeutung oder aber langst geklart sind. Zugleich wird der Anschein von Hoflichkeit und aufrichtigem Interesse gewahrt oder Unwissenheit vorgetauscht. Die chronische Aufforderung, sich an der Debatte zu beteiligen, und das Bemuhen, sein Gegenuber im Gesprach zu halten, kann Zuge eines Angriffs annehmen. Der Begriff geht auf einen Comic von David Malki aus dem Jahr 2014 zuruck, der als Beschreibung von als unertraglich erlebten Diskussionen auf dem sozialen Netzwerk X (vormals Twitter) gilt. Als Sealions bezeichnete Personen geben niemals auf. Verlieren ihre Gesprachspartner die Geduld und werden unfreundlich, gerieren sie sich als Opfer. Der kommunikative Umgang mit ihnen gilt als ausgesprochen schwierig.
Der Begriff Im Oxford Dictionary of Social Media wird Sealioning als abschatzige Bezeichnung fur eine konfrontative Praxis definiert, mit endlos erscheinenden Forderungen nach Antworten und Beweisen in eine Online-Diskussion zu springen. Dabei tauscht die als Sealion bezeichnete Person Hoflichkeit und Interesse an einer Diskussion vor, ohne Signalen von Desinteresse oder Ablehnung Beachtung zu schenken, die von anderen Diskussionsteilnehmern ausgehen. Diese Signale fuhren nicht dazu, dass von den bestandigen Forderungen abgelassen wird. Reagieren Zielpersonen ungeduldig und lassen sich zu einer argerlichen oder gar wutenden Reaktion hinreißen, prasentiert sich der Sealion als Opfer und bezeichnet seine Gesprachspartner als argumentativ nicht zuganglich und unvernunftig.
Der amerikanische Philosoph Walter Sinnott-Armstrong diskutierte den Begriff in seinem Buch Think Again: How to Reason and Argue. Internet-Trolle wurden verlangen, so lange mit ihnen zu diskutieren, wie es ihnen beliebt, selbst wenn langst erkannt ware, dass eine weitere Diskussion sinnlos sei. Wer aus der Diskussion aussteige, werde beschuldigt, engstirnig zu sein und sich der Vernunft zu widersetzen. Diese Praxis, so Sinnott-Armstrong, sei unertraglich („obnoxious“).
Als Fachdidaktiker setzte sich Philippe Wampfler mit diesem Internetphanomen auseinander – unter dem Titel Der Sea Lion hat den Troll im Netz abgelost. Wampfler bezieht sich auf die Forscherin Claire Hardaker, die das Sealioning als einen Prozess des Totens mit verbissener Freundlichkeit („process of killing with dogged kindness“) bezeichnete. Wahrend sie Sealions als Trolle klassifiziere, sehe Wampfler sie „als eigene Klasse von kommunikativ herausfordernden Profilen“, fur die er eine eigene Definition entwirft:
Sokrates ist laut Wampfler der „Inbegriff des Sea Lions“, der letztlich erreiche, dass gesagt wird, was er horen wolle. Allerdings liegen seiner Maeutik andere Motive zugrunde, denn der Sealion wirkt nur auf den ersten Blick „wie ein serioser Diskussionspartner“. Tatsachlich verberge er seine Interessen, argumentiere nicht wirklich, schreibe keine eigenen Texte und formuliere keine Thesen. Stattdessen melde er chronisch Zweifel an und verlange, von ihm empfohlene Texte zu lesen. Als Gegenmaßnahme schlagt Wampfler vor, den Begriff des Sealions in der Debatte offensiv zu verwenden, sich auf kurze Antworten zu beschranken und den Spieß umzudrehen.
Die englische Philosophin und Wissenschaftlerin Sophie Grace Chappell verglich das Sealioning mit dem sokratischen Begriff eironeia – von dem sich, mit allerdings anderer Bedeutung, das Wort Ironie ableitet –, den sie als unaufrichtige Vortauschung von Unwissenheit beschrieb, um ein Argument zu demontieren. Fur sie ist eironeia im Netzjargon sealioning.
Die Technik des Sealioning wurde mit zahlreichen Internetphanomenen verglichen, unter anderem mit dem Gish-Galopp, dem Taubenschach oder der Chewbacca-Verteidigung. Sie wurde – metaphorisch – als Denial-of-Service-Angriff (DoS-Angriff) auf Menschen beschrieben, womit die Uberlastung einer Zielperson durch insistierendes Fragen gemeint ist. Manche Autoren bezeichneten Sealioning als einen boswilligen Akt („bad-faith“). Nicht alle Einladungen zu einer Debatte wurden in guter Absicht ausgesprochen, also in der Bereitschaft, seine eigene Meinung zu uberdenken und ggf. zu andern, wie Emily Sullivan von der Universitat Utrecht mit ihren Co-Autoren schrieb. Das Trolling habe zugenommen. Und auch, wenn Trolle, die sich am Sealioning beteiligen, John Stuart Mill auf ihrer Seite wahnen, wies dieser bereits im 19. Jahrhundert auf die Grenzen der Meinungsfreiheit hin. „Die Freiheit des Einzelnen darf sich nicht zu einer Belastigung fur Andere entwickeln“ – dieses Zitat wird Mill zugeschrieben, jedoch wurde seine Urheberschaft in seinem Werk bisher nicht nachgewiesen. Vielmehr handelt es sich um eine Paraphrase seiner Prinzipien zur Freiheit und deren Begrenzung, wie er sie in seiner Schrift On Liberty im Jahr 1859 dargelegt hatte.
In ihrer Befassung mit Jugend- und Sozialarbeit listen Christian Vorre Mogensen und Sophie Buch Sealioning als eine der Methoden, in denen „Angst als Waffe“ benutzt werde. Sealioning kann von einer Einzelperson oder einer gemeinsam handelnden Gruppe angewendet werden.
Begriffsgeschichte = 2014 bis 2020 =
Die Verwendung des Begriffs geht auf einen Webcomic von David Malki zuruck, den er auf seiner Website Wondermark am 19. September 2014 mit dem Titel The Terrible Sea Lion (deutsch: Der schreckliche Seelowe) veroffentlichte. In dem Comic argert ein Seelowe zwei Personen, indem er zwar hoflich, aber nervtotend beharrlich versucht, sie in ein Gesprach zu verwickeln, an dem sie nicht interessiert sind. Schnell wurde aus dem englischen Wort fur den Seelowen das Verb sealioning gebildet. Malki war zunachst erfreut, dass sein Comic so viel Anklang fand.
Fur Dina Rickman von der Online-Ausgabe der Zeitung The Independent war Malkis Comic im Jahr 2014 die treffendste Beschreibung von Twitter, die sie je gesehen habe. Auch Patricia Hluchy außerte sich uber Sealioning im Zusammenhang mit unertraglichen Diskussionen auf Twitter. Twitter Is Broken titelte David Auerbach im Slate-Magazin. Der Begriff gewann bald an Popularitat als eine Moglichkeit, eine bestimmte Art von Online-Trolling zu bezeichnen, und wurde verwendet, um einige Verhaltensweisen der Teilnehmer an der Gamergate-Kontroverse zu beschreiben. Im Zusammenhang mit dieser Kontroverse publizierte das Journal First Monday 2016 eine Studie, in der die Teilnehmer zu ihrem Verstandnis der verwendeten Terminologie befragt wurden, beispielsweise was sie als Belastigung empfinden und was Begriffe wie politische Korrektheit und Sealioning fur sie bedeuten. Ihre Antworten fielen in Abhangigkeit von ihren Vorannahmen und Zielen aus.
Im Jahr 2017 veroffentlichte das an der Harvard University angesiedelte Berkman Klein Center for Internet & Society eine Reihe von 16 Essays zum Thema Perspectives on Harmful Speech Online. Daran beteiligte sich die Ethnolinguistin Amy Johnson mit ihrem Beitrag The Multiple Harms of Sea Lions. Sie definierte Sealioning als beabsichtigte und kampferische Darbietung von Ahnungslosigkeit („intentional, combative performance of cluelessness“) und stufte es – wie viele Autoren vor ihr – als eine Form des Trollens ein. Sie kritisierte den Begriff selbst als unverstandlich und obskur („opaque and obscure“). Eine Analogie zur Vorgehensweise eines sogenannten Sealions sei die eines auf Menschen gerichteten Denial-of-Service-Angriffs, da analog zum gezielten Uberlasten eines Servers mit sinnlosen Anfragen beim Sealioning eine soziale und technische Manipulation mit dem Ziel erfolgt, das Gegenuber zu erschopfen und dadurch Debatten zu verhindern. Zwei Jahre spater fasste sie zusammen:
Zahlreiche Wissenschaftler verweisen auf Sealioning oder beschreiben es direkt als eine von Internet-Trollen angewandte Technik. Im Dezember 2020 listete das Merriam-Webster’s Collegiate Dictionary den Begriff als „Words We’re Watching“, was bedeutet, dass diese Worter zunehmend in Gebrauch kommen, jedoch die Kriterien zur Aufnahme in das Worterbuch noch nicht erfullen. Dort heißt es, Sealioning sei eine Form von Trolling mit dem Ziel, andere Diskussionsteilnehmer ohne die Absicht eines echten Diskurses zu erschopfen. Das kanadische Magazin Maclean’s lobte die Merriam-Webster-Definition. Man sollte diesen Neologismus auf der Merriam-Webster-Liste im Auge behalten, weil er treffend die Frustration von Online-Gesprachen beschreibe.
= Ab 2021 =
Im November 2021 erinnerte Patricia Hluchy im Maclean’s im Zusammenhang mit dem Sealioning an weitere Begriffe, die in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen sind und ihren Ursprung in Comics hatten, wie z. B. Brainiac (Comic von 1958) und Milquetoast (aus einem Comic von 1924). Sie stellte fest, dass Malki dem Begriff mit gemischten Gefuhlen gegenuberstand, denn er habe nicht vorgehabt, einen Begriff zu pragen. Was er habe kritisieren wollen, sei die Vorstellung, jeder habe ein Anrecht auf so viel Aufmerksamkeit, wie er begehre.
Im Dezember 2021 veroffentlichte Paul Linke in der Berliner Zeitung ein Gesprach mit Giulia Silberberger, Betriebswirtin und Grunderin des goldenen Aluhuts, in dem neben Dog Whistling und Derailing auch die Taktik des Sealioning zur Sprache kam. Silberberger halt bei den Anwendern dieser Kommunikationsstrategien ein ihnen innewohnendes Uberlegenheitsgefuhl fur ein „essenzielles Gefuhl“: „Man ist dahintergestiegen, aufgewacht, wahrend die anderen noch schlafen. Man fuhlt sich kluger, besser, als Auserwahlte.“ Das sei ein, wenn auch „kurzfristiger psychischer Gewinn“. Gemeinsam sei all diesen Taktiken bzw. ihren Anwendern ein „Kapern von offentlichen Diskussionen“, „das inflationare Schreiben“ und das „gebauchpinselt werden wollen von ihren Anhagern“ [sic!]. Was die Anwender der drei genannten Techniken einen wurde, sei „ein Dagegen“ – „gegen was auch immer“. Bei naherer Betrachtung sei die vorgetragene Kritik jedoch „gar nicht so sachlich, wie man vermutet, sondern stark emotionalisiert und von unsachlichen und tendenziosen Formulierungen dominiert“. Gegenargumente wurden stets „verworfen und abgeschmettert“. Silberberger empfiehlt im Umgang mit diesen Diskutanten, sich nicht „von den eigenen Emotionen […] davontreiben“ zu lassen.
Die Soziologin Angelika Schoder wies im September 2022 darauf hin, dass das Verhalten einer Sealioning betreibenden Person nicht immer „bewusst einer Methode“ folge, sich gleichwohl „bestimmte Mechanismen erkennen“ ließen, zu denen gehore, dass sie sich „nie uberzeugen“ ließe, sich „mit keiner Antwort zufrieden geben und keine Quelle als ausreichend ansehen“ wurde und behaupte, dass die andere Seite „offensichtlich die unvernunftige ist, die nicht sachlich diskutieren“ konne. Diese Methoden wurden zermurben und Ressourcen binden.
Ebenfalls 2022 veroffentlichte der Philosoph Jerry Green eine als Fallstudie („Case Study“) bezeichnete philosophische Analyse des kurzlich gepragten Begriffs („recently coined term“) Sealioning. Seine epistemischen Uberlegungen bringen ihn zu dem Schluss, dass es bei diesem Verhalten nicht um bloße Unzulanglichkeiten oder Inkompetenzen gehe, sondern ihm – erkenntnistheoretisch gesehen – Charakterzuge zugrundelagen, die auf ein boses Ende („malicious end“) ausgerichtet seien. Wie Wissbegierde, Neugier und Interesse fokussiere Sealioning zwar auf das Fragen – und dadurch unterscheide es sich von anderen Trollereien –, sei indes nicht auf Informationsgewinn aus. Es ist laut Green ein epistemisches Laster („epistemic vice“)
Im April 2024 hinterlegte die gemeinnutzige Organisation Der goldene Aluhut, die sich der Aufklarung uber Fake News, Sekten und ideologischen Missbrauch ebenso wie dem Widerlegen von Pseudowissenschaft und Verschworungstheorien widmet, auf ihrer Website eine Begriffsbeschreibung. Dort wird das Verhalten mit dem Brullen der Seelowen verglichen und mit Gish-Galopp, Whataboutism oder Moving the goalposts in Verbindung gebracht. Die Taktik funktioniere, weil Menschen gewohnt sind, auf hoflich gestellte Fragen zu antworten. Durch standige Ruck- und Suggestivfragen werde die Diskussion ad nauseam in Gang gehalten. Jenseits der digitalen Welt komme es in Talkshows und Podiumsdiskussionen zu ahnlichen Phanomenen, wenn beispielsweise „ausufernde Zwischenfragen gestellt werden, bei denen ein Bezug zum Thema der Veranstaltung zunehmend schwerer erkennbar wird“. Dann konne Sealioning den Effekt eines Derailments haben, insbesondere wenn die Einstiegsfrage auf einen Nebenaspekt zielte. Dadurch kann das eigentliche Thema aus dem Auge geraten. Ziel des Ganzen sei, „die Oberhand zu behalten“. Die Strategie setze die Gesprachspartner chronisch unter Zugzwang. Verliert der die Nerven und wird emotional, gebe sich „der Seelowe tief verletzt: Er hat doch nur Fragen gestellt!“ Gefahrlich sei das Sealioning, weil es den „Tod jeden fruchtbaren Dialogs“ bedeuten kann. Es solle Uberlegenheit demonstriert und der Gesprachspartner demotiviert werden, mindestens aber binde es „Energie und Ressourcen, die anderswo dringend gebraucht werden“. Die Empfehlungen fur dem Umgang mit Sealions fallen ahnlich wie jene von Wampfler aus.
Der Politikwissenschaftler Michael Blume bezeichnete im Juni 2024 auf Spektrum.de Personen, die Sealioning betreiben, als „Zeitvampire“ und ging davon aus, dass sich mit KI-Unterstutzung „in Sekunden, inhaltlich uberprufbar und mit Quellenangabe sinnvolle und interessante“ Antworten entwerfen ließen, mit denen dem „Zeitvampirismus“ begegnet werden konne. In einer Antwort auf einen Kommentar merkte er an, diesen Trollen gehe es nicht um einen Dialog, „sondern vor allem um Selbstinszenierung, destruktive Machtausubung und Fantasien von Dominanz“.
Martha Claeys bezeichnete 2024 Sealions als Belastiger, die nur scheinbar freundlich seien („“friendly” harasser“), und befasste sich in ihrer Abhandlung auch mit deren Opfern. Weichen die nicht geschickt aus, geraten sie in eine unmogliche Lage: Antworten sie nicht, werden sie als unhoflich bezeichnet, antworten sie aber, sind sie bald erschopft oder laufen Gefahr, die Fassung zu verlieren, um dann als unfreundlich oder gar verruckt beschimpft zu werden. Besser sei es, die Motivation des Fragestellers offenzulegen und die trugerische Freundlichkeit anzuprangern.
Kritik Wahrend der Begriff in zahlreichen Publikationen beschrieben, analysiert und auf die Folgen damit bezeichneten Verhaltens untersucht wurde, findet sich kaum Kritik an diesem Wort. Die Bloggerin Frances Bell gab dafur Raum. In ihrem Blog sind einige kritische Kommentare gelistet.
Malki selbst veroffentlichte 2015 unter dem Titel Errata auf seiner Website Wondermark – wie schon die Jahre zuvor – selbstkritische Anmerkungen zu verschiedenen Comics. Dabei entschuldigte er sich fur Aspekte, die er bei der Fertigung unter anderem des Comics uber den Sealion nicht bedacht hatte.
Literatur Martha Claeys: Just Asking! On “Friendly” Forms of Harassment. In: Hypatia. Cambridge University Press, Cambridge 2024, S. 1–16, doi:10.1017/hyp.2023.120 (englisch, cambridge.org [PDF; 119 kB]).
Jerry Green: Sealioning: A Case Study in Epistemic Vice. In: Southwest Philosophy Review. Band 38, Nr. 1, 2022, ISSN 2154-1116, S. 123–134, doi:10.5840/swphilreview202238113 (englisch, philarchive.org [PDF; 2,1 MB]).
Anastasia Kozyreva, Sam Wineburg, Stephan Lewandowsky, Ralph Hertwig: Critical Ignoring as a Core Competence for Digital Citizens. In: Current Directions in Psychological Science. Band 32, Nr. 1, 2023, S. 81–88, doi:10.1177/09637214221121570 (englisch).
Vinay Prasad, John P. A. Ioannidis: Constructive and obsessive criticism in science. Wiley, 23. Juli 2022, S. 1–7, doi:10.1111/eci.13839 (englisch).
Rebecca Roache: What’s wrong with Trolling? In: Carissa Veliz (Hrsg.): The Oxford Handbook of Digital Ethics. Oxford University Press, 2021, ISBN 978-0-19-885781-5, S. 121–144, doi:10.1093/oxfordhb/9780198857815.001.0001 (englisch).
Mark Satta: Epistemic Exhaustion and the Retention of Power. In: Hypatia. Cambridge University Press, 2024, ISSN 0887-5367, S. 1–20, doi:10.1017/hyp.2024.1 (englisch, cambridge.org [PDF; 142 kB]).
Angelika Schoder: Von Sealioning bis Whataboutism: Tipps furs Social-Media-Management. In: musermeku.org. 27. September 2022 (musermeku.org).
Philippe Wampfler: Der Sea Lion hat den Troll im Netz abgelost. In: Schule Social Media. 9. April 2019 (schulesocialmedia.com).
Weblinks "The Terrible Sea Lion" (No. 1062, 19 September 2014) (Webcomic von David Malki)
Wondermark Errata (Verteidigung des Cartoons gegen Kritik auf der Website Wondermark)
Sea-Lioning auf Know Your Meme
Einzelnachweise
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Sealioning (auch sea-lioning und sea lioning, auf Deutsch etwa: Verhalten von Seelowen, Verhalten wie ein Seelowe) ist ein von dem englischen Wort fur Seelowen abgeleitetes Verb, das im Netzjargon ein als lastig oder Schikane empfundenes Verhalten von sogenannten Trollen bezeichnet. Dabei werden Diskussionsteilnehmer unter dem Schutz von Anonymitat, unklarer Identitat und Motivation unermudlich mit Fragen behelligt oder zur Beibringung von Belegen oder Beweisen zu Sachverhalten aufgefordert, die nur am Rande von Bedeutung oder aber langst geklart sind. Zugleich wird der Anschein von Hoflichkeit und aufrichtigem Interesse gewahrt oder Unwissenheit vorgetauscht. Die chronische Aufforderung, sich an der Debatte zu beteiligen, und das Bemuhen, sein Gegenuber im Gesprach zu halten, kann Zuge eines Angriffs annehmen. Der Begriff geht auf einen Comic von David Malki aus dem Jahr 2014 zuruck, der als Beschreibung von als unertraglich erlebten Diskussionen auf dem sozialen Netzwerk X (vormals Twitter) gilt. Als Sealions bezeichnete Personen geben niemals auf. Verlieren ihre Gesprachspartner die Geduld und werden unfreundlich, gerieren sie sich als Opfer. Der kommunikative Umgang mit ihnen gilt als ausgesprochen schwierig.
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{
"url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Sealioning"
}
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c-839
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Der Reibschwinger ist ein schwingfahiges System, das ohne materiell ausgebildete Feder auskommt und mit dem der Gleitreibungskoeffizient gemessen werden kann.
Der Reibschwinger (englisch friction oscillator) setzt sich zusammen aus dem Stab (blau im Bild) mit Schwerpunkt S, der frei beweglich auf zwei gegeneinander rotierenden Rollen (grau schwarz) liegt, die an den Kontaktstellen entgegengesetzte Reibungskrafte auf den Stab ausuben. Befindet sich der Schwerpunkt wie im Bild genau in der Mitte zwischen den Kontaktstellen und ist der Stab in Ruhe, neutralisieren sich die Reibungskrafte und der Stab bleibt in Ruhe.
Wenn der Schwerpunkt zwar in Ruhe, aber nicht mittig zwischen den Kontaktstellen ist, dann lastet auf der Rolle, die naher am Schwerpunkt ist, beispielsweise auf der Rolle A, ein großeres Gewicht als auf der anderen Rolle B. Die Reibungskraft nimmt mit der Normalkraft zu, sodass der Stab in Richtung Rolle B beschleunigt wird. Wegen seines Beharrungsvermogens wird der Stab bei mittig zwischen den Rollen liegendem Schwerpunkt nicht anhalten, sondern sich daruber hinaus bewegen. Nun lastet auf der anderen Rolle B mehr Gewicht, und der Stab wird in entgegengesetzte Richtung beschleunigt, irgendwann zur Ruhe kommen und sich wieder in Richtung Rolle A in Bewegung setzen, sodass sich der Vorgang wiederholt. Eine genauere Analyse zeigt, dass der Reibschwinger ein harmonischer Oszillator ist.
Analytische Beschreibung Die Masse des Stabes sei m und seine Gewichtskraft G = mg mit Schwerebeschleunigung g. Die Reibung habe den Gleitreibungskoeffizient μ, sodass zwischen Reibkraft RA und Normalkraft NA an der Rolle A bei vorhandenem Schlupf der Zusammenhang RA = μNA gilt und entsprechend fur Rolle B.
= Schwerpunkt auf der Kontaktflache =
Der Schwerpunkt des Stabes liege zunachst wie im Bild auf der Kontaktflache und befinde sich an der Stelle x. Dann liefert das Momentengleichgewicht an den Kontaktstellen A bzw. B:
∑
M
A
=
0
=
2
b
N
B
−
(
b
+
x
)
m
g
⟹
N
B
=
b
+
x
2
b
m
g
∑
M
B
=
0
=
−
2
b
N
A
+
(
b
−
x
)
m
g
⟹
N
A
=
b
−
x
2
b
m
g
{\displaystyle {\begin{aligned}\sum M_{A}=&0=2bN_{B}-(b+x)mg&\implies N_{B}={\frac {b+x}{2b}}mg\\\sum M_{B}=&0=-2bN_{A}+(b-x)mg&\implies N_{A}={\frac {b-x}{2b}}mg\end{aligned}}}
Newtons zweites Gesetz, Kraft gleich Masse mal Beschleunigung,
F
=
m
⋅
a
{\displaystyle F=m\cdot a}
, hier in x-Richtung angeschrieben, liefert mit der zweiten Zeitableitung
x
¨
{\displaystyle {\ddot {x}}}
:
m
x
¨
=
R
A
−
R
B
=
μ
N
A
−
μ
N
B
=
μ
b
−
x
2
b
m
g
−
μ
b
+
x
2
b
m
g
{\displaystyle m{\ddot {x}}=R_{A}-R_{B}=\mu N_{A}-\mu N_{B}=\mu {\frac {b-x}{2b}}mg-\mu {\frac {b+x}{2b}}mg}
,
woraus sich die Schwingungsgleichung
x
¨
+
μ
g
b
x
=
x
¨
+
ω
0
2
x
=
0
{\displaystyle {\ddot {x}}+{\frac {\mu g}{b}}x={\ddot {x}}+\omega _{0}^{2}x=0}
ergibt. Darin ist
ω
0
=
μ
g
b
{\displaystyle \omega _{0}={\sqrt {\tfrac {\mu g}{b}}}}
die Eigenkreisfrequenz des Systems. Damit verhalt sich der Reibschwinger wie ein Federpendel und fuhrt eine harmonische Schwingung aus, die mit der Bewegungsfunktion
x
(
t
)
=
C
1
sin
(
ω
0
t
)
+
C
2
cos
(
ω
0
t
)
=
A
sin
(
ω
0
t
+
φ
0
)
{\displaystyle x(t)=C_{1}\sin(\omega _{0}t)+C_{2}\cos(\omega _{0}t)=A\sin(\omega _{0}t+\varphi _{0})}
verbunden ist. Darin sind sin und cos der Sinus und Cosinus. Die Amplituden A, C1,2 und der Nullphasenwinkel φ0 dienen der Anpassung an die Anfangsbedingungen.
Wenn der Stab zur Zeit t = 0 die Auslenkung x0 und die Geschwindigkeit v0 hat, berechnen sich die Konstanten zu
C
1
=
v
0
ω
0
,
C
2
=
x
0
,
A
=
x
0
2
+
v
0
2
ω
0
2
,
φ
0
=
arctan
x
0
ω
0
v
0
{\displaystyle C_{1}={\frac {v_{0}}{\omega _{0}}},\;C_{2}=x_{0},\;A={\sqrt {x_{0}^{2}+{\frac {v_{0}^{2}}{\omega _{0}^{2}}}}},\;\varphi _{0}=\arctan {\frac {x_{0}\omega _{0}}{v_{0}}}}
und die Bewegungsfunktion
x
(
t
)
=
v
0
ω
0
sin
(
ω
0
t
)
+
x
0
cos
(
ω
0
t
)
=
x
0
2
+
v
0
2
ω
0
2
sin
(
ω
0
t
+
arctan
x
0
ω
0
v
0
)
x
˙
(
t
)
=
v
0
cos
(
ω
0
t
)
−
ω
0
x
0
sin
(
ω
0
t
)
=
ω
0
2
x
0
2
+
v
0
2
cos
(
ω
0
t
+
arctan
x
0
ω
0
v
0
)
{\displaystyle {\begin{aligned}x(t)=&{\frac {v_{0}}{\omega _{0}}}\sin(\omega _{0}t)+x_{0}\cos(\omega _{0}t)={\sqrt {x_{0}^{2}+{\frac {v_{0}^{2}}{\omega _{0}^{2}}}}}\sin \left(\omega _{0}t+\arctan {\frac {x_{0}\omega _{0}}{v_{0}}}\right)\\{\dot {x}}(t)=&v_{0}\cos(\omega _{0}t)-\omega _{0}x_{0}\sin(\omega _{0}t)={\sqrt {\omega _{0}^{2}x_{0}^{2}+v_{0}^{2}}}\cos \left(\omega _{0}t+\arctan {\frac {x_{0}\omega _{0}}{v_{0}}}\right)\end{aligned}}}
Darin ist Arctan die Umkehrfunktion des Tangens. Die Bewegungsgleichung trifft nur bei Gleitreibung zu. Damit immer Schlupf auftritt und niemals Haftreibung, darf die Geschwindigkeit des Stabes niemals die Umfangsgeschwindigkeit Ωr der Rollen erreichen:
ω
0
2
x
0
2
+
v
0
2
<
Ω
r
{\displaystyle {\sqrt {\omega _{0}^{2}x_{0}^{2}+v_{0}^{2}}}<\Omega r}
d. h. in einem rechtwinkligen Dreieck mit den Katheten ω0x0 und v0 muss die Hypotenuse kleiner als Ωr sein. Wenn der Stab aus der Ruhe losgelassen wird (v0 = 0,), muss
ω
0
x
0
<
Ω
r
⟹
x
0
<
Ω
ω
0
r
=
Ω
2
r
2
b
μ
g
{\displaystyle \omega _{0}x_{0}<\Omega r\implies x_{0}<{\frac {\Omega }{\omega _{0}}}r={\sqrt {\frac {\Omega ^{2}r^{2}b}{\mu g}}}}
eingehalten werden.
= Schwerpunkt uber der Kontaktflache =
Der Schwerpunkt des Stabes liege nun im Abstand h uber der Kontaktflache, sodass die Reibkrafte Drehmomente am Schwerpunkt aufbringen bzw. die D’Alembertsche Tragheitskraft ein Drehmoment an den Kontaktflachen bewirkt, siehe auch Dynamisches Gleichgewicht. Das Momentengleichgewicht an den Kontaktstellen der Rollen A und B liefert nun:
∑
M
A
=
0
=
2
b
N
B
−
(
b
+
x
)
m
g
+
h
m
x
¨
⟹
N
B
=
(
b
+
x
)
m
g
−
h
m
x
¨
2
b
∑
M
B
=
0
=
−
2
b
N
A
+
(
b
−
x
)
m
g
+
h
m
x
¨
⟹
N
A
=
(
b
−
x
)
m
g
+
h
m
x
¨
2
b
{\displaystyle {\begin{aligned}\sum M_{A}=&0=2bN_{B}-(b+x)mg+hm{\ddot {x}}&\implies N_{B}={\frac {(b+x)mg-hm{\ddot {x}}}{2b}}\\\sum M_{B}=&0=-2bN_{A}+(b-x)mg+hm{\ddot {x}}&\implies N_{A}={\frac {(b-x)mg+hm{\ddot {x}}}{2b}}\end{aligned}}}
Newtons zweites Gesetz liefert hier:
m
x
¨
=
R
A
−
R
B
=
μ
N
A
−
μ
N
B
=
μ
(
b
−
x
)
m
g
+
h
m
x
¨
2
b
−
μ
(
b
+
x
)
m
g
−
h
m
x
¨
2
b
{\displaystyle m{\ddot {x}}=R_{A}-R_{B}=\mu N_{A}-\mu N_{B}=\mu {\frac {(b-x)mg+hm{\ddot {x}}}{2b}}-\mu {\frac {(b+x)mg-hm{\ddot {x}}}{2b}}}
,
woraus die Modifikationen
x
¨
+
μ
g
b
−
μ
h
x
=
0
⟹
ω
0
=
μ
g
b
−
μ
h
{\displaystyle {\ddot {x}}+{\frac {\mu g}{b-\mu h}}x=0\implies \omega _{0}={\sqrt {\frac {\mu g}{b-\mu h}}}}
resultieren. Wenn der Stab aus der Ruhe losgelassen wird (v0 = 0,), muss hier
x
0
<
Ω
ω
0
r
=
Ω
2
r
2
(
b
−
μ
h
)
μ
g
{\displaystyle x_{0}<{\frac {\Omega }{\omega _{0}}}r={\sqrt {\frac {\Omega ^{2}r^{2}(b-\mu h)}{\mu g}}}}
eingehalten werden. Bei b < μh verliert diese Losung ihre Gultigkeit und es entstehen ahnliche Verhaltnisse, wie sie #Umgekehrt drehende Rollen schaffen.
= Umgekehrt drehende Rollen =
Wenn sich die Rollen andersherum drehen, ist der Reibschwinger instabil. Dann ist
m
x
¨
=
−
R
A
+
R
B
⟹
x
¨
−
μ
g
b
+
μ
h
x
=
0
{\displaystyle m{\ddot {x}}=-R_{A}+R_{B}\implies {\ddot {x}}-{\frac {\mu g}{b+\mu h}}x=0}
,
woraus (bei b + μh > 0) die Bewegungsgleichung
x
(
t
)
=
A
e
λ
t
+
B
e
−
λ
t
,
λ
=
μ
g
b
+
μ
h
{\displaystyle x(t)=Ae^{\lambda t}+Be^{-\lambda t},\;\lambda ={\sqrt {\frac {\mu g}{b+\mu h}}}}
mit der Exponentialfunktion e resultiert. Anpassung der Konstanten A und B an die Anfangsauslenkung x0 und Anfangsgeschwindigkeit v0 liefert:
x
(
t
)
=
λ
x
0
+
v
0
2
λ
e
λ
t
+
λ
x
0
−
v
0
2
λ
e
−
λ
t
{\displaystyle x(t)={\frac {\lambda \,x_{0}+v_{0}}{2\,\lambda }}e^{\lambda t}+{\frac {\lambda \,x_{0}-v_{0}}{2\,\lambda }}e^{-\lambda t}}
Wenn anfanglich nicht exakt λx0+v0 = 0 eingestellt ist, kommt es zu exponentiell zunehmender Geschwindigkeit. Die Losung verliert ihre Gultigkeit, sobald der Stab die Umfangsgeschwindigkeit der Rollen oder eine Arretierung erreicht oder von den Rollen fallt, siehe das YouTube-Video von D. Russell unter den #Weblinks.
Messung des Gleitreibungskoeffizienten Wird die Eigenkreisfrequenz ω0 oder die Periodendauer
T
=
2
π
ω
0
{\displaystyle T={\tfrac {2\pi }{\omega _{0}}}}
gemessen, kann der Gleitreibungskoeefizient
μ
{\displaystyle \mu }
berechnet werden:
μ
=
b
ω
0
2
g
+
h
ω
0
2
=
4
π
2
b
g
T
2
+
4
π
2
h
{\displaystyle \mu ={\frac {b\omega _{0}^{2}}{g+h\omega _{0}^{2}}}={\frac {4\pi ^{2}b}{gT^{2}+4\pi ^{2}h}}}
Weblinks E. Zeleny: The Friction Oscillator. Wolfram Demonstrations Project, 23. Juli 2013, abgerufen am 26. Juli 2024.
D. Russell: The Friction Oscillator. Youtube. 29. August 2012, abgerufen am 26. Juli 2024.
Literatur
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Der Reibschwinger ist ein schwingfahiges System, das ohne materiell ausgebildete Feder auskommt und mit dem der Gleitreibungskoeffizient gemessen werden kann.
Der Reibschwinger (englisch friction oscillator) setzt sich zusammen aus dem Stab (blau im Bild) mit Schwerpunkt S, der frei beweglich auf zwei gegeneinander rotierenden Rollen (grau schwarz) liegt, die an den Kontaktstellen entgegengesetzte Reibungskrafte auf den Stab ausuben. Befindet sich der Schwerpunkt wie im Bild genau in der Mitte zwischen den Kontaktstellen und ist der Stab in Ruhe, neutralisieren sich die Reibungskrafte und der Stab bleibt in Ruhe.
Wenn der Schwerpunkt zwar in Ruhe, aber nicht mittig zwischen den Kontaktstellen ist, dann lastet auf der Rolle, die naher am Schwerpunkt ist, beispielsweise auf der Rolle A, ein großeres Gewicht als auf der anderen Rolle B. Die Reibungskraft nimmt mit der Normalkraft zu, sodass der Stab in Richtung Rolle B beschleunigt wird. Wegen seines Beharrungsvermogens wird der Stab bei mittig zwischen den Rollen liegendem Schwerpunkt nicht anhalten, sondern sich daruber hinaus bewegen. Nun lastet auf der anderen Rolle B mehr Gewicht, und der Stab wird in entgegengesetzte Richtung beschleunigt, irgendwann zur Ruhe kommen und sich wieder in Richtung Rolle A in Bewegung setzen, sodass sich der Vorgang wiederholt. Eine genauere Analyse zeigt, dass der Reibschwinger ein harmonischer Oszillator ist.
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{
"url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Reibschwinger"
}
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c-840
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Andreas Volanus (lateinisch Andrea Volanus Lwocoviensis, polnisch Andrzej Wolan, litauisch Andrius Volanas; * um 1530/1531 wahrscheinlich bei Lwowek; † 6. Januar 1610 in Bijuciszki bei Oszmiana (heute Belarus)) war ein polnisch-litauischer Schriftsteller, Ubersetzer, Publizist, Polemiker und protestantischer Theologe der Renaissance, Anfuhrer der litauischen Calvinisten und koniglicher Sekretar. Im Jahr 1603 wurde er als Autor in den ersten polnischen Index der verbotenen Bucher aufgenommen, der auf Initiative von Bischof Bernard Maciejowski erstellt wurde. Er war ein Gegner der romisch-katholischen Transsubstantiationslehre.
Leben Volanus stammte aus einer adligen Familie, die aus Schlesien nach Großpolen kam. Er war der Sohn des deutschsprachigen Schlesiers Jan und der Polin Zofia Kwilecka. Die Familie lebte in Lwowek, als sich der 13-jahrige Volanus im Jahr 1544 an der Brandenburgischen Universitat Frankfurt einschrieb. Dort studierte er bis 1547 Dialektik, Rhetorik und Epistolographie. In Frankfurt kam Volanus auch mit den Ideen der Reformation in Beruhrung. In seiner Jugend stand Andreas Volanus unter dem Einfluss der Wittenberger Reformation. Spater schlug er sich jedoch auf die Seite des Calvinismus. Nach seiner Ruckkehr aus Frankfurt hielt er sich bei seinem Verwandten Baltazar Strzezminski und dann am Hof von Hieronim Kwilecki, dem Verwalter der Guter von Konigin Bona im Großfurstentum Litauen, auf. Um 1550 wurde Volanus Sekretar von Mikołaj Radziwiłł Rudy, dem damaligen Großkammerherrn von Litauen, mit dem er mehrere Jahrzehnte lang zusammenarbeitete. Dank der Unterstutzung der Radziwills konnte Volanus im November 1550 sein Studium der freien Kunste in Konigsberg aufnehmen, wo er vor allem seine Kenntnisse der lateinischen Sprache verbessern konnte. Den großten Einfluss auf Volanus hatte in dieser Zeit der Rektor der Universitat Konigsberg Georg Sabinus, Schwiegersohn von Philipp Melanchthon.
Nach Abschluss seines Studiums ließ Volanus sich dauerhaft in Litauen nieder. Er erhielt das Gut Bijuciszki von Mikołaj Radziwiłł Rudy und die Dorfer Czereszczenieta und Gierbienieta von Sigismund II. August, Konig von Polen und Großfurst von Litauen. Außerdem verpachtete Volanus die Starosteien Rudomina und Niemiez auf Lebenszeit. Im Jahr 1569 wurde ihm das Indigenat Polen-Litauens zugesprochen. Im Fruhjahr 1569 hielt Volanus sich als Vertreter von Mikołaj Radziwiłł Rudy in Lublin auf, wo er im Namen seines Auftraggebers – eines bekennenden Gegners der polnisch-litauischen Union – Unionsverhandlungen fuhrte. Nach dem Abschluss der Lubliner Union war Volanus mehrmals Mitglied des Allgemeinen Sejm. Wahrend der Regierungszeit von Stefan Bathory wurde er Sekretar der Krone ehrenhalber. Als Treuhander der Radziwiłłs und Sekretar der Krone fuhrte Volanus auch wichtige diplomatische Missionen durch, so nach Prag 1575, Bedzin 1589, Riga 1589 und 1599 und Moskau 1595.
Nach seiner Ankunft in Litauen engagierte Volanus sich in der dortigen calvinistischen Kirche und setzte sich fur ihre Einheit und Starkung insbesondere gegenuber den in Litauen als Vertretern der katholischen Kirche einflussreichen Jesuiten ein. Im Laufe der Zeit wurde er Anfuhrer der Reformierten von Wilna sowie „Erzpresbyter“ der dortigen Gemeinde und wurde auch „Papst der litauischen Calvinisten“ genannt. Volanus nahm an zahlreichen Synoden der litauischen Calvinisten teil (z. B. 1570, 1585, 1599), auf denen er fur die Notwendigkeit einer Vereinigung der Calvinisten mit den Lutheranern oder orthodoxen Christen eintrat. Im Jahr 1590 betraute ihn die Synode mit der Funktion des Zensors fur calvinistische Bucher. Volanus war mit den fuhrenden Vertretern der litauischen Reformation befreundet: Jan Hlebowicz, Szymon Turnowski, Jan Abramowicz, Jan Łasicki, Stanisław Sudrowski, Andrzej Dudycz und Andrzej Chrzastowski. Sein Wirken fur die reformierte Kirche trug ihm nicht nur die Gegnerschaft der Jesuiten, sondern auch der Sozinianer ein. Deren Namensgeber Fausto Sozzini veroffentlichte 1588 sein gegen Volanus gerichtetes Werk De Jesu Christi filii Dei natura sive essentia.
Volanus war dreimal verheiratet. Seine Ehefrauen kamen aus den Familien Niemsta (Wappengemeinschaft Poraj), Oborski (Abdank) und der Fursten Zyzemski. Er hatte drei Sohne und mehrere Tochter.
Werke Andreas Volanus war der Autor von fast 50 Schriften, darunter 33 Drucke, 13 Briefe und mehrere Manuskripte. Der großte Teil seines literarischen Schaffens war religiosen Themen gewidmet.
Seine großte Beruhmtheit in Europa erlangte er durch seine theologischen Polemiken mit bedeutenden Jesuiten: Francisco Torres, Antonio Possevino, Peter Skarga, Emmanuel de Vega, Andrej Jurgiewicz und dem vorrangigen antitrinitarischen Theologen Fausto Sozzini. In seinen Werken diskutierte er wichtige Streitfragen der Reformationszeit, etwa die Gegenwart Christi in der Eucharistie, den Papstprimat, die Biblische Exegese, das Wesen der Gottlichkeit Christi, den Heiligenkult und den Bilderkult und die Berechtigung des Zolibats.
Er war auch Autor mehrerer Werke im Bereich Verwaltungsrecht:
Oratio ad senatum Regni Poloniae Magnique Ducatus Lithuaniae, qua boni principis in Republica constituendi modus ostenditur. 1573 (Latein, deutsch: Ansprache an den Senat des Konigreichs Polen und des Großfurstentums Litauen, in der die Methode zur Etablierung eines guten Fursten in der Republik aufgezeigt wird). Diese Rede wurde 1573 wahrend des Interregnums nach dem Tod Sigismund II. Augusts gedruckt. Ziel der Rede war es, die Qualitaten aufzuzeigen, die ein neuer Herrscher aufweisen sollte. Der kunftige Konig musse die Rechte und Freiheiten der Nation respektieren und aufrechterhalten, denn in der Adelsrepublik hatte das Gesetz Vorrang vor dem Willen des Monarchen. Der Konig sollte gerecht, großzugig, großmutig und mutig sein. Die hochsten Amter sollten in Absprache mit der Senatskammer besetzt werden. Der Herrscher sollte außerdem verpflichtet sein, die Justiz effizient zu verwalten.
Praefatio ad Fricium. 1577 (Latein, deutsch: Vorwort an Frycz). Dieses lobende Vorwort zur polnischen Ubersetzung Cyprian Bazyliks von Andrzej Frycz Modrzewskis Werk De Republica emendanda stammt aus dem Jahr 1577. Er schatzt besonders Modrzewskis Kritik am Gesetz uber die Befreiung von Menschen, das den Adel begunstigt. Wahrend das Litauische Statut von 1566 lediglich ein Wergeld fur die Ermordung eines Gemeinen einfuhrte, fuhrte das Statut von 1588 die Todesstrafe fur Totschlag zwischen Gemeinen (Kapitel XII, Art. 2) und in begrenztem Umfang sogar die Todesstrafe fur die vorsatzliche Ermordung eines Plebejers durch einen Adligen ein. Der Wortlaut der Bestimmung scheint darauf hinzudeuten, dass sie das Ergebnis eines Kompromisses zwischen der alten und der neuen Regelung ist, in dem wir den Einfluss der von Modrzewski und Wolan vertretenen Ideen erkennen konnen; der Herausgeber des Werks O naprawie [„Uber die Reparatur“] saß – wie wir wissen – im Redaktionsausschuss des Statuts. Der Einfluss dieser Ansichten zeigt sich auch in der Lockerung der strafrechtlichen Repressionen gegen Plebejer fur den Mord an einem Adligen. Nach dem Zweiten Statut konnten bis zu sieben Burgerliche fur den Mord an einem Adligen mit dem Tod bestraft werden (Kapitel XI, Artikel 12); im Dritten Statut wurde diese Zahl auf drei begrenzt (Kapitel XI, Artikel 39). So setzten die litauischen Gesetzgeber, die an der Ausarbeitung des Dritten Statuts arbeiteten, das Postulat der gleichen Bestrafung fur Totschlag um, unabhangig vom Zustand des Opfers und des Morders, soweit dies durch die bestehenden sozialen Verhaltnisse moglich war.
De principe et propriis eius virtutibus. (Latein, deutsch: Vom Prinzen und seinen wahren Tugenden). In diesem Werk skizzierte Volanus ein Bild des idealen Magnatenfursten.
De libertate politica sive civili libellus lectu non indignus. 1571 (Latein, deutsch: Eine nicht unwurdige Broschure uber politische oder burgerliche Freiheit). Dieses Werk wurde vor dem Herbst 1571 geschrieben, aber erst in der zweiten Halfte des Jahres 1572 von Maciej Wirzbieta veroffentlicht. Dem Traktat ist ein Vorwort vorangestellt, das Mikołaj Radziwiłł Rudy gewidmet ist. Das Werk besteht aus funfzehn Kapiteln. In den ersten funf Kapiteln geht es um die Bedeutung von Freiheit, Meinungen und Stereotypen in Bezug auf dieses Konzept. Freiheit darf nach Volanus' Ansicht nicht gegen das Gesetz verstoßen und das Gesetz darf die Freiheit nicht verletzen. Die Grundlage dafur ist das Naturrecht, auf dem die staatlichen Gesetze basieren sollten. In diesem Abschnitt betont Wolan, dass in der Republik Polen-Litauen lex est rex ‚das Gesetz ist Konig‘ gilt, und stellt ihr System der Tyrannei gegenuber. Die Kapitel VI bis IX befassen sich mit der Ausubung des Rechts auf Freiheit, dem Staatssystem, dem Wesen des Adels, dem Eigentum und der Kritik an der Fokussierung des Adels auf materielle Besitztumer. Die letzten Kapitel widmet Volanus der Frage nach den Reformen, die fur die Aufrechterhaltung einer freien Republik notwendig sind – Anderungen in der Gesetzgebung und im Gerichtswesen. Er postuliert die Einrichtung eines Berufungsgerichts, die Absetzung schlechter Richter und die Orientierung an der Vernunft in der Rechtsprechung. Er weist auf die Notwendigkeit hin, Gesetze gegen die Korruption der Sitten zu erlassen.
= Bedeutende Werke =
De libertate politica sive civili. Maciej Wirzbieta, Krakau 1571 (Latein, polona.pl [PDF; 34,0 MB] deutsch: Von politischer und burgerlicher Freiheit).
Oratio ad senatum Regni Poloniae. Maciej Wirzbieta, Krakau 1573 (Latein, polona.pl [PDF; 4,0 MB] deutsch: Ansprache an den Senat des Konigreichs Polen).
Vera et orthodoxa veteris ecclesiae sententia de Coena Domini ad Petrum Skarga. Łosk 1574 (Latein, deutsch: Die wahre und orthodoxe Meinung der alten Kirche uber das Abendmahl an Peter Skarga).
Praefatio in Fricium. In: O poprawie Rzeczypospolitej. Andrzej Frycz Modrzewski. Łosk 1577 (polnisch, Latein: Commentariorum de Republica emendanda libri quinque. Ubersetzt von Cyprian Bazylik, deutsch: Vorwort an Frycz).
Defensio verae orthodoxae veterisque in ecclesia sententiae. Łosk 1579 (Latein, deutsch: Eine Verteidigung der wahren orthodoxen und alten Meinung in der Kirche).
Paraenesis. Bernhard Albin (Q112419018), Speyer 1582 (Latein, google.de – deutsch: Paranese).
Idololatriae loiolitarum vilnensium oppugnatio. Jozef Karcan, Vilnius 1583 (Latein, org.pl – deutsch: Der Angriff auf die Gotzenverehrung der Loyoliten (= Jesuiten) von Vilnius).
Libri quinque contra Scargae jesuitae vilnensis, septem missae sacrificiique eius columnas. Daniel z Łeczycy, Vilnius 1584 (polona.pl – deutsch: Funf Bucher gegen die Jesuiten von Scarga von Vilnius, sieben Messopfer und seine Kolumnen).
Oratio gratulatoria. Ad illustriss. dominum principem D. Christophorum Radivilum. Daniel z Łeczycy, Vilnius 1584 (Latein, deutsch: Eine Gluckwunschrede. An den Erlauchten Fursten Christoph Radziwiłł).
Andreas Volanus: Oratio funebris in laudem Illustrissimi Principis Nicolai Radivilii. Daniel z Łeczycy, Vilnius 1584 (Latein, deutsch: Trauerrede zum Lob des Erlauchten Fursten Mikołaj Radziwiłł Rudy).
Anabaptismum sive speculum fidei et pietatis anabaptistarum. Vilnius 1586 (Latein, deutsch: Die Neu-Taufe, ein Spiegel des Glaubens und der Frommigkeit von Neu-Taufern; nach Stanisław Estreicher wurde das Werk nie gedruckt).
Apologia... ad calumnias et convitia pestiferae hominum sectae, qui se falso jesuitas vocant. Daniel z Łeczycy, Vilnius 1587 (Latein, deutsch: Entschuldigung ... fur die Verleumdungen und Missbrauche einer pestilenten Sekte von Mannern, die sich falschlicherweise Jesuiten nennen).
Defensio Apologiae. (Latein, deutsch: Verteidigung der Entschuldigung).
Ad scurillem et famosum libellum jesuiticae scholae vilnensis et potissimum maledici conviciatoris Andreae Jurgevitii... responsio. Vilnius 1589 (Latein, deutsch: An den Schurken und das beruhmte Buch der Jesuitenschule von Vilnius und besonders an den verfluchten Anklager Andreas Jurgevitis...).
Dirae in obtrectatores. Typographia Volani, Vilnius 1591 (Latein, deutsch: Duster in die Kritiker).
Epistolae aliquot ad repellendum doctrinae Samosatenianae errorem. Officina Coetus Evangelici Vilnensis, Vilnius 1592 (Latein, deutsch: Einige Briefe zur Widerlegung des Irrtums der samosatenischen Lehre).
Epistolae aliquot adversus Samosatenianos, de divina Trinitate. Vilnius 1592 (Latein, deutsch: Einige Briefe gegen die Samosatener, die sich auf die gottliche Dreifaltigkeit beziehen).
Meditatio in epistolam divi Pauli apostoli ad Ephesios. Jakub Markowicz, Vilnius 1592 (Latein, deutsch: Meditation uber den Brief des gottlichen Apostels Paulus an die Epheser).
Iudicium de libello quodam Stanislai Rescii, qui inscribitur Ministromachia. Jozef Karcan, Vilnius 1593 (Latein, deutsch: Urteil uber ein bestimmtes Buch von Stanislaus Rescii, das die Inschrift Ministromachia tragt).
Oratio ad Illustres Radivillos et Chodkiewicios. Ulryk & Salomon Sultzerowie, Vilnius 1600 (Latein, deutsch: Ansprache an die beruhmten Herren Radziwiłł und Chodkiewicz).
Oratio funebris na pogrzebie Sudroviusa. Vilnius 1600 (Latein, deutsch: Eine Trauerrede beim Begrabnis von Stanislaus Sudrovius; laut J. Rosciszewski verschollenes Schriftstuck).
Oratio sive consilium de bello contra Turcas movendo. Eisleben 1604 (Latein, deutsch: Eine Rede oder ein Ratschlag zum Krieg gegen die Turken).
De caecitate et poena ecclesiae. Wilhelm Antonius, Hanau 1608 (Latein, deutsch: Von der Blindheit und Bestrafung der Kirche).
De principe et propriis eius virtutibus. Martin Rhode, Danzig 1608 (Latein, deutsch: Vom Prinzen und seinen wahren Tugenden).
= Briefe und Unterlagen =
Epistola ad Rev. D. Nicolaum Pacium, ep. Kijov., ab A. Volano scripta. im Anhang. In: Mikołaj Pac (Hrsg.): Orthodoxa fidei confessio. Konigsberg 1566.
Do Mikołaja Radziwiłła Rudego, Lublin, 31. Mai 1569. In: Stanisław Kot (Hrsg.): Gniewy o unie (= Stanisław Kutrzeba [Hrsg.]: Studia historyczne ku czci. Band 2). Krakau 1938.
Do Krzysztofa Radziwiłła, 25. November 1590. In: Michał Balinski (Hrsg.): Andrzej Wolan, jego zycie uczone i publiczne. Band 1. Biblioteka Warszawska 1841, t. 1; s., Warschau 1841, S. 103–105.
Do Mikołaja Krzysztofa Radziwiłła, 23. Dezember 1594. In: Michał Balinski (Hrsg.): Andrzej Wolan, jego zycie uczone i publiczne. Band 1. Biblioteka Warszawska, Warschau 1841, S. 118–119.
Do Janusza Radziwiłła, 1609. In: Michał Balinski (Hrsg.): Andrzej Wolan, jego zycie uczone i publiczne. Biblioteka Warszawska, Warschau 1841, S. 128–130.
Od Szymona Teofila Turnowskiego, Ostrorog 14. Marz 1598. In: Jozef Łukaszewicz (Hrsg.): Dzieje kosciołow wyznania helweckiego w Litwie. Band 2. Poznan 1843, S. 273–274.
= Ubersetzungen mit unsicherer Urheberschaft =
Marinus Barletius: Historia o zywocie i zacnych sprawach Jerzego Kastryota, ktorego pospolicie Szkanderbegiem zowa... na 13 ksiag rozdzielona... z łac. jezyka na polski przełozone przez Cypriana Bazylika. Brest-Litowsk 1569 (polnisch, Latein: De vita, moribus ac rebus praecipue adversas Turcas gestis Georgii Castrioti, clarissimi Epirotarum principis, qui propter celeberrima facinora, Scanderbegus, hoc est Alexander Magnus, cognominatus fuit. Straßburg 1537. Ubersetzt von Cyprian Bazylik, laut Michał Balinski wurden die ersten drei Bande von Andreas Volanus ubersetzt).
Mornay du Plessis: Jasne i dowodne pokazanie... ze papiez... nie jest głowa powszechnego koscioła chrzescijanskiego. Vilnius 1608 (polnisch, ob Andreas Volanus der Ubersetzer ist, ist ungewiss).
Literatur Kestutis Daugirdas: Andreas Volanus und die Reformation im Großfurstentum Litauen (= Veroffentlichungen des Instituts fur Europaische Geschichte Mainz: Abteilung fur Universalgeschichte. Band 221). Zabern, Mainz 2008.
Pismiennictwo staropolskie : hasła osobowe N-Z. In: Bibliografia Literatury Polskiej – Nowy Korbut. Band 3. Panstwowy Instytut Wydawniczy, Warschau 1965, S. 414–416 (polnisch).
Joanna Marszyk: Wolnosc chroniona odpowiednimi prawami najcenniejszym skarbem — według traktatu Andrzeja Wolana De libertate politica sive civili libellus lectu non indignus. In: The Ignatianum Philosophical Yearbook. Band XXIII, Nr. 1, 2017, S. 128–149 (polnisch, edu.pl).
Othmar Feyl: Die Universitat Frankfurt (Oder) in der Bildungsgeschichte des ostlichen Europa. In: Frankfurter Beitrage zur Geschichte. Band 8. Frankfurt (Oder) 1980, S. 21.
Volanus, (Andreas). In: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollstandiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Kunste. Band 50, Leipzig 1746, Sp. 343.
Constantin von Wurzbach: Wolan, Andreas. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. 57. Theil. Kaiserlich-konigliche Hof- und Staatsdruckerei, Wien 1889, S. 255 (Digitalisat).
Michał Balinski: Pisma historyczne. Band 3. Gustav Adolph Sennewald, Warschau 1843, S. 3–136 (polnisch, digitale-sammlungen.de).
Weblinks Judith Leisner: Andreas Volanus. Der vergessene Reformator. In: deutschlandfunk.de. 4. Januar 2017; abgerufen am 23. Juli 2024.
Andrzej Wolan. In: staropolscy.pl. Abgerufen am 23. Juli 2024 (polnisch).
Andrzej Wolan. In: polona.pl. Abgerufen am 23. Juli 2024
Fußnoten
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Andreas Volanus (lateinisch Andrea Volanus Lwocoviensis, polnisch Andrzej Wolan, litauisch Andrius Volanas; * um 1530/1531 wahrscheinlich bei Lwowek; † 6. Januar 1610 in Bijuciszki bei Oszmiana (heute Belarus)) war ein polnisch-litauischer Schriftsteller, Ubersetzer, Publizist, Polemiker und protestantischer Theologe der Renaissance, Anfuhrer der litauischen Calvinisten und koniglicher Sekretar. Im Jahr 1603 wurde er als Autor in den ersten polnischen Index der verbotenen Bucher aufgenommen, der auf Initiative von Bischof Bernard Maciejowski erstellt wurde. Er war ein Gegner der romisch-katholischen Transsubstantiationslehre.
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"url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Volanus"
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Schweigen ist der Titel einer Novelle von Theodor Storm, die im Mai 1883 in der Deutschen Rundschau erstmals veroffentlicht wurde. Die erste Buchausgabe erfolgte im selben Jahr zusammen mit der Novelle Hans und Heinz Kirch.
In der Erzahlung geht es um die Entwicklung eines jungen Mannes, dessen psychische Erkrankung zunachst tabuisiert und verschwiegen wird. Die dadurch ausgelosten Schuldgefuhle gegenuber seiner jungen Frau fuhren ihn an den Rand des Suizids.
Storm hatte erhebliche Probleme, das Werk abzuschließen, und war mit dem Ergebnis unzufrieden. Die neuere Forschung sieht in den Schwierigkeiten, die er in vielen Briefen ansprach, auch Merkmale des Ubergangs vom Realismus zur fruhen Moderne.
Inhalt Die Novelle beginnt mit einem Gesprach zwischen der Forstjunkerin Frau von Schlitz und dem Hausarzt der Familie. Sie sorgt sich um den Gesundheitszustand ihres Sohnes Rudolph und ist unsicher, ob die erfolgte Heilung in einer psychiatrischen Anstalt andauern wird. Der Arzt empfiehlt ihr, den schwermutigen Mann rasch zu verheiraten, moglichst mit einem „heiteren und verstandig(en)“ deutschen „Hausfrauchen“.
Wahrend des Gesprachs erinnert sie sich an Anna, die Tochter eines Landpfarrers, die sie vor einiger Zeit kennengelernt hat.
In der Hoffnung, eine Ehe einzufadeln, besucht sie mit ihrem Sohn die Familie, die den beiden die Wohnung des Kusters uberlasst. Schon bald geht es Rudolph besser, was nicht nur mit der Gegenwart der schonen Anna, sondern auch mit dem Einfluss des gutmutigen Pastors zusammenhangt. In dem Haushalt der gastfreundlichen Familie ist Rudolph beliebt und beeindruckt die Zuhorer mit seinem Klavierspiel. So spielt er eines Nachmittags einige melancholische Nocturnes seines Lieblingskomponisten Frederic Chopin. Der Pastor lauscht dem Vortrag, legt ihm dann aber die Noten der Klaviersonate in G-Dur mit dem Allegretto innocente von Joseph Haydn auf das Pult. Bald erklingen die Fiorituren und erfullen das Zimmer „wie mit Vogelsang und Sommerspiel der Lufte.“
Auch Bernhard, ein „hubscher Mann mit treuherzigen braunen Augen“, den Rudolph aus der gemeinsamen Zeit am Gymnasium kennt, interessiert sich fur die Pastorentochter, kann sie aber nicht fur sich gewinnen.
Nachdem Anna ihm das Jawort gegeben hat, spricht Rudolph mit seiner Mutter, die ihn uberzeugt, die psychische Krankheit vor seiner Verlobten zu verschweigen. Er selbst bleibt unsicher und glaubt, ubersturzt gehandelt zu haben. Es sei nicht moglich, mit Anna zu sprechen, nachdem er sie absichtlich „betrogen“ habe.
Ein halbes Jahr spater wird die Ehe geschlossen. Das junge Paar quartiert sich in dem schon gelegenen Forsthaus ein und verbringt gluckliche Tage. Rudolph vertritt den krankelnden Oberforster und ubernimmt schließlich dessen Aufgaben. Zunachst ist sein adliger Dienstherr zufrieden, doch nach einiger Zeit vermutet er, der junge Mann sei mit der Aufgabe uberfordert. An einer verlassenen Stelle im Wald belauscht der an sich zweifelnde Rudolph ein Gesprach des Grafen, das seine kritische Selbsteinschatzung bestatigt.
Rudolph leidet zunehmend darunter, Anna seine Krankheit verschwiegen zu haben. Von Schuldgefuhlen verfolgt, grubelt er lange vor sich hin. Als er und seine Frau dem Summen der Insektenschwarme lauschen, angstigt er sie mit der dusteren Geschichte von einer schwarzen Fliege, deren Stich todlich sei.
Er fuhlt sich wie „in einem dunklen Kreis gefangen“, befurchtet, die Erkrankung konne zuruckkehren, achtet auf jedes Zeichen, das er als Bestatigung fur den drohenden Ruckfall deutet. So beunruhigt ihn ein Zeitungsbericht uber einen mit Tollwut infizierten Hufschmied, bei dem die Krankheit nach dreizehn Jahren jah ausbrach. Die Frau des Mannes habe in ein verzerrtes Gesicht geblickt und mit ihrem Geschrei die Nachbarn alarmiert, die den Mann fesselten. Rudolph fragt seine Mutter, ob auch er von einem kranken Hund gebissen worden und Anna nun ewig an ihn gebunden sei. Es sei falsch gewesen, das unschuldige Madchen zu betrugen.
Er konsultiert den Facharzt, der ihn in der Klinik behandelt hat und ihn nun uberzeugt, seiner Frau alles zu erzahlen. Doch Rudolph findet keine Gelegenheit dazu.
Als die Belastungen unertraglich scheinen, entschließt er sich zum Suizid und hinterlasst seiner Frau einen Abschiedsbrief, in dem er ihr alles erzahlt. Wahrend sie schlaft, schleicht er sich mit einer geladenen Buchse aus dem Haus. Er erreicht die verlassene Stelle im Wald, wo er die demutigenden Worte des Grafen gehort hat. Dort befindet sich ein Grenzstein, auf dem Runenzeilen erkennbar sind: „Bis hierher, niemals weiter.“
Da wird ihm bewusst, dass mit dem Abschiedsbrief „das furchtbare Schweigen“ ja nun beendet ist und sein Leben beginnen kann.
Nachdem Anna den Brief gelesen hat, eilt sie zu ihm und wird durch einen versehentlich ausgelosten Schuss leicht verletzt. Sie entlastet ihn vom Vorwurf der Schuld, indem sie das Schweigen mit seiner Liebe erklart. Bald wird Rudolph zum Oberforster befordert. Der Graf erklart seinem Schwiegervater, der junge Mann konne „doch mehr, als Chopin spielen“. Vergangenen Montag habe er dem glucklichen Paar „den ersten Jungen aus der Taufe gehoben.“
Entstehung und Veroffentlichung Es ist nicht sicher, woher der Stoff der Novelle kommt und auf welche Quellen Storm zuruckgriff. Man weiß lediglich, dass er sich einige Monate vor der Veroffentlichung seiner Novelle Hans und Heinz Kirch mit dem Thema befasste. So schrieb er am 6. August 1882 an Erich Schmidt, er habe sich „in diesen Tagen“ mit einem Stoff befasst, „der wohl erst Fleisch gewinnen“ werde, „wenn der Sommertrubel voruber“ sei.
Storm hatte das Werk bereits 1881/82 unter dem Arbeitstitel „psychologische Novelle“ entworfen. Als Buchveroffentlichung erschien der Text 1883 unter dem Titel Zwei Novellen. Schweigen. Hans und Heinz Kirch.
Die Kladde- und Konzeptpapiere enthalten einige kurze Szenen und einzelne Satze, die zum Anfangs-, Mittel- und Schlussteil der Novelle gehoren. Auf einem Blatt, das wahrend eines fruheren Entwurfsstadiums entstand, findet sich eine kurze Skizze, in der Storm auch auf die Psychologie der Hauptfigur eingeht: Es belaste den jungen Mann, „daß er seine Frau durch die Verschweigung betrogen“ habe. Er wolle ihr alles erzahlen, komme aber nicht dazu. Als er es endlich sagen will, wird ihm von einer „Warterin aus einer Irrenanstalt“ erzahlt, die „einen geheilt Entlassenen“ geheiratet habe. Danach „verschließt“ er sich wieder, wahrend die „Angst vor der Entdeckung wachst.“
Storm schrieb seinem Sohn Hans am 29. September 1882, dass er sich seit einigen Tagen mit einem noch unfertigen Stoff befasse, durch den er sich keck hindurchschreiben wolle. Die auftretenden Schwierigkeiten und gesundheitlichen Probleme erschwerten allerdings die Arbeit und seien auch deswegen belastend, weil er auf die Erwerbsquelle des Schreibens nicht verzichten konne. Seinem Sohn Karl gegenuber klagte er, dass die Arbeit ihn ausgelaugt habe und wiederholte, dass er „des elenden Geldes wegen“ das Schreiben nicht aufgeben konne. Seine Gesundheit mache ihm zu schaffen, er fuhle die „hereinbrechende geistige Unfahigkeit als ein nagendes Leid“. Scherzhaft fugte er hinzu, dass „die Urvolker, wie die germanischen Bevolkerer Irlands, die Greise“ erschlagen hatten, wenn es keine Nahrung mehr gab. Die Alten hatten aber keine Pension bezogen. Als er das Werk endlich abgeschlossen hatte, glaubte er, dass sich nun nichts Neues mehr gestalten lasse und seine finanzielle Sicherheit gefahrdet sei. Mit der folgenden Novelle Zur Chronik von Grieshuus kam er nur langsam voran.
Storm fiel es nicht leicht, die „psychologisch diftelige(n) Geschichte“ auszuarbeiten, da das Werk einen inneren Konflikt behandelt, der sich in den Handlungen der Figur nur wenig zeigt. Es war ihm verhasst, „das Motiviren vor den Augen des Lesers“ darzustellen, wie er in einem Brief an Paul Heyse erklarte.
Vor allem der Schluss der Novelle bereitete ihm große Probleme. Er konne zwar den Beginn des Heilungsprozesses beschreiben; es sei aber schwierig, „dem Leser das Gefuhl der definitiven Heilung“ zu geben. Erich Schmidt gegenuber raumte er ein, dass er die komplizierten Schlussszenen der Erzahlung „fast jeden Morgen [...] eine Stunde lang“ angestarrt und im Zimmer hin- und hergelaufen sei, um „schließlich alles ebenso wieder wegzupacken“.
Hintergrund und Interpretationsansatz Schweigen gehort zu den wenigen Erzahlungen Storms, die nicht in eine Rahmen- und Binnenhandlung untergliedert sind.
Die Novelle arbeitet mit Gedankenberichten, erlebter Rede und Zeichen des Unbestimmten, mit denen die Bedrohung durch die Krankheit erfasst werden soll.
Wie David A. Jackson ausfuhrt, anderte sich Storms Auffassung von Lebensgluck in den 1870er und 1880er Jahren. Seit der Novelle Beim Vetter Christian werden gutige und hausliche Frauen als ideale Partnerinnen betrachtet. Eine Frau wie die „schwarzaugige[] Baronesse“, die den Sohn der Forstjunkerin boshaft auslachte, als er wahrend einer Theaterprobe „stecken blieb“, scheint ungeeignet zu sein. So empfiehlt der Hausarzt fur den labilen und feinfuhligen Rudolph eine heitere und verstandige Hausfrau, „nur keine Heroine!“. Laut Jackson verbirgt sich hinter Rudolphs Angst vor dem Aufflammen der Krankheit die Sorge des Storm-Sohnes Karl vor der Syphilis. Die gesunde Anna aus der einfachen Pfarrei sei die ideale Gattin und zeige „jene(r) Mutterlichkeit, […] in deren Obhut […] der Mann am sichersten von Leid und Wunden“ ausruhen konne. Neben Karl litten noch weitere Familienmitglieder an der „verschwiegenen Krankheit“, etwa Storms altester Sohn Hans, Storms Bruder Otto (1826–1908) sowie sein Cousin Ernst Esmarch (1821–1908).
Storms eigene Zweifel an dem Werk wurden auch dadurch begrundet, dass Anna sich letztlich als Retterin ihres Mannes und somit doch als „Heroine“ erweist. Durch die finale Wendung der Novelle werde der Held „zu sehr herabgedruckt“, wie er am 4. Juni 1883 in einem Brief an Albert Nieß formulierte.
Das titelgebende Motiv des Schweigens dominiert die Novelle mit etwa dreißig unterschiedlichen Benennungen („Schweigen“, „stumm“, „verstummt“, „still“). Die Momente der Kommunikation sind von Sprachlosigkeit gepragt. Das gilt fur die Augenblicke des Glucks ebenso wie fur die zunehmende Entfremdung der Eheleute; selbst das Bundnis mit der Mutter wird stillschweigend geschlossen. Das „furchtbare Schweigen“ verschleiert auch die seelische Erkrankung des jungen Mannes, die der Erzahler nicht naher benennt, am Anfang der Novelle indes als uberwunden darstellt. So steht nicht die Krankheit selbst, sondern ihre gefahrliche Tabuisierung im Zentrum des Werkes. Unter dem Bann des Schweigens wachst die Angst vor der Ruckkehr der Krankheit bis zur scheinbaren Ausweglosigkeit.
Das Bundnis des Schweigens geht zu Lasten der jungen Ehefrau und kann als Teil einer odipalen Mutter-Sohn-Beziehung gedeutet werden, die am Ende uberwunden werden muss. So erkennt Rudolph im Verlauf der Geschichte, dass er sich „von selbstsuchtiger Mutterliebe […] den Mund“ hat „verschließen lassen“. Als das beinahe todliche Schweigegebot schließlich gebrochen wird, verdeutlicht die erlebte Rede, wie er sich aus der odipalen Bindung lost: „Sein Leben – ja, jetzt konnte es beginnen!“
Fur Marianne Wunsch zeigt sich dies an etlichen Stellen des Textes und uberlagert die moralische Dimension des Werkes, auf die Interpreten wie Theodor Fontane es reduzieren wollten. Gerade die psychologische Bedeutungsebene durfe nicht vernachlassigt werden, da faktisch etwas anderes erzahlt werde als lediglich die Geschichte einer sittlichen Schuld: Rudolph wird nicht aus der Mutterbindung entlassen, von Frau von Schlitz vielmehr als Ersatz ihres toten Gatten instrumentalisiert. Obwohl sie selbst die Verbindung eingefadelt hat, um ihren Sohn seelisch zu stabilisieren, empfindet sie Anna als eine Rivalin.
Am Abend nach der Verlobung reagiert sie mit ambivalenten Gefuhlen, uber deren „Ursachen sie vor sich selber jede Rechenschaft“ vermeidet. Rudolph wird die Rivalitat bewusst. Er erkennt, dass die „Leidenschaft“ seiner Mutter jederzeit dazu fuhren kann, „sich feindselig gegen alle Welt, ja gegen des eigenen Sohnes Weib zu kehren.“ Sein briefliches Gestandnis und sein Plan, sich umzubringen, werden durch den Besuch der Mutter ausgelost, durch ihr Eindringen in den Raum der Ehe. Selbst als es am Morgen darum geht, Rudolph zu retten, rivalisiert Frau von Schlitz mit Anna, die sich letztlich durchsetzen kann.
Wahrend Schweigen ein gluckliches Ende hat, mundet die 1878 veroffentlichte Novelle Carsten Curator in eine Katastrophe. Dem Titelhelden gelingt es nicht, bei seinem Sohn Heinrich gewisse Verhaltensweisen zu andern, die er von der im Kindbett gestorbenen Mutter geerbt hat. Anders als in dem spateren Werk kann die Liebe das Kind nicht retten. So verspielt der junge Mann ihm anvertraute Geldsummen und verliert seine Stellung bei einem Senator. Schließlich gerat der betrunkene Heinrich auf dem Heimweg in eine Sturmflut und ertrinkt. Storm selbst wies auf die Beziehung zu seinem Sohn Hans hin, der dem Alkoholismus verfallen war.
Mit seiner spaten Erzahlung beteiligte sich Storm an den in der Grunderzeit gefuhrten Diskussionen uber Neurasthenie. Das seelische Leiden Rudolphs wird nicht naher spezifiziert, kann aber als dieses Krankheitsbild eingeordnet werden, das Ende des 19. Jahrhunderts haufig diagnostiziert wurde. Laut Yahya Elsaghe sind auch andere Figuren im Spatwerk Storms von der Modekrankheit Neurasthenie betroffen. So lassen sich bei Archimedes Sternow, dem Sohn des Herrn Etatsrats, bei Adolf Marx in Es waren zwei Konigskinder, vor allem aber bei Hauke Haien in der letzten Novelle Der Schimmelreiter Anzeichen dieses Leidens erkennen. Die Charaktere sind ehrgeizig, physisch aber nicht sonderlich robust. Sie neigen dazu, sich zu uberarbeiten, und sind suizidal veranlagt. Wahrend der Sohn der resoluten Frau von Schlitz erst im letzten Moment von der Selbsttotung absieht und Archimedes Sternow sich durch seine ruinose Lebensweise zugrunde richtet, handelt es sich bei Adolf Marx und Hauke Haien um Selbstmorder. Sie zeigen Symptome, die in den zeitgenossischen Diskussionen um Neurasthenie als typisch galten.
Rezeption Storms Zeitgenossen reagierten sehr unterschiedlich auf die Novelle.
Erich Schmidt lobte sie und sprach von einem tiefen Werk, das sich von den alteren „Geschwistern“ unterscheide, den besten allerdings ebenburtig sei. Storm bleibe „der Seelenkundige“, wahrend andere zeitgenossische Dichter lediglich Details „beim Psychiater“ aufsammeln wurden. Storm musse sich uber die Entwicklung seiner Phantasie keine Gedanken machen, die ihm noch „so willig“ sei wie in fruheren Tagen.
In einem weiteren Brief bemangelte er allerdings, dass die Geschichte nicht den tragischen Ausgang nehme, den er erwartet habe. Dennoch gehore sie unbestreitbar zu den bedeutendsten Werken seines Œuvres.
Der Literaturkritiker Wilhelm Petersen bezeichnete das Werk als „große(n) Wurf“. Die Novelle sei tiefgrundig und musse in allen Einzelheiten erfasst werden. Anders als Schmidt begrußte er, dass sie keinen truben Ausgang nimmt, sondern „alle Welt schließlich glucklich und zufrieden“ sei.
Bei allem Lob kritisierte Paul Heyse vor allem das Ende der Erzahlung. Schweigen sei „Gold“, „die Figur der Mutter vortrefflich“, der Schluss allerdings eher eine „eine Legierung mit unedlerem Metall“. Storm habe nicht uberzeugend darstellen konnen, wie der Konflikt gelost wird. Die Katastrophe musse „wie aus der Wurzel des Problems heraussprießen“, was allerdings schwer zu realisieren sei. Dass Rudolph seine Frau verwundet und dann „den ungeheuren Weg […] nach Hause tragt“, sei „zu uneinfach.“ Die Konfliktlosung wirke angestrengt und gekunstelt.
Storm brauche sich vor „dem Gespenst der Senilitat“ nicht zu furchten. Es sei nicht ungewohnlich, dass einige Motive nur langsam entwickelt werden konnen.
Theodor Fontane, der sich immer wieder mit Werken Storms auseinandersetzte und vor allem seine Lyrik lobte, kam zu einem vernichtenden Urteil. In seinen spaten Erinnerungen an Theodor Storm bezeichnete er den Stoff als gut; der Autor sei allerdings „im Komponieren und Erfinden“ immer „sehr schwach“. Es gehe ihm permanent darum, „eine gewisse schwule bibbrige Stimmung“ zu erzeugen, wobei „alles andre verloren“ gehe.
Gottfried Keller reagierte wohlwollender. Er habe die Novelle „mit großem Behagen“ gelesen und konne keine Altersspuren in ihr entdecken. Alles sei lebendig und sicher gezeichnet. Er lobte, dass Storm keine „psychiatrische Studie“ geliefert, sondern einen seelischen Vorgang poetisch dargestellt und eine Form gewahlt habe, die ohnehin „nicht fur eine medizinische Zeitschrift bestimmt“ sei.
Die neuere Forschung sieht in den Darstellungsproblemen, die Storm in vielen Briefen ansprach, auch Merkmale spatrealistisch-fruhmodernen Erzahlens. Fur Marianne Wunsch etwa hangen die Schwierigkeiten weniger mit der Qualitat des Textes als vielmehr damit zusammen, dass er mit ihm von Grundstrukturen des Realismus abwich, den er und andere Autoren begrundet hatten und der die Basis des eigenen Schaffens war. In der Novelle experimentiere er mit einer neuen Konzeption der Psyche und psychischen Dynamik, indem ein unbewaltigtes Problem sich aus dem Unbewussten auf das bewusste Ich auswirke. Mit Schweigen bewege Storm sich an den Grenzen des Realismus. Fontanes Urteil zeuge von Inkompetenz und Verstandnislosigkeit. Laut Christoph Deupmann gehort das Werk zu den literarischen Versuchen, die Abgrunde der menschlichen Seele auszuloten. In zeitlicher Nahe zu Storms Erzahlung sei dies auch in Henrik Ibsens Drama Gespenster und in Gerhart Hauptmanns „novellistischer Studie“ Bahnwarter Thiel zu beobachten.
Literatur Christoph Deupmann: Schweigen. In: Storm-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Metzler, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-476-02623-1, S. 228–229.
Karl Ernst Laage: Kommentar. In: Karl Ernst Laage, Dieter Lohmeier (Hrsg.): Theodor Storm. Samtliche Werke in vier Banden. Band 3, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1998, S. 826–842.
Marianne Wunsch: Experimente Storms an den Grenzen des Realismus: neue Realitaten in „Schweigen“ und „Ein Bekenntnis“. In: Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft. Band 41, Boyens, Heide in Holstein 1992, S. 13–23.
Einzelnachweise
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Schweigen ist der Titel einer Novelle von Theodor Storm, die im Mai 1883 in der Deutschen Rundschau erstmals veroffentlicht wurde. Die erste Buchausgabe erfolgte im selben Jahr zusammen mit der Novelle Hans und Heinz Kirch.
In der Erzahlung geht es um die Entwicklung eines jungen Mannes, dessen psychische Erkrankung zunachst tabuisiert und verschwiegen wird. Die dadurch ausgelosten Schuldgefuhle gegenuber seiner jungen Frau fuhren ihn an den Rand des Suizids.
Storm hatte erhebliche Probleme, das Werk abzuschließen, und war mit dem Ergebnis unzufrieden. Die neuere Forschung sieht in den Schwierigkeiten, die er in vielen Briefen ansprach, auch Merkmale des Ubergangs vom Realismus zur fruhen Moderne.
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Byron Aloysius St Elmo Lee, OJ CD (* 27. Juni 1935 in Christiana, Manchester Parish; † 4. November 2008 in Kingston) war ein jamaikanischer Musiker (Bassist und Bandleader), Konzertpromoter, Musikproduzent und Studiobesitzer. Seine Band Byron Lee & The Dragonaires hatte im ersten James-Bond-Film James Bond – 007 jagt Dr. No einen musikalischen Auftritt.
Werdegang Byron Lee war wie seine Mitbewerber Leslie Kong und Vincent Chin Jamaikaner chinesischer Abstammung. Lees Vater war Migrant aus Kowloon, Hongkong, die Mutter war schwarz. Byron kam als altester von drei Sohnen in Christiana zur Welt. Die Familie zog nach Kingston, als er acht Jahre alt war. Dort besuchte er nacheinander das katholische Internat Mount St. Joseph’s, die Jesuitenschule Campion College und das traditionsreiche St. George’s College. Am Internat brachte ihm eine Nonne Klavierspielen bei, um ihn dadurch von „unreinen“ Gedanken abzuhalten.
Am St. George’s College grundete er mit den Kommilitonen Carl Brady, Ronnie Nasralla, Alty East und Ronald Peralto seine erste Band. Die Gruppe, deren Bassist und Bandleader Lee war, benannte sich nach der Fußballmannschaft von St. George’s, den Dragonaires. Byron Lee & The Dragonaires entwickelten sich schnell zu einer beliebten Showband. Im Jahr 1959 nahm Edward Seaga mit Dumplings ihre erste Single auf. Der Anthropologe und Geschaftsmann machte Lee spater auch mit der neuen jamaikanischen Musikrichtung Ska bekannt.
Im Jahr 1962 engagierten die Filmproduzenten Albert R. Broccoli und Harry Saltzman Byron Lee & The Dragonaires, um einige karibische Musikstucke fur den Film James Bond – 007 jagt Dr. No einzuspielen, denn der erste James-Bond-Film spielte in Jamaika. Auf dem Soundtrack enthalten sind Jump Up, Jamaican Rock, Under the Mango Tree und Kingston Calypso (Three Blind Mice). Lee war auch im Film zu sehen: als Bandleader im „Puss-Fellers Club“, wo sein Ensemble den Song Jump Up auffuhrt.
Byron Lee & The Dragonaires sind im Dokumentarfilm This Is Ska! der BBC aus dem Jahr 1964 zu sehen. Die Band begleitete an verschiedenen Abenden im „Sombrero Club“ Sanger wie Jimmy Cliff, Prince Buster, The Maytals, The Charmers und Stranger Cole. Gleich zu Beginn der Doku spielt die Band den Titel Jamaica Ska, wahrend eine Gruppe von Menschen den dazu passenden Tanz auffuhrt. Auf Edward Seagas Vermittlung hin traten Byron Lee & The Dragonaires im selben Jahr auf einem Ska-Festival der New Yorker Weltausstellung auf, um Desmond Dekker, Jimmy Cliff, Prince Buster, Monty Morris und Lloyd Willis von den Charmers zu begleiten und somit die jamaikanische Musik auch in den Vereinigten Staaten popular zu machen.
Im Jahr 1965 grundete er gemeinsam mit dem Konzertpromoter Victor Samson das Unternehmen „Lee Enterprises“. Mit der Firma sollten Konzerte angesagter US-amerikanischer Kunstler, wie The Drifters, James Brown und Sammy Davis Jr., auf Jamaika organisiert werden. Daruber hinaus begleiteten die Dragonaires weiterhin fuhrende Ska- und Reggae-Sanger ihrer Zeit wie Higgs & Wilson, Millie Small und Toots & the Maytals. Lee produzierte das Solodebut von Boris Gardiner, sowohl die Instrumentalsingle Elizabethan Reggae als auch das Album Reggae Happening. Von 1971 bis 1976 arbeitete er mit Hopeton Lewis als Sanger, Komponist und Arrangeur seiner Dragonaires zusammen. Lee produzierte auch zwei Soloalben von Lewis.
Inspiriert vom Calypso-Karneval auf Trinidad rief er ab 1990 den jahrlichen Jamaika-Karneval ins Leben. Lee tourte weiterhin und begleitete die fuhrenden Soca-Stars von den verschiedenen Inseln. Im Jahr 1993 landete er mit der Hymne Bacchanal Time von Super Blue einen weiteren Hit.
Lee starb am 4. November 2008 an Krebs.
Familie Byron Lee hinterließ seine Ehefrau Sheila, mit der er 41 Jahre verheiratet war, zwei Sohne und vier Tochter.
Dynamic Sounds Byron Lee erwarb 1968 die West Indies Records Limited (WIRL-Studios) inklusive abgebranntem Plattenpresswerk von seinem Musikproduzenten Edward Seaga, der sich inzwischen allein auf seine politische Karriere konzentrieren wollte. Lee baute das Presswerk wieder auf und eroffnete 1969 die Studios unter dem Namen Dynamic Sounds in der Bell Road 15 in Kingston. Dynamic Sounds verfugte uber einen Vierspurrekorder, zwei große Raume mit unterschiedlicher Akustik, war wie eine Festung gesichert und lockte auch internationale Stars auf die Insel. Paul Simon nahm hier seine Single Mother and Child Reunion (1971) auf und die Rolling Stones ihren Hit Angie (1973). Eine ganzseitige Anzeige im Billboardmagazin vom 15. September 1973 nennt weitere Namen, wie Jimmy Cliff, Dandy Livingstone, Johnny Nash, Roberta Flack, Peter, Paul and Mary, Eddie Kendricks und Elton John. Die Anzeige wirbt mit Fotos von Cat Stevens und den Rolling Stones (mit Billy Preston) sowie dem Slogan „Make a Hit in the Sun!“ fur das modernste Studio der Karibik: „They really dug our modern, up-to-date equipment and technical know-how. They enjoyed working without the hassle of screaming mobs of teeny-boppers.“ (deutsch: „Von unserer modernen Ausrustung und unserem technischen Know-how waren sie total begeistert. Sie haben es genossen, ohne den Stress einer schreienden Meute von Teenie-Boppern zu arbeiten.“)
Zur Ausstattung gehorten 1973 ein 16-Track-MCI-Rekorder mit Dolby, ein Mellotron und ein Synthesizer sowie weitere Instrumente. Zum Paket gehoren Fahrdienst und „Complete Security“.
Ehrungen Order of Distinction, Officer Class (1982)
Order of Distinction, Commander Class (2007)
Order of Jamaica (2008)
Stimmen von Kollegen Diskografie (Auswahl) = Eigene Aufnahmen =
1959: Dumplings (WIRL)
1962: Dr. No (Original Motion Picture Soundtrack), enthalt die Titel Jump Up, Jamaican Rock, Under the Mango Tree und Kingston Calypso (Three Blind Mice) von Byron Lee & The Dragonaires
1962: Come Fly with Lee (Umbrella Records)
1964: Byron Lee & The Dragonaires Plays Jamaica Ska (Kentone Records)
1966: The Sounds of Jamaica: Byron Lee & The Dragonaires at The Towers Hall – Lake George Inn 1963 (Dynamic Sounds)
1966: Jump Up (Federal / Atlantic)
= Produktionen (Auswahl) =
1966: Bam Bam von The Maytals with Byron Lee & The Dragonaires (Doctor Bird)
1969: Elizabethan Reggae von Boris Gardiner (Duke Records)
1970: Reggae Happening von Boris Gardiner (Trojan)
1972: Johnny Too Bad von The Slickers (Island)
1973: Grooving Out on Life von Hopeton Lewis (Dynamic Sounds / Trojan)
1973: Bend Down Low und Cecilia fur Herbie Mann (Atlantic Records)
Filmografie 1962: James Bond – 007 jagt Dr. No, Regie: Terence Young, Vereinigtes Konigreich.
1964: This Is Ska! Dokumentarfilm der BBC.
Weblinks Byron Lee bei AllMusic (englisch)
Byron Lee bei Discogs
Byron Lee bei IMDb
Byron Lee & The Dragonaires bei Bandcamp
Pat Ganase: Byron Lee: Soca Dragon, Caribbean Beat, Ausgabe 30 vom Marz/April 1998.
Nachruf
David Katz: Byron Lee In: The Guardian vom 12. Dezember 2008 (englisch)
Musikbeispiele
Byron Lee & The Dragonaires: Dumplings auf YouTube
Byron Lee & The Dragonaires: Jump Up auf YouTube
Byron Lee & The Dragonaires: Jamaica Ska auf YouTube
Byron Lee & The Dragonaires feat. Toots & The Maytals: 54-46 That’s My Number auf YouTube
Einzelnachweise
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Byron Aloysius St Elmo Lee, OJ CD (* 27. Juni 1935 in Christiana, Manchester Parish; † 4. November 2008 in Kingston) war ein jamaikanischer Musiker (Bassist und Bandleader), Konzertpromoter, Musikproduzent und Studiobesitzer. Seine Band Byron Lee & The Dragonaires hatte im ersten James-Bond-Film James Bond – 007 jagt Dr. No einen musikalischen Auftritt.
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c-843
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Dies Irae ist ein anonymes Adbusting-Kollektiv, das seit 2013 deutschlandweit mit Plakataktionen im Guerillamarketing-Stil Aufmerksamkeit weckt. Bekannt ist das Kollektiv fur seine Adbusting-Aktionen, bei denen es Werbeflachen im offentlichen Raum verandert oder mit nicht autorisierten Plakaten bespielt. Die Werke von Dies Irae behandeln aktuelle gesellschaftliche Themen und arbeiten haufig mit Mitteln der Satire.
Name Der Name des Kollektivs „Dies Irae“ ist lateinisch und bedeutet „Tag des Zorns“. Die Worter „Dies irae“ sind der Anfang eines mittelalterlichen Hymnus uber das Jungste Gericht.
Arbeitsweise Fur ihre Adbusting-Aktionen im Guerilla-Marketing-Stil manipuliert Dies Irae Werbeflachen im offentlichen Raum. Bei manchen der Aktionen uberklebt oder ubermalt das Kollektiv Teile von Werbeflachen, um die Werbebotschaft zu verkehren oder den manipulierenden Charakter einer Werbeaussage aufzudecken.
Bei anderen Aktionen schraubt Dies Irae City-Light-Werbeflachen auf und uberhangt die Werbemotive mit eigenen nicht autorisierten Plakaten. Dabei entwendet und zerstort das Kollektiv kein Eigentum. Zum Aufschließen der Werbeflachen verwendet das Kollektiv sowohl handelsubliches Werkzeug wie Rohrsteckschlussel als auch speziell angefertigte Werkzeuge. Fur die nicht autorisierten Aktionen kleidet sich Dies Irae in der Regel in Warnwesten, um sich als autorisiertes Personal zu tarnen. Die Plakate sind haufig nur wenige Stunden zu sehen, bevor sie von den Werbeunternehmen oder der Polizei entfernt werden.
Inhaltlich arbeitet Dies Irae in der Regel mit Mitteln der Satire oder der Persiflage. Teilweise gestaltet das Kollektiv dabei originare Motive zu von dem Kollektiv als gesellschaftlich relevant angesehenen Themen. Andere Male wandelt das Kollektiv bereits bestehende Werbeplakate inhaltlich und gestalterisch ab.
Dies Irae finanziert sich zum Teil aus Spendengeldern. Dazu ruft das Kollektiv gelegentlich zu Crowdfunding-Kampagnen auf. 2017 wurde die Gruppe durch die Biermarke Quartiermeister mit 1.000 Euro gefordert.
Aktionen Dies Irae fuhrt bundesweit in unregelmaßigen Abstanden Guerilla-Aktionen durch, bei denen das Kollektiv Werbung auf offentlichen Werbeflachen abwandelt oder mit nicht autorisierten Plakaten uberhangt. Einige Beispiele fur ihre Aktionen sind:
Juli 2015: Plakatreihe gegen Rechtsextremismus, aufgehangt an Bushaltestellen in der sachsischen Stadt Freital
April 2016: Plakat zum Streit um den Satiriker Jan Bohmermann und den turkischen Prasidenten Recep Tayyip Erdogan, aufgehangt vor der turkischen Botschaft in Berlin: „#mimimimimimimimimimimimimimimi“
Marz 2021: Plakat uber den damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer: „#Polizeiproblem“
Juni 2022: Plakat uber den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schroder: „Skandal um 77-jahrigen Hannoveraner“
September 2022: Abwandlung eines FDP-Wahlplakates mit dem Finanzminister Christian Lindner zu dem Thema 9-Euro-Ticket: „Kein Geld fur OPNV? Sollen sie doch Porsche fahren.“
Oktober 2024: Plakat mit abgewandeltem Oktoberfest-Motiv im Geolino-Design, das die Gefahren von Alkohol, speziell fur Jugendliche und Kinder, persifliert.
November 2024: Plakat mit einem vermeintlichen Titel von Der Spiegel („Der Flegel“) und einem Bild von Thomas Gottschalk, auf dem kontroverse Aussagen aus seinem letzten Buch und aus Interviews thematisiert wurden.
Strafrechtliche Verfolgung Wegen ihrer Aktionen wurde Dies Irae in einigen Fallen von den betroffenen Unternehmen verklagt. Zum Teil erstatten die Betroffenen Strafanzeige unter anderem wegen Sachbeschadigung, Diebstahl von Plakaten und Beleidigungen. Die Verfahren haben bisher nicht zu Verurteilungen gegen die beschuldigten Mitglieder der Gruppe gefuhrt. So ermittelte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden 2021 aufgrund des Plakates „#Polizeiproblem“ uber den ehemaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer gegen Mitglieder der Gruppe wegen „verfassungsfeindlicher Verunglimpfung“. Im Zuge des Verfahrens wurden DNA-Spuren und Fingerabdrucke sichergestellt. Das Verfahren wurde jedoch im Jahr 2022 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da kein hinreichender Tatverdacht bestand.
Weblinks Dies Irae bei Facebook
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Referenzen
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Dies Irae ist ein anonymes Adbusting-Kollektiv, das seit 2013 deutschlandweit mit Plakataktionen im Guerillamarketing-Stil Aufmerksamkeit weckt. Bekannt ist das Kollektiv fur seine Adbusting-Aktionen, bei denen es Werbeflachen im offentlichen Raum verandert oder mit nicht autorisierten Plakaten bespielt. Die Werke von Dies Irae behandeln aktuelle gesellschaftliche Themen und arbeiten haufig mit Mitteln der Satire.
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Der undurchschaubare Marritza (Originaltitel: Duet) ist die 19. Folge der ersten Staffel der US-amerikanischen Science-Fiction-Fernsehserie Star Trek: Deep Space Nine. Sie wurde in den Vereinigten Staaten uber Syndication vermarktet und erstmals am 13. Juni 1993 auf verschiedenen Fernsehsendern ausgestrahlt. In Deutschland war sie zum ersten Mal am 22. Mai 1994 in einer synchronisierten Fassung auf Sat.1 zu sehen.
Handlung Im Jahr 2369 legt ein kobheerianischer Frachter an der Raumstation Deep Space Nine an. An Bord befindet sich ein Passagier, der medizinische Hilfe benotigt. Nach Aussage des Captains leidet er am Kalla-Nohra-Syndrom. Das lasst Major Kira Nerys, die bajoranische Verbindungsoffizierin der Station, aufhorchen, denn es handelt sich um eine außerst seltene Krankheit. Samtliche bekannten Falle traten wahrend der cardassianischen Besatzung Bajors bei einem Unfall im Arbeitslager Gallitep auf. Kira hatte vor zwolf Jahren bei der Befreiung des Lagers mitgewirkt und dabei schreckliche Dinge gesehen: Uberall lagen Leichen, gestorben durch Hunger und Misshandlung; Frauen waren vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigt worden und Alte waren von den Cardassianern lebendig begraben worden, wenn sie nicht mehr arbeiten konnten. Kira zeigt daher ein besonderes Interesse an dem Fall.
Als sich herausstellt, dass der Patient nicht wie erwartet ein bajoranischer Uberlebender des Lagers, sondern ein Cardassianer ist, lasst Kira den Mann sofort festnehmen. Sicherheitschef Odo identifiziert ihn als Aamin Marritza. Da er auf Bajor aber nicht als Kriegsverbrecher gesucht wird, gibt es keinen Grund, ihn weiter festzuhalten. Als Kira ihm sehr eindringlich die grauenvollen Zustande beschreibt, die sie in Gallitep vorfand, beschließt Commander Sisko, Marritza noch einige Fragen zu stellen, bevor er ihn leichtfertig gehen lasst. Marritza behauptet, er habe in Wirklichkeit das Pottrik-Syndrom, das dem Kalla-Nohra-Syndrom sehr ahnlich ist. Er sei lediglich in der Datenverarbeitung tatig und in Gallitep sei er nie gewesen. Eine Untersuchung von Stationsarzt Bashir ergibt, dass er nicht die Wahrheit sagt und tatsachlich das Kalla-Nohra-Syndrom hat. Kira unterrichtet wahrenddessen die bajoranische Regierung und Minister Kaval verlangt daraufhin von Sisko, Marritza weiterhin festzuhalten, wahrend gepruft wird, ob er in Gallitep stationiert war oder nicht. Kira wird mit der Leitung der Ermittlung beauftragt.
Ein Bajoraner, der in Marritzas Nachbarzelle einsaß, wird von Odo freigelassen. Im Hinausgehen außert er die Hoffnung, dass der Cardassianer gehangt wird. Kira betritt den Zellentrakt und konfrontiert Marritza mit Bashirs Untersuchung. Er gibt schließlich zu, dass er in Gallitep war, allerdings nur als einfacher Beamter in der Verwaltung. Fur die Verbrechen an den Gefangenen war hingegen der Lagerkommandant Gul Darhe’el verantwortlich. Marritza versucht außerdem, die Verbrechen kleinzureden und die Todesfalle als Unfalle und interne Kampfe der Gefangenen darzustellen. Schließlich behauptet er, Darhe’el habe bewusst falsche Geruchte uber Massaker in Umlauf gebracht, um die bajoranische Bevolkerung einzuschuchtern.
Auch die cardassianischen Behorden haben inzwischen Kenntnis von Marritzas Gefangennahme erhalten. Gul Dukat verlangt von Sisko die umgehende Freilassung dieses „unbescholtenen Burgers“. Kira ringt derweil mit ihren Gefuhlen. Fur sie ist Marritza bereits durch seine bloße Anwesenheit in Gallitep schuldig, auch wenn er nur ein kleiner Verwaltungsbeamter war. Ein solches Denken dient aber nur der Befriedigung ihres Rachebedurfnisses und sie weiß, dass bloße Rache nicht genug ist. Sie wird auf die Ops gerufen, denn es sind Daten aus dem bajoranischen Zentralarchiv eingetroffen. Diese bestatigen, dass Marritza in Gallitep stationiert war. Die Daten beinhalten auch ein Foto, doch der Mann, der dort als Marritza gekennzeichnet ist, hat keinerlei Ahnlichkeit mit dem Mann in der Zelle. Ein anderer Mann auf dem Foto gleicht ihm jedoch perfekt: Laut Beschriftung ist es Gul Darhe’el!
Als Kira dem Gefangenen die neuen Fakten vorlegt, gibt dieser unumwunden zu, Darhe’el zu sein, obwohl er weiß, dass ihm nun die Hinrichtung droht. Er spricht jetzt voller Stolz von seinen Taten und verspottet den bajoranischen Widerstand, insbesondere Kira und die Shakaar-Widerstandszelle, der sie angehort hatte. Diese Bemerkung macht Odo stutzig, denn Kira hatte dem Gefangenen nie gesagt, dass sie in der Shakaar-Zelle war, und Odo fragt sich, woher er diese Information hat. Darauf angesprochen behauptet der Gefangene, er habe Kiras Namen einst in einem Bericht gelesen und sich jetzt wieder daran erinnert. Odo fallen weitere Merkwurdigkeiten auf: Vor drei Monaten wurde an den Stationscomputer eine Anfrage bezuglich Kira gestellt und zwar von Aamin Marritza. Odo bittet Dr. Bashir, Marritzas Krankenakte anzufordern. Anschließend nimmt er Kontakt zu Gul Dukat auf. Von ihm erfahrt er, dass Darhe’el bereits verstorben ist. Er hat auf Cardassia ein Staatsbegrabnis bekommen und ein Monument wurde ihm zu Ehren errichtet. Dukat ist vollig uberrascht, als er erfahrt, dass der Gefangene exakt wie Darhe’el aussieht und zugegeben hat, dieser zu sein. Er gewahrt Odo daher begrenzten Zugriff auf die cardassianischen Aufzeichnungen.
Kira fuhrt ihre Unterredung mit dem Gefangenen fort. Er fragt sie, wie viele Cardassianer sie getotet hat, als sie im Widerstand war, und wirft ihr vor, dass sich darunter sicherlich auch Zivilisten befanden. Kira gibt zu, dass sie nicht auf alle ihre Taten stolz ist, aber letztlich keine Wahl hatte, denn es ging um das Uberleben ihres Volks. Der Gefangene erwidert, dass es auch ihm nur ums Uberleben des Cardassianischen Reichs ging, denn dieses war dringend auf die Rohstoffe von Bajor angewiesen. Dass die Bajoraner seine Taten als Genozid betrachten, kummere ihn daher nicht. Die Unterhaltung wird unterbrochen, als Kira zu einer Besprechung in Siskos Buro gerufen wird. Ihr wird eine Sterbeurkunde vorgelegt, aus der hervorgeht, dass Darhe’el bereits seit sechs Jahren tot ist. Odo hat aber noch mehr herausgefunden: Zu der Zeit, als in Gallitep das Kalla-Nohra-Syndrom ausbrach, war Darhe’el gar nicht anwesend, sondern auf Cardassia, wo ihm eine Auszeichnung verliehen wurde. Er konnte sich also gar nicht infiziert haben. Auch uber Marritza hat Odo einiges zu berichten: Er hat vor seiner Abreise noch all seine Angelegenheiten geregelt und dann ein Raumschiff gebucht, das ausdrucklich Deep Space Nine anfliegt. Es scheint ganz so, als habe er sich absichtlich gefangen nehmen lassen. Bashir prasentiert schließlich noch die Erkenntnisse aus Marritzas Krankenakte: Er nimmt große Mengen eines Hautpflegemittels, das ublicherweise nach kosmetischen Operationen verwendet wird. Nun ist klar, dass der Gefangene tatsachlich Marritza ist, der das Aussehen von Darhe’el angenommen hat.
Kira will den Grund dafur erfahren, doch der Gefangene bezeichnet die Unterlagen als Falschungen. Er behauptet weiterhin, Darhe’el zu sein, und beschreibt akribisch seine Taten. Er streitet ab, Marritza zu sein. Er bezeichnet ihn als einen unnutzen Feigling, der sich jede Nacht wimmernd in seinem Bett verkroch, weil er die Schreie der Bajoraner nicht mehr ertragen konnte. Schließlich bricht er weinend zusammen. Er bittet Kira, den bajoranischen Behorden nicht seine wahre Identitat mitzuteilen, denn er mochte weiter als Darhe’el gelten und an dessen Stelle bestraft werden. Er will dies fur Cardassia tun, denn er ist uberzeugt, dass sein Volk nur uberleben kann, wenn es seine Schuld gegenuber Bajor eingesteht. Kira verweigert ihm diese Bitte, denn sie findet, dass es bereits genug Tote gab, und sie mochte nicht noch jemanden umbringen.
Schließlich wird Marritza freigelassen. Als Kira und Odo mit ihm uber das Promenadendeck laufen, bemerkt ihn sein kurzzeitiger bajoranischer Zellengenosse. Er geht auf ihn zu und rammt ihm ein Messer in den Rucken. Marritza stirbt noch an Ort und Stelle. Die fassungslose Kira will wissen, warum der Bajoraner das getan hat, obwohl sich doch herausgestellt hat, dass es sich gar nicht um Darhe’el handelt. Der Bajoraner antwortet, er sei Cardassianer und das sei Grund genug, doch fur Kira ist das inzwischen kein ausreichender Grund mehr.
Verbindungen zu anderen Star-Trek-Produktionen Kiras Vergangenheit im bajoranischen Widerstand wird hier naher beleuchtet. Erstmals wird erwahnt, dass sie der Shakaar-Widerstandszelle angehorte. Deren Anfuhrer Shakaar Edon und weitere ehemalige Mitglieder treten spater in mehreren Folgen von Star Trek: Deep Space Nine auf.
Die Kobheerianer, die in dieser Folge ihren zweiten Auftritt haben, werden hier erstmals namentlich genannt. Ebenso wird etabliert, dass dieses Volk Mitglied der Foderation ist.
Der undurchschaubare Marritza diente als Vorbild fur Folge 1.15 (Dr. Jetrels Experiment) von Star Trek: Raumschiff Voyager aus dem Jahr 1995, in der ebenfalls eine schwere historische Schuld thematisiert wird. Wahrend Der undurchschaubare Marritza eine Anspielung auf den Holocaust ist, ist Dr. Jetrels Experiment eine auf die Atombombenabwurfe auf Hiroshima und Nagasaki.
Produktion = Drehbuch =
Der Arbeitstitel der Folge lautete The Higher Law.
Der Ausgangspunkt fur den ursprunglichen Entwurf von Lisa Rich und Jeanne Carrigan-Fauci war die Idee, dass jemand seinen schlimmsten Feind verteidigen muss. Es lag nahe, daraus eine Geschichte um Kira zu machen, die einen Cardassianer und mutmaßlichen Kriegsverbrecher verteidigen muss. Dieser ursprungliche Entwurf war eher als klassisches Gerichtsdrama im Stil von Urteil von Nurnberg konzipiert und wurde noch stark umgeschrieben, da es bereits in Folge 1.08 (Der Fall “Dax”) eine Gerichtsverhandlung gegeben hatte.
Die Folge ist von Robert Shaws Theaterstuck The Man in the Glass Booth von 1967 inspiriert, in dem der Jude Arthur Goldman beschuldigt wird, ein Nazi-Kriegsverbrecher zu sein. Das Theaterstuck ist seinerseits von realen Ereignissen wie den Nurnberger Prozessen und der Jagd nach untergetauchten Nazi-Kriegsverbrechern, insbesondere Adolf Eichmann, beeinflusst.
Der undurchschaubare Marritza ist eine von nur ganz wenigen Folgen der Serie Star Trek: Deep Space Nine, die nur aus einem Handlungsstrang bestehen.
= Darsteller =
Die Hauptfigur Jake Sisko (Cirroc Lofton) hat in dieser Folge keinen Auftritt.
Robin Christopher spielte Neela noch einmal in Folge 1.20 (Blasphemie) von Star Trek: Deep Space Nine.
Norman Large, Darsteller von Viterian, hatte zuvor bereits Prokonsul Neral in der Doppelfolge 5.07/08 (Wiedervereinigung?) von Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert gespielt. Er spielte spater noch Maques in Folge 7.07 (Ort der Finsternis) von Raumschiff Enterprise – Das nachste Jahrhundert sowie einen Kazon und einen Ocampa in je einer Folge von Star Trek: Raumschiff Voyager. Seine Szenen als Viterian wurden in Folge 3.05 (Die zweite Haut) von Star Trek: Deep Space Nine wiederverwendet.
Analyse Victor Grech arbeitete 2020 zahlreiche Parallelen heraus, mit denen die Folge auf reale Vorbilder aus der Zeit des Nationalsozialismus verweist. So wird Gul Darhe’el beispielsweise als „Schlachter von Gallitep“ bezeichnet. Grech sah darin eine mogliche Anspielung auf Klaus Barbie, bekannt als der „Schlachter von Lyon“, oder auch auf Amon Goth, den „Schlachter von Płaszow“, der als Kommandant des KZ Plaszow tatsachlich die Macht uber Leben und Tod der Haftlinge hatte und personlich zahlreiche Menschen folterte und ermordete. Auch die Praxis der Cardassianer, die Bajoraner nicht nur zu toten, sondern vorher zu demutigen und zu foltern und hieruber gezielt Geruchte zu verbreiten, gleicht dem Vorgehen im Nationalsozialismus. Zum einen wurde laut Grech damit erreicht, dass Außenstehende die Graueltaten als unglaubwurdig und „bloße Propaganda“ abtaten. Zum anderen konnen Demutigung und Folter weitaus schlimmer als der Tod sein. Wie schon Hannah Arendt nach ihrem Studium des Eichmann-Prozesses bemerkte, wurden diese Methoden ganz bewusst angewendet, damit sich die judischen Haftlinge am Ende widerstandslos ihrem Schicksal ergaben. In Marritzas Stellung als Verwaltungsbeamter sah Grech weiterhin eine klare Parallele zu Adolf Eichmann. Ebenso wie Eichmann ist Marritza sehr stolz auf die angebliche Effizienz seiner Arbeit. In dem von Marritza entwickelten Dateisystem sah Grech eine Parallele zu den Methoden der Nazis, die in den 1930er Jahren mit damals modernsten Rechenmethoden Juden registrierten, um sie spater der Deportation, Zwangsarbeit und Vernichtung zuzufuhren. In Marritzas Außerung, die Besatzung Bajors habe dem Wohl von Cardassia gedient, sah Grech einen Verweis auf das Konzept des „Lebensraums im Osten“. Als Marritza sich als Darhe’el ausgibt, behauptet er, sein Ziel ware es gewesen, jeden einzelnen Bajoraner in Gallitep zu toten, und dass ihm dies nicht gelungen sei, ware das einzige, was er in seinem Leben bedaure. Dies erinnerte Grech an die SS-Einsatzgruppen, die in der Endphase des Zweiten Weltkriegs bis zuletzt an der Deportation und Ermordung von KZ-Insassen festhielten.
Rezeption Mit 9,1 von 10 moglichen Punkten (Stand 2022) ist Der undurchschaubare Marritza die in der Internet Movie Database am viertbesten bewertete Folge von Star Trek: Deep Space Nine.
Die Zeitschrift Cinefantastique fuhrte Der undurchschaubare Marritza im Jahr 2000 als die beste Folge von Star Trek: Deep Space Nine.
Terry J. Erdmann und Paula M. Block listen Der undurchschaubare Marritza in ihrem 2008 erschienenen Referenzwerk Star Trek 101 als eine der zehn wichtigsten Folgen der Serie Star Trek: Deep Space Nine auf.
Keith DeCandido bewertete Der undurchschaubare Marritza 2013 auf tor.com als eine der besten Folgen von Star Trek: Deep Space Nine. Ihm gefiel, dass die Cardassianer, die in fruheren Auftritten durchgangig als bose dargestellt wurden, hier erstmals eine starkere Differenzierung erhalten. Mit Marritza wird erstmals ein Cardassianer gezeigt, der die Besatzung Bajors tatsachlich als Verbrechen sieht und auf seine Art ein Zeichen dagegen setzen mochte. DeCandido fand es gut inszeniert, dass sich erst allmahlich herausstellt, dass Kira und Marritza das gleiche Ziel verfolgen, namlich den Toten von Gallitep Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Schauspielleistung von Harris Yulin empfand DeCandido als herausragend, auch das Schauspiel von Nana Visitor sowie von Avery Brooks und Rene Auberjonois hob er lobend hervor.
Scott Collura und Jesse Schedeen fuhrten Der undurchschaubare Marritza 2013 auf ign.com in einer Liste der 25 besten bis dahin ausgestrahlten Star-Trek-Folgen auf Platz 10.
Charlie Jane Anders fuhrte Der undurchschaubare Marritza 2014 auf gizmodo.com in einer Liste der 100 besten bis dahin ausgestrahlten Star-Trek-Folgen auf Platz 24.
Ed Gross listete Der undurchschaubare Marritza 2016 auf empireonline.com in einer Aufstellung der 50 besten bis dahin ausgestrahlten Star-Trek-Folgen auf Platz 33.
Aaron Couch und Graeme McMillan erstellten 2016 anlasslich des 50-jahrigen Jubilaums von Star Trek in Zusammenarbeit mit verschiedenen Beteiligten aus dem Franchise fur den Hollywood Reporter eine Liste der 100 besten bis dahin ausgestrahlten Folgen. Der undurchschaubare Marritza wurde hierbei auf Platz 35 gewahlt.
Caroline Siede empfahl Der undurchschaubare Marritza 2016 auf vox.com als eine von funf Folgen von Star Trek: Deep Space Nine, die Neulingen einen guten Einstieg ins Star-Trek-Franchise ermoglichen.
Aaron Couch und Graeme McMillan erstellten 2016 fur den Hollywood Reporter eine Liste der 20 besten Folgen von Star Trek: Deep Space Nine. Der undurchschaubare Marritza fuhrten sie dabei auf Platz 7.
Edward Cambro erstellte 2017 fur die Website screenrant.com eine Liste der 15 dustersten Star-Trek-Folgen und fuhrte Der undurchschaubare Marritza darin auf Platz 1.
Angelica Jade Bastien erstellte 2018 fur vulture.com eine Liste der 15 besten Folgen von Star Trek: Deep Space Nine. Der undurchschaubare Marritza fuhrte sie dabei auf Platz 13.
Jamie Lovett fuhrte Der undurchschaubare Marritza 2019 auf comicbook.com in einer Liste der zehn besten Folgen von Star Trek: Deep Space Nine auf Platz 4.
Sven Harvey zahlte Der undurchschaubare Marritza 2020 auf der Website Den of Geek zu den 25 besten Geschichten der Serie Star Trek: Deep Space Nine.
Sean Ferrick erstellte 2020 fur die Website whatculture.com eine Liste der 25 besten Star-Trek-Folgen. Der undurchschaubare Maritza fuhrte er hier auf Platz 9.
Die Website scifinow.co.uk zahlte Der undurchschaubare Marritza 2020 zu den zehn besten Folgen von Star Trek: Deep Space Nine.
Jason Jarman fuhrte Der undurchschaubare Marritza 2023 auf cbr.com in einer Liste der zehn besten Folgen von Star Trek: Deep Space Nine auf Platz 3.
Mark Donaldson fuhrte Der undurchschaubare Marritza 2023 auf screenrant.com in einer Liste der 20 besten Folgen von Star Trek: Deep Space Nine auf Platz 4.
Literatur Victor Grech: The banality of evil in the occupation of Star Trek’s Bajor. In: Early Human Development. Band 145, 2020, 105016 (Online).
Weblinks Der undurchschaubare Marritza bei IMDb
Der undurchschaubare Marritza bei Fernsehserien.de
Der undurchschaubare Marritza im Star-Trek-Wiki Memory Alpha
Der undurchschaubare Marritza in der Deutschen Synchronkartei
Der undurchschaubare Marritza beim Deutschen StarTrek-Index
Duet Transkript auf chakoteya.net (englisch)
Duet Transkript auf st-minutiae.com (englisch)
Duet auf trekcore.com (englisch)
Duet auf ex-astris-scientia.org (englisch)
Einzelnachweise
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Der undurchschaubare Marritza (Originaltitel: Duet) ist die 19. Folge der ersten Staffel der US-amerikanischen Science-Fiction-Fernsehserie Star Trek: Deep Space Nine. Sie wurde in den Vereinigten Staaten uber Syndication vermarktet und erstmals am 13. Juni 1993 auf verschiedenen Fernsehsendern ausgestrahlt. In Deutschland war sie zum ersten Mal am 22. Mai 1994 in einer synchronisierten Fassung auf Sat.1 zu sehen.
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c-845
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Das Signalbuch fur den Kurzwellenverkehr, nach seinen beiden Verfassern auch kurz als der Fuchs-Fasching bezeichnet, ist ein Handbuch fur Funkamateure, das hauptsachlich wahrend der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945) das deutschsprachige Standard-Nachschlagewerk zum Thema Amateurfunk war.
Autor war der osterreichische Astronom Josef Fuchs, ein Pionier des Amateurfunks und Grundungsmitglied des Osterreichischen Versuchssenderverbandes OVSV. Verlegt wurde das Buch durch dessen Landsmann Franz Johann Fasching in Wien.
Auflagen Das Signalbuch fur den Kurzwellenverkehr, unter Funkamateuren damals auch schlicht als „das Signalbuch“ bekannt, erschien von 1927 bis 1944 in sieben Auflagen.
Inhalt Das rund 140 Seiten starke Taschenbuch (Format etwa DIN A6, somit als Vademecum geeignet, die letzte Auflage umfasste 160 Seiten) enthalt Informationen fur die Praxis des Funkverkehrs, insbesondere zur Wellenausbreitung auf Kurzwelle und zur Amateurfunkbetriebstechnik. Dazu gehoren diverse Abkurzungsverzeichnisse, beispielsweise zu Q-Gruppen, Listen zu Amateurfunkbandern, Landkarten mit Amateurfunkgebieten und deren Landeskennern sowie Nomogramme zum Ablesen von Richtung und Entfernung zu anderen Orten auf der Welt.
Erganzt wird dies durch eine Reihe von Informationen zur Schaltungstechnik von Sendern und Empfangern sowie zur Antennentechnik. Beispiele sind der Fuchs-Kreis und die Fuchs-Antenne, beide benannt nach dem Autor.
Geschichte Das Buch war von 1927 bis 1933, in der zweiten Halfte der Weimarer Republik, der nachfolgenden NS‑Zeit bis 1945 und der Nachkriegszeit in Deutschland und Osterreich weit verbreitet.
Der Funk-Bastler, das damalige Fachblatt des Deutschen Funktechnischen Verbandes (D.F.T.V.), eines Vorlaufers des heutigen DARC, schrieb im November 1929 anlasslich der zweiten Auflage mit Bezug auf die im Herbst 1927 erschienene Erstauflage des Fuchs-Fasching: „es hat kaum einen deutschsprechenden Kurzwellenamateur mehr gegeben, der das ‚Signalbuch‘ nicht gekannt hatte“, und begrußte die Neuauflage, „die eine sorgfaltige Umarbeitung und starke Vermehrung des Stoffes erfahren hat.“
Insbesondere wurde gelobt, dass die Neuregelungen des Funkdienstes entsprechend dem Dritten Weltfunkvertrag eingearbeitet worden waren. Diese waren im November 1927 auf der Internationalen Weltfunkkonferenz vereinbart worden, die in der amerikanischen Hauptstadt Washington stattfand, und waren zum 1. Januar 1929 weltweit in Kraft getreten.
In den folgenden zwei Jahrzehnten (1930er- und 1940er-Jahre) galt der immer popularer werdende Fuchs-Fasching als ein „unverzichtbares“ Handbuch und errang den Status eines „legendaren“ Vademecums. Auch in der Schweiz war es verbreitet und wurde dort vor, wahrend und nach dem Zweiten Weltkrieg als Sachbuch geschatzt.
Die Bekanntheit und Beliebtheit dieses Nachschlagewerks hielt bis in die 1950er-Jahre an. Dazu haben vermutlich auch die haufigen Aktualisierungen in Form von verbesserten und erweiterten Neuauflagen beigetragen. Aber der technische Fortschritt ging auch nach dem Zweiten Weltkrieg rasant weiter. Beispielsweise entwickelte in den Bell Laboratories in den Vereinigten Staaten eine Gruppe um John Bardeen, William Shockley und Walter Brattain den ersten funktionierenden Bipolartransistor, der am 23. Dezember 1947 erstmals firmenintern prasentiert wurde. Die moderne Transistortechnik machte die im Fuchs-Fasching behandelte Schaltungstechnik auf Basis von Elektronenrohren bald obsolet. Da es keine weiteren Neuauflagen mehr gab, veraltete das Buch. Inzwischen ist es nahezu in Vergessenheit geraten.
Fur an der Geschichte des Amateurfunkdienstes interessierte Menschen markiert es dennoch eine wichtige Phase der Entwicklung der Funktechnik im deutschsprachigen Raum.
Video-Rezension In einem knapp zwanzig Minuten langen Video (siehe auch: Weblinks) stellt der Blogger und Funkamateur Arthur Konze, DL2ART, auf seinem Blog Funkwelle den Fuchs-Fasching vor. Dabei liegt der Fokus auf dem fachlichen Inhalt, den er illustriert und bespricht.
Nebenbei stellt er die Frage: „… ob der innen genauso braun ist wie außen?“ Nach einer ausfuhrlichen Besprechung des Fachlichen der ihm vorliegenden 5. Auflage (von 1941) kommt er gegen Ende des Videos zum Ergebnis seiner eingangs gestellten Frage: Es sind keinerlei „geheime Nazi-Abkurzungen“ zu finden. Erzahlungen, die das Gegenteil behaupten, bezeichnet er als „Marchen“.
Die einzige Auffalligkeit, die er entdeckt, ist auf Seite 89 die Abkurzung hh, die fur „Heil Hitler“ stand. Bekanntermaßen war dies die damals in Deutschland ubliche Grußform. In der 4. Auflage (1936) war dafur (auf Seite 81) noch hhi gelistet. Im Morsecode werden diese Abkurzungen ubrigens durch acht ( · · · · · · · · ) beziehungsweise zehn Punkte ( · · · · · · · · · · ) wiedergegeben.
Abgesehen von dieser Besonderheit ist sein Fazit, dass der Fuchs-Fasching „sehr neutral“ ist und sich trotz der „braunen Farbe“ seines Einbandes wohltuend sachlich der Funktechnik und der Betriebstechnik widmet und in keiner Weise politisch ist.
Literatur Amateurfunkjournal des Osterreichischen Versuchssenderverbandes. In: QSP. Band 30, Nr. 5, Mai 2005, S. 16. PDF.
Amateurfunkjournal des Osterreichischen Versuchssenderverbandes. In: QSP. Band 41, Nr. 4, April 2016, S. 14. PDF.
Amateurfunkjournal des Osterreichischen Versuchssenderverbandes. In: QSP. Band 43, Nr. 9, September 2018, S. 30. PDF mit Foto von Josef Fuchs 1JF.
Ein Buch fur den Kurzwellenamateur. In: Funk Bastler. Nr. 48, November 1929, S. 772. PDF.
Mitteilungsblatt der Union Schweizer. Kurzwellen-Amateure. In: Old Man. Band 13, Nr. 2, Marz 1945, S. 25. PDF.
Mitteilungsblatt der Union Schweizer. Kurzwellen-Amateure. In: Old Man. Band 13, Nr. 3, Mai 1945, S. 18. PDF.
Weblinks Buchdeckel der 4. Auflage, Verlag Fasching, 1936.
Buchdeckel der 5. Auflage, Verlag Fasching, 1941.
Seiten 80 und 81 der 4. Auflage von 1936 mit damals ublichen Abkurzungen.
Der Fuchs-Fasching – Das Standardwerk im Dritten Reich. YouTube-Video (18′34″).
Einzelnachweise
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Das Signalbuch fur den Kurzwellenverkehr, nach seinen beiden Verfassern auch kurz als der Fuchs-Fasching bezeichnet, ist ein Handbuch fur Funkamateure, das hauptsachlich wahrend der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945) das deutschsprachige Standard-Nachschlagewerk zum Thema Amateurfunk war.
Autor war der osterreichische Astronom Josef Fuchs, ein Pionier des Amateurfunks und Grundungsmitglied des Osterreichischen Versuchssenderverbandes OVSV. Verlegt wurde das Buch durch dessen Landsmann Franz Johann Fasching in Wien.
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Helena Ritz Fathia Nkrumah [nər' krʊ'mɑr] (geborene Fathia Halim Rizk, arabisch فتحية حليم رزق; * 22. Februar 1932 in Zeitoun, Konigreich Agypten; † 31. Mai 2007 in Kairo) war die agyptischstammige Frau von Kwame Nkrumah, dem ersten Prasidenten des unabhangigen Ghana und als solche die erste First Lady des Staates.
Jugend Fathia Nkrumah wurde in eine koptisch-christliche Familie geboren und wuchs in Zeitoun, einem Stadtteil von Kairo, auf. Ihr Vater arbeitete als Verwaltungsbeamter bei der Agyptischen Telefongesellschaft und starb fruh, so dass ihre Mutter die funf Kinder allein großziehen musste.
Nach dem Schulabschluss studierte sie Franzosisch und arbeitete als Lehrerin an ihrer Schule in Zeitoun, Notre Dame des Apotres. Da ihr das Unterrichten keine Freude machte, nahm sie eine Arbeit in einer Bank an.
Ehe Kwame Nkrumah schickte seinen Freund Alhaji Saleh Said Sinare los, um ihm eine christliche Frau aus Agypten zu suchen. Funf Frauen standen zur Wahl und Kwame Nkrumah machte Fathia einen Heiratsantrag. Ihre Mutter war nicht damit einverstanden, dass ein weiteres ihrer Kinder einen Auslander heiraten und das Land verlassen werde, nachdem Fathias Bruder Agypten mit seiner englischen Frau verlassen hatte.
Fathia erklarte spater, Nkrumah sei wie Gamal Abdel Nasser ein antikolonialer Held gewesen, ihre Mutter habe sich jedoch geweigert, mit ihr uber ihn zu sprechen oder die Ehe zu segnen. Nkrumah heiratete Fathia am Silvesterabend 1957 nach ihrer Ankunft in Ghana in Christiansborg in Accra.
Exil und spateres Leben Fathia Nkrumah war Mutter von drei kleinen Kindern, als ihr Mann am 24. Februar 1966 bei Ghanas erstem erfolgreichen Militarputsch gesturzt wurde. Sie musste ihre Kinder nach Kairo bringen, um sie dort aufwachsen zu lassen, wahrend ihr Mann ins Exil nach Guinea ging. Ihre Kinder waren Gamal (geboren 1958), Sekou (geboren 1964) und Samia Nkrumah (geboren 1960).
Ihre Kinder haben alle eine politische Karriere eingeschlagen. Ihre Tochter Samia Nkrumah war von 2011 bis 2015 Vorsitzende der Convention People’s Party (CPP), der von ihrem Vater gegrundeten ghanaischen Partei.
Tod Fathia starb am 31. Mai 2007 im Nile Badrawi Hospital in Kairo nach einem Schlaganfall am Ende einer langeren Krankheitszeit. Ihre Gedenkmesse hielt in der Markuskathedrale in Kairo Papst Schenuda III. am 1. Juni 2007. Ihre sterblichen Uberreste wurden nach Ghana geflogen, wo eine Trauerfeier im Parliament House of Ghana zelebriert wurde. Entsprechend ihrem „lebenslangen Wunsch“ („lifelong request“) wurde sie neben ihrem Ehemann im Kwame Nkrumah Mausoleum (Kwame Nkrumah Memorial Park) beigesetzt.
Weblinks Gamal Nkrumah (September 2000) auf weekly.ahram.org.eg
Fathia fata Nkrumah bei kente design
Foto von Fathia Nkrumah mit ihrem Ehemann Kwame Nkrumah und W.E.B. DuBois
Foto von Fathia’s Beerdigung bei ghanadistricts.com
womenofegyptmag.com
Fathia Nkrumah. In: Der Spiegel, spiegel.de 42/1962, 16. Oktober 1962.
Einzelnachweise
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Helena Ritz Fathia Nkrumah [nər' krʊ'mɑr] (geborene Fathia Halim Rizk, arabisch فتحية حليم رزق; * 22. Februar 1932 in Zeitoun, Konigreich Agypten; † 31. Mai 2007 in Kairo) war die agyptischstammige Frau von Kwame Nkrumah, dem ersten Prasidenten des unabhangigen Ghana und als solche die erste First Lady des Staates.
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Felix Morisseau-Leroy (Haitianisch-Kreolisch Feliks Moriso Lewa; * 13. Marz 1912 in Grand-Gosier; † 5. September 1998 in Miami, Vereinigte Staaten) war ein haitianischer Schriftsteller, der seine Werke in der haitianisch-kreolischen Sprache abfasste. Er war der erste Dichter und Dramatiker des Landes, der nicht die Sprache der fruheren Kolonialmacht Frankreich verwandte. Im Jahr 1961 erreichte er, dass die Kreolsprache als eine offizielle Landessprache Haitis anerkannt wurde. Gleichwohl veroffentlichte Morisseau-Leroy auch in franzosischer Sprache. Sein internationales Wirken half der Entwicklung eigenstandiger postkolonialer literarischer Identitaten in Ghana und im Senegal. Im Jahr 1981 ließ er sich in Miami, Florida, nieder, wo er sich dafur einsetzte, der exilhaitianischen Gemeinschaft das Bewusstsein fur die eigene Kreolsprache ihres Landes zu erhalten und der Sprache einen angemessenen Rang im akademischen Bereich zu verschaffen.
Leben = Familie und Ausbildung =
Morisseau-Leroy wurde in Grand-Gosier (Departement Sud-Est) geboren. Seine Eltern waren gebildete und wohlhabende Burger, die zu der Zeit als Mulatten bezeichnet wurden. Er besuchte die Schule in dem unweit gelegenen Jacmel, wo er Englisch und Franzosisch lernte. Dort lernte er auch seine spatere Frau Renee kennen. Die beiden heirateten, und Morisseau-Leroy betonte sein Leben lang, seine Frau Renee sei die großte Inspiration fur seine Werke gewesen. Aus der Ehe gingen zwei Sohne und eine Tochter hervor. 1933 erwarb er einen Bachelor an der Universite d’Etat d’Haiti und zehn Jahre spater einen Master-Abschluss in Erziehungswissenschaft an der Columbia University in New York.
= Berufliche und schriftstellerische Laufbahn =
Nach der Ruckkehr aus den Vereinigten Staaten nahm Morisseau-Leroy Lehrtatigkeiten in der Hauptstadt Port-au-Prince auf. In dieser Zeit entwickelten sich sein Interesse fur die in den Straßen gesprochene kreolische Sprache und die Uberlegung, dass diese in Schriftform gebracht eine einigende Wirkung auf das stets von inneren Auseinandersetzungen gebeutelte Land haben konnte. Es war die Zeit, in der die Nutzung der franzosischen Sprache einen klaren Klassenunterschied zwischen dem Bildungsburgertum und der breiten Unterschicht, die Kreolisch sprach, markierte.
Moriso Lewa, wie er sich nun seiner Uberzeugung folgend nannte, unterrichtete Literatur und Theater und arbeitete gleichzeitig als Schriftsteller und Journalist. Er qualifizierte sich fur politische Amter und wurde Direktor im Unterrichtsministerium und Generaldirektor fur das Bildungswesen. Moriso wurde in diesen Funktionen der „Vater der Renaissance der Kreolsprache“. Er wurde nicht mude, darauf hinzuweisen, dass diese originare Sprache der Bevolkerung von ihrem großten Teil, auf dem Land fast ausschließlich, beherrscht und verwendet wurde. Daher forderte er die Bemuhungen, den Gebrauch von haitianischem Kreolisch zu unterstutzen und die Legitimitat ihrer kreativen kulturellen Nutzung zu etablieren. Deshalb ubersetzte er die klassische griechische Tragodie Antigone als Wa Kreyon („Konig Kreon“) in Kreol, wobei er die Personen der Handlung an den Kontext der haitianischen Kultur anpasste. So spielte auch ein Voodoo-Priester eine Rolle.
Der Aufstieg von Francois Duvalier und dessen autokratisches Regime beendete die Arbeit der meisten unangepassten Autoren, deren freie Außerungen beschrankt wurden. Kurz vor der Ausweisung in das Exil stehend, rettete Moriso Lewa die Tatsache, dass er in der Jugend gut mit Duvalier bekannt gewesen war, davor, Opfer dieser und weiterer aus Unmut uber seine Veroffentlichungen entstandenen Maßnahmen zu werden.
Er wurde nach Frankreich eingeladen, um Wa Kreyon in Paris zur Auffuhrung zu bringen. Wahrend seiner Zeit dort traf er wichtige Vertreter der Negritude-Bewegung, so Aime Cesaire und Leopold Sedar Senghor. Diese bestarkten ihn in seiner Arbeit und beeinflussten seine Gedanken an kunftige Aktivitaten in Afrika und Nordamerika. Er ging fur sieben Jahre nach Ghana, wo er lehrte und das Nationaltheater wahrend des Ubergangs in die Unabhangigkeit leitete. Anschließend lebte er von 1966 bis 1979 im Senegal.
Zuletzt zog es ihn nach Miami in Florida mit seiner großen Gemeinschaft von Exilhaitianern. Er ließ sich mit seiner Familie nieder und blieb bis zu seinem Lebensende im Jahr 1998 dort. Er schrieb neben seinem Wirken in der Gemeinschaft eine wochentliche Kolumne fur die Publikation Haiti en Marche. Nur kurz kehrte er nochmals auf Einladung von Jean-Bertrand Aristide zu dessen Amtseinfuhrung nach Haiti zuruck. Aristide bestatigte bei diesem Anlass, dass Kreol Amtssprache Haitis sei.
Werke (Auswahl) Plenitudes (1940), Gedichtband
Natif-natal, conte en vers (1948), Kurzgeschichten in Versform
Dyakout (Diacoute) (1951), Gedichtband
Wa Kreyon (Antigone) in Kreyol (1953), Adaption des Schauspiels
Haitiad and Oddities (1991), Gedichtband
Les Djons d’Haiti Tom (Haitianer mit Mut) (1995)
Ehrungen Die kanadische Zeitschrift Etincelles kurte Morisseau-Leroy zum Autor des Jahres.
Am 13. Marz 1992 erschien eine Ausgabe des Finesse Magazins in New York als eine kollektive Hommage zum 80. Geburtstag von Morisseau-Leroy.
Im Jahr 1994 widmete die franzosische Zeitschrift Sapriphage eine Sonderausgabe dem Werk von Morisseau-Leroy.
Weblinks Stephen Malagodi, Jeffery Knapp: Felix Moriso-Lewa, a portrait of the poet. Produziert von WLRN, 22. Dezember 2008 (Podcast uber und mit Morisseau-Leroy; englisch, 59:12 Minuten).
Einzelnachweise
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Felix Morisseau-Leroy (Haitianisch-Kreolisch Feliks Moriso Lewa; * 13. Marz 1912 in Grand-Gosier; † 5. September 1998 in Miami, Vereinigte Staaten) war ein haitianischer Schriftsteller, der seine Werke in der haitianisch-kreolischen Sprache abfasste. Er war der erste Dichter und Dramatiker des Landes, der nicht die Sprache der fruheren Kolonialmacht Frankreich verwandte. Im Jahr 1961 erreichte er, dass die Kreolsprache als eine offizielle Landessprache Haitis anerkannt wurde. Gleichwohl veroffentlichte Morisseau-Leroy auch in franzosischer Sprache. Sein internationales Wirken half der Entwicklung eigenstandiger postkolonialer literarischer Identitaten in Ghana und im Senegal. Im Jahr 1981 ließ er sich in Miami, Florida, nieder, wo er sich dafur einsetzte, der exilhaitianischen Gemeinschaft das Bewusstsein fur die eigene Kreolsprache ihres Landes zu erhalten und der Sprache einen angemessenen Rang im akademischen Bereich zu verschaffen.
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Nera Tiebwa (* 2. Oktober 2008 auf Tarawa) ist eine Judoka aus Kiribati. Bei den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris war sie mit 15 Jahren die jungste Judokampferin aller Gewichtsklassen.
Karriere Nera Tiebwa trat bei den Pazifikspielen 2023 in Honiara in der Klasse bis 52 Kilogramm an und besiegte dort in der ersten Runde June Koidi von den Salomonen. Im Halbfinale scheiterte sie an der spateren Siegerin des Wettbewerbs, der Australierin Anneliese Fielder. Im Bronzekampf unterlag sie Prisicillia Monthouel aus Vanuatu.
2024 wurde Tiebwa aufgrund einer kontinentalen Quote fur die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Paris ausgewahlt. Sie war eine von nur drei Teilnehmern aus Kiribati, die einzige Frau und die mit Abstand jungste Sportlerin ihres Teams. Bei der Eroffnungszeremonie trug die 15-Jahrige die Fahne ihres Landes. In der ersten Runde im Leichtgewicht (bis 57 Kilogramm) war sie als Nummer 258 der Weltrangliste im Kampf gegen die mehrfache Welt- und Europameisterin Darja Bilodid aus der Ukraine krasse Außenseiterin. Bilodid attackierte Tiebwa schon nach vier Sekunden mit einem O-uchi-gari; die junge Frau fand sich in Ruckenlage wieder. Der Kampfrichter entschied eine Sekunde spater auf Ippon, die hochstmogliche Wertung im Judo, die den sofortigen Sieg bedeutet. Damit waren die Olympischen Spiele fur Tiebwa nach funf Sekunden beendet. Trotz dieser raschen Niederlage wurde sie vom Publikum mit Applaus verabschiedet. Weltweit berichteten Zeitungen, Fernsehanstalten und soziale Medien uber die Sportlerin, die fur ihre Einsatzbereitschaft und ihren olympischen Sportsgeist gefeiert wurde. Hervorgehoben wurde unter anderem, dass Nera Tiebwa fur die Reise nach Paris einen Anfahrtsweg von 14.000 Kilometern auf sich genommen hatte.
Weblinks Nera Tiebwa in der Datenbank von Judoinside.com (englisch)
Nera Tiebwa in der Datenbank der IJF (englisch)
Nera Tiebwa auf Judo TV, mit Foto (englisch)
Einzelnachweise
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Nera Tiebwa (* 2. Oktober 2008 auf Tarawa) ist eine Judoka aus Kiribati. Bei den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris war sie mit 15 Jahren die jungste Judokampferin aller Gewichtsklassen.
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Dawa Yangzum Sherpa (geboren 1990 im Distrikt Dolakha im Rolwaling Himal, Nepal) ist eine nepalesische Hohenbergsteigerin aus dem Volk der Sherpa und die erste international akkreditierte Bergfuhrerin aus Nepal. Sie hat alle 14 Achttausender bestiegen, einige ohne zusatzlichen Sauerstoff.
Leben Yangzum wuchs in einem kleinen Dorf im Rolwaling Himal gemeinsam mit drei Brudern und zwei Schwestern auf. Die Gegend liegt im Zentrum des Himalaya und nahe den hochsten Bergen der Erde. Ihr Heimatdorf liegt auf 4200 m Hohe, hier verbringt die Familie den Großteil des Jahres. Nur im tiefen Winter ziehen die Dorfbewohner ins Tal. Zu dem Dorf fuhrt keine Straße, der nachstgelegene großere Ort ist nur nach mehrtagigem Fußmarsch uber einen Bergpass zu erreichen. Hier ist es eine Notwendigkeit, schwere Lasten zu Fuß zu transportieren, und Teil ihres harten Lebens.
Daher arbeiten viele Manner des Dorfes bei Expeditionen als Trager oder Bergfuhrer. Bei dieser Tatigkeit konnen sie ein Vielfaches des jahrlichen Durchschnittseinkommens in Nepal verdienen. Diese Tatigkeit ist hoch angesehen und kann fur die Familien einen bescheidenen Wohlstand begrunden. Im Weltbild der Sherpas ist sie allerdings Mannern vorbehalten.
Im Jahr 2003 suchte eine Expedition Tragerinnen fur eine Trekkingtour uber den Tashi-Lapsi-Pass. Gemeinsam mit funf anderen Madchen verließ Yangzum ihr Dorf, um auf dieser sechstagigen Tour schwere Lasten zu tragen; sie war zu diesem Zeitpunkt erst 13 Jahre alt. Der Lohn fur diese Arbeit ermoglichte ihr, nach Kathmandu zu einem Onkel und einem ihrer Bruder zu ziehen, bei denen sie die nachsten funf Jahre lebte. Mit 18 arbeitete Yangzum wieder bei einer Trekkingexpedition, sie wollte aber mehr erreichen.
Daher belegte sie 2010 einen Kurs am Khumbu Climbing Center (KCC), der nepalesischen Bergsteigern die notwendigen technischen Fahigkeiten beibringt, um sicher an Expeditionen teilnehmen zu konnen. Diese Kletterschule stellt auch die notwendige Ausrustung. In den folgenden zwei Jahren bestieg Yangzum mit unterschiedlichen Expeditionen mehrere Siebentausender und belegte intensivere Bergsteigerkurse. Mit steigender Erfahrung wurde sie Ausbilderin am KCC. Da sie aber nicht nur Tragerin oder Aushilfe sein wollte, machte sie die nationale Ausbildung zur Bergfuhrerin fur das Hohenbergsteigen. Nur nach dieser Schulung sind Bergfuhrer oder Bergfuhrerinnen berechtigt, zahlende Kunden zum Gipfel zu geleiten.
Um auch auslandische Expeditionen leiten zu konnen und von internationalen Kunden besser akzeptiert zu werden, machte sie eine zusatzliche Bergfuhrerausbildung in den USA. Deshalb verbrachte sie von 2010 bis 2013 viel Zeit mit Trainingskursen und Prufungen, die Halfte davon in Nepal, die andere Halfte in den USA. 2015 kehrte sie in die USA zuruck, hatte aber große Schwierigkeiten, eine Green Card zu bekommen. Diese benotigte sie, weil sie fur den Abschluss der Ausbildung eine Zeit lang im Land bleiben musste. Sie musste die Green Card einklagen und zur Bezahlung der Anwalte unterschiedliche Gelegenheitsjobs annehmen. Beruhmte US-Kletterinnen wie Emily Harrington unterstutzen sie in diesem Prozess.
Im Jahr 2017 konnte Yangzum ihr Diplom als IVBV-Bergfuhrerin abschließen, sie ist die erste Frau Nepals, der das gelang. Die IVBV definiert Qualitatsgrundsatze in der Ausbildung der Bergfuhrer. Mit dieser international anerkannten Ausbildung kann sie daher Expeditionen nicht nur in Nepal fuhren. Danach arbeitete Yangzum bereits als Bergfuhrerin am Denali, dem Aconcagua, dem Elbrus, dem Mount Rainier und dem Mount Everest.
Sie hat einen Sponsorenvertrag mit The North Face und arbeitet fur den Expeditionsveranstalter Alpine Ascents International. Damit ist sie eine der wenigen professionellen nepalesischen Bergfuhrern, die von großen westlichen Unternehmen angestellt wurden.
Alpinistische Karriere Yangzums erste wesentliche Bergtour war 2009 am Yala Peak. 2011 wurde sie fur eine von National Geographic und The North Face ausgerichtete Expedition auf den Mount Everest engagiert. Sie war fur den Transport von Ausrustung zwischen den Camps zustandig und musste Tausende Hohenmeter mit schweren Lasten zurucklegen. In dieser Expedition lernte sie Emily Harrington kennen. Da sich die Expedition aufgeteilt hatte, schlossen sich die beiden Frauen zusammen. Gemeinsam erreichten sie am 25. Mai 2012 den Gipfel des Mount Everest. Nach der Besteigung bilanzierte Yangzum, dass die Arbeit als Tragerin sehr hart gewesen sei, die Besteigung des Gipfels im Vergleich dazu leicht.
In dieser Zeit verwirklichte sie einige ehrgeizige Projekte: So bestieg sie den Island Peak (6189 Meter), 2011 die Ama Dablam (6812 Meter) und 2010 den Chekigo (6285 Meter).
Besonders hervorzuheben ist die Besteigung des K2 (8611 Meter) im Jahr 2014: der zweithochste Berg der Welt gilt als besonders schwierig, mit hoher Steinschlag- und Lawinengefahr. Die drei Sherpani Yangzum, Pasang Lahmu Sherpa Akita und Maya Sherpa waren die erste rein weibliche, nepalesische Expedition auf dem „Berg der Berge“. 2014 hatten erst 15 Frauen den Gipfel des K2 erreicht. 2020 prasentierte sie uber diesen Erfolg mit ihren Seilkameradinnen das Kinderbuch Daring the Dream (deutsch: Trau dich zu traumen). 2017 versuchte das gleiche Team die Besteigung des Kangchenjunga, des dritthochsten Bergs. Starker Schneefall zwang sie zur Umkehr vor dem Gipfel.
2017 gelang ihr als erstem Menschen die Winterbesteigung des Langdung (6357 Meter) im Rolwaling Himal, 2018 bestieg sie den Denali (6190 Meter), den hochsten Berg Nordamerikas. Im selben Jahr gelang ihr die Besteigung des Makalu (8481 Meter) in nur 21 Stunden vom Advance Base Camp aus. 2021 bestieg sie die Annapurna 1 ohne Sauerstoff zusammen mit ihrem Bruder, im Herbst 2021 den Manaslu und 2022 den Broad Peak. Bei allen diesen Besteigungen war sie die erste Sherpani, der das gelang.
Im Fruhjahr 2023 erreichte sie im zweiten Anlauf den Gipfel des Kangchenjunga. Zwischen dem 5. Juli und 21. Juli 2023 bestieg sie innerhalb von 16 Tagen mit dem Nanga Parbat, dem Gasherbrum I und dem Gasherbrum II drei weitere Achttausender. Anfang Oktober 2023 bestieg sie mit dem Cho Oyu ihren 13. Achttausender. Bei der Besteigung der Shishapangma, des letzten ihr fehlenden Achttausenders, geriet sie im Oktober 2023 in eine Lawine, bei der zwei ihrer Seilpartnerinnen starben. Am 9. Oktober 2024 erreichte sie zusammen mit Anna Pfaff den Gipfel der Shishapangma und ist damit die erste Nepalesin, die alle 14 Achttausender bestiegen hat.
Vorbild und Rezeption Yangzum ist eine der ersten Sherpani, die im Hohenbergsteigen erfolgreich sind und in Nepal popular wurden. Sie sieht sich als Mentorin fur die nachste Generation von Hohenbergsteigerinnen. Yangzum bilanziert: „Fur die traditionellen Sherpa-Gemeinden ist es seltsam, dass eine Frau den Job eines Mannes ubernimmt. Man muss sehr unabhangig und selbstbewusst sein, um das zu tun.“ Sie hofft, dass ihr Erfolg andere Madchen inspirieren kann, ihren Traumen zu folgen. In diesem Sinne leitete sie 2020 im Dorf Phortse im Khumbu-Gebiet einen Kletterkurs fur Frauen. Yangzum zog nach dem Kurs eine positive Bilanz: Die Kursteilnehmerinnen hatten sich erste wesentliche Fahigkeiten fur das Bergsteigen angeeignet, aber auch gelernt, das traditionell gepragte Frauenbild in Frage zu stellen. Auch aus ihrem Heimatdorf entschieden sich drei Madchen, mit dem Bergsteigen zu beginnen.
Leistungen und Auszeichnungen Die herausragenden Leistungen in Yangzums alpinistischer Karriere sind:
2014 waren sie und zwei weitere Sherpani die erste ausschließlich weibliche nepalesische Expedition, die den Gipfel des K2 erreichte.
Zweiter Platz im Annapurna-Mandala-Trail-Wettkampf (350 km)
Siegerin im IFSC Nationalen Vorstiegswettkampf
Erste Sherpani, die im Mount-Rainier-Nationalpark VIP-Rangerin wurde
Erste Sherpani, die in den National-Geographic-Expeditionskader zum Mount Everest aufgenommen wurde
Weblinks Dawa Yangzum Sherpa. In: dawayangzumsherpa.com. Abgerufen am 10. August 2024 (englisch).
Einzelnachweise
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Dawa Yangzum Sherpa (geboren 1990 im Distrikt Dolakha im Rolwaling Himal, Nepal) ist eine nepalesische Hohenbergsteigerin aus dem Volk der Sherpa und die erste international akkreditierte Bergfuhrerin aus Nepal. Sie hat alle 14 Achttausender bestiegen, einige ohne zusatzlichen Sauerstoff.
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Felix Brenner (* 28. Dezember 1955 in Basel) ist ein Schweizer Lithograf, Maler, Fotograf und Videokunstler, der sich der Art brut zurechnen lasst.
Leben Felix Brenner wuchs in kleinburgerlichen Verhaltnissen in Basel auf. Er brach mit dreizehn Jahren die Schule ab und verliess erstmals sein Elternhaus. In der Folge war er in der Zurcher Hippie-Szene aktiv, lebte unter anderem in der «Kommune H9», in Wohngemeinschaften, Erziehungsheimen und kam ins Gefangnis, unter anderem in das Basler Gefangnis Lohnhof. Parallel zu Drogenerfahrungen und Haftaufenthalten besuchte er ab etwa 1980 bis 1986 Kurse in der Grafikfachklasse fur Lithografie der Schule fur Gestaltung Basel bei Kurt Meier.
1987 erhielt Brenner ein Kunststipendium und einen mehrmonatigen Atelieraufenthalt in New York mit Ausstellung im dortigen Swiss Institute. Spater folgten Aufenthalte in den Psychiatrischen Kliniken Basel und der Psychiatrischen Klinik Munsterlingen. Er grundete 1987 die Kunst- und Politikbewegung «Blauer Planet», mit der er fur das Stadtparlament Basel kandidierte, engagierte sich in der ab 1985 bestehenden alternativen Kulturbewegung Alte Stadtgartnerei auf dem Gelande des spateren St. Johanns-Parks, die als illegale Besetzung im Juli 1988 polizeilich geraumt wurde, und war ein fester Bestandteil der alternativen Kulturszene in Basel.
Anfang der neunziger Jahre verliess Brenner Basel und richtete sich in einem kleinen Dorf im Jura ein baufalliges Haus her, in dem er sich ein Atelier einrichtete. Mit dem Erlos aus ersten Ausstellungen kaufte er zwei Druckpressen fur seine druckgrafischen Arbeiten, mehrfarbigen Radierungen, Lithografien und die experimentellen Arbeit zur Verbindung von Fotografie und traditionellen Drucktechniken. Um an seiner Psuchodelischen Dr. Arbeit zu arbeiten, legte er ausserdem seine erste ethnobotanische Gartnerei an, in der er Cannabissorten, Pilze und Kakteen zuchtete, die halluzinogene Stoffe enthalten. Dazu hielt er seine im Selbstversuch gewonnenen Erfahrungen uber die Wirkung von psychotropen Substanzen schriftlich fest. Er interessierte sich auch fur botanische Pflanzversuche mit Alpenkrautern, die er zeichnete, beschrieb und seine Erkenntnisse druckte. Geplant hatte er, spater moglicherweise den Anbau kommerziell nutzen zu konnen und seine Psuchodelische Dr. Arbeit zu vertreiben. Nachdem er zunehmend sein dortiges Leben als angsterregend empfunden hatte, verbrannte er seine Werke, machte die Druckpressen unbrauchbar und fluchtete zusammen mit seiner Berner Sennenhundin «La Pomme» nach Basel und danach nach Holland, wo er aus unbekannten Grunden in Amsterdam einen Asylantrag stellte, woraufhin er ausgewiesen wurde.
Nach seiner Ruckkehr bezog Brenner im Herbst 2001 in der Ostschweiz fur einige Wochen einen Wohnwagen auf einem anthroposophischen Bauernhof im Thurgau, bevor er sich in einer kleinen Wohnung in Altnau niederliess, begleitet von seinem Hund. Er nahm das Malen und Zeichnen wieder auf und fuhrte seine Pflanzenexperimente mit Kakteen- und Krauterzuchtungen fort. Die Wande seiner Wohnung bedeckte er mit seinen Pflanzenzeichnungen und mit Dokumentationsmaterial und Fotos aus dem Jura. Die Ergebnisse seiner Studien fasst er schriftlich zusammen, uber botanische Zuchterfolge, Wirkung der Krauter bis zur Entstehungsgeschichte seiner Bilder. Er betreibt seine Lithografie- und Radierwerkstatt mit einer uber 150 Jahre alte Druckpresse in zwei umgenutzten Garagen, veranstaltet Ausstellungen und ist Teil der Dorfgemeinschaft.
Werk Felix Brenner arbeitet mit unterschiedlichen kunstlerischen Techniken. Er fertigt Lithografien und Radierungen im Klein- und Grossformat, malt, zeichnet, fotografiert und produziert Videos. Die Themen seines Werkes reichen von ethnobotanischen Studien bis zu Bildern, die einen engen Bezug zu seiner personlichen Biografie haben. Er kreiert detailreiche grossformatige Werke. Einige Motive verwendet er wiederholt und setzt sie in wechselnde Beziehung zueinander.
1985 stellte er die 32-teilige Grafikmappe Meleril, Liebeshuldiegun an die Psuchopfarmika (gemeint war: Melleril, Liebeshuldigung an die Psychopharmaka) fertig, in der er sein «Leiden an der institutionalisierten Psychiatrie beweint». In seiner zweiten Grafikmappe Wann werd’ ich endlich frei? von 1989 setzte er sich mit Haft, Richtern, Gefangnissen, Erziehungsanstalten und den institutionalisierten Zwangserziehern auseinander.
Wahrend Brenners Zeit im Jura entstanden Anfang der neunziger Jahre einzelne wandfullende, gezeichnete, stark farbig gehaltene und komplex verschachtelte Raumkompositionen. Nur zwei dieser Arbeiten sind erhalten. Auch nach seinem Umzug nach Altnau 2001 halt er seine Eindrucke vor Ort auf wandfullenden Bildern fest, wie den Wohnwagen, Architekturdetails, Innenraume und banale Alltagsgegenstande, den Blick aus seiner Wohnung oder auf verschiedene Gebaude aus dem Dorf, Landschaften und Ansichten aus Frauenfeld oder die Kartause Ittingen. Auch die Menschen in seinem Leben, Nachbarn und Tiere aus dem Dorf und sein Hund finden sich in seinen Bildern wieder. Auch wenn er seine Werke in Rauschzustanden malt, sind diese sorgfaltig und bewusst komponiert. Dazu projiziert er ausgewahlte Motive an eine Wand, macht eine Vorzeichnung mit Bleistift, die er mit Tusche nachzieht und dann farbig gestaltet.
Ethnobotanische Studien betreibt Brenner bereits seit 1989. Die Pflanzen zeichnet er mit Bleistift, Tinte, Tusche, Farbstiften und Kugelschreiber auf Papier und erganzt durch schriftliche Erlauterungen seine Recherchen und Ergebnisse der Experimente.
Auszeichnungen und Stipendien (Auswahl) 1986: Kunstkredit Basel-Stadt
1987: Stipendium des Swiss Institute (SI) fur einen Studienaufenthalt in New York
2007: Forderbeitrag Mediaproject des Bundesamtes fur Kultur
2014: Kunstkredit Basel-Stadt
2017: Altnauer Medaille der Stadt Altnau und Aufnahme in das «Who is Who im Thurgau»
2018: mit 25'000 Schweizer Franken dotierter Forderpreis fur Kulturschaffende des Kantons Thurgau
Kunststipendium des Kantons Basel
2021: Zweiter Preis des Euward 8
Ausstellungen (Auswahl) 1985: Schule fur Gestaltung Basel
1988: Seedamm-Kulturzentrum, Pfaffikon
1988: Installation zum Tod der Alten Stadtgartnerei im Rahmen der Weihnachtsausstellung der Basler Kunstler, Kunsthalle Basel
1994: Psuchodelische Dr. Arbeit. Open art museum, St. Gallen
2003: Boxenstopp. Eingriff 1. Kunstmuseum Thurgau
2004: Im Labor des Glucks. Kunsthaus Baselland, Muttenz
2005: Wirgen und Wergen von Felix Brenner. Bernerhaus, Kunstverein Frauenfeld
2006: kratiefes caos. Kulturpunkt im Walzwerk, Munchenstein
2008: Glanz und Elend von Heimat und Mundart in der Reihe Grenzgange 2008. Psychiatrische Klinik Munsterlingen
2014: Galerie Boesner, Munchwilen
2014/2015: Gartentraume – Traumgarten. Kartause Ittingen, Warth
2016: Im Rausch. Zwischen Hohenflug und Absturz. Kunstmuseum Thurgau
2017: Voyage, voyage! Uber das Reisen in der Kunst. Kunstmuseum Olten
2018: Backstage. Highlights und Neuentdecktes aus 30 Jahren. Open art museum, St. Gallen
2021: Felix Brenner, Andreas Maus, Kar Hang Mui. euward8. Haus der Kunst, Munchen
2022: Videoperformance aus vier Kurzvideos. Gemeinschaftsarbeit Felix Brenner, Michael Stauffer, Kunstmuseum Thurgau
Literatur Maria Hoger: Felix Brenner, Andreas Maus und Kar Hang Mui. euward8. Eine Ausstellung im Haus der Kunst, Munchen. 30.4. bis 27.6.2021. In: Neuropsychiatrie. Band 35, Nr. 2, Juni 2021, S. 109–111, doi:10.1007/s40211-021-00394-w.
Einzelnachweise
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Felix Brenner (* 28. Dezember 1955 in Basel) ist ein Schweizer Lithograf, Maler, Fotograf und Videokunstler, der sich der Art brut zurechnen lasst.
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KM3NeT ist ein Neutrinoobservatorium mit mehreren Standorten in der Tiefsee des Mittelmeers. Der Name leitet sich ab von „Kubikkilometer(km3)-Neutrino-Teleskop“.
Im Aufbau sind derzeit zwei Teleskope. Sie liefern seit 2015 erste Daten, haben aber noch nicht ihren geplanten Endausbau und damit die volle Leistungsfahigkeit erreicht. ARCA, vor der sizilianischen Kuste in einer Tiefe von 3500 Metern, beobachtet extrem hochenergetische kosmische Neutrinos mit dem Ziel, astrophysikalische Prozesse im Universum besser zu verstehen. ORCA, vor der franzosischen Kuste in einer Tiefe von 2450 Metern, beobachtet atmospharische Neutrinos mit dem Ziel, die Neutrino-Massenhierarchie zu bestimmen. Beide arbeiten dabei in unterschiedlicher Konfiguration mit demselben Design und Messprinzip: Sie beobachten mittels optischer Sensoren die Tscherenkow-Strahlung, die durch die Wechselwirkung der Neutrinos mit den Wassermolekulen entsteht. KM3NeT ist auf der Nordhalbkugel das Gegenstuck zum IceCube Neutrino Observatory am Sudpol. Beide beobachten vergleichbare Ereignisse, aber jeweils in unterschiedlichen Himmelsbereichen.
Geschichte 2002 empfahl das High-Energy Neutrino Astronomy Panel (HENAP) der IUPAP, einen Neutrino-Detektor im Kubikkilometer-Maßstab in der nordlichen Hemisphare zu bauen, um das im Bau befindliche IceCube-Observatorium zu erganzen und Beobachtungen des Sudhimmels und damit den Blick auf die Galaktische Ebene der Milchstraße zu ermoglichen.
2006 nahm dann das Europaische Strategieforum fur Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) KM3NeT in seine erste Roadmap auf. 2009 wurde die Design-Studie zur Entwicklung des technischen Designs abgeschlossen. Der Technical Design Report enthielt noch mehrere Technologieoptionen, uber die final erst nach der teils parallel laufenden Vorbereitungsphase von 2008 bis 2012 entschieden wurde. Neben technischen Fragen mussten auch organisatorische und rechtliche Themen sowie die finanzielle Unterstutzung geklart werden. Mit einem Memorandum of Understanding wurde diese Phase formal abgeschlossen und am 29. Januar 2013 fand die konstituierende Sitzung der KM3NeT Collaboration statt.
Im April 2013 wurde ein Prototyp des optischen Moduls an die Infrastruktur des ANTARES-Neutrinoteleskops angeschlossen und ein Jahr lang erfolgreich zur Datennahme eingesetzt. Test und finales Design weiterer Komponenten folgten.
2013 startete mit KM3NeT-Phase 1 der Aufbau der Forschungsinfrastruktur an den Standorten in Frankreich und Italien. Phase 1 sah Bau und Installation erster Infrastrukturen und Detektoren vor, mit Machbarkeitsprufung und ersten wissenschaftlichen Ergebnissen. Nachdem die unterseeischen Daten- und Stromnetzwerke vorbereitet worden waren, wurde im Dezember 2015 die erste Detektoreinheit fur ARCA installiert, gefolgt im September 2017 von der ersten Detektoreinheit fur ORCA.
Die Grundlage fur die folgende und noch andauernde „Phase 2.0“ sind die Festlegungen, die im „Letter of intent for KM3NeT 2.0“ veroffentlicht wurden und den geplanten Aufbau beschreiben. Der weitere Aufbau erfolgt modular und ist abhangig von vorhandener Finanzierung. In einer spateren Phase sollen weitere Detektoren integriert werden und ein dritter Standort vor Griechenland ausgebaut werden.
Messprinzip Neutrinos sind Elementarteilchen, die lediglich der schwachen Wechselwirkung unterliegen und daher weite Strecken unbeeinflusst zurucklegen konnen, weil sie nicht auf elektromagnetische Felder reagieren und auch mit Materieansammlungen nur selten reagieren. Deshalb benotigt man extrem große Detektionsvolumina, um uberhaupt Reaktionen beobachten zu konnen. KM3NeT verwendet dafur mehr als einen Kubikkilometer Meerwasser und beobachtet indirekt die durch Neutrinos ausgelosten Reaktionen. Der Einschlag von Neutrinos in die Bestandteile von Wassermolekulen erzeugt Partikelkaskaden, die Lichtblitze auslosen, die Tscherenkow-Strahlung. Diese wird uber optische Sensoren gemessen. KM3NeT untersucht mit den zwei spezialisierten Teleskopen ARCA und ORCA Neutrinos aus zwei grundsatzlich verschiedenen Quellen. Kosmische Neutrinos stammen aus astrophysikalischen Quellen im Weltraum zum Beispiel Supernovae oder Gammablitze. Atmospharische Neutrinos entstehen in der Atmosphare durch die Wechselwirkung von Luftmolekulen mit kosmischer Strahlung.
Technisches Design KM3NeT arbeitet mit einem modularen Design, das einen phasenweisen Aufbau ermoglicht. Die Grundeinheit bildet ein Digital Optical Module (DOM), eine druckfeste Kugel aus Acrylglas mit einem Durchmesser von etwa einem halben Meter, in der optische Sensoren und Elektronik untergebracht sind. Die Sensoren in jedem DOM sind 31 Photomultiplier-Rohren, von denen 19 in der unteren Halbkugel platziert sind und nach unten schauen. Die ubrigen 12 sind in der oberen Halbkugel und schauen nach oben. Jeweils 18 DOMs werden vertikal zu einem Messstrang angeordnet, der Detection Unit (DU). Ein Building Block besteht aus 115 solchen Strangen, die kreisformig angeordnet werden und senkrecht im Wasser hangen. Sie sind am Boden verankert und werden von einer unterseeischen Boje straff gehalten.
Auf dem Meeresgrund wird eine Infrastruktur aus elektro-optischen Kabeln und Verteilerkasten (Junction Boxes) aufgebaut. Speziell entwickelte Steckverbinder konnen dabei mit ferngesteuerten Unterseerobotern konnektiert werden. Diese Infrastruktur ist uber Stromzuleitungen und Breitband-Datenleitungen mit einer Landstation verbunden, die Energieanschluss, Computerfarm und eine Breitband-Internetverbindung bereitstellt. Die Datenubermittlung folgt dem All-data-to-shore-Konzept, das fur ANTARES erfolgreich entwickelt wurde. Nach einer ersten Datenfilterung in der Landstation werden die Daten uber das Internet in wissenschaftliche Rechenzentren in Lyon, Bologna und Suditalien weitergeleitet.
Standorte = KM3NeT-It: ARCA =
ARCA ist ein Akronym fur „Astroparticle Research with Cosmics in the Abyss“. Das Teleskop ist fur die Suche nach sehr hochenergetischen, kosmischen Neutrinos im Bereich TeV-PeV optimiert. Ziel ist die Untersuchung von extrem energiereichen astrophysikalischen Vorgangen. Die Strange sind 700 Meter lang, wobei die 18 DOMs einen senkrechten Abstand von 36 Metern haben und 80 Meter uber dem Meeresgrund beginnen. Der horizontale Abstand zwischen den Strangen betragt 90 Meter.
Das Teleskop wird in Italien, in der Tiefsee rund 80 Kilometer vor Capo Passero und rund 100 Kilometer vor Portopalo di Capo Passero (Sizilien) aufgebaut. Der Meeresgrund liegt dort in 3500 Meter Tiefe. Der Standort wurde fruher vom Neutrino Mediterranean Observatory (NEMO) genutzt und wird gemeinsam mit der EMSO facility for Earth and Sea science research betrieben.
Die Landstation mit Stromversorgung und Datenanschluss liegt bei Portopalo di Capo Passero. 2008 wurde das erste elektro-optische Kabel verlegt, zwei Junction Boxes im Sommer 2015.
Ein Prototyp-Messstrang mit nur drei aktiven DOMs wurde 2014 aufgebaut und fur mehr als ein Jahr betrieben. 2015 wurde die erste Detektionseinheit, ein 700 Meter langer Strang mit 18 Plexiglaskugeln, am Meeresboden verankert. Zwei weitere Strange folgten 2016. In einer einwochigen Seekampagne kamen 2021 weitere funf Detektionseinheiten dazu. Außerdem wurde eine Junction Box, ein Knotenpunkt fur die Stromverteilung und Datenubertragung der Detektionseinheiten, auf dem Meeresgrund installiert.
Stand Juli 2024 wird ARCA mit 28 Detektionseinheiten betrieben. Im Endausbau sind 230 Strange (2 Building Blocks) geplant. Das Teleskop wird dann ein instrumentiertes Volumen im Kubik-Kilometer-Maßstab haben und eine Wassermenge von mehreren Giga-Tonnen umfassen.
= KM3NeT-Fr: ORCA =
ORCA ist ein Akronym fur „Oscillation Research with Cosmics in the Abyss“. Das Teleskop soll die Oszillation atmospharischer Neutrinos untersuchen und die fundamentale Frage der Neutrino-Massenhierarchie klaren. Es ist auf den Energiebereich von 1 bis 100 GeV optimiert. Daher sind die optischen Sensoren dichter gesetzt als bei ARCA: Die Strange sind nur 200 Meter lang, wobei die 18 DOMs einen senkrechten Abstand von 9 Metern haben und 40 Meter uber dem Meeresgrund beginnen. Der horizontale Abstand zwischen den Strangen betragt nur 20 Meter.
Das Teleskop wird bei Frankreich, in der Tiefsee rund 40 Kilometer vor Toulon aufgebaut. Der Meeresgrund liegt dort in 2450 Meter Tiefe. Der Standort liegt etwa 10 km westlich vom fruheren Standort von ANTARES, dessen Infrastruktur teils weitergenutzt wird. Die Landstation mit Stromversorgung und Datenanschluss liegt am Les Sablettes Strand bei Toulon. Ein erstes elektro-optisches Kabel wurde 2014 verlegt, die erste Junction Box 2015 gesetzt. Nach dem Abbau von ANTARES 2022 wurde das Hauptkabel fur ORCA weiterverwendet. Der erste Messstrang wurde 2016 aufgebaut.
Am 15. Juni 2024 kamen weitere vier Strange dazu, ORCA wird damit mit 23 Strangen betrieben. Der voll ausgebaute ORCA-Array soll aus einem Building Block mit 115 Strangen bestehen und wird dann eine Wassermenge von 7 Mega-Tonnen umfassen.
= KM3NeT-Gr =
In einer spateren Ausbauphase soll ein weiterer Standort bei Pylos, Griechenland, dazukommen. Dort werden mehrere Stellen mit Meerestiefen zwischen 3000 und 4550 Metern untersucht.
Wissenschaftliche Ergebnisse Bereits in der Aufbauphase werden mit den Teleskopen wissenschaftliche Messungen durchgefuhrt, auch wenn die volle Leistungsfahigkeit noch nicht erreicht ist.
Am 18. Juni 2024 gab der Physiker Joao Coelho auf der Konferenz Neutrino 2024 bekannt, dass eine Messung auf ein kosmisches Neutrino mit horizontaler Eintrittsrichtung mit einer Energie von mehreren 10 Petaelektronenvolt hinweist, was das bisher energiereichste gemessene Neutrino ware. Der mogliche Ursprung des Neutrinos wird noch analysiert. Ein solches Ereignis mit dem geringen bisher aktiven Detektorvolumen beobachten zu konnen, ist ein Glucksfall. “It’s like winning the big lottery”, kommentierte Francis Halzen, ein Principal Investigator bei IceCube. 2023 wurde ein Neutrino mit einer Energie von 220 PeV detektiert.
Organisation und Zusammenarbeit Die KM3NeT-Collaboration umfasst die drei Standorte KM3NeT-Fr mit dem ORCA-Detektor, KM3NeT-It mit dem ARCA-Detector und KM3NeT-Gr sowie 69 Institutionen aus 21 Landern: Algerien (4 Institutionen), Australien (1), Belgien (2), China (1), Zypern (1), Tschechien (1), Frankreich (10), Georgien (2), Deutschland (5), Griechenland (2), Italien (11), Marokko (5), Polen (3), Rumanien (1), Slowakei (2), Sudafrika (3), Spanien (5), die Niederlande (5), die Vereinigten Arabischen Emirate (2), Großbritannien (1) und die Vereinigten Staaten von Amerika (2). Aus Deutschland sind folgende Institutionen beteiligt: das Erlangen Centre for Astroparticle Physics (ECAP) und die Remeis-Sternwarte, beide gehoren zur Friedrich-Alexander-Universitat Erlangen-Nurnberg; die Universitat Wurzburg, das Max-Planck-Institut fur Radioastronomie in Bonn und das Institut fur Nuklearphysik der Universitat Munster.
Die Collaboration wird von einem gewahlten Management geleitet. Ein Resources Review Board steht dem Projekt vor. Es wird von einem International Scientific and Technical Advisory Committee beraten. KM3NeT- und ANTARES-Collaboration fuhren ihre Zusammenkunfte gemeinsam etwa 3- bis 4-mal pro Jahr durch.
ANTARES (Mittelmeer), IceCube (Sudpol), Lake Baikal (Russland) und KM3NeT (Mittelmeer) unterzeichneten am 15. Oktober 2013 ein Memorandum of Understanding fur das Global Neutrino Network (GNN).
Als Reaktion auf Russlands Uberfall auf die Ukraine hat die KM3NeT-Collaboration alle institutionellen Beziehungen zu wissenschaftlichen Organisationen in Russland suspendiert.
Weblinks KM3NeT-Collaboration
Pressemitteilung 2015 der beteiligten Gruppe „Erlangen Center for Astroparticle Physics (ECAP)“ (an der Friedrich-Alexander-Universitat Erlangen-Nurnberg)
KM3NeT bei inspireHEP (High Energy Physics): Links und Liste verbundener Veroffentlichungen
Einzelnachweise
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KM3NeT ist ein Neutrinoobservatorium mit mehreren Standorten in der Tiefsee des Mittelmeers. Der Name leitet sich ab von „Kubikkilometer(km3)-Neutrino-Teleskop“.
Im Aufbau sind derzeit zwei Teleskope. Sie liefern seit 2015 erste Daten, haben aber noch nicht ihren geplanten Endausbau und damit die volle Leistungsfahigkeit erreicht. ARCA, vor der sizilianischen Kuste in einer Tiefe von 3500 Metern, beobachtet extrem hochenergetische kosmische Neutrinos mit dem Ziel, astrophysikalische Prozesse im Universum besser zu verstehen. ORCA, vor der franzosischen Kuste in einer Tiefe von 2450 Metern, beobachtet atmospharische Neutrinos mit dem Ziel, die Neutrino-Massenhierarchie zu bestimmen. Beide arbeiten dabei in unterschiedlicher Konfiguration mit demselben Design und Messprinzip: Sie beobachten mittels optischer Sensoren die Tscherenkow-Strahlung, die durch die Wechselwirkung der Neutrinos mit den Wassermolekulen entsteht. KM3NeT ist auf der Nordhalbkugel das Gegenstuck zum IceCube Neutrino Observatory am Sudpol. Beide beobachten vergleichbare Ereignisse, aber jeweils in unterschiedlichen Himmelsbereichen.
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Manizha Talash (paschtunisch منيزه تالاش, persisch منیژا تلاش; * 22. Dezember 2002 in Kabul) ist eine Breakdancerin aus Afghanistan, die als Mitglied des Refugee Olympic Teams unter dem Namen Talash an den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris teilnahm.
Leben und Karriere = Kindheit und Flucht =
Talash wuchs in Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, auf und entdeckte Breakdance 2020, kurz vor ihrem 18. Geburtstag, in den Sozialen Medien. Sie war von diesem Sport fasziniert und schloss sich einer Breakdance-Gruppe in Kabul an, die nur aus jungen Mannern bestand. In ihrer Heimat wurden sie und ihre Gruppe bedroht, da Musik und Tanz unter der Herrschaft der Taliban verboten sind. Manizha anderte ihren Familiennamen in Talash, um ihre Familie zu schutzen. Sie und andere Mitglieder ihrer Breakdance-Gruppe mussten nach dem Abzug der US-Amerikaner aus Afghanistan 2021 die Hauptstadt Kabul und ihr Land verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen. Talash trat die Flucht mit ihrem jungeren Bruder an. Dabei betonte sie, dass die Erhaltung ihres Traums, Breakdancerin zu sein, wichtiger als ihr Leben sei.
2024 wanderten weitere Mitglieder ihrer Familie nach Spanien aus, da sie durch Medienaufmerksamkeit der Breakdancerin in ihrem Heimatland gefahrdet waren.
= Olympische Spiele 2024 =
Sie kam uber Pakistan nach Spanien, wo sie als Fluchtling anerkannt wurde und durch das Unterstutzungsprogramm der Olympic Refugee Foundation weiterhin in Madrid ihren Sport ausuben kann. Ihr Trainer dort ist David Vento. Sie wurde in das Refugee Olympic Team aufgenommen und ist die einzige Athletin ihres Teams, die in der 2024 neu aufgenommenen olympischen Sportart Breaking, einer Form des Breakdance, antreten wird. Als Breakdancerin tragt sie den Namen B-Girl Talash und wird in den Medien als erste Breakdancerin Afghanistans bezeichnet.
Zu ihrer Motivation gefragt meinte Talash:
In einem Interview mit dem Time Magazine fugte sie hinzu, dass allein die Teilnahme an den Spielen in Paris schon ein Sieg bedeute.
Am 9. August 2024 trat Manizha Talash bei den Olympischen Spielen in Paris im Breaking-Wettbewerb an. Wahrend ihres ersten Battles in der Vorqualifikation gegen die Niederlanderin India Sardjoe, auch India, zeigte sie einen hellblauen Umhang mit der Aufschrift „Free Afghan Women“ („Befreit afghanische Frauen“). India, ihre Gegnerin, reagierte auf das Zeigen dieser Botschaft mit Applaus. Die gezeigte Botschaft wurde von der World DanceSport Federation als „politischer Slogan“ gewertet, was zu einer Disqualifikation fuhrte. Bereits vor ihrer Disqualifikation wurde das Battle durch India mit 3:0 entschieden.
Weblinks Reuters (YouTube): Afghanistan’s first female breakdancer sets sights on Paris Olympics (englisch)
Manizha Talash auf olympics.com (englisch)
Eintrag auf olympics.com (englisch)
Einzelnachweise
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Manizha Talash (paschtunisch منيزه تالاش, persisch منیژا تلاش; * 22. Dezember 2002 in Kabul) ist eine Breakdancerin aus Afghanistan, die als Mitglied des Refugee Olympic Teams unter dem Namen Talash an den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris teilnahm.
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Die Sachsische Talerwahrung von 1500 bis 1571 umfasst den ersten Abschnitt der Talerwahrung von der ersten Auspragung der Großsilbermunzen, der silbernen Gulden (Talermunzen), bis zur Pragung der Reichstaler nach der Augsburger Reichsmunzordnung von 1559, der Kurfurst August von Sachsen 1571 beigetreten war.
Das Munzgewicht in den Tabellen der Sachsischen Talerwahrung kann gegebenenfalls auch der Munzbestimmung dienen, da auf diesen Munzen in der Regel keine Nominalangaben vorhanden sind.
Geschichtliche Zusammenhange Dem ersten Abschnitt der sachsischen Talerwahrung war im Jahr 1485 die bedeutendste Landesteilung Sachsens, die Leipziger Hauptteilung, vorausgegangen. Die beiden Sohne Friedrichs des Sanftmutigen (1428–1464), Ernst (1464/85–1486) und Albrecht der Beherzte (1464/85–1500), stifteten 1485 die Ernestinische und die Albertinische Linie. Die Kurwurde war an die Primogenitur (Erstgeburt) gebunden. Ernst war der altere der beiden Bruder; er blieb Kurfurst. Die Nutzung der Bergwerke erfolgte gemeinschaftlich. Das Munzrecht stand jedem der Bruder in vollem Umfang zu. Sie sollten nach dem Wunsch ihres Vaters stets gemeinschaftlich regieren.
Seit der Schlacht bei Muhlberg im Jahr 1547 und der Verleihung der sachsischen Kurwurde an die Albertiner war die in der Leipziger Hauptteilung von 1485 zwischen den Ernestinern und Albertinern vereinbarte gemeinsame Munzpragung endgultig aufgegeben worden. Nach der Ubernahme der Kurwurde spielte das albertinische Sachsen die fuhrende Rolle unter den wettinischen Furstentumern. Der neue albertinische Kurfurst Moritz (1541–1547–1553) munzte nur noch in seinem eigenen Namen.
Munzordnung von 1500 Die reichen Silbervorkommen bei Freiberg verhalfen Sachsen zu einer fuhrenden Position im deutschen Munzwesen.
Im Mai 1500 beschlossen Kurfurst Friedrich III. der Weise (1486–1525) und sein Bruder Herzog Johann der Bestandige (1486/1525–1532) im Einvernehmen mit Herzog Georg dem Bartigen (1500–1539) als Stellvertreter seines Vaters Albrecht des Beherzten (1464/85–1500), der als Statthalter in der Provinz Friesland (Westfriesland) weilte, die sogenannte Leipziger Munzordnung. Sie verkundeten ihren Landsassen und Untertanen in je einem Mandat, der Kurfurst ohne Datum, der Herzog mit Datum 17. Mai 1500, die neue Munzordnung. Damit begann in Sachsen der erste Abschnitt der sachsischen Talerwahrung.
Die Umstellung der sachsischen Wirtschaft war durch die Auspragung der Zinsgroschen und danach durch die Schreckenberger, die nach dem Fundort des Silbers benannt sind, gut vorbereitet gewesen. Der erste sachsische silberne Gulden, der nach der neuen Munzordnung geschlagen wurden, zeigt das Brustbild Kurfurst Friedrichs III. und die gegeneinander gestellten Brustbilder der Herzoge Albrecht und Johann.
Die Bemuhungen um eine reine Silberwahrung sollte mit der Einfuhrung der neuen Munzordnung zum Erfolg gefuhrt werden. Der Feingehalt der neuen silbernen Gulden von 27,4 g entsprach wertmaßig dem damaligen Goldwert des rheinischen Goldguldens bei einem Wertverhaltnis von Gold zu Silber von 1:10,8. Fur die Pragung der ersten Großsilbermunzen waren Tiroler Guldiner Vorbild. Sie waren nach dem gleichen Munzfuß geschlagen. Einen sprachlichen Unterschied gab es offiziell zwischen silbernen und goldenen Gulden nicht. Beide Munzen waren gleichwertig und hießen Gulden. Die Bezeichnung als Guldengroschen tritt erst ab etwa 1534 auf. Die Kopfbedeckung der Fursten war spater der Grund fur den Munznamen Klappmutzentaler.
= Auspragung =
- Tabellenangaben nach Paul Arnold
Wahrscheinlich im Jahr 1505 wurde der Feingehalt der ganzen und halben Gulden auf 14 Lot 16 Gran = 930,56 0⁄00 verringert.
= Munzsystem =
- Tabellenangaben nach Paul Arnold
Mit dem reich gegliederten Munzsystem und den hohen Auflagen der silbernen Gulden gelang es, die Goldgulden zuruckzudrangen.
Nach 1525 kam es zum Streit zwischen den beiden sachsischen Linien. Die Ursache waren die Verringerung des Feingehalts des Goldguldens und der damit verbundene Anstieg des Goldpreises. Bereits im Jahr 1533 war auf einer Augsburger Standekonferenz festgestellt worden, dass „die gute alte Munze zerbrochen, gesaigert, karrenweise verkaufet und an deren statt argere und schlechtere Munzen gepraget“ wurde. Die Silberwahrung sollte daher endgultig von der Abhangigkeit des Goldguldens gelost werden. Kurfurst Johann der Bestandige war fur eine Verringerung des Munzfußes, wahrend Herzog Georg der Bartige keine Verschlechterung des Geldes wollte. Im Jahr 1530 kam es zur Munztrennung.
Auspragung unter Kurfurst Johann nach der Munztrennung um 1530 Das Rauhgewicht der Nominale blieb unverandert. Munzmeister Sebastian Funke verwendete bei allen Nominalen wie in der Munzstatte Schneeberg sein Munzmeisterzeichen Andreaskreuz, gab aber keine Jahreszahl an. Die Munzverschlechterung wurde offiziell nicht bekanntgegeben.
Die Umschrift auf der Talermunze der Alleinpragung Johanns lautet auf der Vorderseite: IOHANNES ELECTOR FIER(i) FECIT und ubersetzt: Kurfurst Johann ließ (diese Munze) anfertigen. Auf der Ruckseite lautet die Umschrift: MONETA NOVA DVCIS SAXONI(ae) und ubersetzt: Neue Munze der Herzoge zu Sachsen.
- Tabellenangaben nach Paul Arnold
Herzog Georg ließ in Gegensatz zu Kurfurst Johann weiterhin nach dem „alten Schrot und Korn“ pragen.
Auspragung nach der Munzordnung vom 20. Januar 1534 Die Auspragung unter Kurfurst Johann Friedrich dem Großmutigen und Herzog Georg dem Bartigen erfolgte nach der Munzeinigung der beiden Fursten.
Am 17. Juli 1531 fallten die Landstande der beiden Linien in Grimma den sogenannten Grimmaischen Machtspruch mit der Forderung nach einem einheitlichen Munzfuß. Beide Fursten beugten sich der Forderung ihrer Stande, Schrot und Korn nur mit deren Rat und nur mit deren Bewilligung zu andern.
Als Kurfurst Johann der Bestandige 1532 starb, wurde die Verhandlung fur die zukunftige Munzpragung unterbrochen. Jedoch erst am 18. November 1533 konnten die Landstande die Wiederaufnahme der gemeinschaftlichen Munzpragung beschließen. Am 20. Januar 1534 verkundete Herzog Georg der Bartige die neue Munzordnung mit dem Kurfursten Johann Friedrich dem Großmutigen (1532–1547–1554) und erließ eine Valvation, eine Wertfestsetzung der auswartigen Munzen. Fur den silbernen Gulden wurde die neue Bezeichnung Guldengroschen eingefuhrt und der Wert des Guldens von 21 auf 22 Groschen erhoht. Die neue Munzordnung vom 20. Januar 1534 war eine Kompromisslosung.
- Tabellenangaben nach Paul Arnold
1⁄4 Guldengroschen ab 1536; seit 1542 auch Schreckenberger.
Auspragung nach der Munzordnung vom 27. Marz 1549 unter Kurfurst Moritz Nach der Niederlage des Kurfursten Johann Friedrich des Großmutigen in der Schlacht bei Muhlberg im Jahr 1547 und seiner Gefangennahme durch Kaiser Karl V. erfolgte die endgultige Munztrennung. Die kursachsischen Stande ermutigten Kurfurst Moritz in seinem Widerstand gegen die Esslinger Reichsmunzordnung und forderten sein Bestreben, eine eigene Munzordnung zu erlassen. Der neu belehnte Kurfurst Moritz erließ von Torgau aus seine neue Munzordnung am 27. Marz 1549, nach der der Feingehalt der Groschen Dreier und Pfennige verringert wurden, die Ausbringung der Guldengroschen und seiner Teilstucke aber unverandert ließ. Als Munzgrundgewicht legte er die Erfurter Mark fest, die im Mittelalter der Kolner Mark entsprach. In der Neuzeit stellte sich ein Unterschied von etwa einem Gramm heraus.
- Tabellenangaben nach Paul Arnold
In der Munzordnung wurden die 1552 gepragten 1⁄8 Guldengroschen (Halbort) zu 3 Groschen sowie die 1547 gepragten Schreckenberger (1⁄7 Guldengroschen) und die undatierten Spitzgroschen (1⁄16 Guldengroschen) nicht erwahnt.
Auspragung nach der Munzordnung vom 27. September 1558 unter Kurfurst August Entsprechend der hochentwickelten Wirtschaft Kursachsens verfugte das Kurfurstentum uber ein reichgegliedertes Munzsystem. Die Munzordnung umfasste unter anderem auch die Aufbewahrung der „Stockproben“ in den Fahrbuchsen.
Die Bemuhungen um einen einheitlichen Munzfuß im Heiligen Romischen Reich zogen sich hin. Im Jahr 1571 traten Kurfurst August (1553–1586) und die Stande des Obersachsischen und Niedersachsischen Reichskreises der Augsburger Reichsmunzordnung von 1559 und Kaiser Maximilians II. Reichsmunzedikt von 1566 bei.
- Tabellenangaben nach Paul Arnold
Schreckenberger = 1⁄6 Gulden (meißnischer Gulden)
Siehe auch Esslinger Reichsmunzordnung
Augsburger Reichsmunzordnung von 1551
Augsburger Reichsmunzordnung von 1559
Literatur Walther Haupt: Sachsische Munzkunde. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1974.
Paul Arnold: Numismatische Hefte. Nr. 20, Dresden 1986.
Paul Arnold: Die sachsische Talerwahrung von 1500 bis 1763. In: Schweizerische Numismatische Rundschau. Band 59, 1980.
Gerhard Krug: Die meißnisch-sachsischen Groschen (= Werner Coblenz [Hrsg.]: Veroffentlichungen des Landesmuseums fur Vorgeschichte Dresden. Band 13). Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1974, urn:nbn:de:bsz:14-db-id18786688892.
Paul Arnold: Die Genealogie der meißnisch-sachsischen Landesfursten. In: Numismatischer Verein zu Dresden e. V. (Hrsg.): Dresdner numismatische Hefte. Nr. 1/1996.
Julius Erbstein, Albert Erbstein: Erorterungen auf dem Gebiete der sachsischen Munz- und Medaillen-Geschichte bei Verzeichnung der Hofrath Engelhardt’schen Sammlung. Dresden 1888.
Christian A. Kohl: Talerteilstucke des Kurfurstentums Sachsen. Typenkatalog albertinische Linie 1546–1763. Leipzig 1994.
Helmut Kahnt: Das große Munzlexikon von A bis Z. Regenstauf 2005.
Einzelnachweise
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Die Sachsische Talerwahrung von 1500 bis 1571 umfasst den ersten Abschnitt der Talerwahrung von der ersten Auspragung der Großsilbermunzen, der silbernen Gulden (Talermunzen), bis zur Pragung der Reichstaler nach der Augsburger Reichsmunzordnung von 1559, der Kurfurst August von Sachsen 1571 beigetreten war.
Das Munzgewicht in den Tabellen der Sachsischen Talerwahrung kann gegebenenfalls auch der Munzbestimmung dienen, da auf diesen Munzen in der Regel keine Nominalangaben vorhanden sind.
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Chiisana Koi no Uta (小さな恋のうた, auf Deutsch etwa „Ein kleines Liebeslied“) ist ein Lied der japanischen Punkband Mongol800 aus dem Album Message, das am 16. September 2001 auf dem japanischen Markt veroffentlicht wurde.
Obwohl das Lied nicht als Single herausgegeben wurde, entwickelte es sich zu einem Signature Song der Gruppe, der vielfach gecovert wurde und Basis fur die Produktion eines Kinofilms war.
Komposition und Liedtext Der Liedtext wurde von Bassist und Sanger Kiyosaku Uezo geschrieben, wahrend die ubrigen Mitglieder der Gruppe die Melodie des Liedes komponierten. Die Haupttonart des Stuckes ist B-Dur, die Taktart ein 4⁄4-Takt und es weist ein Tempo von 116 Bpm auf. In einem Interview mit Rina Sako von der Entertainment-Webseite Natalie.mu aus dem Jahr 2019 erklarte Uezo, dass er die Haupttonart des Liedes gar nicht gekannt habe, als er es geschrieben habe. Laut Uezo beginnt das Lied mit einem tiefen Ton und geht spater in einen hoher klingenden Refrain uber. Im gleichen Interview sagte er, dass er im Liedtext auf die Personalpronomen 僕 boku („ich“) und 君 Kimi („du“) verzichtet habe, weil er so etwas wie die Angewohnheit der Einwohner Okinawas habe, keine Personalpronomen der ersten Person zu nutzen. Ihm sei stattdessen die hoflichere Anrede あなた anata passender erschienen. Das Lied zeichnet sich durch eine einfache, sich wiederholende Akkordfolge aus und ist daher leicht zu lernen.
Laut Hasumi Aku von Utaten handelt das Lied von einer Liebe zwischen zwei Personen, die gemeinsam auf einer kleinen Insel aufgewachsen sind und sich seit fruhester Kindheit kennen, ehe sie irgendwann voneinander getrennt werden. Der Text, der aus der Sicht des Jungen geschrieben ist, zeigt den weiteren Verlauf der „Liebesgeschichte“ auf und beschreibt seine Gefuhle zu dem Madchen, die sich niemals andern werden. In einem Interview aus dem Jahr 2019 erklarte Schauspieler Gordon Maeda, der im gleichnamigen Kinofilm die Rolle des Shinji Fukumura spielte, dass er Chiisana Koi no Uta zunachst fur ein einfaches Liebeslied gehalten habe. Beim Lesen und Studieren des Liedtextes sei ihm klar geworden, dass das Lied auch die Gefuhle und die Verbundenheit der Musiker zu Okinawa zum Ausdruck bringt.
Veroffentlichung Chiisana Koi no Uta ist das dritte Lied auf dem zweiten Studioalbum Message, das am 16. September 2001 auf dem japanischen Markt veroffentlicht wurde. Das Album ist das erste bei einem Independentlabel veroffentlichte musikalische Werk in der Geschichte Oricons, das mehr als eine Million Tontrager absetzen und Platz eins der heimischen Albumcharts erreichen konnte. Chiisana Koi no Uta wurde weder vor noch nach der Albumveroffentlichung als Single ausgekoppelt.
Coverversionen Das Lied wurde von mehr als 60 uberwiegend japanischen Musikern und Musikgruppen gecovert, die unterschiedliche Erfolge erzielten. Die kommerziell erfolgreichste Coverversion des Liedes erschien 2009 von Yui Aragaki und wurde zwischenzeitlich von der Recording Industry Association of Japan mit einer Goldenen Schallplatte im Klingelton-Segment ausgezeichnet. Bei ihrer Coverversion wurde sie von 3000 Schulern und Schulerinnen musikalisch begleitet.
Ein weiteres erfolgreiches Cover stammt von dem japanischen Musiker Amatsuki aus dem Jahr 2016. Dessen auf YouTube veroffentlichtes Musikvideo erreichte inzwischen die Marke von 100 Millionen Aufrufen. Auch die Schauspielerin Minami Hamabe coverte Chiisana Koi no Uta im Rahmen einer Werbekampagne fur Line Music. Diese Coverversion erreichte im Mai 2019 Platz 32 der japanischen Billboard-Charts, nachdem der auf dem Lied basierende Film in den japanischen Kinos angelaufen war.
Im Zuge eines speziellen Musikevents in der Prafektur Gunma wurde das Lied im Juni 2024 von 1000 Musikern gleichzeitig gespielt. Fur diese Veranstaltung wurden 200 Sanger und Bassisten, 500 Gitarristen und 100 Schlagzeuger aus ganz Japan eingeladen.
Folgende Kunstler haben Chiisana Koi no Uta gecovert:
Kinofilm Der Kinofilm Chiisana Koi no Uta wurde im Mai 2018 angekundigt und basiert auf dem Lied. Er kam am 24. Mai 2019 in die japanischen Kinos. Das Titellied ist ebenfalls eine Coverversion des Mongol800-Liedes und wurde von der Chiisana Koi no Uta Band eingesungen. Die Mitglieder der Gruppe erhielten ebenfalls eine Rolle. Kenya Hirata, der das Drehbuch des Films schrieb, verfasste zudem eine Romanversion, die am 15. Marz 2019 uber den Verlag Kodansha erschien.
Nutzung = In Film und Fernsehen =
Chiisana Koi no Uta war als Insert-Song in mehreren Folgen des Fernsehdramas Operation Love zu horen, das 2007 im japanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Die Coverversionen der Synchronsprecherinnen Rie Takahashi, Ayane Sakura, Minami Takahashi und Manaka Iwami wurden zudem in den Anime-Produktionen Nicht schon wieder, Takagi-San, Asagao to Kase-san., The Angel Next Door Spoils Me Rotten und Alya flustert mir auf Russisch suße Worte zu genutzt.
Eine von der japanischen Sangerin Salyu eingesungene Version des Liedes wurde in einem Kreditkarten-Werbespot von Mitsubishi genutzt.
= Bucher =
Die Noten des Liedes wurden in Schulbuchern fur Drittklassler abgedruckt. Chiisana Koi no Uta wird im zweiten Band des Musikromans Sutopi torabera hanami. von Rinako Shibano, welches an Vorschulkinder gerichtet ist, aufgegriffen und thematisiert.
Erfolg Chiisana Koi no Uta ist in Japan ein sehr beliebtes und populares Lied beim Karaoke. Laut dem japanischen Musikkritiker Tomonori Shiba, der in seinem 2021 veroffentlichten Buch Heisei no hitto-kyoku (平成のヒット曲 „Heisei-Hits“) unter anderem uber das Lied schrieb, belegte dieses zehn Jahre hintereinander die Spitzenposition der heimischen Karaokecharts. Er schrieb, dass das Werk nach Abflauen des kommerziellen Erfolges des Albums Message „aus den Handen der Musiker“ gelangt sei und inzwischen „fur sich selber“ stehe. Als Grunde fur die Beliebtheit des Liedes wurden die simple Melodie und der einfache Liedtext genannt. Der Liedtext enthalt ausschließlich einfach verstandliche Satze. Selbst 20 Jahre nach seiner Erstveroffentlichung auf dem Album Message gilt Chiisana Koi no Uta als eines der beliebtesten Lieder, die beim Karaoke gesungen werden. Im DAM-Ranking der Daiichi Kosho Company, das uber die gesamte Heisei-Zeit gefuhrt wurde, kam es auf Platz eins der meistgesungenen Lieder eines mannlichen Interpreten. Das Lied erreichte acht Jahre hintereinander einen Platz in den Top-30 der meistgesungenen Karaoke-Liedern innerhalb eines Jahres in Japan. Zwischen 2013 und 2019 war Chiisana Koi no Uta dabei noch sechsmal in den Top-Ten der Oricon-Karaoke-Jahrescharts zu finden.
In den Digital-Song- und den Streamingcharts des Medienunternehmens Oricon erreichte das Lied mit Platz 25 bzw. 38 seine Hochstpositionen und konnte sich knapp 90 bzw. 210 Wochen lang in den Bestenlisten platzieren. Das Lied platzierte sich erstmals im Jahr 2013 in den Billboard Japan Hot 100 und konnte im Jahr 2019 mit Platz 28 seine Hochstposition erreichen. Chiisana Koi no Uta verblieb mit Unterbrechungen insgesamt 40 Wochen in den von Billboard Japan publizierten Singlecharts. In den Jahrescharts der Billboard Japan Hot 100 fur das Jahr 2019 belegte das Stuck Platz 67.
Im Dezember 2021 meldete Billboard Japan, dass das Lied die Marke von 100 Millionen Musikstreamings in Japan uberschritten habe. Dabei ist es nach dem Stuck Hanabi von Mr. Children erst das zweite Lied aus den 2000ern, die diese Marke uberschreiten konnte. Laut einem Bericht von Oricon belegte Chiisana Koi no Uta den dritten Platz der meistgehorten Lieder der 2000er-Jahre in Japan auf Spotify, hinter den Liedern Zenryoku Shonen von Sukima Switch und Hanabi von Mr. Children. Das Lied erzielte im Jahr 2002 laut einem Bericht der JASRAC die viertmeisten Einnahmen im Klingelton-Segment.
Das Lied war fur eine Nominierung bei den ersten Music Awards Japan berechtigt und befand sich in den Kategorien Best Japanese Song und Best J-Rock Song auf der Longlist, wurde aber letztendlich nicht nominiert. Im Jahr 2019 wurde das Lied mit der Silbermedaille bei den NexTone Awards ausgezeichnet. Der Preis wird an musikalische Werke verliehen, die innerhalb eines Fiskaljahres die hochsten Lizenzeinnahmen generieren konnten.
Weblinks MONGOL800: 小さな恋のうた auf YouTube, abgerufen am 24. Juli 2024.
Liedtext zu Chiisana Koi No Uta (englisch, transkribiert). In: Animelyrics.com. Abgerufen am 30. Juli 2024.
Einzelnachweise = Anmerkungen =
= Literatur =
Tomonori Shiba: 平成のヒット曲. (Heisei no hitto-kyoku, etwa: „Heisei-Hits“) (= 新潮新書 Shincho shinsho. Nr. 929). Shinchosha, Shinjuku 2021, ISBN 978-4-10-610929-4, S. 303, 141–150 (japanisch).
= Belege =
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Chiisana Koi no Uta (小さな恋のうた, auf Deutsch etwa „Ein kleines Liebeslied“) ist ein Lied der japanischen Punkband Mongol800 aus dem Album Message, das am 16. September 2001 auf dem japanischen Markt veroffentlicht wurde.
Obwohl das Lied nicht als Single herausgegeben wurde, entwickelte es sich zu einem Signature Song der Gruppe, der vielfach gecovert wurde und Basis fur die Produktion eines Kinofilms war.
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Airstream Inc. ist ein US-amerikanischer Hersteller von Freizeitfahrzeugen im Oberklasse-Segment, der vor allem fur seine Wohnwagen und deren markantes Design mit poliertem Aluminium bekannt ist. Airstream ist heute Teil des ebenfalls aus den USA stammenden Konzerns Thor Industries.
Geschichte = Anfange =
Bis in die fruhen 1930er Jahre wurden Wohnwagen in den USA oft hobbymaßig in Eigenregie nach veroffentlichten Vorlagen selbst gebaut, eine Serienproduktion wie beispielsweise die des Curtiss Aerocars gab es nur in geringem Umfang. Der spatere Unternehmensgrunder Wallace („Wally“) M. Byam war seinerzeit Herausgeber verschiedener Publikationen wie eines Magazins fur Heimwerker oder eines Radioprogrammfuhrers. Nachdem eine Veroffentlichung einer ihm zugesandten Bauanleitung fur einen Wohnanhanger zahlreiche Beschwerden der Leserschaft einbrachte, in denen die geringe Qualitat des Modells und der schwierige Nachbau des Entwurfs bemangelt wurden, erstellte Byam selbst eine Bauvorlage fur einen Wohnwagen, die er gegen Bezahlung (Anm. 1) an Interessenten verschickte. (Anm. 2) Angespornt durch den Erfolg dieser Kampagne und seine ersten Erfahrungen im Wohnwagenbau begann Byam kurz darauf die Auftragsfertigung kompletter Wohnwagen nach Kundenwunsch auf Grundlage seines ursprunglichen Entwurfs. Die offizielle Grundung der Airstream Inc. erfolgte 1931. Die Produktionsstatte, die sich zunachst auf dem privaten Wohngrundstuck der Eheleute Marion und Wallace Byam befand, wurde im selben Jahr nach Culver City verlegt und im folgenden Jahr konnte Airstream die ersten Wohnwagen ausliefern. Die ersten drei Modelle (Torpedo, Silver Bullet und Silver Cloud) waren noch aus Sperrholz beziehungsweise Masonit gefertigt und entsprachen somit noch nicht dem typischen Design, fur das Airstream spater bekannt wurde. Byam vertrieb zusatzlich zu den Anhangern aus eigener Produktion auch Wohnwagen von Bowlus (vormals Bowlus-Teller), die 1935 Insolvenz anmelden mussten und nach einer Konkursauktion in der Airstream Inc. aufgingen. Die von Byam bereits vor der Ubernahme vertriebenen aktuellen Modelle Road Chief und der kleinere Papoose waren luxuriose Wohnwagen mit einem stromlinienformigen Gehause aus unlackiertem, poliertem Aluminium, bei deren Formgestaltung sich ihr Konstrukteur, der Pilot und Flugzeugmechaniker William Hawley Bowlus, von Vorbildern aus der Luftfahrt inspirieren ließ. Die Halb-Monocoque-Bauweise der Karosserie gab den Wohnwagen eine hohere Festigkeit und die Verwendung von Aluminium machte sie insgesamt leichter, sodass sie auch von schwacheren Fahrzeugen gezogen werden konnten. 1936 begann Byam mit der Produktion des Airstream Clipper, der in weiten Teilen auf der Vorlage des Bowlus Road Chief basierte. Benannt wurde das Modell nach dem Flugboot Pan Am Clipper (siehe auch: Klipper), was ebenso wie die Gestaltung der Fenster und der verblendeten Radkasten einen nautischen Gesamteindruck erzeugen sollte.
= Krise und anschließende Festigung nach dem Zweiten Weltkrieg =
Kurz darauf verlangsamte sich das Wachstum der Branche insgesamt und auch bei Airstream gingen die Verkaufszahlen in den Folgejahren deutlich zuruck. Einen Tiefpunkt erreichte das Unternehmen im Zweiten Weltkrieg, als am 8. Dezember 1941 Aluminium zum kriegswichtigen Material erklart und die Verwendung fur die Produktion von Wohnwagen wahrend des Krieges untersagt wurde. Airstream verwendete seit der Einfuhrung des Clipper mittlerweile ausschließlich Aluminium als Hauptbestandteil der Außen- und Innenverkleidung der Wagen, so dass die Produktion Anfang 1942 eingestellt werden musste. Wally Byam, der im Anschluss Arbeit in der Flugzeugindustrie fand, wollte nach Kriegsende wieder Fuß in der Wohnwagenproduktion fassen und ging mangels Eigenkapital eine Kooperation mit Curtis Wright Industries ein (nicht zu verwechseln mit der Curtiss-Wright Corp.); die Produktion des Curtis Wright Clipper (eine nahezu baugleiche Version des Airstream Clipper) begann 1947, jedoch endete die Zusammenarbeit schon im selben Jahr und Byam grundete die Wallace Manufacturing, die am 1. November 1948 in Airstream Trailers Inc. umbenannt wurde. Ab 1947 veroffentlichte Airstream mit dem knapp sechseinhalb Meter langen Liner erstmals nach dem Clipper ein neues Modell. Bekanntheit erlangte eine von Byam angefertigte Werbefotografie, die den franzosischen Radrennfahrer Alfred Letourneur zeigt, wie er einen an seinem Fahrrad befestigten Airstream Liner mit bloßer Muskelkraft zieht. Die Szene wurde in stilisierter Form in einem fruhen Airstream-Logo verwendet. Zusatzlich wurden Variationen des Liners veroffentlicht, die sich hauptsachlich in Lange und Ausstattung unterschieden; die kleinste Version Wee Wind maß unter funf Meter, die langste Version Whirlwind brachte es auf uber achteinhalb Meter. Die rundliche Form durch zusammengenietete Platten aus poliertem Aluminium wurde mit der Veroffentlichung des Liners endgultig zum Standard-Design mit Wiedererkennungswert fur Airstream. Durch die steigende Nachfrage wurde die angestammte Produktionsstatte bald zu klein und 1952 erfolgte schließlich die Erweiterung um das noch heute bestehende Hauptwerk in Jackson Center, Ohio. 1958 brachte Airstream mit dem International erstmals einen Wohnwagen mit einer eigenen Warmwasser- und Stromversorgung heraus. 1961 bot Airstream mit dem Bambi wieder einen kleinen Wohnanhanger an, der auch von schwacheren Fahrzeugen bewegt werden konnte.
Der Unternehmensgrunder Wallace Byam starb am 22. Juli 1962 an einem Hirntumor.
= Airstream unter Beatrice Foods (1967 bis 1979) =
1967 wurde das Unternehmen an Beatrice Foods verkauft. Zwei Jahre spater gab es die erste großere Veranderung im Design der Wohnwagen, die dadurch neben einem allgemeinen Facelift insgesamt breiter und rundlicher gestaltet wurden. 1972 brachte Airstream mit dem Argosy (deutsch: „Handelsschiff“) erstmals einen nicht silberfarbenen Wohnwagen heraus. Der beige bzw. mehrfarbige Trailer wurde aus gunstigeren Materialien gefertigt und war als Mittelklasse-Fahrzeug konstruiert. Airstream etablierte mit Argosy eine eigene Submarke, die nicht den Schriftzug Airstream trug und bei der großere Neuerungen testweise eingefuhrt werden konnten, ohne damit die Hauptmarke zu beeinflussen. Als sich die Olkrise 1973 auf die Verkaufszahlen von Airstream auswirkte, versuchte sich das Unternehmen breiter aufzustellen. Ein Komitee, das nach Absatzmoglichkeiten fur hochwertige Aluminiumprodukte suchte, schlug schließlich die Fertigung von Nutzfahrzeugen vor. Das Ergebnis war der A/Van, ein Lieferwagen mit einer Aluminiumkarosserie, der unter anderem von UPS und dem United States Postal Service in bedeutenden Stuckzahlen abgenommen wurde. In dieser Zeit baute Airstream außerdem fur American Motors fahrbare, etwa zwei Meter lange originalgetreue Miniaturfahrzeuge in Form eines AMC Gremlin, die Eltern beim Kauf eines Neuwagens fur ihre Kinder erhalten konnten. Um das Produktprogramm nachhaltig noch weiter auf neue Produktbereiche umzustellen, wurde 1974 mit dem Argosy Motorhome erstmals ein Wohnmobil eingefuhrt. Auf Basis des Motorhomes bot Airstream bald darauf den Argosy Compact Bus an, einen Midibus, der insbesondere von stadtischen Verkehrsgesellschaften genutzt wurde. Die insgesamt schwachen Absatzzahlen veranlassten die Unternehmensfuhrung 1978, das Werk in Kalifornien, in dem zuvor noch der A/Van gefertigt worden war, dauerhaft zu schließen und die Produktion ausschließlich auf den Standort in Ohio zu konzentrieren. Im folgenden Jahr wurde das Konzept des Motorhomes auch fur die Hauptmarke ubernommen und das Modell Classic Motorhome eingefuhrt. Das vollintegrierte, gehoben ausgestattete Wohnmobil war in zwei Langen bis ca. achteinhalb Meter verfugbar und war optisch durch die silberne Farbe und das rundliche Heck an das klassische Airstream-Design angelehnt. Ein spateres Modell, Excella Motorhome, basierte weitestgehend auf dem Classic Motorhome.
Die wirtschaftliche Situation des Unternehmens blieb jedoch angespannt und Airstream schloss das Jahr 1979 mit einem Verlust von rund 12 Millionen Dollar ab.
= Airstream unter Thor Industries (1980 bis heute) =
1980 trennte sich Beatrice Foods wieder von Airstream und veraußerte das Unternehmen an die Inhaber des Wohnwagenherstellers Hi Lo Trailers, Wade F. B. Thompson und Peter B. Orthwein, die im Rahmen der Akquise Thor Industries grundeten.
In den darauffolgenden Jahren naherte sich Airstream teilweise der kantigeren und ublichen Gestaltung der meisten Wohnwagen und Wohnmobile an und verzichtete bei manchen Modellen auf das typische rundliche, silberne Airstream-Design. Die Wohnwagen Land Yacht von 1986 und Argosy Fifth-Wheel von 1988 wurden unter Anhangern der Marke wegen der eckigeren Form abschatzig auch „Squarestream“ genannt und von den Kunden zunachst skeptisch betrachtet. Der Erfolg stellte sich jedoch spatestens mit dem 1989 eingefuhrten Wohnmobil Land Yacht Motorhome ein. Das aus Fiberglas anstelle von Aluminium gefertigte Fahrzeug blieb mit Veranderungen bis in die 2000er Jahre im Angebot. Airstream stellte im Rahmen dieser Neuausrichtung 1989 außerdem sein erstes teilintegriertes Wohnmobil vor, den Airstream B-190, einen Van auf Basis eines Ford E-350 der dritten bzw. vierten Generation. Dem wirtschaftlichen Aufschwung zutraglich war zudem 1997 die Wiedereinfuhrung des bereits aus den 1950er Jahren bekannten Wohnwagens Safari. Der in klassischem Airstream-Design gehaltene und preislich im Mittelfeld angesiedelte Trailer erfreute sich großer Beliebtheit und machte in den 1990er Jahren etwa die Halfte des Umsatzes des Unternehmens aus. In Kooperation mit Mercedes-Benz wurde 2004 der Airstream Interstate eingefuhrt. Es sind modifizierte Mercedes-Benz Sprinter, die in verschiedenen Varianten angeboten werden. 2016 erwarb Airstream den Konkurrenzhersteller Nest, der einen kleineren Wohnwagen aus Fiberglas produzierte, der fortan als Nest by Airstream bis 2020 vermarktet wurde. Aktuell besteht das Angebot Airstreams zum einen aus Wohnwagen im klassischen Design und zum anderen aus den Vans Interstate, Atlas und Rangeline, letzterer auf Basis eines Dodge RAM Promaster 3500. Zusatzlich wird der Trailer Basecamp angeboten; der verhaltnismaßig kleine Wagen, der gestalterisch nicht der klassischen Form folgt, richtet sich an jungere und sportlich aktive Kunden. 2018 wurde der Grundstein fur ein zweites Werk in der Nahe des Stammwerkes in Jackson Center gelegt.
Design Obwohl Airstream seit Jahrzehnten verschieden gestaltete Fahrzeuge anbietet, ist der Hersteller vor allem fur die ursprungliche Gestaltung seiner Wohnwagen bekannt, die sich durch die Verwendung von unlackiertem, poliertem Aluminium und eine abgerundete Form auszeichnet, die die aus vernieteten Platten bestehende Form wie aus einem Guss wirken lassen. Dieses Design, das Wallace Byam dem Wohnwagen Bowlus Road Chief entliehen hatte – welcher damit gewissermaßen zum Vorlaufer der klassischen Airstreams wurde – zeichnet sich durch eine starke Betonung der aerodynamischen Form aus und wird der Stilrichtung der Stromlinien-Moderne zugeordnet.
In ihrem Grundkonzept folgen typische Airstream-Wohnwagen auch heute noch dem fast hundertjahrigen Designschema, das fur Airstream zum Markenzeichen bzw. Corporate Design wurde. Mit der Zeit gab es hauptsachlich detailbezogene Anpassungen. Solche Fahrzeuge, die aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht der klassischen Form entsprechen, werden in der Regel zumindest in einer silbernen Farbe gehalten. Fahrzeuge, die durch Form- und Farbgebung nicht als Airstream erkennbar sind, waren im Angebot stets in der Minderheit.
Ein Airstream Bambi von 1963 ist unter der Objektnummer 562.2006 Teil der permanenten Design-Sammlung des Museum of Modern Art in New York City.
Airstream Club International Die großte in einem Verein organisierte Airstream-Fangemeinde ist der Airstream Club International. Er wurde 1955 im Rahmen einer von Wally Byam organisierten Wohnwagen-Reise durch das ostliche Kanada in Nova Scotia als Wally Byam Caravan Club (WBCC) gegrundet. 1963 erfolgte die Umbenennung in Wally Byam Caravan Club International (WBCCI); heute tritt der Club hauptsachlich als Airstream Club International auf. Die Geschichte des Clubs ist eng mit den von Wally Byam organisierten Fernreisen fur Airstream-Besitzer, den sog. Caravans, verknupft. Diese mehrere Monate bis uber ein Jahr andauernden Reisen, beispielsweise von Kapstadt nach Kairo 1959/60, dienten Airstream vor allem zu Marketingzwecken. Der Club organisiert unterschiedliche Events und Airstream-Treffen sowie seit 1958 jedes Jahr eine internationale Reise im Stil der ursprunglichen Wally Byam-Caravans. Der Airstream Club International gibt zudem das monatlich erscheinende Mitgliedermagazin Blue Beret heraus; der Name ist eine Anspielung auf die dunkelblauen Baskenmutzen, die Wally Byam bei den ersten Caravans an die Mitreisenden zur besseren Erkennbarkeit in großeren Menschenansammlungen wie auf einem Marktplatz verteilt hatte.
Militarische Nutzung Das US-Militar nutzt Airstream-Wohnwagen zu unterschiedlichen Zwecken. In der Vergangenheit wurden sie mitunter als mobile Sanitatsstationen oder Buros verwendet. 1955 war ein Airstream Teil der Modellstadt „Doomtown U.S.A.“, die auf der Nevada National Security Site errichtet wurde, um die Auswirkungen von Atomwaffenexplosionen auf die Zivilstruktur zu untersuchen. Auf Langstreckenflugen in großen Militarmaschinen wie beispielsweise einer Boeing C-17 Globemaster III steht Admiralen, Vizeprasidenten oder First Ladies oftmals ein Wohnwagen von Airstream im Frachtraum zur Verfugung. 2008 flog First Lady Laura Bush auf diese Weise zum Truppenbesuch nach Afghanistan.
Nutzung durch die NASA Die NASA setzte von 1983 bis 2011 insgesamt drei umgebaute Airstream Excella-Wohnmobile ein, um Astronauten auf dem Gelande des Kennedy Space Center vom Operations and Checkout Building zur Startplattform des Spaceshuttles zu transportieren. Nach der Einstellung des Spaceshuttle-Programms ergab sich keine Verwendung mehr fur die Fahrzeuge. Einer dieser sogenannten Astronaut Transfer Vans, kurz Astrovan, ist im Kennedy Space Center ausgestellt.
Aktuell dient ein modifizierter Airstream Atlas der Besatzung des CST-100 Starliner als Transportwagen. Das CST-100 Starliner Crew Transport Vehicle wird allgemein als Astrovan II bezeichnet.
Aktuelle Modelle Sonstiges Es wird angenommen, dass ca. 70 Prozent aller produzierten Airstreams noch existieren. Als altester noch vorhandener Airstream gilt ein Torpedo von 1935, den der Kunde Norman Holman anhand zugesendeter Blaupausen selbst baute.
Airstream betreibt auf dem Werksgelande in Jackson Center das Airstream Heritage Center. Das Museum ist der Geschichte Airstreams gewidmet und zeigt wechselnd verschiedene Fahrzeuge. Daneben werden gefuhrte Touren durch das Werk angeboten.
1981 brachte Airstream ein Bestattungsfahrzeug auf Basis des Classic Motorhome heraus. Der Airstream Funeral Coach konnte zugleich mehrere Trauergaste und einen Sarg transportieren. Bis 1991 wurden 32 Einheiten verkauft. Ein Modell von 1984 kann im Airstream Heritage Center besichtigt werden.
Airstream bietet seit einigen Jahren speziell als Verkaufsfahrzeuge entwickelte Wohnwagen an. Diese Imbisswagen werden als Diner One und Diner XL in zwei Großen vermarktet.
Seit 2014 wird, nachdem eine Investorin die Namensrechte erworben hatte, eine Neuauflage des klassischen Bowlus, des gestalterischen Airstream-Vorlaufers, angeboten. Die in Kalifornien produzierten Wohnwagen ahneln außerlich stark dem Bowlus Road Chief von 1935.
Literatur Bryan Burkhart, David Hunt: Airstream – The History of the Land Yacht. Chronicle Books, San Francisco, Kalifornien 2000, ISBN 0-8118-2471-3.
Tara Cox: Airstream – The Silver RV. Shire Publications Ltd, Oxford, Vereinigtes Konigreich 2013, ISBN 978-0-7478-1252-4.
Wallace M. Byam: Trailer Travel Here and Abroad, The New Way to Adventurous Living. David McKay, New York City 1961.
Weblinks Offizielle Website (englisch)
Offizielle Website des Airstream Club International (englisch)
Roka Werk (Airstream-Vertreter fur Deutschland)
Anmerkungen Einzelnachweise
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Airstream Inc. ist ein US-amerikanischer Hersteller von Freizeitfahrzeugen im Oberklasse-Segment, der vor allem fur seine Wohnwagen und deren markantes Design mit poliertem Aluminium bekannt ist. Airstream ist heute Teil des ebenfalls aus den USA stammenden Konzerns Thor Industries.
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Die Decauville-Bahn des Grande-Goutte-Steinbruchs (Chemin de fer Decauville de la carriere de la Grande-Goutte) war eine etwa zwei Kilometer lange Feldbahn vom Grande-Goutte-Steinbruch zum Bahnhof von Maron an der Normalspur-Bahnstrecke Toul–Rosieres-aux-Salines in Lothringen (seit 2015 Region Grand Est).
Beschreibung Die Decauville-Bahn mit einer Spurweite von wohl 600 mm wurde von 1911 bis Ende der 1930er Jahre betrieben.
Im Grande-Goutte-Steinbruch wurde Kalkstein (Travertin, Castine Maron) als Flussmittel fur die Hochofen von Neuves-Maisons abgebaut. Bei hohen Temperaturen zerfallt er in Kohlendioxid und Calciumoxid, das Teil der Schlacke ist, in der sich die Verunreinigungen aus den Rohstoffen sammeln.
Geschichte = Eroffnungsfeier =
Am Sonntag, dem 11. Juni 1911, wurde in der kleinen Ortschaft Maron, die an der Mosel am Fuß des Plateaus von Haye liegt, mit einem großen Bankett unter freiem Himmel und zahlreichen Gasten die Eroffnung der Feldbahn gefeiert. Die L. Bloch & Cie besaß die alten Steinbruche von Sainte-Anne bei Sexey-aux-Forges und hatte um 1910 den Grande-Goutte-Steinbruch auf dem Gebiet von Maron erworben. Um 14:00 Uhr, unmittelbar nach der Ankunft des Zuges aus Nancy, drangten sich etwa hundertfunfzig Gaste, darunter viele Damen und Madchen, in ein großes Zelt, das am Fuße des Grande-Goutte-Steinbruchs aufgestellt worden war.
Viele Fachleute waren bereits am Morgen in Maron eingetroffen und hatten bis zur Ankunft der Gaste eine gewissenhafte Besichtigung der beiden Steinbruche unternommen. Die Kulisse war außerst reizvoll: Das Zelt war mit Laub und dreifarbigen Fahnen geschmuckt; auf dem Tisch standen sommerliche Rosengestecke.
Das Personal der Steinbruche wurde nicht vergessen und auch ihm wurde unter den Lauben der Betriebskantine ein Bankett serviert. Am Ehrentisch saß der Direktor der Gesellschaft, Lucien Bloch, mit den Herren Schertzer, Generalrat des Departements Meurthe-et-Moselle, Mathis, Generalrat des Departements Vosges, Chotain und Cahen, seinen Teilhabern, und Bouvier, dem Burgermeister von Maron, an seiner Seite. Unter den Gasten waren der gesamte Gemeinderat von Maron sowie die meisten Bauunternehmer und Vertreter von Baumaterialien aus Nancy und der Region. Beim Dessert bedankte sich Bloch herzlich bei allen Gasten, die seiner Einladung gefolgt waren, und erklarte, wie sehr ihm die offentlichen und privaten Verwaltungen, die Gemeinde Maron und der Burgermeister von Maron seine Arbeit erleichtert hatten. Er dankte auch der Bevolkerung von Maron fur den herzlichen Empfang, den sie dem Unternehmen bereitet hatte, und versicherte all seinen Mitarbeitern seine Fursorge und sein Engagement. Ein Großteil der Bevolkerung von Maron kam, um das Platzkonzert zu horen. Ein Fahrdienst von Berliet brachte die Gaste zuruck zum Bahnhof.
= Schienenfahrzeuge =
Die Decauville-Lokomotive spielte bei der Feier eine wichtige Rolle: Sie wurde auf den Namen Mathilde getauft, bevor Madame Cahen an alle Besucher Sußigkeiten verteilte. Man hatte die Lok aus ihrem Schuppen geholt, um darin die Feldkuche des Oberkellners Wagner einzurichten. Frisch lackiert und mit dem glanzenden Stahl ihrer Steuerung machte sie einen anmutigen Eindruck. Die 65 Kipploren, die fur den Transport des Gesteins verwendet wurden, standen ebenfalls in einer langen Reihe auf den Abstellgleisen. Fur den feierlichen Anlass wurden sie etwas aufgeputzt.
= Das Unternehmen L. Bloch & Cie =
Das noch junge Unternehmen L. Bloch & Cie zielte zunachst auf die Ausbeutung des Kalksteinbruchs auf dem Bauernhof Sainte-Anne, dem ehemaligen Steinbruch Brasseur ab. In diesem Steinbruch wurden hochwertige Bruchsteine produziert, die fur Unterwasserarbeiten und als Steinschuttung sehr geschatzt wurden. Das Gestein eignete sich auch hervorragend als geschliffener Stein fur den Innenausbau. Die Nancyer Bauindustrie wurde von Beginn des Betriebs an großtenteils von dort aus beliefert: Darunter waren das Nachtasyl von Nancy (Firma Luquet & Teyton), die neuen Schlachthofe von Nancy (Firma Lioret), das Bayon-Hospiz (Firma Masson, Luneville), die Pompey-Walzwerke (Firma Chery), Buros und Hauser der Societe Metallurgique de Neuves-Maisons (Firma Evrard, I. aus Nancy) und zahlreiche Privathauser, die der Bauunternehmer Guillemin auf der Place de la Croix-de-Bourgogne aus Schutt des Steinbruchs Sainte-Anne errichtete. Auch die Steinsaule an der Ecole des Beaux-Arts in Nancy stammt aus diesem Steinbruch (Unternehmer Lioret).
Der Steinbruch Sainte-Anne lieferte ein sehr kalkhaltiges und wenig silikatisches Castin, weshalb es bei metallurgischen Betrieben in der Region fur die Verarbeitung von Eisenerz begehrt war. Auf diese Weise lieferte das Unternehmen Bloch et Cie um 1911 etwa 450 Tonnen Flussmittel pro Tag an die Hochofen von Neuves-Maisons. Auch die Hochofen der Soudieres de la Madeleine in Pompey im Nordosten von Lothringen verwendeten dieses Gestein.
= Betrieb =
Die Steine wurden mit einer Standseilbahn, d. h. mit durch ein Stahlseil verbundenen Kipploren, die auf einer schiefen Ebene rollten, aus dem Steinbruch abgesenkt. Dafur gab es 80 Kipploren, die anschließend der Mosel entlang zu einem Schiffsanleger gebracht wurden, um dort direkt in die Boote entladen zu werden.
Maison Bloch & Cie beschrankte seine Aktivitaten nicht auf die Ausbeutung von Bruchsteinen und Kalkstein. Dank intelligenter Prospektion entdeckte sie in Grande-Goutte einen neuen Steinbruch, dessen Produkte denen des vorherigen noch uberlegen waren. Tatsachlich wurde in diesem Steinbruch nicht nur Schotter und Kalkstein produziert, sondern vor allem ein geschnittener Stein, der fur Außenarbeiten geeignet war und mit den Steinen von Lerouville und Euville konkurrieren konnte.
Die Gesteinsschichten waren sehr dick, durchschnittlich 60 Zentimeter bis einen Meter, und einige erreichten sogar 1,60 m. Dieser Stein ist absolut frostsicher und sehr widerstandsfahig. Die im Mai und Oktober 1910 vom Labor der Fakultat fur Naturwissenschaften in Nancy durchgefuhrten Analysen der Produkte dieser beiden Steinbruche lieferten Ergebnisse, die alle Erwartungen ubertrafen. Das Unternehmen Bloch & Cie betrieb seinen neuen Steinbruch auf vollig moderne Weise, um seine Gemeinkosten auf ein Minimum zu reduzieren und so mit ahnlichen Produkten aus anderen Regionen vorteilhaft konkurrieren zu konnen. Die privilegierte Lage des Hofes in der Nahe der Eisenbahn und des Kanals erleichterte diese Aufgabe erheblich.
Vom Steinbruch aus wurden die Wagen uber eine von Decauville gelieferte Standseilbahn herabgelassen, die der Maschinenbauer Colson aus Ludres zusammenbaute. Diese Wagen zog die Dampflok entweder zu einer Rampe entlang des Kanals oder zu einer anderen Rampe am Bahnhof Maron, um dort automatisch in Boote oder Waggons entladen zu werden.
Der Steinbruch war durch die Decauville-Bahn an die Eisenbahn angeschlossen. Die Kipploren, die die schiefe Ebene verließen, wurden in 12er-Zugen gruppiert und von der kleinen Dampflokomotive, die durchschnittlich drei Fahrten pro Stunde durchfuhrte, zur Verladerampe am Bahnhof gebracht. Die gesamten Schienenfahrzeuge fur den neuen Steinbruch wurden von Decauville geliefert, die eine große Niederlassung in Nancy, 46, rue des Carmes, hatten.
Die Lokomotive mit einer Leistung von etwa 50 PS (37 kW) hatte zwei gekoppelte Achsen und dahinter eine Nachlaufachse. Ihr Gewicht betrug 7,5 Tonnen leer und 9,75 Tonnen dienstbereit. Ihr Kessel hatte einen Nenndruck von 12 bar, die Zugkraft betrug 1720 kg.
Die Kipploren mit einem Fassungsvermogen von 1,5 m³ waren zu dieser Zeit hochmodern. Eine Halbkippvorrichtung vereinfachte das Beladen: Insbesondere bei Erdarbeiten mit der Schaufel wurde die Wurfhohe reduziert, was zu einer erheblichen Zeit- und Arbeitsersparnis fuhrte. Ein automatischer Stopper ermoglichte das Verriegeln der Kippmulde in einer Zwischenposition zwischen der horizontalen Position und der geneigten Position. Das Manovrieren der Kippmulde war sehr einfach und erforderte nur einen geringen Kraftaufwand. Die Kippmulden bestanden aus mit Winkeleisen verstarktem Stahlblech. Das Chassis war aus Stahl und wurde durch einen Stahlabstandshalter verstarkt, der die beiden Langstrager verband. Die Achsen bestanden aus Stahl. Die Stahlgussrader wurden auf die Achsen aufgekeilt. Die Gesamtkonstruktion war extrem steif und solide, so dass sie den heftigen Stoßen, die im Steinbruch auftreten konnten, ohne Bedenken standhielten.
Abgerundet wurde die Anlage durch mehrere Kantinen, in denen 80 unverheiratete, nicht ortsansassige Arbeiter untergebracht und verpflegt wurden. Fur das Projekt war es notwendig, zahlreiche Spezialisten nach Maron zu holen. Zwar gab es auch in Maron Arbeitskrafte, aber die Bevolkerung war dort hauptsachlich im Weinbau tatig. Da der Betrieb eines Steinbruchs nicht uber Nacht improvisiert werden konnte, mussten ortsansassige Arbeiter von erfahrenen, auswartigen Steinbrucharbeitern ausgebildet werden. Den jungen Leuten in Maron bot der Steinbruch eine lukrative Arbeitsstelle. Sie mussten nicht mehr in die Großstadt auswandern, um dort eine lohnende Arbeit zu suchen, die ihnen der Weinberg nicht gab. In der geringen Freizeit, die ihnen Steinbrucharbeit ließ, bewirtschafteten sie ihre Weingarten weiterhin.
Es war geplant, dass das Unternehmen im Vollbetrieb 2500 Mitarbeiter beschaftigen sollte. Ein oberhalb der neuen Steinbruche gelegenes Pulvermagazin, in dem 300 Kilogramm Pulver untergebracht waren, war ein architektonisches Kunstwerk. Die Gewinnung des Kalksteins erfolgte mit Sprengstoffen, insbesondere mit Cheddit. Die Sprenglocher wurden anfanglich mit Stangen gebohrt, aber sobald die Stromleitung der Compagnie lorraine d’Electricite im Moseltal verlegt wurde, sollten elektrische Bohrmaschinen zum Einsatz kommen. Ebenso sollte eine Elektrowerkstatt zum Abtragen und Schneiden des Steins eingerichtet werden.
Die Wasserversorgung war Gegenstand interessanter Arbeiten, sie wurde Delanizeul & Hannesse in Nancy anvertraut, die nach Absprache mit den betroffenen Verwaltungen einen Teil des aus den Galerien der Grande-Goutte kommenden Wassers auffingem und in die nahegelegenen Steinbruche leitete. Uber diese Leitung wurden alle Erfordernisse des Unternehmens erfullt: Kantinen, verschiedene Gebaude, Hydranten fur die Brandbekampfung, Stromversorgung fur die Maschinen, Trinkwasserbrunnen fur Arbeiter usw. Daruber hinaus hatte das Unternehmen ein eisernes Boot fur den Transport erworben, und weitere Boote sollten noch beschafft werden. Anfangs wurden 22 Normalspur-Eisenbahnwagen mit Selbstentladung bestellt, die jeweils 20 Tonnen Steine transportieren konnten.
Die Tagesproduktion betrug um 1911 etwa 600 Tonnen. Wenn der Steinbruch Grande-Goutte voll in Betrieb war, sollte die Produktion auf 1000 Tonnen pro Tag gesteigert werden.
Die Gesundheitsvorsorge wurde vom Unternehmen nicht vernachlassigt. Ein Hilfsfonds wurde gegrundet, und ein medizinischer Dienst fur die Mitarbeiter wurde eingerichtet. Damit wollte das neu gegrundete Unternehmen nicht nur Nancy und dem Departement ein neues Element fur das Gesundheitswesen bieten, sondern der Weinbaubevolkerung des Moseltals insgesamt und insbesondere Maron.
Die Schließung des Steinbruchs war wohl auf die veranderte Nachfrage nach der Stilllegung der letzten Hochofen in Saint-Dizier (Werk Marnaval) zuruckzufuhren, die sich damals im Besitz der S.A. des Acieries de Micheville befanden.
Siehe auch Feldbahnen von Sexey-aux-Forges und Pont-Saint-Vincent
Weblinks Einzelnachweise
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Die Decauville-Bahn des Grande-Goutte-Steinbruchs (Chemin de fer Decauville de la carriere de la Grande-Goutte) war eine etwa zwei Kilometer lange Feldbahn vom Grande-Goutte-Steinbruch zum Bahnhof von Maron an der Normalspur-Bahnstrecke Toul–Rosieres-aux-Salines in Lothringen (seit 2015 Region Grand Est).
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Filip Leu (* 1967 in Paris) ist ein Schweizer Tatowier-Kunstler. Er gilt heute als einer der bekanntesten zeitgenossischen Tatowierer.
Leben Leu wuchs zunachst in Paris auf. Er ist ein Enkel der Schweizer Kunstlerin Eva Aeppli und ihres ersten Ehemanns, des Architekten Hans «Johnny» Felix Leu. Seine Eltern Felix Leu (alias Don Feliz, 1945–2002) und Loretta (* 1945) waren reisende Kunstler. Sie lernten sich 1965 in New York City kennen. Bis 1978 reisten und lebten sie in Amerika, Europa, Nordafrika, Indien und Nepal. Sie bekamen vier Kinder (Ama, Aia, Filip und Ajja), die alle unterwegs geboren wurden. Sie lernten auch die Tatowier-Kunst und bestritten schliesslich mit dem Tatowieren ihren Lebensunterhalt. Mit seinem Vater Felix Leu und seiner Mutter Loretta begann Filip Leu schon in jungen Jahren zu tatowieren. Die Familie Leu hatte sich in Goa niedergelassen, und Filip zeichnete fur die Kunden seiner Eltern Tatowiermotive.
= Privat =
Als Leu 14 Jahre alt war, lernte er die damals 13-jahrige Titine Kesselring kennen, die er 1990 heiratete. Titine, Tochter von Francoise und Rolf Kesselring (Schriftsteller, Journalist, Redaktor und Grunder der Untergrundbibliothek «La Marge» im Jahr 1971), ist eine autodidaktische Malerin und Tatowiererin. Bereits als Teenager erlernte sie bei Hugo Pratt die Aquarellmalerei und bei Joe Boehler Bildhauerei. Das Paar lebt in Bullet, einem Ort mit ca. 650 Einwohnern in der Nahe von Sainte-Croix VD.
= Der Tatowierer =
Das Tatowieren erlernte Leu von seinem Vater Felix Leu. Ab seiner Volljahrigkeit reiste Filip Leu nach Japan und in die USA, um einige der bekannteren Tatowierer der Zeit zu treffen. Er vervollstandigte seine Ausbildung u. a. bei Horiyoshi III in Tokio, arbeitete fur Ed Hardy in dessen Realistic Tattoo Studio in San Francisco und erlernte bei Paul Rogers die Herstellung von Tatowiermaschinen. 1981 beschloss die Familie Leu, sich in der Schweiz niederzulassen, wo sie das Family Iron Tattoo Studio grundete. Das Studio liegt heute in Bullet und ist in einem alten Haus untergebracht, das die Familie Leu renovierte. Fruher war dort ein Ski-Shop ansassig.
1986 trat Filip in das Familienunternehmen in Lausanne ein und entwickelte seinen eigenen Stil; «ein sensibles Zusammentreffen zwischen traditioneller japanischer Kunst und einer zeitgenossischen Annaherung an die traditionelle Tatowierung sowie der Ikonographie aus der Philosophie der Biomechanik».
Das Tatowier Magazin betitelte Leu als «einen der großten Tatowierer unserer Zeit», den «ein unverwechselbarer Stil, ubermenschliche Geduld und ein irrwitziges Arbeitstempo» auszeichnen.
Ausstellungen (Auswahl) Filip Leu prasentierte von Mai 2014 bis Oktober 2015 ein Werk in der Ausstellung «Tatoueurs, tatoues» im Musee du quai Branly.
Fur die Ausgabe 23 des Magazins HEY! modern art & pop culture schuf Leu eine exklusive Serie von 16 Gemalden, von denen 8 in der Ausstellung HEY! modern art & pop culture – Act III im Museum der Halle Saint Pierre von Oktober 2015 bis Marz 2016 prasentiert wurden.
Vom 3. Marz 2021 bis 31. Oktober 2021 war im Museum Tinguely die Ausstellung Art Leu Family. Caresser la peau du ciel zu sehen.
Vom 8. Februar bis 2. Juni 2024 wurden in der Tattoo-Ausstellung im Caixa Forum in Palma Exponate von Leu gezeigt.
Werke Filip Leu (Autor), Miki Vialetto (Kurator): Filip Leu. Mediafriends, Mailand 2020, ISBN 978-88-97845-26-3.
Die Leu-Familie «Der Leu-Clan ist vor allem in Tattoo-Kreisen bekannt, besitzt dort weltweit Star-Ruhm.» Felix Leu, der Sohn von Eva Aeppli, und seine Frau Loretta reisten Ende der 1960er bis weit in die 1970er Jahre um die Welt und lebten von ihrer Tatowier-Kunst. Zu den drei aktuell kunstlerisch tatigen Generationen der Familie gehoren u. a. Loretta Leu; Filip und Titine Leu; Ama, Doug, Summer und Poppy Leu-Wilson; Aia, Steve, Fayet und India Leu-Allin; Ajja und Tanya Leu; Jane Leu Rekas; Miriam Tinguely (Tochter von Jean Tinguely); Rolf Kesselring; Cajun Leu und Chloe Liberge sowie Cressa McLaren.
Rezensionen Literatur Guido Costa, Henk Schiffmacher, Miki Vialetto (Autoren), Fabio Paleari (Fotograf): The Filip Leu Family’s Family Iron Tattoo. Trolley, London 2003, ISBN 0-9542648-0-0.
The Great Books On The Art Of Tattooing – Filip Leu. Mosher Tattoo Books, 2014.
Clinton Sanders, D. Angus Vail: Customizing the Body: The Art and Culture of Tattooing. Temple University Press, 2008, ISBN 1-59213-889-6, S. 111–117.
Margo DeMello: Inked: Tattoos and Body Art around the World. ABC-CLIO 2014, ISBN 1-61069-076-1, S. 264.
Susanna Kumschick: Tattoos zeigen. Darstellungsformen von Tatowierungen in der kuratorischen Theorie und Praxis. Transcript, 2021, ISBN 978-3-8376-6075-3, S. 89.
Francois Chauvin: Mondial du Tatouage. Hachette Pratique, 2018, ISBN 978-2-01-625602-2, S. 81.
Andres Pardey, Reinhard Bek, Jean Tinguely: Museum Tinguely Basel, die Sammlung. 2012, ISBN 978-3-86828-339-6.
Filmografie 2022: Scab Vendor: The Life and Times of Jonathan Shaw
2013: Tattoos: Tous tatoues
2013: Tattoo Nation
2008: Tattooed
Weblinks Webprasenz der Leu Family
Filip Leu bei IMDb
Hall of Fame – Tatowierer, die Geschichte schrieben: Tattoo Legende Filip Leu. In: Tattoo-Spirit Magazine. 28. November 2018
Bettina Bestgen: Kennst du diese Familie nicht, hast du keine Ahnung von Tattoos. Radio SRF 3, 5. Januar 2017
Bettina Bestgen: Filip Leu: Exklusives Portrait des weltbekannten Tatowierers. Radio SRF 3, 23. November 2016
Museum Tinguely: Leu Art Family. Gesprach mit Filip Leu. Website des Tinguely-Museums (Video; englisch, deutsche Untertitel)
Einzelnachweise
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Filip Leu (* 1967 in Paris) ist ein Schweizer Tatowier-Kunstler. Er gilt heute als einer der bekanntesten zeitgenossischen Tatowierer.
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Harry „J“ Johnson (* 6. Juli 1945 in Westmoreland Parish als Harry Zephaniah Johnson; † 3. April 2013 ebenda) war ein jamaikanischer Bassist, Musikproduzent und Studiobesitzer aus dem Reggae-Bereich. Er war der Grunder des Musiklabels Harry J Records und des Harry J Studios. Seine Studioband waren die Harry J Allstars.
Werdegang Johnson wurde in Westmoreland Parish, Jamaika, geboren. Er begann seine musikalische Karriere als Bassist der Gruppe The Virtues, bevor er deren Management ubernahm. Nach der Trennung der Band arbeitete er als Versicherungsvertreter.
Seinen Einstieg als Musikproduzent hatte er 1968 mit der Grundung seines eigenen Plattenlabels Harry J Records. Die erste Veroffentlichung war No More Heartaches von The Beltones, einem Reggae-Vorlaufer. Eine Vereinbarung mit Coxsone Dodd ermoglichte ihm die Nutzung der Raumlichkeiten von Studio One. Im selben Jahr veroffentlichte er eine Reihe von Reggae-Instrumentals, die den Harry J Allstars zugeschrieben wurden, einer wechselnden Besetzung von Studiomusikern, zu denen der Pianist Gladstone „Gladdy“ Anderson, der Keyboarder Winston Wright, der Bassist Jackie Jackson, der Schlagzeuger Winston Grennan und der Gitarrist Hux Brown gehorten.
Im Herbst 1969 gelang den Harry J Allstars mit Liquidator ein Erfolg in Großbritannien; der Titel erklomm am 29. November 1969 Platz 9 der UK-Single-Charts. Das Instrumentalstuck entwickelte sich zu einer Hymne der aufkommenden Skinhead-Subkultur. In Großbritannien erschien der Track zusammen mit weiteren Instrumentals auf dem gleichnamigen Kompilationsalbum bei dem Sublabel Harry J auf Trojan Records. Die eroffnende Basslinie von Liquidator war ab 1972 auch im Intro des Hits I’ll Take You There der Staple Singers zu horen. Johnson war emport, als er horte, dass der Basslauf ohne Erlaubnis von den Staple Singers verwendet wurde. Er unternahm energische, aber erfolglose Schritte, um ausstehende Tantiemen von Stax Records einzutreiben. Die Single Liquidator kam im April 1980 mit Long Shot Kick de Bucket von The Pioneers auf der B-Seite noch einmal in die britischen Charts, zweimal auf Platz 42.
Anfang der 1970er Jahre feierte er mit dem Gesangsduo Bob & Marcia weitere Erfolge. Ihr Song Young, Gifted and Black, eine Komposition von Nina Simone, kletterte Anfang April 1970 auf Platz 5 der UK-Single-Charts.
Johnson starb am 3. April 2013 nach langer Krankheit an Diabetes. Er wurde 67 Jahre alt und hinterließ vier Kinder und drei Enkelkinder.
Harry J Studio Im Jahr 1972 verkaufte Johnson sein Plattengeschaft und grundete in der Roosevelt Avenue 10 in Uptown Kingston sein eigenes Aufnahmestudio Harry J. Das moderne 16-Spur-Studio (ublich waren 4 Spuren) entwickelte sich schnell zu einem der beruhmtesten jamaikanischen Studios. Bob Marley & The Wailers nahmen zwischen 1973 und 1976 ihre Alben fur Island Records hier auf (Catch a Fire, Burnin’, Natty Dread und Rastaman Vibration). Spater folgten die Rolling Stones, The Who und Grace Jones.
Das Studio ist in dem jamaikanischen Film Rockers (1978) von Ted Bafaloukos zu sehen. In der Szene nimmt der Musikproduzent Jack Ruby das Lied Graduation in Zion des Sangers Kiddus I auf.
Produktionen (Auswahl) Harry J Allstars
1969: Liquidator (Harry J Records / Trojan)
2003: Liquidator: The Best of The Harry J Allstars (Trojan)
Als Produzent
1968: No More Heartaches von The Beltones (Harry J / Trojan)
1970: Young, Gifted and Black von Bob & Marcia (Trojan)
1971: Pied Piper von Bob & Marcia (Trojan)
1973: Book of Rules von The Heptones (Jaywax)
1976: Cool Rasta von The Heptones (Trojan)
1977: Sweet Sensation von The Melodians (Harry J)
1979: So Long Rastafari von Dennis Brown (Harry J)
Weblinks Harry J Studio, offizielle Website (englisch)
Harry J bei AllMusic (englisch)
Harry J bei Discogs
Harry J Records bei Discogs
Patricia Meschino: Harry Johnson, Legendary Jamaican Producer of Harry J Studios Credited with First Reggae Single, Dead at 67 auf billboard.com vom 8. April 2013 (englisch)
Musikbeispiele
The Beltones: No More Heartaches auf YouTube
Harry J Allstars: Liquidator (Official Audio) auf YouTube
Harry J Allstars: Je t’aime … moi non plus auf YouTube
Bob & Marcia: Young, Gifted & Black (Official Lyrics Video) auf YouTube
Einzelnachweise
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Harry „J“ Johnson (* 6. Juli 1945 in Westmoreland Parish als Harry Zephaniah Johnson; † 3. April 2013 ebenda) war ein jamaikanischer Bassist, Musikproduzent und Studiobesitzer aus dem Reggae-Bereich. Er war der Grunder des Musiklabels Harry J Records und des Harry J Studios. Seine Studioband waren die Harry J Allstars.
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Die Deutsche Chronometerprufstelle wurde 2006 in der alten Sternwarte der sachsischen Uhrenstadt Glashutte gegrundet. Schon 1910 wurde hier astronomisch exakt das fur alle verbindliche Zeitsignal ermittelt. Glashutte ist außerhalb der Schweiz der einzige Ort weltweit, an dem Armbanduhren mit einer speziellen Chronometer-Prufung getestet werden und eine offizielle Stelle die Ganggenauigkeit zertifiziert.
Geschichte Die Sternwarte in Glashutte wurde zwischen 1904 und 1910 von der Uhrmachervereinigung Urania errichtet. Ab 1910 wurde hier astronomisch exakt das fur alle verbindliche Zeitsignal ermittelt. Die Urania ist in der griechischen Mythologie die Muse der Sternkunde. In Glashutte war sie der Name der Schulervereinigung der Deutschen Uhrmacherschule Glashutte.
Ende der 1930er Jahre planten Otto Lange, der Enkel Ferdinand Adolph Langes, und Herbert Wempe, Inhaber der Wempe Chonometerwerke in Hamburg, hier die Einrichtung eines Reglage-Betriebes. Durch den Zweiten Weltkrieg wurde dies verhindert. Beide Firmen hatten stattdessen Chronometer fur die deutsche Marine und Luftwaffe zu fertigen. Nach dem Krieg geriet die Sternwarte in kommunales Eigentum und in Vergessenheit, sie verfiel zur Ruine.
Nach der Schließung der Chronometerprufstelle in Stuttgart im Jahr 1970 gab es in Deutschland 36 Jahre lang keine amtliche Chronometerprufung mehr. 2005 konnte Wempe die Sternwarte kaufen, renovieren und zur einzigen deutschen Chronometerprufstelle ausbauen. Zudem wurde das historische Gebaude wieder mit astronomischen Geraten ausgestattet und das Observatorium fur die Sternbeobachtung instand gesetzt. Aufgrund der Große konnen nur funf Personen die Kuppel gleichzeitig betreten.
Die Deutsche Chronometerprufstelle in Glashutte startete 2006 mit zweitausend gepruften Chronometern. Als unabhangiges Institut wird sie vom Thuringer Landesamt fur Verbraucherschutz (TLV) in Kooperation mit dem Sachsischen Staatsbetrieb fur Mess- und Eichwesen (SME) betrieben. Uber die Einhaltung von Normen und Toleranzen wacht die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS).
Jedes einzelne mechanische Uhrwerk muss, fertig ins Gehause eingeschalt, eine funfzehn Tage dauernde Prufung nach ISO 3159 bestehen, bei der die Gangwerte in funf Lagen kontrolliert und registriert werden. Der mittlere tagliche Gang darf dabei maximal zwischen minus vier und plus sechs Sekunden liegen, wobei die mittlere tagliche Gangabweichung zwei Sekunden nicht uberschreiten darf. Zu den Gangprufungen kommen noch erschwerte Bedingungen von mehreren Temperaturwechseln. Getestet wird in einer Warmekammer, in der die jeweils vorgeschriebene Temperatur von acht, 23 und 38 Grad Celsius herrscht. Hierzu werden die Uhren jeweils zu funft auf der Prufvorrichtung befestigt und nacheinander in die verschiedenen erforderlichen Lagen gebracht. Jedes Prufstuck bleibt 24 Stunden lang bei einer bestimmten Temperatur in einer bestimmten Lage. Jeden Tag werden die Prufstucke kurz aus den Warmekammern genommen, um durch optische Messgerate mit jeweils funf Kameras die notigen Messungen durchzufuhren. Hierbei werden auch die Werke aufgezogen und neu eingestellt. Alle Prufungen finden bei circa 24 Prozent Luftfeuchtigkeit statt. Am zehnten Tag der Prufungen werden gegebenenfalls vorhandene Komplikationen, wie z. B. ein Chronograph, eingeschaltet, um deren Verhalten auf die Ganggenauigkeit zu bestimmen. Erst wenn die Uhr diese Tests bestanden hat, bekommt sie die Prufbescheinigung und darf die Bezeichnung „Chronometer“ auf dem Zifferblatt tragen.
Die deutschen Grenzwerte fur mechanische Armbanduhren entsprechen Schweizer Werten der Prufstelle Controle Officiel Suisse des Chronometres (COSC). Dabei werden in Glashutte nicht nur die Werke, sondern – im Unterschied zur COSC – die fertig montierten Uhren getestet. Bei Quarzuhren dauert die Prufung 11 Tage, und es gelten andere Werte.
Glashutte ist außerhalb der Schweiz der einzige Ort weltweit, an dem Armbanduhren mit einer speziellen Chronometer-Prufung getestet werden und eine offizielle Stelle die Ganggenauigkeit zertifiziert. Wempe stellt die Raumlichkeiten. Die Geratschaften und das Personal fur die Chronometerprufung sind jedoch der Behorde unterstellt.
Die aufwandige Pruftechnik vergleicht die aktuellen Gangwerte mit der Referenzzeit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig.
Rund 8500 Uhren konnen derzeit pro Jahr gepruft werden.
Prufkriterium Das Prufkriterium einer mechanischen Armbanduhr nach ISO 3159 im Einzelnen:
2 Tage Krone links bei 23 °C
2 Tage Krone oben bei 23 °C
2 Tage Krone unten bei 23 °C
2 Tage Zifferblatt unten bei 23 °C
2 Tage Zifferblatt oben bei 23 °C
1 Tag Zifferblatt oben bei 8 °C
1 Tag Zifferblatt oben bei 23 °C
1 Tag Zifferblatt oben bei 38 °C
2 Tage Krone links bei 23 °C
Bei Quarzuhren, Reise- und Borduhren gelten andere Werte.
Siehe auch Marinechronometer
Deutsches Uhrenmuseum Glashutte
Chronometerprufungsinstitut
Controle Officiel Suisse des Chronometres
Eidgenossisches Institut fur Metrologie
Literatur Johannes Altmeppen, Herbert Dittrich: Das Deutsche Einheits-Chronometer – Chronometer fur Marine und Luftwaffe von Wempe, Lange & Sohne, Poljot. Heel Verlag, Konigswinter 2012, ISBN 978-3-86852-597-7.
Constantin Parvulesco: Zeit & Meer – Die Geschichte der Chronometer. Delius Klasing, Bielefeld 2013, ISBN 978-3-7688-3676-0.
Stefan Friesenegger: 101 Dinge, die man uber Armbanduhren wissen muss. GeraMond Verlag, Munchen 2019, ISBN 978-3-95613-114-1.
Weblinks Uhren-Wissen: Chronometer
Sternwarte WEMPE Glashutte in Sachsen
Messmethoden – COSC
Einzelnachweise
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Die Deutsche Chronometerprufstelle wurde 2006 in der alten Sternwarte der sachsischen Uhrenstadt Glashutte gegrundet. Schon 1910 wurde hier astronomisch exakt das fur alle verbindliche Zeitsignal ermittelt. Glashutte ist außerhalb der Schweiz der einzige Ort weltweit, an dem Armbanduhren mit einer speziellen Chronometer-Prufung getestet werden und eine offizielle Stelle die Ganggenauigkeit zertifiziert.
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"url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Chronometerprüfstelle"
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c-860
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Ein Ravestick oder auch Feierstab ist eine meist stabformige Konstruktion, die ublicherweise kunstlerisch gestaltet ist und insbesondere auf Tanzflachen bei Musikfestivals aufgestellt oder hochgehalten wird. Ravesticks werden von Festivalbesuchern selbst gestaltet und dienen durch ihre Hohe haufig zum Wiederfinden der eigenen Freundesgruppe. Die Gestaltung ist dabei vielfaltig und kann von einfachen Fahnen oder Plakaten bis hin zu vielschichtigen elektronischen bzw. mechanischen Konstruktionen reichen. Insbesondere die Beleuchtung des Ravesticks ist haufig ein integraler Bestandteil des Gesamtentwurfs.
Auftreten In der britischen und amerikanischen Festivallandschaft sind Ravesticks bereits seit Jahren ein bekanntes Phanomen, z. B. auf dem Electric Forest Festival in Michigan, Tomorrowland oder beim Electric Daisy Carnival. Ihr erstmaliges Auftreten wird auf dem Woodstock-Festival 1969 vermutet. Dabei werden sie im englischsprachigen Raum als rave bzw. festival totem, rage stick oder doof stick bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum etablieren sie sich erst seit wenigen Jahren, allerdings mit zunehmender Tendenz, zum Beispiel auf dem Fusion Festival. Insgesamt betrachtet scheinen Ravesticks am haufigsten auf Festivals im Bereich von elektronischer Musik aufzutreten.
Aufbau Trotz nahezu unbegrenzter Vielfalt bei Gestaltung und Konstruktion gibt es grundlegende Gemeinsamkeiten, die bei fast allen Ravesticks zu finden sind. So besteht der untere Teil allgemein aus einer langeren Stange, welche zum Transport, Festhalten und ggf. auch zum Abstellen genutzt wird. Der obere Teil ist meist deutlich ausladender und bildet den gestalterischen Kern des Ravesticks. Er wird so angebracht, dass er beim Halten (bzw. Abstellen) des Sticks die umgebende Menschenmenge uberragt. Teilweise wird die Maximalgroße vonseiten der Festivalbetreiber begrenzt.
In einigen Fallen ist die Konstruktion lediglich zweidimensional (z. B. als Plakat), haufig jedoch auch dreidimensional ausgestaltet. Dabei kommen verschiedene Materialien wie Holz, Kunststoff, Drahtgitter, Stoff(-Tiere), Pappmache usw. zum Einsatz. Zudem ist haufig eine Beleuchtung, vorzugsweise mit LEDs, zu finden. Die Auswahl reicht dabei von einfachen batteriebetriebenen Lichterketten bis hin zu uber WLAN oder Bluetooth gesteuerten Mikrocontrollern zur einzelnen Ansteuerung von zusammengeschalteten LEDs.
In selteneren Fallen wird der Ravestick durch speziellere Elemente wie Seifenblasenmaschinen, Wasserspruhdusen oder pyrotechnische Einheiten erganzt. Da die Sticks fur ihren Einsatzzweck mobil sein mussen, wird auf eine gewichtssparende Konstruktion geachtet.
Zweck Neben dem Ausdruck von Kreativitat und Schaffung eines tragbaren Kunstwerks bieten Ravesticks einen praktischen Nutzen. So kann der Stick als weithin sichtbare Landmarke helfen, die eigene Freundesgruppe in einer Menschenmenge wiederzufinden. Auch fur Unbeteiligte kann ein Ravestick als Orientierungspunkt genutzt werden, um so z. B. anderen seinen Standort mitzuteilen.
Kritik Aufgrund der immer starkeren Verbreitung des Phanomens werden auch vereinzelt kritische Stimmen gegenuber Ravesticks geaußert. Haufigster Kritikpunk ist die visuelle Beeintrachtigung des Buhnenbilds sowie des Lichtdesigns der gesamten Buhne und Tanzflache. Zudem wird die Verletzungsgefahr durch unsichere Konstruktionen sowie der mogliche unbeabsichtigte Kontakt mit in Buhnennahe verlaufenden Strom- oder Gasleitungen genannt.
Einzelnachweise
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Ein Ravestick oder auch Feierstab ist eine meist stabformige Konstruktion, die ublicherweise kunstlerisch gestaltet ist und insbesondere auf Tanzflachen bei Musikfestivals aufgestellt oder hochgehalten wird. Ravesticks werden von Festivalbesuchern selbst gestaltet und dienen durch ihre Hohe haufig zum Wiederfinden der eigenen Freundesgruppe. Die Gestaltung ist dabei vielfaltig und kann von einfachen Fahnen oder Plakaten bis hin zu vielschichtigen elektronischen bzw. mechanischen Konstruktionen reichen. Insbesondere die Beleuchtung des Ravesticks ist haufig ein integraler Bestandteil des Gesamtentwurfs.
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"url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Ravestick"
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c-861
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Die Burg Monschau ist eine unter Denkmalschutz stehende Hohenburg in der Stadt Monschau in der sudlichen Stadteregion Aachen. Sie wurde um 1200 erbaut und erlebte bis zu ihrer Auflosung als Festung und ihrem teilweisen Verfall eine wechselvolle Geschichte. Teile der Burganlage werden heutzutage als Jugendherberge und Altenheim genutzt sowie der Innenhof im Sommer als Veranstaltungsort fur Freiluftkonzerte.
Geschichte Die Burg ist als „castrum in Munjoje“ erstmals in einer Urkunde des Erzbischofs Engelbert I. von Koln aus dem Jahre 1217 belegt, als die „Herrschaft Monschau“ noch Teil des Herzogtums Limburg war. Eine erste Bauperiode, die im Wesentlichen nur die Oberburg und deren Vorburg umfasste, fand jedoch bereits etwa zwischen 1190 und 1198 unter der Regentschaft von Herzog Walram IV. von Limburg statt. Anlass zur Errichtung einer Burg in Monschau war nach heutigen Erkenntnissen, dass die Herzoge ihre Burg Reichenstein zwischen Monschau und Kalterherberg um 1140 dem Pramonstratenserorden ubertragen hatten, weil diese Anlage aus ihrer Sicht nicht den Anspruchen einer wehrtauglichen Burg genugte; außerdem war die nach heutigen Erkenntnissen in Monschau bereits vorhandene Burg auf der anderen Talseite, der Haller, vom Gelandeprofil her nicht ausbaufahig.
Die Herrschaft Monschau, die 1269 mit der heute in der Provinz Limburg/Niederlande gelegenen Herrschaft Valkenburg vereinigt worden war, fiel 1354 an die Markgrafen und spateren Herzoge von Julich, die die Burg zu einer Festung ausbauten und mit machtigen Ringmauern und heute rekonstruierten Wehrgangen versahen. Zu den erfolgten Erweiterungsbauten der Burganlage zahlen die Unterburg mit dem Eselsturm und die Zugbrucke sowie die Schlosskapelle, die erstmals 1369 als „nuwe Capelle“ urkundlich genannt wurde und rund 300 Jahre lang als erste Kirche des Ortes Monschau fungierte. Dazu zahlte aber auch das Haus zum Turm, das noch von den Vorbesitzern der Burg im Jahr 1351 als Dienstwohnung und Wachhaus fur den Revierforster und Wachleiter der Burg erbaut worden war, aber bis 1795 im Besitz der Burgherren verblieb und als Lehn verpachtet wurde. Bei all diesen Baumaßnahmen hatten sich die Bauherren offensichtlich finanziell verkalkuliert und die Burg wurde fur einige Jahrzehnte an die Herren von Schonforst verpfandet. Urkundlich als Burgherren aus dieser Familie sind erwahnt Reinhard von Schonau († 1376), sein Sohn Johann und zuletzt noch dessen gleichnamiger Sohn Johann von Schonforst († 1433). Schließlich wurde Monschau 1435 endgultig wieder dem Territorium Julich eingegliedert und die Stadt selbst erhielt 1476 die Stadtrechte.
Im Jahr 1543 belagerten Truppen Kaiser Karls V. im Rahmen des Dritten Geldrischen Erbfolgekriegs den gesamten Burgkomplex mit schwerem Geschutz, nahmen die beschadigte Burg ein und plunderten sie mitsamt Teilen der Stadt Monschau. Nach dem Abzug der Truppen wurde die Burg Monschau wieder großzugig saniert und mit einem Wachhaus und einem Kommandanturgebaude erganzt. Erneut in kriegerische Bedrangnis geriet sie im Jahr 1609 im Rahmen des Julich-Klevischen Erbfolgestreits, als brandenburgische Truppen die Burg besetzten. Bereits 1622 sicherten im Verlauf des Dreißigjahrigen Kriegs aber spanische Truppen durch ihre Eroberung Monschaus dem Julicher Herzog Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg die Ubernahme der Herrschaft. Weniger glimpflich verliefen die Angriffe im Rahmen des Pfalzischen Erbfolgekriegs von 1689, bei dem zahlreiche linksrheinische Burgen zerstort wurden und auch die Burg Monschau schwere Schaden davontrug. Im Verlauf der anschließenden Sanierungsarbeiten wurde der Bereich der Unterburg mit Kasernenblocks fur die die Besatzung bildende kurpfalzische Invalidenkompanie ausgeweitet.
Wahrend des 17. Jahrhunderts erlebte die Bevolkerung Monschaus durch das aufstrebende Tuchgewerbe großen Wohlstand. Zum Bau der neu entstehenden Burgerhauser und Fabriken wurde vermehrt Schiefer benotigt, den die Monschauer in Hohlen unter der Burg abbauten. Diese bis ins 20. Jahrhundert ertragreichen Schieferstollen wurden im Zweiten Weltkrieg von der Bevolkerung als Bunker genutzt.
Wahrend der franzosischen Besatzungszeit zwischen 1794 und 1815 wurde die Burg von den neuen Machthabern zu Staatseigentum erklart und an Privatleute verkauft. Diese ließen in den Jahren 1836 und 1837 vor allem im Bereich der Oberburg die Dacher abtragen, um von der Gebaudesteuer befreit zu werden, wodurch die Burg durch eindringendes Regenwasser zunehmend zur Ruine verkam. Dagegen wurden die vormaligen Kasernenbauten der Unterburg ab 1857 instand gesetzt und zum neuen Maria-Hilf-Hospital umgebaut.
Im Jahr 1900 erwarb die Stadt Monschau die Burganlage und versuchte vorrangig, den weiteren Verfall der Oberburg zu verhindern. Erst 1930 wurde der verfallene Palas nach Planen des Architekten und Heimatschutzers Ernst Stahl wiederaufgebaut und als Erweiterung fur die Jugendherberge hergerichtet, die nach dem Ersten Weltkrieg im relativ unbeschadigten Westflugel eroffnet worden war.
Im Jahr 1971 diente die Burganlage ebenso wie der Haller als Verhullungsprojekt des Kunstlerehepaars Christo und Jeanne-Claude. Im Jahr 2000 wurde der Innenhof der Oberburg als Veranstaltungsort, wie beispielsweise fur die Monschau-Klassik, ausgestaltet.
Baucharakteristik Die Gesamtanlage erstreckt sich uber zwei miteinander verbundene Ebenen, auf denen die einzelnen Bauten uberwiegend in Bruchsteinbauweise errichtet und im Laufe der Jahrhunderte mehrfach verandert worden sind. Die vorhandenen Gebaudeteile der gesamten Burganlage lassen dabei deutlich erkennen, ob es sich um Rekonstruktionen, Neubauten oder originale Bausubstanzen handelt. Die Burganlage umfasst im Einzelnen:
= Oberburg =
Die Oberburg ist der alteste Teil der Burganlage und belegt den hochsten Punkt des Hohenruckens. Sie gliedert sich in Kern- und Vorburg. Diese sind an ihrer Sud- und Ostflanke von einer im Hang gebauten kraftigen und hohen Stutzmauer umgeben, die ihrerseits mit massiven Stutzpfeilern gesichert ist. Auf der Umgebungsmauer verlauft eine Zwingeranlage, die mit dem Obergeschoss des spater erbauten Eselsturms verbunden ist. Die Nord- und Westseite sind durch steile Hange und den Halsgraben gesichert. Auf dem Plateau gruppiert sich um einen dreieckigen Innenhof herum der Gebaudekomplex, bestehend aus der sudlichen Vorburg, dem westlich liegenden machtigen Palas, dem an dessen außerem rechten Eck leicht abgewinkelt stehenden Vierungsturm, auch „langer Turm“ genannt, sowie dem an der Ostmauer angebauten Bergfried. Dieser zeigt sich als quadratischer Turm mit einer Seitenlange von sieben Metern, dem spater ein Zeltdach uber dem offenen Wehrgang aufgesetzt wurde.
Im Jahr 1906 wurde die ziemlich marode Kernburg im Auftrag des Provinzialkonservators Paul Clemen von Regierungsbaumeister Ernst Stahl vermessen und begutachtet. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte bereits in dem weniger beschadigten Teil des Westflugels eine Jugendherberge eingerichtet werden. Ernst Stahl, mittlerweile selbststandiger Architekt in Dusseldorf, plante schließlich ab 1927 den vollstandigen Ausbau der Ruine zur Jugendherberge. Dabei sollten eigentlich sowohl der alte Palas, der lange Turm als auch der Bergfried ausgebaut werden. Aus finanziellen Grunden wurde jedoch nur der Umbau des Palas zur Herberge genehmigt, die 1929 eroffnet werden konnte. Erst in den Jahren 1990/1991 entstand fur die Verwaltung der Jugendherberge der weiß getunchte neue Ostbau als rechter Anbau zum Palas. Durch die Nutzung als „Jugendburg“ war der Erhalt der Burg Monschau gesichert.
Vorburg Die Vorburg und eine vorgelagerte separate Toranlage dienen als kontrollierbarer Eingangsbereich zum Innenhof der Kernburg. Uber eine steile Wegerampe entlang der ostlichen Außenmauer der Burg wird zunachst die rundbogige Toranlage erreicht, die zur Talseite hin von einem kleineren quadratischen Wehrturm flankiert wird, der heute nur noch als Stumpf vorhanden ist. Innenseitig wurde oberhalb des Tores ein Wehrgang eingebaut, von dem aus die Schießscharten uber der Tordurchfahrt genutzt werden konnten. Nach diesem Vortor knickt der Zufahrtsweg zum Burgplateau fast rechtwinklig nach Westen ab und zieht weiter durch die eigentliche Vorburg, die sich als langrechteckiger, innen offener Bau mit einer hohen Ringmauer zeigt, deren Mauerkrone als Wehrgang ausgebaut ist. Eingangsseitig ist eine hohe spitzbogige Tordurchfahrt aus Nideggener Sandstein eingelassen, die links und rechts von zwei hoheren Rundturmen flankiert wird. Diese sind auf ihre vermutete ehemalige Hohe rekonstruiert worden und mit relativ flachen Kappen oberhalb des offenen Wehrgangs bestuckt. Ansonsten ist die Vorburg auch wegen der Enge des Raumes vollstandig frei von weiteren Gebauden.
Ausgangs der Vorburg offnet sich die große Freiflache des Innenhofes, die heute mit ihren teils fest installierten Buhnen- und Tribunenaufbauten vor allem als Auffuhrungsstatte fur die verschiedenen Festspiele auf der Burg Monschau zur Verfugung steht.
= Unterburg =
Seit der ersten Erweiterung im Jahr 1354 entstanden in verschiedenen Etappen und Epochen die jeweiligen Gebaude der Unterburg. Dazu wurde zunachst auf Hohe des nordlichen Zugangsweges von der Stadt zur Burg eine weitere, horizontal verlaufende Stutzmauer in den Hang gesetzt, die mit der oberen Stutzmauer der Oberburg eine großere Flache fur die geplanten Neubauten umgab. Ferner wurde burgseitig der Steinbrucke uber dem Halsgraben der neue Eselsturm mit der ersten Tordurchfahrt erbaut, hinter dem sich die Wege einerseits ansteigend uber die Vorburg zur Oberburg und andererseits geradlinig zum neuen Bebauungsbereich der Unterburg trennten.
Auf diesem „Neubaugebiet“ entstand zunachst im Jahr 1369 und eingebaut im mittleren Bereich eines vormaligen Wehrturmes die „nuwe Capelle“, die unter das Patrozinium der Heiligen Martin und Josef gestellt wurde. Sie blieb bis 1794 im Besitz der Schlossherren und kam ab 1810 zunachst in Privatbesitz, bevor sie 1917 vom benachbarten Maria-Hilf-Hospital erworben und 1983 zum Kommunikationszentrum fur das dortige neue Altenheim konzipiert wurde.
Bei den Erweiterungsmaßnahmen im Jahr 1586 entstand auf der rechten Seite hinter dem Eselsturm, angelehnt an die Wehrmauer der Oberburg, ein schmales, heute verputztes zweigeschossiges vierachsiges Wachhaus aus Bruchsteinen mit Stallungen und Mansarddach. Es war der Sitz fur die Burgwachter, die fur die Erstkontrolle der taglich pendelnden Besucher zustandig waren. Im gleichen Zeitraum wurde schrag gegenuber das Wohnhaus des Burgkommandanten errichtet. Es war ursprunglich ein mehrachsiger zweigeschossiger Giebelbau mit einer offenen Loggia im Erdgeschoss, dem im 18. Jahrhundert ein zweigeschossiges Langhaus mit Satteldach und integrierten Dachgauben sowie einer Remise im Erdgeschoss rechtwinklig zum alten Kernhaus angebaut wurde.
Kernstuck der Unterburg sind die im 17. Jahrhundert am sudlichen Rand des Areals um einen dreieckigen Innenhof herum erbauten beiden Wohnblocks, die als Kasernenunterkunft fur die kurpfalzische Invalidenkompanie konzipiert waren. Der sudwestlich am Rand der Burgmauer gelegene Block war anfangs ein funfachsiges dreigeschossiges Gebaude mit Mansarddach, aus dem mittig ein halbrunder Turm mit Schweifhaube hervorragt. Beim Umbau zum neuen „Maria-Hilf-Hospital“ im Jahr 1857 blieb das Haus außerlich zunachst unverandert und erst nach der stadtischen Ubernahme im Jahr 1900 wurde es beidseitig des Haupttraktes mit Anbauten um drei giebelstandige Achsen nach links und um vier nach rechts verlangert sowie zwischen 1912 und 1914 mit einem weiteren Obergeschoss im Dachbereich ausgestattet.
Der zweite Block zur ostlichen Talseite zwischen dem Sudblock und der Schlosskapelle zeigt sich als langgestrecktes dreizehnachsiges zweigeschossiges Gebaude, dessen mittlere drei Achsen in Nachempfindung eines Wachturmes talseitig einen halbrunden Vorbau bilden. Im Rahmen der Sanierung von 1970 wurde das Dach als Mansarddach ausgebaut und mit 18 Dachgauben versehen.
Beide Blocks wurden nach der Schließung des „Maria-Hilf-Hospitals“ im Jahr 1970 als Altenheim der nunmehrigen „Maria-Hilf-Stiftung“ umgerustet.
Eselsturm Im Zuge der Erweiterungsmaßnahmen des Burggelandes in den 1350er-Jahren wurde der Hauptzufahrtsbereich von der Stadt auf das Burggelande mit einem imposanten hohen Rundturm bestuckt, der den Namen „Eselsturm“ erhielt. Um 1370 muss er offensichtlich fertiggestellt worden sein, da er in jenem Jahr erstmals urkundlich als „Neuer Turm“ erwahnt wird.
Der Zugang erfolgte von der Stadt aus uber eine massive steinerne Bogenbrucke, die sich uber den Halsgraben erstreckte. Der letzte offene Teil der Brucke wurde durch eine Zugbrucke uberbruckt, die am Eselsturm angebracht war und deren dortige Aussparungen fur die Verankerungen heute noch erkennbar sind.
Der Turm selbst wurde am Rande des Halsgrabens dreigeschossig auf einem hohen Unterbau errichtet. Im Erdgeschoss befindet sich die Tordurchfahrt mit gewolbter Decke und Rechteckblenden fur die Aufnahme der ehemaligen Zugbrucke. Die kuppelartig uberwolbten Obergeschosse sind durch rundlaufende Wandtreppen miteinander verbunden und mit jeweils funf Schießkammern ausgestattet. An den Außenmauern des obersten Stockwerks lassen sich noch die Reste eines alten Rundbogenfrieses erkennen.
Im Jahr 1517 wurde der Eselsturm als Batterieturm fur leichte Geschutze neu errichtet und steht seitdem halftig im Halsgraben. Spater erfolgte im 18. Jahrhundert noch der Bau eines kleinen quadratischen Wachhauschens an der Stadtseite der Bogenbrucke.
Auch der Eselsturm war vom Verfall im 20. Jahrhundert betroffen. Im Rahmen der Generalsanierung der Burg im Jahr 1990 wurde er nach Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert wieder rekonstruiert sowie um eine Wehrplatte erhoht, die mit einem Haubendach versehen wurde.
Literatur Elmar Neuß: Die Burg Monschau 1198–1998. In: Beitrage zur Geschichte des Monschauer Landes. Nr. 4. Geschichtsverein des Monschauer Landes e. V., 1998, ISSN 0939-0340.
Weblinks Burg Monschau, Portrat auf burgenarchiv.de
Burg Monschau, Portrat in der Burgendatenbank Ebidat
Burg Monschau, Portrat auf isgmonschau.de
Einzelnachweise
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Die Burg Monschau ist eine unter Denkmalschutz stehende Hohenburg in der Stadt Monschau in der sudlichen Stadteregion Aachen. Sie wurde um 1200 erbaut und erlebte bis zu ihrer Auflosung als Festung und ihrem teilweisen Verfall eine wechselvolle Geschichte. Teile der Burganlage werden heutzutage als Jugendherberge und Altenheim genutzt sowie der Innenhof im Sommer als Veranstaltungsort fur Freiluftkonzerte.
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"url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Monschau"
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c-862
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Jennie Carignan (* 1968 in Asbestos, Quebec) ist eine kanadische Offizierin der Canadian Army im Dienstgrad General. Sie ist die Oberbefehlshaberin (Chief of the Defence Staff) der kanadischen Streitkrafte und damit die erste Frau auf dieser Position.
Leben Carignan wuchs in Val-des-Sources auf, das fruher den Namen Asbestos trug. Ihre Familie war franzosischsprachig. 1986 trat sie den kanadischen Streitkraften bei, sieben Jahre nachdem das Royal Military College of Canada auch Frauen erlaubte, sich einzuschreiben. Sie heiratete 1990 Eric Lefrancois, der mit ihr im selben Platoon an der Militarakademie gedient hatte. Das Paar hat vier Kinder, fur die Lefrancois seine Karriere beendet hatte, um sich um sie zu kummern.
1993 war Carignan Teil der United Nations Disengagement Observer Force auf den Golanhohen, zwei Jahre darauf diente sie bei der United Nations Protection Force in Bosnien und Herzegowina. In dieser Zeit wurde sie erstmals schwanger. Carignan wurde 1999 zum Major befordert und schloss ein MBA-Studium an der Universitat Laval ab. Daruber hinaus besuchte sie ein Programm des Command and General Staff College und hat einen Masterabschluss in Militarwissenschaften von der School of Advanced Military Studies. 2002 war sie nochmals in Bosnien stationiert, um dort Felder von Sprengfallen zu befreien. Sie war zunachst stellvertretende Kommandeurin des 5 Combat Engineer Regiment und ab 2003 dessen kommissarische Kommandeurin. 2005 erfolgte die Beforderung zum Lieutenant Colonel.
Nach einer kurzen Zeit als Dozentin am Canadian Army Command and Staff College in Kingston kehrte sie zum 5 Combat Engineer Regiment zuruck und wurde dessen Kommandeurin. Von 2009 bis 2010 kommandierte sie das Ingenieursregiment der Task Force Kandahar in Afghanistan und ubernahm nach ihrer Ruckkehr den Posten der stellvertretenden Kommandeurin der 5 Canadian Mechanized Brigade Group. Sie wurde im Juni 2011 zum Colonel befordert. Im Juli 2013 ubernahm sie den Direktorenposten des Royal Military College Saint-Jean. Ihre Beforderung zum Brigadier General erfolgte am 15. Juni 2016. Damit einher ging die Ernennung zur Stabschefin fur Armeeoperationen. Carignan wurde somit die erste Kanadierin, die diesen Rang in einer der direkten Kampfsparten der Streitkrafte erreichte. 2019 folgte die Beforderung zum Major General. Sie ubernahm gleichzeitig eine Trainingsmission im Irak. Zwei Jahre ubernahm sie den neu geschaffenen Posten des Chief for Professional Conduct and Culture, der sich um die Verhinderung sexueller Ubergriffe beim kanadischen Militar kummern soll. Sie wurde dafur zum Lieutenant General befordert.
Justin Trudeau ernannte Carignan am 3. Juli 2024 zur Nachfolgerin von General Wayne Eyre als Chief of the Defence Staff, dem Oberbefehlshaber der kanadischen Streitkrafte. Sie ubernahm den Posten am 18. Juli 2024 im Rahmen einer von Generalgouverneurin Mary Simon geleiteten Zeremonie am Kanadischen Kriegsmuseum und wurde dafur in den Rang eines Generals befordert.
Weblinks Einzelnachweise
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Jennie Carignan (* 1968 in Asbestos, Quebec) ist eine kanadische Offizierin der Canadian Army im Dienstgrad General. Sie ist die Oberbefehlshaberin (Chief of the Defence Staff) der kanadischen Streitkrafte und damit die erste Frau auf dieser Position.
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c-863
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Der Valeriepieris-Kreis ist ein gedachter Kreis auf der Erdoberflache, innerhalb dessen mehr als die Halfte der Weltbevolkerung lebt.
Ursprung 2013 veroffentlichte der Reddit-Nutzer „Valeriepieris“ (burgerlich Ken Myers, ein Lehrer aus Texas) im Subreddit r/MapPorn den Entwurf des Kreises, nach dem in seinem Inneren mehr Menschen leben als außerhalb – dem Rest der Erde. Myers’ Kreis umfasst nur rund 9,8 % der Erdoberflache mit einem Radius von ungefahr 4000 Kilometern.
Im Valeriepieris-Kreis befinden sich die Milliardennationen China und Indien sowie bevolkerungsreiche Lander wie Indonesien, Pakistan, Bangladesch, Japan und die Philippinen. Obwohl im Kreis so viele Menschen wie nirgendwo sonst leben, ist ein Großteil seiner Flache sehr dunn oder gar nicht besiedelt: So liegen dort auch der Westen Chinas, Teile Sibiriens, des Himalaya sowie die Mongolei – das Land mit der niedrigsten Bevolkerungsdichte weltweit. Zudem liegt ein Drittel seiner Flache im Ozean.
22 der 37 Megastadte befinden sich im Kreis, außerdem vier der funf großten Metropolregionen der Welt (Stand 2024). Erwahnenswert ist ebenfalls, dass sowohl der Mount Everest als hochster Punkt als auch der Marianengraben als tiefster Punkt der Erde innerhalb des ursprunglichen Valeriepieris-Kreises gelegen sind.
Der Kreis basiert auf der Winkel-Tripel-Projektion, was bedeutet, dass er nicht der kugelformigen Oberflache der Welt angepasst ist. Das Konzept wurde von Medien und Nachrichtenportalen aufgegriffen und weltweit publiziert. Der Kreis wurde schließlich nach dem Reddit-Benutzernamen von Ken Myers benannt: Valeriepieris.
Weiterentwicklung Im Jahr 2015 bestatigte der singapurische Okonomieprofessor Danny Quah von der London School of Economics die Kernaussage und veroffentlichte im gleichen Zuge eine aktualisierte Variante des Valeriepieris-Kreises auf einer flachentreuen Azimutalprojektion mit einem kleineren Radius. Quahs Kreis hat sein Zentrum im myanmarischen Dorf Mong Khet und eine Orthodrome von diesem Zentrum bis zum Rand des Kreises von nur noch circa 3300 Kilometern, was lediglich 6,7 % der Erdoberflache entspricht. Insbesondere sind Japan und der großte Teil der dichtbesiedelten Insel Java nicht in dieser Variante enthalten. Quah behauptete, dass sein Kreis der kleinstmoglichste Kreis sei, da er ihn auf der Grundlage strengerer Berechnungen und aktualisierter Daten erstellt habe und er entgegen dem Original an die kugelformige Oberflache der Erde angepasst sei.
Riaz Shah, ein Professor an der Hult International Business School in London, testete 2022 die Behauptung von Danny Quah erneut, bestatigte sie und stellte fest, dass von rund 8 Milliarden Menschen rund 4,2 Milliarden Menschen innerhalb des Kreises leben.
Anwendung Der Valeriepieris-Kreis kann grundsatzlich auf jedes Land, jede Stadt und jede Region ubertragen und angewendet werden. So konnen beispielsweise Bevolkerungsveranderungen beobachtet oder die Zentralisierung der Bevolkerung gemessen werden. Ein entsprechendes Python-Paket zur Berechnung des Valeriepieris-Kreises wurde 2023 veroffentlicht.
Weblinks Einzelnachweise
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Der Valeriepieris-Kreis ist ein gedachter Kreis auf der Erdoberflache, innerhalb dessen mehr als die Halfte der Weltbevolkerung lebt.
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"url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Valeriepieris-Kreis"
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c-864
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Cavan Sullivan (* 28. September 2009 in Philadelphia) ist ein US-amerikanischer Fußballspieler. Der Mittelfeldspieler steht bei Philadelphia Union in der Major League Soccer unter Vertrag. Am 17. Juli 2024 debutierte er mit 14 Jahren und 293 Tagen als jungster Profifußballer in der Major League Soccer.
Karriere = Verein =
Im Jahr 2020 nahm Sullivan, wie sein Bruder Quinn, an einem Probetraining bei Borussia Dortmund teil. Auch 2022 soll der Linksfuß wieder bei einem Probetraining in Dortmund gewesen sein.
Ab 2020 stand Sullivan bei der Nachwuchsabteilung von Philadelphia Union unter Vertrag. Sein Debut im Profifußball absolvierte Sullivan fur Philadelphia Union II am zweiten Spieltag der MLS Next Pro am 24. Marz 2024. Dort lieferte er in der 81. Minute die Vorlage fur den entscheidenden Treffer zum 2:1 gegen New England Revolution II.
Im Mai 2024 unterschrieb Sullivan einen Profivertrag bis 2028 bei Philadelphia Union. Der Vertrag soll auch vorsehen, dass Sullivan 2027 zu Manchester City in die Premier League wechselt, sobald er 18 Jahre alt ist. Ab einem Alter von 16 Jahren durfte Sullivan fruhestens im Profifußball in Europa tatig sein. Da er aber erst mit 18 in der Premier League auflaufen darf, konnte er in der Zwischenzeit in einem der Vereine, die zur City Football Group gehoren und Spieler schon ab 16 aufnehmen durfen, spielen. Fur den Wechsel soll Manchester City bis zu funf Millionen USD (etwa 4,6 Millionen Euro) zahlen. Sullivan ist damit auch der jungste Spieler, der einen Vertrag bei Philadelphia Union unterzeichnet hat.
Sein Debut in der Major League Soccer fand am 18. Juli 2024 bei einem Heimspiel gegen New England Revolution statt. Er wurde in der 85. Minute eingewechselt. Dies markierte einen neuen Altersrekord in der MLS. Mit 14 Jahren und 293 Tagen war er beim Debut 13 Tage junger als der vorige Rekordhalter Freddy Adu. Zuvor hatte sein Bruder Quinn mit seinem Tor den Endstand auf 5:1 gesetzt.
= Nationalmannschaft =
Bei seinem internationalen Debut mit der US-amerikanischen U-15-Fußballnationalmannschaft erzielte er am 26. April 2023 gegen die englische U-15-Fußballnationalmannschaft zwei Tore. So verhalf er der Mannschaft zu einem 2:2 in dem Freundschaftsspiel. Bei der CONCACAF U-15-Meisterschaft 2023 gewann Sullivan mit der U-15-Fußballnationalmannschaft das Turnier. Er selbst wurde als bester Spieler des Turniers mit dem Goldenen Ball ausgezeichnet. Sein Debut fur die US-amerikanische U-17-Fußballnationalmannschaft fand am 4. September 2024 bei der 0:1-Niederlage gegen die DFB-U-18-Junioren statt.
Da Sullivans Mutter deutsche Wurzeln hat, darf er fur die deutsche Nationalmannschaft spielen. Laut Informationen von ran steht Sullivan auf der Liste des DFB und wurde schon mehrfach von deutschen Scouts beobachtet. Sullivan erklarte zwar, dass er Amerikaner sei, aber fur alle Moglichkeiten offen bliebe.
Personliches Sullivan wurde 2009 in Philadelphia geboren. Er ist einer der vier Sohne von Heike und Brendan Sullivan, der ebenfalls professionell Fußball gespielt hat. Auf der vaterlichen Seite spielt die Familie seit Generationen professionell Fußball. Sein Großvater, Larry Sullivan, war Trainer des Teams der Villanova University und trainierte dort den derzeitigen (Stand 2024) Trainer von Philadelphia Union Jim Curtin. Larry trainierte ebenfalls seinen Sohn Brendan, der funf Jahre in der A-League professionell Fußball spielte. Cavans Bruder Quinn Sullivan ist ebenfalls Fußballspieler und ebenso bei Philadelphia Union unter Vertrag. Die beiden anderen Sohne Ronan und Declan spielen ebenfalls Fußball.
Cavans Mutter Heike spielte genauso wie ihr Ehemann bei der University of Pennsylvania Fußball. Sie ist die Tochter des deutsch-amerikanischen Kommunikationswissenschaftlers Klaus Krippendorff.
Sullivan besucht sein ganzes Leben schon die YSC Academy, eine auf Fußballforderung ausgelegte private Bildungseinrichtung in Wayne, Pennsylvania. Dort unterrichtet auch sein Vater.
Weblinks Cavan Sullivan in der Datenbank von MLSSoccer.com (englisch)
Cavan Sullivan in der Datenbank von soccerway.com
Cavan Sullivan in der Datenbank von transfermarkt.de
Cavan Sullivan in der Datenbank von weltfussball.de
Einzelnachweise
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Cavan Sullivan (* 28. September 2009 in Philadelphia) ist ein US-amerikanischer Fußballspieler. Der Mittelfeldspieler steht bei Philadelphia Union in der Major League Soccer unter Vertrag. Am 17. Juli 2024 debutierte er mit 14 Jahren und 293 Tagen als jungster Profifußballer in der Major League Soccer.
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c-865
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Die Schwedenmuhle, auch Peendamm-Muhle, ist eine im Jahr 1726 erbaute Hollanderwindmuhle in Anklam. Sie besteht aus einem achteckigen Turm auf einem eingeschossigen Fachwerkbau. Die Muhle diente wahrend der fast 100-jahrigen Teilung Anklams als Rathaus des nordlich der Peene gelegenen schwedischen Teils der Stadt.
Geschichte Der sogenannte Muhlenberg auf dem Anklamer Peendamm wurde 1726 von dem Muller Christian Pape gepachtet, um dort die erste Anklamer Hollanderwindmuhle zu errichten.
Die Muhle tragt in der Stadtgeschichte die Namen „Wesselsche Muhle“ nach ihrem Besitzer ab 1872, „Schwedenmuhle“ oder auch „Peendamm-Muhle“. Der hauptsachlich gebrauchliche Name „Schwedenmuhle“ beruht auf ihrer Geschichte als schwedisches Rathaus. Von 1720 bis 1815 bildete die Peene die Grenze zwischen Schwedisch-Pommern und Preußen. Der kleine nordliche Teil der Stadt, der Peendamm, war schwedisch. Die damals neue Muhle war das reprasentativste Gebaude auf dem Peendamm. Der Raum rechts neben der Durchfahrt diente als schwedisches Rathaus und Gerichtsstube. 1908 errichtete der Muller auf dem Hof des Grundstucks ein Ziegelgebaude fur eine Motormuhle. 1922 wurde die Windmuhle vollstandig stillgelegt. Bis 1958 mussten nacheinander Flugel, Helm und Umgang wegen Baufalligkeit entfernt werden.
Bis 2000 wurde das Gebaude als Wohnhaus genutzt. Seit 2006 bemuht sich ein Verein um die Rettung der Muhle. Mit Mitteln des Landesamts fur Denkmalpflege, der Hansestadt Anklam und privater Spenden gelang eine Notsicherung. Im Jahr 2024 hat die Stadt die denkmalgeschutzte Muhle uber einen Erbbauvertrag erworben, um sie in die Plane zur Stadtteilentwicklung des sogenannten „Schwedenviertels“ einzubeziehen.
Beschreibung Die Muhle ist ein sogenannter Haushollander, bei dem sich der achteckige Muhlenturm aus dem Dach eines eingeschossigen verputzten Fachwerkhauses in der Straßenfront erhebt.
Die Muhle wurde 1765 kurzzeitig um einen Wasserantrieb erweitert, der spater wieder entfernt wurde. 1880 wurde als Windrose ein kleines Windrad angebracht, das den Muhlenkopf eigenstandig in den Wind drehte und so viel Muskelkraft sparte. Die Segelflugel wurden 1880 durch Jalousieflugel ersetzt. Flugel, Helm und Umgang wurden 1958 wegen Baufalligkeit entfernt und der Muhlenstumpf mit einem Flachdach versehen.
Weblinks Rudolf Baumer: „Die Windmuhle auf dem Peendamm“, 1922 (PDF; 528 kB)
Muhlenbeschreibung beim Muhlenverein Mecklenburg-Vorpommern e. V.
Zustand 1930
Geschichte der historischen Aufnahme des Fotografen Jacob Reichard (steintor-guide.museumnet.eu)
Einzelnachweise
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Die Schwedenmuhle, auch Peendamm-Muhle, ist eine im Jahr 1726 erbaute Hollanderwindmuhle in Anklam. Sie besteht aus einem achteckigen Turm auf einem eingeschossigen Fachwerkbau. Die Muhle diente wahrend der fast 100-jahrigen Teilung Anklams als Rathaus des nordlich der Peene gelegenen schwedischen Teils der Stadt.
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Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop (auch Schifferfriedhof in den Ostseedunen oder Alter Schifferfriedhof) ist ein 1893 entstandenes Gemalde des deutschen Kunstlers Paul Muller-Kaempff. Es ist in Ol auf Leinwand gemalt und hat eine Hohe von 211 cm und eine Breite von 350 cm. Das Bild mit einer Szenerie an der deutschen Ostseekuste in Ahrenshoop gilt als ein Hauptwerk des Kunstlers. Eingebettet in eine Landschaftsdarstellung zeigt der Maler eine junge Frau auf dem Weg zum Friedhof. Das Motiv steht in einer langen Tradition von Darstellungen der Verganglichkeit und entspricht zugleich einer zeitgenossischen Vorliebe fur Sujets am Rand der Zivilisation. Muller-Kaempff schuf in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche weitere Ansichten der Landschaft bei Ahrenshoop, jedoch nicht mehr in diesem Großformat und ohne diese deutliche Symbolik. Das Gemalde war ein Geschenk des Malers an den Schleswig-Holsteinischen Kunstverein und gelangte mit dessen Sammlung in den Besitz der Kunsthalle zu Kiel. Seit 2013 befindet es sich als Dauerleihgabe im Kunstmuseum Ahrenshoop.
Beschreibung Das großformatige Bild Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop zeigt eine hugelige Landschaft an der Ostsee. Das blaue Meer ist links am Bildhorizont zu erkennen. Im Vordergrund sprießen aus dem hellen sandigen Boden grune Graser und das leuchtend gelbe Doldige Habichtskraut hervor. Muller-Kaempff hat den Pflanzenbewuchs aus vielzahligen Halmen und Bluten detailreich wiedergeben. Zwischen der Bodenvegetation sind daruber hinaus eine Reihe von Kohlweißlingen auszumachen. Auf der rechten Seite ragt diagonal der Ahrenshooper Friedhof ins Bild, der – anders als heute – noch als eine sandige Anhohe ohne Baumbewuchs erscheint. Lediglich trockenes graues Buschwerk ist am rechten Rand erkennbar. Auf dem von einem einfachen Koppelzaun begrenzten Friedhof wuchert die gleiche Vegetation wie in der Umgebung. Verschiedene emporragende weiße und dunkle Holzkreuze markieren die Grabstellen. In einiger Entfernung finden sich zudem durch Lattenzaune begrenzte Graber. Eine mit weißen Leisten eingefasste Grabstelle konnte auf ein frisches Grab hinweisen. Auf der linken Seite fuhrt ein aus Richtung des Meeres kommender Weg den Hugel hinauf. Von dort nahert sich eine in dunkles Blau und Schwarz gekleidete Frau dem Friedhof. Eine graublaue Haube auf dem Kopf schutzt sie vor der rauen Witterung am Meer. Das beschattete Gesicht der jungen Frau ist mit nur wenigen Pinselstrichen angedeutet. Sie tragt einen geflochtenen Kranz vor sich, mit dem sie die Graber der „Lieben zu schmucken kommt“. Uber der Landschaftsdarstellung erscheint ein in Grau- und Blautonen getupfter Himmel. Das Bild ist unten links datiert und bezeichnet mit „P. Muller-Kaempff. Berlin 1893“.
In seiner Beschreibung des Bildes stellte der Autor Frank Schloßer fest, Muller-Kaempff habe zwar das Bild „mit vielen kleinen und sehr genauen Pinselstrichen“ gemalt, aber sich zugleich „nicht in Details“ verloren. Dem Maler sei die „Stimmung des Lichtes an diesem Sommertag“ wichtig, „nicht die genaue Zeichnung der Wolkenformation“. Katrin Arrieta wies auf die „nur durftige, vom Grau getragene Farbigkeit“ im Bild hin. Dem Maler gelinge es, in Ahrenshoop „seine Empfindungen, die ihn angesichts des oden Panoramas und der großen Stille in der Natur ganz offensichtlich uberwaltigten“, „feinfuhlig“ auf der Leinwand festzuhalten. Der Autor Sebastian Kleinschmidt spricht von „einem zarten weißgrauen Schleier“, der wie ein „Licht des Verblassens“ das Gemalde uberziehe. Andere Autoren beschaftigten sich eher mit der Frauengestalt. So sah Wilhelm Scholermann in einer fruhen Besprechung im Gemalde „eine nachdenklich vor sich hin traumende Madchengestalt wirkungsvoll herausgehoben“. Der Autor S. Schott erkannte „ein Sich-Versenken in traurige Erinnerungen“.
Frank Schloßer wies auf die Symbolik der zum Kranz geflochtenen Strohblumen hin. Die auch Immortellen genannten Blumen stehen bildhaft fur die Unsterblichkeit. Zu den weiteren Symbolen des Gemaldes gehoren das Meer im Hintergrund und die Grabkreuze, die jeweils auf die Ewigkeit verweisen. Fur Sebastian Kleinschmidt gleichen die „mal grad, mal schrag stehenden Kreuze“ „Figuren“, die „aus dem Totenreich herubergrußen“. Er interpretierte weiter: „Als wurden sie der in sich gekehrten, in der Bildmitte gleichsam verharrenden Gestalt zurufen: Wir sind schon hier. Eines Tages wirst auch du hier sein. Und all die anderen, die noch leben, auch. Nur das Meer, nur der Himmel, nur die Erde werden ewig sein.“
Muller-Kaempffs Entdeckung von Ahrenshoop Der Schriftsteller Edmund Hoefer beschrieb 1880 das Fischland zwischen Ostsee und Saaler Bodden als „ein von der Natur nicht gerade begunstigtes Landchen, das zu einem guten Drittel aus Sand und Dunen besteht“. Die Acker und Wiesen, so Hoefer, erzielten „bei weitem nicht dem Bedurfniß entsprechend Ertrage“. Diese bis dahin weitestgehend unbeachtete Kustenregion galt seinerzeit als „eine arme, scheinbar reizlose Gegend“.
Paul Muller-Kaempff beschrieb in seinen Erinnerungen, wie er 1889 bei einer Wanderung mit seinem Freund Oskar Frenzel von Wustrow kommend eher zufallig Ahrenshoop entdeckte. Die Hauptstraße des am Ubergang vom Fischland zum Darß gelegenen Dorfes war zu dieser Zeit ein breiter sandiger Weg und es gab keine Deiche, die den Ort vor Flut hatten schutzen konnen. Bereits bei dieser ersten Erkundung besuchte er den kleinen Friedhof mit seinen weißen und schwarzen Holzkreuzen, der „uberwuchert von goldbluhenden Habichtskraut“ war. Zu dieser Zeit fanden sich auf dem Friedhof ausschließlich die Graber von einheimischen Schiffsleuten, Fischern, Handwerkern, Bauern und ihren Angehorigen, darunter zahlreiche fruh verstorbene Kinder. Der Friedhof war erst 1872 an der Sudseite des Schifferberges begrundet worden. Bis dahin wurden die Bewohner des pommerschen Ahrenshoop im benachbarten mecklenburgischen Wustrow bestattet, wo sich auch die nachste Kirche befand. Der Schifferfriedhof besteht bis in die Gegenwart, hat jedoch sein Aussehen inzwischen erheblich verandert. Das Gelande ist heute mit Baumen bewachsen und ein Blick auf das Meer nicht mehr moglich.
Der aus Oldenburg stammende Muller-Kaempff hatte Malerei in Dusseldorf und Karlsruhe studiert und war insbesondere von seinem Lehrer Gustav Schonleber zur Freilichtmalerei angeregt worden. Dieser hatte beispielsweise 1875 Skizzen auf der Ostseeinsel Hiddensee gefertigt und seinem Schuler moglicherweise die Ostseekuste als Motiv nahergebracht. Spater studierte Muller-Kaempff als Meisterschuler bei dem norwegischen Landschaftsmaler Hans Fredrik Gude an der Preußischen Akademie der Kunste in Berlin. Auch Muller-Kaempff widmete sich vor allem der Landschaftsmalerei und stellte beispielsweise 1888 in Magdeburg norddeutsche Landschaften aus.
Beeindruckt von der ersten Begegnung beschloss Muller-Kaempff, sich dauerhaft in Ahrenshoop niederzulassen. Er erwarb 1892 ein eigenes Haus im Dorf und grundete 1894 in Ahrenshoop die Sommerschule St. Lucas, an der er als Lehrer unterrichtete. Muller-Kaempff und die weiteren Maler der wachsenden Kunstlerkolonie in Ahrenshoop verbanden das karge Land an der Kuste „mit neuem Naturgefuhl und ihrer individuellen Wahrnehmung“. Sie hatten die tradierte Malerei der Kunstakademien hinter sich gelassen und suchten „eine lebensnahe, wirklichkeitsbezogene Kunst“. Die Maler verband die individuelle Sehnsucht nach dem einfachen Leben, das sie im Fischerdorf Ahrenshoop mit seiner landlichen Bebauung und der rauen Landschaft zwischen Weststrand und Boddenwiesen fanden. Dabei bot das Licht an der Kuste einen besonderen Reiz fur die Kunstler, die sich vor allem der Freilichtmalerei widmeten. Die Natur war jedoch keineswegs unberuhrt, sondern vom Leben der Menschen gepragt. Muller-Kaempff schuf zwar kleinere Formate direkt in der Natur, dieses Großformat entstand hingegen sicher im Ahrenshooper Atelier des Kunstlers.
Vorbilder fur die Hinwendung zur Natur finden sich bei einer Reihe von franzosischen Kunstlern, wie den Malern der Schule von Barbizon, darunter Camille Corot und Gustave Courbet. Auch Jean-Francois Millet und Jules Bastien-Lepage, deren Werke 1869 in Munchen ausgestellt waren, gehoren zu diesem Kreis. In seinen Erinnerungen beschreibt Muller-Kaempff die Abgeschiedenheit und Ursprunglichkeit von Ahrenshoop. Solch eine „Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies“ findet sich auch in den Biografien von Vincent van Gogh und Paul Gauguin. Beide suchten 1888 zunachst im provenzalischen Arles ihre kunstlerische Entfaltung. Gauguin, der sich zuvor bereits in der Bretagne aufgehalten hatte, reiste spater bis nach Polynesien, um das vermeintlich ursprungliche Leben zu suchen. Diese Suche nach dem einfachen Leben findet sich ab 1880 auch in den Werken von Max Liebermann, in denen er Bauern und Fischer in der ebenfalls kargen niederlandischen Landschaft portratierte. Die Ruckbesinnung auf die Landschaft suchten etwa zur gleichen Zeit zudem die Maler in den Kunstlerkolonien von Worpswede, Kronberg, Dachau oder im danischen Skagen.
Ahrenshoop blieb fur mehr als 30 Jahre Muller-Kaempffs kunstlerische Heimat, in der der Tourismus erst nach 1892 einsetzte und das Ortsbild langsam veranderte. Hierzu trug beispielsweise das erstmals 1893 im Berliner Schauspielhaus aufgefuhrte preußisch-patriotische Stuck Die Ahrenshooper von Axel Delmar bei. Auch die Ahrenshooper Maler hatten ihren Anteil an der Popularisierung des Ortes. Wahrend Muller-Kaempff nach einiger Zeit gut vom Verkauf seiner Ahrenshooper Motive leben konnte, gelang dies nicht allen Malern im Ort. 1904 beging sein Malerkollege Hugo Richter-Lefensdorf Suizid. Der Tod des erfolglosen Malers bildete die Vorlage fur den 1906 erschienenen Roman Hilde Vangerow und ihre Schwester des erfolgreichen Autors Heinz Tovote, wodurch Ahrenshoop auch literarisch Aufmerksamkeit erregte. Fur Muller-Kaempff und die Kunstler der Malerkolonie bot der Ort zwar keine „Ursprunglichkeit des Lebens“, er blieb jedoch „ein Gegenbild zum Naturverlust und zur Rationalisierung der menschlichen Arbeit in den Stadten“. In den Bildern von Muller-Kaempff aus Ahrenshoop finden sich zu Beginn noch Landschaftsmotive mit Personendarstellungen, etwa im Gemalde Dunenlandschaft mit Boot, Kindern und Schafen (Privatbesitz), das im selben Jahr wie das Motiv Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop entstand. Auffallend sind das in beiden Bildern bluhende Habichtskraut und die zwischen den gelbe Bluten umherflatternden weißen Schmetterlinge. Statt der jungen Frau in Trauerkleidung im Gemalde Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop wird der Platz im Zentrum des Bildes Dunenlandschaft mit Boot, Kindern und Schafen von den beiden Kindern eingenommen.
Im nahezu motivgleichen zwei Jahre spater entstandenen Gemalde Netzboot in den Dunen (Kunstmuseum Ahrenshoop) fehlen sowohl die Kinder wie auch die Schafherde im Hintergrund. Muller-Kaempff schuf fortan vor allem menschenleere Landschaftsbilder. In der „Weltabgeschiedenheit des Ortes“ versuchte Muller-Kaempff „eine der Natur zugewandte Malerei“ zu etablieren und sich von der damals zeitgenossischen deutschen Kunst und „ihrem historischen Ballast zu befreien.“ Dies gelang ihm – so Gerburg Forster – „in einer uberzeugenden Balance zwischen Wirklichkeit und Assoziation“. Zugleich verwies sie darauf, dass die von Muller-Kaempff gezeigte „Ursprunglichkeit“ der Menschen „doch zum großten Teil ein Gesicht der Armut war“. Katrin Arrieta sah Muller-Kaempff Darstellung des Lebens „durchaus lebensnah“ mit einem „Anschein des Unschuldigen“, jedoch „weniger im Sinn einer Idylle, die Harmonie vorspiegelt, als in dem einer (mitunter auch bedrohlich wirkenden) Wildnis am Rand der Zivilisation“.
Verwandte Bilder der Verganglichkeit Mit der Frau in dunkler Kleidung, die einen Kranz zum Friedhof tragt, hat Muller-Kaempff die „Grundidee von der Verganglichkeit des Lebens“ in Szene gesetzt, wie die Kunsthistorikerin Katrin Arrieta feststellte. In der abendlandischen Malerei finden sich Motive des Todes und der Bestattung traditionell bei religiosen Bildern, etwa bei Darstellungen der Kreuzigung und der Grablegung Christi. So zeigt beispielsweise der Renaissancemaler Raffael in seiner 1507 entstandenen Grablegung Christi (Pala Baglioni) eine Personengruppe mit der trauernden Gottesmutter Maria und dem Leichnam Christi vor seinem Grab, wahrend im Hintergrund eine Landschaft mit dem Hugel Golgota und den dort stehenden leeren Kreuzen erscheint. Das Gemalde stellt zwar im Vordergrund eine biblische Szene dar, verbindet sie aber kompositorisch zugleich mit einer Landschaftsdarstellung. Wahrend in Raffaels Bild die Kreuze auf dem Hugel Golgata den Ort des Todes markieren, kennzeichnen bei Muller-Kaempff die Kreuze auf dem Hugel von Ahrenshoop den Ort der Bestattung und verweisen zugleich auf den christlichen Glauben. Statt der trauernden Maria zeigt Muller-Kaempff eine unbekannte Frau in Trauerkleidung.
In der niederlandischen Malerei des Barock finden sich wiederholt Landschaftsgemalde, die die Verganglichkeit des Lebens hervorheben. So schuf Jacob van Ruisdael in seinem nach 1655 datierten Motiv Judischer Friedhof ein Landschaftsbild mit verschiedenen Vanitassymbolen vor dramatischer Wetterkulisse. Sowohl die Ruine wie auch die abgestorbenen Baume und die verschiedenen Grabmonumente weisen auf die Endlichkeit hin. Ahnliche Landschaftsdarstellungen finden sich spater wiederholt als Motiv bei den Malern der Romantik.
Anfang des 19. Jahrhunderts ist es in Deutschland vor allem Caspar David Friedrich, der mehrfach Friedhofe als Gemaldemotiv wahlte. In seinem um 1825 entstandenen Werk Friedhofseingang befindet sich die Begrabnisstatte vor einer bewaldeten Landschaft, wahrend im Vordergrund zwei Personen einen Blick durch ein großes Eingangstor wagen. Der titelgebende Friedhofseingang kann hier zudem assoziativ als Ubergang vom Leben zum Tod gelesen werden. Die Friedhofsbesucher verharren sinnbildlich an der Schwelle vom Leben zum Tod, wahrend sich die Frau im Gemalde Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop schrittweise dem Begrabnisplatz nahert. Der aus Greifswald stammende Friedrich hat in seinen Gemalden daruber hinaus mehrfach die heimatliche Landschaft als Motiv aufgegriffen und mit symbolhaften Aufladungen versehen. Sein 1815 geschaffenes Bild Kreuz an der Ostsee zeigt nicht nur eine geografische Nahe zum Friedhofsbild von Muller-Kaempff, sondern verweist mit dem Schiffsanker vor dem auf einem Fels am Meer stehenden Kreuz vordergrundig auch auf ein maritimes Thema. Hinter Friedrichs fiktiver Landschaftsbeschreibung steckt jedoch vor allem eine christliche Botschaft, wobei der kreuzformige Anker als Zeichen der Hoffnung auf Vollendung des irdischen Lebens und das Kreuz als Symbol fur die Auferstehung gelesen werden kann. Zur Bedeutung des Kreuzes außerte sich Friedrich in einem Brief: „Am nackten, steinigen Meeresstrande steht hochaufgerichtet das Kreutz, denen, so es sehen, ein Trost, denen so es nicht sehen, ein Kreutz.“ Friedrich unterstrich damit, dass sich die Wahrnehmung des Kreuzes nicht nur auf das Gegenstandliche beschranken muss, sondern zugleich fur die Betrachter eine geistige Bedeutung haben kann. Der Ubergang vom Land zum Meer wie der Weg zum Friedhof findet sich in den Werken von Friedrich und in Muller-Kaempffs Friedhofsbild. Wahrend der Friedhof von Ahrenshoop im Zentrum steht, ist der Ubergang vom Land zum Meer im Bild von Muller-Kaempff in den Hintergrund verlagert. Friedrich war nicht der einzige Kunstler der deutschen Romantik, der sich in seinen Arbeiten der Endlichkeit des Lebens widmete. So zeigt Ernst Ferdinand Oehme in seinem 1825 entstandenem Gemalde Prozession im Nebel eine Gruppe von Monchen, die einem Kreuz folgend in einer waldigen Landschaft einen Bildstock passieren. Der Weg durch den Nebel gleicht hierbei einem Lebensweg, dessen Ausgang ungewiss ist. Das christliche Kreuz als Wegmarkierung bietet zugleich eine Orientierung. Im Ahrenshooper Bild von Muller-Kaempff bewegt sich die Frau auf den Friedhof zu, um dorthin einen Kranz zu bringen. Auch ihr Weg ist ein Lebensweg, an dessen Ende der Tod steht; auch ihr Platz wird spater auf einem Friedhof sein. Der Besuch bei den Toten, zu denen sie mit dem Kranz eine Verbindung herstellt, ist zugleich eine Annaherung an die eigene Endlichkeit.
Zu den bekanntesten Friedhofsmotiven des 19. Jahrhunderts gehort das 1849/1850 entstandene Gemalde Ein Begrabnis in Ornans des Franzosen Gustave Courbet. Das Bild gilt als ein Hauptwerk des Kunstlers und zugleich als bedeutendes Werk der Stilrichtung des Realismus. Im Bild hat sich die Trauergemeinde am offenen Grab versammelt, wahrend der Sarg mit dem Verstorbenen zur letzten Ruhestatte getragen wird. Mit einem am Rand des Grabes platzierten Schadel und danebenliegenden Knochen sind im Bild deutliche Vanitas-Symbole platziert. Mehrere Ubereinstimmungen ergeben sich zum Gemalde Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop: Beide Bilder sind im Querformat ausgefuhrt und beeindrucken durch ihr Format – bei Courbet nimmt es monumentale Ausmaße an. In beiden Werken bleiben die Toten anonym, dargestellt werden die Hinterbliebenen, die auch bei Courbet uberwiegend in Schwarz gekleidet sind.
Auch die Vertreter des Symbolismus nahmen das Themenfeld Tod und Verganglichkeit wiederholt in ihre Bildwelten auf. Bekannte Beispiele hierfur sind die jeweils in mehreren Varianten ausgefuhrten Gemaldemotive Die Toteninsel von Arnold Bocklin und Gestade der Vergessenheit von Eugen Bracht. Wahrend bei der Toteninsel die Uberfuhrung eines Sarges zu einem Friedhof auf einer Insel zu sehen ist, zeigt das Gestade der Vergessenheit eine menschenleere Kuste mit Felsen und davorliegendem Sandstreifen, auf dem zahlreiche Totenschadel verstreut sind. Die Toteninsel scheint ahnlich dem Ahrenshooper Friedhof am Rand der Zivilisation zu liegen; die Gestade der Vergessenheit erscheinen bereits als menschenleere Endzeitstimmung. Friedhofszenen eingebettet in Landschaftsbilder finden sich auch bei den Impressionisten und den nachfolgenden Generationen. Im selben Jahr wie Muller-Kaempffs Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop schuf sein Malerkollege Lovis Corinth das Gemalde Fischerfriedhof in Nidden an der Kurischen Nehrung, in dem er den auf einen Hugel unweit der Ostsee gelegenen Begrabnisplatz im ostpreußischen Nidden als Thema wahlte. Der Blick geht hier vom dunkel gehaltenen Graberfeld im Vordergrund durch eine Baumreihe hindurch auf die heitere Meereslandschaft mit verschiedenen Segelbooten. Der Vergleich mit den Gemalden anderer Kunstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts zeigt, wie sehr Muller-Kaempffs Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop „im Trend der Zeit liegenden Verganglichkeitsmetaphorik“ lag, wie Katrin Arrieta vermerkte.
Provenienz und Ausstellungen Muller-Kaempff stellte das Gemalde wenige Wochen nach Fertigstellung vom 14. Mai bis 17. September 1893 in der Großen Berliner Kunstausstellung im Ausstellungspalast am Lehrter Bahnhof aus. Ende des Jahres gehorte es zur ersten Ausstellung der neugegrundeten Schleswig-Holsteinischen Kunstgenossenschaft zu Kiel. 1894 folgte zunachst die Prasentation des Gemaldes im Kunstverein zu Karlsruhe, anschließend zeigte Muller-Kaempff das Bild in der 275. Ausstellung des Kunstvereins im Augusteum in seiner Heimatstadt Oldenburg und stellte es danach bei der Freien Vereinigung Dusseldorfer Kunstler aus. 1895 war der Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop schließlich in einer Ausstellung im Schweriner Schloss zu sehen.
In einem Brief vom 5. Mai 1895 fragte Muller-Kaempff bei seinem Studienfreund Georg Burmester in Kiel an, ob dort Interesse bestunde, sein „großes Kirchhofsbild“ dauerhaft zu zeigen, da er selbst uber keinen entsprechenden Platz verfuge. Er „wurde es irgend einer Galerie schenken“, wenn er die Zusage erhielte, „dass es nicht als Gerumpel auf den Boden kommt“. Muller-Kaempff sprach sich fur Kiel aus, da das Bild dort nicht von „der Presse herunter gemacht“ wurde. Der angeschriebene Burmester scheint auf diese Anfrage positiv reagiert zu haben, denn am 14. Mai 1895 schrieb Muller-Kaempff in einem zweiten Brief an seinen Freund, er habe den Auftrag erteilt, das Gemalde von Schwerin aus an den Schleswig-Holsteinischen Kunstverein zu verschicken. Die „Galerie“ in Kiel sei ihm besonders willkommen, „da sie weder koniglich noch furstlich“ sei und man ihm dort „weder einen Titel noch einen Orden“ zum Dank „an den Hals werfen“ werde. Im selben Schreiben betonte er, wie sehr er „an so einem Schinken“ hange und dass er das Bild „mit besonderer Liebe gemalt“ habe. Abschließend bat er dafur Sorge zu tragen, „dass das Bild einen dauerhaften Platz bekommt und nicht auf dem Boden oder in den Keller kommt!“
Die Sammlung des Schleswig-Holsteinischen Kunstvereins bildet den Grundstock der heutigen Kunsthalle zu Kiel, in deren Besitz sich der Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop seit 1895 als Geschenk des Kunstlers befindet. Der Wunsch von Muller-Kaempff auf dauerhafte Prasentation des Bildes hat sich indes nicht erfullt. Spatere Verantwortliche der Kunsthalle verbrachten das großformatige Gemalde ins Depot, wo es durch nicht immer optimale Lagerbedingungen Schaden nahm. Im Katalog der Kunsthalle von 1973 wird der Zustand des dort mit der Inventarnummer 153 gefuhrten Gemaldes wie folgt beschrieben: „Bildtrager stark gewellt. In der linken Bildhalfte drei Locher im Bildtrager. Riß am linken Bildrand.“
Nach der Deutschen Wiedervereinigung kehrte das Gemalde an den Ort seiner Entstehung zuruck. 2009 reiste das inzwischen restaurierte Gemalde nach Ahrenshoop zur Jubiliaumschau 100 Jahre Kunstkaten in das von Muller-Kaempff mitbegrundete Ausstellungshaus. 2012 zeigte das Kulturhistorische Museum Rostock den Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop im Rahmen der Ausstellung Himmelslicht und weite Erde. Danach kam das Gemalde als Dauerleihgabe ins 2013 eroffnete Kunstmuseum Ahrenshoop. Dort gehorte es 2017 zur Ausstellung Licht, Luft, Freiheit – 125 Jahre Kunstlerkolonie Ahrenshoop.
Rezeption Das in den ersten zwei Jahren nach Fertigstellung in verschiedenen Ausstellungen gezeigte Bild erhielt in den Zeitungen auffallend viele Besprechungen, darunter lobende wie auch negative Kritiken. So urteilte Hugo Ernst Schmidt 1893 in der Zeitung Freie Buhne fur den Entwicklungskampf der Zeit: „Das große Bild »Schifferfriedhof in den Ostseedunen« von Muller-Kaempff hat unstreitig Qualitaten, leidet aber an Sentimentalitat und allzu großer Weichheit. Es ist zart empfunden, aber doch ein bisschen schwachlich in Ton und Farbe.“ Der Autor S. Schott schrieb 1894 im General-Anzeiger fur Oldenburg, Ostfriesland und Wilhelmshaven: „Von wirklich ergreifender einfacher Große ist der «Schifferfriedhof in den Ostseedunen»“. Wilhelm Scholermann lobte „das große Dunenbild“ in der Kunstchronik: „Die lichtdurchfluteten Luft- und Sandtone sind von großer Wahrheit und Leuchtkraft.“ Er bemangelte zwar: „Die Figur hat leider etwas zu Korperloses und Lebloses“, resumierte jedoch zugleich, „aber ich stehe gern lange vor diesem wahren und stimmungsvollen Stuck Naturausschnitt.“ Wilhelm von Busch urteilte nach dem Besuch der Ausstellung in Oldenburg 1894 in den Nachrichten fur Stadt und Land: „Ohne Zweifel tritt als bedeutendstes der «Schifferfriedhof in den Ostseedunen» daraus hervor. Was einer je in Wirklichkeit bei dem Anblick empfunden hat, findet er hier im Kunstlerauge zusammengefasst und aus dem Kunstlerherzen wiedergeboren.“
Auffallig sind die Parallelen zwischen der Darstellung in Muller-Kaempffs Bild Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop und einer Szene im 1906 erschienenen Roman Hilde Vangerow und ihre Schwester von Heinz Tovote. Darin windet die Figur der Susi Vangerow einen Blumenkranz aus Immortellen und bringt sie zum Friedhof der fiktiven Ortschaft Sandhoop, der als „heller, fast freudigen Ort“ beschrieben wird, von dem aus sich der Blick „uber das Land, den Bodden und die offene See“ schweifen lasst.
Nachdem Muller-Kaempffs Darstellung des Friedhofs an seinen Entstehungsort zuruckgekehrt war, setzten sich wiederum Autoren mit dem Bild auseinander. 2017 urteilte die Kunsthistorikerin Gerburg Forster uber den Kunstler und sein Gemalde: „In keinem druckte sich seine Einsicht in den Geist einer Landschaft so glaubhaft aus wie hier.“ Katrin Arrieta stellte fest: das „uberformatige Bild ist eins der starksten des Malers und noch ganz von seiner ersten, schicksalhaften Begegnung mit Ahrenshoop gepragt“. Der Autor Frank Schloßer hob 2019 die beeindruckende Große des Bildes hervor, lobte aber zugleich auch den Bildinhalt: „Paul Muller-Kaempff hat es geschafft, die Landschaft in einer diffus-freundlichen Lichtstimmung einzufangen – und er vermag philosophische Tiefe in sein Bild zu legen, ohne die Idee der Freilichtmaler zu verraten: Male, was dir begegnet. Dieses Motiv hat den richtigen Maler ausgewahlt.“ Zusammenfassend urteilte er: „Der Schifferfriedhof ist Muller-Kaempffs großer Wurf.“
Literatur Katrin Arrieta: Licht, Luft, Freiheit: 125 Jahre Kunstlerkolonie Ahrenshoop. Ausstellungskatalog Kunstmuseum Ahrenshoop, Ahrenshoop 2017, ISBN 978-3-9817987-4-6.
Katrin Arrieta: Himmelslicht und weite Erde. Ausstellungskatalog Kulturhistorisches Museum, Rostock 2012.
Katrin Arrieta, Gerburg Forster: „Um uns ist ein Schopfungstag“, von der Kunstlerkolonie bis heute. Ausstellungskatalog Kunstmuseum Ahrenshoop, Verein der Freunde und Forderer des Kunstmuseums, Ahrenshoop 2013, ISBN 978-3-9816136-1-2.
Edmund Hoefer: Kustenfahrten an der Nord- und Ostsee. Kroner, Stuttgart 1880.
Konigliche Akademie der Kunste und Verein Berliner Kunstler: Große Berliner Kunstausstellung. Katalog. Verlag Rudolf Schuster, Berlin 1893.
Konrad Mahlfeld: Else Muller-Kaempff: Paul Muller-Kaempff, Werkkatalog. Bd. 1, Else Muller-Kaempff, Paul Muller-Kampff in schriftlichen Zeugnissen. Atelier im Bauernhaus, Fischerhude 2017, ISBN 978-3-96045-107-5.
Konrad Mahlfeld: Paul Muller-Kaempff, Gemalde, Werkkatalog Bd. 3. Atelier im Bauernhaus, Fischerhude 2021, ISBN 978-3-96045-109-9.
Paul Muller-Kaempff: Erinnerungen an Ahrenshoop. In: Mecklenburgische Monatshefte, Hinstorff, Rostock 1926.
Johann Schlick: Kunsthalle zu Kiel, Katalog der Gemalde. Boyens, Kiel 1973.
Frank Schloßer: Annaherung an Ahrenshoop. Hinstorff, Rostock 2019, ISBN 978-3-356-02263-6.
Gerhard Wietek: Deutsche Kunstlerkolonien und Kunstlerorte. Thiemig, Munchen 1976, ISBN 3-521-04061-5.
Zeitschrift fur Ideengeschichte. Heft 12/2, Sommer 2018, C. H. Beck, Munchen 2018, ISBN 978-3-406-71866-3.
Weblinks Eintrag zum Gemalde Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop in der Onlinedatenbank des Museumsverbandes Schleswig-Holstein und Hamburg e. V.
Einzelnachweise
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Schifferfriedhof in den Dunen von Ahrenshoop (auch Schifferfriedhof in den Ostseedunen oder Alter Schifferfriedhof) ist ein 1893 entstandenes Gemalde des deutschen Kunstlers Paul Muller-Kaempff. Es ist in Ol auf Leinwand gemalt und hat eine Hohe von 211 cm und eine Breite von 350 cm. Das Bild mit einer Szenerie an der deutschen Ostseekuste in Ahrenshoop gilt als ein Hauptwerk des Kunstlers. Eingebettet in eine Landschaftsdarstellung zeigt der Maler eine junge Frau auf dem Weg zum Friedhof. Das Motiv steht in einer langen Tradition von Darstellungen der Verganglichkeit und entspricht zugleich einer zeitgenossischen Vorliebe fur Sujets am Rand der Zivilisation. Muller-Kaempff schuf in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche weitere Ansichten der Landschaft bei Ahrenshoop, jedoch nicht mehr in diesem Großformat und ohne diese deutliche Symbolik. Das Gemalde war ein Geschenk des Malers an den Schleswig-Holsteinischen Kunstverein und gelangte mit dessen Sammlung in den Besitz der Kunsthalle zu Kiel. Seit 2013 befindet es sich als Dauerleihgabe im Kunstmuseum Ahrenshoop.
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c-867
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Der Bocchette-Weg, auch Bocchetteweg geschrieben (italienisch Via delle Bocchette, wortlich ubersetzt „Kleine-Scharten-Weg“ meist nur le Bocchette), ist ein Klettersteig in der Brentagruppe im Trentino. Der Bocchette-Weg zieht jedes Jahr zahlreiche Klettersteiggeher an und gilt nicht nur als „Aushangeschild“ der Brentagruppe, sondern wird auch als „Mekka“ der Klettersteiggeher angesehen. Die Kehrseite sind zum Teil uberfullte Hutten und viel frequentierte Wege. Alpinisten und Kletterer bezeichnen ihn scherzhaft als „Radfahrweg“.
Beschreibung Der Bocchette-Weg besteht aus mehreren miteinander verbundenen Klettersteigen, die zum Wegenetz der Societa degli Alpinisti Tridentini (SAT) gehoren. Nach der offiziellen Nomenklatur der SAT bestehen die Bocchette aus drei Klettersteigen, die den Passo del Groste (2442 m) im Norden mit der Scharte Bocca del Brenta (2552 m) im Suden verbinden. Der hochalpine Steig folgt in Hohen zwischen 2500 und knapp 3000 m den zumeist naturlichen Felsbandern der zentralen Brentagruppe, ohne dass er dabei Bergspitzen beruhrt. In seinem Verlauf fuhrt er uber mehrere kleinere Scharten (ital. bocchette), worauf der Name des Weges Bezug nimmt. Der Weg ist mit Leitern bestuckt und an ausgesetzten Stellen mit Drahtseilen gesichert, die in einigen Abschnitten zusammen mit Eisenbugeln und Stiften auch als Kletterhilfe dienen. Eine vollstandige und richtige Ausrustung, eine gute Kondition, absolute Schwindelfreiheit und Trittsicherheit sind die Voraussetzungen fur die Begehung aller Abschnitte. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu todlichen Unfallen am Bocchette-Weg.
Die drei Wegabschnitte des Bocchette-Weges konnen unabhangig voneinander in beiden Richtungen begangen werden und sind von Nord nach Sud der Benini-, der Hohe Bocchette- und der Zentrale Bocchettesteig. Seine Fortsetzung findet er im Suden uber die Klettersteige „Livio Brentari“, „dell’Ideale“ und „Ettore Castiglione“, im Norden uber die Klettersteige „Gustavo Vidi“ und „Claudio Costanzo“. Einige Autoren zahlen auch die letztgenannten zum Bocchette-Weg. Der auch als Niedriger Bocchetteweg (ital. Bocchette Basse) bezeichnete SOSAT-Klettersteig zwischen der Tuckett- und Brenteihutte zahlt nach der SAT ebenfalls nicht zu den Bocchette.
Als Stutzpunkte bieten sich neben der Tucketthutte noch die Alimonta- und die Pedrottihutte an.
= Benini-Klettersteig =
Der Benini-Klettersteig, offiziell Via Ferrata delle Bocchette – “Alfredo e Rodolfo Benini”, ist der nordliche Abschnitt des Bocchette-Weges. Er verlauft durch das Groste-Massiv und gilt als der einfachste Wegabschnitt, darf aber deshalb nicht unterschatzt werden. Er ist leicht uber die Bergstation der von Madonna di Campiglio zum Passo del Groste fuhrende Seilbahn zu erreichen. Der 5,1 km lange Beninisteig quert die Ostflanke der Cima del Groste (2935 m), den Campanile dei Camosci (2926 m) und die Cima Falkner (2999 m). An der Cima Sella (2935 m) fuhrt das technisch schwierigste Stuck unter anderem mit mehreren ausgesetzten Leitern zur Scharte Bocca di Tuckett (2617 m) hinunter, an der der Beninisteig endet. Bereits vor dem Abstieg zur Tuckett-Scharte zweigt ein ebenfalls gesicherter Steig zur Tucketthutte ab.
= Hoher Bocchette-Weg =
Der 3,5 km lange Hohe Bocchette-Weg (ital. Via Ferrata delle Bocchette Alte) stellt den mittleren Abschnitt des Bocchette-Weges dar. Er ist der hochstgelegene und der technisch anspruchsvollste Klettersteig. Der Steig beginnt an der Westseite der Scharte Bocca di Tuckett am Wandfuß der Nordspitze der Cima Brenta nur wenige Meter vom Beninisteig und quert anschließend das Cima-Brenta-Massiv an seiner Ostseite in Langsrichtung. Die Teilabschnitte des Hohen Bocchette-Weges sind verschiedenen Personen gewidmet, wie dem Widerstandskampfer und Grundungsmitglied des SAT-Bergsteigerchores Enrico Pedrotti oder dem Trentiner Bergsteiger Carlo Garbari. Der Weg verlauft zunachst auf fast 3000 m Hohe um die Ostflanke der Cima Brenta. Dabei sind einige Rinnen zu queren, die zum Teil noch im Sommer mit Schnee oder Eis bedeckt sind und den Weiterweg ohne entsprechende alpine Ausrustung riskant oder sogar unmoglich machen. Nach dem Abstieg in die schmale Scharte Bocchetta Alta dei Massodi fuhrt uber eine 30 m hohe Eisenleiter auf das Gipfelplateau des Spallone dei Massodi (3003 m), dessen aussichtsreicher Gipfel mit einem kleinen Abstecher unschwer erreicht werden kann. Anschließend verliert der Weg uber Leitern und Steighilfen an Hohe. An der Bocchetta Bassa dei Massodi (2790 m) betritt man mit der Sfulmini-Kette eine weitere Untergruppe der Brenta. Uber Leitern geht es anschließend auf eine Terrasse westlich der Cima Molveno (2917 m). Der Hohe Bocchette-Weg endet nach den letzten gesicherten und ausgesetzten Passagen in jenem Hochkar, das in der Vergangenheit vom Sfulmini-Gletscher bedeckt war. Von hier fuhrt ein Weg in 20 Minuten zur Alimontahutte (2580 m).
= Zentraler Bocchette-Weg =
Mit einer Lange von etwas mehr als 2,4 km ist der Zentrale Bocchette-Weg (ital. Via Ferrata delle Bocchette Centrali) der kurzeste, aber auch der meistbegangene aller drei Bocchette-Wege. Er beginnt oberhalb der Alimonta-Hutte an den Resten des ehemaligen Sfulmini-Gletschers, der noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts fast bis zur Alimonta-Hutte reichte. An der Scharte Bocca dei Armi (2749 m) oberhalb des Gletschers beginnen die Sicherungen und Leiterpassagen. Der Weg fuhrt anschließend auf einem ausgesetzten Felsband von der Nordseite des Torre di Brenta (3014 m) zu seiner Sudostseite. Dabei werden immer wieder tief eingeschnittene Rinnen gequert. Nach einem ersten Blick auf die Felsnadel des Campanile Basso (2883 m) quert der Weg auf einem luftigen Felsband die Ostwand der Sfulmini (2910 m) und anschließend die Ostflanke des Campanile Alto (2937 m). Anschließend steigt der Weg zur schmalen Scharte Bocchetta del Campanile Basso (2917 m) ab, die den Campanile Basso von der Cima Brenta Alta abgrenzt. Das letzte Wegstuck fuhrt nach der Querung einer weiteren Rinne entlang eines schmalen und ausgesetzten Felsbandes durch Nordwest- und Westwand der Cima Brenta Alta. Mit Drahtsicherungen und letzten Leiterpassagen endet der Zentrale Bocchetteweg in unmittelbarer Nahe der Bocca di Brenta (2500 m). Von hier sind es nur wenige Gehminuten hinab bis zur Pedrottihutte (2491 m).
Geschichte Der Bocchette-Weg wurde in mehreren Abschnitten zwischen 1936 und 1972 errichtet. Bereits vier Jahre zuvor war mit dem Sentiero dell’Ideale der erste Klettersteig in der Brentagruppe entstanden, der die Zwolf-Apostel-Hutte mit der Pedrotti-Hutte verbindet. In der Folge machten sich Giovanni Strobele und Arturo Castelli von der SAT Gedanken auch die anderen Hutten uber die zahlreichen naturlichen Felsbander der Gruppe zu verbinden, um die Brenta noch attraktiver zu machen. Nach zahlreichen Ortsbegehungen und dem Studium von Fotografien und Karten war man uberzeugt, dass das Projekt eines „Schartenweges“ realisierbar war.
Das Projekt fand auch die Zustimmung und Unterstutzung von Bergfuhrern und Alpinisten, wie Bruno Detassis. In der Folge wurde nicht nur der Verlauf des Weges ausgearbeitet, sondern auch die grundlegenden Kriterien festgelegt, denen man bis zur endgultigen Fertigstellung des Bocchette-Weges Jahrzehnte spater folgte. Nach den Vorstellungen der Erbauer sollte mit dem Weg in erster Linie der Zugang in die sonst nur erfahrenen Bergsteigern vorbehaltenen Bereiche der Brenta einem breiteren Publikum ermoglicht werden. In zweiter Linie wollte man mit dem Weg auch die Zustiege zu den Kletterwanden fur die Kletterer verkurzen und erleichtern. Zugleich sollte der Bocchette-Weg aber weder auf einen Gipfel fuhren noch einer bekannten Kletterroute folgen. Das großte Hindernis beim Bau war seine Finanzierung. Erst mit Hilfe von Gonnern der SAT konnte der Bau schließlich in mehreren Stufen in Angriff genommen werden.
Der erste knapp 800 m lange Teilabschnitt von der Bocca di Brenta bis zur Bocchetta del Campanil Basso wurde 1936 von dem Pelzhandler und SAT-Mitglied Otto Gottstein finanziert, der spater im Zuge der Judenverfolgung in die Vereinigten Staaten emigrierte. Nach seiner Fertigstellung 1937 wurde noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges der nachste Teilabschnitt bis zur Bocchetta degli Sfulmini fertiggestellt. Nach dem Krieg wurde das Projekt wieder aufgenommen und 1954 muhsam eine 80 cm breite und 2 m hohe Trasse durch die senkrechte abfallende Ostwand der Sfulmini geschlagen. Das kunstlich errichtete Felsband ist Carla Benini de Stanchina gewidmet, die 1923 als erste Italienerin den Campanile Basso bestieg. 1957 konnte dank der finanziellen Unterstutzung des Club Alpino Italiano (CAI) das letzte Teilstuck bis zur Bocca dei Armi fertiggestellt werden. Es wurde dem damaligen Prasidenten des CAI, Bartolomeo Figari, gewidmet.
Nach der offiziellen Einweihung des Bocchette-Weges 1961 wurde die Fortfuhrung des Weges bis zur Bocca di Tuckett vor allem von Bruno Detassis und seinen Brudern Catullo und Giordano Detassis vorangetrieben. Nach funfjahriger Planungszeit wurde 1966 mit dem Bau der Via delle Bocchette Alte begonnen. Wieder konnte der Weg nur dank der finanziellen Hilfe von Gonnern und Stiftern errichtet werden. Der Abschnitt zwischen der Bocca di Massodi und der Tuckett-Scharte wurde von dem Bergfuhrer Pietro Vidi in den Sommermonaten 1968 und 1969 mit Steighilfen und Sicherungen versehen. Dabei stieg Vidi am Abend nach der Arbeit nicht zur nachstgelegenen Hutte ab, sondern ubernachtete drei Monate lang auf knapp 3000 m Hohe in einem Zelt in der Nahe der Baustelle.
Der letzte und langste Abschnitt zwischen der Tuckett-Scharte und dem Passo del Groste wurde 1972 zum hundertjahrigen Bestehen der SAT fertiggestellt. Er wurde von Ingenieur Alfredo Benini mit der Hilfe von Verwandten und Freunden angelegt und anschließend der SAT ubergeben.
Literatur Enrico Rossaro: Nuovi alti sentieri nelle Dolomiti di Brenta. In: Bollettino della Societa Alpinisti Tridentini. 32. Jahrgang (1969) Nr. 3, S. 7–14.
Giovanni Strobele: La «via delle bocchette». In: Romano Cirolini, Ezio Mosna (Hrsg.): La S.A.T. cento anni 1872–1972. Societa degli Alpinisti Tridentini, Trient 1973, S. 195–199.
Gino Buscaini, Ettore Castiglioni: Dolomiti di Brenta. Guida dei Monti d’Italia. Club Alpino Italiano/Touring Club Italiano, Mailand 1977.
Eugen E. Hulser: Brenta: Klettersteige Fuhrer. Denzel, Innsbruck 1985, ISBN 3-85047-732-0.
Helmut Pitsch: Brentagruppe: Gebietsfuhrer fur Wanderer und Bergsteiger. Bergverlag Rother, Munchen 1987, ISBN 3-7633-3302-9, S. 82–92.
Horst Hofler: Klettersteige – Wege? Irrwege? In: Deutscher und Osterreichischer Alpenverein, Alpenverein Sudtirol (Hrsg.): Berg ’89 Alpenvereinsbuch. Band 113, Bergverlag Rother, Munchen 1989, S. 39–46.
Societa degli Alpinisti Tridentini – Sezione del CAI – Commissione Sentieri: … per sentieri e luoghi. Sui monti del Trentino. 5 Presanella, Adamello, Dolomiti di Brenta. Euroedit, Trient 2017, ISBN 978-88-941381-3-9.
Weblinks Einzelnachweise
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Der Bocchette-Weg, auch Bocchetteweg geschrieben (italienisch Via delle Bocchette, wortlich ubersetzt „Kleine-Scharten-Weg“ meist nur le Bocchette), ist ein Klettersteig in der Brentagruppe im Trentino. Der Bocchette-Weg zieht jedes Jahr zahlreiche Klettersteiggeher an und gilt nicht nur als „Aushangeschild“ der Brentagruppe, sondern wird auch als „Mekka“ der Klettersteiggeher angesehen. Die Kehrseite sind zum Teil uberfullte Hutten und viel frequentierte Wege. Alpinisten und Kletterer bezeichnen ihn scherzhaft als „Radfahrweg“.
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c-868
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Mit Jan und Tini auf Reisen war eine Fernsehserie in der DDR nach einer Idee von Jorg d’Bomba, der auch in vielen Folgen die Regie ubernahm. Sie handelt von den beiden unternehmenslustigen Puppen Jan und Tini, die mit einem kleinen „Silberhummel“ genannten Auto durch das Land fahren und dabei Maschinen erklaren, Berufe vorstellen oder einzelne Stadte und Sehenswurdigkeiten in der damaligen DDR zeigen. Die Serie umfasst 84 Folgen. Eine Folge dauert ungefahr 25 Minuten.
Handlung Der Ablauf der Folgen war meistens sehr ahnlich. Durch die Begegnung mit einem Menschen oder einer Alltagssituation wurden Jan und Tini in eine Geschichte geworfen. Dabei wurde in den meisten Folgen ein bestimmter Beruf vorgestellt oder hinter die Kulissen einer Fabrik geschaut. Einzelne Folgen fuhrten auch in typische Landschaften und Stadte der DDR. Zu Beginn jeder Folge lief das Titellied Wenn Jan und Tini reisen.
Entstehung Die Serie wurde im DEFA-Studio fur Trickfilme in Dresden gedreht. Sie lief von 1970 bis 1990 im Fernsehen der DDR. Neben Jorg d’Bomba, auf dessen Idee die Serie beruhte, waren Sepp Klose, Wolfgang Schiebel, Gojko Mitic und Siegmar Schubert weitere Regisseure. Die Produktion einer Folge dauerte 14 Tage. Zu mehreren Folgen der Serie komponierte Henry Kaufmann die Musik.
Hintergrund Die Folgen wurden stets an Originalschauplatzen gedreht. Die erste Folge spielte in einer Großbackerei. In einer anderen Folge fahren Jan und Tini ins Trickfilmstudio, und es wird gezeigt, wie eine Folge der Serie produziert wird. Zudem gibt es eine Doppelfolge uber die Hauptstadt Berlin. Daruber hinaus spielt eine Folge im Pionierlager Artek auf der Krim. Dafur wurde in der damaligen Sowjetunion gedreht.
Gespielt wurden die beiden titelgebenden Puppen Jan und Tini von Hans Claus und Arnim Rudiger, gesprochen wurden sie von Helga Hahnemann und Helga Sasse.
Alle anderen agierenden Personen in der Serie waren stets echte Menschen. Dabei spielten haufig namhafte Schauspieler wie Sepp Klose, Gojko Mitic und Ulrich Teschner mit. Teilweise waren auch Mitarbeiter der gezeigten Firmen als Statisten zu sehen.
In einigen Folgen gab es auch Crossovers mit Pittiplatsch sowie Herrn Fuchs und Frau Elster.
= Hauptfiguren =
Jan ist ein blonder Junge. Er sitzt meist am Steuer des silbriggrauen Fahrzeugs der beiden, der „Silberhummel“. Oft tragt er eine braune Mutze.
Das Madchen Tini ist seine Beifahrerin. Ihre schwarzen Haare sind zu Zopfen gebunden. Zumeist tragt sie einen blauen Hut und ein blaues Kleid.
Episodenliste (Auswahl) Die Serie umfasst insgesamt 84 Folgen, wovon 80 auf insgesamt 6 DVD-Boxen erschienen sind. Die folgende Liste ist nicht chronologisch.
Rezeption Hinsichtlich ihres Ostalgie-Wertes und der aus heutiger Sicht dokumentarischen Darstellung der Ara Erich Honecker genießt die Serie heute eine Art Kultstatus.
Weblinks Mit Jan und Tini auf Reisen bei IMDb
Trailer auf YouTube
Mit Jan und Tini auf Reisen bei Fernsehserien.de
Literatur Hans Dieter Erlinger: Handbuch des Kinderfernsehens, UVK-Medien, Konstanz, 1998, S. 93, ISBN 9783896692467
Einzelnachweise
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Mit Jan und Tini auf Reisen war eine Fernsehserie in der DDR nach einer Idee von Jorg d’Bomba, der auch in vielen Folgen die Regie ubernahm. Sie handelt von den beiden unternehmenslustigen Puppen Jan und Tini, die mit einem kleinen „Silberhummel“ genannten Auto durch das Land fahren und dabei Maschinen erklaren, Berufe vorstellen oder einzelne Stadte und Sehenswurdigkeiten in der damaligen DDR zeigen. Die Serie umfasst 84 Folgen. Eine Folge dauert ungefahr 25 Minuten.
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c-869
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Die Osteria ai Pioppi (Gasthaus zu den Pappeln) ist ein Restaurant in Nervesa della Battaglia, Italien. Die Hauptattraktion des Restaurants, das vom Ehepaar Marisa und Bruno Ferrin am 15. Juni 1969 eroffnet wurde, ist der angegliederte, kostenlos benutzbare und vom Inhaber selbst erbaute Vergnugungspark mit aktuell (Stand 2024) 50 muskelkraftbetriebenen Geraten.
Geschichte Im Juni 1969 begann das Restaurant als kleiner, von Bruno Ferrin und seiner Frau erbauter und betriebener Wurst- und Weinstand im Freien. Als Bruno Haken fur eine Schaukel brauchte, wandte er sich an einen Schmied, doch ihm wurde gesagt, er konne die Haken selbst herstellen. Dies fuhrte dazu, dass Bruno sich fur das Schweißen interessierte und begann, fur die Kinder, die sein Restaurant besuchten, aus Metallteilen Spielgerate zusammenzubauen. „Das erste war eine Drei-Meter-Rutsche. Die Kinder hatten einen Riesenspaß. Ich uberlegte mir: Wenn sie langer ware, hatten sie doppelt so viel Spaß. Also habe ich noch eine gebaut. Nach ein paar Monaten hatte ich die dritte geschafft: 30 Meter. Jetzt misst die dreispurige Rutsche 60 Meter.“ Dieses Projekt wuchs, bis Bruno einen ganzen Vergnugungspark auf 30.000 Quadratmetern mit etwa 50 muskelkraftbetriebenen Fahrgeschaften errichtet hatte, der pro Saison etwa 50.000 Besucher verzeichnet. Bruno Ferrin, der nach der funften Klasse von der Schule abging und bei der Marine funf Jahre als Panzerungsmechaniker tatig war, arbeitet fur neue Fahrgeschafte mit einem technischen Designer und einem Ingenieurburo zusammen. Da die Gerate – bis auf das so genannte Pendel, das mit einem 7-PS-Motor angetrieben wird – nicht elektrifiziert sind und aus Altmetall gebaut wurden, wurde der Park in den Medien auch als Okopark bezeichnet. Der kostenlose Eintritt fuhrte zur scherzhaften Bezeichnung „Gardaland der Armen“.
Attraktionen Eine Liste der Attraktionen, die auf dem Spielplatz vor dem Restaurant zu finden sind, umfasst:
Todesfahrt
Rutsche mit Sprung
3-spurige Rutsche
Vitruvianischer Mensch
Rollenkurve
Ballerina
Hugel
Bob
Die Bereiche im Parks sind nach Alter unterteilt: Es gibt Attraktionen fur Kinder bis 6 Jahre, bis 10, bis 14, bis 18 Jahre sowie fur Altere. Der Grunder ist weiterhin – mit Unterstutzung seines Neffen Francesco Calente – mit dem Neubau von Attraktionen beschaftigt.
Rezeption in Film und Fernsehen Die Geschichte des Erbauers Bruno Ferrin ist Gegenstand der 11-minutigen Dokumentation Ai Pioppi. Sie wurde von Luiz Romero, Coleman Guyon und Giacomo Pennicchi gedreht und vom Forschungszentrum Fabrica in Catena di Villorba in Treviso finanziert und produziert.
Das Pro7-Magazin Galileo sendete im August 2017 einen kurzen Beitrag uber „Italiens spektakularsten DIY-Freizeitpark“.
Das DW-Format Panorama Italien veroffentlichte einen Filmbeitrag unter dem Titel Vergnugungspark ohne Strom.
Der YouTuber Fynn Kliemann veroffentlichte auf seinem Kanal Kliemannsland im November 2023 die sechsteilige Reihe Road to Bruno – Alles kann Spielplatz sein uber eine Reise zu dem Park.
Der Fernsehsender Rai 3 strahlte in seiner Sendung Caro Marziano am 5. Februar 2024 einen Beitrag uber den Grunder des Freizeitparks aus.
Die Tageszeitung La Repubblica berichtete auf ihrem Online-Medienkanal am 17. April 2024 uber 10 Min. uber die Saison-Eroffnung im Marz.
Die oberitalienische Regionalzeitung Il Gazzetino wurdigte das 55-jahrige Jubilaum 2024 mit einem Video-Beitrag auf ihrem Online-Kanal.
Weblinks Osteria ai Pioppi
Beschreibung
Artikel im Corriere Della Sera
Artikel im Il Giornale
Einzelnachweise
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Die Osteria ai Pioppi (Gasthaus zu den Pappeln) ist ein Restaurant in Nervesa della Battaglia, Italien. Die Hauptattraktion des Restaurants, das vom Ehepaar Marisa und Bruno Ferrin am 15. Juni 1969 eroffnet wurde, ist der angegliederte, kostenlos benutzbare und vom Inhaber selbst erbaute Vergnugungspark mit aktuell (Stand 2024) 50 muskelkraftbetriebenen Geraten.
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c-870
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Die Aldietse Beweging war eine Panbewegung des 19. Jahrhunderts, die das Ziel hatte, die Sprecher des Niederlandischen, Niederdeutschen und Friesischen politisch, kulturell und sprachlich zu vereinen. Die Bewegung fand zwischen den 1850er und 1870er Jahren nur begrenzte Unterstutzung, hauptsachlich in Belgien. Sie kann als eine weiter gefasste Variante des Großniederlandismus oder der Flamischen Bewegung angesehen werden, jedoch mit einem starkeren und irredentistischen Fokus auf die Sprache.
Wortherkunft Das Wort „diets“ ist ein Kognat von „deutsch“ und dem englischen Wort „Dutch“ und leitet sich letztlich vom urgermanischen *þiudiskaz ab, was „des Volkes“ bedeutet. Im Mittelniederlandischen wurde „Diets“ als sprachlicher Marker verwendet, um die lokalen germanischen Dialekte von den benachbarten romanischen Dialekten abzugrenzen. Im 19. Jahrhundert wurde das Wort „Diets“ haufig verwendet, um die mittelniederlandische Sprache zu bezeichnen und, im erweiterten Sinne, als poetischer Ausdruck fur die niederlandische Sprache und die Niederlandischsprachigen im Allgemeinen, wobei sowohl Niederlander als auch Flamen umfasst wurden. Im modernen Niederlandischen, wie im Mittelniederlandischen, wird „Diets“ vor allem fur die Sprache oder als Adjektiv verwendet und existiert selten als substantiviertes Adjektiv, wie „Deutscher“ oder „Deutsche“. Fur die Befurworter der Aldietse Beweging zahlten auch Sprecher des Plattdeutschen als „diets“.
Geschichte Der Grunder und Anfuhrer der „Aldietse Beweging“ war Constant Jacob Hansen (1833–1910), Bibliothekar der Bibliothek von Antwerpen und Flamingant. Hansen, der Sohn eines danischen Vaters und einer niederlandischen Mutter, reiste 1856 uber Norddeutschland nach Danemark, um mehr uber seinen Ursprung zu erfahren. Bereits ein flamischer Nationalist, gehorte er einer Fraktion innerhalb der flamischen Bewegung an, die dem deutschen Nationalismus positiv gegenuberstand, nicht nur wegen der gemeinsamen anti-franzosischen Einstellung, die in beiden Bewegungen verbreitet war, aber weitgehend in den Niederlanden fehlte, sondern auch wegen des Prestiges Deutschlands als aufstrebende Macht in Europa. Seine Reise hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf ihn und uberzeugte ihn von einer naturlichen kulturellen und sprachlichen Affinitat sowie einer Gemeinsamkeit zwischen den Sprechern des Niederlandischen, Niederdeutschen und Friesischen. Die von ihm begrundete „Aldietse Beweging“ stellte sich als restaurativ dar und wollte das, was sie als eine einst „von Dunkirchen bis Konigsberg“ florierende und einflussreiche gemeinsame oder sehr ahnliche Kultur betrachtete, wiederherstellen und erneuern.
Der Hauptausloser und wiederkehrende Leitgedanke von Hansens Bewegung war jedoch seine Uberzeugung, dass die zeitgenossische niederlandische Sprache verfalscht und entwurdigt worden sei. Als begeisterter Forscher der mittelniederlandischen Dichtung stellte Hansen die Behauptung auf, dass die kaufmannische Natur der niederlandischen Gesellschaft im 16. und 17. Jahrhundert und ein wachsender franzosischer Spracheinfluss die niederlandische Literatur und Sprache entwertet hatten. Die Befurworter der Bewegung hofften, die niederlandische Kultur zu erneuern und zu starken, indem sie versuchten, den deutschen nationalistischen Elan zu ubernehmen und das (landliche) Norddeutschland als eine Art Refugium einer traditionellen niederlandisch-niederdeutschen Kultur zu idealisieren. Dabei zeigt die Bewegung viele Ahnlichkeiten mit der spater gegrundeten Niederdeutschen Bewegung, mit der sie recht intensiv zusammenarbeitete. Die Bewegungen unterschieden sich jedoch in mehreren wesentlichen Punkten. Innerhalb der Niederdeutschen Bewegung war Antisemitismus weit verbreitet, ebenso wie die Ansicht, dass die Niederlander und Flamen eigentlich Ableger eines großeren niederdeutschen Volkes oder einer großeren niederdeutschen Kultur seien, die selbst Teil einer großdeutschen Nation sein sollte. Die „Aldietse Beweging“ hingegen strebte nicht danach, sich der deutschen Nation anzuschließen. Stattdessen hoffte sie, die niederlandische Kultur wiederherzustellen und neu zu beleben und erwarteten, dass sich die Niederdeutschen dieser niederlandisch-flamischen Gemeinschaft anschließen wurden, sobald sie wiederbelebt worden war, wobei Hansen so weit ging, eine neue Lingua Franca fur diese Gemeinschaft zu schaffen, die bezeichnenderweise im Wesentlichen Mittelniederlandisch mit einer deutsch beeinflussten Orthographie war. Die Grundung des Deutschen Kaiserreiches 1871 machte diese Plane zunichte und bedeutete das Ende der Bewegung.
Evaluation Die relative Bedeutung der „Aldietse Beweging“ in der umfassenderen Historiographie der niederlandischen und flamischen nationalistischen Bewegungen ist vor allem auf den Einsatz ihres Grunders Hansen zuruckzufuhren, der einen Großteil seines Lebens ihrer Forderung widmete. Die Bewegung selbst fand nur begrenzte Unterstutzung, hauptsachlich in Flandern, und erzielte wenig nennenswerte Erfolge. Historiker und Kritiker stellten fest, dass die Bewegung zwar mehrere Publikationen hervorbrachte, die darauf abzielten, ein Gefuhl der gemeinsamen Verwandtschaft zwischen niederlandischen, friesischen und niederdeutschen Sprechern zu fordern, es ihr jedoch vollig an einem politischen Programm oder Rahmen fehlte, um die Niederlande, Belgien, Teile Frankreichs, Danemarks und Norddeutschlands politisch zu vereinen, oder in welcher konkreten Form dies geschehen sollte. Die Vereinigung Deutschlands unter preußischer Fuhrung beendete die „Aldietse Beweging“ faktisch, da die Aussichten auf eine Vereinigung praktisch nicht mehr existierten.
Quellen Ludo Simons: Van Duinkerke tot Konigsberg. Geschiedenis van de Aldietsche beweging. Orbis & Orion, Brugge / Gottmer, Nijmegen 1980, ISBN 90-264-3459-6.
Einzelnachweise
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Die Aldietse Beweging war eine Panbewegung des 19. Jahrhunderts, die das Ziel hatte, die Sprecher des Niederlandischen, Niederdeutschen und Friesischen politisch, kulturell und sprachlich zu vereinen. Die Bewegung fand zwischen den 1850er und 1870er Jahren nur begrenzte Unterstutzung, hauptsachlich in Belgien. Sie kann als eine weiter gefasste Variante des Großniederlandismus oder der Flamischen Bewegung angesehen werden, jedoch mit einem starkeren und irredentistischen Fokus auf die Sprache.
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c-871
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Die SBB-Panoramawagen sind eine Serie von zwolf Reisezugwagen erster Wagenklasse der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) fur den Einsatz im internationalen Schienenpersonenfernverkehr und auf landschaftlich attraktiven Strecken wie etwa der Gotthardbahn, der Arlbergbahn, der linken Rheinstrecke oder der Allgaubahn. Das offizielle Gattungskurzel der Aussichtswagen lautet Apm 61 Pano, die ursprungliche Gattung bei Ablieferung lautete SRm.
Beschreibung Die Grossraumwagen mit 2+1-Sitzteilung bieten 54 Sitzplatze in Vis-a-vis-Anordnung. Die klimatisierten und druckertuchtigten Fahrzeuge mit den Nummern 61 85 19-90 100 bis 61 85 19-90 111, ursprunglich 61 85 89-90 200 bis 61 85 89-90 211, gehoren dem UIC-Typ Z an. Konstruktiv basieren sie im Wesentlichen auf den ab 1989 beschafften EuroCity-Wagen Apm EC und Bpm EC. Sie sind aber 21 Zentimeter hoher, deutlich schwerer, haben sechs Sitzplatze weniger und nur eine Zugtoilette am Handbremsende. Der im Sitzbereich erhohte Fussboden ist mit den Einstiegsbereichen durch zwei Rampen verbunden. Die Erhohung soll insbesondere die Aussicht fur Reisende auch auf Strecken mit Larmschutzwanden gewahrleisten. Damit unterscheiden sie sich beispielsweise von den meisten in der Schweiz ublichen Schmalspur-Panoramawagen, die in der Regel durchgangig gleich hoch sind. Gepackablagen stehen im Sitzbereich konstruktionsbedingt nicht zur Verfugung, dafur verfugen die Wagen uber Gepackregale an den Wagenenden. Zusatzlich werden eine Garderobe und Skihalter angeboten.
Die normalspurigen Panoramawagen laufen auf Drehgestellen von SIG, wobei der – von den Eurofima-Wagen bekannte – Fiat-Typ Y0270 als Vorbild diente. Die Scheibenbremsen sind jedoch wegen des hohen Wagengewichtes mit drei Bremsscheiben pro Achse ausgerustet. Die zentrale Energieversorgung der RIC-fahigen Fahrzeuge kann mit allen vier Stromarten und Spannungen des internationalen Verkehrs gespeist werden, so insbesondere die Zweikanal-Klimaanlage mit Frischluftzufuhr uber den Deckenkanal. Auf jeder Seite erlauben neun grosse, von der Seitenwand bis zum Dachstreifen reichende und gewolbte Scheiben einen ungehinderten Blick auf die voruberziehende Landschaft. Gegenuber den gewohnlichen EuroCity-Wagen wird der Blickwinkel dadurch fast verdoppelt. Im Vergleich zu vollverglasten klassischen Dome Cars konnten zudem die sonst ublichen Stege auf Hohe der Dachkante entfallen. Der Dachstreifen wiederum schmalert die Aussicht nicht, vielmehr verhindert er, dass der Blick durch die unruhig vorbeiziehende Fahrleitung irritiert wird.
Die grossen Fensteroffnungen durchbrechen zwar die Struktur der tragenden Rohre, und die Scheiben mussen einen Teil der auftretenden Krafte ubernehmen, durch verstarkte Konstruktion von Seitenwanden, Stirnabteilen und Dachstreifen konnten die verbindlichen Werte der Wagenkasten-Steifigkeit aber dennoch eingehalten werden. Hierzu fanden im Vorfeld Berechnungen mit der dreidimensionalen Finite-Elemente-Methode statt. Dennoch durfen die Panoramawagen aus statisch-konstruktiven Grunden nicht mit Regelgeschwindigkeit geschoben werden, damit scheidet ein Einsatz in Pendelzugen aus. Langsames Rangieren ist jedoch auch schiebend gestattet.
Geschichte Am 4. Februar 1988 stimmte der SBB-Verwaltungsrat der Beschaffung der Panoramawagen zu, nachdem sich solche damals bereits bei der Montreux-Berner Oberland-Bahn und der Furka-Oberalp-Bahn bewahrt hatten. Als zusatzliches Vorbild dienten dabei die funf von der Deutschen Bundesbahn stammenden Aussichtswagen der Bauart AD4um-62, die ab 1982 vorubergehend alle vom Schweizer Reiseburo Mittelthurgau eingesetzt wurden, von denen sich die SBB-Wagen letztlich aber konstruktiv deutlich unterscheiden. Dem Entscheid voran ging die Feststellung, dass rund 60 Prozent der Reisenden im internationalen Verkehr als Touristen unterwegs sind und nicht nur rasch und komfortabel reisen wollen, sondern unterwegs auch etwas erleben mochten. Im Blick hatten die Verantwortlichen dabei insbesondere die 1987 eingefuhrte Zugkategorie EuroCity. Ausgeliefert wurden die Wagen schliesslich in den Jahren 1991 und 1992.
Ursprunglich planten die SBB, fur die Benutzung der Panoramawagen einen Zuschlag zu erheben. Jedoch weigerten sich die anderen Bahnverwaltungen, einen solchen zusatzlich zum bereits bestehenden EuroCity-Zuschlag, der im Schweizer Binnenverkehr nicht erforderlich ist, einzufuhren. Dadurch verloren die Wagen fur die SBB rasch ihre ursprungliche Bedeutung und wurden zeitweise nur noch in untergeordneten nationalen Verbindungen eingesetzt. Dies war insbesondere zwischen dem Fahrplanwechsel im Dezember 2006 und der Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels im Jahr 2016 der Fall, als sie in den InterRegio-Zugen (IR) von Basel/Zurich nach Locarno und zuruck liefen. Im Eurocity Transalpin kamen die Panoramawagen davor aber schon seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2014 wieder international zum Einsatz. Bei Wagenmangel ersetzen sie ausserdem gelegentlich regulare Eurocity-Wagen auf verschiedensten Strecken.
2010 erfolgte eine Modernisierung, wobei die Panoramawagen 230-Volt-Steckdosen, neue Sitzbezuge, ein geschlossenes WC-System mit biologischer Abwasserbehandlung, Druckknopfe zum Offnen und Schliessen der Schwenkschiebeturen sowie ein neues Aussendesign erhielten. Im Unterschied zu den anderen EC-Wagen wurde auf ein elektronisches Fahrgastinformationssystem verzichtet, die Zuglaufschilder werden nunmehr in den Turfenstern eingesteckt. 2017 erhielten ferner alle Wagen die Beklebung fur den im selben Jahr eingefuhrten Gotthard Panorama Express, dessen Ruckgrat und Markenzeichen sie mit vier Exemplaren pro Zug bilden. Ein Wagen war 2021 Teil des Connecting Europe Express und erhielt hierzu eine blaue Sonderbeklebung.
Einsatz 2025 kommen die Wagen, die alle in Zurich HB beheimatet sind, regular in folgenden Zugen zum Einsatz:
Die vier hierfur nicht benotigten Wagen dienen als Reserve beziehungsweise fur den Charterverkehr. Der Einsatz nach Deutschland, zuletzt im Zugpaar EC 8/9 Zurich–Hamburg–Zurich, endete hingegen im Juli 2024 infolge der damals begonnenen Generalsanierung der Bahnstrecke Mannheim–Frankfurt am Main. Damit entfiel auch der umlaufbedingte Einsatz im InterCity-Zugpaar IC 782/787 Zurich HB–Basel SBB–Zurich HB. Schon zum Fahrplanwechsel am 13. Dezember 2020 endete ferner der Einsatz in den EuroCity-Zugen von und nach Munchen Hbf, die damals durch Triebzuge der Bauart RABe 503 ersetzt wurden. Ebenfalls nicht mehr bedient werden Italien, Frankreich, Luxemburg, Belgien und die Niederlande.
Modelleisenbahn In der Spur H0 wurden die SBB-Panoramawagen von Marklin und Roco umgesetzt, in Spur N von Minitrix.
Galerie Literatur Matthias Handschin: Die neuen Panoramawagen der Schweizerischen Bundesbahnen. In: Schweizer Eisenbahn-Revue. 11/1991, S. 404–406.
Weblinks Peter Jankovsky: Panoramawagen werden rar. In: NZZ.ch. 27. August 2015, abgerufen am 15. August 2024
Einzelnachweise
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Die SBB-Panoramawagen sind eine Serie von zwolf Reisezugwagen erster Wagenklasse der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) fur den Einsatz im internationalen Schienenpersonenfernverkehr und auf landschaftlich attraktiven Strecken wie etwa der Gotthardbahn, der Arlbergbahn, der linken Rheinstrecke oder der Allgaubahn. Das offizielle Gattungskurzel der Aussichtswagen lautet Apm 61 Pano, die ursprungliche Gattung bei Ablieferung lautete SRm.
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c-872
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Spatschicht, im englischsprachigen Original Graveyard Shift, ist eine Kurzgeschichte des amerikanischen Autors Stephen King aus dem Jahr 1970. Sie erschien erstmals im Oktober 1970 in dem Magazin Cavalier und ist enthalten in Kings Sammlung Nachtschicht (orig. Night Shift). 1990 erfolgte eine Verfilmung der Geschichte als Nachtschicht, die lose auf der Geschichte basiert.
Entstehung und Hintergrund Spatschicht gehort zu den fruhen Werken von Stephen King und wurde nach seiner eigenen Darstellung in seinem Buch Das Leben und das Schreiben durch die Textilfabrik Worumbo Mills and Weaving in Lisbon Falls inspiriert, in der er kurz vor seinem Schulabschluss arbeitete. In der Woche um den 4. Juli wurde die Fabrik geschlossen und von einer Putzkolonne gesaubert, einschließlich der Keller. King, der sich zu dieser Arbeit gemeldet hatte, aber nicht berucksichtigt worden war, horte spater von einem der Beteiligten, im Keller hatte es Ratten, so groß wie Katzen oder Hunde gegeben. Wenig spater schrieb er „an einem Nachmittag“ die Geschichte und konnte sie fur 200 US-Dollar verkaufen, sein bis dahin hochstes Autorenhonorar. Das 1952 gegrundete Cavalier-Magazin veroffentlichte ursprunglich, wie fruhere Pulp-Magazine, vor allem Kurzgeschichten und Novellen verschiedener Autoren; spater entwickelte es sich zu einem Mannermagazin ahnlich dem Playboy. King veroffentlichte in den 1970er Jahren noch mehrere seiner Kurzgeschichten in dem Magazin und auch im Cavalier Yearbook. Spatschicht ist die insgesamt dritte Kurzgeschichte von King, die gedruckt wurde.
Inhalt und formaler Aufbau Die Kurzgeschichte ist in Abschnitte unterteilt, die jeweils mit einer Uhrzeit und einem Wochentag uberschrieben sind. Ihr Protagonist ist Hall (sein Vorname wird nicht genannt), aus dessen Perspektive die Geschichte (bis auf den Schlussabschnitt) personal erzahlt wird. Nach abgebrochenem Studium lebt er von Gelegenheitsjobs und arbeitet derzeit in einer Spinnerei in dem fiktiven Ort Gates Falls, am liebsten in der Nachtschicht, weil er dort von niemandem gestort wird außer den zahlreich vorkommenden Ratten. Er bedient den „Picker“, eine riesige alte Maschine, deren Zweck unklar bleibt, und vertreibt sich die Zeit damit, mit leeren Dosen auf die Ratten zwischen den Baumwollsacken zu werfen.
Im ersten Abschnitt Zwei Uhr nachts. Freitag erhalt Hall von dem Vorarbeiter Warwick das Angebot, in der Woche um den 4. Juli, in der die Spinnerei geschlossen ist und er keinen Lohn erhalten wurde, gemeinsam mit anderen Freiwilligen das seit zwolf Jahren nicht mehr gereinigte Kellergeschoss der Spinnerei in der Zeit der Spatschicht zu saubern. Im Abschnitt Elf Uhr abends. Montag beginnt die Arbeit: Hall soll mit einer Gruppe alte Mobel und Gerumpel ausraumen, wahrend eine andere Gruppe mit Hochdruckschlauchen den Schmutz beseitigt. In Zwei Uhr nachts. Dienstag wird anlasslich eines Gesprachs zwischen Hall und seinem stets jammernden Kollegen Wisconsky die Unzumutbarkeit der Arbeit verdeutlicht, die durch Schmutz, unertraglichen Gestank und das Vorhandensein ungeheurer Mengen riesiger Ratten gekennzeichnet ist. In den folgenden Abschnitten kommt es immer wieder zu Konflikten mit dem Vorarbeiter; vor allem Hall stellt sich ihm entgegen. Am Dienstagmorgen hort er in einer Arbeitspause, dass ein Kollege von einer Ratte gebissen wurde. Am Mittwoch, wahrend Hall zusammen mit Wisconsky an den Schlauchen arbeitet, nehmen die Angriffe von Ratten auf die Manner zu, die zu meutern beginnen. Die Schlauche werden auf noch nicht geraumtes Gerumpel gerichtet, aus dem Ratten fluchten, die so groß wie Katzen und junge Hunde sind. In der Nachtschicht am Donnerstag sind die Ratten plotzlich verschwunden. Hall entdeckt eine geschlossene Falltur, die in einen noch tieferen Keller fuhrt, und vermutet, dass die Ratten sich dorthin zuruckgezogen haben. Warwick will den Tiefkeller ignorieren, aber Hall droht ihm mit den stadtischen Verordnungen zur Ungezieferbekampfung, die er in der ortlichen Bibliothek gefunden hat und gegen die das Unternehmen verstoßt. Der wutende Warwick, der Hall zuerst entlassen wollte, muss sich darauf einlassen, mit Hall und Wisconsky durch die Falltur hinunterzusteigen.
Im langsten Abschnitt der Geschichte, Vier Uhr morgens. Donnerstag, erkunden die drei Manner, mit Taschenlampen und einem Schlauch bewaffnet, den Tiefkeller. Als klar wird, dass er viel alter als die Spinnerei ist und außerhalb ihrer Grundmauern liegt, will Warwick zuruck, aber Hall zwingt ihn mit vorgehaltenem Schlauch zum Weitergehen, wahrend Wisconsky in Panik zuruckrennt. Sie finden ein vermodertes Skelett und werden von mutierten, metergroßen blinden Riesenratten mit zuruckgebildeten Hinterbeinen umzingelt, wahrend an der Decke Fledermause hangen, die so groß wie Krahen sind. Am Ende des Kellers treffen sie auf eine Vertiefung, an deren Rand der vorausgehende Warwick entsetzt stehenbleibt und dann zuruck will. Hall richtet den Schlauch auf ihn, und Warwick sturzt hinab. Hall tritt an den Rand und sieht, wie in der Tiefe die „Rattenkonigin“, groß wie ein Kalb, Warwick zerfleischt. Hall tritt den Ruckweg an, aber die Ratten haben den Schlauch zernagt; er kann sich gegen die jetzt massenhaft angreifenden Ratten und Fledermause nicht mehr zur Wehr setzen und wird uberwaltigt. Im kurzen letzten Abschnitt Funf Uhr morgens. Donnerstag warten die ubrigen Manner vergebens auf Halls und Warwicks Ruckkehr und entschließen sich dann, ebenfalls hinabzusteigen.
Einflusse und Wirkungen Eine wichtige literarische Anregung zu der Geschichte war die Erzahlung Die Ratten im Gemauer von H. P. Lovecraft, in der es ebenfalls um eine unheimliche Bedrohung durch gefraßige Rattenschwarme und geheimnisvolle alte Keller unterhalb von Kellern geht. Auf einen weiteren Einfluss weist King selbst indirekt in seinem Essayband Danse Macabre hin: Fur seinen vier Jahre nach Nachtschicht entstandenen Roman Brennen muss Salem, in dem Ratten eine Mullkippe bevolkern, ließ er sich sowohl durch Spatschicht (King spricht in diesem Zusammenhang von „einem kleinen Selbstplagiat“) als auch durch Bram Stokers Roman Dracula anregen, in dem die Vampirjager in den Keller des Anwesens Carfax vordringen und dort auf Massen von Ratten stoßen. In einer ersten Fassung von Brennen muss Salem wurde der Protagonist Jim Cody im Keller der Pension von Ratten gefressen. King strich diese Szene auf Anraten seines Lektors als zu grausam. An anderer Stelle erwahnt er Henry Kuttners klassische Kurzgeschichte The Graveyard Rats, deren Protagonist in einem unterirdischen Tunnel, von Ratten angegriffen, vergeblich zuruckzufliehen versucht und umkommt.
In Spatschicht erscheint zum ersten Mal der fiktive Ort „Gates Falls“ in Maine, den Stephen King in mehreren seiner Romane und Geschichten wieder aufgriff, etwa in Brennen muss Salem, Amok, Dead Zone – Das Attentat, In einer kleinen Stadt und Revival.
Rezeption Als eine der ersten Geschichten des noch unbekannten Stephen King fand Spatschicht nach der Erstveroffentlichung im Cavalier keine große Beachtung. Erst als Teil der 1978 erschienenen Kurzgeschichtensammlung Nachtschicht wurde die Geschichte bekannt. Stephen J. Spignesi setzt sie in seiner kritischen Wurdigung der 100 besten Werke von Stephen King auf Rang 78 und nennt sie „one of his all-time best“ und „a classic“. Marcel Feige hingegen gibt in seinem Großen Lexikon uber Stephen King nur eine Inhaltsangabe, jedoch keine Bewertung.
Die literaturwissenschaftliche Beschaftigung mit dem Text hat verschiedene Aspekte herausgearbeitet. Tony Magistrale stellt Stephen King in den Traditionszusammenhang der amerikanischen Literatur: Er hebt hervor, dass die Darstellung bedrangender und bedrohlicher Raume als Ausdruck innerer Angste auf Edgar Allan Poe zuruckverweist, die Schilderung unmenschlicher Arbeitsbedingungen auf Herman Melville, und sieht das morsche Fabrikgebaude, das ein eigenes verborgenes Leben zu fuhren scheint, als Fortsetzung der verhexten Burgen aus der Gothic Literature. Fur ihn illustriert die Kurzgeschichte zudem eine zentrale moralische Maxime Kings: Wenn Menschen nicht anstandig miteinander umgehen, dann geben sie den unmenschlichen Machten des Bosen Macht. Die ausbeuterische Behandlung der Arbeiter durch Warwick veranlasst den Ausbruch des Horrors, aber selbst Hall, der sich anfanglich gegen Warwicks Brutalitat gewehrt hat, verfallt am Ende in einen kalten Zynismus, mit dem er das eigene Leben riskiert, um Warwick zu vernichten, und damit auch sein Ende herbeifuhrt. Magistrale geht sogar so weit, eine Parallele zwischen den entfremdeten und unterdruckten Arbeitern und den mutierten Ratten zu ziehen. Auch Jonathan P. Davis liest die Kurzgeschichte als Parabel auf die Folgen eines ungehemmten Kapitalismus, wahrend andere Autoren auf die phallische Symbolik des Hochdruckschlauchs verweisen und im Verhaltnis von Hall zu Warwick, der mit der verachtlichen Bezeichnung „college boy“ standig Halls Mannlichkeit in Zweifel zieht, die Auseinandersetzung mit einem Mannlichkeitsideal sehen, das, indem es vordergrundig die Oberhand gewinnt, den eigenen Untergang besiegelt.
1990 erfolgte eine Verfilmung als Nachtschicht, die lose auf der Geschichte basiert. Nach Ansicht Rocky Woods ist sie „der vielleicht schlechteste Film, der je nach einer Geschichte Kings gedreht wurde“. Zudem gibt es sowohl auf Englisch wie auch auf Deutsch Horbuchfassungen der Geschichtensammlung und damit auch der Geschichte. So veroffentlichte sie der Lubbe Audio Verlag von 1996 bis 2009 in drei Teilen.
Veroffentlichungen Die Geschichte Graveyard Shift erschien im Original auf Englisch im Jahr 1970 und wurde in dem Magazin Cavalier veroffentlicht. Danach wurde sie in die Kurzgeschichtensammlung Nightshift, auf Deutsch Nachtschicht, ubernommen:
Englischsprachige Ausgaben:
Graveyard Shift, in: Cavalier 20, Oktober 1970
Graveyard Shift, in: Night Shift, Doubleday, Garden City 1978, ISBN 978-0-385-12991-6.
Deutsche Ausgaben:
Spatschicht, in: Nachtschicht. Lubbe, Bergisch Gladbach 1988 (Erstauflage), ISBN 978-3-404-13160-0.
Das Buch wurde zudem in Lizenz in der Deutschen Buchgesellschaft bei Bertelsmann veroffentlicht.
Belege
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Spatschicht, im englischsprachigen Original Graveyard Shift, ist eine Kurzgeschichte des amerikanischen Autors Stephen King aus dem Jahr 1970. Sie erschien erstmals im Oktober 1970 in dem Magazin Cavalier und ist enthalten in Kings Sammlung Nachtschicht (orig. Night Shift). 1990 erfolgte eine Verfilmung der Geschichte als Nachtschicht, die lose auf der Geschichte basiert.
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Alpha Kappa Alpha, vollstandiger Name Alpha Kappa Alpha Sorority, Incorporated ist eine US-amerikanische Sorority. Sie ist die erste von Afroamerikanerinnen gegrundete Hochschulschwesternschaft.
Geschichte = Entstehung =
1908 grundete Ethel Hedgemon die Schwesternschaft zusammen mit acht anderen afroamerikanischen Studentinnen an der Howard University. Damals gab es in den Vereinigten Staaten nur etwa 1000 Afroamerikaner, die an hoheren Bildungsinstitutionen eingeschrieben waren. 1913 wurde die Schwesternschaft in Washington, D.C. Incorporated.
1915 hielt die Sorority ihre erste Political Action Conference mit dem Politiker Martin B. Madden ab. 1921 begann sie mit der Herausgabe eines Journals, des Ivy Leaf. Sie bat Prasident Warren G. Harding in einem Telegramm, sich fur die Verabschiedung des Dyer-Anti-Lynch-Gesetzes einzusetzen. 1928 grundete sie den Ethel Hedgemon Lyle Fund zur Unterstutzung ihrer Mitglieder. 1934 unterstutzte sie eine Gesundheitsinitiative fur Afroamerikaner im Mississippidelta; 1939 wurde sie als erste Organisation zeitlich unbeschranktes Mitglied der NAACP. Constance Baker Motley, die den ersten Klageschriftsatz fur das Verfahren Brown v. Board of Education verfasste, durch das der Supreme Court die Regel separate but equal kippte, war Mitglied bei AKA.
1964 besuchte Martin Luther King den Nationalkonvent in Philadelphia, seine Ehefrau Coretta Scott King wurde Ehrenmitglied. In den 1970er- bis 2000er-Jahren engagierte sich die Schwesternschaft auch in Hilfsprojekten in Afrika sowie in der Gesundheitsfursorge, in den 2010er-Jahren legte sie ein Unterstutzungsprogramm fur Mittelschulerinnen auf.
= Gegenwart =
2024 hat die Schwesternschaft 360.000 Mitglieder und 1024 Chapters (Untergliederungen) in zwolf Landern. Die Farben der Verbindung sind Lachsrosa und Apfelgrun, ihr Symbol ist ein Efeublatt. Sie gehort zu den Divine Nine, den besonders traditionsreichen afroamerikanischen Studentenverbanden.
Regionen und Chapters In den Vereinigten Staaten ist Alpha Kappa Alpha in neun Regionen unterteilt: North Atlantic, Mid-Atlantic, South Atlantic, Great Lakes, South Eastern, South Central, Central, Mid-Western, Far Western. Unter der zehnten Region International werden die nichtamerikanischen Chapter zusammengefasst.
= North Atlantic =
In der Region North Atlantic gibt es uber 16.000 Mitglieder in 144 (155) Chapters, verteilt uber zwolf Bundesstaaten. Hier wurde 1908 auch das erste Alpha Chapter an der Howard University gegrundet. Die Region hat die Saulen: „Fellowship, Innovation, Respect, Serve and Thrive.“ (Kameradschaft, Innovation, Respekt, Dienen und Gedeihen); ihre Leitprinzipien sind: „sisterliness, competence and discretion“ (Schwesternschaft, Kompetenz und Diskretion).
= Great Lakes =
In der Region Great Lakes gibt es uber 7000 Mitglieder in 89 (97) Chapters, verteilt uber funf Bundesstaaten. Ihr Prinzip ist „Greater Together“ (Gemeinsam großer). Die Region wurde 1924 gegrundet und hieß ursprunglich North Central Region. Das erste Hochschulchapter der Region war Zeta, das 1916 an der Wilberforce University in Wilberforce, Ohio, gegrundet wurde. Alpha Omega, das erste Hochschulchapter der Schwesternschaft, wurde 1917 als Eta-Kapitel auf dem Campus der Western Reserve University in Cleveland gegrundet. Der Name wurde spater in Alpha Omega geandert. Das jungste Studentenchapter ist Upsilon Lambda an der State University of New York in Buffalo, das am 21. November 2021 gegrundet wurde. Das jungste Hochschulchapter der Region ist Alpha Beta Beta Omega, das am 5. Dezember 2021 in Canton, Ohio gegrundet wurde.
= Central =
In der Region Central gibt es uber 8200 Mitglieder in 94 (95) Chapters, verteilt uber zehn Bundesstaaten. Die Central Region wurde 1919 am Ende des zweiten Boule im War Camp Community Center in Chicago gegrundet. Die Region besteht aus Illinois, Indiana, Kentucky, Wisconsin, Minnesota, North Dakota, South Dakota und dem sudostlichen Teil von Missouri. Die Central Region ist der Sitz der Zentrale von Alpha Kappa Alpha, die sich in der 5656 South Stony Island Avenue in Chicago befindet. Zwei der altesten Chapters der Schwesternschaft, Beta (Chicago Citywide), gegrundet 1913, und Gamma (University of Illinois at Urbana-Champaign), gegrundet 1914, befinden sich in der Central Region und wurden von Beulah Burke gegrundet.
= Mid-Atlantic =
In der Region Mid-Atlantic gibt es uber 13.000 Mitglieder in 131 Chapters, verteilt uber zwei Bundesstaaten. Aufgrund einer regionalen Neuordnung wurde die Region Mid-Atlantic auf dem Boule-Treffen 1953 ins Leben gerufen.
= South Eastern =
In der Region South Eastern gibt es uber 12.000 (14.000) Mitglieder in 110 (116/118) Chapters, verteilt uber drei Bundesstaaten. Das alteste Studenten-Chapter ist das Pi-Chapter, das am 6. April 1921 am Meharry Medical College gegrundet und im April 1927 an die Fisk University verlegt wurde. Das alteste Chapter fur Hochschulabsolventen ist Omicron Omega, das am 24. Oktober 1924 in Birmingham, Alabama, gegrundet wurde.
= Mid-Western =
In der Region Mid-Western gibt es uber 2000 Mitglieder in 45 (49) Chapters, verteilt uber acht Bundesstaaten. In enger Zusammenarbeit mit Prasidentin Nellie Quander grundete Beulah Burke die ersten drei Chapter außerhalb von Washington D.C. Eines davon, das Delta Chapter, wurde 1915 auf dem Campus der University of Kansas in Lawrence, Kansas, gegrundet, nur zwei Jahre nach der Grundung der Schwesternschaft.
= South Atlantic =
In der Region South Atlantic gibt es uber 30.000 Mitglieder in 183 Chapters, verteilt uber drei Bundesstaaten. Ihre Prinzipien sind: „Transcend, Unite, Nurture and Empower“ (Uberschreiten, vereinen, nahren und befahigen). Auf dem Boule-Treffen 1953 in St. Louis stimmten die Mitglieder der Schwesternschaft fur eine Verfassungsanderung, die die Region Sudatlantik und die Region Sudost neu ordnen sollte. Die sudatlantische Region umfasste damals Virginia, North Carolina und South Carolina. Die sudostliche Region bestand aus Tennessee, Mississippi, Alabama, Georgia und Florida. Bei der Abstimmung wurde die Region Sudost verkleinert und die heutige Region Sudatlantik geschaffen, die sich aus Florida, Georgia und South Carolina zusammensetzt.
= South Central =
In der Region South Central gibt es uber 30.000 Mitglieder in 134 (120) Chapters, verteilt uber vier Bundesstaaten. 1924 ernannte die Leitung der Alpha Kappa Alpha Sorority Mitglieder verschiedener lokaler Gebiete zu „Organizern“, um die Sorority uber ihre damals 32 Chapter hinaus zu erweitern. In denselben Jahren wurden die Chapter in Regionen eingeteilt, die nach geografischen Gesichtspunkten und der Bevolkerungsdichte gebildet wurden. Die Grundung des ersten Chapters der South Central Region ist historisch mit diesen Ereignissen verknupft. Das Phi Chapter in Marshall, Texas, auf dem Campus des Wiley College wurde im November 1924 gegrundet. Es war das erste Chapter, das westlich des Mississippi gechartert wurde, und bestand aus Mitgliedern mit und ohne Hochschulabschluss.
= Far Western =
In der Region Far Western gibt es uber 5.000 Mitglieder in 75 Chapters, verteilt uber neun Bundesstaaten. 1920 hatte Ida Louise Jackson die Idee, auf dem Campus der University of California, Berkeley, ein Chapter fur junge schwarze Studentinnen zu grunden. Ein „Club“ wurde gegrundet, und das nationale Buro von Alpha Kappa Alpha beauftragte Inez Wood Fairfax mit der Grundung einer Ortsgruppe in der San Francisco Bay Area. Am 21. August 1921 wurde mit der Grundung des Rho Chapters die Region Far Western gegrundet.
= International =
In der Region International gibt es 18 Chapters, verteilt uber zwolf Lander und Regionen: Kanada, Nigeria, Liberia, Bahamas, US-Jungferninseln, Vereinigte Arabische Emirate, Japan, Sudafrika, Sudkorea und Bermuda. Darunter befindet sich seit dem 24. November 1979 auch im deutschen Ramstein das Chapter Mu Psi Omega.
Seit den 1950er-Jahren Bereits vor der Grundung der Internationalen Region lebten die Mitglieder von Alpha Kappa Alpha auf der ganzen Welt verteilt, allerdings war die Sorority zu dem Zeitpunkt lediglich in den USA organisatorisch vertreten. In den 1950er-Jahren wurde die Wissenschaftlerin Anne E. Cooper als erste Frau zur Dekanin der Universitat von Liberia ernannt. Sie fuhrte eine Gruppe von Mitgliedern der Schwesternschaft an, die wahrend des nationalen Kongresses 1954 einen Antrag auf Grundung eines Kapitels von Alpha Kappa Alpha in Monrovia stellte. 1958 wurde das Chapter Eta Beta Omega als erstes Chapter außerhalb der Vereinigten Staaten gegrundet. Cooper wurde die Prasidentin des Kapitels.
Die Mitglieder der Schwesternschaft, die 1958 an der Reise zum Goldenen Jubilaum teilnahmen, begleiteten die 15. internationale Prasidentin Marjorie Holloman Parker nach Europa und Afrika. In Afrika besuchten sie die Mitglieder von Eta Beta Omega, bevor sie nach Ghana und Nigeria weiterreisten. Im Laufe der Jahre hatte Eta Beta Omega viele bemerkenswerte Mitglieder, darunter die ehemalige liberianische Prasidentin Ellen Johnson Sirleaf, die als erste Frau auf dem afrikanischen Kontinent zum Staatsoberhaupt gewahlt wurde und den Friedensnobelpreis erhielt. Angie Brooks war die erste afrikanische Frau, die die Generalversammlung der Vereinten Nationen leitete.
1963 wurde das Chapter Eta Psi Omega in Nassau auf den Bahamas als zweites Schwesternschaftschapter außerhalb der USA gegrundet. 1978 wurde Mu Gamma Omega in St. Croix auf den US-Jungferninseln das dritte internationale Chapter der Schwesternschaft. 1979 dehnte die 20. internationale Prasidentin der Schwesternschaft, Barbara K. Phillips, mit der Grundung des Mu Psi Omega Chapters die Reichweite der Schwesternschaft auf Deutschland aus.
1980–2000 In Liberia kam es 1980 zu einer Instabilitat, die mehrere Jahre andauerte. Wahrend dieser Zeit wurde das Eta Beta Omega Chapter inaktiv. 2007 wurde das Chapter reaktiviert.
Die 22. internationale Prasidentin der Schwesternschaft, Janet Jones Ballard, beabsichtigte eine weitere globale Expansion der Schwesternschaft. Sie fuhrte das nationale Programmthema „Service with a Global Perspective“ ein. Wahrend dieser Zeit erlebte die Schwesternschaft ihre erfolgreichsten Jahre des internationalen Wachstums und Einsatzes. Das Chapter Pi Upsilon Omega wurde 1987 in Freeport, Grand Bahama, gegrundet. 1988 wurde das Kapitel Rho Nu Omega in Sudkorea gegrundet. Das nachste Chapter, das gechartert wurde, war Sigma Theta Omega in St. Thomas/St. John auf den U.S. Virgin Islands im Jahr 1990. Ebenfalls 1990 wurde das Kapitel Sigma Xi Omega auf den Bermudas gechartert.
Zwischen 1996 und 2000 wurden die ersten beiden internationalen Undergraduate-Chapter der Schwesternschaft auf den Jungferninseln der Vereinigten Staaten gegrundet. Rho Xi in St. Croix und Rho Omicron in St. Thomas waren die ersten „griechischen Studentenverbindungen“, die auf dem Campus der University of the Virgin Islands gegrundet wurden.
Seit 2000 Norma Solomon White fuhrte Alpha Kappa Alpha in eine Partnerschaft mit Leon Sullivans International Foundation for Education and Self-Help (IFESH), die dazu dienen sollte, die Armut in Afrika sudlich der Sahara zu verringern. Die Schwesternschaft baute in Sudafrika nach der Apartheid zehn Schulen. Eine Delegation weihte die Schulen 2000 und 2002 ein.
Im Jahr 2000 wurde das zweite asiatische Chapter von Alpha Kappa Alpha, Phi Omicron Omega in Okinawa, Japan gegrundet. 2006 wurde Psi Beta Omega in Tokio gegrundet und erhohte damit die Zahl der asiatischen Chapter der Schwesternschaft auf drei. Das Chapter Tau Sigma Omega in London wurde 2006 aufgelost.
Mit der Grundung des Psi Delta Omega Chapters in Ontario, Kanada im Jahr 2007 vergroßerten sich die Schwesternschaft erneut. Das Tau Nu Chapter wurde 2012 an der University of the Bahamas (ehemals College of the Bahamas) in Nassau gechartert.
2013 wurde das Chapter Psi Tau Omega in Sudafrika gechartert, das Johannesburg, Pretoria, Soweto und Kapstadt bedient. Das Dienstprojekt der Chartergruppe mit Stop Hunger Now im Jahr 2014 fuhrte zu einer internationalen Initiative, bei der mehr als 285.000 Mahlzeiten verpackt wurden.
Das Omega Theta Omega Chapter wurde 2016 in Dubai, Vereinigte Arabische Emirate gechartert. Alpha Alpha Delta Omega wurde das erste Chapter mit vier Buchstaben in der Region und das zweite kanadische Chapter, als es 2018 in Toronto gechartert wurde.
Die aus Jamaika stammende Joy Elaine Daley diente wahrend der Covid-19-Pandemie. Daruber hinaus setzte sie 2021 die Expansion der Region in Afrika mit der Grundung von Alpha Alpha Omega Omega in Lagos, Nigeria fort.
Bekannte Mitglieder Kamala Harris (* 1964), Politikerin
Constance Baker Motley (1921–2005), Juristin
Toni Morrison (1931–2019), Schriftstellerin
Sheila Jackson Lee (1950–2024), Politikerin
= Ehrenmitglieder =
Rosa Parks (1913–2005), Burgerrechtlerin
Ella Fitzgerald (1917–1996), Jazz-Sangerin
Coretta Scott King (1927–2006), Burgerrechtlerin
Weblinks A look at Alpha Kappa Alpha, the legendary sorority repped by Kamala Harris, CNN, 25. Juli 2024
The Historical Legacy of the Divine Nine, Smithsonian’s National Museum of African American History & Culture
Website der Schwesternschaft
Einzelnachweise
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Alpha Kappa Alpha, vollstandiger Name Alpha Kappa Alpha Sorority, Incorporated ist eine US-amerikanische Sorority. Sie ist die erste von Afroamerikanerinnen gegrundete Hochschulschwesternschaft.
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"url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Alpha_Kappa_Alpha"
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Ein Brotmesserdampfungsglied (englisch flap attenuator oder: resistive card attenuator) ist eine Hohlleiterkomponente, die in der Hochfrequenz- (HF-) und Mikrowellentechnik als Bauelement verwendet wurde.
Zweck Dieses Dampfungsglied diente in der Hohlleitertechnik dazu, ein Signal stufenlos (kontinuierlich) abzuschwachen und dabei moglichst keine Reflexion zu verursachen.
Aufbau Die Dampfung wird dadurch erreicht, dass in der Mitte der Breitseite (a) in Langsrichtung ein Schlitz eingebracht wird und durch diesen eine verlustbehaftete dielektrische Lamelle mehr oder weniger weit in den Hohlleiter eingeschoben wird. Da in der Mitte des Hohlleiters die elektrische Feldstarke E am großten ist und die E‑Feldlinien parallel zur Lamelle verlaufen, ist die Wechselwirkung gut gegeben.
Es gibt verschiedene Bauformen: Das Absenken der Lamelle kann mithilfe einer Mikrometerschraube erfolgen oder durch eine einfache Klappe. Diese wirkt ahnlich wie eine Absperrklappe in Rohrleitungen, beruht jedoch auf einem anderen Prinzip. Beim Brotmesserdampfungsglied ist die Lamelle stets parallel zur „Flussrichtung“ orientiert und niemals quer. Ihre Wirkung beruht auf einer mehr oder weniger großen Dampfung der Wellen. Je tiefer die verlustbehaftete Lamelle eindringt, desto großer ist die Dampfung.
Die besondere abgerundete (getaperte) Form der Lamelle dient dazu, einerseits eine gute Anpassung zu gewahrleisten, also moglichst geringe Reflexionen, und andererseits die Dampfung moglichst linear mit der Absenkung zu variieren. Die Form der Lamelle erinnert an ein Brotmesser mit sanft zulaufenden Enden (siehe auch: Skizzen unter Weblinks).
Die Lamelle besteht beispielsweise aus einer metallbedampften Glimmerfolie oder einer schwach leitfahigen Graphitpapierfolie. Die Dampfungsvariation von Dampfungsgliedern dieser Bauform, wie der fruher (etwa 1950 bis 1980) kommerziell erhaltlichen Modellserie 375A von Hewlett Packard, betrug 0 bis 20 dB.
Nachteile Der mittig in die Breitseite (a) eingefugte schmale Langsschlitz stort den Stromfluss nur unwesentlich, da er parallel zu den Flusslinien verlauft (Bild). Dennoch stellt er eine gewisse konstruktive Schwache dar, die zu Reflexionen und zu Abstrahlungsverlusten (siehe auch: Schlitzantenne) fuhren kann. Kommerziell erhaltliche Flap attenuators sind allerdings in Regel vollstandig geschirmt, wodurch jegliche Abstrahlung verhindert wird (siehe auch: Foto unter Weblinks).
Fur hohe messtechnische Anspruche ist ferner wichtig, darauf zu achten, dass keine hoheren Moden verursacht werden.
Prinzipbedingt ist die Dampfung dieses Bauteils frequenzabhangig, was fur viele Anwendungen nachteilig ist. Auch sind Brotmesserdampfungsglieder nur fur relativ kleine Leistungen geeignet (< 10 W), da die Warmeabfuhr hier schwierig zu losen ist. Deshalb wurden sie vor allem in der Hochfrequenzmesstechnik verwendet – nicht fur Sendeanlagen.
Literatur Patent US2619538A: Wave guide attenuator. Angemeldet am 23. Mai 1944, veroffentlicht am 25. November 1952, Anmelder: Westinghouse Electric Corp, Erfinder: Eugene F. Grant.
Hewlett Packard Datenblatt: Model 375 Serie. (nscainc.com [PDF]).
Erwin Meyer, Reinhard Pottel: Physikalische Grundlagen der Hochfrequenztechnik. Vieweg Verlag, 1969.
Otto Zinke, Heinrich Brunswig: Hochfrequenztechnik 1 – Hochfrequenzfilter, Leitungen, Antennen. Springer, 2000, ISBN 978-3-540-66405-5.
Weblinks Skizze eines Brotmesserdampfungsgliedes (englisch).
Weitere Skizzen zu Brotmesserdampfungsgliedern (englisch).
Foto
Einzelnachweise
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Ein Brotmesserdampfungsglied (englisch flap attenuator oder: resistive card attenuator) ist eine Hohlleiterkomponente, die in der Hochfrequenz- (HF-) und Mikrowellentechnik als Bauelement verwendet wurde.
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c-875
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Emanuel Phillips Fox, besser bekannt als E. Phillips Fox, (* 12. Marz 1865 in Fitzroy, Melbourne; † 8. Oktober 1915 ebenda) war ein australischer Maler und Kunstlehrer. Seine Frau Ethel Carrick war ebenfalls eine bekannte impressionistische Malerin. Beide gehorten auch zur Heidelberg School.
Leben Emanuel Phillips Fox wurde am 12. Marz 1865 in Melbourne als Sohn des Fotografen Alexander Fox, verheiratet mit Rosetta Phillips, geboren. Er besuchte zunachst eine Kunstschule in Melbourne und erhielt Privatunterricht. Anschließend begann er sein Kunststudium an der National Gallery of Victoria Art School in Melbourne bei George Folingsby. Zu seinen Kommilitonen gehorten John Longstaff, Frederick McCubbin, David Davies und Rupert Bunny.
1886 ging er nach Paris und schrieb sich an der Academie Julian bei William-Adolphe Bouguereau ein, wo er den ersten Preis seines Jahrgangs fur Zeichnen erhielt, und anschließend an der Ecole des Beaux-Arts (1887–1890), wo Jean-Leon Gerome, neben Bouguereau einer der beruhmtesten Kunstler seiner Zeit, zu seinen Lehrern gehorte. 1894 erhielt er in Paris eine Goldmedaille dritter Klasse fur sein Portrait of my cousin (Portrat meiner Cousine), das sich heute in der National Gallery of Victoria befindet.
In Melbourne grundete er zusammen mit Tudor St. George Tucker die Melbourne School of Art und ubte als Lehrer großen Einfluss auf die australische Kunst seiner Zeit aus. Sie vermittelten einer neuen Kunstlergeneration die Techniken der Freilichtmalerei und des Impressionismus. Im Jahr 1901 erhielt er im Rahmen des Gilbee-Vermachtnisses (1000 £ fur die National Gallery of Victoria) den Auftrag, ein historisches Gemalde mit dem Titel The Landing of Captain Cook fur die Galerie in Melbourne zu malen. Eine der Bedingungen des Vermachtnisses war, dass das Gemalde in Ubersee gemalt werden sollte, und so reiste Emanuel Phillips Fox nach London. 1905 heiratete er Ethel Carrick, eine begabte Kunstlerin. Sie ließen sich in Paris nieder, wo Fox 1908 zum Mitglied der Societe Nationale des Beaux Arts und 1910 als erster Australier zum Vollmitglied gewahlt wurde.
Nach seiner Ruckkehr nach Frankreich widmete Fox einen Großteil seiner Energie dem Malen von Werken fur den Pariser Salon und die Royal Academy in London. Mit seiner Wahl zum assoziierten Mitglied des Neuen Salons im Jahr 1907 erlangte er offizielle Anerkennung. 1910 wurde er als erster Australier zum Vollmitglied ernannt, eine Ehre, die ihm das Recht einraumte, jedes Jahr sechs nach eigenen Vorstellungen gemalte Werke auszustellen. Sein Gemalde The arbour wurde 1910 im Neuen Salon ausgestellt und entstand aus zahlreichen Studien, von denen einige wahrend eines Besuchs in Melbourne im Jahr 1908 gezeichnet wurden. 1912 wurde er zum Mitglied der International Society of Painters gewahlt und verbrachte im selben Jahr einige Zeit in Spanien und Algerien, um zu malen. 1913 kehrte er nach Australien zuruck und hatte erfolgreiche Einzelausstellungen. Emanuel Phillips Fox starb in Melbourne am 8. Oktober 1915 an Krebs.
Als einer der bedeutendsten australischen Kunstler ist er im Musee du Luxembourg in Paris und in den Nationalgalerien von Melbourne, Sydney, Adelaide, Perth und Canberra vertreten.
Literatur William Moore: The story of Australian art : from the earliest known art of the continent to the art of to-day. Angus & Robertson, Sydney, 1934.
Ruth Zubans: E. Phillips Fox 1865–1915, National Gallery of Victoria, Melbourne, 1994, ISBN 0-7241-0171-3
Ruth Zubans: Phillips Fox, His Life and Art, Miegunyah Press, Melbourne, 1995, ISBN 0-522-84653-X
Mary Eagle: The oil paintings of E Phillips Fox in the National Gallery of Australia, National Gallery of Australia, Canberra, 1997, ISBN 0-642-13086-8
Angela Goddard und Georgina Downey: Art, love & life : Ethel Carrick & E Phillips Fox. (Katalog zu einer Ausstellung in der Queensland Art Gallery, Brisbane, Australien, 16. April bis 7. August 2011). Queensland Art Gallery, South Brisbane, Queensland, 2011
Weblinks Werke in der National Gallery of Victoria
Einzelnachweise
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Emanuel Phillips Fox, besser bekannt als E. Phillips Fox, (* 12. Marz 1865 in Fitzroy, Melbourne; † 8. Oktober 1915 ebenda) war ein australischer Maler und Kunstlehrer. Seine Frau Ethel Carrick war ebenfalls eine bekannte impressionistische Malerin. Beide gehorten auch zur Heidelberg School.
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c-876
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Der Prix international d’astronautique (deutsch Internationaler Preis fur Astronautik), ursprunglich bis 1939 auch Prix REP-Hirsch (REP-Hirsch-Preis), ist ein Preis, der erstmals 1929 von der Societe astronomique de France (SAF) verliehen wurde. Er wurdigt wichtige Fortschritte auf dem Gebiet der interstellaren Navigation und Astronautik. Der Preis wurde von 1929 bis 1939 unregelmaßig und seit 2019 jahrlich vergeben.
Entstehung und Stiftung 1926 entschlossen sich Robert Esnault-Pelterie (REP) und Andre Louis-Hirsch, die Erforschung der Raketentechnik in Frankreich voranzutreiben. Hierbei setzten sie auf die Unterstutzung der Societe astronomique de France, in der sie beide Mitglieder waren. Mit General Gustave-Auguste Ferrie fanden sie uberraschenderweise schnell einen Verbundeten, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal der Begriff der Astronautik etabliert war und die Menschen eher romantische Vorstellungen von der Raumfahrt hatten.
Am 8. Juni 1927 gab REP im Grand Amphitheatre de la Sorbonne vor einigen Mitgliedern der SAF, einschließlich General Ferrie, eine Konferenz mit dem Titel „L’exploration par fusees de la tres haute atmosphere et la possibilite des voyages interplanetaires“ (Die Erforschung der oberen Atmosphare durch Raketen und die Moglichkeit interplanetarer Reisen) und loste damit das Tabu innerhalb der SAF, sich mit der interplanetaren Raumfahrt beschaftigen zu durfen. Dies fuhrte in den folgenden Monaten zur Grundung einer Interessensgruppe innerhalb der SAF – jedoch ohne einen geeigneten Namen dafur zu haben.
Am 26. Dezember 1927 lud Andre Louis-Hirsch im Haus seiner Mutter zu einem Dinner. Dabei wurden neben REP sieben weitere prominente Personlichkeiten eingeladen. Nach dem Essen debattierten die Gaste, wie man die Forschung anregen konne, und entschieden, eine jahrliche Auszeichnung fur die Astronautik zu etablieren: den Prix REP-Hirsch, benannt nach dem Initiator (REP) und dem Sponsor (Hirsch). Danach blieb nur noch die Frage, wie dieser neue Wissenschaftszweig zu nennen sei – man entschied sich letztlich fur den vom anwesenden Science-Fiction-Autor J.-H. Rosny aine vorgeschlagenen Begriff Astronautik. Dieser Begriff sollte im Februar 1928 in l’Astronomie, dem offiziellen Bulletin der SAF, veroffentlicht werden. Das Comite d’Astronautique (Komitee fur Astronautik) erhielt seinen Namen und die Aufgabe, den Prix REP-Hirsch zu vergeben.
Erste Vergaben im fruhen 20. Jahrhundert Das ursprungliche 1928 festgelegte Regelwerk sah vor, dass jedes Mitglied des Komitees Arbeiten vorschlagen konnte, welche es fur wurdig hielt. Ebenso konnte jede Person, die selbst eine theoretische oder experimentelle Arbeit erstellt hat, diese bei der SAF einreichen. Dabei durften die Arbeiten in Franzosisch, Englisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch oder Esperanto verfasst sein und mussten bis spatestens zum 31. Dezember eingereicht werden. Stimmberechtigt waren alle anwesenden Mitglieder des Komitees, wobei der Zeitpunkt der Abstimmung so gewahlt werden musste, dass die Ergebnisse und die Detailentscheidung zur nachsten Generalversammlung der SAF im Juni des jeweiligen Folgejahrs vorlagen. Unter Aufgabe des jeweiligen Stimmrechts konnten auch Arbeiten von Mitgliedern des Komitees eingereicht werden.
Die Aufteilung des ursprunglich mit 5.000 Franc dotierten Preises oblag hierbei dem Komitee. Der Betrag konnte als Ganzes oder in mehreren Teilpreisen vergeben werden, ebenfalls war das Behalten eines etwaigen Restbetrags fur das nachste Jahr moglich. Fur die Jahre 1928, 1929 und 1930 sicherten REP und Louis-Hirsch die entsprechenden Mittel zu und nahmen sich selbst von der Teilnahme am Wettbewerb aus.
Im Fruhling 1929 begann die Auswahl der ersten Einreichungen. Nur neun von etwa zwanzig eingereichten Arbeiten wurden ernsthaft berucksichtigt. Autoren waren die Deutschen Hermann Oberth und Walter Hohmann, die Osterreicher Max Valier und Franz von Hoefft, der Italiener Luigi Gussalli, die Sowjetburger Alexander Scherschewski, Nikolai Rynin und Konstantin Ziolkowski sowie der US-Amerikaner John Noel Deisch. Das Komitee hatte ursprunglich Robert Goddard in Erwagung gezogen, jedoch wurden seine Arbeiten letztlich bei der Abstimmung nicht berucksichtigt, weil sie „nicht fortschrittlich genug“ waren. Den ersten Prix REP-Hirsch erhielt schließlich Hermann Oberth fur seine wegweisende Arbeit Wege zur Raumschiffahrt, zwei „besondere Erwahnungen“ ergingen an Walter Hohmann fur Die Erreichbarkeit der Himmelskorper und an John Noel Deisch fur sein 172-seitiges Manuskript The Navigation of Space.
1930 wurde aufgrund mangelnder, fristgerechter Einreichungen kein Preis vergeben. Andre Louis-Hirsch war allgemein nicht angetan von dem Umstand, dass dieser als patriotisches Mittel gedachte Preis mehr Anklang bei Auslandern, insbesondere den Deutschen und Amerikanern, fand. Er war uberzeugt davon, dass es notwendig sei, Aufmerksamkeit fur die Sache zu gewinnen, um z. B. junge Talente zu fordern. So unterstutzte er unter anderem potenzielle, neue Talente wie spater 1934 den Franzosen Ananoff Alexandre. Im Fruhling 1931 wurde der Preis zum zweiten Mal vergeben, diesmal an einen Franzosen: Pierre Montagne, ein Assistent von Pierre Jolibois. Die Mitglieder des Komitees, aber auch die Verantwortlichen bei der SAF waren uber die Preisvergabe an einen Landsmann besonders erfreut.
Im Jahr 1934 erhielt Ari Sternfeld, der damals an der Universitat Nancy studierte, einen außerordentlichen Forderpreis von 2.000 Franc. Die dritte offizielle Preisvergabe fand erst im Jahr 1935 statt. Der mit 1.000 Franc dotierte Preis ging an den Franzosen Louis Damblanc, der damals statische Tests an Feststoffraketentriebwerken am Institut aerotechnique in Saint-Cyr durchfuhrte.
Der vierte REP-Hirsch-Preis sollte ursprunglich an Robert Goddard gehen, jedoch wurde seine Arbeit zu spat eingereicht, worauf ihm die SAF in ihrem Bulletin ein großes Bedauern aussprach. Der Preis wurde letztlich an die American Rocket Society und eines seiner Mitglieder, den Ingenieur Albert Africano, fur die Arbeiten an der Kuhlung der Brennkammer von Flussigkeitsraketentriebwerken vergeben.
Mit 1937 und 1938 folgten wieder zwei Jahre ohne formalen Laureaten. An den Italiener Giovanni Serragli wurde jedoch 1938 ein Forderpreis fur seine Arbeit mit dem Titel Recherches sur les poudres lentes et leur usage pour l'exploration de la haute atmosphere. („Forschungen uber langsam brennende [Raketentreibstoff-]Pulver und deren Einsatz zur Erforschung der oberen Atmosphare“) vergeben.
Zum funften und letzten Mal sollte der Preis 1939 an die Amerikaner Frank Malina, einer der Grunder des Jet Propulsion Laboratory, und Nathan Carver (eigentlich Nathan Karabalnik) vergeben werden. Malina hatte seine Arbeit Ende 1938 fristgerecht eingereicht, bis zur jahrlichen Generalversammlung der SAF im Juni 1939 folgte jedoch keine Mitteilung des Komitees fur Astronautik. Am 15. Juni 1940 wurden auf Generalversammlung, die trotz der Besetzung von Paris durch die Wehrmacht abgehalten wurde, die Preistrager genannt. Malina wurde mit einer silbervergoldeten Medaille, Carver mit einer Silbermedaille ausgezeichnet. Die Lage war kriegsbedingt jedoch so katastrophal, dass dem Preis nebst einer Erwahnung im Bulletin der SAF fur das Jahr 1939 keine weitere Bedeutung geschenkt wurde. Malina erfuhr erst 1946 von seiner Ehrung und erhielt den Preis im August 1958 auf dem 9. internationalen Raumfahrtkongress in Amsterdam. Carver wurde erst 1978 uber seine Auszeichnung informiert, erhielt diese jedoch bis zu seinem Tod im Jahr 1988 nie uberreicht.
Nach dem Auftauchen der Aggregat 4 und der Intensivierung der militarischen Forschung sowie der zunehmenden Geheimhaltung dieser nun wichtigen Technologie nach Ende des Zweiten Weltkriegs gab es kaum noch Material fur die Preisvergabe. Auf dem 1. internationalen Raumfahrtkongress im Herbst 1950 in Paris erklarte Andre Louis-Hirsch die Zukunft des Preises wie folgt:
Wiederbelebung des Preises im 21. Jahrhundert Nach einer 80-jahrigen Pause hat der Verwaltungsrat der SAF im Februar 2019 entschieden, die Kommission fur Astronautik erneut einzusetzen. Im Mai 2019 wurde diese neue Commission Astronautique et Techniques Spatiales (Kommission fur Astronautik und Weltraumtechniken) als ideologischer Nachfolger von 20 Enthusiasten neu belebt. Diese Kommission trifft in der Regel einmal pro Monat von September bis Juli zusammen. Im selben Jahr wurde auch der Preis wiederbelebt und vergeben. Um einen wurdigen Nachfolger fur Hermann Oberth zu finden, hat man sich fur Professor Jacques Blamont entschieden. Er war einer der Grunder des Service d’aeronomie (SA), eines Forschungslabors am Centre national de la recherche scientifique (CNRS). Er war von 1958 bis 1985 Direktor des SA sowie ab 1982 Berater des Direktors des Centre national d’etudes spatiales (CNES). Die Ehrung mit dem wiederbelebten Prix international d'astronautique gilt seinen Verdiensten in den Geburtsstunden der franzosischen Weltraumaktivitaten. Seitdem wird der Preis jahrlich vergeben.
2020 wurde das gesamte Team der Mission Hayabusa 2 ausgezeichnet. Der Preis fur das mehrere hundert Personen aus aller Welt umfassende Team wurde am 10. April 2020 an den Missionsleiter Makoto Yoshikawa ubergeben.
Im Jahr 2021 wurde der Preis an Philippe Lognonne und Philippe Laudet fur ihre Beitrage zum Seismic Experiment for Interior Structure (SEIS) im Rahmen der Mars-Mission InSight vergeben.
2022 ging der Preis an Pernelle Bernardi und Sylvestre Maurice im Zusammenhang mit der Mission Mars 2020, speziell fur das Instrument SuperCam am Rover Perseverance. Pernelle Bernardi ist die erste Frau, die mit dem Prix d’astronautique ausgezeichnet wurde, sie war verantwortlich fur die Spezifikation und die Leistungsdaten des Instruments. Sylvestre Maurice ist einer der wissenschaftlichen Leiter und Entwickler des Instruments.
Der Preis wurde 2023 an Manuel Rodrigues von der ONERA fur seine Messungen und Auswertungen der Daten im Rahmen des Microscope-Experiments zur Uberprufung des Aquivalenzprinzips im Weltraum vergeben.
Am 25. Mai 2024 erhielt Roger-Maurice Bonnet den Preis als Auszeichnung fur sein Lebenswerk. Bonnet war von 1969 bis 1983 Direktor der Laboratoire de Physique Stellaire et Planetaire am CNRS. Von 1983 bis 2001 war er der wissenschaftliche Direktor der europaischen Weltraumorganisation (ESA) und somit der Hauptarchitekt der europaischen Weltraumwissenschaft. Von 2001 bis 2006 war er schließlich Generaldirektor der ESA und spielte eine wichtige Rolle in der Weltraumforschung als Prasident des Committee on Space Research. Außerdem war er von 2002 bis 2003 wissenschaftlicher Generaldirektor im CNES.
Liste der Preistrager 1929: Hermann Oberth sowie „besondere Erwahnungen“ fur Walter Hohmann und John Noel Deisch
1931: Pierre Montagne
1934: Ari Sternfeld (Forderpreis) und Pierre Montagne erneut, aber ohne Dotierung
1935: Louis Damblanc
1936: American Rocket Society und ihr Mitglied Alfred Africano (1908–1980)
1938: Giovanni Serragli (Forderpreis)
1939: Frank J. Malina (Goldmedaille) und Nathan Carver (Silbermedaille)
2019: Jacques Blamont
2020: Makoto Yoshikawa bzw. das Team der Mission Hayabusa 2 der JAXA
2021: Philippe Lognonne und Philippe Laudet
2022: Pernelle Bernardi und Sylvestre Maurice
2023: Manuel Rodrigues
2024: Roger-Maurice Bonnet
Literatur The Birth and Early Rise of „Astronautics“ – The REP-Hirsch Astronautical Prize 1928–1940; Frank H. Winter; Quest in: The History of Spaceflight, ISSN 1065-7738, Vol. 14, No. 1 (2007), Seite. 35–43 (online, PDF).
The History of the REP-Hirsch Award, in Astronautics, Volume 34, American Rocket Society, Juni 1936; Seite 6, 7 und 13; (online, PDF)
History of Rocketry and Astronautics; Kapitel 2: Andre Louis-Hirsch (1899–1962) – A Sponsor of Early Astronautics in France; Seite 11ff; ISBN 978-0-87703-677-7 (online, PDF)
Weblinks Offizielle Website
Einzelnachweise
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Der Prix international d’astronautique (deutsch Internationaler Preis fur Astronautik), ursprunglich bis 1939 auch Prix REP-Hirsch (REP-Hirsch-Preis), ist ein Preis, der erstmals 1929 von der Societe astronomique de France (SAF) verliehen wurde. Er wurdigt wichtige Fortschritte auf dem Gebiet der interstellaren Navigation und Astronautik. Der Preis wurde von 1929 bis 1939 unregelmaßig und seit 2019 jahrlich vergeben.
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Christian Hummer (geboren 1990 in Wien; gestorben am 26. September 2022 ebenda) war ein osterreichischer Musiker. Er war Grundungsmitglied der Band Wanda und initiierte das Projekt Loeweloewe.
Leben Hummer wuchs in Liesing auf und lebte zuletzt im 15. Bezirk in Wien. Er gab im Jahr 2016 in einem Interview fur FM4 an, fruh Klavier gelernt zu haben; er habe „mit acht Jahren ein Klavier-Quartett geschrieben [...], obwohl er damals noch gar nicht wusste, was ein Klavier-Quartett ist“. Christian Hummer studierte bis 2013 an der Universitat fur Musik und darstellende Kunst Wien klassisches Klavier.
Zusammen mit Michael Marco Fitzthum, Reinhold Weber und Manuel Christoph Poppe grundete er im Jahr 2012 die Band Wanda. Zuvor war er mit Fitzthum als Duo mit Akustikgitarren in Wiener Cafes aufgetreten.
Der Wanda-Keyboarder komponierte fur die Band die Songs Bleib wo du warst vom Album Amore (2014) und Vielleicht vom Album Ciao! (2019), fur die er auch Lead-Vocals sang.
Er initiierte im Jahr 2019 das Projekt Loeweloewe mit Helene Sorgner, Raphael Bader und Raphael Krenn, bei dem er als Frontman an den Vocals und Gitarre aktiv war. Im August 2021 erschien die erste Single von Loeweloewe mit dem Titel Lauter als die Stimme im Kopf, danach Stop Lift Stop. Eine dritte Single wurde im Februar 2023 veroffentlicht.
Mit dem von ihm gegrundeten Label Radio International (RAIN) wollte er Nachwuchsbands eine Plattform bieten; nach seinem Tod fuhrte seine Schwester das Label weiter.
Hummer stand zuletzt mit Wanda am 19. Marz 2022 beim Ukraine-Benefizkonzert im Wiener Ernst-Happel-Stadion auf der Buhne.
Vier Tage vor Erscheinen des Wanda-Studioalbums Wanda teilte die Band auf Internetplattformen mit, dass Christian Hummer nach langer, schwerer Krankheit verstorben sei; im Jahr 2020 hatte er sich einer Herzoperation unterzogen.
Die Bandmitglieder widmeten dem verstorbenen Hummer im Jahr 2024 den Song Bei niemand anders.
Diskographie (Auszug) Bleib wo du warst (Amore), 2014
Vielleicht (Ciao!), 2019
Lauter als die Stimme im Kopf, 2021
Stop Lift Stop, 2022
Weblinks Christian Hummer bei IMDb
Christian Hummer bei Discogs
Einzelnachweise
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Christian Hummer (geboren 1990 in Wien; gestorben am 26. September 2022 ebenda) war ein osterreichischer Musiker. Er war Grundungsmitglied der Band Wanda und initiierte das Projekt Loeweloewe.
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c-878
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Die Stadt Worms war Austragungsort folgender Synoden:
Synode von Worms (786), siehe: Reichstag zu Worms (786)
Synode von Worms (868)
Hoftag zu Worms (1076), auch als Synode von Worms 1076 bekannt
Synode von Worms (1983), war eine Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Worms.
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Die Stadt Worms war Austragungsort folgender Synoden:
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Son (fruher auch Soon) ist eine Ortschaft in der norwegischen Kommune Vestby im Fylke Akershus (Gerichtsbezirk Follo). Der Hafen von Son ist der tiefste naturliche Hafen im Oslofjord und war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert Ausgangspunkt fur einen umfangreichen Export von Holz in die Republik der Vereinigten Niederlande. Eine Anzahl von Gebauden aus dieser Zeit steht unter Denkmalschutz. Der Ort ist seit dem 20. Jahrhundert ein beliebter Badeort und ein Wohnort von Kunstlern.
Geografie Son, „wunderschon gelegen an der Ostseite des Oslofjords“, befindet sich an einer Sonsbukta (lokal auch Sonskilen) genannten Bucht sudlich der Mundung des Hølenelva. Das Ortszentrum liegt am Meer, weitere Ortsteile befinden sich dahinter in Hanglage. Im Suden grenzt Son an die Ortschaft Store Brevik, im Osten an Hølen. Die Gemeindegrenze zur Kommune Moss liegt nur 4 Kilometer sudlich; das Zentrum von Moss ist etwa gleich weit von Son entfernt wie des Zentrum von Vestby. Oslo ist etwa 50 Kilometer entfernt.
Geologisch liegt Son am Ubergang vom Sudostnorwegischen Grundgebirge (Sørøstnorske grunnfjellsomrade) aus Gneis zum Oslograben (Oslofeltet) aus Kalkstein aus dem Silur.
Bevolkerung Son ist eine bereits im 16. Jahrhundert urkundlich erwahnte alte Ladested, also eine Stadtgemeinde mit koniglichen Handelsprivilegien. Das Stadtrecht unter der Oberhoheit von Christiania (Oslo) wurde 1604 verliehen; im selben Jahr wurde ein Zollhaus (Toldsted) errichtet. Mit den Formannskapslovene (Gemeindeverwaltungsgesetzen) von 1837 wurde die ladested verwaltungsrechtlich als bykommune fortgesetzt. Um 1900, als der Ort seine wirtschaftlich besten Jahrhunderte bereits hinter sich hatte, schwankte die Bevolkerungszahl zwischen 500 und 1000 (1875: 700, 1910: 604, 1917: ca. 1000, 1920: 567).
Son verlor 1964 seine Selbstandigkeit als Kommune durch die Eingemeindung nach Vestby, bildete aber zusammen mit Store Brevik die separate Tettsted Son/Store Brevik (0507) innerhalb von Vestby. Diese – nur fur statistische Auswertungen relevante – Agglomeration umfasste im Jahr 2000 3.924 Einwohner auf 2,62 Quadratkilometern bzw. im Jahr 2006 5.025 Einwohner auf 3,12 Quadratkilometern. Im Jahr 2007 war das Siedlungsgebiet der Tettsted mit der benachbarten Tettsted Moss (0031) zusammengewachsen. Konsequenz war das Aufgehen von Son/Store Brevik in Moss, wodurch die Bevolkerung von Moss 2006 auf 2007 von 34.684 auf 40.217 stieg, bzw. die Flache von 17,70 auf 21,21 Quadratkilometer.
Die in der Infobox ausgewiesene Bevolkerungszahl bezieht sich auf jenen Teil der Tettsted Moss (0031), der in der Kommune Vestby (3216) liegt, also Son und Store Brevik umfasst.
Geschichte Wahrend der „Hollanderzeit“, von etwa 1550 bis 1800, war die Ladested Son ein wichtiger Holzhafen, wobei das Holz in der Umgebung geschlagen wurde oder von Hølen flussabwarts gefloßt wurde. Son und Hølen waren Standorte von Sagewerken, die Schnittholz produzierten. „In den ersten Jahren nach dem Bau von Oslo muss S. großer gewesen sein als die kunftige Hauptstadt, denn noch 1730 wurde von S. aus dreimal so viel Holz verschifft wie von der inzwischen viel großeren Stadt Moss. Im Jahr 1860 wurde immer noch eine betrachtliche Menge Holz verschifft.“ Auf niederlandischen Seekarten von 1582 wird der Oslofjord als Zoon Water bezeichnet, ein Beweis fur die Rolle Sons als fuhrender Holzexporteur im 16. und 17. Jahrhundert.
Der Hohepunkt des Holzhandels wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts erreicht, als die Zolleinnahmen in Son bis zu doppelt so hoch waren wie in Moss. „Als die Ara der Segelschiffe zu Ende ging, stagnierten Handel und Industrie.“ 1875 war in Son eine Flotte von 15 Schiffen ansassig (1864 war eine Werft gegrundet worden), doch 1905 gab es kein einziges Schiff mehr. Fur den Niedergang der Wirtschaft war neben der Entwicklung der Dampfschiffe auch der Umstand verantwortlich, dass Son im Gegensatz zu Moss nicht an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde. 1926 erwahnte Salmonsens Konversationsleksikon fur die Ladested noch „eine Dampfmuhle, eine Konservenfabrik, einen Bootsbau, eine Molkerei usw.“
Seit der Wende zum 20. Jahrhundert ist Son eine beliebte Sommerfrische fur die Stadtbewohner am Oslofjord, inklusive Jachthafen und der Durchfuhrung von Segelregatten. Durch die Nahe zu Oslo (60 Schienenkilometer) ist der Ort auch als Wohnort fur Tagespendler interessant. „In den Jahren 1900–1920 war Son eine Stadt der Kunstler, und auch heute noch gibt es eine bedeutende Kunstgewerbeszene.“ Zu den Prominenten, die sich in Son niedergelassen hatten, zahlten Nils Kjær, Ludvig Karsten, Herman Wildenvey, Ronald Fangen, Arthur Omre und Carl Dørnberger.
Sehenswurdigkeiten (alphabetisch) = Birkelandgarden =
Das Gebaude in der Storgata 29 heißt eigentlich „Sjølyst“ und war das Wohnhaus der Familie von Hartvig Birkeland, dem Eigentumer der Konservenfabrik Hermetikkfabrik Soon. Ursprunglich einstockig im regionalen Stil von Akershus erbaut, wurde es um 1900 durch Turm und Veranda in Richtung zum Schweizerstil verandert. 1988 renoviert, ist es seit 1998 im Besitz der Gemeinde.
= Dørnbergerhuset =
Der ehemalige Wohnsitz von Carl Dørnberger in der Strandgata 15 stammt in den altesten Teilen aus dem 17. Jahrhundert.
= Huitfeldtgarden =
Gelegen im Kolasveien 4 und benannt nach Lars Jørgen Huitfeldt, der sich um die Entwicklung des Ortes am Ende des 19. Jahrhunderts verdient gemacht hat. Hier waren ursprunglich eine Schule und zwei Gaststatten eingerichtet. Seit 2006 befinden sich im Innenhof eine Apotheke und ein Spielwarengeschaft.
= Jostushuset =
Jostushuset ist ein typisches Bauernhaus der Region Akerhus vom Anfang des 18. Jahrhunderts. Es ist nach Jost Tallachsen benannt, der es 1799 kaufte.
= Spinnerigarden =
Das denkmalgeschutzte Gebaude in der Storgata 25, auch Grønbeckgarden genannt, wurde in den 1640er Jahren als Wirtschaftsgebaude fur den Thornegarden errichtet. Ole Meyer eroffnete darin um 1760 eine Tabakfabrik, die bis 1840 Kautabak produzierte. Der Hof brannte am 17. Mai 1976 vollstandig ab und wurde originalgetreu wiedererrichtet.
= Stoltenberggarden =
Das Haus in der Storgata 26 mit denkmalgeschutztem Innenhof stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist nach der Kaufmannsfamilie Stoltenberg benannt.
= Thornegarden =
Das denkmalgeschutzte Barockgebaude wurde 1641 errichtet und um 1761 vom Kaufmann Ole Meyer erweitert. Der nachste Eigentumer Johan F. Thorne gab dem Gebaude seinen heutigen Namen. Seit 2006 beherbergt es ein Kaffeehaus und einen Friseursalon.
Etymologie Son, „fruher und manchmal noch Soon“, altnordisch wahrscheinlich Son, ist vermutlich der Name eines alten Bauernhofes, der nach einem Fluss benannt wurde, namlich dem Hølenelva.
Personlichkeiten geboren in Son:
Oluf Wold-Torne (1867–1919), Maler
Karl Johan Holter (1870–1960), Maler, Postmeister, Apotheker und Bibliothekar
wohnten zeitweilig in Son:
Carl Dørnberger (1864–1940), Maler, lebte ab 1896 in Son im „Dørnbergerhuset“
Nils Kjær (1870–1924), Schriftsteller
Ludvig Karsten (1876–1926), Maler
Herman Wildenvey (1885–1959), Lyriker
Arthur Omre (1887–1967), Schriftsteller
Ronald Fangen (1895–1946), Schriftsteller und Journalist
Literatur Ivar Gudmundsen (Hrsg.): Son leksikon. Encyclopaedia Sonensis. Vestby Historielag/Cappelen, Oslo 2002, ISBN 82-991655-5-5 (Digibok).
Øystein Kock Johansen: Vestby bygdebok, bind 1: Vestby – fra istid til vikingtid. Vestby kommune, Vestby 1997, ISBN 82-994452-1-3 (Digibok).
Weblinks Einzelnachweise
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Son (fruher auch Soon) ist eine Ortschaft in der norwegischen Kommune Vestby im Fylke Akershus (Gerichtsbezirk Follo). Der Hafen von Son ist der tiefste naturliche Hafen im Oslofjord und war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert Ausgangspunkt fur einen umfangreichen Export von Holz in die Republik der Vereinigten Niederlande. Eine Anzahl von Gebauden aus dieser Zeit steht unter Denkmalschutz. Der Ort ist seit dem 20. Jahrhundert ein beliebter Badeort und ein Wohnort von Kunstlern.
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c-880
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Eine queerplatonische Beziehung, auch bekannt als queerplatonische Partnerschaft, kurz QPR von engl. queerplatonic relationship, ist eine enge zwischenmenschliche Partnerschaft, deren Grundlage nicht romantisch ist. Eine queerplatonische Beziehung unterscheidet sich von einer engen Freundschaft durch das gleiche Maß an explizitem Engagement, Status und Struktur wie bei einer formellen romantischen Beziehung, wahrend sie sich von einer romantischen Beziehung dadurch unterscheidet, dass sie keine romantischen Liebesgefuhle beinhaltet.
Das Konzept stammt aus den aromantischen und asexuellen Gemeinschaften.
Definition Der Begriff der queerplatonischen Beziehung hat seinen Ursprung darin, dass romantischen Beziehungen haufig ein gesellschaftlich hoherer Stellenwert zugewiesen wird als platonischen Beziehungen. Hieraus entstand der Wunsch, mittels des Begriffs der queerplatonischen Beziehung die Trennung zwischen freundschaftlichen und romantischen Beziehungen zu durchkreuzen. Das englische Wort „to queer“ bedeutet (unter anderem), etwas so zu andern, dass es nicht mehr in die ublichen Grenzen von Gender und Sexualitat passt. Der Begriff ist somit „einer der wenigen expliziten Titel, die zur Beschreibung des sozialen Raums zwischen ‚Freund‘ und ‚romantischer Partnerperson‘ fur nicht-romantische Partnerpersonen verfugbar sind, die die ‚intensive Beziehung und die Sicherheit expliziter Bestatigung‘ teilen, die sonst ausschließlich mit Romantik verbunden sind“. Das Asexual Visibility and Education Network definiert queerplatonische Beziehungen als „nicht-romantische Beziehungen zu einer bedeutenden Person mit Partnerstatus“. Von außen betrachtet konnen queerplatonische Beziehungen oft als enge Freundschaften missverstanden werden, wenn in gesellschaftlichen Kontexten offensichtliche romantische Gesten erwartet werden.
Zum Teil wird der Begriff auch als „eine Meta-Kategorie, die ‚Auffangbecken‘ fur ‚nicht-normative Beziehungen‘ ist, die ‚nicht romantische Beziehungen sind, aber auch nicht ausreichend oder korrekt als „Freundschaft“ beschrieben‘ werden konnen“, bezeichnet.
Terminologie Der Begriff „queerplatonic“ wurde im Englischen 2010 von S. E. Cummings und Kaz gepragt. Dies erfolgte in einem Blogeintrag mit den dazugehorigen Kommentaren, in dem ein Begriff fur diese Art von zwischenmenschlichen Beziehungen gesucht wurde. Die Form der zwischenmenschlichen Anziehung, die in queerplatonischen Beziehungen besteht, wurde mit dem Wort „alterous“, einem vom Substantiv „alterity“ ‚Alteritat, Anderssein‘ abgeleiteten Neologismus, beschrieben. Alternativ haben andere Quellen das Wort „queerplatonisch“ verwendet, um sowohl eine Form der Anziehung als auch eine Beziehungskategorie zu beschreiben. Die Person, mit der man in einer queerplatonischen Beziehung ist, kann als „quasiplatonische“ oder „qp“ Partnerperson oder „zucchini“ bezeichnet werden. „Zucchini“ wurde in dem gleichen Blogkommentar, in dem auch das Wort queerplatonisch entstand, erstmals verwendet. Auch im Deutschen wird dieser Begriff verwendet.
Herkunft und Verwendung Der Begriff stammt aus den aromantischen und asexuellen Gemeinschaften, und war in den 2010er Jahren großtenteils auf diese Kreise beschrankt. Die Huffington Post beschrieb ihn 2014 als ein „neues Label“, das aus derselben Quelle wie „aromantisch“ und „demisexuell“ stammt, und Zach Schudson und Sari van Anders charakterisierten es 2019 als eine von mehreren „aufkommenden Diskursen uber Geschlechts- und sexuelle Identitaten“, die auf LGBT-Social-Networking-Sites erscheinen. Ab 2021 begannen jedoch einige populare Websites, die sich an allgemeine Zielgruppen richten, das Konzept zu diskutieren, und das Konzept wurde in einigen akademischen Kunst- und Literaturkritiken verwendet (anstatt nur als Neologismus diskutiert zu werden).
Im Deutschen ist der Begriff mindestens seit dem Jahr 2017 belegt.
Eine qualitative Analyse der Sprache von Menschen, die 2021 in Polyamorie involviert sind, fuhrte das Wort „queerplatonisch“ als typisches Beispiel fur das „komplexe“ Vokabular an, das haufig von Personen verwendet wird, die in einvernehmliche nicht-monogame Beziehungen involviert sind. Y. Gavriel Ansara, der fur ein Publikum von Beziehungsberatern schreibt, stellt ebenfalls fest, dass der Begriff unter polyamoren Menschen verbreitet ist. Ein Artikel aus dem Jahr 2022 in der Frauenzeitschrift Bustle zog Parallelen zwischen „queerplatonischen Lebenspartnerschaften“ und einvernehmlicher Nicht-Monogamie, die sich auf Beziehungsanarchie und das gemeinsame Prinzip bezog, dass die Teilnehmer „ihre Verpflichtungen nach den Wunschen der Menschen in der Beziehung anpassen“. Schudson und van Anders (2019) und der Bustle-Artikel von 2022 behaupten außerdem, dass die Verwendung des Begriffs von „jungen Menschen“ oder Millennials und Generation Z vorangetrieben wird.
Die Sexualtherapeutin Stefani Goerlich schlug 2021 vor, dass das Konzept von Boston Marriages inspiriert wurde – formalisierte romantische Freundschaften zwischen wohlhabenden Frauen im spaten 19. Jahrhundert in Neuengland. Sie charakterisierte QPRs auch als eine alte Praxis, die wieder popular wurde, und schlagt vor, dass Ruth und Naomi im Alten Testament eine der fruhesten aufgezeichneten QPRs gehabt haben konnten.
Soziale Analyse Savie Luce hinterfragt die konventionelle queere Lesart von Mary Eleanor Wilkins Freemans Two Friends, einer Geschichte, die eine Boston-Ehe darstellt und die Beziehung in einem „sexualisierten queeren Licht“ als sapphische Beziehung darstellt. Sie argumentiert, dass Freemans Protagonistinnen durch die Linse von QPR und Ela Przybylos Konzept der „asexuellen Erotik“ als erotische lesbische Partnerinnen gelesen werden konnen, ohne dass ihre Beziehung als sexuell oder romantisch fehldargestellt werden muss, was Luce als „erotonormativ“ betrachtet. Sie prasentiert QPR auch als radikale Gegen-Erzahlung zum Lesbian-Bed-Death-Topos, wobei Asexualitat „eine additive Qualitat und kein Defizit“ in einer queerplatonischen Partnerschaft zwischen Frauen darstellt.
Einige Autoren haben das Konzept von QPR als Reaktion gegen eine amatonormative Hierarchie gesehen, in der romantische Beziehungen als wichtiger angesehen werden als Freundschaften.
Ahnlich verbindet Roma De las Heras Gomez die Kritik der Beziehungsanarchie an der Vorstellung, dass eine romantische Beziehung notwendig ist, um „eine Familie zu grunden, die langfristige Partnerschaft, Zusammenleben, gemeinsame wirtschaftliche Verantwortung und potenzielle Kindererziehung umfasst“, mit Kategorien, die in „asexuellen Gemeinschaften und aromantischen Gemeinschaften online“ verwendet werden. Sie geht hier demnach auf queerplatonische Beziehungen ein – und auch wenn sie den Begriff als solchen nicht erwahnt, verwendet sie den Begriff als Schlusselwort fur das Paper, was darauf hindeutet, dass sie QPR als ahnlich zu beziehungsanarchistischem nicht-sexuellem Zusammenleben und Mit-Elternschaft sieht.
Weblinks Einzelnachweise
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Eine queerplatonische Beziehung, auch bekannt als queerplatonische Partnerschaft, kurz QPR von engl. queerplatonic relationship, ist eine enge zwischenmenschliche Partnerschaft, deren Grundlage nicht romantisch ist. Eine queerplatonische Beziehung unterscheidet sich von einer engen Freundschaft durch das gleiche Maß an explizitem Engagement, Status und Struktur wie bei einer formellen romantischen Beziehung, wahrend sie sich von einer romantischen Beziehung dadurch unterscheidet, dass sie keine romantischen Liebesgefuhle beinhaltet.
Das Konzept stammt aus den aromantischen und asexuellen Gemeinschaften.
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Beautiful Boy (Darling Boy) (englisch fur „Schoner Junge (Lieber Junge)“) ist ein Lied von John Lennon aus dem Jahr 1980, das von ihm geschrieben und in Kooperation mit Yoko Ono und Jack Douglas produziert wurde. Es erschien im November 1980 auf dem Album Double Fantasy.
Hintergrund Beautiful Boy (Darling Boy) wurde fur John Lennons 1975 geborenen Sohn Sean Lennon geschrieben. Nach der Geburt seines Sohnes zog sich Lennon funf Jahre lang aus der Musikindustrie zuruck, um sich dem Kind zu widmen.
Lennon begann den Song 1979 zu schreiben, wobei er zwischen den Titeln Beautiful Boy und Darling Boy wechselte. Er nahm ein Heimdemo mit Gitarre und Gesang auf, das einige Textentwurfe enthielt, die spater geandert wurden, zum Beispiel: “Hold my hand before you cross the street/The traffic’s slow but you never know who you’re gonna meet.”
John Lennon sagte 1980 uber das Lied: „Nun, was soll ich sagen? Es geht um Sean. Es ist selbsterklarend. Die Musik und der Text kamen zur gleichen Zeit.“
Anfang 1980 nahm Lennon ein weiteres Demo auf, bei dem er eine E-Gitarre und einen Drumcomputer verwendete. Er unternahm mehrere Versuche und experimentierte mit verschiedenen Ideen, bis er den endgultigen Text entwickelt hatte. Ein letztes Demo wurde im Juni 1980 wahrend Lennons Bermudaaufenthalts aufgenommen, vor den Studiosessions fur Double Fantasy.
Die wahrscheinlich bekannteste Textzeile des Liedes lautet: „Das Leben ist das, was mit dir passiert, wahrend du damit beschaftigt bist, andere Plane zu schmieden.“ Dieser Satz geht auf einen Artikel im Reader’s Digest von 1957 zuruck, den Allen Saunders verfasste.
Beautiful Boy (Darling Boy) beginnt mit dem Klang einer tibetischen Wunschglocke, die zuvor fur den Anfang von (Just Like) Starting Over verwendet worden war. Es endet mit einer geflusterten Nachricht an Lennons Sohn: „Gute Nacht, Sean. Wir sehen uns morgen schon wieder.“ Der Outtake auf dem Album John Lennon Anthology zeigt, dass die letzte Zeile ursprunglich “Darling, darling, darling, darling boy” statt Sean Lennons Namen enthielt.
Paul McCartney wahlte Beautiful Boy (Darling Boy) wahrend seines Auftritts in der 40. Jubilaumsausgabe der BBC-Radiosendung Desert Island Discs im Jahr 1982 aus. Die Episode wurde gefilmt und zeigt, wie McCartney mit dem Moderator Roy Plomley uber seine Songauswahl sprach. McCartney, der das Lied zu seinen Lieblingssongs zahlt, sagte: „Ich denke, es ist ein wunderschoner Song. Es ist sehr bewegend fur mich.“ Im Juni 2007 trat Yoko Ono in derselben Show auf und wahlte ebenfalls Beautiful Boy (Darling Boy) als eines ihrer acht Lieder.
Beautiful Boy (Darling Boy) gehort zu den vier meist gestreamten Liedern von John Lennon auf Spotify (Stand September 2024).
Musikvideo 2003 ließ Yoko Ono ein Musikvideo zu dem Song herstellen. Das Video zeigt einen Familienfilm mit John Lennon, Yoko Ono und Sean Lennon.
Aufnahme Die ersten Aufnahmesessions fur Beautiful Boy (Darling Boy) fanden am 12. August 1980 im Studio The Hit Factory in New York statt. Lee DeCarlo, John Smith, James Ball, Tony Davillo und Julie Last waren die Toningenieure der Aufnahme; Jack Douglas, John Lennon und Yoko Ono die Produzenten. Eine alternative Version der Session, ohne die spateren Overdubs, wurde 1998 auf dem Boxset John Lennon Anthology veroffentlicht. Lennon nahm seinen Gesang am 17. September neu auf. Die Steel Drums und Wellenklange wurden ebenfalls im Studio hinzugefugt, als Referenz an seine Zeit auf den Bermudas im Juni 1980.
Besetzung:
John Lennon: Gesang, Akustische Gitarre
Earl Slick: Akustische Gitarre
Hugh McCracken: E-Gitarre
Tony Levin: Bassgitarre
George Small: Keyboard
Andy Newmark: Schlagzeug
Robert Greenridge: Steel Drum
Arthur Jenkins: Perkussion
Der Keyboardspieler George Small sagte im Nachhinein: „Ursprunglich wollten sie ein Steeldrum-Orchester fur den Song engagieren. Die Zahl, uber die gesprochen wurde, war uber zwanzig. Sie beschlossen schließlich, dass sie den Effekt mit einem erzielen konnten. Er war ein echter jamaikanischer Steeldrum-Spieler und ich musste ihm den Song bei der Session beibringen.“
Veroffentlichung = Singleveroffentlichungen =
Am 4. November 1981 erschien in den USA die Single Watching the Wheels / Beautiful Boy (Darling Boy).
In den USA wurde am 29. November 1982 die Single Happy X-Mas (War Is Over) / Beautiful Boy (Darling Boy) veroffentlicht. Die Promotionsingle wurde in den USA wie folgt veroffentlicht: Auf der A-Seite befindet sich die Monoversion und auf der B-Seite die Stereoversion der A-Seite der Kaufsingle, weiterhin gab es eine Promotion-12″-Vinyl-Single: Happy X-Mas (War Is Over)/Beautiful Boy (Darling Boy).
Am 3. Juni 1992 wurde in Japan die 3″-CD-Single Beautiful Boy (Darling Boy)/Beautiful Boys veroffentlicht.
Im Jahr 1999 wurde in Japan die 3″-CD-Single (Just Like) Starting Over/Beautiful Boy (Darling Boy) veroffentlicht.
= Albumveroffentlichungen =
Am 17. November 1980 erschien das Album Double Fantasy auf dem sich Beautiful Boy (Darling Boy) befindet.
Auf der John Lennon Anthology, die am 2. November 1998 erschien, befindet sich ein Outtake von Beautiful Boy (Darling Boy).
Am 1. Oktober 2010 erschien die Doppel-CD Double Fantasy Stripped Down. Disc 1 wird mit Double Fantasy Stripped Down und Disc 2 mit Original Album betitelt. Wahrend die zweite CD die neu remasterte Version des Albums beinhaltet, ist Stripped Down laut CD-Begleitbuch eine komplette Neuabmischung von Jack Douglas und Yoko Ono, die in den Avatar Studios vorgenommen wurde. Der wesentliche musikalische Unterschied zur Originalabmischung besteht darin, dass die Stimmen von Lennon und Ono deutlicher zu horen sind und einige Instrumentalbegleitungen und Chore weggelassen wurden. Beautiful Boy (Darling Boy) ist 12 Sekunden kurzer.
Am 1. Oktober 2010 erschien Signature Box, das das Album Home Tapes beinhaltet, das ein Homedemo von Beautiful Boy (Darling Boy) enthalt.
Beautiful Boy (Darling Boy) befindet sich auf folgenden John-Lennon-Kompilationsalben: The John Lennon Collection, Imagine: John Lennon (Music from the Motion Picture), Lennon, Lennon Legend: The Very Best of John Lennon, Working Class Hero: The Definitive Lennon, John Lennon Collector’s Edition, Gimme Some Truth, Signature Box, ICON.
Am 9. Oktober 2020 erschien das Kompilationsalbum GIMME SOME TRUTH. mit neu abgemischten Liedern, darunter auch Beautiful Boy (Darling Boy).
Coverversionen Es gibt uber 35 Coverversionen von Beautiful Boy (Darling Boy).
Literatur Chip Madinger and Mark Easter: Eight Arms To Hold You – The Solo Compendium, 44.1 Productions 2000, ISBN 0-615-11724-4 (S. 130–132, 137).
Weblinks Beautiful Boy (Darling Boy) auf beatlesbible.com
Einzelnachweise
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Beautiful Boy (Darling Boy) (englisch fur „Schoner Junge (Lieber Junge)“) ist ein Lied von John Lennon aus dem Jahr 1980, das von ihm geschrieben und in Kooperation mit Yoko Ono und Jack Douglas produziert wurde. Es erschien im November 1980 auf dem Album Double Fantasy.
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Himbeeren mit Senf ist ein deutsch-luxemburgisch-schweizerisch-niederlandischer Coming-of-Age-Film von Ruth Olshan aus dem Jahr 2021.
Handlung Der verwitwete Bestatter Ernst sucht seit einiger Zeit nach einer neuen Frau. Seine Kinder Meeri und Luk allerdings haben etwas dagegen und schon das eine oder andere Date vertrieben. Insbesondere Meeri hangt immer noch sehr an ihrer Mutter und schreibt ihr Briefe, in denen sie von ihrem Leben erzahlt, und versteckt diese anschließend in den Sargen. Als Meeri sich in den alteren Rocco verliebt, stellt sie erstaunt fest, dass sie bei seinem Anblick oder Gedanken an ihn fliegen kann. Zuerst bekommt ihre beste Freundin Klara davon mit, spater auch Luk und Ernst. Die vier schworen, Meeris Fahigkeit nicht zu verraten.
Ernsts aktuelles Date, die schwangere Charlotte, lasst sich von Meeri und Luk nicht so leicht in die Flucht schlagen. Auch scheint sie mit den Leichen im Haus keine Beruhrungsangste zu haben. Dass die neue Freundin jetzt ofter bei ihnen vorbeikommt, ist Meeri ein Dorn im Auge. Auch muss sie feststellen, dass Rocco ihre Gefuhle nicht erwidert und nur Freundschaft mochte; sie solle eher etwas mit seinem jungeren Bruder Matti unternehmen. Luk hingegen hat Probleme mit Rowdies aus der Schule, die ihn wiederholt mobben, sodass Meeri ihm auch mal zu Hilfe „fliegen“ muss. Dann stirbt auch noch die alte Grete, die allen Kindern wie eine Oma gewesen ist.
Es kommt zu einem Streit zwischen Meeri und ihrem Vater, weil sie denkt, er habe Charlotte ihre Flugkunste verraten, dabei hatte Charlotte Meeris Flugkunste selbst gesehen. Charlotte zieht wegen der zunehmenden Spannung erst einmal aus. Ernst entdeckt in einem Sarg einen von Meeris Briefen, in der sie ihrer Mutter schreibt, dass jetzt auch Charlotte weg sei und sie Ernst mit ihren Worten wehgetan habe. Als Luk Charlottes Auto mit dem Fahrrad nachfahrt, um sie in der Familie zu halten, wird er von den Rowdies gestellt und rutscht beim Kampf eine Schrage hinunter. Meeri kommt ihm zu Hilfe, wobei sich Luk jedoch den Fuß bricht.
Im Krankenhaus findet die Familie wieder zusammen. Auch Charlotte kommt dazu, die von Meeri uber den Unfall informiert wurde, weil Luk ihr nachgefahren ist, damit sie wieder eine neue Familie werden. Als Charlotte Meeri fragt, was sie denn mochte, umarmt Meeri sie. Meeri fahrt zu Matti, den sie letztens bei einem vorsichtigen Annaherungsversuch abblitzen ließ. Die beiden kussen sich und beginnen schließlich beide zu fliegen. Als wenig spater alle die Geburt von Charlottes Kind feiern, fangt auch Luk beim Anblick eines Madchens an zu fliegen.
Produktionsnotizen Der Film wurde vom 27. August bis zum 9. Oktober 2020 in insgesamt 34 Drehtagen in Luxemburg gedreht. Gedreht wurde in Wellenstein mitten in der COVID-19-Pandemie. Trotz aufwendiger Vorsichtsmaßnahmen (z. B. Masken, Abstand, offenes Fenster beim Autofahren) gab es mehrere Infektionen beim Filmteam, dennoch konnte der Filmdreh nach entsprechenden Testungen wie geplant weitergehen. Durch den zusatzlichen Aufwand waren die geplanten Produktionskosten schneller aufgebraucht. Ursprunglich waren Dreharbeiten in drei der produzierenden Lander geplant, aufgrund der erfolgten Grenzschließungen wurde schließlich nur in Luxemburg gedreht.
Rezeption = Kritiken =
Das Lexikon des internationalen Films gibt dem Film insgesamt 4 von 5 Sternen und bezeichnet diesen als sehenswert. Laut Ansicht der Redaktion verwebe der „warmherzig-beschwingte Film […] verzwickte Liebes- und Lebensgeschichten in die Handlung, die muhelos Mild-Fantastisches mit Bodenstandigem verbindet. Obwohl viel Pubertat im Spiel ist, bleiben Figuren, Motive und Handlung stets nachvollziehbar und glaubhaft“.
Peter Gutting bewertet den Film bei film-rezensionen.de mit insgesamt 7 von 10 Punkten. Er beschreibt den Film als eine altersgerechte Komodie fur Kinder ab 10 Jahren, in der Regisseurin Ruth Olshan und Koautorin Heike Fink verschiedene Ideen zusammenbrachten. „In einer Art magischem Realismus paaren sich dokumentarische Erdung mit himmelwarts strebender Poesie.“ Meeris Fliegen werde nicht ubermaßig strapaziert, sondern werde dezent in die Erzahlung eingewoben. Die komplex ausgearbeiteten Nebenfiguren wurden zum humorvoll-warmen Tonfall beitragen. Die Erwachsenen wurden nicht zu Karikaturen verkurzt, sondern durften „zu eigenwilligen, leicht verschrobenen, aber doch mehrdimensionalen Charakteren aufbluhen“. Themen aus dem realen Leben der Kinder wie Mobbing, Verlust und die erste Liebe wurden angesprochen. Das Ganze drifte dabei jedoch nicht ins Sozialdrama ab, sondern punkte mit „pfiffigen Dialogen und verschmitztem Charme“.
Auszeichnungen und Nominierungen Preis der deutschen Filmkritik 2023
Nominierung in der Kategorie Bester Kinderfilm (Ruth Olshan)
Weblinks Himbeeren mit Senf bei filmportal.de
Himbeeren mit Senf bei crew united
Himbeeren mit Senf bei IMDb
Einzelnachweise
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Himbeeren mit Senf ist ein deutsch-luxemburgisch-schweizerisch-niederlandischer Coming-of-Age-Film von Ruth Olshan aus dem Jahr 2021.
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Wackerow & Deter betrieben von 1894 bis 1904 eine Feldbahnfabrik und eine Maschinenhandlung in Breslau mit einer Filiale in Magdeburg. Die Vertriebsabteilungen des Unternehmens wurden von 1905 bis etwa 1926 unter dem Namen Wackerow & Co. weitergefuhrt.
Geschichte = Wackerow & Deter =
Richard Wackerow fuhrte spatestens ab September 1894 in der Breslauer Kaiser Wilhelmstraße 38 und spatestens ab August 1895 in der Kaiser Wilhelmstraße 15 (Ecke Sadowastraße) ein Handelsunternehmen, das auf Eisenkonstruktions- und Wellblechbauten, elektrische Beleuchtungsanlagen, Gasmotoren, Dampfmaschinen, Lokomobile, Lokomotiven und Sekundarbahnen spezialisiert war. Er betrieb dort mindestens bis Dezember 1895 die General-Agentur Breslau der Stahlbahnwerke Freudenstein.
Im August 1897 bot Richard Schlesinger als Generalvertreter von Wackerow & Deter 62 Pfennig/m² fur die Pacht der Bahnlagerplatze am Kohlenstrang. Im Jahr 1899 errichteten Wackerow & Deter eine Fabrik fur Blechgefaße und zur Herstellung eiserner Konstruktionen in der Markischen Straße von Breslau zwischen den beiden Bahnhofen. Um 1904 war das Unternehmen die schlesische Generalvertretung fur Schwimm- und Trockenbagger, Hoch- und Tiefbagger fur große Erdbewegungen, Bagger mit Kiessieben, Kieswasche und Sandtransporter von Born & Schutze aus Mocker in Westpreußen.
Im August 1904 erlosch die als offene Handelsgesellschaft (OHG) organisierte Firma Wackerow & Deter, Feldbahnfabrik, Maschinen- und Baugeschaft, nachdem sie zuvor liquidiert worden war.
= Wackerow & Co. =
Unter der Firma Wackerow & Co. GmbH war ein Teil des liquidierten Unternehmens ab 1905 in der Sadowa-Straße aktiv. Das Unternehmen war in zwei Abteilungen aufgegliedert, die in Breslau und Bromberg (Bydgoszcz) sowie ab 1907 in Kattowitz (Katowice) Feldbahnen, Tiefbohrungen, Hand- und Dampf-Bagger sowie Lowries und Forderwagen vertrieben. Der Standort Kattowitz war auf die Projektierung und Lieferung von normalspurigen Anschlussgleisen spezialisiert.
Im Jahr 1910 brachte die Wackerow & Co. AG den Motorpflug oder Automobilpflug System Wackerow auf den Markt. Am 23. Dezember 1912 wurde das auf den Namen des Kaufmanns Richard Wackerow eingetragene mit dem Vordereck-Wohn- und -geschaftshaus bebaute 246 m² große Grundstuck in der Kaiser-Wilhelm-Straße 15 durch das konigliche Amtsgericht zwangsversteigert. Kurz darauf, veroffentlichte die Wackerow & Co. AG am 15. Januar 1913 in Breslau eine Mitteilung gemaß § 240 Handels-Gesetz-Buch uber den Verlust von mehr als der Halfte des Aktienkapitals.
Firmengrunder Uber die Geschaftsfuhrer und Mitarbeiter des Unternehmens ist wenig uberliefert. Der Kaufmann Richard Wackerow schloss sich zur Unternehmensgrundung mit Otto Georg Deter zusammen, mit dem er um 1900–1903 Mitglied der Sektion Breslau des Alpenvereins war.
Am 27. Marz 1902 wurde Richard Wackerow aus Breslau, ohne Auflistung eines Gehalts, in die Liste der Konsularbeamten der Vereinigten Staaten aufgenommen.
Im Sommer 1910 konstruierte er ein Denkmal zum Gedenken an die Schlacht bei Hohenfriedberg (Dobromierz), das in Guntersdorf (Godzieszowek) aufgestellt wurde. Es war ein etwa 10 Meter hoher Obelisk auf einem Sockel, an dem Gedenktafeln mit den Namen der gefallenen Offiziere angebracht waren. Der Sockel, auf dem er stand, bestand aus drei Stufen. Das Denkmal wurde am 4. Juni 1910 eingeweiht.
Im Februar 1911 trat der Fabrikbesitzer Richard Wackerow von seiner Funktion als Vertrauensmann der Schlesischen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft, Sektion I zuruck.
Als Konsul stiftete er um 1913 fur den Rudersport den Herausforderungspreis fur den Schlesischen Provinz-Vierer, der nach dreimaligem Sieg (ohne Reihenfolge) eines Vereins in dessen Besitz uberging.
Im Juli 1914 bildeten der Konsul a. D. Richard Wackerow und der Hauptmann a. D. Hans Walter ein Komitee, um auslandische ausgediente Soldaten aller Waffengattungen als Freiwillige fur den Kriegsdienst nach Durazzo (Durres) in Albanien zu entsenden. Ein Foto aus dem Ersten Weltkrieg zeigt ihn und weitere Landsleute 1917/1918 als Kriegsgefangene vor seiner Stube in der Kaserne Nr. 1 des Internierungslagers Fort Douglas in Utah.
Produkte Feld-, Wald- und Industriebahnen zu Kauf und Miete
Bagger und Baugerate
Wellblechbauten
Tiefbohrungen
Straßenwalzen und Zentrifugalpumpen (insbesondere in Bromberg)
Normalspurige Anschlussgleise (insbesondere in Bromberg und Kattowitz)
Standorte Hauptsitz:
Um 1893/1894 Kaiser Wilhelmstraße 38, Breslau
Ab 1895 Kaiser Wilhelmstraße 15, Breslau (heute Ulica Powstancow Slaskich, Wrocław), Ecke Sadowastraße (heute Ulica Swobodna)
Filialen:
Magdeburg, Pionierstraße 25
Bromberg (Bydgoszcz), Bahnhofstraße 38
Kattowitz (Katowice), Bahnhofstr. 15, eroffnet im April 1907 mit einem Lager in der Konigshutter Chaussee
Gleiwitz (Gliwice)
Berlin
Weblinks Anmerkungen Einzelnachweise
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Wackerow & Deter betrieben von 1894 bis 1904 eine Feldbahnfabrik und eine Maschinenhandlung in Breslau mit einer Filiale in Magdeburg. Die Vertriebsabteilungen des Unternehmens wurden von 1905 bis etwa 1926 unter dem Namen Wackerow & Co. weitergefuhrt.
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Five Nights at Freddy’s: Into the Pit (deutsch etwa: „Funf Nachte bei Freddy’s: In die Grube“), auch mit FNaF: Into the Pit abgekurzt, ist das neueste offizielle Five-Nights-at-Freddy’s-Computerspiel von Scott Cawthon. Es wurde am 7. August 2024 veroffentlicht und ist die spieletechnische Umsetzung des Kapitels Ab in die Grube! des Romans Five Nights at Freddy’s: Fazbear Frights 1 – In die Grube. Das Spiel gehort zwar – wie die Romanvorlage – zur Hauptreihe, erzahlt aber eine kanon-unabhangige Parallelgeschichte.
Protagonist des Spiels ist der zehnjahrige Mittelschuler Oswald, der von seinem Vater in dem heruntergekommenen Lokal Jeff’s Pizza abgesetzt wird und dort ein schmuddeliges Kugelbad entdeckt. Als er hineinspringt, reist er in der Zeit zuruck und bringt aus der dortigen Epoche das Bose mit in seine Welt. Sein Vater wird in die Vergangenheit entfuhrt und Oswald setzt alles daran, ihn zu retten.
Inhalt = Handlung =
Der Mittelschuler Oswald ist frustriert und genervt: Das Ende der Sommerferien naht und wie fast jeden Tag setzt der Vater den Jungen in dem Lokal Jeff’s Pizza ab, um ihn spater, zum Feierabend, wieder abzuholen. Die Stadt Westbrook, in der Oswald lebt, ist seit der Schließung des ortlichen Stahlwerks vor drei Jahren heruntergekommen und finanziell dem Ende nah, viele Geschafte schlossen mit der Fabrik. Einige Familien sind weggezogen, um neue und bessere Jobs zu finden. Oswalds wenige Freunde wohnen jetzt in weit entfernten Nachbarstadten, was seine Stimmung zusatzlich trubt.
Oswald hasst Jeff’s Pizza: Das Lokal ist marode, schmuddelig und die Kundschaft norgelt nur herum. Auch das Essen ist von eher bescheidener Qualitat und das Menu ist immer dasselbe. Der Ladenbesitzer, Jeff, ist standig ubermudet, desinteressiert und bildungsfern. Eines Tages aber erfahrt Oswald zufallig von einem alten Kugelbad, das vor Jahrzehnten wegen mangelhafter Hygiene und wegen eines ublen Geruchts geschlossen wurde. Es soll sich in einem der sonst verschlossenen Hinterzimmer befinden. Oswald wird neugierig – und findet das Kugelbad tatsachlich. Er will sich bei seinem Vater dafur rachen, dass er sich fast taglich im Lokal zu Tode langweilt, und springt hinein, um sich zu verstecken.
Plotzlich vernimmt Oswald Gerausche – laute Discomusik, Kindergeschrei und mehr. Verdattert klettert er wieder aus dem Kugelbad und platzt unbemerkt mitten in eine wilde Party. Mit einem Mal ist das Lokal sauber, voller Diskolichter, Musik und vor allem Kinder und Jugendlicher. Auf einer Showbuhne singen drei Animatronics, die Oswald noch nie zuvor gesehen hat: ein Braunbar (Freddy), ein Hase (Bonnie) und ein Kuken (Chica). Oswald trifft auf die Jungen Mike und Chip, die ihm das Lokal zeigen. Doch schon sehr bald merkt Oswald, dass etwas nicht stimmt: Die Sprechweise und der Kleidungsstil der Partygaste machen den Jungen stutzig. Alles wirkt veraltet und viele Filme und Computerspiele, die Oswald nur aus Erzahlungen vergangener Tage kennt, werden hier als „cool“ und „hip“ gefeiert und scheinen erst kurzlich erschienen zu sein. Auch die sonst vollig ladierten und schmuddeligen Arcade-Automaten wirken brandneu und funktionieren tadellos. Außerdem heißt das Lokal jetzt Freddy’s Pizza und nicht mehr Jeff’s Pizza.
Oswald wird klar, dass er offenbar um Jahrzehnte zuruck in die Vergangenheit gereist sein muss. Sein Verdacht bestatigt sich, als er in einem Hinterzimmer einen Kalender entdeckt, der aktuell den Juni 1985 anzeigt. Als er mit Chip und Mike im Lokal Verstecken spielt, kommt es zu einem verstorenden Zwischenfall: Der Strom fallt aus und plotzlich hort Oswald, wie im Lokal Panik ausbricht. Von seinem Versteck aus kann Oswald nur sehen, wie etwas mit gluhenden Augen an ihm vorbei schreitet und augenscheinlich nach ihm sucht. Er bleibt jedoch unentdeckt und als er in die Partyraume zuruckkehrt, sieht er, wie die Besucher schreiend um ihr Leben rennen. Die Animatronics auf der Buhne verhalten sich seltsam und aggressiv und Mike und Chip scheinen spurlos verschwunden zu sein. Als Oswald von einem Animatronic in einem beigefarbenen Hasenoutfit (Spring-Bonnie) verfolgt wird, springt er zuruck ins Kugelbad und kehrt in seine Zeit zuruck.
Er wird dort bereits von Jeff und seinem Vater erwartet. Als Jeff geht und sein Vater ihn einsammeln will und dem Kugelbad zu nahe kommt, springt plotzlich das Hasenwesen aus der Grube und zerrt Oswalds Vater in die Tiefe. Unter großen Anstrengungen kann Oswald ihn scheinbar wieder herausziehen. Doch der Junge muss entsetzt feststellen, dass das, was wie sein Vater aussieht, gar nicht sein Vater ist. Oswald hat das Bose in seine Welt geholt, das ihm nicht nur in Vaters Gestalt nach Hause folgt, sondern sich auch noch hauslich bei ihm einrichtet. Fur den armen Jungen beginnt nun ein wahrer Spießrutenlauf, wahrend er sich auf die Suche nach seinem wirklichen Vater macht.
= Spieleenden =
FNaF: Into the Pit bietet derzeit sechs Enden an, die jeweils durch eine bestimmte Anzahl an Sternen erspielt werden konnen.
Perfektes Ende (3 Sterne): Oswald schafft es, sich gegen Spring-Bonnie zu wehren und seinen Vater zu retten. Spring-Bonnie strauchelt, verheddert sich im Sicherheitsnetz des Kugelbads und wird stranguliert. Der Vater wacht auf, erinnert sich jedoch an nichts und so erfindet Oswald eine Notluge, die die bizarre Situation erklaren soll: Der Vater habe Oswald aus dem Kugelbad holen wollen, sei aber auf einer Kugel ausgerutscht und habe sich den Kopf angeschlagen. Vater und Sohn kehren nach Hause zuruck, Spring-Bonnie bleibt tot zuruck und Jeff eroffnet sein Lokal neu – mit sauberem Ambiente, leckerem Essen und vielen zufriedenen Kunden.
Gutes Ende (2 Sterne): Wie oben beschrieben, nur dass Jeff sein Lokal leider weiter so schmuddelig und marode belasst, wie es vor dem Abenteuer schon war.
Neutrales Ende 1 (1 Stern): Wie oben beschrieben, allerdings bleibt Spring-Bonnie am Leben. Als Vater und Sohn weg sind und Jeff das Kugelbad aufraumen will, erwacht Spring-Bonnie zum Leben und fallt uber Jeff her.
Neutrales Ende 2 (1 Stern): Oswald beschließt, das Lokal Freddy’s Pizza zu verlassen, um sich auf die Suche nach seinem Vater zu machen. Er scheint jedoch vergessen zu haben, dass er sich noch immer im Jahr 1985 befindet. Ob er seinen Vater je findet und es je wieder zuruck in seine Zeit schafft, bleibt offen.
Schlechtes Ende 1 (kein Stern): Oswald verliert den Kampf gegen Spring-Bonnie und wird bewusstlos. Als er wieder zu sich kommt, steht er auf der Showbuhne von Freddy’s Pizza. Die Animatronics winken ihm freundlich lachelnd zu. Wahrend Oswald Richtung Ausgang geht, stellt er fest, dass er immer langsamer wird und mehr und mehr Muhe hat, klare Gedanken zu fassen. Als er fast die Ausgangstur des Saals erreicht hat, erstarrt er. Seine Augen leuchten plotzlich giftblau auf – Oswald ist nun Spring-Bonnies Sklave, genau wie sein Vater, den er nicht retten konnte.
Schlechtes Ende 2 (kein Stern): Oswalds Vater wird von Spring-Bonnie uberwaltigt. Oswald wird zuruck in die Vergangenheit entfuhrt, von Spring-Bonnie gefesselt und in einem Hinterzimmer an einen Stuhl gebunden – genau wie sein Vater zuvor. Spring-Bonnie hat dem Jungen zur Demutigung einen Partyhut aufgesetzt. Oswalds weiteres Schicksal bleibt ungewiss, er durfte aber kein gutes Ende nehmen.
Charaktere = Protagonisten =
Oswald ist der Held der Geschichte, aus dessen Perspektive der Spieler das Abenteuer besteht. Oswald ist zehn Jahre alt, hat braune, nach hinten gestylte Haare und wirkt etwas blass. Er hat dicke Ringe unter den Augen und wirkt etwas pummelig. Oswald tragt Blue Jeans, ein rot-gelb quergestreiftes T-Shirt und daruber eine blaue Jeansjacke mit Kapuze. Seine Schuhe sind schwarzbraune Sneaker.
Oswalds Vater arbeitete fruher im Stahlwerk Westbrook, das aber vor drei Jahren bankrottging. Seitdem schlagt er sich mit einem Job im ortlichen Imbiss durch. Er ist hochgewachsen, wirkt muskulos und hat einen deutlichen Kugelbauch. Er hat braune, nach hinten gestylte Haare (ganz ahnlich wie Oswald) und einen kurzen, aber dichten Goatee. Er tragt ein marineblaues T-Shirt, eine marineblaue Hose mit schwarzem Schnallengurtel und schwarze Arbeitsschuhe.
Oswalds Mutter arbeitet als Nachtschwester im ortlichen Krankenhaus. Sie ist schlank, sportlich und hat huftlanges, strohblondes Haar, das sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat. Sie tragt meistens Schwesterntracht. Ihr entgeht vollig, dass mit ihrem Mann etwas nicht stimmt, und sie vermutet, dass ihr Sohn bloß ubermudet ist.
= Antagonisten =
Spring-Bonnie ist ein Animatronic in einem beigefarbenen Hasenkostum mit purpurner Fliege und giftblau leuchtenden Augen. Oswald uberrascht ihn in einem Raum mit mehreren Leichen und wird daraufhin von Spring-Bonnie unerbittlich verfolgt. Das Wesen entsendet einen bosartigen Doppelganger in Oswalds Zeit, der die Gestalt von Oswalds Vater annimmt und dessen Platz einnimmt.
Chica ist ein Animatronic in einem senfgelben Kuken-Kostum. Sie lasst sich leicht mit Essen ablenken (ein Running Gag der FNaF-Serie). Chica greift nicht direkt an, sondern ruft Spring-Bonnie herbei und verrat Oswalds Versteck.
Bonnie ist ein Animatronic in einem lavendelblauen Hasen-Kostum. Er entfuhrt Mike und fesselt diesen an einen Whack-a-Mole-Automaten. Bonnie versteckt sich gerne unter den Tischen, um Oswald auf dessen Flucht dort abzufangen.
Freddy Fazbear ist ein Animatronic in einem braunen Teddybar-Kostum und stoßt als Letzter zu Spring-Bonnies Team. Sobald er auftaucht, lasst er seinen beruhmten Toreador-Marsch ertonen. Freddy ist relativ langsam und deshalb leicht abzuhangen.
= Nebenfiguren =
Jeff ist der aktuelle Besitzer des Diners Jeff’s Pizza und nimmt seinen Job nicht wirklich ernst. Er lasst sein Lokal verkommen und kummert sich nur halbherzig um Oswalds Wohl. Er scheint außerdem intellektuell etwas unterbelichtet zu sein.
Mike und Chip sind zwei Schuler, die im Jahr 1985 leben und etwa im gleichen Alter wie Oswald sind. Sie sind nett zu Oswald und freunden sich mit ihm an. Wenig spater werden sie von den Animatronics entfuhrt und mussen von Oswald (respektive vom Spieler) gerettet werden.
Gabrielle, eine junge Mittelschulerin, ist neu in Westbrook und schenkt Oswald ein altes Notizbuch mit wertvollen Informationen zu den Animatronics, das ihrem verstorbenen Onkel gehort haben soll.
Phone Guy ruft wahrend Oswalds Abenteuer mehrfach Freddy’s Pizza an und plaudert munter drauflos, wobei er Oswald irrtumlich fur einen Mitarbeiter oder Nachtwachter halt. Witzigerweise ist sein Geschwatz mit jenem aus FNaF-1 fast identisch.
Technische Daten = Allgemeines =
FNaF: Into the Pit wurde von Scott Cawthon entworfen und von den Mega Cat Studios entwickelt. Es wurde am 7. August 2024 erstveroffentlicht und ist fur Windows PC, PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One und Nintendo Switch erhaltlich. Es kann nur im Einzelspielermodus gespielt werden. Die Grafik ist in 2D gehalten und an den Retrolook alterer RPG-Games angelehnt. Das Spiel ist kostenpflichtig und hat aufgrund der Grafiken eine Altersgrenze von 16 Jahren. FNaF: Into the Pit gehort den Genres Horror, Science-Fiction und Abenteuer an.
= Steuerung und Interaktionen =
Die Steuerung von Oswalds Charakter ist plattformabhangig. Auf dem PC dienen die Tasten „W“, „A“, „S“, „D“ und die Leertaste als Steuerung, bei den PlayStation-, Nintendo- und Xbox-Konsolen kommen Gamecontroller zum Einsatz.
Oswald kann schleichen, gehen und rennen. Er kann sich auch unter Tischen und in Schranken und Truhen verstecken, was aber nicht selten gefahrlich ist, denn auch Bonnie versteckt sich ja gerne unter den Tischen. Es gibt ein Gerauschebarometer, das den Spieler davor warnt, wenn Oswald zu laut ist – Larm lockt die Animatronics herbei. Objekte und Personen, mit denen Oswald interagieren kann, werden durch weiße Symbolschilder in Form einer Lupe („untersuchen“), einer Figur, die sich duckt („verstecken“), oder einer winkenden Hand („nehmen/geben“) hervorgehoben. In einem Item-Menu kann sich der Spieler uber Zweck und Wert von gesammelten Objekten informieren.
= Sprachen =
FNaF: Into the Pit ist erhaltlich in den Sprachen Englisch, Deutsch, Franzosisch, Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Polnisch, Russisch, Turkisch, Japanisch, Koreanisch und Chinesisch (vereinfacht).
= Spielekritiken =
FNaF: Into the Pit wurde und wird recht positiv bewertet. Auf der Internetplattform Metacritic erhielt das Spiel eine Bewertung von 87/100, auf der Plattform Game Rant werden Grafik, Effekte und Storydesign gelobt. Die Kritikerwebseite ComicBook hebt positiv hervor, dass das Spiel sich fast wortgetreu an die Romanvorlage halt.
= Trivia =
Oswalds Eltern bleiben sowohl in der Romanvorlage als auch im Spiel namenlos.
In welchem Jahr Oswald lebt, wird nicht verraten. Es muss aber im 21. Jahrhundert spielen, denn Oswald besitzt ein Smartphone, ferner gibt es Internet und WLAN.
Der sonst im FNaF-Franchise durchgangig auftauchende, beliebte Charakter „Foxy“ hat in diesem Spiel keinen Auftritt. Seine Showbuhne, die „Pirate Cove“, kann zwar aufgesucht werden, ist aber „außer Betrieb“ und deshalb „geschlossen“.
Die Tanzbewegungen der Animatronics der Freddy-Fazbear-Band sind ein bisschen zu fortschrittlich fur das Jahr 1985.
Quellen Scott Cawthon, Elley Coper: Five Nights at Freddy's: Fazbear Frights 1 – In die Grube. Panini-Verlag, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-7367-9894-6. (Roman-Vorlage zum Spiel)
FNaF: Into the Pit auf Steam (englisch)
Web-Prasenz der Mega Cat Studios (englisch)
8-Bit-Ryans Let's Play von FNaF: Into the Pit auf YouTube (englisch)
Einzelnachweise
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Five Nights at Freddy’s: Into the Pit (deutsch etwa: „Funf Nachte bei Freddy’s: In die Grube“), auch mit FNaF: Into the Pit abgekurzt, ist das neueste offizielle Five-Nights-at-Freddy’s-Computerspiel von Scott Cawthon. Es wurde am 7. August 2024 veroffentlicht und ist die spieletechnische Umsetzung des Kapitels Ab in die Grube! des Romans Five Nights at Freddy’s: Fazbear Frights 1 – In die Grube. Das Spiel gehort zwar – wie die Romanvorlage – zur Hauptreihe, erzahlt aber eine kanon-unabhangige Parallelgeschichte.
Protagonist des Spiels ist der zehnjahrige Mittelschuler Oswald, der von seinem Vater in dem heruntergekommenen Lokal Jeff’s Pizza abgesetzt wird und dort ein schmuddeliges Kugelbad entdeckt. Als er hineinspringt, reist er in der Zeit zuruck und bringt aus der dortigen Epoche das Bose mit in seine Welt. Sein Vater wird in die Vergangenheit entfuhrt und Oswald setzt alles daran, ihn zu retten.
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c-885
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Josephine Nambooze ( * 1930 in Nsambya, Uganda) ist eine ugandische Medizinerin und Hochschullehrerin. Sie ist emeritierte Professorin fur offentliche Gesundheit an der Makerere University School of Public Health, einer Fakultat der Makerere-Universitat in Kampala. Sie war die erste Frau aus Ost- und Zentralafrika, die sich 1959 als Arztin qualifizierte, und die erste Professorin Afrikas.
Leben und Werk Nambooze ist eines von dreizehn Kindern des Lehrers Joseph Lule und von Maria Magadalena Lule. Sie besuchte die St. Joseph’s Primary School in Nsambya und von 1945 bis 1950 das Mount Saint Mary’s College in Namagunga, eine reine Madchensekundarschule mit Internat. Da es an der Schule zu dieser Zeit keinen naturwissenschaftlichen Unterricht gab, besuchte sie ihre naturwissenschaftlichen Facher am Namilyango College, das eigentlich eine Internatsschule nur fur Jungen ist. Sie war die erste und einzige Frau, die 1951 an der Fakultat fur Naturwissenschaften des Makerere University College der University of London aufgenommen wurde, und musste wahrend ihrer klinischen Jahre im Schwesternwohnheim wohnen. Nach ihrem Abschluss wurde uber sie sowohl lokal als auch international in den Medien berichtet.
1959 schloss sie mit einem Lizentiat in Medizin und Chirurgie ab und wurde die erste Arztin Ostafrikas. Absolventen mit dem Licentiate waren berechtigt, in Großbritannien und in allen Landern des britischen Commonwealth als Arzte zu praktizieren. Nachdem das Makerere University College ein Teil der University of East Africa geworden war, erhielt sie den Bachelor of Medicine und den Bachelor of Surgery.
Die Abschlussfeier am 20. Februar 1959 wurde von der Koniginmutter Elizabeth Bowes-Lyon geleitet, die Kanzlerin der Universitat von London war, zu der das Makerere College gehorte. Das Foto, auf dem Nambooze der Koniginmutter am Abschlusstag die Hand schuttelte, wurde am 24. Februar 1959 in der Londoner Zeitung The Times veroffentlicht.
Nambooze ging dann fur weitere Studien nach Großbritannien und spater in die USA. Nach Abschluss ihres Aufbaustudiums kehrte Nambooze 1962 nach Uganda zuruck und wurde Dozentin an der Makerere Medical School. Gleichzeitig leitete sie das Kasangati Teaching Health Centre, wo sie die erste medizinische Beamtin war. Nach zwei Jahren wurde sie Dozentin, spater außerordentliche Professorin und war von 1978 bis 1988 ordentliche Professorin. 2010 gehorte sie zu den 10 herausragendsten Professorinnen, die von der Makerere-Universitat ausgezeichnet wurden.
Sie war 2019 die erste WHO-Vertreterin in Botswana und Direktorin fur die Unterstutzung der Entwicklung von Gesundheitsdiensten in den regionalen WHO-Buros in Brazzaville, Republik Kongo.
Sie ist Mitglied der National Certification for Polio Eradication in Uganda.
Auszeichnungen 2010: Gender Equality Award, Makerere-Universitat
2011: Auszeichnung von der ugandischen Regierung und Ehrung wahrend der Feierlichkeiten zum Internationalen Tag der Arbeit
2019: Auszeichnung von der Makerere University School of Public Health fur ihren Beitrag zur Forderung der Ausbildung im Bereich offentliche Gesundheit
Weblinks Researchgate-Profil
Einzelnachweise
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Josephine Nambooze ( * 1930 in Nsambya, Uganda) ist eine ugandische Medizinerin und Hochschullehrerin. Sie ist emeritierte Professorin fur offentliche Gesundheit an der Makerere University School of Public Health, einer Fakultat der Makerere-Universitat in Kampala. Sie war die erste Frau aus Ost- und Zentralafrika, die sich 1959 als Arztin qualifizierte, und die erste Professorin Afrikas.
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c-886
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Das Grubenungluck von Gresford (englisch Gresford disaster) ereignete sich am 22. September 1934 in einem Kohlebergwerk in Gresford im Wrexham County Borough. Das Grubenungluck gilt als eines der schlimmsten in der britischen Bergbaugeschichte. Es kamen 261 Bergarbeiter ums Leben; nur sechs uberlebten. Gresford ist ein Dorf im Norden von Wales in unmittelbarer Nahe der Stadt Wrexham.
Der Tag des Unglucks Am Samstag, dem 22. September, sollte ein Fußballspiel zwischen dem Wrexham AFC und den Tranmere Rovers stattfinden. Um das Spiel sehen zu konnen und dafur frei zu haben, meldeten sich viele Bergleute fur die Nachtschicht am Freitagabend an. Gegen 2 Uhr nachts gab es in der Grube eine Schlagwetterexplosion in der Nahe des Dennis genannten Schachtes und in der Folge einen Grubenbrand. Die Arbeiter in unmittelbarer Nahe der Explosion waren sofort tot, die anderen starben an Kohlenmonoxidvergiftung.
Folgeereignisse und Untersuchung Am folgenden Morgen fuhren Bergungsteams in das Bergwerk ein und bargen sieben Tote. Drei Helfer starben an Kohlenmonoxidvergiftung. Drei Tage spater wurde uber Tage eine weitere Person von herumfliegenden Trummern getotet, als eine weitere Schlagwetterexplosion die Abdeckung des versiegelten Schachts beschadigte. Noch Wochen spater bekamen die Angehorigen der Bergleute keine Informationen uber deren Verbleib. Von Marz bis Mai 1935 drang ein Bergungsteam bis zum Gebiet des Dennis-Schachts vor, ein Vorstoß bis zu den Opfern der Katastrophe unterblieb wegen Sicherheitsbedenken. Im Sommer 1935 kamen Plane auf, den Kohleabbau in der Mine wieder aufzunehmen. Das fuhrte zu einer von 319 Burgern unterzeichneten Petition, zunachst alle Leichen zu bergen.
Die Lohne der Getoteten wurden den Angehorigen nur bis zum Zeitpunkt der Explosion gezahlt, was der halben Schicht entsprach. Es gab keine Abfindungen. Mehr als 1000 Bergleute mussten sich als arbeitslos registrieren. Uber 580.000 Pfund an Spenden flossen in einen Unterstutzungsfonds. Das gesammelte Geld wurde „fur Manner und Frauen der unteren Klassen als zu hoch angesehen“. Im Januar 1937 veroffentlichte der mit der Aufklarung der Unglucksumstande beauftragte Bergwerksinspekteur Sir Henry Walker seinen Bericht. Dieser war so vage formuliert, dass sich die Bergarbeiterfamilien betrogen fuhlten und unterstellten, dass der vermeintlich Unabhangige auf der Seite der Grubenunternehmer stand. Im November 1938 schloss die Gerichtsmedizin nach der Untersuchung von getoteten Bergarbeitern den Fall mit der Feststellung, dass die Ursache der Explosion nicht festgestellt werden konnte.
Die Gresford Colliery Die Kohlengrube Gresford Colliery mit zwei Schachten mit einer Teufe von rund 690 Metern nahm 1911 ihren Betrieb auf. Betreiber war die Westminster and United Collieries Group. Der Dennis-Schacht war nach der Ehefrau des Unternehmensleiters und Miteigentumers Henry Dyke Dennis benannt.
Ungeachtet der noch laufenden Untersuchung wurde das Bergwerk im Januar 1936 wieder in Betrieb genommen. Der Schacht Dennis mit den Leichen der Bergleute blieb versiegelt. Das Bergwerk schloss 1973.
Gedenken In der All Saints’ Church in Gresford erinnern ein Gedenkbuch und ein Gemalde an die Katastrophe und ihre Opfer. Im Jahr 1982 errichtete die Gemeinde ein Denkmal, das aus der Seilscheibe des Forderturms besteht, mit dem die verungluckten Bergleute in ihren Schacht gefahren waren. Eingeweiht wurde es von Prinz Charles und Prinzessin Diana. Es erinnert an 266 Opfer, da am 14. Oktober 1934 noch der 22-jahrige Frederick Strange im Krankenhaus starb. Die Zeitung schrieb, sein Tod sei „durch den Schock beschleunigt worden, als er die Nachricht vom Tod seines Bruders erhielt“, der bei der Katastrophe ums Leben gekommen war.
Weblinks Foto der Bergwerksanlage
Linkliste mit zeitgenossischen Zeitungsberichten
Private Website zum Denkmal
Einzelnachweise
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Das Grubenungluck von Gresford (englisch Gresford disaster) ereignete sich am 22. September 1934 in einem Kohlebergwerk in Gresford im Wrexham County Borough. Das Grubenungluck gilt als eines der schlimmsten in der britischen Bergbaugeschichte. Es kamen 261 Bergarbeiter ums Leben; nur sechs uberlebten. Gresford ist ein Dorf im Norden von Wales in unmittelbarer Nahe der Stadt Wrexham.
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c-887
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Das Leprosorium von Saint-Bernard (franzosisch Leproserie de Saint-Bernard) ist ein denkmalgeschutztes historisches Leprosorium auf der im Indischen Ozean gelegenen franzosischen Insel Reunion.
Lage Das Leprosorium befindet sich im zur Stadt Saint-Denis gehorenden Ortsteil Saint-Bernard an der Adresse 164, chemin du Pere-Raimbault.
Geschichte Die ersten Falle von Lepra traten auf Reunion im Jahr 1726 auf. Erst 1840 wurde jedoch seitens einer Kommission die Einrichtung einer Leprastation an einem entlegenen Ort vorgeschlagen. 1850 hauften sich die Beschwerden uber die Zustande und Sorgen uber die Verbreitung der Krankheit. Im Jahr 1852 wurden 107 Leprakranke auf Reunion gezahlt. Am 25. Februar 1852 entschied der Gouverneur Louis Isaac Hilaire Doret per Erlass die Einrichtung einer Leprastation an der Mundung der Ravine a Jacques, nordwestlich unterhalb des Dorfes Saint-Bernard. Bei einem Besuch des Amtsnachfolgers Hubert De Lisle am 21. September 1853 in der Leprastation stellte sich die humanitare Situation in der Station jedoch als katastrophal dar. Es erfolgte eine Verlegung nach Saint-Denis, die aber aufgrund des so engeren Kontakts zur gesunden Bevolkerung als ungeeignet betrachtet wurde.
Das Ehepaar Jacquin schenkte der Kolonie im Jahr 1854 ein Grundstuck in Saint-Bernard, damit dort eine neue Einrichtung gebaut werden konnte. Der Neubau wurde laut Fondation Clement 1855 fertiggestellt. Andere Quellen geben einen fruhen Brand und eine Neuerrichtung im Jahr 1856 an.
Betrieben wurde die Einrichtung durch Ordensschwestern, die unregelmaßig von Arzten unterstutzt wurden. 1935 ubernahm der Pater Clement Raimbault, der zuvor auf Madagaskar tatig gewesen war, die Station. Er soll sich insgesamt um etwa 5000 Menschen, darunter 1200 Leprakranke, gekummert haben, die von weither die Einrichtung aufsuchten.
In den 1940er Jahren kam es mehrfach zu Schaden durch Zyklone. 1948 wurde die Anlage durch einen Zyklon schwer beschadigt, bei dem mehrere Ordensschwestern umkamen und auch Pater Raimbault verletzt wurde. Er starb 1949 und wurde in einem Mausoleum auf dem Gelande beigesetzt. Im Rahmen der Instandsetzungsarbeiten wurde die Eindeckung der Gebaude mit Schindeln durch Blechdacher ersetzt.
1981 lebten noch funf Leprakranke im Leprosorium, das dann jedoch 1982 geschlossen wurde. Es war das letzte Leprosorium Frankreichs. Die letzten Leprakranken wurden in ihren Wohnungen behandelt. Die Stadt Saint-Denis erwarb die Anlage 1986 vom Departement Reunion und nutzte es zu einem Dienstleistungszentrum um. Neben Geschaften befinden sich im Objekt ein Restaurant und mehrere Arztpraxen.
Seit dem 17. Dezember 2015 ist das Leprosorium als Monument Historique ausgewiesen. Auf Schautafeln wird an Ort und Stelle uber die Geschichte des Anwesens informiert.
Architektur Die Anlage umfasst vier Flugel in massiver Bauweise, die sich um einen 450 m² großen Innenhof gruppieren. Die Fassade ist im Stil des Klassizismus gestaltet. Der Eingang zum Komplex wurde in der Mitte auf der Westseite angelegt. Er kann durch ein holzernes Tor verschlossen werden. Direkt gegenuber dem Eingang befindet sich am Ostflugel ein Giebel, der von einem kleinen Glockenturm bekront wird. Zur Anlage gehorte auch eine holzerne Kapelle, die außerhalb des Komplexes angelegt, jedoch zur ausschließlichen Nutzung durch die Leprakranken vorgesehen war. Außerdem bestand ein Gefangnis mit vier Zellen fur verurteilte oder ungehorsame Leprakranke. Der Friedhof der Kolonie lag ursprunglich im Innenhof, er wurde jedoch vermutlich Ende des 19. Jahrhunderts an seinen heutigen Standort nordwestlich der Anlage verlegt.
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde eine neue Kapelle, diesmal im Gebaudekomplex selbst, errichtet.
Literatur Florian Fritz, 33 + 1x La Reunion, BoD – Books on Demand, Norderstedt 2021, ISBN 978-3-7526-0248-7, Seite 14 f.
Le Patrimoine de La Reunion. Herausgeber Fondation Clement, Editions Herve Chopin, Bordeaux 2023, ISBN 978-2-35720-352-5, Seite 367.
Weblinks Leprosorium von Saint-Bernard in der Base Merimee des franzosischen Kulturministeriums (franzosisch)
Einzelnachweise
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Das Leprosorium von Saint-Bernard (franzosisch Leproserie de Saint-Bernard) ist ein denkmalgeschutztes historisches Leprosorium auf der im Indischen Ozean gelegenen franzosischen Insel Reunion.
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c-888
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Das Nordkarelien-Projekt war weltweit das erste Public-Health-Projekt zur Senkung der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es wurde erstmals von 1972 bis 1977 in Nordkarelien und aufgrund des Erfolgs von 1977 bis 1997 in ganz Finnland durchgefuhrt. Es befasste sich mit den drei Risikofaktoren (Rauchen, hohe Serumcholesterinwerte und hoher Blutdruck), die in der British Doctors Study, der Framingham-Herz-Studie und der Sieben-Lander-Studie identifiziert worden waren.
Zwischen 1972 und 2012 sank die Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Mannern im erwerbsfahigen Alter um 82 % und bei Frauen im erwerbsfahigen Alter um 84 %. Die Lebenserwartung der gesamten Bevolkerung stieg um 7 Jahre. Zwei Drittel des Mortalitatsruckgangs sind auf die Auswirkungen des Nordkarelien-Projekts zuruckzufuhren.
Das Projekt Nordkarelien, eine Provinz in Finnland, hatte damals laut der Sieben-Lander-Studie die hochste Rate an Herz-Kreislauf-Erkrankungen weltweit und eine besonders niedrige Lebenserwartung der Bevolkerung. Dies war erstaunlich, da die Mehrheit der Bevolkerung schwere Arbeit im Forst oder auf dem Bauernhof verrichtete und von hoher korperlicher Aktivitat hatte profitieren sollen. Das Problem loste offentlichen Druck auf die Behorden aus, Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit und Lebenserwartung in der Region zu ergreifen.
Die staatliche Gesundheitsbehorde wollte das Problem zunachst durch Ausbau des Krankenhausnetzes und der Arztleistungen angehen. Arzte wie Pekka Puska sahen jedoch, dass die damalige Lebensweise der Nordkarelier die Risikofaktoren stark begunstigten. Sie pladierten dafur, den Schwerpunkt auf Krankheitspravention zu setzen, statt erst im Nachhinein Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu behandeln. Von 1972 bis 1977 wurde das Nordkarelien-Projekt gestartet, an dem finnische Gesundheitsbehorden, Arztevereinigungen, die Finnish Heart Association, das Zentralkrankenhaus fur Nordkarelien und die Martha-Organisation beteiligt waren. Der Initiator war Martti J. Karvonen, ein Experte fur Herz-Kreislauf-Gesundheit und Leiter des finnischen Zweigs der Sieben-Lander-Studie, Co-Leiter war Pekka Puska. Das Nordkarelien-Projekt war weltweit das erste Public-Health-Projekt zur Pravention der Mortalitat aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Große epidemiologische Studien wie die British Doctors Study, die Framingham-Herz-Studie und die Sieben-Lander-Studie hatten als Risikofaktoren insbesondere Tabakrauchen, einen hohen Serumcholesterinspiegel und hohen Bluthochdruck identifiziert. Das Ziel des Nordkarelien-Projekts bestand also darin, diese drei Risikofaktoren fur Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch Verhaltensanderungen zu senken. Hierzu wurden den Menschen durch die beteiligten Organisationen und Arzte Empfehlungen zur Anderung des Lebensstils und der Ernahrung gegeben. Die damaligen Ernahrungsgewohnheiten der Bevolkerung fuhrten zu einer hohen Aufnahme von gesattigten Fettsauren, sehr wenig mehrfach ungesattigten Fettsauren, wenig Gemuse und viel Salz. Dies wurde als Hauptgrund fur die hohen Cholesterin- und Blutdruckwerte angesehen. Die Kerninterventionen waren Ratschlage zum Ersatz gesattigter Fette (hauptsachlich Butter) durch ungesattigte Fette (hauptsachlich Rapsol), zu hoherem Gemusekonsum, weniger Salz und weniger Tabakkonsum.
Eine systematische bevolkerungsbasierte Risikofaktorenuberwachung wurde alle 5 Jahre durch entsprechende Erhebungen durchgefuhrt und veroffentlicht. Gemaß den Erhebungen wurde die Aufnahme gesattigter Fette uber die Nahrung von 20 % der Gesamtenergiezufuhr im Jahr 1972 auf 12 % im Jahr 2007 reduziert. Von 2007 bis 2012 erhohte sich der Anteil wieder auf 14 % der Gesamtenergiezufuhr. Der durchschnittliche Serumcholesterinspiegel wurde um 20 % gesenkt.
Wegen des großen Erfolges diente das Projekt ab 1977 als Demonstration fur ganz Finnland. Uber das Projekt und die Inhalte wurde in landesweiten Medien berichtet und es gab von 1978 bis 1991 ein Telekolleg im landesweiten Fernsehen.
Ergebnisse Die Mortalitat aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen von Mannern im erwerbsfahigen Alter (zwischen 35 und 64 Jahren) konnte um mehr als 80 % gesenkt werden (von 690 pro 100.000 jahrlich auf 100 pro 100.000 jahrlich). Die Lebenserwartung der gesamten Bevolkerung stieg um 7 Jahre und Umfragen ergaben eine Verbesserung des subjektiven Gesundheitsempfindens.
Etwa zwei Drittel des zwischen 1972 und 2012 beobachteten Ruckgangs der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren auf Veranderungen der drei Risikofaktoren zuruckzufuhren, mit denen sich das Projekt befasste. Bei Mannern war der Ruckgang der Sterblichkeit großtenteils auf die Senkung des Serumcholesterinspiegels zuruckzufuhren, wahrend bei Frauen die Senkung des Serumcholesterinspiegels und des systolischen Blutdrucks gleichermaßen zum Ruckgang der Sterblichkeit beitrug.
Ein Drittel der Sterblichkeitsreduktion kann nur durch andere Faktoren wie Ernahrung und korperliche Aktivitat, Verbesserung der Sekundarpravention und medizinische Fortschritte erklart werden. Beispielsweise wurden in den 1980er Jahren neue Richtlinien zur Sekundarpravention eingefuhrt, die eine aktive medikamentose Behandlung (Aspirin, Betablocker, Angiotensin-Converting-Enzym-Hemmer und spater auch Statine) umfassten.
Spater wurden noch andere Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Ubergewicht und erhohter Blutzucker (der zu Diabetes mellitus fuhrt) identifiziert. Diese wurden seinerzeit im Projekt nicht adressiert und beobachtet. Bewegungsmangel war in den 1970er Jahren in Nordkarelien selten, wurde aber spater zu einem großen Problem. Der mittlere Body-Mass-Index stieg im Laufe der Jahrzehnte etwas an, dies durfte aber die Ergebnisse nicht wesentlich beeinflusst haben, da die Auswirkung von Ubergewicht auf das Herz-Kreislauf Risiko weitgehend durch die Auswirkung auf den Blutdruck vermittelt wird und der Blutdruck vom Nordkarelien-Projekt adressiert wurde.
Weblinks Eine Gesundheitskampagne in Finnland. Online-Coach Bluthochdruck der AOK
Adelheid Muller-Lissner: Weniger Salz in der Suppe. Wie die Finnen ihre Ernahrung umstellten – und damit die Lebenserwartung erhohten. In: Tagesspiegel, 24. November 2006.
Einzelnachweise
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Das Nordkarelien-Projekt war weltweit das erste Public-Health-Projekt zur Senkung der Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es wurde erstmals von 1972 bis 1977 in Nordkarelien und aufgrund des Erfolgs von 1977 bis 1997 in ganz Finnland durchgefuhrt. Es befasste sich mit den drei Risikofaktoren (Rauchen, hohe Serumcholesterinwerte und hoher Blutdruck), die in der British Doctors Study, der Framingham-Herz-Studie und der Sieben-Lander-Studie identifiziert worden waren.
Zwischen 1972 und 2012 sank die Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Mannern im erwerbsfahigen Alter um 82 % und bei Frauen im erwerbsfahigen Alter um 84 %. Die Lebenserwartung der gesamten Bevolkerung stieg um 7 Jahre. Zwei Drittel des Mortalitatsruckgangs sind auf die Auswirkungen des Nordkarelien-Projekts zuruckzufuhren.
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c-889
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Die Viereckschanze Fellbach-Schmiden war eine spatkeltische Kultstatte, die um 123 v. Chr. errichtet wurde und ca. 80 Jahre lang bestand. Die Viereckschanze lag im heutigen Baden-Wurttemberg, genauer im Rems-Murr-Kreis zwischen Stuttgart-Neugereut und Fellbach-Schmiden. In einem Brunnenschacht der Anlage wurden drei kunstlerisch hochwertige Holzfiguren gefunden, welche die spatkeltische Holzschnitzkunst in einem neuen Licht erscheinen lassen.
Lage Die Uberreste der Viereckschanze befinden sich in Fellbach-Schmiden, am Rande des Schmidener Feldes im Gewann „Langen“ nordlich der Tournonstraße und ostlich der Verlangerung des Nurmiweges (Schlusselacker). Das Areal der Schanze, das heute mit Buschen und Baumen bewachsen ist, wird direkt ostlich von einem Feldweg begrenzt und nordlich schließen sich Felder an. Die Anlage war nordnordwestlich/sudsudostlich ausgerichtet. Die nordwestliche Ecke der Anlage war durch den Betrieb einer Lehmgrube zerstort.
Beschreibung Die Viereckschanze aus dem Spatlatene (La Tene D) wurde an einem topographisch markanten Punkt angelegt und diente kultischen Zwecken. Sie war vollstandig durch landwirtschaftliche Aktivitaten abgetragen worden und wurde durch Zufall wiederentdeckt. Die Anlage wurde ab 1977 in sieben Grabungskampagnen vom Landesdenkmalamt Baden-Wurttemberg systematisch untersucht. Die Viereckschanze hatte moglicherweise eine fast quadratische Form und war von einem Spitzgraben umgeben, dessen Seitenlange von Grabenmitte zu Grabenmitte etwa 104 m betrug. Die Abmessungen der Anlage ließen sich jedoch nur im Norden relativ sicher festlegen. Die Westseite hatte eine Ausdehnung von mindestens 112 m, die Ostseite von uber 88 m, wahrend die Lage der Sudseite unbekannt blieb (Flacheninhalt mindestens 1 ha).
Der Graben hatte je nach Lage unterschiedliche Breiten und Tiefen. So war er an der Nordseite mindestens 4,3 m breit und 1,6 m tief, wahrend an der Ostseite seine Breite zwischen 3,4 m und 4,3 m schwankte, bei einer Tiefe von etwa 1,7 m. Die Grabenverschuttung ist dreigeteilt und gibt die Chronologie der Schanze wieder:
Die tiefsten Schichten, sogenannte Einschwemmschichten, entstanden wahrend der langeren Benutzung der Anlage.
Die mittlere Zone zeichnet sich durch humosen Boden mit einer Vielzahl an eingelagerten Tierknochen, Keramiken, Steinen und angeziegeltem Lehm aus.
Die oberste und jungste Planierungszone besteht nur aus dunkelbraunem, humosen Lehmboden, der vereinzelt mit Tierknochen, Holzkohle, Keramik und Steinen durchsetzt ist. Okkasionell bzw. gelegentlich finden sich hier ebenfalls angeziegelter Lehm und Schlacken.
Innerhalb des Grabens konnten weder ein Wall noch eine holzerne Umhegung nachgewiesen werden. Ebenso fehlen Spuren von Pfosten oder Gruben eines Holzgebaudes innerhalb der Anlage. Wegen der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung und der damit verbundenen Folgen wie Abtrag und Erosion sind alle moglichen Befunde langst zerstort.
Etwa 15 m sudlich des nordlichen Grabens und 30 m ostlich des westlichen Grabens wurde ein etwa 20 m tiefer Schacht mit einem Durchmesser von 2 m aufgedeckt, der in seiner gesamten Tiefe erforscht wurde, wobei die Untersuchung bis in eine Tiefe von etwa 15 m im Tagebau durchgefuhrt werden konnte. Der Schacht war ursprunglich mit Holz verschalt und uber eine holzerne Sprossenleiter begehbar. Die Verfullung bestand aus humosem Boden, der mit Holzkohle und Kulturschutt durchsetzt war und der typische Setzungserscheinungen aufwies (Trichterform der Verfullungsschichten). Ab einer Tiefe von 4,9 m weist die Verfullungsstruktur auf systematische Einfullung des Schachtes mittels Schaufeln und Korben hin. An der Sohle des Schachtes lagen teilweise angebrannte Holzer und zum Teil verziegelter Huttenlehm und Siedlungsmaterial. Das Eichenholz der viereckigen Verschalung zeigte keine Brandspuren. Es wird darum angenommen, dass die Anlage nach einer Zerstorung bewusst aufgegeben worden war, woraufhin der Schacht vorsatzlich verfullt wurde. Botanische Untersuchungen belegen Stallmist als Bestandteil der Verfullung, was darauf hindeutet, dass der Brunnen nicht nur absichtlich unbrauchbar gemacht wurde, sondern regelrecht vergiftet worden war. Der Schacht war wahrscheinlich ein Brunnenschacht, der zur Wasserversorgung der Anlage diente. Indizien hierfur sind ein im Schachtgrund gefundener Holzeimer, der wohl zum Wasserheben verwendet wurde, sowie die Sprossenleiter, uber die der Brunnenschacht fur Reinigungsarbeiten zuganglich war. Die dendrologische Datierung der Verschalungsholzer ergab eine Fallzeit der Baume von Mai bis Juni des Jahres 123 v. Chr. Dieses Jahr gilt als Baujahr der Anlage. Aufgegeben wurde die Anlage wahrscheinlich schon vor der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr.
Bedeutende Funde Auf der Sohle des Brunnenschachtes wurden zwischen Bauholzern drei aus Eichenholz geschnitzte Figuren geborgen, die mit hohem kunstlerischem und handwerklichem Geschick gefertigt worden waren und (Stand 1985) als einmalige keltische Holzkunstwerke gelten. Alle drei Figuren gehorten zu einem von beiden Seiten zu betrachtenden Fries. Zwei Figuren stellen Steinbocke oder Ziegenbocke dar und eine Figur einen sich aufbaumenden Hirsch. Diese etwa 80 cm hohen Figuren waren einst Teil eines großeren spatkeltischen Kultbildes. „Die Figuren vereinen keltische und naturalistisch hellenistische Stilelemente zu einem Kunstwerk von geradezu moderner Asthetik.“
Die menschlichen Hande an den Ziegenfiguren legen nahe, dass eine menschliche Gestalt sich zwischen den beiden spiegelbildlich aufgestellten Tierfiguren befunden haben muss. Dieses ursprunglich aus dem Vorderen Orient stammende Motiv hatten die fruhen Kelten bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. aus dem Mittelmeerraum ubernommen und variiert. Die Hirschfigur muss im religiosen Zusammenhang gesehen werden. Der Hirsch galt als heiliges Tier und steht moglicherweise in Verbindung mit dem aus galloromischer Zeit uberlieferten Gott Cernunnos, auch wenn dessen kultische Bedeutung fur die Kelten noch nicht eindeutig geklart ist.
Rontgen-3D-computertomografische Untersuchungen der drei Figuren zeigten, dass sie offenbar aus derselben Eiche gearbeitet waren. Diese wurde 127 v. Chr. gefallt, mit einer Unsicherheit von zehn Jahren. Ihr Stamm hatte einen Durchmesser von mindestens einem Meter. Dem Muster der Jahresringe zufolge stand sie in einem dichten Eichenwald in Baden-Wurttemberg und war uber 250 Jahre alt, als sie gefallt wurde.
Die drei Figuren sind vollig atypisch im Vergleich zu den vorher bekannten keltischen Holzbildwerken aus Frankreich oder der Schweiz, die eher grobe und stark stilisierte Arbeiten waren, die in der antiken Literatur als plump, mit der Axt aus einem unbearbeiteten Baum gehauen, beschrieben wurden. Die in Schmiden gefundenen Figuren widersprechen vollig dieser Vorstellung. Auch wenn die religiosen Zusammenhange der Figuren noch unklar sind, sind sie hervorragende Beispiele spatkeltischer Holzplastik, deren kunstlerische Qualitat vor dem Fund unbekannt war.
Botanische Auswertung Am Boden des Brunnenschachtes fanden sich Fragmente von Getreidesamenschalen sowie wenige Spelzeteile von Dinkel, Emmer und Rispenhirse, die auf Uberreste von geschrotetem oder grob gemahlenem Getreide hindeuten. An Waldobst konnten Samen von Schwarzem Holunder, Schlehdorn und Echter Katzenminze nachgewiesen werden. In Huhnerkot wurden Splitter von Zwergholunderkernen gefunden, die in den Magen der Tiere zerrieben wurden. In Schafkot wurden Pollen von Grasern (Anteil 50 %), Spitzwegerich und der Wiesen-Flockenblume gefunden, aber auch von Unkrautern der Bereiche Acker, Brache und Siedlung. Pollen von Sauergrasgewachsen (Cyperaceae) und Echtem Madesuß (Filipendula ulmaria) belegen, dass die Schafe auch Feuchtgebiete aufsuchten. In den Resten des gefundenen Stallmists wurden auch Pollen von Pflanzen aus Flachmoorgebieten (z. B. Sumpf-Haarstrang) und Flachwassergebieten von Bachen (z. B. Sumpf-Rispengras) nachgewiesen. Diese Analysen fuhren zu dem Schluss, dass in der Umgebung der Viereckschanze folgende Vegetationsbereiche landwirtschaftlich genutzt wurden: Grunland (Magerwiesen), Ackerland und Ackerlandbrachen, Waldrander und Waldlichtungen. Weideflachen existierten ebenfalls in den Feuchtgebieten und an den Bachufern.
Die in den unteren Verfullschichten des Brunnenschachtes liegenden Holzer waren gut erhalten, da sie unterhalb des standigen Wasserspiegels lagen, der bei einer Tiefe von etwa 15 m anstand. Aus Eichenholz bestanden die Dauben des Eimers, ein Holzschwert, die Leitersprossen sowie Pflocke, Holznagel, Keile, Brettchen und Latten. Weiter wurden bearbeitete Teile aus Tannenholz sowie Ulmen- und Buchenholz nachgewiesen. Bei dem unbearbeiteten Holz herrschte Eiche vor (57 %), gefolgt von Ahorn (21 %), Hainbuche (9 %) und Kirsche (3 %). Wahrscheinlich gab es in der Umgebung der Viereckschanze, neben den landwirtschaftlich genutzten Flachen, lichte Eichenwalder mit Ahorn, Hainbuchen, Kirschen- und Kernobstbaumen (Apfel und Birnen).
Weblinks Bild der Ziegenbockfiguren aus dem Brunnenschacht
Bild der Hirschfigur aus dem Brunnenschacht
Literatur Gunther Wieland: Die keltischen Viereckschanzen von Fellbach-Schmiden (Rems-Murr-Kreis) und Ehningen (Kreis Boblingen). Herausgegeben vom Landesamt fur Denkmalpflege im Regierungsprasidium Stuttgart. Theiss Verlag, Stuttgart 1999, ISBN 978-3-8062-1481-9.
Anmerkung Einzelnachweise
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Die Viereckschanze Fellbach-Schmiden war eine spatkeltische Kultstatte, die um 123 v. Chr. errichtet wurde und ca. 80 Jahre lang bestand. Die Viereckschanze lag im heutigen Baden-Wurttemberg, genauer im Rems-Murr-Kreis zwischen Stuttgart-Neugereut und Fellbach-Schmiden. In einem Brunnenschacht der Anlage wurden drei kunstlerisch hochwertige Holzfiguren gefunden, welche die spatkeltische Holzschnitzkunst in einem neuen Licht erscheinen lassen.
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c-890
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Antony Emilie Marie Noghes (* 13. September 1890 in Monaco-Ville; † 2. August 1978 in Monte Carlo) war ein monegassischer Unternehmer, Politiker und Motorsportfunktionar. Noghes gilt als Initiator der Rallye Monte Carlo und des Großen Preises von Monaco.
Biografische Angaben = Herkunft =
Antony Noghes wurde 1890 in Monaco geboren. Sein Vater war Alexandre Auguste Noghes (1865–1944), seine Mutter Felicie Virginie Bathilde Noghes, geb. Reinier (1870–1913). Antony Noghes hatte mit Marie (1893–1937) und Paul (1895–1968) zwei jungere Geschwister, die er beide uberlebte.
Die Familie Noghes gehort seit dem 19. Jahrhundert zur monegassischen Oberschicht. Sie unterhalt enge geschaftliche und familiare Beziehungen zur Herrscherfamilie Grimaldi. Ein Sohn Antony Noghes’ heiratete 1951 Antoinette Grimaldi, die altere Schwester des spateren Fursten Rainier III.
In seiner Jugend lebte Antony Noghes einige Zeit in der englischen Stadt Bath und erhielt dort eine erganzende Schulausbildung.
= Ehen und Kinder =
Antony Noghes war zweimal verheiratet und hatte drei Kinder.
Aus der ersten, 1939 geschiedenen Ehe mit Marie Markellos-Petsalis gingen zwei Kinder hervor:
Bathilde Noghes, verheiratete Gregoire Livieratos (1913–2002) und
Alexandre-Athenase „Aleco“ Noghes (1916–1999), ein Tennisspieler, der unter anderem mehrfach am Davis Cup teilnahm und dessen 1941 geborener Sohn Lionel in den 1960er- und 1970er-Jahren als Automobilrennfahrer bis in die Formel-2-Europameisterschaft kam.
1946 heiratete Noghes die Franzosin Marianne Louise Heldt (1905–1989). Mit ihr hatte er den 1947 geborenen Sohn Gilles, der seit den spaten 1970er-Jahren im diplomatischen Dienst seines Landes tatig und 2006 der erste Botschafter Monacos in den USA war.
Unternehmer Antony Noghes gehorte unter anderem ein Betrieb zur Zigarettenherstellung, den er von seinem Vater ubernommen hatte. Außerdem war er Direktor der monegassischen Regie des Tabacs et des Allumettes, der staatlichen Tabak- und Streichholzmonopolgesellschaft.
Motorsportfunktionar = ACM =
Antony Noghes’ Vater Alexandre war ab 1909 Prasident des 1890 gegrundeten Sport Automobile et Velocipedique de Monaco (SAVM), der 1925 seinen Namen in Automobile Club de Monaco (ACM) anderte. Bereits um 1910 war Antony Noghes fur einzelne Sektionen innerhalb des ACM verantwortlich. Im November 1940 loste er seinen Vater als Prasident des ACM ab. Diese Funktion hatte er bis 1953 inne.
= Rallye Monte Carlo =
Nach seiner Wahl zum Prasidenten des ACM kundigte Alexandre Noghes die Entwicklung einer Motorsportveranstaltung an, deren Ziel es war, vermogende Amateurfahrer in der Nebensaison nach Monaco zu holen. Diese Uberlegungen fuhrten zur Rallye Monte Carlo, die erstmals im Januar 1911 ausgetragen wurde. Alexandre Noghes machte den Plan 1910 bekannt. Ob die Rallye seine alleinige Idee war, ist zweifelhaft. Die meisten Quellen sehen Antony Noghes (zusammen mit Gabriel Vialon) als Urheber der Rallye Monte Carlo an. Der Darstellung des ACM nach, war Antony Noghes fur die Detailplanung verantwortlich.
Die erste Rallye Monte Carlo war als Sternfahrt angelegt. Startpunkte waren Paris, Berlin, Boulogne-sur-Mer, Brussel, Wien und Genf; Ziel war Monaco. Die Wertung ubernahm eine Jury nach einem von Noghes entwickelten „verwirrenden“ oder „willkurlichen“ Punktesystem, bei dem unter anderem Schonheit und Eleganz von Auto und Fahrer eine Rolle spielten und das dazu fuhrte, dass nicht Karl Friedrich von Esmarch, der als Erster in Monaco angekommen war, zum Sieger erklart wurde, sondern der in Paris gestartete Franzose Henri Rougier, der 700 km weniger zuruckgelegt hatte als von Esmarch. Das Ergebnis wurde kontrovers aufgenommen und fuhrte zu einem Skandal, an dessen Ende von Esmarch disqualifiziert wurde. Nach der zweiten Auflage 1912 kam es, bedingt durch den Ersten Weltkrieg und seine Folgen, zu einer zehnjahrigen Unterbrechung; erst 1924 legte der ACM die dritte Rallye Monte Carlo auf, bei der auch ein geandertes Wertungssystem eingefuhrt wurde. Seitdem findet die Veranstaltung annahernd jahrlich statt.
= Großer Preis von Monaco =
In der zweiten Halfte der 1920er-Jahre entwickelte Antony Noghes die Idee, ein Automobilrennen zu organisieren, das – im Gegensatz zur Rallye Monte Carlo – nicht nur in Monaco enden, sondern komplett im monegassischen Staatsgebiet durchgefuhrt werden sollte. Ziel war es einerseits wiederum, Monacos internationale Bekanntheit zu steigern und wohlhabende Besucher ins Land zu holen; andererseits sollte auf diese Weise der Antrag des ACM auf Aufnahme in die internationale Automobilorganisation IARAC – der spateren FIA – unterstutzt werden, die von jedem Mitglied die Durchfuhrung einer bedeutenden Motorsportveranstaltung auf eigenem Territorium verlangte. Mit Unterstutzung von Furst Louis II., der Ehrenprasident des ACM war, erarbeitete Noghes Programm und moglichen Ablauf eines solchen Rennens, sicherte die Finanzierung durch das staatlich kontrollierte Tourismusunternehmen Societe des bains de mer und entwickelte zusammen mit Louis Chiron und Jacques Taffe eine Rennstrecke, die ausschließlich auf offentlichen Straßen in Monaco lag. Anfanglich gab es vor allem wegen der geringen Flache Monacos Zweifel an der Durchfuhrbarkeit und an einem ausreichenden offentlichen Interesse. Noghes konnte die Bedenken letztlich zerstreuen.
Am 14. April 1929 fand daraufhin der erste Große Preis von Monaco auf dem Circuit de Monaco genannten Stadtkurs statt. Es war ein Einladungsrennen, bei dem nur vom Veranstalter ausgewahlte Teilnehmer antreten durften. Das Starterfeld bestand aus 16 Autos; ein Fahrer aus Monaco war nicht dabei. Der Große Preis von Monaco wurde zu einer nahezu jahrlich wiederkehrenden Veranstaltung und gehort heute zu einer der bekanntesten Motorsportveranstaltungen weltweit. Antony Noghes war auch nach 1929 in unterschiedlichen Funktionen mit der Organisation der Rennen befasst. 1960 und 1961 war er Renndirektor.
Politik In den 1960er-Jahren war Noghes vorubergehend Mitglied des Conseil National von Monaco.
Ehrungen Im Jahr nach seinem Tod erhielt eine Passage des Circuit de Monaco Noghes’ Namen. Die bisherige Virage du Gazometre, die letzte Kurve zwischen der Rascasse und Start und Ziel, wurde vor dem Großen Preis von Monaco 1979 in Virage Antony Noghes umbenannt.
Literatur Graham Robson: Monte Carlo Rally: The Golden Age, 1911-1980, Herridge & Sons 2007, ISBN 978-1-906133-00-9
Rainer W. Schlegelmilch, Hartmut Lehbrink: Grand Prix de Monaco, Konemann, 1998, ISBN 3-8290-0658-6
Weblinks Anmerkungen Einzelnachweise
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Antony Emilie Marie Noghes (* 13. September 1890 in Monaco-Ville; † 2. August 1978 in Monte Carlo) war ein monegassischer Unternehmer, Politiker und Motorsportfunktionar. Noghes gilt als Initiator der Rallye Monte Carlo und des Großen Preises von Monaco.
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c-891
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Der Wolle-Widder, oft Dohrener Wolle-Widder oder auch das Denkmal Dohrener Wollkammer genannt, ist eine denkmalgeschutzte Plastik im hannoverschen Stadtteil Dohren in Niedersachsen.
Geschichte Die 1868 gegrundete Dohrener Wollwascherei und -kammerei, kurz „Dohrener Wolle“ genannt, war die erste deutsche Fabrikationsstatte zur mechanischen Reinigung von vor allem aus Australien und Neuseeland importierter Schafwolle. Die Fabrik lag im Westen des heutigen Stadtteiles Dohren am Ufer der Leine sowie auf der Leineinsel Dohren.
Zum 25-jahrigen Jubilaum des Unternehmens wurde in Dohren ein mit der Widmung „Den Dohrener Collegen von den Deutschen Wollkammern. 1893“ versehenes Denkmal in Form eines lebensgroßen Widders aufgestellt. Nach dem von dem Berliner Bildhauer Wilhelm Wolff, dem sogenannten „Tier-Wolff“, im Jahr 1863 geschaffenen Entwurf eines australischen Merinoschafzuchtbocks war im Auftrag der „Konvention deutscher Wollkammereien“ von E. March Sohne aus Charlottenburg bei Berlin eine Kunststeinfigur gegossen worden. An der rechten Seite der baumartig verzierten Stutze unter dem Bauch des Widders steht die Kunstlersignatur „W. Wolff 1863“. Die Plinthe tragt an der Ruckseite den Stempel der Kunststeingießerei.
Nach der Stilllegung der Dohrener Wollwascherei und -kammerei im Jahr 1973 wurde der Wolle-Widder zunachst in Tucher eingewickelt im Keller des Historischen Museums Hannover eingelagert. In den 1980er Jahren entstand auf dem ehemaligen Werksgelande eine Neubausiedlung mit etwa 1000 Wohneinheiten. Mit einer großen Party im Juni 1985 wurde der Wolle-Widder unweit seines alten Standorts auf einem neuen und hoheren Beton- oder Kalksteinsockel platziert. Eine Plakette unten an der Ruckseite des Sockels erinnert an die Wiederaufstellung des Widders im Jahr 1985.
Im Fruhjahr 1989 beschmierten Unbekannte das Geschlechtsteil des Widders mit roter Farbe, die aber entfernt werden konnte. Im November 1994 wurden die Hoden der Plastik durch Vandalismus abgeschlagen und blieben verschwunden. Das Kunstwerk wurde spater mit Spendengeldern restauriert.
Inschriften Weitere Wolle-Widder Die „Deutsche Kammerkonvention“ entstand im Jahr 1893 aus vier deutschen Wollkammereien in Dohren, Leipzig, Blumenthal bei Bremen und Mylau im Vogtland. Als Zeichen der Zusammenarbeit wurde vor jedem der vier Werke eine Widderplastik aufgestellt.
Die Bremer Woll-Kammerei in Bremen-Blumenthal erhielt zu ihrem 50-jahrigen Betriebsjubilaum im Jahr 1934 eine von dem Bildhauer Melchior von Hugo 1932 nach dem Vorbild des Dohrener Wolle-Widders als Betonguss gefertigte Plastik. Dieser Widder „Sir Charles“ steht seit 2012 ebenfalls unter Denkmalschutz.
Denkmalschutz Der Dohrener Wolle-Widder ist unter der Bezeichnung „Denkmal Dohrener Wollkammer“ wegen seiner geschichtlichen und kunstlerischen Bedeutung als Einzeldenkmal eingestuft.
Weblinks Denkmal Dohrener Wollkammer im Denkmalatlas Niedersachsen
Dohrener Wolle-Widder, private Foto-Galerie
Literatur Waldemar R. Rohrbein in: Stadtlexikon Hannover. Von den Anfangen bis in die Gegenwart. Schlutersche, Hannover 2009, ISBN 978-3-89993-662-9, S. 136–137.
Einzelnachweise
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Der Wolle-Widder, oft Dohrener Wolle-Widder oder auch das Denkmal Dohrener Wollkammer genannt, ist eine denkmalgeschutzte Plastik im hannoverschen Stadtteil Dohren in Niedersachsen.
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c-892
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Operation Countryman war eine Untersuchung zur Korruption bei der Londoner Polizei, die zwischen 1978 und 1982 durchgefuhrt wurde. 84 Beamte der Metropolitan Police und 29 Mitglieder der City of London Police wurden u. a. der Falschung von Beweisen, der Bestechung und der Zusammenarbeit mit Bankraubern beschuldigt. Nur zwei Ermittlungen der gesamten Operation waren erfolgreich und deshalb wird diese als gescheitert betrachtet. Es gab Bemuhungen von leitenden Polizeibeamten des Scotland Yard und dem damaligen Generalstaatsanwalt Sir Thomas Hetherington, die Aufklarung der Falle zu unterbinden.
Details Die Beamten der Operation wurden aus der Polizei des landlichen Dorset rekrutiert, daher stammt der Name Countryman. Die Untersuchung wurde wegen der stetigen Zunahme von Korruptionsvorwurfen innerhalb der Polizei eingeleitet. Zuvor geheime Dokumente zeigen, dass die Ermittler auch dazu gezwungen wurden, den Anschein zu wahren, als hatte die Polizei uneingeschrankt mit ihnen zusammengearbeitet.
Kriminelle, die sich schwerer Straftaten, wie z. B. bewaffneten Raububerfalls, schuldig gemacht hatten, wurden demnach freigelassen und nicht strafrechtlich verfolgt. Im Mittelpunkt der Untersuchung standen zwei Schlusselfiguren: Alf Sheppard, ein Bankrauber, der mithalf, Beweise gegen korrupte Beamte zu sammeln, und DCI Phil Cuthbert, ein Beamter der Polizei der City of London und fuhrender Freimaurer. Er war auch einer der beiden Manner, die spater ins Gefangnis kamen.
Drei große Raububerfalle fanden in den Ermittlungen besondere Beachtung:
der Raub der Lohne des Daily Express im Wert von 175.000 Pfund im Jahr 1976
der Bankraub von Williams & Glyn im Wert von 520.000 Pfund im Jahr 1977
der Raub der Lohne des Daily Mirror im Jahr 1978, bei dem ein Sicherheitsbeamter erschossen und 200.000 Pfund gestohlen wurden
Bisher ist nur ein Teil der Operation in der Offentlichkeit bekannt geworden und die Akten sollen bis 2067 vom Innenministerium geheim gehalten werden.
Parlamentsdebatte im House of Commons Dale Campbell-Savours sagte dazu, dass uber 250 Polizisten zurucktreten mussten und viele von diesen angeklagt wurden, da deren Mitgliedschaft in Freimaurerlogen den Kern einer kriminellen Verschworung bildete. Ebenso meinte er, die Freimaurerei sei eine geheime Organisation, deren Mitglieder geheime Methoden anwenden, um sich gegenseitig zu erkennen, wahrend Nichtmitglieder dies nicht bemerken konnen. Diese Identifizierungstechniken wurden extra fur einen solchen Zweck entwickelt, erganzte Campbell-Savours. Zudem erklarte er, dass Polizeibeamte das Vertrauen der Offentlichkeit benotigen, unparteiisch zu handeln, um das Gesetz durchzusetzen zu konnen. Daher sollten diese seiner Meinung nach keine Freimaurer sein und entweder die Freimaurerei oder den Polizeidienst aufgeben.
Dale Campbell-Savours hob hervor, dass 3 Jahre zuvor der damals wichtigste Polizei-Offizier des Landes, Sir Kenneth Newman, dieselben Außerungen zu einer langen Geschichte von Problemen mit der Freimaurerei in der Polizei gemacht hatte. Newmans Buch The Principles of Policing and Guidance for Professional Behaviour beschreibt das besondere Problem von Polizeibeamten, die ebenso Freimaurer sind. Sein Nachfolger und mindestens funf weitere Polizeiprasidenten waren der Meinung, es durfe aufgrund der eidesstattlichen Dienstverpflichtung nicht einmal der Eindruck entstehen, dass die Unparteilichkeit beeintrachtigt sein konne, stellt Campbell-Savours dar. Er bemerkte daruber hinaus, dass als Reaktion darauf Freimaurer die Loge St. James grundeten, die fast ausschließlich aus Polizisten bestand. Campbell-Savours verbildlichte dabei, dass die „Tentakel“ dieser Loge tiefe Verbindungen bis zu den Konservativen hatten.
Dale Campbell-Savours argumentiere, dass Freimaurer nicht als Polizisten dienen sollten und diese ihre Mitgliedschaft ggfs. beenden sollten. Der freimaurerische Treueeid sei unvereinbar mit der Pflicht zur Unparteilichkeit, stellte er klar. Seiner Ansicht nach werde das Vertrauen in die Polizei durch ihre Verbindungen zur Freimaurerei erheblich geschadigt und somit auch der Kampf gegen das Verbrechen. Campbell-Savours kritisierte, wenn eine hohe Anzahl Beamter einer Organisation angehore, deren Praktiken vollig im Widerspruch zu den Prinzipien einer offenen, freien und demokratischen Gesellschaft stehen, sei das nicht gut fur die Polizei.
In dem o. g. Buch The Principles of Policing and Guidance for Professional Behaviour, das auch als Ratgeber fur Polizeibeamte von der Metropolitan Police 1985 herausgegeben wurde und auf das Dale Campbell-Savours sich in seiner Rede bezog, wird betont, dass Passagen des Inhaltes nicht als grundsatzliche Kritik an der Freimaurerei zu verstehen seien. Dennoch ist der Konflikt beschrieben, dass ein Polizist, der ebenso Freimaurer ist, sich an den Eid zur Wahrung freimaurerischer Geheimnisse zu halten hat, einschließlich derjenigen, wie er sich gegenuber anderen Freimaurern im Geheimen zu erkennen gibt, ohne dass Außenstehende das erkennen konnen. Aus dem Text geht hervor, dass die Loyalitat eines freimaurerischen Polizisten moglicherweise zuerst anderen Freimaurern gelten kann. In dem Buch wird daher empfohlen, dass Freimaurer, die auch Polizisten sind, von Zeit zu Zeit daruber nachdenken sollten, ob sie wirklich Freimaurer bleiben wollen.
Parlamentarische Anfragen Im britischen Parlament wurde der Innenminister mehrfach in Anfragen aufgefordert, die Ergebnisse der Operation Countryman vollstandig bekannt zu geben. Solche Anfragen wurden jedoch abgelehnt, da sie durch das „Public Interest Immunity (PII)“ geschutzt sind. Dies ist ein Grundsatz des englischen Common Law, bei dem auf gerichtliche Anordnung Beweismittel zuruckgehalten werden durfen, wenn die Vertraulichkeit der Beweise und deren moglicher Schaden hoher bewertet werden als das offentliche Interesse an ihrer Offenlegung. Dieses Gesetz wurde im Strafrecht gegen organisierte Kriminalitat, Banden und Drogenhandler erlassen, wenn durch Beweismittel z. B. die Identitat bezahlter Polizeiinformanten offenbart werden konnte.
Einzelnachweise
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Operation Countryman war eine Untersuchung zur Korruption bei der Londoner Polizei, die zwischen 1978 und 1982 durchgefuhrt wurde. 84 Beamte der Metropolitan Police und 29 Mitglieder der City of London Police wurden u. a. der Falschung von Beweisen, der Bestechung und der Zusammenarbeit mit Bankraubern beschuldigt. Nur zwei Ermittlungen der gesamten Operation waren erfolgreich und deshalb wird diese als gescheitert betrachtet. Es gab Bemuhungen von leitenden Polizeibeamten des Scotland Yard und dem damaligen Generalstaatsanwalt Sir Thomas Hetherington, die Aufklarung der Falle zu unterbinden.
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c-893
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3D-Druck-Filament, kurz Filament, ist ein drahtformiger Werkstoff, der als Ausgangsstoff fur das Fused Deposition Modeling (FDM) in 3D-Druckern dient. Das Filament besteht typischerweise aus einem thermoplastischen Kunststoff, der in einem durchgangigen Strang auf einer Spule konfektioniert wird. Am weitesten verbreitet sind hierbei Filamente mit 1,75 mm und 2,85 mm Durchmesser sowie Spulen mit einer Nettofullmenge von 0,5 bis 2 kg, wobei 1 kg die meiste Verbreitung findet. Kleinere Mengen in verschiedenen Farben werden oft als lose Bundel fur 3D-Stifte angeboten. Das Angebot reicht von transparent bis vollstandig opak in jeder erdenklichen Farbe, hergestellt aus unterschiedlichsten Materialien.
Marktubersicht Der globale Markt fur 3D-Druck-Filamente wurde im Jahr 2019 auf 471,3 Millionen USD geschatzt, 2023 lag das Marktvolumen bei 1,07 Milliarden USD. 2024 wurde fur das Jahr 2027 ein Wachstum auf 1,8 bzw. fur 2034 auf 4,99 Milliarden USD geschatzt. Die Nachfrage wird durch die zunehmenden Anwendungen in der Luft- und Raumfahrt sowie der Verteidigungsindustrie, fur Designkommunikation und Prototypenbau angetrieben. Daruber hinaus treibt die steigende Nachfrage nach hochwertigen Druckergebnissen in der Automobil- und Industriebranche das Marktwachstum weiter voran. Wahrend sich bei der Herstellung von Roh-Kunststoffgranulat fur die unterschiedlichen Polymere nur wenige, große Hersteller wie z. B. BASF, Evonik, Arkema oder Koninklijke DSM den Markt teilen, gibt es eine schier unuberschaubare Menge an Herstellern fur 3D-Druck-Filamente.
Das US-amerikanische Projekt filamentcolors.xyz verzeichnet im September 2024 rund 3.300 Filamente in unterschiedlichen Farben und Werkstoffen (davon rund 2.200 katalogisiert) von 191 Herstellern.
Herstellung und okologische Aspekte Das Fertigungsverfahren uberschneidet sich in weiten Teilen mit dem Kunststoff-Strangpressen: Zunachst werden die benotigten Rohmaterialien gemischt. In dieser Phase konnen auch Additive hinzugefugt werden, um spezifische Eigenschaften wie Farbe, Flexibilitat oder Festigkeit zu erzielen. Danach wird die Mischung getrocknet und anschließend aufgeschmolzen. Das flussige Material wird anschließend durch eine Duse extrudiert, wodurch ein langer, dunner Strang entsteht. Dieser Vorgang bestimmt den Durchmesser des Filaments, typischerweise 1,75 mm oder 2,85 mm. Der so extrudierte Kunststoffstrang wird sofort abgekuhlt, meist durch ein Wasserbad. Dieser Schritt ist entscheidend, um die gewunschte Form und Festigkeit des Filaments zu sichern. In diesem Prozess durchlauft das Filament mehrere Kontrollstationen, an denen der Durchmesser laufend gemessen wird. Diese Kontrolle stellt sicher, dass das Filament konsistent und fur den 3D-Druck geeignet ist. Die Toleranzen liegen je nach Werkstoff bei etwa ±0,02 bis 0,05 mm.
Schließlich wird das fertige Filament auf Spulen gewickelt und fur den Verkauf verpackt. Nachdem das FDM-Verfahren langst den Massenmarkt erreicht hat und das Produkt selbst weitgehend standardisiert ist, findet hier seit einigen Jahren auch eine Optimierung der Verpackung statt.
= Umverpackung =
Der Transport erfolgt zum Schutz ublicherweise in einer Kartonumverpackung, darin befindet sich die in einer Kunststofffolie unter Vakuum verpackte Spule. Dies ist erforderlich, weil viele 3D-Druck-Filamente hygroskopisch sind und ubermaßige Feuchtigkeit je nach Werkstoff zu schlechten Druckergebnissen fuhren kann. Eventuell vorhandene Restfeuchte in der Vakuumverpackung wird mittels eines Trocknungsmittelbeutels, wie z. B. Silikagel, absorbiert. Zwar ist es moglich bzw. erforderlich, bestimmte Filamente vor der Benutzung in einem Filamenttrockner (vergleichbar mit einem Dorrgerat) zu trocknen, jedoch ist die vorherige Trocknung im Produktionsprozess deutlich energieeffizienter.
= Spulen =
Aufgrund der breiten Verfugbarkeit wurden in den Anfangen oft bestehende Spulensysteme z. B. fur Kabel- oder Schweißdraht zuruckgegriffen. Kunststoffspulen nach dieser Bauart haben ein Eigengewicht von 100 bis 200 g, dies hat zur Folge, dass bei einer Nettofullmenge von 1 kg ein signifikanter Overhead in der Verpackung entsteht. Viele Hersteller haben aus diesem Grund schon fruh begonnen, teilweise oder vollstandig aus Pappe hergestellte Spulen als Alternative zu etablieren. Seit einigen Jahren gewinnen Refills (engl. to refill, „wiederbefullen“) an Bedeutung. Als Hauptinnovationstreiber sind hier die 2018 eingefuhrte Master Spool von MatterHackers als Proof-of-Concept sowie die 2020 eingefuhrte Reusable Spool von Bambu Lab als massenmarkttaugliche Version zu nennen. Bei Refills handelt es sich um Filamentbundel ohne Spule. Diese werden i. d. R. durch Kabelbinder, Plastik- oder Papierstreifen sowie die inharente Steifigkeit des Werkstoffs in Form gehalten. Vor Benutzung werden diese auf wiederverwendbare, mehrteilige Spulen gesteckt. Diese Spulen sind i. d. R. zweiteilig und konnen mittels eines Bajonettverschlusses oder Stecksystems halbiert werden.
Wahrend Pappkartonspulen von den Konsumenten gut aufgenommen werden, ist die Akzeptanz von Refills begrenzt. Beim Aufbringen des Refills auf die Leerspule kann sich das Filamentbundel losen und auseinanderfallen. Ohne ein haufig aufwandiges, manuelles Neu-Wickeln ist das Filament nicht benutzbar. In einer Kundenumfrage des Herstellers Filamentive bevorzugen rund 65 % der Kunden Pappspulen und 33 % entscheiden sich fur Refills.
Handhabung von Refill-Filament
= Recycling =
Obwohl viele Polymere im 3D-Druck Standardwerkstoffe sind, gibt es praktisch keine etablierten Abfallkreislaufe, weswegen der Abfall vorwiegend der thermischen Verwertung zugefuhrt wird. Dennoch gibt es einige Ausnahmen von dieser Regel:
Einige Hersteller pelletieren fehlproduziertes Filament und verwenden das so hergestellte Granulat wieder im eigenen Produktionsprozess.
Hersteller, die selbst eine industrielle Fertigung per 3D-Druck betreiben und eigenes Filament herstellen, fuhren ihren Produktionsausschuss wieder der Filamentproduktion zu. Beispiele hierfur sind Prusa Research oder Slant 3D.
Filament kann auch aus Materialien aus bestehenden Abfallkreislaufen hergestellt werden. Hierzu eignen sich vor allem die Abfallstrome von PET (Getrankeflaschen) sowie PLA (Einweggeschirr und Verpackungsmaterial). Beispiele hierfur sind ebenfalls Prusa Research sowie BASF oder das deutsche Start-Up QiTech.
Endanwender konnen auf ahnliche Weise Filament herstellen. Dazu zahlt z. B. die Herstellung von Filament aus alten PET-Getrankeflaschen oder das Extrudieren von Filament mit einer kompakten Extrusionsmaschine, beispielsweise mit dem Bausatz ARTME 3D. Viele dieser Maschinen sind jedoch entweder vergleichsweise aufwandig in der Handhabung oder sehr kostenintensiv in der Anschaffung bzw. im Betrieb.
Einen vollstandigen Cradle-to-Cradle-Ansatz verfolgt seit 2021 das deutsche Start-up Recycling Fabrik. Bei diesem weltweit einzigartigen Konzept werden Filamentreste und Fehldrucke systematisch von Endkonsumenten gesammelt und ohne den Einsatz von Hilfsstoffen zu neuem Filament verarbeitet.
Werkstoffe Es gibt viele verschiedene Arten von Filamenten, die sich in ihren Eigenschaften, Anwendungsmoglichkeiten und Verarbeitungsanforderungen unterscheiden. Bei den meisten dieser Werkstoffe handelt es sich um thermoplastische Polymere, Copolymere oder Blends, die wahlweise durch Additive oder Fullstoffe modifiziert werden. Zu den gebrauchlichsten Werkstoffen zahlen unter anderem folgende.
= PLA (Polylactid) =
PLA ist mit einem Marktanteil von rund 39 % eines der beliebtesten Materialien fur den 3D-Druck, insbesondere fur Anfanger oder Hobbyanwender. Es wird aus Rohstoffen wie Maisstarke oder Zuckerrohr hergestellt und ist unter speziellen Bedingungen biologisch abbaubar. PLA ist kostengunstig, leicht zu drucken, erfordert keine beheizte Bauplattform bzw. keinen beheizten Bauraum und hat einen relativ niedrigen Schmelzpunkt (ca. 180–220 °C). Es ist ideal fur Prototypen, Dekorationsobjekte und Modelle, die keiner hohen thermischen oder mechanischen Belastung ausgesetzt sind. Fur technische Anwendungen ist PLA aufgrund seiner niedrigen Glasubergangstemperatur (ca. 50 °C) und des ungunstigen Kriechverhalten haufig nicht geeignet.
= ABS (Acrylnitril-Butadien-Styrol) =
ABS ist ein robustes, warmebestandiges und ebenfalls kostengunstiges Material. Mit einem Marktanteil von 28 % ist es vor allem in der Industrie beliebt. ABS hat einen hoheren Schmelzpunkt als PLA (ca. 210–250 °C) und ist deutlich schlagzaher, bestandiger gegenuber außeren Einflussen und eignet sich daher gut fur funktionale Teile, die unter anderem hoheren Temperaturen ausgesetzt werden. Aufgrund der Warmeausdehnung bzw. -schrumpfung ist der Druck mit ABS jedoch herausfordernd. Typischerweise wurde hier eine beheizte Druckplatte sowie ein geschlossener, beheizter Bauraum (ca. 80–100 °C) benotigt, jungere Entwicklungen und optimierte ABS-Blends erlauben jedoch oft auf einen beheizten Bauraum zu verzichten. Aufgrund der freigesetzten Dampfe beim Druck von ABS ist entweder eine gute Beluftung oder ein geschlossener Bauraum mit einem VOC-Filter erforderlich.
= PETG (Polyethylenterephthalat – Glykol-modifiziert) =
PETG ist wie, PLA und ABS, sehr kostengunstig und liegt in seinen Eigenschaften zwischen diesen beiden Werkstoffen. Es ist schlagzaher und flexibler als PLA, jedoch weniger hitzebestandig als ABS. PETG lasst sich vergleichsweise einfach drucken und hat eine sehr gute Haftung auf der Druckplatte, auch die Drucktemperaturen sind moderat (ca. 220–250 °C). Diese Eigenschaften machen es zu einer beliebten Wahl fur mechanische Teile, Gehause und langlebige Objekte.
= ASA (Acrylnitril-Styrol-Acrylat) =
ASA ist ein chemisch mit ABS verwandtes Copolymer. Der Werkstoff zeichnet sich durch seine hohe Witterungsbestandigkeit und inharente UV-Stabilitat aus, die bei anderen Polymeren fur den 3D-Druck entweder nicht gegeben sind oder durch Zugaben von Additiven oder Pigmenten zu einem gewissen Grad erreicht werden konnen. Im Vergleich zu ABS bietet ASA ahnliche mechanische Eigenschaften wie hohe Festigkeit und Zahigkeit, ist jedoch weniger anfallig fur Verfarbungen und Risse durch Sonnenlicht. Diese Eigenschaften machen ASA ideal fur den Einsatz im Außenbereich, wie bei Gehausen oder Automobilzubehor. Die Verbreitung von ASA ist aufgrund des hoheren Preises geringer.
= TPU (Thermoplastisches Polyurethan) =
TPU ist ein flexibles, gummiartiges Material, das sich ideal fur Anwendungen eignet, die Elastizitat erfordern, wie Dichtungen, Schlauche oder Handyhullen. Es hat eine gute Abriebfestigkeit und ist bestandig gegen Ole und Fette. Der Druck mit TPU kann jedoch anspruchsvoll sein, da TPU eine langsame Druckgeschwindigkeit und moglicherweise spezielle Druckeinstellungen erfordert. Aufgrund seiner Beschaffenheit (vergleichbar mit gekochten Spaghetti) ist es fur bestimmte Druckertypen nicht geeignet. Davon betroffen sind besonders Maschinen mit einem indirekten Bowden-Extruder, bei denen das Filament durch einen Schlauch geschoben, und nicht wie bei einem direkten Extruder gezogen, wird.
= PA (Polyamid) =
PA, oft unspezifisch als Nylon bezeichnet, sind hochwertige technische Werkstoffe, die haufig in der Industrie Anwendung finden. Polyamide haben eine hohe Bestandigkeit gegen Chemikalien, Abrieb und Belastungen, was sie ideal fur Zahnrader, Lager und andere funktionale Teile macht. PA benotigt jedoch eine sehr hohe Drucktemperatur (ca. 240–260 °C), eine beheizte Druckplatte und einen beheizten Bauraum. Es ist zudem stark hygroskopisch und nimmt Luftfeuchtigkeit binnen kurzer Zeit auf, was das Drucken aus einer Trockenbox oder einem Filamenttrockner erfordert. Zwar ist das Drucken auch auf Consumer-Geraten moglich, jedoch sind Polyamide aufgrund der Schwierigkeiten beim Druck sowie des hohen Preises des Ausgangsmaterials außerhalb technischer Anwendungen wenig beliebt.
= PC (Polycarbonat) =
PC sind sehr robuste und hitzebestandige Thermoplaste, die sich ideal fur technische Anwendungen im 3D-Druck eignen. Polycarbonate bieten hohe Festigkeit, Schlagzahigkeit und Transparenz, was sie perfekt fur Maschinenteile und Gehause macht. Aufgrund ihrer anspruchsvollen Druckanforderungen (ahnlich wie bei Polyamiden), einschließlich hoher Temperaturen (ca. 270–310 °C), sind sie besonders fur den industriellen Einsatz geeignet.
= PVA (Polyvinylalkohol) =
PVA ist ein wasserlosliches Material, das haufig als Stutzmaterial im 3D-Druck verwendet wird. Besonders in Kombination mit Multi-Material-Druckern ermoglicht PVA das Drucken komplexer Geometrien und Uberhange. Nach dem Druck kann das PVA-Material einfach in Wasser aufgelost werden, wodurch die Stutzstrukturen vollstandig und ruckstandslos entfernt werden – im Gegensatz zu herkommlichen Stutzstrukturen, die unter Umstanden schwierig zu entfernen sind oder zu Beschadigungen an filigranen Druckobjekten fuhren konnen. Aufgrund des Schmelzbereichs eignet sich PVA vor allem als Stutzmaterial fur PLA und PETG. Es ist abseits seiner sehr starken Hygroskopie vergleichsweise einfach zu drucken.
= Fullstoffe und Subtypen =
Je nach Fullstoff werden entsprechende Filamente zur Unterscheidung durch ein Suffix oder einen nachgestellten Begriff differenziert. Beispielsweise PLA Silk, PA-GF oder PETG-CF.
Abhangig von der Zusammensetzung fuhren bestimmte Additive zu einer signifikanten Anderung in den Werkstoffeigenschaften und unter Umstanden zu einem hoheren Verschleiß im Druckprozess. Insbesondere abrasive Hilfsstoffe wie Pigmente (z. B. Industrieruß oder Titandioxid) bzw. Faserfullstoffe (z. B. Carbon- oder Glasfasern) fuhren bei Benutzung zum Aufreiben der Druckduse. Besonders die Schichthaftung wird durch die Zugabe unterschiedlicher Additive positiv oder negativ beeinflusst; allein die Auswahl der Farbpigmente spielt hier eine entscheidende Rolle.
Silk Silk-Filamente (von engl. silk fur Seide) zeichnen sich durch einen speziellen Glanz aus, der durch die Beimischung von thermoplastischen Elastomeren erreicht wird. Diese TPE-Zugabe verleiht dem gedruckten Objekt eine seidige, schimmernde Oberflache, die es besonders fur dekorative Anwendungen geeignet macht, bei denen eine auffallige, glanzende Optik erwunscht ist. Die Schichthaftung wird durch die Zugabe dieser jedoch reduziert, weswegen sich diese Filamente nicht fur mechanisch beanspruchte Teile eignen.
Matte Filamente mit einem hoheren Anteil an Fullstoffen oder speziell zugesetzten mattierenden Pigmenten erzeugen eine Oberflache, die weniger Licht reflektiert und dadurch eine matte, nicht glanzende Optik bietet. Diese Eigenschaft ist z. B. im Modellbau gefragt, um den Einsatz von Fullern oder einer Grundierung zu reduzieren.
Wood Wood-Filamente (von engl. wood fur Holz) sind mit Holzfasern angereichert, was ihnen eine raue Textur und eine holzahnliche Erscheinung verleiht. Diese Filamente simulieren die Haptik von echtem Holz und sind daher ideal fur Projekte, bei denen eine naturliche, organische Asthetik gewunscht ist. Aufgrund des Verarbeitungsprozesses und der homogenen Durchmischung wahrend der Produktion ist keine Form von Holzmaserung mehr zu erkennen.
Glow-in-the-dark Diese Filamente enthalten spezielle phosphoreszierende Pigmente, die nach Lichteinwirkung im Dunkeln leuchten (engl. glow in the dark). Diese Filamente sind besonders nutzlich fur kreative Projekte, bei denen ein leuchtender Effekt erzielt werden soll, wie beispielsweise bei Nachtlichtern, Dekorationen fur dunkle Raume oder Markierungen, die auch im Dunkeln sichtbar bleiben sollen. Sie laden sich durch Umgebungslicht auf und geben es im Dunkeln langsam wieder ab. Viele Leuchtstoffe, die in 3D-Druck-Filamenten eingesetzt werden, z. B. Strontiumaluminat, sind abrasiv.
CF und GF Kohlefaserverstarkte (CF) und glasfaserverstarkte (GF) Filamente verbessern die mechanischen Eigenschaften gedruckter Objekte. Sie enthalten kurze Kohle- oder Glasfasern, die zu hoherer Festigkeit und Steifigkeit fuhren, was sie ideal fur technische Anwendungen macht. Die Materialeigenschaften sind jedoch im Vergleich zu anderen faserverstarkten Kunststoffen, insbesondere solchen auf Basis von Lang- oder Endlosfasern mit hohem Orientierungsgrad, deutlich unterlegen und eher mit thermoplastischen Matrixwerkstoffen zu vergleichen. Ein weiterer Grund fur die Hinzugabe entsprechender Fasern ist das Maskieren der fur den FDM-Druck typischen Schichtlinien. Sowohl Carbon- als auch Glasfasern sind abrasiv.
Metall und Keramik Diese Filamente enthalten ein Metall- oder Keramikpulver, welches ihnen besondere Eigenschaften verleiht. Wahrend metallgefullte Filamente fur Endkonsumenten vorrangig dekoraktiven Zwecken dienen, konnen diese auch spezifischen, funktionalen Zwecken dienen.
Wolfram kann z. B. aufgrund seiner Dichte genutzt werden, um den Absorptionsquerschnitt bei Anwendungen zum Strahlenschutz zu verandern.
In der Industrie werden Filamente mit hohen Fullstoffanteil (60 bis 80 %) weiterverarbeitet, um solide Metall- bzw. Keramikteile herzustellen. Dabei wird der als Bindemittel und Trager dienende Kunststoff nach dem Drucken in einem weiteren Verarbeitungsprozess entbindert und die zuruckbleibenden Partikel zu einem festen Objekt gesintert bzw. gebrannt. Als metallische Komponenten werden beispielsweise Stahle oder Kupfer-Legierungen verwendet, als technische, keramische Werkstoffe dienen beispielsweise Zirconiumsilicat, Siliciumcarbid oder Siliciumnitrid.
Um diese Filamente ohne starken Verschleiß zu verarbeiten, werden z. B. Dusen aus geharteten Stahlen, mit Einsatzen aus synthetischem Rubin oder mit Wolfram(IV)-sulfid-Beschichtung genutzt.
Weblinks https://filamentcolors.xyz Projekt zur Katalogisierung kommerziell verfugbarer 3D-Druck-Filamente
Einzelnachweise
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3D-Druck-Filament, kurz Filament, ist ein drahtformiger Werkstoff, der als Ausgangsstoff fur das Fused Deposition Modeling (FDM) in 3D-Druckern dient. Das Filament besteht typischerweise aus einem thermoplastischen Kunststoff, der in einem durchgangigen Strang auf einer Spule konfektioniert wird. Am weitesten verbreitet sind hierbei Filamente mit 1,75 mm und 2,85 mm Durchmesser sowie Spulen mit einer Nettofullmenge von 0,5 bis 2 kg, wobei 1 kg die meiste Verbreitung findet. Kleinere Mengen in verschiedenen Farben werden oft als lose Bundel fur 3D-Stifte angeboten. Das Angebot reicht von transparent bis vollstandig opak in jeder erdenklichen Farbe, hergestellt aus unterschiedlichsten Materialien.
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"url": "https://de.wikipedia.org/wiki/Filament_(3D-Druck)"
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c-894
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Die Hulfskasse Deutscher Rechtsanwalte ist ein karitativer Verein zur Unterstutzung Not leidender Anwalte in Deutschland. Fur 4 der 28 deutschen Rechtsanwaltskammern ubernimmt sie zusatzlich die Aufgabe, soziale Fursorge fur deren Mitglieder zu leisten.
Struktur und Tatigkeit Die Hulfskasse Deutscher Rechtsanwalte unterstutzt Rechtsanwalte und deren Angehorige, wenn sie durch Alter, Krankheit oder aus ahnlichen Grunden berufsunfahig oder sonst bedurftig sind.
Die Hulfskasse finanziert ihre Arbeit einerseits durch Spenden und Geldauflagen und andererseits durch Beitrage von 4 der 28 deutschen Rechtsanwaltskammern, deren Fursorgeeinrichtung sie ist:
Rechtsanwaltskammer am Bundesgerichtshof
Rechtsanwaltskammer Braunschweig
Rechtsanwaltskammer Hamburg
Schleswig-Holsteinische Rechtsanwaltskammer
Die Hulfskasse ist als nicht rechtsfahiger Verein organisiert. Die Schreibweise des Namens ist historisch bedingt, das Logo nimmt darauf Bezug.
Geschichte = Von der Grundung bis zum Zweiten Weltkrieg =
Die Hulfskasse Deutscher Rechtsanwalte wurde am 8. Marz 1885 in Leipzig als Genossenschaft nach sachsischem Recht gegrundet. Bereits am Ende des Grundungsjahres zahlte die Hulfskasse 2400 Mitglieder, fast die Halfte aller seinerzeit im deutschen Reich zugelassenen Rechtsanwalte. In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens unterstutzte die Hulfskasse Bedurftige mit rund 280.745 Mark. Die Zuwendungen gingen hauptsachlich an besonders bedurftige Mitglieder der Rechtsanwaltskammern in landlichen Gebieten des Deutschen Reichs.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs legte die Hulfskasse einen „Kriegsfonds“ auf, der im Herbst 1914 bereits 129.000 Mark und ein Jahr spater 285.000 Mark umfasste. Wegen der kriegsbedingten Not wurde der Jahresbeitrag fur die Mitglieder kontinuierlich bis auf 50 Mark angehoben. In der Weltwirtschaftskrise uberstiegen die Hilfeleistungen an bedurftige Rechtsanwalte und ihre Familien erstmals die Grenze von einer Million Mark.
Nachdem die deutschen Rechtsanwaltskammern im Dritten Reich im Zuge der Gleichschaltung der Justiz aufgelost worden waren, wurde auch die Hulfskasse aufgelost und ihr Vermogen in einen Hilfsfonds der Reichsrechtsanwaltskammer uberfuhrt. Diesem Hilfsfonds wurden in den Folgejahren aus dem Haushalt der Reichsrechtsanwaltskammer jahrlich 750.000 Reichsmark zugewiesen, um die Unterstutzungsleistungen insbesondere wahrend des Zweiten Weltkrieges aufrechtzuerhalten.
= Neugrundung nach dem Zweiten Weltkrieg =
Im Februar 1946 traten in Bad Pyrmont die Vorstande der Rechtsanwaltskammern in der britischen Zone zusammen und wurden in der Folge wieder als Korperschaften des offentlichen Rechts anerkannt. Vor dem Hintergrund der Existenznot in der Anwaltschaft aufgrund der starken Zuwanderung aus den Ostgebieten und zur Rettung des noch nicht bei der Reichsrechtsanwaltskammer beschlagnahmten Sondervermogens der fruheren Hulfskasse begannen Bestrebungen zu einer Neugrundung.
Ende Januar 1948 wurde in Bad Pyrmont die Hulfskasse Deutscher Rechtsanwalte neu gegrundet, zunachst in Form einer Gesellschaft burgerlichen Rechts, weil eine Vereinsgrundung der Genehmigung der Militarregierung bedurft hatte. Anschließend traten samtliche Rechtsanwaltskammern in der britischen Zone der Hulfskasse bei: Braunschweig, Celle, Dusseldorf, Hamburg, Hamm, Kiel, Koln, Oldenburg sowie die Kammer beim Obersten Gerichtshof fur die britische Zone.
Im April 1948 nahm die Hulfskasse ihre Tatigkeit in Hamburg auf und erhielt von den Mitgliedskammern ein Startkapital von 154.000 Reichsmark. Der Jahresbeitrag pro Mitglied betrug weiterhin 50 Mark bei etwa 4000 zugelassenen Anwalten.
Wiederholte Versuche, weitere Rechtsanwaltskammern als Mitglieder zu gewinnen, scheiterten. Stattdessen trat eine Reihe von Kammern aus und organisierte ihre Fursorgeaufgaben selbst in eigenen Unterstutzungsfonds, wobei die Hulfskasse weiterhin bundesweit Unterstutzung leistet. Von 1948 bis 1984 wurden insgesamt Unterstutzungsleistungen von uber 30 Millionen DM ausgezahlt.
Bei den Hochwassern 2002, 2013 und 2021 und in den folgenden Jahren wurden betroffene Kanzleien aus einem Sonderfonds unterstutzt.
2017 wurde die Hulfskasse mit dem Emil-von-Sauer-Preis ausgezeichnet.
Weblinks huelfskasse.de
Literatur Diethard Heinemann, Barbara Struwer: Festschrift 100 Jahre Hulfskasse Deutscher Rechtsanwalte. Hamburg 1985.
Einzelnachweise
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Die Hulfskasse Deutscher Rechtsanwalte ist ein karitativer Verein zur Unterstutzung Not leidender Anwalte in Deutschland. Fur 4 der 28 deutschen Rechtsanwaltskammern ubernimmt sie zusatzlich die Aufgabe, soziale Fursorge fur deren Mitglieder zu leisten.
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c-895
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Die Votivkapelle in Berg am Starnberger See ist eine romisch-katholische Gedenkkapelle zur Erinnerung an den Tod des bayerischen Konigs Ludwig II. Die Votivkapelle wurde von 1896 bis 1900 nach Planen des Hofoberbaurates und ehemaligen Architekten Ludwigs II. Julius Hofmann errichtet. Sie ist dem heiligen Konig Ludwig IX. von Frankreich gewidmet. Vor der Kapelle steht eine sogenannte Totenleuchte.
Geschichte Am 13. Juni 1886 starb Konig Ludwig II. unter ungeklarten Umstanden im Starnberger See auf Hohe von Schloss Berg. Noch im selben Jahr spendete seine Mutter Marie eine Totenleuchte, die heute zwischen Seeufer und Votivkapelle aufgestellt ist. Im See wurde außerdem ein Kreuz errichtet, um die Stelle zu bezeichnen, an der Ludwig II. leblos aufgefunden worden war.
Den Grundstein zum Bau der Kapelle legte Prinzregent Luitpold am 10. Todestag des Konigs im Juni 1896. Bereits vier Jahre spater konnte die im neuromanischen Stil auf einem Betonfundament erbaute Kapelle geweiht werden.
Noch heute treffen sich „Konigstreue“ jahrlich am Sonntag nach Ludwigs Todestag zu einem Gedenkgottesdienst. Organisiert wird die Veranstaltung vom Verein „Ludwig II. – Deine Treuen“.
Schon in den 1920er-Jahren war eine Renovierung erforderlich. Von 2014 bis 2018 wurde die Kapelle erneut renoviert. Dabei wurde das Blechdach erneuert, und die sproden Fugen der Fassade wurden repariert. Besonders die Gemalde an Decke und Wanden der Kapelle wurden aufwandig restauriert. Durch starke Feuchtigkeit hatten sich uber die Jahre Salzablagerungen in den bis zu einem Meter dicken Wanden gebildet, die vorsichtig entfernt wurden. Die Kosten sind nicht offentlich bekannt, doch der Wittelsbacher Ausgleichsfonds erhielt als Organisator fur die Renovierung die Bayerische Denkmalschutzmedaille.
Architektur und Ausstattung Die Kapelle wurde im byzantinisch-neuromanischen Stil als Kuppelbau mit Drei-Konchen-Anlage gestaltet. Der obere Teil ist achteckig; er ist mit einem Zeltdach geschlossen. Vom Mittelbau zweigen drei Konchen und der westliche Portalbau ab. Die Kapelle ist außen 32 Meter und innen 22 Meter hoch. Die Innenwande sind oberhalb eines Sockels mit Fresken von August Spieß gestaltet. In der Kuppel thront die Gottesmutter Maria als Patrona Bavariae, in der Apsiswolbung Christus als Pantokrator in der Mandorla. In den acht Seitenwanden der Kuppel sind die Patrone der acht bayerischen Bistumer und die bayerischen Hof-, Ordens- und Schutzpatrone dargestellt. Zudem finden sich in den Konchen der heilige Ludwig von Frankreich, der heilige Hubertus von Luttich, der heilige Georg und der Erzengel Michael.
Die Votivkapelle Berg ist Eigentum des Wittelsbacher Ausgleichsfonds und kann von April bis Oktober besichtigt werden.
Literatur Die Gedachtniskirche fur Konig Ludwig II. von Bayern. In: Die Gartenlaube. Heft 28, 1896, S. 484 a (Volltext [Wikisource]).
Weblinks Votivkapelle auf der Seite des Wittelsbacher Ausgleichsfonds
Votivkapelle Starnberg bei bavarikon.de
Einzelnachweise
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Die Votivkapelle in Berg am Starnberger See ist eine romisch-katholische Gedenkkapelle zur Erinnerung an den Tod des bayerischen Konigs Ludwig II. Die Votivkapelle wurde von 1896 bis 1900 nach Planen des Hofoberbaurates und ehemaligen Architekten Ludwigs II. Julius Hofmann errichtet. Sie ist dem heiligen Konig Ludwig IX. von Frankreich gewidmet. Vor der Kapelle steht eine sogenannte Totenleuchte.
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c-896
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Das Kartoffellied (auch Lob der Kartoffel oder nach der Anfangszeile Pasteten hin, Pasteten her) ist ein Lied von Matthias Claudius. War es in seiner ursprunglichen Fassung von 1778 noch Szenenbestandteil in der dramatischen Darstellung eines Bauernfests, erfuhr es schon bald, wenn auch in abgewandelter Form, eine weite Verbreitung als eigenstandiges Lied in Volksliedsammlungen. Am bekanntesten ist die dritte Strophe mit ihrem Lob auf die sattigende und wertvolle Speisekartoffel, und daraus vor allem die Sentenz „Schon rotlich die Kartoffeln sind und weiß wie Alabaster.“
Kontext und Uberlieferung Unter dem Titel Paul Erdmanns Fest schildert Claudius im 1782 publizierten vierten Teil des Wandsbecker Boten das Jubilaumsfest eines alten Bauern, das der Erzahler namens Asmus auf seiner Reise zusammen mit seinem Vetter erlebt. Der Gutsherr bringt weitere adelige Besucherschaft mit, wobei sich besonders der vornehme Herr von Saalbader durch sein nobles Franzosisch hervortut und uber die Eigenheiten der Bauern lustig macht. Bald darauf stimmt der Bauer Hans Westen das Kartoffellied an:
Das folgende Gesprach zwischen Asmus, den Bauern und den Besuchern des Festes dreht sich vor allem um das Verhaltnis der Stande und endet mit dem spater in leicht veranderter Fassung in viele Gesangbucher aufgenommenen Wir pflugen und wir streuen.
Form und Interpretation Das Kartoffellied ist in die langere Rahmenhandlung des Bauernfestes eingebettet, ist also kein losgelostes Gedicht im engeren Sinne. Der von Claudius uberlieferte Gedichttext besteht aus drei Strophen, die alle das Reimschema [abaab] aufweisen. Es werden durchgangig Jamben verwendet, wobei die Zeilen mit a-Reim vierhebig bei einsilbigem Versschluss sind, die b-Reime hingegen dreihebig mit zweisilbigem Schluss.
Offensichtlich wird in dieser Szene die Gegenuberstellung vom leeren Gehabe eines dekadenten Adels mit dem bauerlichen Alltag, die sich insbesondere in der sprachlichen Charakterisierung zeigt: Die schusselartige Kumme illustriert den plastischen landlichen Sprachgebrauch, wahrend die als gut und vornehm geltende Kuche (bonne chere) am Beispiel von Froschschenkeln prasentiert, dann aber durch den Verweis auf Kroten ins Ekelhafte umgedeutet wird. Claudius spielt hier abermals, wie auch an anderen Stellen im Boten, auf den damals bereits verbreiteten Gegensatz von deutscher und franzosischer Sprache an, wobei Letztere zur sozialen Abgrenzung benutzt wird: Zielpunkt seiner Kritik ist eine Geisteshaltung, bei der nur gesellschaftlich Gleichgestellte miteinander kommunizieren durfen. Annelen Kranefuss halt es hier fur bedenklich, dass das Kartoffellied nahe an ein „engstirniges Banausentum“ ruckt, mit dem im Laufe der Literaturgeschichte haufig gegen das Franzosische polemisiert wurde.
Die dargestellte Sozialkritik, die auf ein gutes Auskommen von Adel und Bauernstand abzielt, kann vor dem Hintergrund der damaligen Verhaltnisse im Vorfeld der Franzosischen Revolution (1789) gesehen werden: Martin Geck vermutet, dass sich Claudius am aufgeklarten Absolutismus von Joseph II. orientiert haben konnte, der als „Herrscher von Gottes Gnaden“ dennoch Vorrechte des Adels beschnitt. Hinsichtlich der Verbreitung der Kartoffel im deutschsprachigen Raum, die dort auch zur Linderung von Hungersnoten beitrug, sieht Geck allerdings nicht unbedingt nur den in diesem Zusammenhang oft genannten Alten Fritz als Beispiel, den Claudius aus pazifistischen und religiosen Grunden geringschatzte: Der als „Kartoffelpropst“ titulierte und ebenfalls norddeutsche Philipp Ernst Luders beeindruckte Claudius moglicherweise in seiner Wirkung als geistlicher Agrarreformer.
Im Erntedankkontext kann das Kartoffellied auch deshalb betrachtet werden, da im weiteren Verlauf von Paul Erdmanns Fest das Bauernlied gesungen wird. Als Erntedanklied hat dieses sich unter dem Titel Wir pflugen und wir streuen nach einigen Veranderungen bis heute in kirchlichen Gesangbuchern halten konnen.
Weitere Varianten und Rezeption Bereits im 1799 erschienenen Mildheimischen Lieder-Buch von Rudolph Zacharias Becker findet sich eine Variante, die das Lied aus dem direkten Kontext der franzosischen Kuche lost und stattdessen auf andere Tiere des Wassers (Muscheln und Fische) verweist:
Der Begriff „Kumme“ scheint bereits ausgangs des 18. Jahrhunderts nicht im gesamten deutschsprachigen Raum verstandlich gewesen zu sein, in einer Fußnote wird sie als eine große, holzerne Schussel beschrieben. In seiner Deutschen Sprachlehre von 1844 weist Ernst Ludwig Ritsert darauf hin, dass Lampreten, eigentlich ein anderer Begriff fur Neunaugen, als eine kostliche, aber schwer verdauliche Speise bekannt seien und daher sprichwortlich fur jedes leckere Gericht stunden.
Die von Becker publizierte Version findet sich auch in vielen weiteren Liedsammlungen des 19. Jahrhunderts, wobei je nach Ausgabe weitere leichte sprachliche Anpassungen oder Umformulierungen vorgenommen wurden. Beispielsweise wurde die Kumme bald endgultig durch die Schussel ersetzt oder der Liedtitel im moralisierenden Kontext mit Genugsamkeit uberschrieben. In den Feldblumen der Alexandra Amalie von Bayern wird das bekannte Lied zitiert, hier ist statt Leckerbrot von Backerbrot die Rede.
Auch die Abenteuer in Dr. Kleinermachers Garten von Herbert Paatz enthalten eine Referenz auf das Kartoffellied, in der der Doktor nach einem geschichtlichen Exkurs uber den Kartoffelanbau die erste und die dritte Strophe bringt. Der Text wurde auch verschiedentlich vertont, etwa von Johann Rudolf Zumsteeg im funften Heft der Kleinen Balladen und Lieder, wo allein die dritte Strophe verarbeitet und die Aufzahlung Mann und Weib und Kind um den Zusatz geschweige denn fur Schwein und Rind erweitert wird. Eine weitere Vertonung mit dem kompletten Liedtext schrieb Gustav Graben-Hoffmann in den Fruhlingsstimmen (op. 107) unter dem Titel Pastetenlied.
Wilhelm Twittenhoff komponierte 1937 nach Claudius’ Worten die Kantate „Lob der Kartoffel: Pasteten hin, Pasteten her“.
Heute findet sich das Kartoffellied, meist nur mit seiner dritten Strophe, gelegentlich als schmuckendes Element in Kochbuchern oder in Monografien zur Kartoffel. Ingrid Haslinger etwa stellt die letzte Strophe als Motto ihrer Kulturgeschichte der Kartoffel voran, Hans Peter Stamp betitelt ein ahnliches Buchprojekt gar mit dem Zitat … und weiss wie Alabaster. Gerhard Robbelen zitiert es exemplarisch als Beispiel fur die generelle Anerkennung der Kartoffel in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts.
Einzelnachweise
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Das Kartoffellied (auch Lob der Kartoffel oder nach der Anfangszeile Pasteten hin, Pasteten her) ist ein Lied von Matthias Claudius. War es in seiner ursprunglichen Fassung von 1778 noch Szenenbestandteil in der dramatischen Darstellung eines Bauernfests, erfuhr es schon bald, wenn auch in abgewandelter Form, eine weite Verbreitung als eigenstandiges Lied in Volksliedsammlungen. Am bekanntesten ist die dritte Strophe mit ihrem Lob auf die sattigende und wertvolle Speisekartoffel, und daraus vor allem die Sentenz „Schon rotlich die Kartoffeln sind und weiß wie Alabaster.“
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c-897
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Als Gefangener im Vatikan oder Gefangener des Vatikans (captivus Vaticani) sahen sich die Papste nach dem Ende des Kirchenstaats 1870 bis zur Unterzeichnung der Lateranvertrage 1929. Die Selbstbeschrankungen, die sie sich auferlegten, sollten die Romische Frage offenhalten.
Verlust Roms Nach Abzug der franzosischen Schutztruppen aus Rom am 10. August 1870 war klar, dass die papstlichen Truppen ohne auslandische Waffenhilfe nicht imstande sein wurden, die von Konig Viktor Emanuel II. angekundigte Eroberung Roms zu verhindern. Pius IX. wies den Oberkommandierenden der papstlichen Armee, Hermann Kanzler, an, Rom symbolisch zu verteidigen, aber unnotiges Blutvergießen zu vermeiden. Es musste eindeutig sein, dass die Stadt gewaltsam genommen wurde. Wenn dieses Ziel erreicht war, sollte Kanzler sich ergeben. Am 20. September 1870 um funf Uhr morgens begann der Angriff; Raffaele Cadorna, der das IV. Armeekorps befehligte, ließ die Kanonen auf die Stadttore und Mauern richten, um Opfer unter der Zivilbevolkerung zu vermeiden. Nino Bixio, der einen Ablenkungsangriff leitete, ließ indes auch in die Stadt hinein schießen. Etwa 10.000 papstliche Soldaten, meist Soldner, verteidigten Rom funf Stunden lang gegen 60.000 italienische Soldaten; mindestens 70 Menschen starben. Trotz Offnung der Stadttore sprengten die Angreifer symboltrachtig eine Bresche in die Aurelianische Mauer. Unterdessen hatte der Papst in der Kapelle des Apostolischen Palastes die Messe gefeiert und empfing in seiner Bibliothek die elf beim Heiligen Stuhl akkreditierten Gesandten, darunter die Botschafter Preußens (Harry von Arnim), Osterreichs und Frankreichs. Er hielt ihnen eine Rede mit wenig tagespolitischem Bezug. Als ihm Kanzler die Bresche in der Stadtmauer meldete, zog er sich mit ihm und dem Kardinalstaatssekretar Giacomo Antonelli zuruck, um letzte Anweisungen zu geben. Kanzler unterschrieb die von Cadorna entworfene Kapitulation. Das ganze Stadtgebiet Roms mit Ausnahme des Gebiets innerhalb der Leoninischen Mauer wurde dem Konig von Italien ubergeben. Eskortiert von italienischen Soldaten, zogen die besiegten papstlichen Truppen zum Petersplatz; am folgenden Tag verließen sie Rom durch die Porta San Pancrazio.
Nach Einnahme Roms wurde eine Volksabstimmung angesetzt, die vom papsttreuen Teil der Bevolkerung Roms boykottiert wurde. Deshalb waren 98 Prozent der abgegebenen Stimmen fur den Anschluss Roms an das Konigreich Italien. Pius IX. beriet sich mit seinen Kardinalen und entschied sich, nicht ins Exil zu gehen, sondern in Rom zu bleiben. Er stellte die Einnahme Roms und ihre Konsequenzen gegenuber den Patriarchen und Bischofen seiner Kirche folgendermaßen dar:
Verlust des Quirinalspalastes Fur rund 250 Jahre war der Quirinalspalast Hauptresidenz der Papste gewesen; seine Innenausstattung spiegelt diese Geschichte. Als Pius IX. im November 1848 dort von einer aufgebrachten Menge belagert wurde und nach Gaeta fliehen musste, war deutlich geworden, dass der Quirinalspalast militarisch schlecht zu verteidigen war. Nach seiner Ruckkehr 1850 residierte der Papst deshalb nicht mehr standig auf dem Quirinal, sondern bevorzugte den Apostolischen Palast des Vatikan. Nun aber verlegte Viktor Emanuel II. seinen Regierungssitz von Florenz nach Rom und beanspruchte den Quirinalspalast fur sich und seinen Hofstaat. Fur Pius IX. war die Enteignung seines Palastes demutigend; symbolisch wurde das Kirchenoberhaupt aus dem Zentrum Roms an die Peripherie gedrangt. Das vom italienischen Parlament am 18. Februar 1871 verabschiedete Garantiegesetz sicherte den Papsten auf der Grundlage einer Trennung von Kirche und Staat folgendes zu:
Unverletzlichkeit ihrer Person und Ehrenvorrechte ahnlich denen der italienischen Konige;
freie Papstwahl;
jahrliche Apanage von 3,2 Millionen Lire (diese Zahl orientierte sich am Finanzbedarf des papstlichen Hofes vor 1870);
Besitz des Vatikans, aber auch der papstlichen Basiliken in der Stadt Rom, der zentralen Kuriengebaude und des Castel Gandolfo;
freier Verkehr mit den katholischen Bischofen und der katholischen Offentlichkeit weltweit;
aktive und passive diplomatische Vertretung.
David Kertzer analysiert, dass die italienische Regierung mit dem Garantiegesetz zwei vorwiegend außenpolitische Absichten verfolgte: Einerseits suchte sie die internationale Zustimmung zur Einnahme Roms und Verlegung des Regierungssitzes dorthin. Andererseits war Pius IX. gewissermaßen zum Untertanen des italienischen Konigs geworden; diesem lag aber nichts daran, dass die Papste, seit Jahrhunderten nur Italiener, international kunftig als Hofkaplane der italienischen Konige wahrgenommen wurden. Die Unabhangigkeit des Papstes sollte gewahrt bleiben.
Pius IX. erklarte das Garantiegesetz in einem personlichen Brief an den Konig fur nichtig: Es sei ein einseitiges Zugestandnis des italienischen Staates, das dieser jederzeit widerrufen konne, sein Anspruch auf den Kirchenstaat bestehe jedoch nach gottlichem Recht. Diese Position legte er am 15. Mai 1871 in der Enzyklika Ubi nos auch offentlich dar.
Selbst auferlegte Gefangenschaft im Vatikan Pius IX. verließ das von der Leoninischen Mauer umschlossene Gelande zeitlebens nicht mehr. Bis 1929 folgten alle Papste seinem Vorbild: Leo XIII., Pius X., Benedikt XV. und Pius XI. Nicht einmal die eigene Bischofskirche, die Lateranbasilika, wurde von ihnen betreten. In der Offentlichkeit wurde besonders beachtet, dass die Papste bis 1922 den Segen Urbi et orbi nicht mehr von der außeren Loggia dei Benedizione aus spendeten, sondern von der inneren Loggia aus in die Peterskirche hinein, „damit die Rauber des Kirchenstaats dieser Benediktion nicht teilhaftig wurden.“
Pius IX. lebte auch in den Jahren seiner „Gefangenschaft“ nach seinem gewohnten Tagesrhythmus: Er stand um 4:30 Uhr auf. Nach Morgengebet und Heiliger Messe nahm er sein Fruhstuck ein (Kaffee, Bouillon); es folgte die Privataudienz mit dem Kardinalstaatssekretar und weitere Audienzen. Eine Stunde ging er in den Vatikanischen Garten spazieren. Anschließend nahm er das Mittagessen ein (Suppe, Fleisch, Gemuse, Kartoffeln, ein wenig Wein). Um 17 Uhr, vor dem Abendessen, war noch einmal Zeit fur Gesprache, und um 22 Uhr begann die Nachtruhe. So gingen die letzten, von Krankheit gezeichneten Lebensjahre des Papstes ohne großere Ereignisse ruhig dahin. Am 3. Juni 1877 beging er sein goldenes Priesterjubilaum, zu dem Pilger aus aller Welt nach Rom stromten. Pius IX. wurde in diesem Kontext gern mit dem Apostel Simon Petrus verglichen, welcher der Legende nach die Zeit bis zu seiner Hinrichtung im Mamertinischen Kerker verbrachte. „Wie einst Petrus schmachtete der Gefangene in den Ketten des romischen Staats.“ Vielleicht wurde er sogar langer als Petrus amtieren, dem die Legende ein Pontifikat von 32 Jahren zuschrieb. Viele Katholiken nahmen an, dass Pius IX. in seiner Gefangenschaft ein Martyrium durchlebte. So verkauften franzosische Priester und Nonnen Halme des Strohs, auf dem er angeblich schlafen musste, als Reliquien.
Pius IX., der am 7. Februar 1878 starb, hatte testamentarisch seine Beisetzung in der Basilika Sankt Laurentius vor den Mauern verfugt. Sein Sarg stand zunachst im Petersdom in einem Steinsarkophag, der mehrfach als „provisorische Papstgruft“ genutzt wurde. Er ware normalerweise, so David Kertzer, erst nach dem Tod seines Nachfolgers nach Sankt Laurentius uberfuhrt worden. Vielleicht gedrangt von einigen Kardinalen beschloss Leo XIII., den Sarg bereits drei Jahre nach dem Tod seines Vorgangers nachts nach Sankt Laurentius uberfuhren zu lassen – quer durch die ganze Stadt. Uber einen Mittelsmann wurde der Stadtprafekt uber Zeitpunkt und Route des Leichenzugs in Kenntnis gesetzt, der einen privaten Charakter haben sollte. Der Prafekt sagte unter dieser Bedingung die Sicherung des Leichenzugs zu. Doch schon vorab wurde bekannt, dass pro-papstliche Kreise planten, den Leichenzug zu einer Solidaritatskundgebung zu nutzen. In zwei radikalen Clubs der Stadt liefen Vorbereitungen fur eine Gegenveranstaltung. In der Nacht auf den 13. Juli 1881 verließ die Kutsche mit dem Sarg, vier begleitenden Kutschen und 3000 Kerzentragern den Vatikan. Angeblich sollen 100.000 Menschen zusammengestromt sein: Unterstutzer und Gegner des Papsttums und zahlreiche Neugierige. Die rund hundert Polizisten hatten keine Kontrolle uber das Geschehen. Auf der Engelsbrucke versuchten die antiklerikalen Demonstranten, den Sarg des Papstes in den Tiber zu stoßen. Von Piazza zu Piazza wurde der Tumult großer und griff auf die angrenzenden Hauser uber. Nahe der Piazza Termini trafen zwei Einheiten des italienischen Militars ein und drangten Angreifer ebenso wie Beter in die Nebenstraßen, wahrend die vatikanischen Kutschen mit großtmoglicher Geschwindigkeit den Rest des Wegs nach Sankt Laurentius vor den Mauern zurucklegten. Die internationalen Reaktionen auf diesen nachtlichen Tumult waren fur den italienischen Staat sehr nachteilig.
Um die technische Infrastruktur des Vatikans aufrechtzuerhalten, kooperierte die Kurie pragmatisch mit den staatlichen Behorden. Letztere erkannten auch den diplomatischen Status der beim Heiligen Stuhl akkreditierten Gesandten an, die umstandehalber auf dem Staatsgebiet Italiens residierten. Da dem Papsttum mit dem Verlust des Kirchenstaats die Einnahmen weggebrochen waren und weder Pius IX. noch einer seiner Nachfolger die im Garantiegesetz angebotene Leibrente in Anspruch nahmen, musste sich der Heilige Stuhl „zwischen 1871 und 1929 zum großten Teil aus Spendengeldern und durch aufgenommene Kredite finanzieren.“ Einerseits wurde der Peterspfennig verbindlich festgelegt, andererseits nahm der durch die Eisenbahn ermoglichte Pilgertourismus nach Rom unter dem Pontifikat Leos XIII. einen großen Umfang an. Dieser Papst setzte drei außerordentliche Heilige Jahre (1879, 1881 und 1886) an. Auch seine personlichen Amtsjubilaen wurden aufwandig begangen. Das Heilige Jahr 1875 konnte nicht begangen werden, doch zum Heiligen Jahr 1900 trafen rund 300.000 Pilger aus aller Welt in Rom ein, worauf Leo XIII. in der Enzyklika Tametsi futura prospicientibus mit Genugtuung zuruckblicken konnte. Diese Massenwallfahrten hatten den Charakter von Solidaritatskundgebungen mit dem „Gefangenen im Vatikan“; außerdem erschloss sich der Vatikan damit eine neue, sehr ergiebige Einnahmequelle. Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte der Vatikan auch ohne staatliche Leistungen großere Einnahmen zur Verfugung, als vor 1870 aus dem Kirchenstaat fur die papstliche Hofhaltung jahrlich bereitgestellt wurden.
Da die Papste als „Gefangene im Vatikan“ ihre Sommerresidenzen nicht mehr nutzen konnten, ließ Leo XIII. die Vatikanischen Garten nach eigenen Entwurfen neu gestalten. Einige der Kleinbauten, die in dieser Zeit in dem Gartengelande errichtet wurden, waren Geschenke an den Papst, darunter eine Nachbildung der Lourdes-Grotte sowie der Genueser Madonna della Guardia.
Lockerungen Wahrend des Pontifikats Benedikts XV. verbesserte sich das Verhaltnis des Heiligen Stuhls zur italienischen Regierung. Mit Baron Carlo Monti war ein Studienfreund des Papstes Generaldirektor des fur Kirchenfragen zustandigen staatlichen Fondo per il Culto geworden. Monti hielt, wie seine Tagebucher dokumentieren, wahrend des ganzen Ersten Weltkriegs einen Gesprachskanal zwischen dem politischen und dem kirchlichen Rom offen.
Dass Pius XI. die „Gefangenschaft“ der Papste im Vatikan als anachronistisch ansah, zeigte er damit, dass er seit dem Ostersonntag 1922 den Segen Urbi et orbi – ohne jedes weitere Wort – zum Petersplatz und der Stadt Rom hin spendete, so wie es vor 1870 ublich gewesen war. Der Heilige Stuhl hatte, so Jorg Ernesti, generell die Erfahrung gemacht, dass sich Konkordate leichter mit autoritaren Regierungen als mit Demokratien aushandeln ließen, weil dabei weniger Entscheidungstrager eingebunden werden mussten. Daher hatte Pius XI. nach Einschatzung Ernestis auch mit einer demokratischen Regierung Italiens verhandelt, begrußte aber, mit Benito Mussolini bei der Aushandlung der Lateranvertrage ein Gegenuber zu haben, der, wie der Papst es formulierte, „nicht die Vorbehalte der liberalen Schule teilte“.
Die Lateranvertrage wurden am 11. Februar 1929 unterzeichnet; um dieses Ereignis zu wurdigen, leitete Pius XI. eine eucharistische Prozession auf dem Petersplatz. Aber er wartete bis zum Dezember, ehe er den Vatikan erstmals verließ, um von der Lateranbasilika als seiner Bischofskirche formell Besitz zu ergreifen. Der selbst auferlegte Ruckzug in den Vatikan wirkte in der Amtsfuhrung der Papste nach und fand erst mit dem Pontifikat Johannes’ XXIII. (1958–1963) sein Ende, da dieser Papst es liebte, „Kirchen, Spitaler, Gefangnisse, Seminarien“ zu besuchen und mit den Menschen in Kontakt zu treten.
Literatur Jorg Ernesti: Geschichte der Papste seit 1800. Herder, Freiburg/Basel/Wien 2024, ISBN 978-3-451-39877-3.
David Kertzer: Prisoner of the Vatican: The Popes, the Kings, and Garibaldi’s Rebels in the Struggle to Rule Modern Italy. Houghton Mifflin, Boston 2004, ISBN 978-0-618-61919-1.
Hubert Wolf: Der Unfehlbare. Pius IX. und die Erfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert. 2. Auflage. Beck, Munchen 2020, ISBN 978-3-406-75575-0.
Anmerkungen
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Als Gefangener im Vatikan oder Gefangener des Vatikans (captivus Vaticani) sahen sich die Papste nach dem Ende des Kirchenstaats 1870 bis zur Unterzeichnung der Lateranvertrage 1929. Die Selbstbeschrankungen, die sie sich auferlegten, sollten die Romische Frage offenhalten.
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Renata Rossi (geboren 1953 in Chiavenna) ist eine italienische Kletterin, Bergsteigerin und Bergfuhrerin. Sie ist die erste Frau, die die Prufung zur Bergfuhrerin in Italien bestand und eine der ersten in Europa uberhaupt. Sie arbeitet bis heute (Stand 2024) hauptberuflich als Bergfuhrerin.
Leben, Ausbildung und Beruf Rossi wurde 1953 in Chiavenna geboren und verbrachte ihre gesamte Kindheit im Val Bregaglia, in der italienischen Provinz Sondrio nahe zur Schweizer Grenze. Sie selbst beschreibt ihre Kindheit als schon und wild, sie war in ihrer Freizeit mit Freunden und Geschwistern zu jeder Jahreszeit in den Waldern rund um ihre Heimat unterwegs. Bereits im Alter von 10 Jahren wanderte sie mit anderen Kindern auf die Berge, da alle neugierig gewesen seien, was dahinter ist.
Nach dem Besuch des humanistischen Gymnasiums studierte sie drei Jahre Psychologie und ein Jahr Medizin an der Universitat Padua. Ab 1974 bewirtschaftete sie parallel dazu fur drei Sommer die Sasc-Fura-Hutte unterhalb des Piz Badile in den Bergeller Bergen zusammen mit Renata Pool. In dieser Zeit reifte in ihr der Entschluss Bergfuhrerin zu werden. Ihr war klar geworden, dass ihr die Berge und das Klettern wichtiger waren als eine Karriere in der Stadt. Im Jahr 1981 wurde sie Aspirantin fur Bergfuhrer, 1984 bestand sie die Bergfuhrerprufung als erste Frau in Italien und eine der ersten in Europa. Spater wandte sie sich auch dem Canyoning zu. Rossi arbeitet bis heute (Stand 2024) hauptberuflich als Bergfuhrerin und ist Mitglied des Bergfuhrerverbandes Valchiavenna (Associazione Guide Alpine Valchiavenna).
Rossi veroffentlichte mehrere Aufsatze, in denen sie sich mit der Schonheit der Natur ihrer Heimat auseinandersetzt und auch die Naturzerstorung anprangert.
Alpinistische Karriere Rossi war bereits in jungen Jahren sehr sportlich, wandte sich aber erst im Alter von 19 Jahren dem Klettern zu. Sie lernte einige Kletterer kennen; vor allem die Begegnung mit Renata Pool, die bereits kletterte, war entscheidend. Rossi verdankte Pool die ersten ernsthaften Klettereien.
1977 nahm Rossi an der italienischen Expedition zum Annapurna III (auch Annapurna-Himal, 7577 m) im Himalaya teil, 1979 und 1980 kletterte sie viel in den tschechischen Sandsteinklettergebieten von Adrspach, Teplice und Cesky raj. Neben der Eroffnung vieler Routen in ihrem Heimattal hat sie den großten Teil der Alpen besucht. Ihr gelangen in den folgenden Jahren viele klassische Klettertouren am Mont Blanc, am Monte Rosa und in den Dolomiten. Besonders viel ist sie in den Bergeller Bergen unterwegs, hier gelangen ihr Neutouren und erste Wiederholungen schwieriger Touren im Bondasca- und Albignagebiet sowie etliche Winterbegehungen und Zweitbegehungen. Der Piz Badile blieb aber ihr bevorzugter Berg, an dem sie viel Zeit verbrachte.
Bereits als sehr junge Frau fuhrte sie Touren wie die Badile-Nordkante (IV), die Nordkante der Piz Gemelli (V) oder der Nordwestpfeiler des Cengalo (VI). Spater gehorten zu den wichtigsten Begehungen die Via Chiara (VI) am Tropfenpfeiler des Badile, an der Punta Sant’Anna die Via Bonatti (VI) oder an der Badile Nordwand die Cassin-Fuhre (VI). Auch Winterbegehungen wie der Via Klicker an der Punta Sant’Anna gehorten zu ihrem Repertoire, obwohl oder weil gerade diese besonders schwierig ist. Auch Erstbegehungen sind Rossi gelungen, wie etwa der Tour Flammeninferno, ein extremes Couloir an der Cima del Cantun im Albignagebiet.
Im Jahr 1982 nahm sie am „Women’s International Rock Climbing Meet“ in England teil, bei dem sie die Gelegenheit hatte mit Catherine Destivelle, Silvia Metzeltin oder Alison Hargreaves zu klettern.
Bedeutung als Vorbild und „Eisbrecherin“ Kaum ein Beruf ist so mannlich gepragt wie Bergfuhrer, es gibt nur wenige Bergfuhrerinnen. Da Rossi die erste Frau war, die in Italien die Ausbildung begann, hatte sie auch mit Frauenverachtung und mannlich-chauvinistische Vorurteile zu kampfen. Oder wie Rossi es beschreibt, es wehte ihr ein „kalter Wind“ entgegen. Etwa wenn Kollegen drohten, ihr Diplom wegzuwerfen, sollte eine Frau Bergfuhrerin werden. Oder wenn Kollegen sie einen ganzen Abend auf der Hutte ignorierten. In einem Interview sagte sie einmal „(…) als erste Madchen mussten wir mehr kampfen, da wir als „Versuchskaninchen“ eine ganze Reihe von psychologischen Konditionierungen uberwinden mussten – von einigen Ausbildern und bestimmten neidischen Schulern.“ Auf der anderen Seite lobte sie den technischen Leiter des Kurses, Gigi Mario, der sehr ausgleichend gewirkt hatte. Trotzdem ware es sehr hart gewesen, in den Worten von Rossi: „Wahrend man sich nach und nach an die Umstande gewohnt, kann man sich an die bosen Zungen, an Situationen der Gleichgultigkeit und der dummen Hintergedanken, die im Umfeld der Bergfuhrerausbildung entstehen, kaum … anpassen.“
Rossi war die erste Frau, die in Italien die Bergfuhrerprufung bestand, erst 1986 erreichten Nicole Niquille in der Schweiz und 1988 Gudrun Weikert in Deutschland ebenfalls das Bergfuhrerdiplom. Rossi ist in einen von Mannern beherrschten Beruf eingebrochen und hat dieses Berufsbild in Bewegung gebracht – auch aufgrund ihrer Personlichkeitsstruktur, ihrer Naturverbundenheit und der menschlichen Dimension, die sie ins Bergsteigen brachte. Rossi meint, dass die menschliche Herangehensweise bei der Ubermittlung der Emotionen, die die Bergwelt vermitteln kann und die Sensibilitat dafur wichtige Punkte sind und nicht nur die technisch-sportliche Herausforderung.
Nach Rossi vergingen fast 30 Jahre, bis 2013 die nachste Frau in Italien das Bergfuhrerdiplom erhielt. Ende 2019 befanden sich unter den insgesamt 1129 gepruften Bergfuhrern in Italien nur 16 Frauen.
Rossi wurde eine 300 m hohe Klettertour am Monte Colodri bei Arco im 7. Schwierigkeitsgrad gewidmet, die als Klassiker gilt. In Erinnerung an die Freundschaft mit Renata Pool ist beiden die Route „Alle due Renate“ an der Punta Trubinasca im Bergell gewidmet.
Weblinks Website von Renata Rossi
Einzelnachweise
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Renata Rossi (geboren 1953 in Chiavenna) ist eine italienische Kletterin, Bergsteigerin und Bergfuhrerin. Sie ist die erste Frau, die die Prufung zur Bergfuhrerin in Italien bestand und eine der ersten in Europa uberhaupt. Sie arbeitet bis heute (Stand 2024) hauptberuflich als Bergfuhrerin.
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Die Schuppenfuß-Schnecke (Chrysomallon squamiferum) ist eine gehausetragende Tiefseeschnecke. Die Schuppenfuß-Schnecke ist der einzige Vertreter der Gattung Chrysomallon. Sie wird auch Seezapfentier genannt. Sie ist das einzige bekannte Tier, das Eisensulfid in sein Skelett einbaut, und hat als bisher einzige Tiefseeschnecke nachgewiesen eine Symbiose mit Bakterien, die in ihrer vergroßerten Speiserohre leben. Sie lebt in drei Populationen in 2400 bis 2900 Metern Tiefe auf nur drei Stellen mit Schwarzen Rauchern im Indischen Ozean, die eine Distanz von bis zu 2500 km zueinander haben.
Merkmale Einige Merkmale werden der Gattung Chrysomallon zugeordnet. Die Schnecken sind im Vergleich zu anderen Gattungen der Peltospiridae mit einer Gehausegroße von bis zu 45,5 Millimetern sehr groß. Das Schneckenhaus ist ein gewundenes Gehause mit drei Wirbeln, wobei die Spitze zusammengedruckt ist. Das Periostracum besteht aus einer dicken Schicht. Die Offnung des Gehauses ist elliptisch. Der Fuß von Individuen der Gattung ist groß und mit hunderten harten Skleriten bedeckt. Wahrend die Speiserohre hypertroph ist, ist der restliche Bereich des Verdauungssystems reduziert.
Die Gehause haben bei adulten Schuppenfuß-Schnecken einen mittleren Durchmesser von 32 Millimetern und maximal von 45,5 Millimetern. Die Form liegt zwischen den Gehauseformen von Napfschnecken und Kahnschnecken. Die Oberflache ist aus eng beieinander liegenden Rippen geformt und außen oft mit einer Eisensulfidschicht uberzogen. Das Gehause besteht insgesamt aus drei Schichten, wobei sie das einzige Weichtier ist, bei dem dieser mehrschichtige Aufbau bekannt ist. Die mittlere Schicht ist eine recht dicke nachgiebige organische Schicht, die innen und außen von einer stabileren mineralisierten Schicht umgeben ist. Die innere Schicht ist kalzifiziert und enthalt unter anderem das Mineral Aragonit, das in den Schalen vieler Weichtiere zu finden ist. In der außeren Schicht wird Eisensulfid eingelagert, unter anderem in Form des Minerals Greigit. Aufgrund der Reinheit und der Regelmaßigkeit, mit der Eisensulfid in dieser Schicht vorkommt, gehen Forscher davon aus, dass das Eisensulfid biologisch gesteuert in die Schicht gelangt. Damit ist die Schuppenfuß-Schnecke das einzige bekannte vielzellige Tier, das Eisensulfid als Skelettmaterial benutzt. Ein Durchstoßen des Panzers wird aufgrund seiner Beschaffenheit nahezu unmoglich. Die Energie des Angriffs wird verteilt; damit werden Bruche und die Ausbreitung von Rissen im Gehause verhindert. Weiterhin besteht eine große Resistenz gegenuber Spannbelastungen wie zum Beispiel Verbiegen.
Die Fuhler sind langlich und an der Basis dick, verjungen sich aber zum Ende hin. Sichtbare Augen oder Pigmente hat die Schnecke nicht. Der Fuß der Schnecke ist groß und kann nicht vollstandig in das Gehause eingezogen werden. Außerdem ist der Fuß mit langlichen, gebogenen Skleriten bedeckt, die bei ihrer Bildung zunachst milchig-weiß sind, aber je nach Dicke der darauf befindlichen Eisensulfidschicht metallisch-schwarz werden konnen. Aufgrund der Außenschicht sind die dunklen Sklerite ferromagnetisch. Die Grundsubstanz der Sklerite ist Conchiolin, eine organische Substanz, die eine der Grundsubstanzen der Schalen aller Muscheln und Schnecken ist. Des Weiteren bestehen sie aus den Mineralien Pyrit und Greigit. Fur die evolutive Entwicklung der Sklerite werden vor allem zwei Hypothesen diskutiert. Einerseits ist es moglich, dass die Sklerite die Schnecke schutzen, wenn sie in dem fur den Stoffwechsel ihrer symbiotischen Bakterien wichtigen Ausstrom der Raucher ist. Andererseits konnten die Sklerite ein Abfallprodukt beim Abbau der in den Rauchern befindlichen, fur die Schnecken giftigen Schwefelverbindungen sein.
Die drei bekannten Populationen unterscheiden sich genetisch so wenig, dass man von einer Art ausgeht. In ihrer Farbung gibt es aber Unterschiede zwischen den Populationen. Die nordlichste Population weist mit weißen Skleriten und einer braunen Gehausefarbung einen Unterschied zu den beiden anderen Populationen auf, da in der Flussigkeit in den Rauchern ihres Lebensraums kein Eisen vorhanden ist.
Ernahrung Die Schuppenfuß-Schnecke hat eine reduzierte Radula und gewinnt ihre Nahrung nicht durch Jagd oder durch das Abweiden von Flachen. Stattdessen hat sie Symbiosen mit unterschiedlichen Bakterien, die chemoautotroph aus Schwefel Energie gewinnen. Manche der Bakterien leben endosymbiontisch in der vergroßerten Speiserohre. Hierin unterscheidet sich die Schuppenfuß-Schnecke von anderen Schnecken, die ahnliche Symbiosen haben, da diese ihre Bakterien meist im Bereich der Kiemen beherbergen.
Lebensraum und Verbreitung Die Schuppenfuß-Schnecke wurde im Jahr 2000 von Wissenschaftlern des Massachusetts Institute of Technology im Kairei-Hydrothermalfeld im zentralindischen Ruckens entdeckt, das ca. 2000 km ostlich von Madagaskar liegt, aber erst 2015 systematisch erstbeschrieben.
Sie lebt in 2400 bis 2900 Metern Tiefe an nur drei Stellen mit Schwarzen Rauchern im Indischen Ozean. Neben dem Kairei Vent Field sind dies das Longqi-Hydrothermalfeld, ca. 1250 km sudlich von Madagaskar, und das Solitaire-Hydrothermalfeld, ungefahr 1000 km ostlich von Mauritius und ca. 800 km nordwestlich des Kairei Vent Fields. Die Lebensraume haben eine Distanz von bis zu 2500 km zueinander. Zudem sind zwei von drei Habitaten vom Tiefseebergbau bedroht, daher wird die Schuppenfuß-Schnecke auf der Roten Liste der IUCN als stark gefahrdet („endangered“) eingestuft. Sie war die erste Tiefsee-Art, die auf die Rote Liste gesetzt wurde.
Etymologie Der Gattungsname Chrysomallon bedeutet im Griechischen „goldhaarig“. Der Name wurde wegen der metallischen Schicht, die in der Schale gefunden wird und das als Katzengold bekannte Pyrit enthalt, gewahlt. Das Artepitheton leitet sich vom Latein ab und bedeutet „schuppentragend“, da der Fuß der Schnecke von vielen Skleriten bedeckt ist.
Weblinks Chrysomallon squamiferum in der Roten Liste gefahrdeter Arten der IUCN 2022.1. Eingestellt von: J. Sigwart, C. Chen & E.A. Thomas, 2018. Abgerufen am 4. August 2022.
WoRMS - World Register of Marine Species - Chrysomallon squamiferum C. Chen, Linse, Copley & A. D. Rogers, 2015
Einzelnachweise
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Die Schuppenfuß-Schnecke (Chrysomallon squamiferum) ist eine gehausetragende Tiefseeschnecke. Die Schuppenfuß-Schnecke ist der einzige Vertreter der Gattung Chrysomallon. Sie wird auch Seezapfentier genannt. Sie ist das einzige bekannte Tier, das Eisensulfid in sein Skelett einbaut, und hat als bisher einzige Tiefseeschnecke nachgewiesen eine Symbiose mit Bakterien, die in ihrer vergroßerten Speiserohre leben. Sie lebt in drei Populationen in 2400 bis 2900 Metern Tiefe auf nur drei Stellen mit Schwarzen Rauchern im Indischen Ozean, die eine Distanz von bis zu 2500 km zueinander haben.
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